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Früh morgens kam Franz Weldein nach Hause; voll von Eindrücken, ja mit einem Hauch von Begeisterung setzte er sich hin, um einige Skizzen hinzuwerfen. Und doch... irgend etwas war, was ihn störte. »Ich weiß, was es ist«, sagte er vor sich hin. »Ich weiß, was mir fehlt... Ja, wenn ich mich hinsetzen könnte mitten unter die Leute und mitempfinden, was sie empfinden; das wär' was andres! Dann könnt' es ein Bild geben! Ja dann! –«
Und er skizzierte weiter. Nach einer Stunde wurde er müde. »Ich will ein wenig ruhen«, dachte er... »Mich nicht zu Bette legen... ich will nur darüber sinnen...« Und er streckte sich auf das Sofa... Er schloß die Augen, und das Bild entwickelte sich vor ihm. Da ist der Saal in seiner stolzen Einfachheit. Die vier großen Spiegel in goldenen Rahmen... Eigentümliche Reflexe, die von einem zum andern fallen. Ein großer Herr mit blondem Schnurrbart in der Türe stehend, eine Gardenia im Knopfloch... Eine Gruppe Teilnahmsloser, an einem der großen Fenster stehend, plaudernd, Zigaretten rauchend... Und dann die Spieler um den Tisch... Der Herr mit dem schwarzen Vollbart. Doch nein... sie durften nicht zu erkennen sein... Nur irgendein Schimmer von jedem... Bei jedem findet die Leidenschaft des Spieles irgendeinen Ausdruck, der gerade ihm eigentümlich ist. Fast alle scheinen ruhig, doch er, der Künstler, sieht, was den anderen verborgen... Um die Lippen des einen, um die Augenwinkel des anderen, auf der Stirne eines dritten gewahrt er den Abglanz desselben Feuers.
Und Franz Weldein lag mit geschlossenen Augen da, er fühlte, wie er dem Wahren näherkam. Ein Geräusch von schweren Schritten schreckte ihn auf. Jemand war hereingetreten. Der Maler schlug die Augen auf. »Wer ist da?« Es war ein unbekannter Bursche. Weldein erhob sich rasch.
Der Bursch sprach hastig, den Hut in der Hand. »Ich bitte... Herr Weldein, Ihr Vater ist... ich bin vom Haus... er ist krank worden... Sie möchten hinkommen.«
»Krank? Wie... Was ist denn geschehen?«
»In der Nacht, wie der Herr Vater nach Hause gekommen ist...«
»Nun, was denn?«
»Geschrien und gesungen hat er die ganze Nacht, und jetzt liegt er im Fieber...«
»Im Fieber? Ist schon der Arzt dort?«
»Nein, im Haus hat man gesagt, ich soll zuerst zu Ihnen...«
»Kommen Sie.«
Und beide eilten hinunter. Auf der Treppe sagte Franz Weldein:
»Im Hause nebenan wohnt ein Doktor... Sie bringen ihn mit, verstehen Sie?«
»Jawohl.«
Und der junge Künstler lief dem Hause seines Vaters zu, das kaum hundert Schritte entfernt war. Nach wenigen Minuten stand er an dem Bette des Kranken. Eine Nachbarin hatte unterdessen bei diesem gewacht.
Der Alte lag stöhnend mit halbgeschlossenen Augen auf dem Bette ausgestreckt. Sein Gesicht war hochgerötet... Er erkannte seinen Sohn nicht. Dieser rief ihn an: »Vater, Vater!« Die Nachbarin, eine gute, alte Frau, wollte den jungen Mann trösten. »Jetzt ist er schon ruhiger«, meinte sie. – »So, so...« sagte Franz. Beide standen eine Weile da, ratlos den Alten betrachtend. »Da ist der Herr Doktor«, sagte die Nachbarin.
»Oh, endlich!« rief Franz aus und trat dem eintretenden Arzt, einem noch jungen Manne, den er selbst zuweilen zu Rate gezogen hatte, entgegen. »Nun, was gibt's denn?« fragte der Arzt. »Ihr Herr Vater, wie ich höre.«
»Jawohl, Herr Doktor, mein Vater«... und zur Frau gewendet... »Ich danke Ihnen sehr. Sie werden vielleicht später wieder so gut sein!« – Die Frau ging.
Der Arzt war zum Bett getreten und betrachtete den alten Weldein prüfend und ernst. Angstvoll stand der Sohn dabei... Er sah zu, wie der Arzt das Ohr an die Brust des Kranken legte, horchte, wie er den Puls griff, die Atemzüge zählte. Nach einigen Minuten schien die Untersuchung zu Ende zu sein...
»Gefährlich?« fragte der Sohn.
»Ihr Vater hat eine Lungenentzündung.«
»Lungenentzündung... da kann man ja davonkommen...«
»Gewiß kann man. Aber es scheint... Ihr Vater war ein Liebhaber von geistigen Getränken... nicht wahr?«
»Allerdings. Hat das einen Einfluß?«
»Leider ja, Herr Weldein. Im übrigen ist noch kein Grund da, zu verzagen. Nun... wir werden weiter sehen...«
»Also gefährlich«, flüsterte Franz.
Der Arzt antwortete hierauf nicht weiter, gab dann Anordnungen und Ratschläge. Aufmerksam und traurig hörte der junge Mann zu. Mit herzlichen Worten nahm der Arzt Abschied, und Franz blieb allein bei dem Kranken zurück. Es war ein Augenblick gekommen, wo dem Alten das Bewußtsein teilweise wiederzukehren schien, und er nahm wie im Traum die dargebotene Hand seines Sohnes in die seine. »Willst du etwas?... Vater... Willst du etwas?« Dieser bewegte die Lippen... Der Sohn beugte sich hernieder, um etwas von den Lippen herablesen zu können. Aber ganz vernehmlich, nur heiser stieß der alte Weldein jetzt das Wort hervor: »Trinken!«... Dann begann er zu husten. lange und qualvoll...
Die ersten Tage war es noch leidlich gegangen; in der dritten Nacht aber vermehrte sich der Husten, das Stöhnen wurde angstvoll, der Ausdruck des Gesichts verfallen. Dabei sprach der Kranke im Schlaf, wollte aus dem Bett springen. Nicht einmal, zehnmal vielleicht; erst gegen Morgen wurde es besser. Auch der nächste Tag war schlecht. Am Abend des fünften sagte der Arzt zum Sohne: »Mein lieber Herr Weldein, es steht ernst. Sie müssen sich gefaßt machen; es ist meine Pflicht, Ihnen das zu sagen.« – »Gefaßt...« wiederholte Franz tief bestürzt... »gefaßt.« – »Nur Ruhe, lieber Freund... Sie sind ja ein Mann. « Damit ging er... Der junge Weldein stand da, festgebannt, ihm nachstarrend... minutenlang. Das Licht zu Häupten des Kranken flackerte, in der Mitte des Zimmers auf dem Tisch stand eine schlecht brennende Öllampe.
Franz ging ein paar Mal im Zimmer hin und her, als hätte er was zu suchen, dann stellte er sich ans Fußende des Bettes, die Arme auf die Lehne desselben stützend; er war todesmatt, manchmal dem Einschlummern nahe,... da ward sein Arm müde, und das Bettgestell knackte... Er schrak zusammen und entfernte sich wieder. Auf eine Weile ging er in den Gang, wo durch das offene Fenster frische Luft hereinströmte. Der volle Mondschein glänzte auf den Steinflies. Etwas Schmeichelndes, Tröstendes lag in dem weichen süßen Glanze. Da kam dem jungen Manne der Einfall, im Zimmer des Kranken dieses Licht sich verbreiten zu lassen, und so begab er sich wieder in die Stube und ließ die niedergelassenen Fenstervorhänge hinauf... Und es flutete herein, über das Fensterbrett, über den Fußboden, über das Bett, und die weißen Linnen schimmerten blau. Daraus hervor glänzte das abgezehrte Gesicht des Alten ganz blaß – so blaß... Und die Lippen ganz weiß... Und auf dem Kasten die leeren Medizinphiolen schillerten... Der junge Weldein blieb beim Fenster stehen, müd, traurig, ohne Macht. Und jetzt, gerade jetzt, das erste Mal seit der Krankheit seines Vaters, dachte er an etwas anderes als an den Kranken selbst. – Das Bild erschien wieder vor ihm, und er sah sich selbst vor der Staffelei sitzend... malen. Und Strich für Strich entwarf er es im Geist... Und er vergaß auf einige Augenblicke alles andere ringsum... Plötzlich hörte er die Stimme seines Vaters. Er war aufgewacht! – Er sprach! War's möglich? Und noch einmal: »Franz! – Mein Sohn!« – »Du rufst, Vater? Vater!« Und schon stand er beim Bett, die Hand des Kranken ergreifend, der ihn mit großen Augen ansah, aber nichts mehr redete. »Du willst etwas, Vater?«
Der alte Weldein neigte den Kopf. »Wie? Was meinst du?« fragte Franz. Und er setzte sich auf die Bettstatt, mit fragendem Blicke den Kranken betrachtend. »Ein Wunder, mein Sohn, ein Wunder« – sagte dieser.
»Wie? Du fühlst dich wieder wohl – gesund?«
»Nein... o nein – ich werde sterben... aber... oh... wenn ich's nur sagen kann.« Und er schloß die Augen, holte tief Atem; mit aller Macht schien er das entweichende Leben festhalten zu wollen.
»Mein Sohn... komm näher heran... näher zu meinem Mund... ein Wunder... zwanzig Jahre hatte ich's vergessen, in dieser Stunde kommt mir die Erinnerung. Höre...«
»Ich höre...«
»Franz, du bist reich... Ein Schatz für dich liegt vergraben.«
Mitleidig und erschrocken blickte der Sohn auf den Kranken... nun war es klar: der Alte sprach im Fieber. Aber der merkte den Ausdruck im Antlitz seines Sohnes und sagte: »Ich spreche die Wahrheit... ein Schatz... bei der Brücke... Löwenbrücke... Ich habe Geld gewonnen... hab' es vergraben; im Klub hab' ich's gewonnen und dann versteckt.«
»Im Klub? Du, Geld?«
»Ja, Graf Spaun... Du wirst ihn fragen... er wird es dir erzählen, wie er mich mitnahm eines Abends und ich soviel gewann... Und getrunken hab' ich – viel – sehr viel... Und das Geld dann versteckt. Ich habe vergessen, wo... es war ein Elend... Du weißt, was für ein Elend es war. Dieses ganze Leben lang... Und jetzt – jetzt...«
Er hatte sich im Bett aufgerichtet; seine Stimme war kräftiger geworden; kräftig selbst der Druck seiner Hand, mit dem er die seines Sohnes umklammert hatte, der atemlos lauschte.
»Jetzt – plötzlich – wie ich so dalag, ist es wieder in mir aufgewacht. Diese ganze Nacht! Die Brücke, ja! Die Brücke... Es war dort, ich wußte es ja! Unter der Brücke... unter den Steinen... ein Hammer lag daneben... ich riß das Erdreich auf... ich vergrub das Geld, und mit dem Hammer schlug ich darauf... darum rauschte es und hallte wider.«
»Vater! Wo ist das? Ich verstehe dich nicht! Ein Schatz... unter der Brücke, wo?«
»Die Löwenbrücke... der Weg diesseits unter der Brücke, knapp am Flusse... zu dieser Jahreszeit zwei Schuhe breit vom Wasser weg. Da geht ein schmaler Weg zur Landungsstelle... gepflastert. Damals wurde eben gearbeitet, es war kaum vollendet. Mit einem Hammer schlug ich das Pflaster auf... Dort liegt das Geld!«
»Aber...!«
»Du glaubst es nicht. Es ist so...«
»Unter der Löwenbrücke?«
»Unter dem gepflasterten Weg... gewiß wird es dort sein!... Ich sehe es. Ich sehe auch, wie ich es unter die Steine legte. Man kann es von dort nicht weggetragen haben, nein... du wirst es finden, du wirst reich und glücklich sein.«
»Vater!... Du träumst noch.«
»Nein! Ich träume nicht! Ich weiß es.«
»Nun ja, aber der Weg ist lang unter der Brücke.«
»O nein, nicht lang... beim zweiten Pfeiler auf den ersten Schlag mit dem Hammer mußt du's finden.«
Franz griff sich an den Kopf, er verstand das Ganze noch nicht recht.
»Mein Sohn... rasch... geh hin!«
»Jetzt?«
»Ja, jetzt, weil es Nacht ist. Meinen Arbeitskittel nimm... und den Hammer, der draußen liegt... neben dem Ofen... Ja... geh gleich... ich will es noch sehen... in ein Tuch ist es eingebunden, Papier und Gold. Geh... geh!«
Der Sohn stand auf, seiner Sinne nicht mächtig, er eilte hinaus. Im Vorzimmer nahm er den weißen Arbeitskittel des Vaters vom Haken und den Hammer, der dalag, und verbarg ihn unter dem Rock. Er dachte in diesem Momente an nichts anderes als an den Schatz... kein Gedanke mehr an den Sterbenden... vor ihm tanzte und drehte sich das Geld, das Geld... lichtes, tanzendes Gold! Und er eilte davon. – Die Straßen waren leer, er lief durch sie... da kam er in jene lange Straße, durch die vor vielen Jahren der alte Weldein das gewonnene Geld getragen... und bald zur Brücke, auf der er einen Tag später gestanden, verzweifelt und jammernd, während unter seinen Füßen all der Reichtum lag, der ihn selig gemacht hätte. Da also... und schon stand er am zweiten Pfeiler... Über ihm wölbten sich die Bogen der Brücke, neben ihm rauschte der Strom hin, die Strahlen des Mondes auf seinen Wellen weitertragend.
Und Franz Weldein begann sein Werk. Nach wenigen Minuten waren zwei Lagen von Steinen ausgesprengt. Nichts... nichts. Jetzt rollte ein Wagen oben über die Brücke... dumpf... schwer... Franz begann von neuem... Und hier... Ja... etwas, das aussah wie ein Tuchende und jetzt... noch ein Stein... Es rauschte und hallte wider und das? das! Es war dunkel unter der Brücke, mit beiden Händen griff Franz nach etwas Weißem, das dalag. Ein Tuch... zusammengebunden. Auf damit... Er riß die Knoten auseinander... Gold... Banknoten... Ja! er war's! der Schatz! Der Reichtum, das Glück! Und Franz steckte das Ganze unter den Kittel... mit zitternden Händen... War's denn möglich? Und wie er unter der Brücke wieder hervortrat und das Licht der freundlichen Nacht ihn umglänzte, da hätte er auf die Knie fallen mögen, weinen... vor Freude vor Glück. Er begann zu laufen... plötzlich hielt er inne... Er blickte um sich. Niemand in der Nähe? Ja doch, ein paar harmlose Spaziergänger... Aber schnell gehen mitten in der Nacht könnte Verdacht erregen. Verdacht? Hat er denn ein Unrecht getan? Nun... immerhin... Und so ging er denn in bedächtigem Schritt weiter, die linke Hand gemächlich in der Hosentasche, mit der Rechten seinen Reichtum unter dem Arbeitsrock schützend.
Ein Gefühl von unendlichem Frieden überkam ihn allmählich... Nun war alles gut. Und sein Bild so gut wie vollendet... Ruhe, Reichtum... alle Wonnen der Erde! Und der alte Mann, der sterben mußte? – Der junge Weldein begann rasch zu gehen... wer weiß, ob der Anblick des wiedergefundenen Geldes den Alten nicht wieder gesund machen würde. Was hatte ihn denn krank gemacht? Die Armut, die Hoffnungslosigkeit, das Elend. Also hin, rasch hin, um ihm das Glück und die Gewißheit guter Tage zu bringen. Als er in das kleine Vorzimmer trat, war alles ruhig. Nur keine Übereilung. Er wechselte den Rock, hing den Arbeitskittel wieder an den alten Platz. Das Tuch mit dem Geld schob er unters Hemd. Nun ins Zimmer. »Vater«, rief er, »ich bring' es! ich hab' es!« Und er stürzte zum Bette hin, da lag der Kranke bewußtlos, mit keuchendem Atem. Kalter Schweiß auf der Stirne. Gewiß, es ging zu Ende.
»Vater!« rief Franz... Keine Antwort! Vergeblich bemühte sich Franz, den Alten zu erwecken... er rief ihn an, er schrie, er fuhr ihm durch das wirre Haar. Er hauchte ihn an... Er rieb ihm die kalten Arme und Beine mit seinen warmen Händen... Einmal glaubte er zu bemerken, daß sich die Augenlider öffnen wollten. Nichts... nichts... der Atem wurde schwächer... Keine Bewegung; keine Antwort, die Zeit verrann, ratlos saß Franz da... »Vater!... Das Geld! ich hab' es hier.«
Gegen Morgen kam der Arzt. Er schritt rasch auf das Bett zu, kaum vernehmlich grüßend... Er griff nach dem Puls... »Nicht mehr fühlbar...« sagte er.
»Wie... Sie meinen also?«
»Ich bitte« – flüsterte der Arzt, den Finger auf den Mund legend. Er wollte Ruhe, wollte den Atem beobachten. Er stand aufrecht da... dann beugte er sich zur Brust des Alten und legte sein Ohr daran... Nach zehn, zwanzig Sekunden erhob er sich langsam und streckte dem Sohn, der am Fußende des Bettes stand, den Blick angstvoll auf den Arzt gerichtet, die rechte Hand entgegen. Wortlos... »Er ist tot?« schrie Franz auf... die Hand ergreifend.
»Er hat ausgelitten«, sagte der Arzt bewegt. Franz sank auf einen Stuhl, dabei hörte er selbst, wie die Goldstücke in seiner Brust aneinanderklangen. Er zuckte zusammen, griff mit der einen Hand danach. Dann schaute er den Doktor an, ob er es gemerkt hätte... nein! der war zum Fenster getreten. Er öffnete es. »Es ist so schwül hier«, sagte er leise. Die Morgensonne lag über den Nachbarsdächern.
Zwei Männer gingen miteinander die Stufen zum Klub hinauf... Graf Spaun und Franz Weldein.
»Sind Sie denn wirklich in der rechten Stimmung?« fragte der Graf...
»Sie wundern sich darüber?«
»Begreiflicherweise! Bedenken Sie nur, Sie kommen von dem kaum geschlossenen Grab Ihres Vaters zu mir gelaufen und beschwören mich, Sie heute hierher, an die Stätte des Glanzes und der Freude zu führen.«
»Für mich ist sie nicht das! Für mich ist sie der Ort meiner Studien... Und gerade dieses Bild liegt mir am Herzen, ich muß es malen, muß es bald malen...«
»Sie haben doch schon vieles fertig?«
»Skizzen... ja... es fehlt mir noch etwas... irgend etwas.« Sie waren unterdessen in den Vorsaal gekommen und begaben sich geradewegs in den Spielsaal.
»Und was fehlt Ihnen?« fragte der Graf
»Sie werden vielleicht lachen.«
»Nie über eine Künstlerlaune, mein Lieber.« Beide waren durch die Türe des Spielsaals getreten und standen ganz nahe dem grünen Tische, an dem die Spieler saßen.
»Nun, Herr Graf«, setzte der junge Weldein fort, während sein Auge auf die Karten blickte. »Die Begeisterung zu dem Bilde fehlt mir noch!«
»So!... Das ist doch nicht sonderbar! Sie werden die glückliche Stunde schon einmal finden!«
»Wann?«
»Das kann ich nicht wissen«, sagte der Graf lächelnd.
»Aber ich weiß es«, stieß der Künstler so heftig hervor, daß ihn der Graf befremdet ansah.
»Nun?« fragte er.
»Ich selbst, ja, Herr Graf; ich selbst muß einmal empfinden, was diese Menschen hier empfinden.«
»Wie?«
»Verstehen Sie mich recht, Herr Graf! Leider – ich weiß es ja, liegt in meiner ganzen Kunst etwas Krankhaftes... Sie wissen ich kann eigentlich nur gewisse Dinge malen, und dies ist doch nicht ganz in Ordnung.«
»Ja, ja«, sagte der Graf, »das ist wohl ein bißchen verrückt.«
»Verrückt«, betonte Weldein, »ja, das ist das Wort – und ich bin so verrückt«, er stieß die Silben hervor... »ja, so verrückt, hier mitspielen zu wollen...«
Graf Spann blickte ihn fest und ruhig an... »Hier?«
»Ja...«
»Hm!«
»Ich muß von diesem Feuer die Funken mitnehmen können... Sie verstehen mich doch; diese... gerade diese Funken brauche ich!...«
»Ihre Idee, mein Freund, ist schwer durchführbar... Denn an sich würde ich sie nicht gar so verrückt finden... Ja es steckt sogar eine richtige Überlegung darin... Aber Sie wissen, so gerne Sie hier als der talentvolle Künstler gesehen sind, von dem man weiß, daß er für sein Werk Atem und Leben sucht, ebenso...«
»Wie? Herr Graf? Ein Wort von Ihnen würde nicht genügen, um mir für – für einen Abend nur auch das Gastrecht an diesem Tische zu gewähren...«
»Nun, gewiß könnte man mir das nicht abschlagen... aber...«
»Was hält Sie noch ab?« Glühenden Auges verfolgte der Maler unterdessen das Hin- und Herfliegen der Riesensummen, welche auf die Karten gesetzt wurden.
»Sie sehen ja selbst, mein junger Freund, hier wird um Beträge gespielt...«
»Oh, Herr Graf... Das wäre kein Grund.«
»Kein Grund? Ich glaube doch.«
»Ich besitze noch ebensoviel Geld als...«und er sah dem Grafen scharf ins Auge, »als mein Vater an diesem Tisch gewonnen.« Der Graf blieb einen Augenblick sprachlos... Dann trat er einen Schritt zurück und sagte leise und hastig zu dem jungen Weldein: »Seit wann wissen Sie?«
»Seit seiner letzten Stunde!« – »Also doch. Ich dachte es ja! Anfangs meinte ich, er hätte es verspielt und vertan... Also versperrt! Ein Geizhals geworden!«
»Nein, Herr Graf... nicht das... es war anders... Später will ich Ihnen davon erzählen... genug, daß ich geerbt habe, daß ich es besitze.« Ohne weiter ein Wort zu sprechen, kam der Graf mit dem Künstler auf den Spieltisch zu und sagte: »Meine Herren, unser junger Freund, der Maler Weldein, den Sie alle kennen... möchte um die Ehre bitten, einmal an Ihrer Partie teilnehmen zu können.«
»Mit Vergnügen... gewiß, bitte sehr, hierher...« so klang es ihm entgegen. Und da saß er. Es war wahr!
Hier an dem grünen Tische! Eine wonnige Aufregung überkam ihn... Er zog seine Banknoten hervor und legte sie vor sich hin... Da etwas flog vor ihn hin... eine Karte. Er wollte sie nehmen. »Entschuldigen Sie«, sagte der Geber... »Ihr Nebenmann.«
Ach ja, natürlich... es kam noch nicht an ihn... der Nebenmann verlor. Das war ein Glück für ihn, für Weldein. Er durfte schon eine größere Summe wagen, denn nun war die Wahrscheinlichkeit des Gewinnes für ihn eine weit größere. So... da vor ihm lag seine Karte.
Er verlor... Ach, der erste Satz! Der ist bald zurückerobert... Er setzte wieder und einen etwas höheren Betrag als das erste Mal. Die Karte Weldeins verlor wieder. Ein dritter Satz... wieder höher... Und wieder verloren.
Die Mitspieler sahen den jungen Mann erstaunt an: sie hatten ihn nicht für so reich gehalten...
Er selbst saß mit lächelnder Miene, aber mit einem eigentümlich starren Blick da... Graf Spaun sagte ihm leise: »Nun haben Sie wohl schon Anregung genug. Wie?«
Aber der junge Mann rührte sich nicht... er spielte weiter und verlor ununterbrochen. Ein paar Zuschauer hatten sich gesammelt; man war erstaunt über das kühne Spiel des Malers. Bald war es allen klar, daß er eine große Erbschaft gemacht hatte und daß ein guter Teil davon verloren war. Da sagte Graf Spaun: »Wollen Sie sich nun nicht ein bißchen ausruhen?«
Aber Weldein spielte weiter. Ein Satz nach dem anderen ging verloren. Man fing an, ihn zu bedauern, man schüttelte den Kopf über seine wahnsinnigen Sätze. Sein Unglück war unfaßbar... Nur einen Augenblick schien es, als wollte sich die Sache wenden. Doch nein. Das alte Unglück fing gleich wieder an. Und er lächelte immerfort, zum Schluß lachte er sogar hell auf! Und jetzt erhob er sich. Es war zu Ende. »Guten Abend, meine Herren«, sagte er. Man machte ihm Platz, wie einem Menschen, vor dessen Unglück man Achtung haben muß. Er schritt dem Ausgang zu... Man schaute ihm nach. Der Graf folgte ihm. Weldein eilte die Stiege hinunter, die Straße entlang. An der Ecke holte ihn der Graf ein.
»Weldein... Weldein!«
»Ah – Sie, Herr Graf!«
»Wohin eilen Sie?«
»Ich weiß nicht...«
»Machen Sie mir keine Narrheiten. Verstehen Sie! Keine Narrheiten. Es ist ja weiter nichts verloren.«
»Nein, gar nichts!«
»Gewonnenes Geld! Ja, wenn's erworben, sauer erarbeitet gewesen wäre...«
Der junge Künstler antwortete nicht, ging rasch vorwärts, den Weg durch die lange Gasse nehmend... wie damals sein Vater. Mit Mühe nur vermochte es der Graf, an seiner Seite zu bleiben. Er wiederholte: »Wohin laufen Sie denn eigentlich? Kommen Sie doch mit mir... noch ein Glas trinken.«
»Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Graf; aber wenn Sie mir folgen wollen... ich muß an eine ganz besondere Stelle, ich muß dahin.«
»Wohin?«
»Wohin? Dorthin, wo mein Vater an jenem Abend das Geld vergraben hatte.«
»Also doch vergraben!«
»Ja... und er vergaß die Stelle.«
»Vergaß?«
»Ja – vergaß sie. Zwanzig Jahre lebte er so hin, als ein reicher Mann, der nur nicht wußte, wo er sein Geld liegen hatte. Köstlich, nicht? Und auf dem Totenbette fiel es ihm ein.«
»Wie? Was ist das für ein Märchen?«
»Nein, Wahrheit, Herr Graf! Und dieses Leben! Die ewige Qual... als reicher Mann darben zu müssen... Und ich! Plötzlich fiel es mir zu! Und ich stand da als ein Unabhängiger...«
»Wohin führen Sie mich denn?«
»Kommen Sie nur, wir sind bald dort!«
»Ja, was wollen Sie denn jetzt dort?«
»Eine Laune.«
Eine Weile eilten sie schweigend weiter. Sie waren am Ufer angelangt.
»Da – die Brücke.«
»Nun?« fragt der Graf.
»Folgen Sie mir nur!« Und er eilte den Weg hinab unter die Brücke... Er warf sich neben dem Pfeiler zu Boden und rief aus: »Da! Da!«
»Wie –? –«
»Hier war es... Hier grub ich es aus. Und... Sehen Sie... Sehen Sie doch?«
»Nun, was? Ich sehe, daß die Steine feucht sind von dem aufspritzenden Wasser.«
»Wie? Da sehen Sie hin!« Und er hatte sich auf ein Knie niedergelassen, mit der Hand auf die Steine greifend.
»Nun, was soll ich denn sehen?«
»Da liegt ja wieder Geld!«
»Wie?«
»Oh, welche Menge! Welche Summen!«
»Aber was fällt Ihnen ein!«
»Oh...« und er wühlte mit den Nägeln im Sand zwischen den Steinen... »ich bin ja wieder reich.«
»Weldein! Seien Sie nicht toll!«
»Ei, welch ein Glück – welch ein Glück«, und er steckte sich Sand und kleine Steine in die Tasche.
»Aber... Weldein! Sie sind nicht bei sich! Fassen Sie sich doch! Bedenken Sie, daß Sie auf der Welt noch etwas zu tun haben! Sammeln Sie Ihre Gedanken! Ein großes Werk wartet Ihrer! Ihr Bild.« Aber der Maler hörte nicht auf ihn. Er wühlte und schob sich die Steine in die Tasche. Der Graf faßte ihn an den Schultern und rief: »Genug! Kommen Sie! Kommen Sie!« Langsam erhob sich Weldein. »Oh, ich komme... Führen Sie mich zurück... Herr Graf!«
»Wohin?«
»Nun, zurück in den Klub! Nun kann ich wieder spielen!«
Ratlos stand der andere da. War's denn möglich? Hatte ihn der Verlust wahnsinnig gemacht? Sie waren beide wieder emporgestiegen und standen neben der Brücke. Der Graf faßte die Hand des jungen Künstlers und sagte: »Beruhigen Sie sich.« – »Es ist spät... wir müssen rasch zurück«, entgegnete Weldein.
»Aber –!«
Mit einem Ruck hatte sich Weldein losgemacht und stürzte davon durch die menschenleeren Gassen, in rasender Eile. Der Graf folgte ihm unter lauten Rufen. Nach einigen Minuten war der junge Mann so weit, daß ihn sein Verfolger nicht mehr einholen konnte. Wohin war der Wahnsinnige nur gerannt? Am Ende wirklich zum Klub hin... Und wieder beschleunigte der Graf seine Schritte. »Es wird vorübergegangen sein«, dachte er auf dem Wege. »Die plötzliche Aufregung ist wohl begreiflich. Aber wo ist er nur hin? Und werde ich ihn wirklich noch finden? Wenn er sich selbst... Nein!« Und er eilte. Bald war er in die Nähe des Klubgebäudes gelangt. Da kam ihm der andere schon entgegen.
»Da sind Sie ja, Weldein... Nun?«
»Oh, Herr Graf, Herr Graf!« Und der Ton seiner Stimme klang weinerlich.
»Was ist Ihnen denn? Sie sind wieder ruhig. Nicht wahr?«
»Oh, Herr Graf! Sehen Sie.« Und er leerte den Sand und die Steine aus seiner Tasche.
»Nun?« fragte der andere erregt.
»Sehen Sie denn nicht! Steine... Sand!«
»Ja... Sie wissen es jetzt! Nicht wahr! Wie froh bin ich! Ich hatte wahrhaftig Angst um Sie!... Nun ist es ja wieder gut.«
»Oh, Herr Graf!« und wieder jammerte er – »mein Geld, mein Geld!«
»Nun ja – schlimm, freilich – es ist verloren!«
»Verloren!«
»Aber Sie haben anderes, Besseres als Geld.
»Mein Geld!«
»Aber stille doch.« Es kamen Leute vorbei durch die nächtliche Straße und schauten sich um.
»Ich hab' es vergraben! ich hab' es vergraben!«
»Wie? Was fällt Ihnen denn wieder ein?«
»Vergraben! Versteckt, und ich weiß nicht wo!«
»Verspielt! Weldein... Hören Sie doch, verloren haben Sie es im Klub!«
»O nein, o nein, ich hab' soviel, soviel gewonnen. Und hab' es versteckt und weiß nicht wo. Oh, mein armes Weib! Mein Kind! Mein Franz!« Der Graf stand erschauernd da... Ihm war, als wenn sich mit einem Male die Züge des Malers seltsam veränderten, als wäre es wirklich der alte Weldein, der da mit trockenen Augen in die Luft starrte und leise wimmerte: »Mein Sohn, mein armer Sohn!«