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Ein junger Ritter hatte die schöne Tochter eines Knechtes zum Weib genommen und sich damit die Feindschaft aller Adeligen der Umgegend, besonders der Mütter zugezogen. Sie lehnten alle erbittert die Einladung zur Feier der Hochzeit ab und ließen das junge Ehepaar allein auf seiner Burg.
Um so glücklicher aber lebten diese in ihrer friedlichen Einsamkeit. Als nun die Zeit nahte, wo die Frau entbinden sollte, sagte sie zum Gatten, der voll Kummer war, weil er nicht wußte, wo er für das Kind einen Paten finden möchte: »Geh hinaus durch den Garten auf die Straße und begrüße den ersten besten, der des Weges kommt, um den Liebesdienst, sollte es auch ein Knecht sein.«
Da ging der Ritter hinunter in den Garten, und schon kam ihm eine schöne, würdevolle Frau entgegen, welche zu ihm sprach: »Ich kenne deinen Kummer, aber sei getrost, ich will Pate sein, und es soll dich nicht gereuen.« So führte er die hohe Frau mit blauem Schleier – es war die Muttergottes – hinauf in die Burg, und sie stand hilfreich und lindernd der Leidenden bei, als diese ein Mädchen zur Welt brachte. Das Kind wurde getauft und erhielt den Namen Marie. Die Fremde aber entfernte sich danach sogleich mit den Worten: »Geben werde ich für jetzt nichts. Das Kind bedarf später meines Beistandes, und der soll ihm werden. Ich muß jetzt eilen, nach Hause zu kommen.«
Das Mädchen wuchs zur Freude der Eltern und war sieben Jahre alt, als ihm die Mutter starb. Da nahm der Ritter, dem es zu einsam wurde, ein Fräulein der Nachbarschaft zur Ehe, so schön als stolz und herrisch. Damit begannen nun üble Tage für Marie. Sie wurde von der hochmütigen Stiefmutter verachtet und zu den niedrigsten Arbeiten verwendet. Dem Vater tat es wohl wehe, aber er wagte nicht, Einsprache zu tun.
Drei Jahre waren so hinübergegangen, und Marie fühlte sich jeden Tag unglücklicher. Weinend über eine eben erlittene Mißhandlung ging sie in den Garten hinab und setzte sich in eine Ecke. Da stand Unsere Liebe Frau vor ihr und sagte: »Mein gutes Kind, ich bin deine Patin und habe deiner Mutter versprochen, dir in der Not zu helfen. Komm mit mir, ich will für dich sorgen.« Freudig bot ihr die Kleine die Hand, und sie gingen in den Wald.
An einer hohen Felsenwand klopfte U. L. Frau dreimal an, und es öffnete sich das Tor zu einem schönen Palast, in welchem zwölf prächtige Säle waren. Darin hingen an den Wänden Schnüre der kostbarsten Perlen, und an den Fenstern und auf Tischen blühten frische Rosen. Diese hatte Marie zu pflegen, damit sie nicht verwelkten. Dafür durfte sie mit U. L. Frau am Tisch speisen, der sich zu bestimmter Zeit von selber deckte.
Glücklich lebte sie drei Jahre dahin, als U. L. Frau ihr die Schlüssel zu den Sälen aushändigte und den Auftrag erteilte, nun auf einige Tage die alleinige Aufsicht im Palast zu führen. Doch wäre noch ein dreizehntes Gemach, das nicht geöffnet werden dürfe. Damit trat U. L. Frau ihre Reise an und ließ das Kind allein. Marie aber war am Abend des dritten Tages neugierig geworden, daß sie die Türe des geheimen Zimmers öffnete. Da waren die Wände voll von Kästen mit großen, großen Büchern, und am Tisch saßen Gott Vater und der Sohn Gottes und schrieben in ein großes Buch das Schicksal aller Menschen, die geboren werden, und die Gaben, die sie erhalten auf den Weg des Lebens, und wie der Mensch in seinem Willen seine Bestimmung selber ändert und die Gaben anders verwendet, als wozu sie ihm erteilt sind.
Am Morgen kam nun U. L. Frau von der Reise zurück und sprach zum Mädchen: »Du hast wider mein Gebot gehandelt. Ich will dich dafür nicht strafen, aber behalten kann ich dich nun nicht mehr. Geh zu deinem Vater zurück, den Weg wirst du leicht finden. Ich habe gesorgt, daß dir im Leben nichts fehle.« Damit nahm sie einen Kranz von Rosen und setzte ihn dem Mädchen auf das Haupt, und ein weißes Kleid zog sie ihr an und sendete sie damit fort.
Bald gelangte Marie in den Schloßgarten. Da saß traurig der Vater. Denn die Stiefmutter liebte Pracht und Gesellschaft und hatte den früheren Wohlstand tief heruntergebracht. Mit Freude begrüßte er die blühende Tochter, die er längst tot geglaubt hatte. Nicht so ward sie von der Stiefmutter empfangen. Diese war froh über das Verschwinden des verhaßten Mädchens und meinte nun, sie könne ihres Bleibens nicht in der Burg haben, weil von einer Magd geboren, und könne irgendwo als Dienstmagd ihr Brot gewinnen.
Da weinte Marie und bat auf einige Zeit um Aufnahme, sie werde sich umsehen, ob sie nicht ein Unterkommen finde. Sie hatte ihre Ecke in der Küche und verrichtete alle niedrige Arbeit im Haus. So viel sie aber auch guten Willen bezeugte, konnte sie es doch nicht recht machen, und die bösen Stiefbrüder neckten und höhnten die Bauernmagd, und die böse Stiefmutter lachte dazu.
Einmal machten es aber die Brüder gar zu arg. Sie schlugen die Schwester so, daß sie blutete. Da ging sie hinaus in die Küche und weinte über ein Waschbecken, und die Tränen fielen tropfenweise hinein, und bei jedem Fall war es, als ob etwas klinge. Die Stiefmutter kam dazu, um sie zu zanken, daß sie sich nicht vertrage, und sah in der Schüssel etwas schimmern. Sie untersuchte und fand eine Menge der schönsten Perlen auf dem Boden.
Nun war Freude in der Burg, denn man hatte wieder Mittel, in der früheren Weise zu leben. Die Perlen wurden teuer verkauft. Ein festlicher Ball sollte die ehemaligen Freunde, welche sich seither nicht mehr sehen ließen, aufs Neue versammeln. Auch Marie sollte daran teilnehmen. Als aber die Stiefmutter ihr dieses eröffnete, fing sie zu lachen an, und es fiel ihr eine Rose um die andere, frisch und blühend, obwohl es Winter war, aus dem Mund. Da merkte die Stiefmutter, daß hinter dem Mädchen etwas mehr sein müsse, als sie bisher gedacht, und behandelte sie besser. Aber dieses dauerte nur so lange, als das Geld von den Perlen reichte, darnach begannen die Gehässigkeit der Brüder und der Hohn der Mutter, das arme Kind zu quälen wie vorher, bis sie wieder Perlen weinte und Rosen lachte.
Im Haus aber war eine alte Magd, der ging es zu Herzen, daß Marie so viel zu leiden hatte, und tröstete sie mit den Worten: »Mein liebes Kind, habe Geduld. In einem Jahr trete ich in das Hexenalter. Da wird mir gegeben, Vieles zu wissen, da wollen wir uns beraten. Ich war deine Amme und gehe gerne mit dir, wohin du willst. Wenn du wieder weinst, so gib mir das Becken, in welches deine heißen Tränen fielen.« Das Jahr ging um, und die Alte wurde wissend und sagte zu Marie: »Packe zusammen, wir verlassen diesen Ort und suchen eine Stätte des Friedens. Wir besitzen so viel, daß es uns an nichts fehlen kann.«
So gingen sie am frühen Morgen durch den Garten hinaus und lange fort, bis sie in eine große Stadt kamen. Aber auch hier war ihres Bleibens nicht lange. Die schöne, züchtige Jungfrau zog aller Augen auf sich, und es kamen die edelsten Freier, um ihre Hand zu werben. Sie aber fühlte sich zu keinem hingezogen und war betrübt, daß sie ihnen wehtun mußte.
Eben einmal war sie ihren traurigen Gedanken hingegeben, als U. L. Frau vor ihr stand und zu ihr sagte: »Mein gutes Kind, sei ruhig. Du hast von mir die Gabe, irdischer Liebe fremd zu bleiben. Komm mit mir, ich überlasse dir meinen Palast. Denn meine Zeit in dieser Gegend ist um, und ich ziehe weiter. Beherberge fortan Kranke und Arme, bis ich dich zu mir nehme.«
Da gingen alle drei fort, U.L. Frau klopfte dreimal an die Felsenwand, und es stand der prächtige Palast vor ihren Augen. Marie zog ein und rief die Kranken und Armen der Umgegend zu sich und pflegte sie. So sie Kummer auf der Seele hatte und ein Werk der Barmherzigkeit nicht zu üben vermochte, schloß sie sich in das verborgene Gemach ein, wo sie einst Vater und Gott Sohn erblickt hatte, und flehte da um Hilfe, und sie wurde niemals versagt.
Sie blieb immer jung und schön. Darum konnte man auch lange nicht glauben, daß sie tot sei, als U. L. Frau ihre Seele abgeholt hatte. Sie lag und liegt auf dem Bett als bleiche Jungfrau, rote Rosen um die Schläfe, in weißem Kleid.
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