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Nachdem Anton seine Erzählung geendet hatte, erkundigte er sich sehr angelegentlich nach dem Befinden seiner lieben Eltern. Er hatte nicht ohne Schmerzen bemerkt, wie sehr beide seit seiner Abreise gealtert hatten. Ihre grauen Haare und ihre vielen Falten preßten ihm beinahe Thränen aus. indes ließ er sich nichts davon merken, um sie nicht zu betrüben. Gar sehr mußte er sich hingegen verwundern, seine Geschwister, Christian, Katharine und Luise nun in der vollen Blüte des Lebens zu erblicken. Er rief Christians beide Kinder freundlich herbei. »Mein Gott,« sagte er, »so verfließt die Zeit! Ach, vor zwanzig Jahren waren Christian, Katharine und ich Kinder wie diese hier; Luise noch kleiner. Jetzt sind diese Kinder in unsere Stelle eingerückt.« Er betrachtete die zwei Kinder mit Wohlgefallen. »Nun,« sprach er, »habt ihr aber auch eure Weihnachtsgeschenke schon bekommen?« »Ach nein!« sagte der kleine Franz. »Der Oberförster hat uns den Spaß verdorben; er ist ein rechter Herodes.« Die Mutter verwies ihm diese Rede. Die kleine Klara sagte: »Anton, dich hat gewiß ein Engel hierhergeschickt. Hast du uns aber auch ein Weihnachtsgeschenk mitgebracht?« »O ja wohl,« sagte er, »ich habe eurer nicht vergessen. Nur müßt ihr warten, bis meine Kutsche nachkommt. In dieser ist alles.« Die Kinder gaben sich zufrieden.
Hierauf wurde das Abendessen aufgetragen. Es wurde aber mehr geredet, als gegessen. Nach Tische verlangten die Kinder in das Bett. Alle übrigen blieben aber noch bei einander auf. »Den lieben Kleinen,« sagte Anton, »müssen wir morgen frühe noch eine besondere Freude machen. Wir müssen ihnen einen Weihnachtsbaum zurichten. Denn wie in einigen Gegenden die Krippe, so ist in andern der Weihnachtsbaum Sitte. Christian muß sich aus Liebe zu seinen Kindern schon bequemen, noch diese Nacht aus dem nahen Walde eine junge Tanne zu holen. Das Nötige, den Baum zu schmücken, bringe ich mit. Ich habe meinen Kutscher, dessen Pferde fast erlegen waren, in Äschenthal zurückgelassen, und bin auf dem Fußsteig über alle Berge hieher geeilt; morgen frühe aber vor Anbruch des Tages wird die Kutsche mit meinem Koffer und übrigem Gepäcke hier eintreffen.«
Am folgenden Morgen, sehr frühe, da die Kinder noch süß und sanft schliefen, waren schon alle Erwachsene im Hause mit Aufstellung und Ausschmückung des Weihnachtsbaumes beschäftigt. Ein junger schöner Tannenbaum mit dichten grünen Ästen wurde in der Stubenecke zwischen den Fenstern angebracht. Anton öffnete, nachdem die Kutsche abgepackt war, eine große Schachtel, die fast mit allem, was Kinder freuen kann, gefüllt war. Er hängte die kleinen Geschenke – schönes Obst, allerlei buntes Zuckerwerk, niedliche Körbchen voll verzuckerter Mandeln, Kränze von künstlichen Blumen mit rosenfarbenen oder himmelblauen Bändern geziert, nebst allerlei flimmerndem Spielzeuge an den Baumzweigen auf. Er wußte alles sehr malerisch zu ordnen. Nun nahm er auch ein paar Dutzend kleine blecherne Lampen hervor, die mit Wachs eingegossen waren. Er hängte sie vorsichtig, damit sie den Baum schön beleuchten, aber nicht anbrennen konnten, an den Zweigen auf. Da alles fertig war, gingen Katharine und Luise, die Kinder zu wecken. »Sie dürfen aber nicht früher kommen,« sagte Anton, »als bis ich mit dem Anzünden der Lampen fertig bin und bis die Mutter ruft.«
Als die Kinder von den Weihnachtsgeschenken hörten, verging ihnen sogleich aller Schlaf. Man konnte sie nicht schnell genug ankleiden. Endlich rief die Mutter: »Jetzt kommt!« Die Kinder sprangen eilig in die Stube – blieben aber von Glanz und Schimmer geblendet plötzlich stehen. Vor Erstaunen und Entzücken über den unerwarteten Anblick konnten sie anfangs nicht reden. Sie staunten den wundersam schimmernden Baum mit starren Augen und offenem Munde unverwandt an. Der grüne Glanz der Zweige, die Lichter, die dazwischen wie Sterne schimmerten, die hochrot strahlenden Äpfel, die goldgelben Birnen, die vielen bunten und funkelnden Sachen kamen ihnen wie Zauberei vor. Sie wußten nicht, ob sie wachten oder träumten. Endlich riefen sie höchst entzückt: »O wie schön, o wie herrlich!« Franz sagte: »Einen solchen Baum, der so schön ist und im Winter so vielerlei Früchte trägt, gibt’s in unserm ganzen Walde nicht.« »Ei,« sagte Klara, »solche Bäume wachsen nur im Paradiese oder gar nur im Himmel. Nicht wahr, Mutter das Christkindlein hat uns den Baum geschickt?« »So, wie er da ist,« sprach die Mutter, »nun eben nicht. Indes hat doch Christus, der einst als Kind in der Krippe lag und nun im Himmel ist, euch diese Freude beschert. Denn wäre er uns nicht geboren, so wüßten wir nichts von Weihnachtsfreuden und Weihnachtsgeschenken.« »Nun gut,« sagten die Kinder, »wir wollen ihn schon recht lieb haben und ihm recht folgen. Er ist doch gar so gut, und hat die Kinder gar so lieb. Eine solche Freude, wie er uns macht, hatte noch kein Mensch in der Welt.«
Die Großmutter sprach: »Es ist wohl wahr, ein erwachsener Mensch kann kaum eine solche Freude empfinden, wie ihr Kinder. Schuldlose Kinder sind die seligsten Geschöpfe auf Erden; ihre Freuden sind rein und lauter. Gott erhalte euch unschuldig und gut!« – »Ach;« sagte sie zu den übrigen, »die Freuden der Erwachsenen werden nur zu oft von Kummer und Sorge, von Ehrsucht, Geiz, andern bösen Leidenschaften, wohl gar von Gewissensbissen verbittert. Darum ist es ein schönes, wahres Wort unsers göttlichen Erlösers: »Wenn ihr euch nicht bekehret und werdet wie die Kinder, so könnet ihr nicht in das Himmelreich eingehen.« Der Großvater sagte: »Der Gebrauch mit dem Weihnachtsbaume gefällt mir sehr wohl. Es war klug und weise von unsern Voreltern, daß sie darauf bedacht gewesen, die schönen christlichen Freudenfeste auf mancherlei Weise den Kindern zu Tagen der Freude zu machen. Diese kindliche Freude macht ihnen die Festtage des Herrn lieb und wert, und bereitet ihr Herz vor, an der höhern Festfreude, an dem Heile, das uns allen geworden, teil zu nehmen. Von nun an soll in diesem Hause an jedem Weihnachtsfeste den lieben Kleinen immer ein Weihnachtsbaum grünen. Wenn er auch nicht so prächtig geziert sein sollte, wie dieser, wo wird er ihnen doch nicht weniger Freude machen. Es braucht wenig, Kinder zu erfreuen; einige Äpfel, Birnen, vergoldete Nüsse reichen schon hin, wenn man etwa nichts Besseres hat. Auch wird wohl niemand knickern wollen, wenn es darauf ankommt, Kindern eine schuldlose und heilsame Freude zu machen. Ich denke auch, der Weihnachtsbaum kann uns bei der Kindererziehung große Dienste leisten; er kann uns, wenigstens sehr oft, die Rute ersparen. Kinder, die einmal einen Weihnachtsbaum gesehen haben, freuen sich gewiß das ganze Jahr wieder darauf, und werden gewiß mehr auf die Worte achten: Wenn ihr nicht gehorcht, bekommt ihr keinen Weihnachtsbaum! – als wenn man ihnen mit Schlägen drohte.«
Die Eltern und Großeltern dankten nun dem Anton für die viele Freude, die er ihren Kindern und Enkeln gemacht hatte. »Es ist eine Kleinigkeit,« sagte er, »die nicht der Rede wert ist. Indes muß ich Sie bitten, daß auch Sie einige kleine Weihnachtsgeschenke von mir nicht verschmähen.« Er schloß seinen Koffer auf, der in einer Ecke der Stube stand. »Diesen Koffer,« sagte er, »haben Sie mir einst reichlich gefüllt mit auf die Reise gegeben, es ist nicht mehr als billig, daß Sie ihn nicht ganz leere wieder zurück erhalten.« Er überreichte der alten Försterin kostbares Pelzwerk und Seidenzeug. »Es ist ja die Pflicht guter Kinder,« sagte er, »ihre alten Eltern bei der rauhen Jahreszeit warm zu erhalten.« Der jungen Frau und den zwei Jungfrauen gab er grünen Taft zu Kleidern, seidene Halstücher aus Mailand und andern Frauenzimmerputz. Der junge Förster bekam eine vortreffliche Doppelflinte, deren Schaft von Nußbaumholz sehr schön mit Silber eingelegt war. »Sie liebster Vater,« sagte Anton zu dem alten Förster, »müssen nun nicht mehr auf die Jagd gehen; Sie müssen nun von Ihren vielen Beschwerden ausruhen. Sie brauchen Stärkung in Ihren alten Tagen. Der Korb dort ist mit Flaschen vom besten alten Rheinwein gefüllt. Und hier ist ein Becher dazu.« Anton überreichte ihm einen silbernen Becher, der innen prächtig vergoldet war. Außen auf dem Becher waren in einem Kranze von Eichenlaub die Worte eingegraben: »Meinem lieben Vater Friedrich Grünewald zur Erinnerung an den Weihnachtsabend 1740, überreicht am Weihnachtsfeste 1760 von dessen dankbarem Sohne Anton Kroner.« Der alte Förster umarmte Anton mit Thränen in den Augen. Allein Anton übergab ihm überdies noch eine Rolle Gold. »Sie, liebster Vater,« sagte er, »haben große Summen auf mich verwendet. Es wäre nicht recht, wenn Ihre übrigen Kinder und Ihre Enkel dadurch sollten verkürzt werden.« Der edle Greis erstaunte und wollte das Geschenk nicht nehmen. Allein Anton sagte: »Es ist nichts weniger als ein Geschenk von mir. Der gnädigste Fürst hat mich so reichlich beschenkt, und sein Geschenk freute mich zweifach, weil ich dadurch instandgesetzt wurde, Ihnen an einer alten Schuld, die ich nie werde bezahlen können, wenigstens einiges abzutragen.« Alle Umstehenden waren höchst erstaunt. Die alte Försterin aber sagte: »Ach Anton, wie hätten wir an jenem Weihnachtsabende, an dem du das erste Mal in unser Haus kamst, denken können, daß du uns dereinst einen so fröhlichen Weihnachtsabend bereiten, uns durch die Verwendung bei Seiner fürstlichen Durchlaucht aus so großer Not retten und uns alles, was wir an dir thaten, so reichlich vergelten würdest!« »Das hat Gott gethan,« sprach Anton. »Er führte mich in Ihr Haus, um Sie und mich reichlich zu segnen. Sein Name sei gepriesen.«
»Doch,« sprach jetzt Anton, »erlauben Sie nun, daß ich sogleich abreise.« »Was, wie, warum?« riefen alle. Allein Anton sagte: »Ich fahre jetzt zu Herrn Riedinger. Ich hoffe dort noch dem Gottesdienste beiwohnen zu können, meinem vortrefflichen Lehrmeister durch meinen Besuch eine unerwartete Freude zu machen, und ihn morgen abends hieher zu bringen. Dann wollen wir die übrigen Weihnachtsfeiertage, ja alle Tage des noch übrigen Jahres recht fröhlich beschließen.« Alle begleiteten Anton an die Kutsche. Am Abende des andern Tages kam Anton mit seinem Lehrmeister an, und das alte Försterhaus in dem düstern Walde beherbergte in diesen Tagen so selige Menschen, als je auf Erden gelebt haben.
Was von Antons Geschichte noch weiter bemerkt zu werden verdiente, ist kurz dieses. Anton bat den alten Förster und dessen Hausfrau, ihm ihre Tochter Luise zur Ehe zu geben. Beide bewilligten es mit Freuden. »Ach Luise,« sprach die alte Großmutter, »damals, als du dem Anton jenes Äpfelein zum Weihnachtsgeschenke gegeben hast, dachte ich wohl nicht daran, daß er dich dereinst als seine Braut zum Altare führe würde.« Das Hochzeitsfest war ein so freudiges Fest, als je eines in dem Försterhause gefeiert wurde. Anton aber kaufte sich in der Residenz ein eigenes Haus, hatte als ein sehr geschätzter Maler immer sehr viel zu malen, und lebte mit Luise in der seligsten Eintracht.
Im folgenden Frühlinge kam der Fürst ganz unerwartet auf dem fürstlichen Jagdschlosse Felseck an, und brachte den alten Forstrat Müller und einen auswärtigen forstverständigen Mann mit sich. Der Oberförster war sehr bestürzt und versprach sich von diesem gnädigen Besuche wenig Gutes. »Sie haben meine Befehle überschritten,« sagte der Fürst zu ihm. »Ich hatte zwar, durch Ihre Berichte verleitet, den alten Förster seiner Geschäfte überhoben, und war Willens, den jungen Förster auf einen sehr geringen Försterdienst zu versetzen; allein die ganze Familie so unmenschlich aus dem Forsthause zu verstoßen, wie Sie es im Sinne hatten, war nie mein Wille. – Doch wir wollen vorerst die Waldungen in Augenschein nehmen.«
Des Oberförsters eigener Bezirk befand sich in einem kläglichen Zustande. »Auf den Papieren, die er einschickte,« sprach der Fürst, »fand ich alles vortrefflich. Da war alles so schön geschrieben und liniert, wie gestochen. Allein im Walde finde ich es anders. Auf manchem Platze ist offenbar ohne Vergleich mehr Holz gestanden, als in den Rechnungen steht. Der Mensch hat mich abscheulich betrogen.« Der Oberförster hatte, wie sich’s in der Folge zeigte, an eine benachbarte Eisenschmelze nach und nach einige tausend Klafter Holz mehr abgegeben, als er in Rechnung brachte. Er hatte, um seinen großen, beinahe fürstlichen Aufwand zu bestreiten, nicht nur sein eigenes Vermögen verschwendet und sich in Schulden gesteckt, sondern sich überdies noch Untreue gegen seinen Fürsten erlaubt. Der Fürst setzte ihn ab, und verurteilte ihn, den Schaden zu vergüten. Der arme Herr von Schilf lebte von nun an auf seinem kleinen, überschuldeten Landgute in sehr dürftigen Umständen.
Den Waldbezirk des alten Försters fand der Fürst im trefflichsten Zustande. Er kam in eigener Person zu ihm in das Haus, bezeigte dem alten Manne seine Zufriedenheit, ließ sich dessen ganze Familie vorstellen und redete mit allen sehr freundlich. Bevor er seinen Schimmel bestieg, den ein Reitknecht vor dem Försterhause am Zaume hielt, sagte er zu dem Förstersohne: »Er ist hiemit Förster; mache Er seine Sache ferner so gut!« »Sie,« sprach der Fürst zu dem alten Förster, »sind nun wohl etwas alt, aber noch lange nicht der abgelebte Greis, für den Herr von Schilf Sie ausgab. Sie sind trotz Ihres Alters noch sehr wohl bei Kräften; ich kann Sie meiner Dienst noch nicht entlassen. Sie werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage: Leben Sie wohl, Herr Oberförster.«