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Es dämmerte schon sehr stark, obwohl kaum vier Uhr vorüber war. Der Himmel, den ganzen Tag über in tiefes Grau gekleidet, trug das Seine bei, die Dunkelheit eher einbrechen zu machen. Zudem dauerte das Schneegestöber, das schon seit einigen Tagen angehalten hatte, fort und machte Wege und Straßen geradezu unpassirbar. Wo der Wind auf irgend ein Hinderniß traf, häufte er ganze Berge von Schnee zusammen, durch die erst mühsam Bahn gemacht werden mußte.
Mit all diesem Ungemach kämpfend rollte auf offenem Blachfeld ein eleganter Reisewagen dahin. Der Kutscher war sichtlich bemüht, die Pferde zu stärkerem Laufe anzutreiben, allein diese schienen ermüdet und arbeiteten sich nur widerstrebend durch den immer tiefer werdenden Schnee. Plötzlich, bei einer Wendung der Straße, standen sie vor einem kleinen Hohlweg still, der vollständig mit Schnee ausgefüllt war. Der Kutscher stieg ab, um den Weg zu untersuchen; bald aber kam er wieder zurück und trat an den Kutschenschlag. »Es geht nicht mehr weiter, Euer Gnaden«, sagte er, denselben etwas öffnend. »Wir können die Station nicht mehr erreichen. Der Hohlweg da ist ganz zugedeckt, zehn Mann hätten ein paar Stunden zu thun, bis sie einen Weg ausgeschaufelt hätten. Und wenn wir auch durchkönnten, es wird bald so finster sein, daß man die Hand vor den Augen nicht sieht. Wir riskiren, im Schnee stecken zu bleiben oder in eine verschneite Schlucht zu stürzen, wenn wir gegen den Wald hinkommen!«
»Aber was ist da zu thun?« antwortete Primitiva aus dem Wagen hervor. »So unlieb mir auch die Verzögerung ist, muß ich mich wohl in die Unmöglichkeit finden; allein wo sollen wir die Nacht zubringen?«
»Wenn Euer Gnaden da hinübersehen gegen die Anhöhe hin – dort, am Anfang des Waldes, der so schwarz hersieht, liegt das Jagdschloß Adelhoven. Es ist zwar nicht bewohnt, aber der Aufseher wird uns doch ein Unterkommen geben können. Bis dahin getrau ich mich wohl noch zu kommen.«
»So thue es«, antwortete Primitiva, »ich bin damit zufrieden!« Fröstelnd drückte sie sich wieder in die Kiffen des Wagens neben ihre Begleiterin zurück und fuhr fort: »Ich kenne die Frau des Burgwarts. Sie war die Kammerfrau meiner seligen Mutter und hat mich aufgezogen. Die wird uns gern aufnehmen.«
Währenddessen war der Kutscher bemüht, die Pferde zu wenden, und fuhr eine Strecke zurück. Bald bog er auf ein kleineres Seitensträßchen ein, wo ein noch ganz frisches Gleis zeigte, daß erst kurz zuvor ein Fuhrwerk des Wegs gekommen sein mußte. »Es wäre doch verflucht«, brummte der Kutscher in den tropfenden Bart, »wenn uns schon Jemand zuvorgekommen wäre und den besten Platz weggenommen hätte!« Heftig hieb er auf die Pferde, die nun, baldige Ruhe witternd, frischer anzogen. Bald trat der Hügel mit seinen schwarzgrünen Tannen in immer deutlichern Umrissen hervor, bald wurden auch die dunklen Contouren der Schloßthürme und Zinnen an dem Nachthimmel dem an die Finsterniß gewöhnten Auge erkennbar.
Das Schloß war ein gut erhaltenes Gebäude im Stile der Ritterzeit. Auf den Vorsprung einer ziemlich abschüssigen Anhöhe gebaut, ragte es über die hohen Mauerkanten mit Thurm und Warte recht leicht und zierlich empor: Insbesondere bot, als der Wagen über die für immer niedergelassene Zugbrücke an das Thor gelangte und dieses auf ein Zeichen mit der Glocke geöffnet wurde, der Schloßhof beim Hervortreten aus dem niedrigen gewölbten Thorweg einen überraschend malerischen Anblick. Die Streiflichter der Laternen gaben dem Bilde einen eigentümlich schwankenden Charakter und reichten dennoch vollkommen hin, die Schlankheit der Fensterspitzbogen, sowie die Leichtigkeit der verschiedenen durchbrochenen Verzierungen zu erkennen welche das Wohngebäude gleich künstlich daran emporgezogenen Schlingpflanzen umrankten.
Der Wagen hielt. Ein alter Mann trat an den Schlag, warf den Tritt herunter und war Primitiva beim Aussteigen behülflich, während eine gleichfalls schon bejahrte Frau mit der Laterne daneben stand.
»I du meine Güte«, rief plötzlich die Frau, als sie Primitives ansichtig ward, »Sie sind's, Fräulein von Falkenhoff? Sind Sie's denn wirklich? Nein, hätt' ich mir doch eher sonst was einfallen lassen, als daß mir heut noch eine solche Freude zu Theil würde!«
»Ich bin es allerdings, liebe Gertraud«, erwiderte Primitiva freundlich. »Das Unwetter hat es mir unmöglich gemacht, weiter zu reisen, und da ich Dich hier wußte, hoffte ich, Du würdest wohl für eine Nacht mich beherbergen können.«
»I von Herzen gern«, rief die freundliche Alte wieder, »aber kommen Sie nur erst in die Stube herein. In dem greulichen Wehen könnten Sie sich ja bitter erkälten.«
Primitiva folgte der Alten in die an den Thorbogen angebaute freundliche Stube. Ihr Mann half unterdessen dem Kutscher die Pferde in dem geräumigen Stall unterbringen und den Wagen unter ein Vordach schieben, wo er vor dem Wetter geschützt war
Gertraud ließ sich in der Stube nicht wehren, Primitiva die Reisekleider abzunehmen. »Laß Sie nur mich machen, mein Kind«, sagte sie zu deren Begleiterin, die diesen Dienst verrichten wollte. »Unsereins versteht, das auch noch, und weil das gnädige Fräulein heut doch einmal unter meinem schlechten Dache ist, will ich auch den Dienst wieder thun, den ich so viele Jahre gethan habe. – Du lieber Gott«, fuhr sie dann wieder fort, während Primitiva sie lächelnd gewähren ließ, »es ist nur ein Kreuz, daß Sie gerade heut zu uns kommen müssen! Gerade heut, wo ich kaum ein Fleckchen im ganzen Schlosse habe, um Sie ordentlich unterzubringen!«
»Wie so?« fragte Primitiva staunend. »Ist denn das Schloß bewohnt?«
»Nichts weniger als das«, erwiderte Gertraud, indem sie den Tisch abwischte und den Staub von dem Stuhle blies, auf den sich Primitiva niederlassen mußte. »Kaum ein paarmal im Jahre, daß wir anders Gesellschaft haben als die Eulen und Dohlen unter der Thurmuhr, aber morgen, müssen Sie wissen, ist große Jagd bei uns. Da hat der Herr Baron eine Menge Gäste aus der Nachbarschaft und aus der Residenz eingeladen. Für die haben wir schon seit ein paar Tagen – Alles herrichten und in Bereitschaft setzen müssen. Heut noch sollen die meisten kommen und droben im kleinen Waffensaal wird gespeist. Bis jetzt ist aber erst ein einziger da, ein alter Herr; wie Sie kamen, dachten wir auch nicht anders, als es sei Jemand von der Jagdgesellschaft.«
»Es thut mir leid«, sagte Primitiva, »wenn ich Dir Ungelegenheiten bereite, aber da es nun einmal so ist, so sieh eben, wie Du mich unterbringst. Dabei sieh zu, daß meine Anwesenheit nicht bekannt wird, ich will blos Dein Gast sein und Niemand lästig fallen. Auch Du laß Dich nicht sehen«, fuhr sie zu ihrem Mädchen gewendet fort, »nenne jedenfalls meinen Namen nicht. Sag' es auch dem Kutscher.«
»Darüber seien Sie außer Sorgen«, rief Gertraud. »Wagen und Pferde werden unter den andern Niemand auffallen und meinen Alten werd' ich auch schon instruiren. Und für das Unterkommen ist auch gesorgt! Ich lege Sie hinauf in unsere gute Stube, da steht das Brautbett meiner Liese, das heißt, wenn sie einmal Braut wird. Jetzt ist sie drüben im Städtchen im Dienst. Das Bett hat noch kein Mensch berührt, in dem sollen Sie schlafen wie ein neugeborenes Kind! O, Sie sollen Alles finden, als wenn Sie daheim wären, ich weiß noch ganz wohl, wie Sie es wünschen! – Heut muß Sie schon mich schalten lassen, Jungferchen«, sagte sie zu dem Mädchen weiter; »heut will ich Ihren Dienst verrichten, das lass' ich mir nicht nehmen! War ich doch lang genug bei dem Fräulein und wär' es wohl noch, wenn sie nicht in die Stadt und an den Hof gekommen wäre!«
»Oder«, lächelte Primitiva, »wenn Dich mir nicht Dein Alter entführt und zur Schloßverwalterin gemacht hätte!«
»Sie mögen auch Recht haben«, kicherte Gertraud vergnügt, »aber wer weiß, was doch geschehen wäre, wenn – da kommt er ja eben, der Alte! – Na«, rief sie dem Eintretenden entgegen, »nun mache erst dem gnädigen Fräulein Dein Compliment! Siehst Du, das ist das liebe engelgute Fräulein, von dem ich Dir so oft erzählt habe! Ach wie sich die Zeiten ändern! Seh' ich sie doch noch lebhaft vor mir, wie sie ein Kindchen war, nicht höher als der Tisch da, und wie sie mit den Knaben im Wald und auf der Wiese herumrasaunte! Wissen Sie noch, der gnädige Herr sagte immer, er wolle Ihnen auch Hosen machen lassen. Was er wohl macht, der gute gnädige Herr? Er ist doch gesund und wohlauf?«
»Das ist er«, entgegnete Primitiva. Ich bin eben im Begriffe, ihn zu besuchen. Sein dringender Wunsch, mich recht bald zu sehen, hat mich veranlaßt, die Reise trotz des schlechten Wetters schon heute anzutreten.«
»Nun, so kommen Sie morgen um so frühzeitiger hin«, rief Gertraud, unterbrach sich aber plötzlich, wie Jemand, der über einen unvermutheten Gedanken erschrickt. »I du meine Güte«, jammerte sie. »Da plaudre ich und plaudre und denke gar nicht daran, daß das Fräulein hungrig und durstig sein wird! Gleich soll aber nun eine Abendmahlzeit fertig sein, die sich gewaschen hat!«
Trotz Primitiva's Einwendungen eilte sie hinaus; auch der Bergwart folgte ihr, weil eben die Thorglocke die Ankunft neuer Gäste ankündigte.
Ein Schlitten fuhr herein, von ein paar schnaubenden Rossen gezogen, die von der Erhitzung des raschen Laufes dampften. General Bauer und die beiden Schroffenstein, sämmtlich in Jagdkleidern, waren die Ankömmlinge. Auf ihre Frage erwiederte der Burgvogt, das bereits ein Herr gekommen sei und wohl im Speisesaale warten werde. Dann geleitete er sie die enge, gewundene Steintreppe hinauf, wo ihnen ein Diener entgegentrat, der sie in einen mäßig großen, mit allerlei alten Waffenwerk verzierten Saal eintreten ließ, dessen erleuchtete Bogenfenster nach der Rückseite des Schlosses hinausgingen.
Overbergen, der an einem der Fenster gestanden, trat den Ankommenden mit lachendem Gruße entgegen. »Seien Sie willkommen, meine Herren!« rief er. »Es ist schön von Ihnen, daß auch Sie vor der bestimmten Stunde eintreffen und mich aus meiner Einsamkeit erlösen. Die Ankunft dieser beiden Herren«, fuhr er dann, sich gegen den General wendend, fort, »habe ich wohl mit Zuversicht erwartet; daß auch Sie kommen, Herr General, beweist mir, daß unsere Sache um einen guten Kämpen reicher geworden ist!«
»Ja und nein«, antwortete der General kurz, doch mit verbindlicher Verbeugung. »Sie werden es einem alten Soldaten zu gute halten, wenn er seine Meinung nicht verblümt, sondern damit gerade heraus geht. Ein Herr im Himmel und einer auf der Erde – das ist mein Satz, und weil das neue Regiment viele Herren schaffen will, statt des einen, bin ich dagegen, bin von der Partei und kann also auf ihre Frage mit ja antworten. Was aber den frommen Pfaffenkram angeht, den Ihr sonst dahinter habt – apage satanas, damit hab' ich nichts zu schaffen und so muß ich wieder mit nein antworten.«
»Das heißt?« fragte Overbergen gedehnt, indem er den Redenden fixirte.
»Das heißt, das es im Kriege hier und da vorkommt, daß man sich mit einem in ein Bündniß einlassen muß, den man nicht ausstehen kann. Unsere Vortheile gehen zufällig denselben Weg, also habe ich nichts dagegen, wenn wir auch eine Zeit lang mit einander gehen und uns gegenseitig zu dem helfen was jeder will! Dann aber haben wir, seit ich nun weiß, was Sie wollen, nichts mehr mit einander zu schaffen.«
»Ich verstehe Sie«, entgegnete Overbergen sichtlich erheitert, »und bin weit entfernt, Ihnen Ihre Offenheit übel zu nehmen, vielmehr bin ich darüber sehr erfreut! Sie zeigt mir wie nahe verwandt sich unsere Bestrebungen im Wesen sind. Sie fechten für den einen Herrn auf Erden, wir wirken für den einen Herrn im Himmel, den man auch absetzen und durch menschengeschaffene Götzen ersetzen will. So sind wir im Grunde eines Sinnes und alles Andere soll uns nicht entzweien!«
Der General nickte und machte sich mit Besichtigung der an den Wänden aufgehängten Waffenstücke zu thun. »Sie sehen uns so vollständig überrascht als nur möglich«, begann Graf Schroffenstein zu Overbergen. »Ich und mein Sohn haben beide hinter der Einladung des Barons Adelhoven zur Jagd nichts weiter gesucht und gesehen als eine einfache Einladung. Hätten wir gewußt, was wir unterwegs aus den Mittheilungen des Generals entnommen haben, um was es sich hier handelt, so hätte ich mich meines – Theils sicher bedacht –«
»Doch wohl nicht zu kommen?« fragte Overbergen entgegen und um seinen Mundwinkel blitzte der Spott der Ueberlegenheit. »Kenne ich etwa Ihre Ansichten nicht? Weiß ich nicht, wie sehr Ihnen daran liegen muß, die einst besessene Macht wiederzugewinnen? Und was riskiren Sie am Ende? Die vorgeschützte Jagd in dieser Jahreszeit und auf den Gütern eines so bekannten Jagdliebhabers, wie Baron Adelhoven, ist ein Vorwand, unter dem alle Gleichgesinnten hier völlig verdachtlos und ohne daß es im mindesten auffällt, zusammenkommen können. Lassen wir denn gegenseitig eine Maske fallen, die beiden nichts mehr nützt. Sie wissen nun, was ich will; geben Sie es denn auch auf, vor mir eine Rolle zu spielen!«
»Aber ich weiß wirklich nicht«, rief Schroffenstein, dessen Tournüre vor dem Benehmen Overbergen's in eine ihm selbst unerklärliche Befangenheit umschlug, »wie Sie, mein Herr, dazu kommen, solche Voraussetzungen und mit solcher Bestimmtheit auszusprechen! Ihr Plan, das Land katholisch zu machen –«
»Wer spricht denn davon?« rief Overbergen. »Muß ich auch Ihnen erklären, um was es sich eigentlich handelt? Die neue Regierungsform dieses Landes soll weggeschafft, das Gesetz, durch das man sie fest zu gründen vorhat, soll mit seinem Urheber beseitigt werden – das ist Alles! Meine heilige Kirche ist betheiligt, daß das geschehe, denn diese Aenderungen sind gegen den Geist der Einheit, von dem sie durchdrungen ist. Deshalb bietet und leiht die Kirche ihre Macht denen, die an diesem löblichen Werke arbeiten. Wenn sie sich für diesen Beistand eine kleine Vergütung ausbedingt, ist das unbillig? Oder ist es eine unbillige Forderung, ein Recht zurückzufordern, dessen Ausübung die Macht der Umstände eine Zeit lang nicht gestattete?«
»Hier ist nicht von einem einzelnen Recht oder von Rechten die Rede«, fiel der jüngere Schroffenstein etwas gereizt ein, »die römische Kirche soll zur herrschenden gemacht werden, darum handelt es sich!«
»Wenn nun aber die Mehrzahl des Volks oder doch der gewichtigere, der bedeutendere Theil desselben sich ihr von selbst wieder zuneigt? Wäre dann, was Sie sagen, nicht eine ganz natürliche Folge? Das gute alte Staatsrecht früherer Zeit hatte den Grundsatz: Cujus regio, ejus religio – wie dann, wenn wir uns in der Lage befänden, diesen Grundsatz umzukehren?«
Die Beiden stutzten. »Sie wollen doch damit nicht andeuten, als ob Seine Durchlaucht –« sagte der Vater.
»Ich will vor der Hand nichts weiter andeuten«, antwortete Overbergen, »als daß wir uns des Schutzes einer höchsten Person versichert halten dürfen.«
»Einer höchsten Person?« murmelte der Vater betreten. Der Sohn aber rief: »Und wenn auch, mein Herr! Das Geschlecht der Schroffenstein hat von jeher einen Ruhm darin gesucht, zu den Verfechtern der gereinigten Lehre zu gehören. Es wird niemals –«
»Die Familie Schroffenstein wird nichts gegen uns thun«, erwiderte Overbergen mit dem Ausdruck der ruhigsten Sicherheit. »Ich habe eine Bürgschaft dafür, die mich nicht täuschen kann. Doch davon später! Es kommen neue Gäste. Ich werde die Ehre haben, recht bald ausführlich, mit Ihnen davon zu reden!«
Er verbeugte sich höflich und ging. Verwundert sahen sich die Zurückbleibenden an.
»Was sagst Du dazu?«, rief endlich der Vater.
»Ich sage«, entgegnete der Sohn, »daß dieser Herr ein Unverschämter ist, den ich züchtigen werde! Benimmt er sich doch, als ob er uns in der Tasche hätte und nur zu befehlen brauchte!«
»Es hat den Anschein«, erwiderte trübselig der, erstere, während Clemens immer aufbrausender fortfuhr: »Der schwarze Herr irrt, wenn er glaubt, wir seien geneigt, unsere Selbstständigkeit zu vergeben. Ich werde ihm zeigen, daß er sich verrechnet hat!«
Vom Hofe herauf war inzwischen das Läuten der Thorglocke und dann Pferdegetrapp hörbar geworden. Es war der Herr des Schlosses, der junge Baron Adelhoven, der mit einigen benachbarten Cavalieren angesprengt kam. Jetzt stürmten sie die Treppe herauf in den Saal.
»Du magst sagen, was Du willst, Feuring«, rief Adelhoven lachend, »ich habe gewonnen; meine Liddy war deiner Mira um einen halben Pferdekopf vor. Ah, guten Abend, meine Herren«, fuhr er dann, sich unterbrechend, fort. »Seien Sie mir willkommen. Was meinen Sie, der Sturm läßt nach, es wird etwas anziehen, glaub' ich, und wir werden morgen das ausgesuchteste Jagdwetter haben. Nun, wir müssen auch eilen, uns noch einmal gütlich zu thun, denn wenn das Jagdrecht aufhört, werden die Bauern bald dafür sorgen, daß wir nichts mehr finden!«
Während sich die Gesellschaft begrüßte, ging Adelhoven auf Clemens zu. »Du auch schon hier?« sagte er. »Nun, ich gebe Dir doch glänzende Revanche für den Stadthausball? Ist das nicht ein feines Jagen, zu dem ich Dich einlud?«
»Ich bin Dir eben nicht sehr verbunden«, erwiderte Clemens. »Du hättest mir wohl einen Wink geben können, was hinter der Jagd steckt!«
»Wozu? Auch wär' es nicht angegangen, so etwas muß man behutsam, anfassen. Da siehst Du meinen praktischen Sinn. Zudem wußte ich ja, wie Du denkst, und daß Du nicht zurückbleiben würdest, wenn es sich um den Adel und seine Vorrechte handelt. Aber sage mir«, brach er wieder ab, »was meinst Du dazu, daß wir in nicht ganz einer Stunde von Kerkingen herübergeritten sind? Du hättest meine Liddy sehen sollen, es ist ein Prachtthier. Morgen sollst Du sie bewundern.«
Die Ankunft neuer Gäste unterbrach den Entzückten, weil er als Herr des Schlosses genöthigt war dieselben zu begrüßen. Die Gekommenen gehörten ebenfalls dem Adel der Umgegend oder der Residenz an. Die Gesellschaft betrug etwa zwanzig Köpfe. Adelhoven überblickte sie und gab das Zeichen zur Tafel. »Lassen Sie uns zu Tische gehen, meine Herren«, rief er, »wir sind vollzählig. Wir wollen uns Kraft und Feuer holen, eh' es an das Hetzen geht, was meinen Sie?«
Man lachte und setzte sich in bunter Reihe, wie es eben der Zufall gab. Man fand des Barons Küche ausgezeichnet, seine Weine rein und fein, und die Unterhaltung wurde bald ziemlich laut und munter. Jemand, der zufällig dazu gekommen wäre, hätte wohl nichts Anderes zu sehen geglaubt als eine Gesellschaft waidgerechter Jagdfreunde. Es war schon ziemlich spät in der Nacht, als man endlich anfing, sich zu erheben. Nur Einzelne blieben noch am Tische beisammen sitzen, während Andere plaudernd in Gruppen standen oder auf und ab gingen. Niemand aber dachte daran, sich zu entfernen, und mancher Blick fiel wie fragend auf Adelhoven, wann denn endlich zum Hauptzweck der Zusammenkunft geschritten werden solle. Wie zufällig trat Adelhoven an Overbergen heran, der an ein Fenster gelehnt anscheinend völlig gleichgültig in den Saal blickte. »Nun, wie ist's?« flüsterte er. »Wollen wir dran?«
»Einen Augenblick noch«, erwiderte Overbergen. »Erlauben Sie mir nur noch ein paar Worte mit dem Grafen!« Damit schritt er auf Schroffenstein zu.
»Ich bin Ihnen noch den versprochenen Aufschluß über die Papiere schuldig, die man Ihnen entwendet hat«, redete er ihn an. »Wollen Sie mir einen Augenblick Gehör schenken und auch Ihren Herrn Sohn rufen? Vielleicht ist die Sache auch für ihn nicht ohne Interesse. Wir wollen in jenes Kabinet treten.«
»Jetzt?« antwortete der Graf verwirrt. »Weshalb dazu solche Vorbereitungen? Könnten wir das nicht auch hier? Doch wenn Sie meinen«, unterbrach er sich selbst, indem er Overbergen's Blick begegnete, der wie ein Befehl aussah. Er rief seinen Sohn ohne weitere Widerrede und alle drei traten, von der übrigen Gesellschaft unbeachtet, in ein kleines Nebengemach, das in den Erker ausmündete.
»Nun denn, meine verehrten Herren«, begann Overbergen, »ich fühle mich sehr glücklich, Ihnen den bestimmtesten Aufschluß über die kostbaren Familienpapiere geben zu können, was Ihnen ohne Zweifel sehr angenehm sein wird! Die Papiere«, fuhr er fort, als beide ihn, das Weitere erwartend, anblickten, »sind gefunden, und in meinen Händen!«
»So? Wie haben sie den Weg zu Ihnen gefunden?« erwiderte Clemens etwas spitz, während der Vater bis in den Mund erbleichte und sichtlich nach Fassung rang.
Clemens bemerkte nicht, was mit seinem Vater vorging, Overbergen dagegen, der ihn unverwandt ansah, entging nicht die leiseste Zuckung seiner Gesichtsmuskeln.
»Das gehört eigentlich nicht zur Sache«, sagte Overbergen, »doch steht eben nichts entgegen, Ihren ausdrücklichen Wunsch zu befriedigen. Die Diebe haben einem meiner Freunde in der Beichte ihr Verbrechen bekannt und an ihn auf seinen Befehl die entwendeten Gegenstände zurückgegeben. Ich bin beauftragt, sie wieder an den rechtmäßigen Eigenthümer gelangen zu lassen!«
»Ich bin Ihnen über die Maßen verbunden«, stieß der alte Graf mit einem Lächeln hervor, das sonderbar mit seiner grausamen Herzensangst contrastirte. »Und wo sind die Papiere? Wann kann ich sie wohl –«
»Sagen Sie mir doch, Graf«, fiel Oberbergen ein, als hätte er die peinliche Frage gar nicht gehört, »Sie haben vorhin die Bemerkung gemacht, das Geschlecht der Schroffenstein habe immer unter den Vorkämpfern der gereinigten Lehre, wie Sie sie nannten, gestanden.«
»Allerdings. Wie kommen Sie jetzt darauf?« fragte Clemens.
»O bloßer Wunsch, mich zu belehren!« rief Overbergen. »Es ist mir eben, als ob ich dunkel gehört, das Geschlecht habe früher – war es nicht während des dreißigjährigen Kriegs? – in zwei Linien bestanden, von denen die eine der alten Kirche treu blieb?«
»So war es in der That«, sagte der alte Graf. »Doch wüßte ich nicht, wie das mit den Papieren in Zusammenhang stehen sollte.«
»Bitte, seien Sie nicht ungehalten«, erwiderte Overbergen sehr artig, »aber mich interessirt die Sache mehr, als Sie wohl denken. Und diese andere Linie ist wohl –«
»Ausgestorben«, antwortete Clemens. »Es waren, wenn der Stammbaum denn doch einmal erörtert werden soll, zwei Brüder. Der eine, Graf Clemens, ist der Stifter unserer Linie, der andere starb kinderlos.«
»Richtig!« fiel Overbergen ein. »Er hieß Traugott und war kaiserlicher Oberst in den Niederlanden, nicht wahr? Und weil er keine Erben hinterließ, fielen seine reichen Besitzungen alle an die andere Linie, an die Ihrige, meine Herren?«
»So war's«, entgegnete Clemens barsch. »Ist Ihre Neugier nun zufriedengestellt?«
»O vollkommen, vollkommen«, fuhr Overbergen fort, indem seine Miene einen immer höhnischern Ausdruck annahm. »Nur darüber kann ich meine Verwunderung nicht bergen, daß dieser Bruder, der doch, wie ich gehört, mit dem andern eben des Glaubens wegen aufs tödtlichste verfeindet war, ihm gleichwohl sein ganzes Vermögen hinterließ und nicht darüber zum Besten seiner Gesinnungsgenossen allenfalls durch ein Testament verfügte.«
»Diese Thorheit ist ihm glücklicherweise nicht in den Sinn gekommen«, spottete Clemens. Sein Vater wischte sich wortlos den Angstschweiß von der Stirn; das Wort Testament war ihm wie ein Dolchstoß in die Seele gefahren und ließ ihn erkennen, worauf die ganze Unterredung hinausging.
»Hm«, warf Overbergen hin, »um so sonderbarer dann, daß ich, als ich aus leicht verzeihlicher Neugier die Ihnen gestohlenen Papiere etwas überflog, darunter zu meinem größten Staunen ein vollkommen rechtsgültiges Testament des kaiserlichen Obersten Grafen Traugott von Schroffenstein entdeckte.«
»Ein Testament?« rief Clemens stutzend.
»Sehr sonderbar!« stammelte der vernichtete Vater.
»Das wäre in der That sehr sonderbar!«
»Wie ich Ihnen sage«, begann Overbergen wieder, »ein vollkommen rechtsgültiges, von einem immatriculirten Notar aufgenommenes Testament und, was das Sonderbarste ist, ein Testament, in welchem er das Kloster St.-Rupert – Sie kennen es wohl? – zum Universalerben seines ganzen Vermögens einsetzt!«
»Das ist nicht wahr, mein Herr!« fuhr Clemens auf und auf seinem Antlitz wechselte die Röthe des Zorns mit der Blässe des Schreckens. »Das ist eine mönchische Erfindung! Wenn ein solches Testament existirte, würde das Kloster sich gewiß schon lange darauf berufen haben!«
»Sie vergessen«, bemerkte Overbergen, »daß es nicht in seinen Händen war. Man wußte allerdings, daß es vorhanden gewesen, man ahnte auch, wo es sich vermuthlich noch befand, allein Sie begreifen, daß das Alles nicht ausreichte, um mit Aussicht auf Erfolg auftreten zu können. Jetzt freilich, wo der Zufall, wo die Vorsehung das Document selbst in unsere Hände gegeben hat, jetzt ist es freilich ein Anderes. Ich bin auch von Ihrer Rechtlichkeit, meine Herren, zu sehr überzeugt, als daß ich glauben sollte, Sie wären im Stande, ein Eigenthum, dessen Unrechtmäßigkeit Ihnen klar geworden, dem wahren Berechtigten vorzuenthalten.«
»Aber so reden Sie doch, Papa«, rief Clemens bebend vor Aufregung. »Sie müssen doch am besten wissen, welche die vermißten Papiere waren, ob ein solches Document darunter war und ob man wirklich die Thorheit beging, es, wenn es bestand, wie ein Kleinod aufzubewahren.«
»Statt es zu vernichten, wollen Sie sagen?« fiel Overbergen ein. »O tadeln Sie nicht, daß das unterlassen wurde! Es ist der redendste Beweis für die Rechtlichkeit Ihres Geschlechts! Es sollte dadurch immer noch die Möglichkeit offen erhalten werden, das von Ihrem Ahnherrn geraubte Gut an den rechtmäßigen Besitzer gelangen zu lassen! Sie sehen, Ihr Herr Vater schweigt auf Ihre Fragen«, fuhr er dann fort. »Nach der Bestätigung, die hierin liegt, werden Sie in meine Reden wohl keinen Zweifel mehr setzen.«
Der alte Graf hatte sich bereits seit einiger Zeit gewissermaßen ohne Wissen und Willen auf eine an der Wand hinlaufende Ruhebank niedergelassen und sah wie ein Geistesabwesender vor sich hin. Jetzt sank auch Clemens niedergeschmettert neben ihn. Beide bildeten eine Gruppe des Jammers, welche Overbergen lächelnden Auges betrachtete.
»So sind wir ruinirt«, stöhnte der Vater in herzbrechendem Tone. »Wir sind Bettler!« seufzte Clemens verzweiflungsvoll.
Overbergen labte sich noch einen Augenblick an der Vernichtung beider Männer, die ihm eben noch so herrisch gegenüber gestanden; dann trat er etwas näher und sprach mit einem Tone, in den er alle Milde und Sanftmuth zu legen bemüht war: »Fassen Sie sich, meine Herren! Sie, die sich zur sogenannten gereinigten Lehre bekennen, sollen nun, nachdem Sie die Macht der Kirche gefühlt, auch sehen, wie diese zu handeln gewohnt ist. Sie verkennt nicht, daß nicht Sie es waren, die jenen Raub an ihrem Gute begingen, daß Sie ihn schon von Ihren Vorfahren überliefert erhielten. Sie verkennt nicht, daß Ihnen mindestens eine Art historischer Berechtigung zur Seite steht, und darum bietet sie Ihnen die Hand zum Vergleich!«
Vater und Sohn athmeten tief auf und horchten. »Reden Sie!« rief der erstere.
»Sie erhalten das verhängnißvolle Document zurück«, fuhr Overbergen gelassen fort, »versteht sich, unter Bedingungen. Sie verpflichten sich zuerst, den Bestrebungen der Kirche in diesem Lande nicht entgegen zu wirken, sondern ihr alle Unterstützung angedeihen zu lassen. Dies gilt natürlich doppelt für den Fall, daß Sie wieder in irgend einer Weise zu einer einflußreichen Stellung gelangen sollten.«
Er hielt inne, als ob er eine Antwort erwarte. Als keine erfolgte, fuhr er fort: »Ich nehme Ihr Schweigen als Zustimmung. Sie verpflichten sich dann weiter, uns einen Theil der uns vorenthaltenen Besitzungen als kleine Entschädigung zurückzugeben. Wir werden uns mit dem Schlosse Dillhofen sammt allen Zubehörungen begnügen.«
»Dillhofen?« stammelte der alte Graf. »Unsere beste, einträglichste Besitzung?«
»Nun«, lachte Clemens in ohnmächtiger Wuth, »mit einer so kleinen Entschädigung kann man sich allerdings begnügen!«
»Es ist nichts Unbilliges«, sagte Overbergen fromm. »Man begnügt sich allerdings, wenn man einen Theil nimmt, wo man Alles fordern könnte.«
»Ja, ja«, fuhr Clemens grimmig fort, »wir müssen uns bei dem Räuber auch noch bedanken, daß er uns nur den Rock und nicht auch das Hemd nimmt! Viel besser ist es auch nicht!«
»O nicht doch«, bat Overbergen schmeichelnd. »Sie sind nicht glücklich in Vergleichen. Wenn hier von einem Raube die Rede sein kann, begreifen Sie doch wohl, daß der Vorwurf nicht uns trifft!«
»Aber was sollen wir denn beginnen?« rief Clemens wieder. »Von dem Bettel, den Sie uns lassen wollen, können wir kaum wie ein Handwerker existiren! Ins Teufels Namen, Papa, so reden Sie doch! Müssen wir uns denn geradezu Bedingungen vorschreiben lassen? Ist gar keine Aussicht da, uns zu behaupten?«
Der Vater zuckte die Achseln; er war wie gelähmt und vermochte weder zu denken noch zu sprechen.
»Ich kann Ihnen versichern«, antwortete Overbergen für ihn, »daß Sie keine solche Aussicht haben. Bei der Unzweifelhaftigkeit des Documents können die Gerichte nur zu Ihrem Nachtheil erkennen. Zudem müssen Sie nicht übersehen, daß die meisten Besitzungen, um die es sich handelt, in dem Nachbarstaat liegen. Dort ist unsere Kirche die herrschende und wird eine Besitzeinweisung unfehlbar leicht erwirken. Zögern Sie darum nicht länger und nehmen Sie den Vergleich an. Wir nehmen Dillhofen mit all den Lasten, die nun darauf ruhen und von denen es ursprünglich frei war. Ein neuer Beweis unserer Billigkeit! Das Geschäft wird einfach in Form eines Kaufs abgemacht. Sie beide, als die einzigen männlichen Repräsentanten Ihres Hauses, stellen mir eine Kaufsurkunde aus. Darin quittiren Sie den Kaufpreis, den Sie nach Belieben hoch ansetzen können. Sobald Sie mir diese Urkunde aushändigen, geht das Testament nebst dem Uebrigen an Sie zurück.«
»Was wollen wir machen«, jammerte der alte Graf.
»Wir sind in der Falle!«
»Sie sagen also zu? Schön«, rief Overbergen. »Morgen Abend, wenn wir in der Stadt zurück sein werden, schenken Sie mir die Ehre, mein schlichtes Abendessen zu theilen. Da soll die ganze Sache rasch abgemacht werden. Und damit Sie sehen«, fuhr er näher tretend fort, »daß ich Ihr Freund bin und die Verminderung Ihres Vermögens bedaure, zu der ich im höhern Auftrage mitwirken mußte, will ich Ihnen einen Wink geben, die Lücke wieder auszufüllen.« –
Beide sahen ihn fragend an. »Bewerben Sie sich«, begann er, zu Clemens gewendet, »um eine reiche Frau. Ich weiß Ihnen eine einzige Erbin zu bezeichnen. Früher war die Familie allerdings etwas zurückgekommen, aber die Erbschaft eines begüterten Seitenverwandten, eines Malteser-Comthurs, hat ihr vollständig wieder aufgeholfen. Die Dame dürfte wohl eine halbe Million zur Mitgift erhalten. Was meinen Sie zur Hofdame der Herzogin, Fräulein Primitiva von Falkenhoff?«
Clemens, der mit Spannung zugehört, fuhr bei diesem Namen zornig auf. »Was unterstehen Sie sich, Herr?« rief er. »Wenn wir uns auch von Ihnen plündern lassen müssen, so verbitte ich mir doch den Spott!«
»Was denken Sie von mir?« rief Overbergen sanft. »Sollten Sie vielleicht selbst schon auf die Idee gekommen sein?«
»Sparen Sie die Mühe, sich zu verstellen«, antwortete Clemens. »Sie wissen ohne Zweifel, daß ich mich bereits lange um das Fräulein beworben habe!«
»Und sind nicht erhört worden?«
»Allerdings«, begann der Graf, »wäre das Fräulein eine glänzende Partie und ist es durch unsere jetzige Lage noch viel mehr geworden. Allein sie ist eine Person von sehr eigenthümlichen Ansichten, und mein Sohn war bisher noch nicht so glücklich –«
»Lassen Sie sich dadurch nicht abschrecken«, begann Overbergen wieder. »Wer weiß, ob Sie nicht jetzt ein Ihren Bewerbungen günstiges Terrain finden. Damenherzen sind keine Felsen und selbst Felsen macht ein Tropfen mürbe, der unaufhörlich fällt. Ermüden Sie also nicht, junger Mann! Unter uns gesagt, die Vermählung des Fräuleins wäre gewissen Orts erwünscht, weil sie dadurch aus der Umgebung der Herzogin käme. Seien Sie daher meines vollsten Einflusses, sowie der Mitwirkung Ihrer Durchlaucht versichert. Unsere Unterredung über diesen Punkt findet ohnehin schon unter guten Vorbedeutungen statt. Sie ahnen wohl nicht, daß das Fräulein heute hier im Schlosse ist?«
»Fräulein Falkenhoff?« fragte Clemens staunend.
»Allerdings«, lachte Overbergen, »Ihre spröde Dame mit der halben Million. Das Unwetter hat sie gezwungen, eine Unterkunft zu suchen. Sie wohnt unten beim Castellan, dessen Frau ihre Amme war.«
»Aber woher können Sie das Alles schon erfahren haben?« fragte der alte Graf verblüfft.
»Es ist meine Gewohnheit«, entgegnete Overbergen, »immer etwas früher zu kommen als Andere. So war ich auch heute der erste, der hier eintraf, sah das Fräulein ankommen und entnahm das Uebrige den Ausrufungen der entzückten Castellansfrau. Machen Sie sich denn meine Erfahrungen zu Nutze, vielleicht regiert ein Ihnen günstiger Stern! Aber nun lassen Sie uns zur Gesellschaft zurückkehren!«
»Hund von einem Spion«, knirschte Clemens vor sich hin, indeß alle drei wieder in den Saal traten. Overbergen erschien gelassen, als ob nicht das Mindeste von Bedeutung vorgegangen wäre; auch der alte Graf hatte wieder einen ziemlichen Grad von Fassung errungen, Clemens allein biß sich vor Wuth in die Lippe, daß sie blutete.
»Nun, meine Herren«, rief Adelhoven, als er die Ankommenden bemerkt und einen flüchtigen Blick mit Overbergen gewechselt hatte, »es wird spät! Wenn es Ihnen gefällt, wollen wir in die Gewehrkammer gehen und für morgen wählen!«
Die Gesellschaft, wohl wissend, daß dies das Signal zu der beabsichtigten geheimen Unterredung sei, war bereit. Man trat durch eine schmale Thür in einen kurzen Gang und aus diesem in die sogenannte Gewehrkammer. Die Dienerschaft, mit Abräumen der Tafel beschäftigt, mußte zurückbleiben.
Während dieser Vorgänge hatte Primitiva in der Wohnung des Castellans ein kleines Abendmahl eingenommen, auf dessen Zubereitung sich Gertraud nicht wenig zu gute that. Sie ließ denn auch nicht ab, immer wieder zu bitten und zu nöthigen. Darüber und über den immer wiederkehrenden Erinnerungen verging der Abend und Primitiva sehnte sich nach Ruhe. Auf ihren Wunsch wurde sie von Gertraud in das obere Stockwerk geleitet, wo diese ihr das Bett zurecht gemacht hatte. »Sie müssen eben vorlieb nehmen«, sagte sie; »das Leinenzeug ist freilich nicht so schön und fein, wie Sie es gewohnt sind; rein ist's aber und das Bett mit den weichsten Federn gefüllt. Sie können bei Hof keine weichern Kissen haben!«
Primitiva dankte für die freundliche Fürsorge und fragte nach der ursprünglichen Bestimmung des Gemachs, dessen Gestalt ihr auffiel. Während nämlich die eine Wand, an welcher das Bettgestelle angebracht war, eine ziemliche Breite hatte, liefen die beiden Seitenwände schräg in eine stumpfe Spitze zusammen, deren Raum ein großer, von der Decke bis zum Boden reichender Schrank einnahm. »Ja«, sagte die redselige Alte, »die Schloßmauer macht eben da eine Ecke, darum hat's nicht mehr Platz gelitten für das Zimmer. War auch früher kein Zimmer; das hab' ich mir erst draus herrichten lassen, damit man doch auch ein Plätzchen hat, wo man seine bessern Sachen hinstellen kann. Früher war's nur zur Verteidigung eingerichtet. Da, wo jetzt der Schrank steht, ging's auf die Gallerie in den Rittersaal, in dem jetzt die Gewehre sind, hinaus. Die Gallerie ist aber baufällig geworden und mußte abgetragen werden, da ist auch dort zugemacht und der Schrank an die Wand gestellt worden. Es wird Sie aber Niemand im Schlaf stören, Fräulein! Wenn die Gesellschaft drüben auch ein bischen laut wird, vom Speisesaal hört man nichts herüber und zu den Gewehren kommt heute auch Niemand mehr! Aber ich halte Sie mit meinem Geplauder auch noch auf! Sie müssen müde und schläfrig sein von der Reise und von der Kälte! Also gute Nacht, Fräulein, recht gute Nacht! Ich werde sobald noch nicht schlafen können vor Freude, daß ich Sie heut Nacht bei mir weiß!«
Mit vielen Complimenten entfernte sich Gertraud und ließ Primitiva, die auch ihr Mädchen bald entließ, allein. Das Zusammentreffen mit der guten Alten hatte sie lebhaft in eine liebe, lange vergangene Zeit zurückgeführt. Mancher freundliche Tag zog mit einer Reihe lachender Bilder an ihr vorüber, und in ziemlich heiterer Stimmung wollte sie eben das Licht löschen, um diese Kette von Erinnerungen vielleicht im Traume wieder anzuknüpfen, als ein Geräusch von verworrenen Stimmen sie aufmerksam machte und inne halten ließ. Es schien von der Stelle herzukommen, wo der Schrank stand. Sie horchte ein paar Sekunden, der Laut dauerte fort. Rasch entschlossen schritt sie auf den Schrank zu, es war, als ob der Laut daraus hervorkäme. Behutsam drehte sie den im Schlosse steckenden Schlüssel um, öffnete die beiden Schrankthüren und trat betroffen einen Schritt zurück. Da jetzt der Schall durch die ziemlich starken eichenen Bohlen der Thürflügel nicht mehr gedämpft war, hörte sie ganz deutlich ein Gespräch, das sie durch seinen Inhalt noch mehr fesselte, als es schon die eigene Art und Weise gethan hatte, auf welche sie dessen Zuhörerin geworden war. Die Töne kamen wie aus beträchtlicher Tiefe herauf und erinnerten Primitiva dadurch an Gertraud's Erzählung. Sie begriff, daß sie an der Stelle stand, wo früher die Gallerie des Rittersaals ausgemündet hatte. Jetzt war diese Stelle durch eine Breterwand verschlossen, die zugleich den Rücken des Kastens bildete und durch deren Spalten Licht eindrang. Mit angehaltenem Athem stand Primitiva.
»Es ist eine Verletzung unserer uralten verbrieften Rechte«, rief es jetzt unten. »Das kann der Herzog nicht, das steht gar nicht in seiner Macht!«
»Leider«, antwortete eine andere Stimme, »leider scheint sich bei ihm die Ansicht des Gegentheils festgesetzt zu haben. Er steht eben vollständig unter dem Einflusse jenes Mannes, den er mit der ersten Würde des Staates betraut hat.« Bei dem Tone der Stimme, die dieses sprach, erbebte Primitiva; sie war ihr bekannt und doch wußte sie sich augenblicklich nicht zu entsinnen, wem sie angehöre.
»Die Macht, die dieser Mensch über den Herzog ausübt«, rief der erstere wieder, »ist allerdings beinahe wunderbar! Ist es denn wahr, daß er, wie ich gehört habe, dem Herzog nicht erlaubt hat, sich ein neues Schloß zu bauen?«
»Das Wesentliche daran ist wahr«, erwiderte die Stimme wieder, »das können Sie mir auf mein Wort glauben. Seine Durchlaucht waren fest entschlossen, den Bau zu führen, und waren mit dem Baumeister bereits im Reinen, nach einer Unterredung mit dem Minister aber war der Herzog wie umgewandelt und erklärte den Bau für verschoben. Der Baumeister wäre schon längst abgereist, wenn ich ihn nicht veranlaßt hätte zu bleiben, weil er uns vielleicht für unsere Zwecke nützlich sein kann.«
»Unerhört!« sagte eine andere Stimme. »Und der Minister hat, wie Sie sagen, den Herzog neuerdings bestimmt, die Verfassung oder das Grundgesetz zu geben, in dem alle die säubern Neuerungen bestimmt sein sollen? Hieß es doch, die Herzogin-Mutter habe ihn noch im letzten Augenblick davon abgebracht, und es werde nun bei dem, was geschehen ist, sein Bewenden haben?«
»Allerdings war es so«, entgegnete die Primitiva bekannte Stimme wieder, »ich weiß es aus dem Munde eines Augenzeugen, des Oberkammerdieners Kündig, der für sein Zuhören in Ungnade entlassen worden ist. Der Einfluß des Ministers hat aber den der Herzogin wieder ausgewogen. Das Grundgesetz ist so gut als fertig und es ist kein Tag zu verlieren, wenn dessen Bekanntmachung hintertrieben werden soll!«
»Das muß geschehen!« riefen mehrere Stimmen durcheinander. »Es ist Alles im Lande recht, so wie es ist. Jede Abänderung und Neuerung wäre zu unserm Schaden. Der Adel kann nun und nimmermehr auch nur ein Haar breit von seinen Rechten vergeben!«
»Ja, diese Verfassung darf um keinen Preis ans Licht«, bemerkte der eine. »Wir wollen die Erb-, Lehn- und Gerichtsherren auf unsern Besitzungen bleiben, wir wollen Unterthanen haben und nicht selbst Unterthanen werden!«
»Um uns am Ende von den Bauern, statt daß sie frohnen und gilten, in unsern Schlössern, die dann auch nichts wären als steinerne Bauerhäuser, auslachen zu lassen! Um uns von dem geschorenen Pack den Wald verbieten und sagen zu lassen: Halt, das ist mein Grund und Boden, da bin ich Herr! – Beim Teufel, da hängen die Waffen und das Jagdzeug meiner Ahnherren; sie sind alle große Jäger gewesen und würden sich im Grab umkehren, wenn ich zugäbe, daß ein Bauer in unserm Revier ungestraft ein Gewehr losbrennte!«
Primitiva war in immer steigender Neugier in das Innere des Schranks getreten und hatte durch die Spalten der Rückwand zu blicken versucht. Es war nicht möglich, wohl aber bemerkte sie, leise daran hintastend, daß ein Stück davon eingesetzt war und sich wie ein Schieber bewegen ließ. Sachte schob sie das Bret zurück, dadurch wurde aber das Bruststück einer alten Ritterrüstung los, die als Trophäe aufgehangen war und dröhnend in den Saal hinunterstürzte, gerade als Adelhoven seine Rede endete. Primitiva aber hatte durch die Lücke einen vollen Ueberblick über den Saal gewonnen und sah nun die ganze Gesellschaft um einen Tisch herum sitzen. An dem einen Ende derselben sah und erkannte sie Overbergen und wußte nun wohl, warum ihr die Stimme zuvor so bekannt geklungen hatte. Er hatte einige Papiere vor sich liegen. Sie bemerkte Clemens und dessen Vater, wie ihr auch die meisten der übrigen Anwesenden nicht fremd waren.
»Seht«, rief jetzt Adelhoven, »die alten Herren rühren sich schon und nehmen mich beim Wort! Also nochmals: die Verfassung muß hintertrieben werden!«
»Das ist nicht genug«, rief ein Anderer, »auch die Glaubensfreiheit und das neue Gerichtswesen muß wieder weg! Es müßte sich gar nicht übel ansehen, wenn ein Adliger auf die Sünderbank zu sitzen käme wie ein Dieb und müßte sich von dem Volk richten lassen. Das Volk soll bleiben was es ist – Volk! Es ist gescheidt genug, wenn es seine Arbeit versteht. Das Denken soll es Andern überlassen und das Lesen auch! Ein Volk, das man regieren will, muß glauben und nicht raisonniren. Die Preßfreiheit und die Gewissensfreiheit sind höchstens für unsereinen. Ich habe aber noch nie gefunden, daß man die eine oder die andere braucht. Was ich lesen will, les' ich, und was ich glauben will, glaub' ich, dazu brauch' ich keine Erlaubniß!«
»So wären wir über den ersten Punkt einig«, begann Overbergen, während die Uebrigen auf verschiedene Art ihre Zustimmung äußerten. »Was geschehen soll, steht fest, und die weitere Frage ist, wie es geschehen soll!«
»Das ist auch keine Frage mehr«, rief Adelhoven. »Der Minister muß weg. Man geht zum Herzog und stellt ihm die Sache vor; er kann nicht anders, als nachgeben. Wir wissen durch Sie, daß die Herzogin-Mutter uns dabei unterstützt, also frisch angefaßt! Ein rascher Stoß wirft den Günstling, und ist erst der beseitigt, gibt sich alles Andere von selbst!«
Die Versammlung stimmte bei. Man wählte eine Anzahl der Anwesenden, welche an einem der nächstfolgenden Tage in der Residenz zusammentreffen, beim Herzog Gehör verlangen und ihre Forderungen vortragen sollte. Clemens war unter den Gewählten.
»Wenn aber nun«, begann Overbergen wieder, »Seine Durchlaucht das Ansuchen doch nicht erfüllt und der Minister bleibt – der Fall ist immer möglich und muß vorausbedacht werden – wie dann, meine Herren?«
»Dann muß zu andern, zu ernstern Mitteln gegriffen werden«, rief Adelhoven.
»Diese ernstern Mittel wären?« fragte Overbergen lauernd.
Man schwieg; es wagte Niemand, das Wort der offenen Widersetzlichkeit auszusprechen, obwohl es mehr oder minder bestimmt in den Gedanken aller lag.
»Lassen Sie mich Ihnen zuerst meine Meinung vortragen«, begann Overbergen wieder. »Der Plan, zu dem Sie Ihre Zustimmung gegeben haben, stammt von Ihrer Durchlaucht der Frau Herzogin-Mutter. Sie hat die Gnade gehabt, mich in ihre Gedanken einzuweihen, mich mit der Ausführung zu beauftragen, und so sind alle Eventualitäten bereits so weit besprochen, daß ich mich wohl verbürgen darf, ich spreche die Ansicht Ihrer Durchlaucht aus. Ihre Durchlaucht ist von der hohen Wichtigkeit der Sache so sehr durchdrungen, daß sie es für gerechtfertigt hält, sogar zu einem Aeußersten zu schreiten!«
»Dieses wäre?« fragten mehrere.
»Weigert sich der Herzog«, fuhr Overbergen fort, »den Minister zu entlassen und die Reformen zurückzunehmen, so ist die Herzogin gesonnen, die Zügel des Regiments zu ergreifen. Sie wird erklären, daß es der Gesundheitszustand ihres Enkels nöthig mache, daß er sich eine Zeit lang von den Regierungsgeschäften zurückziehe. Der Herzog selbst soll auf eine unverfängliche Art in Verwahr genommen und bis zur erfolgten Verständigung unter dem Vorwande der nöthigen Erholung zurückgehalten werden. Sofort wird der alte Rechtszustand hergestellt, auch gegen den Minister nach Befinden eingeschritten. Alle Eingeweihten unternehmen es indessen, das Volk in der rechten Stimmung zu erhalten. Sollte gleichwohl eine kleine Partei Versuche des Aufstands machen, so sind mit, dem befreundeten Nachbarstaate, der ohnehin bei der Thronfolge interessirt ist, alle Einleitungen zu bewaffneter Einschreitung und Unterdrückung des Aufruhrs getroffen. Hier«, schloß er, indem er aufstand und die vor ihm liegenden Papiere auf dem Tisch auseinander breitete, »lege ich alle darauf bezüglichen Correspondenzen zu Ihrer Einsicht vor. Rechtfertigen Sie nun das Vertrauen, das Ihre Durchlaucht Ihnen erweist, indem Sie Ihre Bereitwilligkeit zeigen«
Overbergen's Worte riefen große Bewegung hervor. Alle durchsahen nacheinander die Papiere, doch brach noch immer keiner das Schweigen.
»Wohlan denn!« begann nach einiger Zeit General Bauer. »Wenn es sich nicht um eine förmliche Absetzung des Herzogs, meines Kriegsherrn, handelt, so bin ich bereit, ihm wider seinen Willen einen Dienst zu leisten, der schlimm aussieht. Melden Sie Ihrer Durchlaucht meine Bereitwilligkeit.«
»Auch die meine«, rief Adelhoven und bald gaben auch alle Uebrigen ihre entsprechende Erklärung ab.
»Dann werden Sie auch nicht anstehen«, begann Overbergen wieder, »Ihrer Durchlaucht einen Beweis Ihrer Gesinnungen in die Hand zu geben. Hier liegt eine Schrift, mir von Ihrer Durchlaucht selbst in die Feder dictirt. In derselben wird die Fürstin gebeten, in Anbetracht der schwierigen Zeitverhältnisse zur Rettung des Vaterlandes jedes Mittel zu ergreifen, das sie für geeignet hält. Ihre Durchlaucht erwarten, die Schrift von Ihnen allen unterschrieben zu erhalten.«
»Ich denke«, sagte Adelhoven nach kleiner Pause, während welcher er die Schrift mit Andern durchflogen hatte, »man kann das unterschreiben. Aber«, fuhr er dann, nachdem er bereits eine Feder ergriffen hatte, innehaltend fort, »wir geben da eine Erklärung in Ihre Hände, mein Herr, die uns unter Umständen allen gefährlich werden kann. Sie werden es darum für kein Mißtrauen halten, wenn wir sicher gehen. Ich denke, wir unterzeichnen die Schrift«, wandte er sich zu den Uebrigen, »aber wir legen sie in die Hände von einem aus uns nieder, der sie dann, wenn der Fall eintritt, mit Ihnen der Herzogin übergibt.«
Overbergen biß sich auf die Lippe, doch erwiderte er nichts. Er sah wohl, daß ihn eine Weigerung nur verdächtig gemacht haben würde und mit wie freudiger Hast alle ihr Einverständniß ausdrückten.
»Unterschreiben wir denn«, rief Adelhoven wieder. »Hauptmann Schroffenstein soll die Schrift verwahren, wenn es genehm ist. Er wohnt in der Residenz und ist also stündlich zur Hand, wenn man das Papier bedarf. Sein Ehrenwort bürgt uns, daß er es nicht eher, als bis die Deputation abgewiesen ist, an diesen Herrn übergibt. Sie aber, mein Herr«, fuhr er zu Overbergen gewendet fort, »werden auch jene Papiere in Schroffenstein's Hand niederlegen. So sind wir gegenseitig gedeckt.«
Alle stimmten bei und unterschrieben, worauf Clemens die Schrift in Empfang nahm. Auch Overbergen übergab ihm sauersüß lächelnd seine Papiere. »Nehmen Sie, Herr Graf«, sagte er. »Das Mißtrauen kann mich nicht kränken, da es mir Gelegenheit gibt, mich von dem besondern Vertrauen zu überzeugen, das Sie genießen.«
Auf Adelhoven's Erinnerung wurden nun noch hastig und zum Scheine Gewehre für die morgende Jagd gewählt, dann verließ die Versammlung den Saal.
Am Ausgang traf der alte Schroffenstein mit Overbergen zusammen. »Sie lächeln«, sagte ersterer halblaut zu diesem, »als ob Ihr Werk schon gelungen wäre, und doch kann Alles geschehen, ohne daß Sie Ihre Nebenabsicht erreichen. Sie haben einen Hauptfeind vergessen!«
»Die Priester des Bekenntnisses, das Sie hier verdrängen wollen.«
Overbergen lachte. »Kennen Sie die Fabel, wie der Mensch das Pferd gezähmt hat?« sagte er. »Das Pferd war in Krieg mit dem Hirsch verwickelt. Der Jäger, der den Hirsch auch verfolgte, bot ihm ein Bündniß an. Das Pferd nahm es an, ließ den Jäger auf sich steigen und trug ihn, bis der Hirsch erlegt war. Seinen Feind hatte es nun vernichtet, allein seine Freiheit war dahin, denn den Reiter ward es nicht mehr los. Die neuen freien Gemeinden sind der Hirsch. Die übrige Nutzanwendung machen Sie sich wohl selber.«
Er verbeugte sich und ging.
Im Waffensaale war es schon längst still und dunkel geworden, bis Primitiva in ihrer Aufregung es bemerkte und aus dem Schranke in das Gemach zurücktrat. Das Licht darin war tief herabgebrannt und am Erlöschen. Ihr Seelenzustand war qualvoll! Was hatte sie gehört! Welch eines entsetzlichen Complots Mitwisserin war sie geworden! Ein Meer von Befürchtungen und Schrecknissen durchwogte sie. Bald erblickte sie den Herzog in der schimpflichen Gefangenschaft ihrer von einem herrschsüchtigen Priester regierten Gebieterin, bald sah sie Führer ergriffen und vor ein erkauftes Gericht gestellt, sah ihn verurtheilt, weil er Gutes gewollt! Jetzt beklagte sie den plötzlichen Untergang all der hoffnungsvollen Saaten, die sie schon mit Entzücken keimen gesehen, dann dachte sie wieder der Schrecken und Greuel des Bürgerkriegs und sah das Land davon verheert! Nein, das durfte nicht geschehen! Das um jeden Preis zu verhindern stand fest in ihr, aber wie vermochte sie es? Sollte sie in die Stadt eilen, um Alles dem Herzog zu entdecken? Aber würde er ihr glauben, ohne alle Beweise ihrer Aussage? Sollte sie Führer die Verschwörung entdecken? Und doch, was würde auch ihm die Entdeckung nützen, wenn er so hohen und mächtigen Gegnern gegenüber keine Stütze hätte als diese Aussage! Die Sinne schwanden ihr beinahe vor Erregung und angestrengtem Denken – und kein Ausweg!
Hörnerklang schreckte sie zuletzt aus ihrem Brüten empor. Es war das Zeichen zur Jagd, die bald darauf lärmend aus dem Thore brauste. Der Morgen brach bereits an und kein Schlaf war in Primitiva's Auge gekommen, obwohl sie mehrmals sich zu Bett gelegt und zu ruhen versucht hatte. Erschöpft traf sie ihr Mädchen, welches ihr meldete, daß der Kutscher bereits den Wagen zur Weiterreise in Stand setze und daß das Frühstück bereit sei. Wie mechanisch ließ sie sich von dem Mädchen ankleiden, das ihre Gebieterin noch nie so gesehen hatte.
In dieser Beschäftigung wurden beide durch Gertraud's Ankunft unterbrochen, die zuerst an die Thür klopfte und dann den Kopf halb neugierig, halb verlegen zur Thür hereinsteckte. »Guten Morgen, Fräulein!« sagte sie. »Darf man herein? Ich will hoffen, daß Sie gut geschlafen haben unter meinem Dach! Und was denken Sie, daß ich schon in aller Frühe bringe? Einen Besuch, gewiß und wahrhaftig einen Besuch!«
»Von wem?« fragte Primitiva verwundert.
»Er hat mir diese Karte gegeben«, sagte Gertraud. »Er wisse wohl«, sagte er, »daß es sich nicht schicke, Sie schon so früh zu belästigen, aber er müsse durchaus mit Ihnen sprechen.«
Primitiva nahm die Karte und las: Clemens, Graf von Schroffenstein! »Er?« sagte sie halb für sich hin. »Was mag er wollen? Woher weiß er meine Anwesenheit? Doch gleichviel«, fuhr sie, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, fort, »ich will ihn sehen.«
»So will ich den Herrn unten in die Stube führen«, sagte Gertraud, »und ihm sagen, daß Sie kommen.«
Primitiva nickte. Wenige Minuten nachher stand Sie Clemens gegenüber.
Eine Stunde mochte verflossen sein, als sie, zur Reise gekleidet an Clemens Arm aus der Castellanswohnung trat und von Gertrauds Segenswünschen geleitet in den Wagen stieg, welcher inzwischen vorgefahren war. Sie war ungewöhnlich bleich, aber um ihre Züge floß eine unaussprechliche Milde, wie Glorie der Verklärung.
Der Wagen rollte dahin.
Clemens kehrte zum Schlosse zurück. Oben am Rande der Treppe trat ihm sein Vater, der sich unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit von der Jagd losgemacht hatte, mit fragenden Blicken entgegen.
»Nun?« sagte er gespannt.
»Lassen Sie die Verlobungskarten stechen, Papa«, antwortete Clemens mit leuchtenden Blicken. »Wir sind gerettet!«
Ende des zweiten Bandes
Druck von Bähr & Hermann in Leipzig Papier von Julius Lange in Jeßnitz bei Dessau.