Johanna Schopenhauer
Jugendleben und Wanderbilder
Johanna Schopenhauer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Alle fesselt Modetyrannei.
Aus dem Füllhorn, das sie lächelnd hält,
Sieh, was Alles auf uns niederfällt:
Priesterkragen, Poschen, Locken, Zöpfe;
Federbüsche, tiefrer Ehrfurcht werth,
Für Dragoner- und für Mädchenköpfe,
Oder für ein stolzes Schlittenpferd.
H. P. Sturz.

Ballkleider hatten wir nicht, aus dem ganz einfachen Grunde, weil damals sämmtliche spinnenwebenartige Stoffe noch nicht erfunden waren, welche jetzt die eleganten Gestalten unsrer jungen Damen wie leichte Nebel verrätherisch umschweben, Tüll, Petinet, Organdy, und wie sie sonst noch alle heißen mögen, lagen noch im Reiche der später sich entwickelnden Möglichkeit.

Und dennoch tanzten wir in unsern schweren, seidenen Gesellschaftskleidern, tanzten leidenschaftlich gern, wurden gesucht, bewundert, mitunter auch etwas adorirt, genau sowie eben heut zu Tage unsre Enkelinnen; wie dieses in unserer damaligen entstellenden Vermummung möglich war, ist mir jetzt unbegreiflich. Hoffentlich wird Niemand mich unerlaubter Eitelkeit beschuldigen, wenn ich aus der Erinnerung mein Ballkostüm hier mit wenig Federstrichen leicht skizzire.

Ein ungeheurer, mit Drahtgestelle und Roßhaar unterbauter, mit großen Massen von Federn, Blumen, Bändern gekrönter Haarthurm setzte über meinem Haupte meiner Länge wenigstens eine Elle zu; die weißen, kaum mehr als zolldicken Stelzchen unter den mit goldgestickten Schleifen gezierten Ballschuhen suchten dagegen am andern Ende meiner kleinen Person dieses Mißverhältniß auszugleichen; obschon sie die Höhe des Kopfputzes bei weitem nicht erreichen konnten, waren sie doch hoch genug, um mich fast nur mit den Fußspitzen den Boden berühren zu lassen. Ein aus dicht an einander gefügten Fischbeinstäbchen zusammengesetzter Harnisch, fest und steif genug, um einer Flintenkugel zu widerstehen, trieb gewaltsam Arme und Schultern zurück, die Brust heraus, und schnürte über den Hüften die Taille zur Wespenform ein. Das Vernünftigste von diesem, jede freie Bewegung hemmende Korset, war ein ziemlich starker eiserner Bügel, der den Druck desselben von der Brust abhielt.

Und nun der Reifrock! und über diesem der mit Falbeln und allerhand unbeschreiblichen Kinkerlitzchen fast bis ans Knie hinauf garnirte seidene Rock, und über diesem noch das mit einer langen Schleppe versehene Kleid vom nämlichen Stoff; dieses ging vorn weit auseinander und war zu beiden Seiten eben so garnirt, wie der Rock; Hals und Brust wurden freier getragen, als man es jetzt schicklich finden würde, ein großer Strauß von künstlichen Blumen vollendete den Putz. Die Aermel reichten bis an den Ellbogen und waren bis zu den Schultern hinaus mit Blonden und Band reich garnirt; doch war dies nur die Tracht junger Mädchen, unsre Mama's trugen prächtige Engageanten von Blonden oder köstlichen Spitzen, so hießen die kleinen, Schleppkleidern ähnlichen, Manschetten, die man noch an Portraits aus jener Zeit bewundern kann. Lange Aermel waren durchaus nicht in Gebrauch, auch nicht an Hauskleidern; durch Gewöhnung abgehärtet, froren wir deshalb nicht mehr als jetzt eben auch.

Unsere Mama's waren noch viel reicher gekleidet, und folglich noch weit schwerer belastet als ihre Töchter; Paris sandte ihnen seine Moden, freilich sehr verspätet, durch Uebertreibungen verunstaltet, dennoch wurden sie begierig angenommen; eine einzige derselben machte eine Ausnahme, der Gebrauch, Roth aufzulegen. Die wenigen Damen, welche sich erkühnten, gegen den Glauben, daß sich schminken sündlich sei, zu handeln, durften dieses nur sehr vorsichtig unter dem Schleier des Geheimnisses wagen, wenn sie nicht einer öffentlichen Rüge von der Kanzel herab sich aussetzen wollten; denn Doktor HellerDer erste Geistliche der Pfarrkirche zu St. Marien, Senior des geistlichen Ministeriums in Danzig. war gar ein strenger, zu schonender Nachsicht wenig geneigter Wächter der ihm anvertrauten Heerde.

Dagegen hatte eine andere Mode bei unsern eleganten Damen allgemeinen Eingang gefunden, die so abgeschmackt war, daß ich die Möglichkeit ihrer Existenz bezweifeln würde, hätte das länglich platte, im Deckel mit einem kleinen Spiegel versehene Döschen von Perlmutter mir nicht oft zum Spielzeug gedient, das alle Damen immer, und auch meine Mutter, zur Hand hatten, um daraus, im Fall eine MuscheFranz.: mouche eig. Fliege, dann Schönheitspflästerchen. unberufen ihren Platz verließe, die dadurch entstehende Lücke gleich wieder ausfüllen zu können. Diese aus schwarzem, sogenanntem englischen Pflaster geschlagenen, winzig kleinen vollen und halben Monde, Sternchen und Herzchen sollten, mit Auswahl und Geschmack im Gesicht angebracht, die Reize desselben erhöhen, den Ausdruck des Mienenspiels beleben. Eine Reihe kleinster, bis zu etwas größeren steigender Monde, im äußern Augenwinkel, diente dazu, die Augen größer erscheinen zu lassen und ihren Glanz zu erhöhen; ein paar Sternchen im Mundwinkel sollten dem Lächeln etwas bezaubernd Schalkhaftes geben, eine am rechten Orte auf der Wange angebrachte Musche auf ein Grübchen derselben deuten. Es gab auch Muschen in etwas größerem Format, Sonnen, Täubchen, Liebesgötterchen sogar. Diese hießen vorzugsweise Assassins, vermuthlich wegen ihrer mörderischen Wirkung auf die Herzen.

Der Genius des guten Geschmacks möge die jetzige, die Moden jener alten Zeit wieder hervorwühlende Generation wenigstens vor der Erneuerung dieser in Gnaden bewahren!

Auch die Kleidung der Männer war von der jetzigen himmelweit verschieden, junge Elegants fingen allmählich an, den Perrücken den Abschied zu geben und ihr eigenes, gepudertes Haar, en aile de pigeon frisirt, zu tragen. Die Haarbeutel blieben indessen, nur in etwas kleineren Dimensionen, und ohne Postillons d'amour. Pantalons, Gilets und Fracks waren noch nicht erfunden. Die Röcke hatten beinahe den Schnitt der jetzigen Hofkleider, man trug sie in allen Farben, sogar weiße mit reichen Stickereien in Gold oder bunter Seide, und dazu passende, gestickte seidene Westen. Aeltere Männer, wie zum Beispiel mein Vater, trugen auch wohl Röcke von dunkelfarbigem Sammt, bei einer Weste von Gold-Glacé, und sahen recht stattlich und anständig in dieser Kleidung aus. Manschetten und Jabots von Brüsseler Spitzen waren im Putz unerläßlich; vor Allem aber, bei Alt und Jung, der Degen, ohne welchen einige Jahre früher Niemand, zu der höheren Bürgerklasse gehörend, sich auf der Straße gezeigt hätte.

Mein Vater und seine Zeitgenossen bedauerten noch immer, daß die Herren nicht mehr, wie noch vor Kurzem, an der Börse Degen trugen, um dadurch von ihren Gehülfen sich zu unterscheiden. Um keinen Preis wäre er in Gesellschaft, in Konzert oder auf den Ball ohne ein solches unschuldiges Mordgewehr erschienen, und manche Thräne habe ich heimlich vergossen, wenn Adam es verlegt hatte, der Wagen vor der Thür hielt und ich über dem Suchen darnach die schönste Anglaise versäumen mußte.

Stiefel wurden nur bei üblem Wetter getragen, selbst die ältesten Männer gingen täglich, ohne Besorgniß sich zu erkälten, in Schuhen und seidenen Strümpfen einher; in einer Gesellschaft, wo Damen zugegen waren, in Stiefeln zu erscheinen, wäre höchst ungezogen gewesen. So wollte es damals die unter dem höheren Bürgerstande allgemein herrschende Etiquette, welche besonders, wenngleich auf andere Weise, auch den Frauen manchen Zwang auferlegte. Ohne von einem Bedienten, oder in dessen Ermangelung von ihrem Jungfermädchen sich folgen zu lassen, hätte keine Frau aus den höheren Ständen auch nur den kleinsten Weg über die Straße zurückgelegt; keine ging in die Läden, um ihre Einkäufe selbst zu besorgen, die Kaufleute waren darauf eingerichtet, die verlangten Waaren zur Auswahl in die Häuser zu schicken. An öffentlichen Orten, auf der Promenade oder im Theater ohne männliche Begleitung zu erscheinen, galt für unschicklich; da aber die Männer nicht minder als jetzt mit Geschäften überladen, Brüder und Vettern aber nicht immer zur Hand waren, so mag diese strenge Sitte zu der häuslicheren Lebensweise der Frauen nicht wenig beigetragen haben.

Ergötzlich aber war es anzusehen, wie die Phantasie der Mütter bei der äußern Erscheinung ihrer Söhne freien Spielraum sich vorbehielt. Die Mädchen wurden mit einiger Abänderung nach der eben herrschenden Mode gekleidet, aber die Knaben liefen bis in das sechste oder siebente Jahr fast karnevalsartig geputzt einher, weil man die Kleidung ihrer Väter zu solchen Modifikationen nicht herleihen wollte.

Die polnische Nationaltracht war die gewöhnlichste, und auch für Knaben die bequemste, sobald man nur nicht auf den Einfall gerieth, sechsjährige Bübchen zu Starosten umformen zu wollen. Aber da gab es auch noch Duodez-Husärchen, Chineserchen, Ungarn, Tyroler. Zwei meiner Vettern zeichneten, der eine als holländischer Matrose, der andere als Großsultan sich aus; letzterer war mit allem Zubehör ausstaffirt, mit Säbel, Turban, Reiherbusch, sogar mit einem mit blitzenden Steinen und Gold ausgelegten hölzernen Dolch, den er im Gürtel trug.

In andern Städten wurde dieser wunderliche Gebrauch vielleicht noch weiter getrieben, denn eine Berliner Dame, welche meine Mutter besuchte, brachte uns sogar einen allerliebst-niedlichen Hamlet von fünf Jahren in vollem Theaterkostüm zum Spielgesellen mit.


 << zurück weiter >>