Johanna Schopenhauer
Reise durch England und Schottland
Johanna Schopenhauer

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Schottland

Die Fahrt von Berwick nach Edinburgh, vierundfünfzig englische Meilen, fast immer im Angesichte des Meeres, wäre allein die Reise wert; von so seltener, wunderbarer Schönheit ist die Gegend, aber deshalb wohl umso unbeschreibbarer.

Bis dicht hinab an die Wellen der Küste bebaut wie ein Garten: Kornfelder, Wiesen mit Herden bedeckt, Obst- und Gemüsegärten wechseln, alles in der Pracht der üppigsten Vegetation. Dazwischen kleine Gehölze, duftende, blühende Hecken, und in ihrer Mitte Dörfer, die umso malerischer erscheinen, da sie schon ein ländlicheres Ansehen haben und nicht, wie die englischen, kleinen Städten ähnlich sind. Das Land ist nicht bergig, aber auch nicht flach; wellenförmig erhebt es sich zu kleinen Anhöhen und sinkt wieder zu lieblichen Gründen hinab. Freundliche, einzelne Landhäuser liegen überall zerstreut, ehrwürdige, efeubewachsene Ruinen der Vorzeit erheben ihre alten Mauern und zeugen von vergangener Größe. Und nun noch der Anblick des Meeres, dieses ewig wechselnden Elements, das jeder Gegend, auch der ödesten, Leben gibt!

Kleine Inseln mit Leuchttürmen, entfernte blaue Felsen, die zackig und wild am Horizonte sichtbar werden, alles, alles vereint sich hier, um ein Ganzes voll wunderbarer Schönheit zu bilden. Zwei Lager, jedes von ungefähr dreitausend Mann, die eben hier die Küste bewachen, kontrastieren mit der ländlichen Anmut rings umher. Der Anblick dieser Krieger, ihre Zelte, ihre glänzenden Waffen und Uniformen, brachten ein neues, fremdes Leben in diese entzückende Gegend.

Schon hier, so nahe an der englischen Grenze, fiel uns der Unterschied zwischen dem englischen und schottischen Volke merklich auf. Freundliches, gutmütiges Zuvorkommen, Treuherzigkeit, verbunden mit großer, aber fröhlicher Armut, erinnerte uns immer an die Bewohner deutscher Gebirge. Schuhe und Strümpfe, ohne welche man in England keinen Bettler erblickt, sind hier schon hoher Luxus. Die arbeitende Klasse und der größte Teil der Kinder, selbst wohlhabender Eltern, laufen Sommer und Winter barfuß; vielleicht geschieht dies fast ebenso oft aus Gewohnheit als aus Armut; aber es fällt sehr auf, wenn man aus England kommt, wo dergleichen unerhört ist.

Edinburgh

In keinem der vielen schönen Gasthöfe dieser Stadt konnten wir unterkommen. Es waren eben die letzten Tage der Woche, in welcher dort alljährlich Pferderennen gehalten werden. Wir fanden alles vollgepfropft von Fremden, die teils jenes edle Vergnügen, teils die es begleitenden Lustbarkeiten, das Theater, die Bälle, Konzerte und tausend andere Freuden herbeigezogen hatten. Da wir bald eine artige Wohnung bei einem Kupferstichhändler, einem der unzähligen Mackintoshes, fanden, waren wir es wohl zufrieden, das Volk einmal in seiner Nationalfreude zu sehen.

Die Stadt Edinburgh, von beträchtlicher Größe, ist eine der schönsten und häßlichsten Städte zugleich und verdient in dieser Hinsicht mit Marseille verglichen zu werden. Die Altstadt, ein grauen- und ekelerregender Klumpen alter, schmutziger, den Einsturz drohender Häuser, die anscheinend ohne Ordnung in engen, winkligen Straßen an- und übereinandergeworfen zu sein scheinen; die neue Stadt dagegen wetteifernd mit den schönsten Städten Europas. Edinburghs ganze Lage ist einzig in ihrer Art, von hoher romantischer Schönheit.

An den Seiten eines hohen Felsens, der sich an eine lange, majestätische Reihe anderer Felsen anschließt, liegen die Häuser der alten Stadt, wie Schwalbennester angeklebt, unter- und übereinander; einige dieser Häuser haben, von einer Straße aus gesehen, zehn Stockwerke, während sie von der anderen Seite deren nur zwei oder drei zählen, und man aus dem vierten oder fünften Stock der niedriger liegenden Seite auf der hohen geraden Fußes ins Freie in eine andere Straße geht. Wie krumm, wie eng, wie winklig der größte Teil dieser Straßen ist, läßt sich schwer beschreiben. Einige derselben führen steile und hohe Berge hinauf und hinab, auf die allerbeschwerlichste Weise. Auf den höchsten Gipfel dieser Felsenkette thront die uralte Wohnung der schottischen Könige, das Kastell, hoch über den Häusern der übrigen Einwohner. Eine tiefe Kluft, aus welcher jene Felsen steil, fast senkrecht emporsteigen, trennt die alte Stadt von einer Anhöhe, auf welcher die neue Stadt erbaut ist. Einige schöne steinerne Brücken führen hinüber und vereinigen beide Städte. Tief im Abgrunde sieht man von einer dieser Brücke Straßen, die dort unten liegen, wie im Erebus, denen Sonne und Mond fast nie scheinen, und deren Dächer noch lange nicht bis zu der Grundlage der Brücke hinaufreichen. Die Menschen, die dort wandeln, erscheinen, von oben gesehen, wie Gnomen. Es ist unbegreiflich, wie man im Angesichte der schönen, neueren Stadt diese unfreundlichen Wohnungen ertragen kann. Nur ein Teil dieser Kluft ist bebaut, der übrige wird zum Teil als Viehweide benutzt, zum Teil liegt er steinig und unfruchtbar da.

Die neue Stadt kann sich in Hinsicht der Regelmäßigkeit und Breite der wohlgepflasterten, mit breiten Fußwegen auf beiden Seiten versehenden Straßen mit den schönsten Städten Europas messen; in Hinsicht der Schönheit, der Solidität und des guten Geschmacks der aus Quadersteinen erbauten Wohnhäuser übertrifft sie solche vielleicht.

Wie in London gibt es auch hier große Plätze, umgeben von schönen Gebäuden, und in ihrer Mitte einen mit eisernem Geländer eingefaßten artigen Garten oder einen schönen Grasplatz. Fast alle Straßen bieten Aussicht auf's Meer. Dieses große, ewig wechselnde, ewig neue Schauspiel erhält hier noch durch eine Menge kleiner, zerstreut liegender Inseln neuen Reiz. Ferne, blaue Berge begrenzen von der einen Seite die große Perspektive, die von der anderen sich in's Unendliche ausbreitet.

Unvergeßlich bleibt uns ein Abend, den wir in Princes Street bei einem unserer Bekannten zubrachten. Diese, eine englische Meile lange Straße besteht nur aus einer Reihe sehr schöner Häuser; gegenüber begrenzt eine eiserne Balustrade jene Kluft, welche die alte Stadt von der neuen scheidet, und welche, gerade hier unbebaut, Kühen und Ziegen zur Weide dient. Senkrecht steigen daraus die ganz nackten Felsen empor, wild, zackig, in schönen, wechselnden Formen. Hoch liegt die alte Königsburg und andere alte Gebäude; über ihnen droht, von blauen Nebeln umwoben, König Arthurs Sitz, ein wunderbar geformter Fels, fast wie ein Thron gestaltet. Von ihm erzählt sich das Volk manche schauerliche Sage der Vorzeit. In seiner Nähe erblickt man auf einem anderen Felsen die Ruine eines alten Schlosses, in welchem die unglückliche Maria Stuart von ihrem eigenen Volke gefangen gehalten ward, ehe sie nach England in den Tod ging. Das Meer begrenzt die Aussicht am Ende der Straße. Hier sahen wir die sinkende Sonne die Spitzen der Felsen röten, später den Mond die Wellen des Meeres versilbern, und schieden mit der Überzeugung, daß nicht leicht eine andere große, volkreiche Stadt uns ein ähnliches Schauspiel darbieten wird.

Die dritte Abteilung von Edinburgh ist Leith. Eigentlich eine Stadt für sich, aber, fast mit Edinburgh zusammenhängend, kann sie doch dazugerechnet werden. Leith liegt in der Tiefe, hart am Hafen, in einer niedrigen, etwas sumpfigen, unangenehmen Lage. Hier sind die Schiffswerften, Magazine, Comptoire und die Wohnungen derer, die mit allen diesen Dingen sich beschäftigen. Hier gibt's des Drängens, Stoßens, Treibens genug. Leith ist nicht so bergig, aber fast so häßlich als die Altstadt Edinburgh; die Straßen sind voll Gewühl und Getümmel; wir waren froh, bald zu entkommen.

Das schönste Gebäude in Edinburgh ist das Register Office; es dient zu mannigfaltigen öffentlichen Zwecken. In einer durch eine Kuppel von oben erleuchteten Rotunde sahen wir hier die marmorne Statue des Königs Georg des Dritten. Mrs. Damer, eine Dame von Stande in London, hat sie der Stadt geschenkt, und, was das Merkwürdigste dabei ist, sie hat sie selbst verfertigt. Man muß ihren guten Willen ehren, die Statue selbst ist ein unförmiges Machwerk.

Das Kastell ist ehrwürdig durch seine ehemalige Bestimmung, sein Alter und seine imposante Lage, hoch auf dem Gipfel des Felsens. Holyrood House, die Residenz des Königs von Großbritannien, wenn er einmal nach Edinburgh kommen sollte, ist ein großes, ganz gewöhnliches altmodisches Schloß, welches sich auf keine Weise auszeichnet, aber dennoch dem Palaste von St. James in London vorzuziehen. Verschiedene Privatpersonen, denen der König die Erlaubnis dazu gab, bewohnen es jetzt; auch war es die Residenz des Grafen Artois, späterhin König Karl der Zehnte. Die Wohnungen im Schlosse und dem es zunächst umgebenden Bezirke haben das Vorrecht, daß niemand schuldenhalber darin arretiert werden kann. Sie werden deshalb sehr gesucht, besonders, wie man uns versicherte, vom schottischen Adel.

Graf Artoisals Karl X. König von Frankreich (1824-30). Er gründete nach dem Sturm auf die Bastille mit dem Prinzen Condé die Emigration. In dieser Eigenschaft führte er mehrere Feindhandlungen gegen Frankreich. Von 1795-1813 lebte er im englischen Exil von einer Pension, die ihm das englische Parlament bewilligt hatte. lebte hier, soviel möglich wie weiland zu Versailles. Zweimal die Woche speiste er öffentlich, allein, wie es die Etikette fordert. Dreimal die Woche hielt er Lever vor einem Hofe von Emigranten, die er um sich versammelte. Wir sahen seine Zimmer; sie sind so ganz bürgerlich einfach, daß sie ihn doch oft an die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge erinnert haben müssen. Uns waren nur drei Gegenstände darin merkwürdig: das Bildnis der Tochter Ludwigs des Sechzehnten, das ihrer Tante, der Prinzessin Elisabeth, und eine Aussicht auf Malta, welche diese unglückliche Dame zu Paris im Temple malte, und hoffentlich so, unterm Schutze der ewig heiteren Kunst, wenigstens einige Stunden den großen Schmerz vergaß, der schwer auf ihr lastete.

Bei aller romantischen Pracht und Schönheit eignet sich die Lage Edinburghs dennoch wenig zu Spaziergängen. Es fehlt in der Nähe an Schatten, an ländlicher Lieblichkeit; doch findet man auch diese, wenn man sich nur die Mühe geben will, sie ein oder zwei Stunden weit aufzusuchen.

Das Pferderennen, das man wohl den Karneval der Briten nennen darf, erfüllte während der ersten Tage unseres Aufenthalts daselbst die ganze Stadt Edinburgh mit ungewöhnlichem Leben. Die Vergnügungen jagten einander in dieser Woche. Sonst lebt man hier stiller, einfacher als in London, mehr ein Familienleben auf deutsche Weise. Die Kinder werden nicht, wie es dort durchaus gewöhnlich ist, in Pensionen erzogen, sie wachsen im Hause unter den Augen der Eltern heran.

Die äußere Frömmigkeit und besonders die Feier des Sonntags wird hier noch strenger beobachtet als dort. Einer unserer Bekannten, welcher uns an einem Sonntagmorgen zu einer Spazierfahrt abholte, schloß sorgfältig die Jalousien an seinem Wagen, solange wir in der Stadt fuhren; weil er sich scheute, den Leuten, die in die Kirchen gingen, zu zeigen, daß er in einer Stunde spazieren fahre, welche eine so heilige Bestimmung hat. Am Sonntagmorgen werden alle musikalischen Instrumente, alle Bücher, die nicht religiösen Inhalts sind, alle Spielkarten, alle Handarbeiten, auch die unbedeutendsten, sorgfältig weggeschlossen, damit auch selbst ihr Anblick nicht störend werde. Jedermann geht in die Kirche und hält Andachtsübungen zu Hause, wobei die Hausgenossen bis auf die geringsten Bedienten erscheinen müssen. Jede Ergötzung ist hoch verpönt; den Herren bleibt nur die Flasche, bei der sie an diesem Tage noch länger als sonst nach Tische verweilen, und den Damen der Teetisch.

Zuvorkommende, gutmütige Freundlichkeit und ein gewisses treuherzig-fröhliches Wesen unterscheiden den Schotten merklich vom Engländer. Man achtet hier die Fremden mehr als in England, ist bekannter mit ihren Sitten und Gebräuchen; denn Armut zwingt den Schotten oft, in der weiten Welt ein Fortkommen zu suchen, und er sucht es lieber recht fern, als in England, wo man sein geliebtes Vaterland mit ungerechter Verachtung betrachtet. Der größte Teil der in Deutschland und anderen Ländern angesiedelten Briten sind eigentlich Schotten.

Frömmigkeit, Ehrlichkeit, Arbeitsamkeit ist der Charakter des Volks im allgemeinen; dazu eine ungemessene Liebe zu ihrem Lande, zu ihrer vaterländischen Literatur. Mit ihr, wie mit den Alten, ist jeder bekannt, der nur auf Bildung einigen Anspruch macht. Sie hegen hohe Ehrfurcht vor allem, was auf ihre ehemaligen besseren Tage hindeutet. Maria Stuart hat hier noch unzählige warme Verehrer, und jede Reliquie, die von ihr übrig ist, wird wie ein Heiligtum betrachtet und sorgsam vor dem Untergang geschützt.

Die bildende Kunst will unter britischem Himmel nicht recht gedeihen; doch daß sie wenigstens nicht immer dort nach Brote geht, davon fanden wir den Beweis bei einem wirklich ausgezeichneten Künstler, mit Namen Reaburn. Wir besuchten ihn in seinem eigenen, elegant gebauten und möblierten Hause, in welchem er mit seiner Frau und vier Kindern auf einem sehr angenehmen Fuß lebt. Ein ähnliches Landhaus besitzt er vor der Stadt, und alles dieses erwarb ihm sein Pinsel, denn er war ohne Vermögen. Freilich hat er einen Kunstzweig erwählt, der wohl nirgends so belohnt werden würde als in Großbritannien; er malt Pferde, aber so wunderschön, mit solcher Wahrheit, daß selbst ein nicht englisches Auge davon entzückt werden muß. Auch menschliche Porträts gelingen ihm mit ziemlichem Glück, aber die Konterfeis der vierfüßigen Lieblinge manches reichen Lords haben eigentlich doch sein Glück und seinen Ruhm gegründet. In einem großen, von oben erleuchteten Saale, den er sich zu diesem Zwecke erbauen ließ, sahen wir viele seiner Gemälde im schönsten Lichte mit wahrer Freude.

Pferderennen

Das Pferderennen, welches so viel Fremde in Edinburgh versammelt hatte, konnten wir nicht unbesucht lassen; wir wohnten noch den beiden letzten und daher wichtigsten bei. Gewöhnlich werden sie an anderen Orten auf einer dazu eingerichteten großen Wiese gehalten, hier aber hat man, wunderlich genug, das Ufer des Meeres bei Leith dazu erwählt, eigentlich die sandige Fläche, von welcher sich das Meer zur Zeit der Ebbe zurückzieht. Darum muß die Stunde genau abgepaßt werden. Uns schien die Expedition nicht ganz ohne Gefahr. Sollte den alten Poseidon einmal eine Laune anwandeln und er schickte seine Wogen etwas früher zurück, so möchte wohl die Katastrophe des Königs Pharao im Roten Meere nochmals wiederholt werden, und Edinburgh wäre mit einem Male verödet, denn niemand bleibt bei diesem wichtigen Vorgange zu Hause, wenn er nicht muß. Uns kann das ganze Vergnügen etwas wunderlich vor.

Auf dem nassen, pfützenreichen Sande, wo es unbegreiflich ist, wie die Pferde festen Tritt haben können, und der noch obendrein wie ein Fischmarkt riecht, ist ein Platz mit Schranken von Stricken umgeben. Alte, invalide Soldaten stehen ringsumher und halten auf Ordnung. An einem Ende dieses Platzes sitzen die Kampfrichter, auf einem hohen, mit Fähnchen verzierten Gerüste, gravitätisch wie Rhadamant mit seinen Kollegen; die Helden des Tags, die Pferde, stehen daneben. Eine unzählige Menge Menschen umgibt den Platz. Auf die Dächer, an die Fenster der benachbarten Häuser von Leith, auf die Mauern, auf eigens dazu erbaute Gerüste, auf den Quai des Hafens, überall, wo nur ein Plätzchen zu finden ist, haben neugierige Fußgänger sich hingestellt. Diese bunte, fröhliche Menge gibt, vom Rennplatz aus gesehen, einen sehr hübschen Anblick. Die Glücklichen, welche über ein Fuhrwerk oder Pferd disponieren können, tummeln sich, in Erwartung des großen Schauspiels, lustig auf der Rennbahn herum und geben selbst dem Beobachter einen sehr belustigenden Anblick. Prächtige, mit Wappen und Grafenkronen verzierte, mit vier stolzen Pferden bespannte Equipagen und dann Karren mit einem alten, lebensmüden Gaul davor, Reiter und Reitpferde jeder Art, alle möglichen Fuhrwerke, die Luxus und Lust zu fahren, es sei auf welche Weise es wolle, nur erfinden konnten, fahren und reiten untereinander herum im buntesten Gewühl. Alles patscht ohne Zweck und Ziel die Kreuz und Quer im Schlamme und nassen Sande lustig darauf los.

Während der Zeit wird alles ganz genau von den Kampfrichtern untersucht, damit kein Betrug irgendeiner Art beim Rennen vorgehe. Die Jockeis, welche schon geraume Zeit vorher sich durch strenge Diät auf diesen großen Tag bereiten mußten, werden sorgfältig gewogen; keiner darf schwerer sein als der andere, deshalb wird dem leichteren das fehlende Gewicht durch Blei in den Taschen ersetzt.

Die wettlustigen Zuschauer schließen indessen ihre Wetten. Ein Trommelschlag wirbelt durch die Luft, und alles eilt sich, an den Seiten zu rangieren; jedes strebt, einen guten Platz zum Sehen zu bekommen, viele Männer steigen aus den Kutschen hinaus oben auf die Imperiale, einige Frauenzimmer setzen sich auf den hohen Kutschersitz neben ihren Kutscher; alles ist in der gespanntesten Erwartung. Mit dem zweiten Trommelschlage laufen die Renner aus, man hält vor Begierde, sie zu sehen, den Atem an, man sieht sie fast nur einen Moment mit Blitzesschnelle vorüberrauschen und hernach, auf der entgegengesetzten Seite, ganz in der Ferne. Sie nahen wieder, rauschen zum zweiten Mal vorbei, sie nähern sich zum zweiten Mal dem Ziele, und nun reiten alle alten und jungen John Bulls auf die halsbrecherischste Weise, ohne auf irgend etwas zu achten, wie wütend, hinterdrein, um bei der Entscheidung gegenwärtig zu sein. Zweimal, ohne anzuhalten, durchlaufen die Pferde im Kreise die Bahn, und das, welches das zweite Mal zuerst am Ziele ist, hat gesiegt.

Der Weg, den die Renner so zurücklegen, beträgt, genau gemessen, vier englische Meilen, von denen man fünfe auf eine deutsche rechnet; die Zeit aber, die sie darauf zubringen, ist unglaublich kurz. Sowie das erste Rennen vorüber ist, fährt und reitet alles wieder auf dem Platze durcheinander wie zuvor, bis ein neuer Trommelschlag verkündet, daß andere Pferde zum Laufen bereit sind, und die Zuschauer wieder zur Ordnung verweist. Jeden Morgen während der Woche des Pferderennens werden drei solche Wettläufe gehalten. Nach dem dritten eilt alles sehr befriedigt nach Hause.

Es ist nicht erfreulich, die Pferde am Ziel anlangen zu sehen; ermattet, mit Schweiße bedeckt, atmen sie kaum noch, das Blut strömt aus ihren von den Sporen zerrissenen Seiten. Auch die Jockeis sinken fast hin vor Ermattung; das pfeilschnelle Reiten benimmt ihnen den Atem, sie müssen unaufhörlich mit der einen Hand vor dem Munde die Luft zu zerteilen suchen, um nur nicht zu ersticken.

Die übrige Zeit des Tages, welche Toilette und die Freuden der Tafel freilassen, wird in dieser Woche auf mannigfache Weise hingebracht. Anstalten genug gab es dazu. Wachsfiguren, Seiltänzer, unsichtbare Mädchen und ein sehr interessantes Panorama von Konstantinopel. Nächst dem wechseln abends Bälle, Konzerte und Assembleen in den, zu diesem Zwecke bestimmten, sehr schönen Sälen. Auch ein Vauxhall gibt es hier. Obgleich recht hübsch eingerichtet, hält es doch keinen Vergleich mit dem berühmten Vauxhall in London aus, das wohl immer das einzige seiner Art bleiben wird.

Das Theater wird stark besucht und das Publikum darin ist laut, ungestüm und souverän herrschend wie in London; das Haus ist nicht groß, aber sehr hübsch dekoriert, gut erleuchtet und zweckmäßig eingerichtet. Nur die Schauspieler zeichnen sich auf keine Weise aus; keiner unter ihnen erhebt sich über die Mittelmäßigkeit, und die Schauspielerinnen bleiben sogar noch weit unter ihr zurück.

In dem sehr hübschen Konzertsaale ward ein echt schottisches Konzert vor einem sehr brillanten Auditorium gegeben. Es war als ein Vokalkonzert angekündigt und bestand nur aus drei Singstimmen, begleitet von einem Pianoforte. Die Sänger gaben den ganzen Abend nur leichte Romanzen, Lieder und dreistimmige Kanons, hier Glees genannt. Diese Art Musik ist in England, noch mehr in Schottland, sehr beliebt. Musik und Text waren ganz schottisch. Letzterer oft aus Ossian entlehnt, erstere durchaus sanft und klagend, durch Molltöne sich hinwindend. Manche uralte Melodie ertönte hier und wurde mit heißer Vaterlandsliebe aufgenommen. Das Ganze wäre für eine Stunde etwa recht angenehm gewesen; aber es hatte den Fehler aller Ergötzlichkeiten in Großbritannien, es währte zu lange. Das Auditorium war indessen sehr aufmerksam bis ans Ende; nur einige ältliche Herren, die sich wahrscheinlich bei Tische das Wohl der Nation zu sehr zu Herzen genommen hatten, verfielen in süßen Schlummer und schnarchten überlaut den Grundbaß zu dem etwas mageren Akkompagnement des Pianoforte. Die Singstimmen waren gut und sangen diese einfachen Melodien, wie dergleichen gesungen werden müssen, schmucklos, richtig und ausdrucksvoll.

Die lärmende Woche war nun vorüber, die Sehenswürdigkeiten wurden eingepackt, die Assembleesäle geschlossen, die Fremden reisten fort, die Einheimischen zogen zum Teil auf ihre Landhäuser, und alles kehrte zur gewohnten Ordnung und Stille zurück.

Wir blieben noch einige Zeit, um Edinburgh auch in der Ruhe zu sehen und zu genießen; dann kam auch der Tag unserer Abreise. Wie wir aus der Tür unserer Wohnung traten, hatten wir einen in England ganz ungewohnten Anblick: eine große Anzahl Bettler umlagerte unseren Wagen bis zur Haustür; wir mußten unseren Weg von den Söhnen und Töchtern des Elends erkaufen. Endlich rollten wir fort. Die Morgensonne rötete das alte Schloß, König Arthurs Sitz, und die Ruinen von Mariens Gefängnis. Nochmals blickten wir zurück auf das spiegelhelle Meer und eilten nun erwartungsvoll den Hochlanden zu.

Carron, Stirling

Rasch ging es vorwärts auf ebenem Wege, durch ein schön kultiviertes, nicht sehr bergiges Land. Bald erblickten wir von weitem viele große Gebäude, mit abenteuerlichen, hohen Schornsteinen. Dicke schwarze Rauchwolken stiegen aus diesen empor und wälzten sich verfinsternd über die blühende Gegend; hoch aufsprühende Flammen blitzten aus dem Dampfe gen Himmel.

Es waren die berühmten Eisengießereien von Carron, denen wir uns nahten, vielleicht die größten in aller Welt. Hier werden Kanonen, Mörser, große Kessel und alles mögliche Eisenwerk gegossen. Seit einigen Jahren wird Fremden der Eintritt in diese Kyklopenwohnung nicht mehr gestattet, auch uns ward er verweigert. Wir waren eben nicht unzufrieden darüber, denn auf Reisen sieht man manches, weil man einmal da ist, ohne Freude und Anteil, aus einer Art von Pflichtgefühl, und wäre zuweilen gern der Mühe überhoben. Das ganze hat hier, bei aller ungeheuren Größe, dennoch wenig Einladendes. Der Steinkohlendampf versetzte uns den Atem, betäubendes Getöse und Gehämmer erscholl aus dem Innern der Gebäude; ewige Dämmerung herrscht in diesen Rauchwolken, die weit und breit mit Asche und Ruß Bäume und Pflanzen bedecken und die Vegetation ins Gewand der Trauer hüllen.

Nicht weit von Carron sahen wir einen großen Kanal, der die beiden Ströme Clyde und Forth verbindet und für den inneren Handel von unbeschreiblichem Nutzen ist. Gegen Abend erreichten wir Stirling.

Diese ziemlich große, lebhafte Stadt wird schon zu den Hochlanden gerechnet. Jetzt war sie voller Soldaten, und Straßen und Häuser umso lebendiger. Ihre Lage am Fuße eines hohen Felsen ist sehr schön. Einige Straßen führen gerade den Fels hinauf, auf dessen höchstem Gipfel ein altes Schloß thront. Jetzt ist es zum Teil zu Kasernen, zum Teil zu Offizierswohnungen eingerichtet.

Von der Terrasse vor dem Schlosse genossen wir einer wunderschönen Aussicht. Ein breites, fruchtbares Tal lag vor uns in aller Pracht der höchsten Kultur, der üppigsten Vegetation, mit einzelnen Wohnungen, Dörfern, stattlichen Bäumen wie besät. In den mannigfaltigsten Krümmungen windet der Fluß Forth sich durch die lachende Gegend; bald geht er vorwärts, bald kehrt er auf lange Strecken zurück und schleicht dann wieder zögernd weiter, als sträube er sich, dies Paradies zu verlassen. Eine schöne, steinerne Brücke, dicht vor der zu unseren Füßen liegenden Stadt, macht die Landschaft noch malerischer. In der Ferne sieht man die Rauchwolken von Carron wie aus einem Vulkan emporsteigen. Schöne blaudämmernde Berge schließen von zwei Seiten die Perspektive, geradeaus ist sie unbegrenzt.

Stirling besitzt viele Fabriken, sehr schöne Teppiche aller Art werden hier gemacht; auch das vielfarbige, gewürfelte Wollenzeuch, worin die Bergschotten sich kleiden. Wir besahen eine dieser Fabriken und waren aufs neue gezwungen, den erfindungsreichen Geist zu bewundern, welcher in diesem Lande alle Arbeiten auf so mannigfaltige Weise vereinfacht und erleichtert. Als zuvor noch nie gesehen bemerkten wir hier eine Maschine, mit welcher ein Mädchen mehr als fünfzig Spulen Wolle zugleich abhaspelte. Die Spulen waren in einem großen Zirkel nebeneinander befestigt, und der Faden jeder dieser Spulen an die darüber stehende sehr große Haspel gebunden; das Mädchen setzte mittelst eines Rades die sehr einfache Maschine auf das zweckmäßigste und mit der größten Leichtigkeit in Bewegung.

Auch die Hunde werden hier zur Industrie gezwungen. Wir sahen einen sehr schönen großen Hund, welcher in einem Rade herumsteigen mußte, wie ein Eichhörnchen, um eine Mühle zur Reibung der Farben zu treiben. Diese Arbeit schien ihn aber nicht sonderlich zu amüsieren, er nahm seinen Augenblick wahr und entwischte mit unglaublicher Behendigkeit, gerade wie er uns seine Künste vormachen mußte. Jung und alt lief mit großem Geschrei hinter ihm her, aber er entkam glücklich seinen Verfolgern zu unserer großen Freude und zum großen Leidwesen seines Herrn.

In Edinburgh wird die Nationaltracht der Bergschotten weit weniger gesehen als hier in Stirling, wo dieses schon sehr häufig der Fall ist. Die Männer tragen enge, blaue Mützen, oben mit einer roten Quaste, bisweilen auch mit einer Feder geziert, mit einem Aufschlage von rot und weiß gewürfeltem Zeuch; eine ziemlich lange Jacke und darunter ein nicht ganz bis zu den Knien reichendes, sehr faltenreiches Röckchen oder Schurz von dem bekannten, bunt gewürfelten, schottischen wollenen Zeuche. Ein Gürtel, in welchem oft eine Art von Dolch steckt, befestigt diesen Schurz um die Hüften; auch hängt ein lederner, mit Troddeln gezierter Beutel daran, in welchem die Schotten Tabak und Geld verwahren. Ihre Fußbekleidung besteht in rot und weiß gewürfelten, unten mit einer starken ledernen Sohle versehenen Strümpfen, welche auch nur bis etwa über die Hälfte der Wade reichen; von da an bis über das Knie sind die Beine ganz bloß. Diese Fußbekleidung gibt den Schotten etwas sehr Fremdartiges; sie sehen damit aus wie die römischen Soldaten in der Oper, und die roten Streifen in den Strümpfen haben das Ansehen von übergeschnürten roten Bändern.

Das Hauptstück ihrer Kleidung, wir möchten sagen, ihres Mobiliars, ist der Plaid, ein langes breites Stück von jenem gewürfelten schottischen Zeuche, wie ein sehr großer Shawl. Den Plaid tragen sie bei gutem Wetter wie ein Ordensband nachlässig von einer Schulter zur Hüfte vorn und hinten wieder herübergeworfen. Zuweilen wird er auf der Schulter quer mit einer großen silbernen Nadel befestigt. Diese Art Draperie sieht recht gut aus. Bei Regenwetter oder Kälte nehmen sie den Plaid über den Kopf und hüllen sich ganz hinein; nachts dient er ihnen auf Reisen statt Hütte und Bette, und auch in ihren Wohnungen schlafen sie gewöhnlich in dem Plaid gewickelt ohne weiteres auf der Erde oder wo sie Platz finden.

Die Tracht der Weiber hat nichts Ausgezeichnetes. Auch sie bedienen sich häufig jenes schottischen Zeuches, übrigens gehen sie sehr ärmlich, schmutzig sogar, mit nackten Füßen, oft in bloßen, kurz geschnittenen Haaren, ohne Haube oder Hut. Die Schottinnen stehen im Ganzen in Hinsicht auf Schönheit nicht hinter den Engländerinnen zurück. Sie übertreffen sie vielleicht; aber in Hinsicht der Kleidung ist bei der geringeren Klasse, bei den Dienstmädchen und den Dorfbewohnerinnen der Unterschied zwischen den Engländerinnen und Schottinnen sehr groß. Keine langen Kleider, keine hübschen Strohhüte mehr, die man in England überall sieht. Bloße Füße, schlechte, baumwollene Röcke, unförmige, bis an die Knie reichende weite Jacken, bisweilen unter der Brust mit einem Gürtel gehalten, öfter noch lose hängend, weiße Hauben, die tief ins Gesicht gehen und bis auf die Schultern herabhängen: dies ist das Kostüm der ärmeren Schottinnen in den Städten und mit weniger Abweichung auch auf dem Lande und in den Gebirgen.

Die Wohnungen, sowohl in den Dörfern, durch die wir jetzt kamen, als auch die einzeln zerstreut liegenden Hütten, sehen höchst ärmlich aus. Oft sind sie nur aus aufgetürmten Feldsteinen und Lehmerde wie zusammengeknetet und haben kaum das Ansehen menschlicher Behausungen. Wie diese anscheinend große Armut mit der großen Fruchtbarkeit und Kultur dieses Landstrichs sowohl als mit der Bildung der Einwohner zu vereinigen ist, ist uns unbegreiflich.

Perth

Von Stirling gingen wir eine Tagereise weiter nach Perth. Diese Stadt ist nicht klein, hat hübsche große Häuser und schöne breite Straßen voll lebendigen Gewühls. Alles sieht wohlhabend aus, denn auch hier blühen Handel und Fabrikwesen; besonders berühmt sind die großen Bleichereien von Perth.

Wie wir aus Stirling abfuhren, erfreuten wir uns noch an mancher schönen Aussicht dieser herrlichen Gegend. Allmählich verlor nun das Land an Reiz, doch blieb es noch immer sehr kultiviert und fruchtbar. In bläulichem Dufte breitete sich jetzt die Felsenkette der Hochlande düster vor uns aus; mühselig erklommen wir ein paar ziemlich hohe Berge, über welchen noch höhere drohten. Der Weg senkte sich wieder etwas, die Berge zogen sich zurück und begrenzten ein liebliches Tal, belebt von dem schönen Strome Tay, an dessen Ufern die Stadt Perth erbaut ist.

Wir machten von Perth aus eine kleine Ausflucht nach Scone Palace, dem ehemaligen Sitz der schottischen Könige, wo sich auch das Parlament versammelte; heutzutage eine Art Rattennest, eher einer alten Scheune als einem Palaste ähnlich.

Scone Palace gehört dem Lord Mansfield, als ein Geschenk König Jacobs des Zweiten an seine Familie. Der Besitzer wohnt hier immer noch von Zeit zu Zeit, obgleich das Haus so schlecht ist, daß mancher Krämer oder Makler schwerlich zu einem Sommeraufenthalt damit vorlieb nehmen würde. Ein neues Wohnhaus wird jetzt neben dem alten Gebäude erbaut, dieses aber mit aller Sorgfalt unverändert erhalten, die sein ehrwürdiges Alter und seine ehemalige hohe Bestimmung verdienen.

Man zeigte uns noch manches uralte Zimmer darin, manche verblichenen Reste ehemaliger königlicher Pracht. Das Bette, in welchem Maria Stuart während ihrer Gefangenschaft in jenem, jetzt in Trümmern liegenden Schlosse bei Edinburgh wohl oft vergebene Ruhe und Vergessen ihres Kummers suchte, wird hier wie ein Heiligtum aufbewahrt; auch eine Stickerei, die sie dort sehr mühsam und fleißig verfertigte. Mit Silber und Seide hat sie auf einem violett samtenen Vorhang eine Menge zerstreuter, mannigfaltiger Blumen gestickt; das Dessin ist steif, die Arbeit eine Art Kettenstich, sehr sauber und zierlich.

Eine lange, schmale, düstere Galerie diente dem schottischen Parlamente zum Versammlungsorte; wenn man sie sieht, wird es schwer, an ihre ehemalige große Bestimmung zu glauben, so unscheinbar ist sie. An der gewölbten, mit Holz bekleideten Decke bemerkt man Spuren von Malerei, die auch in ihrem glänzendsten Zustande sehr unbedeutend gewesen sein muß.

In einer alten, abgelegenen Kapelle im Garten, jetzt das Begräbnis der Familie Mansfield, wurden sonst die Könige von Schottland gekrönt.

Die Gegend zwischen Perth und Scone Palace ist sehr angenehm und reich. Auf dem Rückwege verweilten wir bei einer der großen Bleichereien, deren es hier viele gibt. Der Besitzer derselben war sehr willfährig, uns überall herumzuführen. Hier braucht's der Dampfmaschine nicht, um alle die verschiedenen Triebwerke in Bewegung zu setzen; das Wasser vertritt ihre Stelle auf eine weniger kostspielige Weise. Eine Baumwollspinnerei oben im Hause, das Stampfen der Leinwand und das Glätten derselben wird durch Wasser betrieben. Die letztere Behandlung des Leinenzeugs, besonders des Tischzeugs, schien uns merkwürdig. Die Waren erhalten hier einen Glanz, der alles Ähnliche, selbst den schönsten Atlas, weit übertrifft. Diesen bringt man dadurch hervor, daß das Stück Leinwand vermittelst eines Treibwerkes von einer großen hölzernen Walze auf die andere gerollt wird; diese zwei Walzen haben eine kleinere von Zinn zwischen sich, an welche sie so eng anschließen, daß die Leinwand nur mühsam beim Aufrollen sich dazwischen durchdrängen kann, und diese Reibung ist es, welche ihr den vorzüglichen Glanz gibt.

Wir waren entschlossen, von Perth aus eine Tour durch einen Teil der eigentlichen Hochlande zu machen. Die Wege in diesen sind, wenn auch nicht so gut wie im übrigen Königreiche, dennoch zum größten Teil fahrbar, seitdem man vor nicht langer Zeit die sogenannten Militärstraßen anlegte; aber Posten waren noch nicht eingerichtet, Pferde überhaupt selten; deshalb mieteten wir welche in Perth für die ganze Strecke Weges und reisten dem Gebirge zu.

Kenmore

Durch eine zuerst ziemlich flache, fruchtbare Gegend gelangten wir in ein Tal von erhabener Schönheit. Hohe, wilde Felsen umgeben es von beiden Seiten. So wie der Weg an ihrem Fuße immer in einer gewissen Höhe sich hinwindet, öffnen sich neue, entzückende Aussichten. Tief unten rauscht und wogt der ziemlich breite Strom Tay. Kleine Kornfelder und Baumgärtchen grünen und blühen an den Ufern, zwischen ihnen zerstreuen sich einzelne Hütten. In einem tieferen Winkel, heimlich zwischen die Felsen gedrängt, sahen wir ein Dörfchen; Scharen fröhlicher Kinder trieben darin ihr lautes Spiel, die Mütter spannen in den Türen, die Männer, in ihrer romantischen Tracht, waren in den Feldern und Gärten beschäftigt. Das ganze sah sehr fremd aus, und doch wieder so heimisch, so ruhig und zufrieden. Nachdem wir in einer Fähre über den Strom gesetzt waren, erreichten wir Dunkeld, und fanden gegen unsere Erwartung einen sehr guten Gasthof in diesem abgelegenen Winkel der Welt.

Immer noch am romantischen Ufer des Stroms Tay führte unser Weg nach Kenmore, einem Dörfchen, arm und klein wie alles in diesem Lande. Wir fuhren über Berg und Tal, zuweilen dicht an Abgründen hin, die uns schaudern machten. Bald näherten wir uns ganz dem Gestade des Stroms; bald sahen wir ihn völlig aus dem Gesichte; aber immer führte uns der sich auf mannigfaltige Weise schlängelnde Weg wieder in seine Nähe. Ein unnennbar freudiges Gefühl von Ruhe und Frieden bemächtigte sich unser in dieser stillen Abgeschiedenheit, wo klare, lebendige Wasser durch fruchtbare angebaute Täler rieseln und brausen, von hohen Bergen umfriedet. Diese starrten nicht, wie die von Derbyshire, rauh und nackt uns entgegen, schöne Waldungen bekleiden sie, fast bis zum höchsten Gipfel hinaus, und winken freundlich dem Wanderer in ihre erquickenden Schatten.

Der Anblick der armen Hütten, die wir einzeln in den Tälern, am Fuße der Felsen oder in der Nähe des Stroms zerstreut liegen sahen, würde uns schmerzhaft berührt haben, wenn die Bewohner mit ihrem kläglichen Lose weniger zufrieden geschienen hätten. Wir sahen große Armut, aber nicht eigentliches Elend. Jede Hütte hat ihr kleines Kartoffelfeld, das die Einwohner nährt, und einige Ziege und Schafe, von einer besonderen, sehr kleinen Rasse, fast wie die Heideschnucken auf der Lüneburger Heide, welche ihnen Milch, Käse und die notwendige Kleidung gewähren.

Die Häuser in den schottischen Hochlanden sind wohl die schlechtesten menschlichen Wohnungen im kultivierten Europa; so enge, daß man nicht begreift, wie eine Familie darin Platz findet, aus rohen Steinen, oft ohne allen Mörtel, nur zusammengetragen. Die Fugen sind mit Moos und Lehmerde verstopft, Türen aus Brettern schlecht zusammengeschlagen, ohne Schloß und Riegel (denn wer sollte hier Diebe fürchten?), Fenster, so klein, daß man sie kaum bemerkt, oft sogar ohne Glas. Die niedrigen Dächer von Schilf, Moos, Rasen, bisweilen auch aus Holz und Schiefer, haben oft statt des Schornsteins nur eine Öffnung, durch welche der Rauch abzieht. Das Innere dieser Hütten entspricht dem Äußeren. Menschen und Tiere hausen unter dem nämlichen Dache friedlich beisammen, nur durch einen schlechten bretternen Verschlag voneinander getrennt. In dem einzigen Zimmer des Hauses sieht man deutlich, bei dem fast gänzlichen Mangel allen Hausgeräts, wie wenig der Mensch zum Leben eigentlich braucht. Der Fußboden besteht aus festgetretenem Lehm; der große Feuerplatz, dicht auf der Erde, ohne alle Erhöhung dient zugleich zum Feuerherd und Kamin. Ein an einer Kette hängender Kessel über dem Feuer, einige hölzerne Schemel, ein groß zusammengezimmerter Tisch und in der Ecke ein Lager von Moos oder Stroh: das ist alles, was diese von aller Weichlichkeit entfernten Menschen zu ihrer Bequemlichkeit haben.

Das Ansehen der Männer ist wild, und ihre fremde Kleidung, die so sehr von jeder anderen europäischen abweicht, ist zum Teil schuld daran. Im Umgange verliert sich der Eindruck gänzlich, den ihr erster Anblick erregt. Ihr von Luft und harter Arbeit gebräuntes Gesicht ist ausdrucksvoll, seine Züge sind angenehm und regelmäßig. Stiller, an Trauer grenzender Ernst scheint der Grundton ihres Wesens; dennoch können sie sehr fröhlich sein. Sie sind gebildeter, als man vermuten möchte. Die Geschichte ihrer Väter und ihre Heldengesänge sind keinem fremd. Fast in jeder Hütte, in welcher wir einkehrten, sahen wir eine Bibel, ein Gebetbuch, auch wohl irgend eine alte Chronik, aus welchen der Hausvater sonntags die Seinen erbaut. Winters mögen die Wege den Besuch der Kirchen sehr erschweren, doch kann gewiß nur die Unmöglichkeit den frommen Bergschotten davon abhalten, obgleich die meisten einen sehr weiten Weg dahin zu machen haben.

»Wir beten und spinnen!« antwortete mir ein junges, schönes Mädchen auf die Frage: »Was tut ihr denn winters, wenn Kälte und Schnee euch in euren Hütten gefangen halten?«

In jedem Hause beinah hängt der Stammbaum der Familie, auf welchen sie oft mit Stolz blickten; gewöhnlich ist ein horizontal liegender geharnischter Ritter darauf abgebildet, der oft den Namen irgend eines alten schottischen, der Fabel halb verfallenen Königs führt. Aus seiner Brust sprießt der Baum, der sich in unzählige Äste verbreitet. Bekanntlich gibt's nur wenige, aber unendlich zahlreiche Familien in Schottland, deren Glieder alle einen Namen führen, sich in allen drei Königreichen, ja sogar in der ganzen Welt ausbreiten, aber doch durch ein heiliges Band sich vereinigt fühlen und dies gewissenhaft anerkennen, wo sie sich treffen, wenn sie sich treffen, wenn sie sich auch vorher nie sahen.

In Kenmore nahm uns abermals ein guter Gasthof auf, umringt von etwa zwanzig solcher Hütten, wie wir oben beschrieben. Sie machten das ganze Dorf aus. So klein sind alle Dörfer, die einzelnen Wohnungen liegen sehr zerstreut, oft meilenweit voneinander.

Killin

Eine sehr kleine Tagesreise von Kenmore liegt Killin. Von ersterem Orte an wurden die Felsen immer höher und wilder. Wir fuhren an ihrer Seite hin, fast immer im Angesichte des Stroms. Dieser ward nun zum See Loch Tay. Drohende, starre Felsen erhoben sich furchtbar über unserem Haupte, immer höher und höher übereinander, während wir den längs dem Ufer des Sees sich hinwindenden Weg verfolgten. Wolken in seltsamer Gestalt umlagerten die höchsten Gipfel der Berge und wogten im Winde, kamen und schwanden, alles um uns war feierlich, groß und einsam. Wir erstiegen, geführt von einem Einwohner des Tales, den Gipfel eines Berges. Unsere Führer nannten ihn uns Ben Lawers. Die Aussicht oben war eine der einsamsten der Welt, wir erblickten nur andere kahle, schauerliche Felsen und zwischen ihnen dunkle einsame Täler. Ben More, der höchste Berg in Schottland, drohte aus der Ferne, das Haupt in graue Nebel gehüllt. Herden von jenen kleinen Schafen, geführt von einem einsamen Knaben, belebten allein die feierliche Wüste.

Wir kehrten zurück zum Loch Tay und erreichten bald Killin, ein einsames, ziemlich ansehnliches Haus, umgeben von einigen, hart am Ufer des Sees erbauten Hütten. Die Flüsse Dochart und Lochay fallen hier in den See und bilden in sanften Krümmungen kleine Halbinseln. Das Tal, welches diesen einschließt, ist so grün, Bäume und Sträucher wachsen in so üppiger Fülle, wie wir es nimmer in diesem nördlichen Winkel der Welt erwarten konnten. Alles ist angebaut wie ein Garten, kleine wogende Kornfelder wechseln mit Kartoffelbeeten, und steinerne Einfassungen schützen die Felder gegen Beschädigung durch Tiere des Waldes und der überall weidenden Schafe. Hohe Felsen umgeben dies liebliche Plätzchen, als wollten sie es wie ein schönes Geheimnis den Augen der Welt verbergen. Lange hielt uns noch die herrliche Aussicht auf Fels und Tal am großen Erkerfenster im Gasthofe zu Killin fest. Sie ist als eine der schönsten in diesem Lande berühmt, wie unzählige Inschriften, in Prosa und in Versen, an diesem Fenster verkünden, und wahrlich, sie verdient diesen Ruhm.

Der See bildet gerade vor dem Hause eine kleine, wunderschöne Bucht, ein einsamer Kahn durchschnitt die silberne Fläche in mannigfaltigen Wendungen. Bäume und Sträuche spiegelten sich im klaren Wasser, die Felsen glühten ringsumher im Abendbrot, die Nebel, welche ewig ihre Gipfel umwogen, glänzten wie Purpur und Gold, und aus dem Kahn zu uns herüber tönten die klagenden Mollakkorde eines schottischen Volksliedes durch die feierliche Stille der sinkenden Nacht.

Während wir in stiller Freude an diesem Fenster verweilten, besorgten unsre treuherzig freundlichen Wirte alles auf's Beste, wessen wir bedurften. Bald dampfte eine köstliche Lachsforelle auf dem Tisch, die Beute jenes Fischers, dessen einfaches Lied wir eben belauscht hatten. Diese Bewohner der schottischen Seen sind von einer ganz eigenen Gattung; sie verdienten wohl, daß unsere modernen Gastronomen einzig um ihretwillen Wallfahrten nach Schottland anstellten, denn selbst die berühmten Forellen in der Schweiz werden an Vortrefflichkeit von ihnen übertroffen.

Nahe bei Killin, auf dem Wege nach Tyndrum, kamen wir am folgenden Morgen an einem Wasserfall vorbei. Von einer beträchtlichen Höhe eilt er dem stillen Loch Tay zu, wild einherbrausend und schäumend über abgerissene Felsentrümmer. Seit Jahrhunderten schon glänzen seine Tropfen gleich Tränen auf den grünbemoosten Steinen eines ganz nahen Heldengrabes der Vorzeit, und sein Rauschen ertönt wie der Nachhall der Bardenlieder, die einst hier, mit ihm wetteifernd, die Taten des Toten besangen und seinen Geist in die ewigen Hallen der Väter geleiteten.

Weiterhin wurden die Felsen immer schroffer und höher, öder und einsamer die ganze Gegend umher. Wilde Bergwasser rieselten von allen Bergen und stürzten hinab ins Tal, durch welches bald silberhell, bald wild tobend ein starker Bach sich wand. Nur selten erinnerte uns in dieser Wildnis ein kleines Kornfeld, eine niedrige Hütte, daß in dieser abgeschiedenen Einsamkeit noch Menschen leben.

Hier erscheint die Natur, wie Ossian sie malte, die Ströme, die Felsen, die uralten einzelnen Eichen. Der Wind heulte über die Heide, die Distel wiegt ihr Haupt im Sturme am Grabe der alten Krieger. Die vier grauen, bemoosten Steine erheben sich noch einsam am Hügel der Helden und verkünden stumm dem stillen Wanderer die Geschichte vergangener Jahrhunderte. Viele solcher alten Denkmale sahen wir, von den Urenkeln der Helden, deren Asche sie umschließen, mit Ehrfurcht geschont und bewahrt. König Fingal ruht, der Sage nach, in diesem Tale, im tiefen, dunklen Bette, und die Einwohner glauben, die geheiligte Stätte noch bezeichnen zu können. Ossians, seines Sohnes, Name und Lieder sind zwischen diesen Felsen noch nicht verhallt, und die Geister der Helden können noch immer von ihrem Wolkensitze der alten wohlbekannten Töne sich erfreuen.

Wir erreichten Tyndrum, einen fast ganz allein liegenden Gasthof, in einer schauerlich wilden Einöde, auf der höchsten bewohnten Höhe der schottischen Hochlande. Der Regen stürzte jetzt in Strömen herab. lange sahen wir zu, wie die schweren Wolken an den Bergen hinrollten, einzelne Streifen von Sonnenlicht bisweilen auf Momente die nackten Gipfel der Felsen verklärten und der Wind den Regen wild herumpeitschte. Gegen Abend klärte sich das Wetter auf, wir erfreuten uns des wunderbaren Spiels der Wolken, der Wirkung des schnell erscheinenden und wieder verschwindenden Sonnenlichts an den Bergen. Im flachen Lande kann man sich keinen Begriff von diesen magischen Erscheinungen machen. Die schweren Regenwolken schienen wie eine dunkle Decke auf den höchsten Gebirgen zu lasten, leichteres Gewölk zog sich wie ein heller Schleier um andere, tiefere Berge, verdeckte sie in diesem Momente ganz, rollte sich dann zusammen und verschwand im nächsten, oder zog pfeilschnell dahin in wunderbaren Gestalten, im ewigen Kampfe mit Sonnenlicht und Sturm, unendlich wechselnd mit Licht und Farbenspiel.

Dalmally

Der Weg von Tyndrum hierher war schlechter wie bisher, doch immer noch fahrbar, die Wildnis noch schauerlicher und öder. Nur das Rauschen der von den kahlen Felsen schäumenden herabstürzenden Bergströme tönte durch die leblose Stille der öden Heide. Hie und da klommen einige Schafe an den mit spärlichen Berggräsern und Heidekräutern bekleideten Felsen, einsam und traurig blickte dann und wann ein Hirtenknabe von den Höhen herab auf unseren Wagen, der ihm eine seltene Erscheinung sein mochte; jede andere Spur des Lebens war verschwunden.

Viele halb versunkene alte Gräber zeigten, daß sonst ein mächtigeres Leben hier waltete. Am Himmel war geschäftige Bewegung, Nebel und Wolken und Sonne trieben immer noch ihr wunderbares Spiel.

Dalmally ist ein so kleines Dorf wie die anderen: es besteht aus einer handvoll armer Hütten und wieder aus einem für diese abgelegene Gegend sehr guten Gasthofe. Hier sahen wir die erste Kirche in den Hochlanden. Kaum konnten wir sie von den übrigen Hütten unterscheiden, so arm und klein ist sie. Der sie umgebende Gottesacker entdeckte sie uns zuerst. Nur wenige Grabhügel erhoben sich in dem kleinen Bezirke.

Man stirbt beinahe gar nicht in diesem Lande, diese einfachen Menschen erreichen ein hohes, glückliches Alter. Mit sechzig Jahren dünken sie sich noch gar nicht alt, sie gehen bis an das von der Natur ihnen vorgeschriebene Ziel, und nur mit dem letzten Tropfen Öl erlischt still und fast unbemerkt das Lebenslicht. Wir sahen in diesem Dorfe einen Mann von hundertdrei Jahren, seine Nachbarn gaben ihm sogar deren hundertelf und beschuldigten ihn, daß er sich jünger angebe, als er sei. In unseren kultivierten Ländern hätte man ihm deren höchstens sechzig zugetraut. Vor vierzehn Tagen hatte er eine Frau von vierzig Jahren geheiratet, an seinem Ehrentage ein Tänzchen gemacht und drei Lieder auf der Sackpfeife gespielt, denn er galt noch immer für einen der ersten Virtuosen auf diesem Lieblingsinstrument der Schotten.

In diesem Dorfe wurden wir auf das lebhafteste an Ossian erinnert. Ein Greis, in der Nationaltracht, saß auf einem Steine nahe am Kirchhofe; sein langer, schneeweißer Bart flog im Winde, sein Ansehen war wild, ein Paar dunkle Augen glühten unter einem hohen, kahlen Scheitel hervor; der Plaid hing phantastisch von den Schultern herab, wie ein Mantel; zwischen den Knien hielt er eine kleine Harfe, aus der er unzusammenhängende Akkorde wie mit Gewalt einzeln hervorriß. Mit starker, tiefer Stimme sang er dazu alte Volksgesänge; sein Gesang war eintönig, fast mehr Deklamation als Lied. Um ihn her war das ganze Dorf versammelt, unter ihnen auch der hundertjährige Greis; alles hörte feierlich aufmerksam zu. Unser Nähertreten störte weder den Sänger noch seine Zuhörer im geringsten, nur machten sie uns mit natürlicher Höflichkeit Raum in ihrem Kreise. Man sagte uns, der Greis sei ein Sänger, der mit seiner Harfe das Land durchziehe, ohne eigentliche Heimat, aber überall ein willkommener Gast, wie sonst die alten Barden. Leider konnten wir mit ihm nicht sprechen, denn er verstand nicht Englisch. Überhaupt trafen wir seit einigen Tagen selten jemanden, der Englisch sprach oder es auch nur verstand, außer in den Gasthöfen.

Inverary

Über steile, unwirtbare Berge ging es weiter. Plötzlich senkte sich der Weg; ein großer silberner See breitete sich vor unseren erstaunten Blicken aus; es war Loch Awe. Frische schöne Bäume, kleine Gärten vor den Hütten des Landmanns und Getreidefelder begrenzten seine Ufer.

Vierundzwanzig englische Meilen lang streckte er sich hin durch das grünende Tal, viele kleine Inseln erheben aus seinen Fluten die Felsenstirnen. Eine darunter zeichnet sich durch phantastisch geformte hervorragende Massen aus. Von fern glichen sie Überresten alten Gemäuers, selbst mehr in der Nähe konnten wir nicht entscheiden, ob es Felsen oder Ruinen wären. Kein Kahn war in der Nähe, uns hinüberzubringen; auch schienen die Ufer zum Landen zu schroff. Einige Einwohner, denen wir begegneten, verstanden unsere Sprache nicht. Unbefriedigt über diesen Punkt mußten wir weiter, aber der Anblick des Sees und seiner schönen Ufer erfreute uns umso lebhafter, als wir mehrere Tage lang die Natur in ihrer furchtbaren Größe angestaunt hatten. Im Gasthofe zu Inverary erfuhren wir später, daß jene Felsenblöcke wirkliche Überbleibsel eines uralten, zu den Besitzungen des Lord Breadalbane gehörenden Schlosses seien. Nur bei sehr hohem Wasserstande, wie jetzt, erscheint der Fels, den sie krönen, einer Insel gleich; sonst hängt mehr mit dem Ufer zusammen.

Zu bald mußten wir uns von dem herrlichen See wegwenden, um steilere Felsen als zuvor zu erklimmen; alles um uns ward wieder still, groß und schauerlich. Abermals senkte sich nun der Weg, frisches Laubgehölz nahm uns auf in seine freundlichen Schatten; bald sahen wir uns in einem schönen englischen Park, angestaunt von zahmen Rehen, die am Wege standen. Mitten drinnen ein gotisches Schloß mit vier runden Ecktürmen.

Wir befanden uns jetzt in einer wahrhaft paradiesischen Gegend. Vor uns lag das schöne große Schloß Inverary, der Sitz des Herzogs von Argyle, mitten in einem durch herrliche Bäume und Büsche verschönten fruchtbaren Tale. Lustpfade schlängeln sich nach verschiedenen Richtungen hindurch, alle lockend und lieblich. Im Hintergrunde erheben schöne waldbewachsene Felsen das stolze Haupt, seitwärts dem Schlosse winkt der eigentliche Garten voll blühender Rosenbüsche; die zahmen Rehe schleichen neugierig um das leichte Geländer, das ihn umgibt; auf der anderen Seite erhebt sich ein hoher, schroffer Felsen von wunderbar drohender Gestalt. Seine Spitze krönt ein Pavillon, zu welchem man ohne sehr große Beschwerden auf bequemen Pfaden steigt und dort eine Aussicht von unendlicher Schönheit genießt, die alles vereint, was die Natur Erhabenes und Freundliches darbietet. Kornfelder, Wiesen, Gebüsch füllen in der reizendsten Mannigfaltigkeit das übrige Tal.

Vom Schlosse an erstreckt sich eine schöne Wiese bis hinab an den Loch Fyne. Dieser ist eigentlich ein schmaler Meerbusen, der hier tief in das Land hineinläuft. Eine schöne Brücke wölbt sich dicht am Schlosse über ihn. Nahe und ferne Berge dehnen sich an beiden Ufern hin. Die Länge des Loch Fyne ist dem Auge unübersehbar, das ferne Meer, dem er angehört, begrenzt ihn; grün wie dieses spiegelt seine dunkle Fläche, kleine, weiße Wellen hüpfen wie im Tanz und schaukeln lustig die Fischerboote, kleine Schiffe und Barken, die darauf schwimmend der Szene neues frisches Leben geben.

Dem Schloß seitwärts über der Brücke liegt das Städtchen Inverary, mit dem kleinen Hafen voll Fahrzeugen mancher Art. Es hat ein sehr zierliches, nettes Ansehen mit seinen geraden Straßen und den weißen hübschen Häusern, unter denen der Gasthof sich stattlich erhebt. Alles sieht aus, als wäre es erst gestern fertig geworden. Und so ist's beinahe auch. Sonst lag die Stadt dem Schlosse gegenüber, aber der Herzog, dem sie an der Stelle die Aussicht zu verderben schien, ließ sie abtragen und an ihrem jetzigen Platze wieder aufbauen. So etwas kann man denn doch wohl nur in Großbritannien erleben.

Arrochar

Von Inverary bis Cairndow fuhren wir neun englische Meilen auf schönem ebenen Wege durch ein fruchtbares, angebautes Tal, fast immer längs dem Ufer des Loch Fyne. Wir hätten geglaubt, irre zu fahren, wenn das hier möglich wäre, wo nur eine fahrbare Straße durch das Gebirge führt: denn der Kastellan im Schloß von Inverary hatte uns den Weg, welchen wir jetzt nehmen mußten, als den fürchterlichsten im ganzen Lande beschrieben; dunklere Klüfte, steilere, öde Felsenberge sollten wir noch nicht gesehen haben, besonders sprach er viel von einem hohen Berge, er nannte ihn rest and be thankful, ruht und dankt.

Gleich hinter Cairndow merkten wir indessen gar wohl, daß wir uns auf dem rechten Wege befanden. Das Steigen begann, der See, das schöne Tal und alle Anmut der Gegend verschwanden unserem Blicke. Mehrere Stunden hindurch ging es immer höher und höher, über nackte Felsen, durch dunkle enge Klüfte, zuweilen durch düstere Täler, dann wieder hoch auf Bergen. Nur feines grünes Moos deckt wie ein Teppich das Gestein, sonst keine Vegetation, kein Leben, Totenstille und öde Einsamkeit herrschten ringsumher. Kein Laut ertönt in diese Wüste als das Brausen der Felsenbäche, die hin und wieder hinabstürzen; keine Spur menschlichen Daseins ist sichtbar, außer zuweilen eine jener armen Hütten, neben dem schäumenden Bache in eine Felsenecke gedrückt, einsam verloren. Diese traurigen Wohnungen machen die Einsamkeit noch auffallender. Im Winter müssen ihre Bewohner, ausgeschlossen von aller Möglichkeit, zu Menschen zu kommen, ein Leben führen wie auf einer wüsten Insel, und noch verlassener hier in diesem Lande, wo der Himmel auch im Sommer nicht freundlich lächelt. Dennoch verändern sie ihren Aufenthalt nie. Bei aller Öde trägt diese Gegend aber auch den Charakter unbeschreiblich erhabener Größe. Die mächtigen Felsen stehen ringsumher wie anbetende Riesen, in schauerlichem Schweigen; die rote Blüte des Heidekrauts bedeckt ihre kolossalen Konturen mit einem Purpurmantel, ohne sie zu verhüllen; ihre Häupter sind umwogen von ewigen Nebeln, die ihm Sonnenstrahl zur Glorie werden; ein leiser, feuchter Duft schwebt über Berg und Tal, mit magischem Schimmer alles harmonisch vereinend.

Endlich hatten wir den steilsten Gipfel des Weges erreicht; rest and be thankful lasen wir auf einen Stein gegraben und daneben die Namen der Regimenter, welche unter der Leitung ihrer Obern diesen Weg bahnten.

Hier begegneten wir dem einzigen Wanderer auf dem ganzen Wege durch diese Wüste, einem jungen, raschen, in seinen Plaid gehüllten Hochländer. Er sprach ein wenig Englisch und half uns bereitwillig, eine nahe Anhöhe zu ersteigen, wo eine ausgebreitete Ansicht sich uns eröffnete.

Doch übersahen wir die imposanten Massen, die schwarzen zackigen Kronen unzähliger anderer, von aller Vegetation entblößter Berge; die Wasserfälle, die von ihrer Seite herabtanzen und sich in dunklen Tiefen verlieren, ohne daß wir ihr Brausen auf dieser Höhe vernehmen konnten. Zwischen diese Felsen eingeklemmt liegt auch das schauerliche Tal Glencoe, dessen Einwohner zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in einer Nacht unter dem meuchelmörderischen Schwerte der nach Rache dürstenden Engländer fielen, weil sie mit Treue dem Könige anhingen, den sie als den einzigen rechtmäßigen Erben der schottischen Krone anerkannten.

Wie Vogelnester erschienen von hier aus die wenigen kleinen Wohnungen am Fuße der Felsen oder am Eingange der schauerlichen, düsteren Täler, die so enge sind, daß sie, größeren Felsspalten gleich, wohl nur wenig Stunden des Tageslichts sich erfreuen. Hin und wieder sahen wir auch in der Ferne Herden jener kleinen Schafe kümmerlich die Spitzen der Heidekräuter benagen. Nur auf einem Punkte schimmerte uns dunkelblau ein Wasser und etwas Grün entgegen: es war Loch Long, an dessen Ufer Arrochar liegt, das Ziel unserer heutigen Reise. Nun ging es tief hinab, immerfort über öde Felsen, durch düstere Klüfte und enge Täler, bis zu den Ufern des Loch Long, der wie ein Strom sich durch ein Felsental windet.

Dieser See ist eigentlich ein hier tief in das Land sich erstreckender Arm des atlantischen Meeres. Steile Felsen steigen senkrecht aus seinen salzigen Fluten und streuen ewig dunkle Schatten über sie hin, während auch im Sonnenscheine die Bergwasser glänzen, die von hohen Gipfeln hinab von allen Seiten zueilen.

Arrochar, ein einzelner Gasthof, von wenigen Hütten umgeben, liegt hart am Ufer des Sees. In früheren Zeiten war dieses Haus der Sitz einer edlen Familie, und noch immer erkennt man in dessen Bauart die Spuren jener höheren Bestimmung.

Loch Lomond

Wenige Meilen von Arrochar gelangten wir durch Schluchten, welche sich zwischen hohen Bergen eng hinwinden, an die Ufer dieses schönsten und größten Sees in den Hochlanden. Ländliche Anmut und erhabene Größe wechseln in seinen Umgebungen. Bald scheinen die prächtigen, größtenteils waldbewachsenen Berge sich um ihn zu drängen, als wollten sie sich in seinen klaren Fluten spiegeln; dann treten sie wieder zurück, und Wiesen und Felder umgeben das glänzende Gewässer.

Zuerst empfing uns ein frischer, grüner Wald am Ufer; unter hohen Laubgewölben fuhren wir hin und freuten uns des Silberglanzes im See und der mannigfaltigen Reflexe. Ein hoher Berg, einer der höchsten, über die wir bis jetzt gekommen waren, stellte sich uns in den Weg; wir erreichten seinen Gipfel, der Weg senkte sich, und vor uns, unabsehbar breit, in aller seiner hohen Pracht, lag der ganze, herrliche See da, besät mit kleinen und größeren grünenden Inseln, zwischen denen Fischerboote hindurchruderten. Millionen weiße, sich kräuselnde Wellchen belebten die silberne Fläche, aus der auf der anderen Seite der mächtige Ben Lomond senkrecht emporsteigt, bis zu den Wolken, die sein Haupt verhüllen.

Die ganze Gegend ist von so wunderbarer Schönheit, daß jeder Versuch, sie zu beschreiben, vollkommen zwecklos wäre; aber nie werden wir den Tag vergessen, den wir an diesen Ufern verlebten.

Unsere Herberge in dem hart am See erbauten Dörfchen Luss, leider dem letzten Orte in den Hochlanden, durch den wir kamen, war indessen gar nicht erfreulich. Eine Gesellschaft betrunkener Bergschotten hatte sich in einem der unteren Zimmer einquartiert und tanzte zu einer verstimmten Violine und einem Dudelsack, ganz unter sich, ohne Frauenzimmer, auf's lustigste herum. Die Mädchen hatten nicht bleiben wollen, das hinderte aber die Männer nicht, dennoch ihre Nationaltänze aufzuführen und sich vortrefflich dabei zu divertieren. Das pferdemäßige Stampfen, das Freudengekreisch bei irgend einem wohlgelungenen Sprunge würde uns in's Freie getrieben haben, wenn uns die himmlische Gegend nicht herausgelockt hätte. Nur für die Nacht war uns bange, und nicht ohne Grund. Unser Wirt war ebenfalls betrunken und dabei so gesellig, daß wir ihn alle Augenblicke aus dem Zimmer komplimentieren mußten. Seine Tochter, ein sehr hübsches Mädchen, erschien uns dabei recht interessant; sie gab sich alle Mühe, den Vater zur Ruhe zu bringen, und doch mit so zarter Schonung, immer strebend, das kindliche Verhältnis nicht zu verletzen, und wieder wie beschämt, daß wir, die Fremden, die so weit herkamen, ihre Berge zu sehen, ihn in solchem Zustande treffen und dadurch an Bequemlichkeit leiden mußten.

Glasgow

Hinter Luss ward die Gegend allmählich flacher, der Weg besser; alles kündigte uns an, daß wir das Land der Poesie verlassen und zurückkehrten zum platten Lande mit seinem Alltagsleben. In Dumbarton schieden wir von unserem Fuhrmanne und seinen vier treuen Rossen, die uns über so manchen hohen Berg, durch so manches friedliche Tal geführt hatten. Wir nahmen Abschied von den Hochlanden, aber die Erinnerung davon blieb uns. Sie reiht sich an so manche andere schöne Erinnerung aus der Schweiz und aus vaterländischen Gebirgen, von denen diese, die wir jetzt verließen, sich indessen so merkwürdig als merklich unterscheiden.

Die Gegend von Dumbarton ward als schön gerühmt; unsere Phantasie war nur von der nächsten Vergangenheit noch zu sehr erfüllt, als daß wir sie genau beachten konnten. Die Lage des Städtchens schien uns indessen sehr freundlich. Ein hoch darüber emporragender Fels, dessen steilen Gipfel ein festes Schloß krönt, nimmt sich malerisch aus mitten in der wasserreichen Ebene, deren Horizont die dunklen Gebirge umgrenzen, welche wir eben verlassen hatten. Mit Postpferden langten wir gegen Abend in Glasgow an.

Die Stadt ist ziemlich groß; schöne breite Straßen und Plätze, sehr hübsche, von Quadersteinen erbaute Häuser erinnerten uns an Edinburgh. Auch hier fanden wir wie dort in allen Häusern breite steinerne Treppen, mit eisernen Geländern versehen; ein Luxus, auf welchen die Einwohner sehr stolz sind und ihn bei jeder Gelegenheit als großen Vorzug vor London preisen. Dort, meinen sie, könne man in einem oberen Stockwerke keine Nacht ruhig schlafen, weil man, wenn Feuer im Hause auskäme, in der entsetzlichsten Gefahr wäre, elendiglich umzukommen.

Gleich bei unserem Eintritte in den Gasthof erhielten wir eine lustige Probe der hiesigen Industrie. Ein Gentleman ließ uns auf das dringendste um die Erlaubnis bitten, uns in unserem Zimmer besuchen zu dürfen. Da wir endlich nachgaben, erschien ein sehr höflicher Herr mit ein paar dicken Büchern unter dem Arme und erbot sich, als Sprachmeister uns Englisch zu lehren; er hatte vernommen, daß wir beim Aussteigen aus dem Wagen ein paar Worte Französisch untereinander sprachen, und hielt uns folglich für eine ausgewanderte französische Familie, der er seine Hilfe notwendig anbieten müsse.

Glasgow ist weit lebhafter als Edinburgh, denn Handel und Wandel sind hier zu Hause; übrigens aber konnte uns niemand, soviel wir uns auch erkundigen mochten, irgend ein merkwürdiges Gebäude oder sonst einen Gegenstand angeben, welcher für ein nicht kaufmännisches Gemüt näherer Betrachtung würdig gewesen wäre. Wir ruhten also, im eigentlichsten Sinne des Worts, die wenigen Tage, die wir hier zubrachten; denn die Fabriken, die man uns zu zeigen sich erbot, wären doch nur Wiederholungen des schon Gesehenen gewesen. Dazu regnete es unbarmherzig die ganze Zeit über, wir sahen es mit Vergnügen regnen und dankten dem Himmel, daß er diese Sintflut nicht in den Hochlanden über unsere Häupter herabströmen ließ.

Unter den Einwohnern Glasgows war uns wohl: gastfrei, anständig, zwanglos im Umgange, gebildet, vereinigten sie die guten Eigenschaften, die wir schon an ihren Landsleuten rühmten, mit der Wohlhabenheit und allem vernünftigen Luxus, welchen der hier blühende Handel nur gewähren kann.

Die Fälle des Stromes Clyde

Durch eine der reizendsten Gegenden Schottlands reisten wir weiter nach Lanark, um die berühmten Wasserfälle des Clyde zu sehen. Am Abhange hoher, zum Teil mit Wald bekleideter Felsen wand unser Weg sich hin; wir blickten hinab auf ein fruchtbar angebautes Tal, durchschlängelt vom schönen Strome Clyde; Gehölze, Äcker, Landsitze, Dörfer wechselten höchst anmutig.

An einer Stelle, wo dichtes Gehölz uns den Anblick des laut brausenden Stromes verbarg, stiegen wir aus und gingen einen sehr steilen und schlüpfrigen Flußpfad hinab bis an das Ufer des Stroms. Ganz in Schaum verwandelt stürzt er hier laut brausend von einer beträchtlichen Höhe hinab, über große Felsstücke, und windet sich dann zürnend und schäumend weiter durch das liebliche Tal. Die hohen, malerischen Felsen, bekränzt mit schönem Gesträuche und hohen Bäumen, von welchen wieder leichtere Efeukränze hinflattern in der vom donnernden Fall ewig bewegten Luft, die große Wassermasse, die hier herunterstürzt, der Kontrast des Schaumes, weißer als Schnee, mit dem dunklen, im ewigen Tau stets frischen Grün, die Millionen Tropfen, die wie Diamanten im Abendstrahle blitzten, alles entzückte uns und hielt uns lange fest. Wasserfälle soll man aber nicht malen, weder mit dem Pinsel noch mit der Feder; die Wahrheit dieser Bemerkung fühlt man am lebhaftesten, wenn man den Versuch wagt.

Ziemlich spät langten wie in Lanark an. Den folgenden Morgen setzten wir unsere Reise fort nach Douglasmill, zu den beiden anderen größeren Fällen des Stroms.

Die Gegend zwischen Lanark und Douglasmill gehört zu den schönsten im unteren Schottland. Eine Meile ging es über Berg und Tal durch frisches, dichtes Gehölz hin; nun erstiegen wir mühsam einen ziemlich hohen Berg, höhere Felsen drohten über ihm gen Himmel. Als wir oben waren, erschreckte uns die fürchterlich schönste Ansicht, die wir jemals sahen: jeder Blick hinab war schwindelerregend, und doch war's unmöglich, nicht immer hinzusehen. Hart am Rande eines tiefen steilen Abgrunds fuhr unser Wagen, keine Handbreit Raum zwischen uns und dem schrecklichsten Untergange. Ein Fehltritt der Pferde, der kleinste Unfall am Wagen wäre unvermeidlicher Tod gewesen; es war unmöglich, den Wagen halten zu lassen, unmöglich an der Felsenwand, an welcher wir hinfuhren, auszusteigen; dennoch vergaßen wir alle Gefahr bei dem Anblicke des wunderschönen Tales, das uns viele Klafter tief im Glanze der Morgensonne entgegenschimmerte, durchströmt vom Clyde, der zögernd zwischen den blühenden Gärten und fruchtbaren Feldern sich fortwand.

Eine kleine Stadt liegt mitten im Tale, nicht weit davon drei oder vier große ansehnliche Gebäude mit schönen Gärten. Es sind Baumwollspinnereien, deren Maschinen hier wie in Perth vom Wasser getrieben werden. Wir sahen die Räder behend sich drehen, die kleinen Fälle, welche durch diese veranlaßt werden, blitzten wie flüssiges Silber; aber wir hörten nicht ihr Geräusch, es war zu tief unter uns.

Jetzt senkte sich der Weg den Berg hinunter; dichtes Gehölz empfing uns wieder in seine Schatten, laut hörten wir den Strom donnern, und bald hielten wir vor einem Garten stille. Wir traten hinein, erstiegen einen kleinen Hügel, und vor uns stürzte der Strom, weit wasserreicher und majestätischer als gestern, über wilde hohe Felsen; noch einige Schritte weiter hinauf, und wir sahen ihn abermals über noch höhere Felsen, in noch tiefere Abgründe gewaltig herabbrausen. Er fällt von einer so steilen Höhe, daß er einen Bogen bildet; wer es wagen will auf dem schlüpfrigen Boden, kann zwischen dem Felsen und der großen Wassermasse hingehen. Unten in dieser kristallenen Grotte ist man wie im Nixenreiche; es muß ein betäubendes Gefühl sein, dazustehen und dieses ungeheure Toben und Wogen über seinem Haupte, vor seinen Augen zu haben, ja von allen Seiten davon umgeben zu sein; aber selten nur wagt jemand sich hinab, der bloße Anblick des Wagestücks schreckt zurück.

Als wir den Garten verließen, fuhren wir an einem schönen Landhause vorbei, zu welchem er zu gehören scheint; wir wünschten dem Besitzer desselben Sinn für sein Glück.

Nichts hinderte uns, des Gesehenen im Nachgenuß uns zu erfreuen, denn öde und traurig war die Gegend bis Douglasmill, einem kleinen, elenden Neste; ebenso bis Elvanfoot, einem noch elenderen Winkel, und immer so weiter, bis wir gegen Abend in dem artigen Städtchen Moffat ankamen. Hier fanden wir eine freundliche Wirtin in einem sehr guten Gasthofe und ruhten aus von den Freuden und Leiden des vergangenen Tages.

Moffat ist ein kleiner, von den Schotten häufig besuchter Badeort; die hiesigen Heilquellen werden für sehr wirksam gehalten, nur konnten wir nicht erfahren, für welche Gattung von Übeln sie eigentlich gebraucht werden. Für die Langeweile wohl nicht, wie so manche andere Bäder. Die Lage des Ortes ist angenehm, und das Städtchen selbst sieht sehr freundlich aus; aber wir bemerkten keine Anstalten zu den hergebrachten Badelustbarkeiten, weder zu Assembleen, noch zu Bällen, noch zu Schauspielen, und schlossen daraus, daß wohl nur Kranke herkommen, denn für körperlich Gesunde scheint nicht gesorgt zu sein.

Über Lockerbie kamen wir den folgenden Tag nach Gretna Green, einem kleinen Dorfe, dem letzten auf der schottischen Grenze. Unbedeutend, wie es aussieht, ist es dennoch ein Ort von großer Wichtigkeit. Hunderte bereuen es lebenslang, sich einmal unbesonnen hingewagt zu haben. Gretna Green ist der Schrecken aller Eltern, Vormünder, Onkel und Tanten in England, die reiche oder schöne Mädchen zu hüten haben; der Trost und die Hoffnung aller Misses, die in Pensionen sich Kopf und Herz mit Romanlektüre anfüllen, der Hafen, nach welchem alle Glücksritter zusteuern, die besonders aus Irland mit leerem Beutel und vakanten Herzen nach Bristol, Bath, auch wohl nach London kommen, um mit Hilfe des kleinen blinden Gottes und seines oft noch blinderen Bruders endlich ein solides Glück zu machen.

In Gretna Green wohnt nämlich der alte berühmte Hufschmied, der die unauflöslichsten Ketten schmiedet. Er ist dort Friedensrichter, und dies Amt macht ihn zu einer sehr wichtigen Person. Denn in Schottland braucht es zu einer ganz legalen Trauung keines Aufgebots, keiner Einwilligung der Eltern, keines Priesters. Das liebende Paar geht zum ersten besten Friedensrichter, versichert, es sei frei und ledig, auch nicht in verbotenem Grade verwandt, und wird von ihm ohne weitere Umstände getraut. Diese Trauung ist so gültig und vor allen britischen Tribunalen so unauflöslich, als wäre sie von dem ersten Bischof im Lande vollzogen. Wer also in England, wo andere Gesetze gelten, ein von irgend einem widerwärtigen Argus bewachtes Liebchen hat, der nimmt die erste Gelegenheit wahr, packt es in eine Chaise, mit vier raschen Pferden bespannt, und galoppiert damit fort, nach Gretna Green, dem nächsten schottischen Grenzorte, wo oben erwähnter Hufschmied Tag und Nacht bereit ist, sein Amt um ein Billiges zu verwalten.

Im Gasthofe, wo wir abstiegen, wollte die Wirtin nicht gern von diesen Dingen sprechen, kaum, daß sie uns das Haus des Hufschmieds von weitem zeigte; gern hätte sie alles abgeleugnet, aber Mauern und Fenstern sprachen von diesem Geheimnisse in ihrem Hause. Alles ist mit Inschriften und Namenszügen glücklicher Paare angefüllt, die ihrem wonnevollen Herzen Luft machten und leblosen Gegenständen ihre süßen, freudigen Gefühle anvertrauten.

Dem Hufschmiede war gar nicht Rede abzugewinnen; er sah wohl, bei uns war nichts zu verdienen; von anderen Einwohnern aber hörten wir, daß Gretna Green ein gar gut besuchter Ort ist, und oft mehrere Paare in einem Tag anlangen.

Auffallend war uns, die erste Tagesreise hinter Gretna Green auf englischem Boden, daß man uns nirgends anhielt, um Wegegeld zu fordern; alle Schlagbäume flogen gleich auf, und die Zöllner kamen sehr gefällig in die Gasthöfe, wo wir Pferde wechselten, das Geld zu holen. Alles scheint in dieser Gegend stillschweigend vereinigt, den Flüchtlingen hilfreiche Hand zu leisten.

ENGLAND

Die Lakes

Über Carlisle, ein hübsches, lebhaftes Städtchen, das erste wieder auf englischem Boden, kamen wir nach Wigton, um von dort aus die Landseen von Cumberland und Westmorland, eine der gepriesensten Gegenden Englands, zu besuchen. Seit ungefähr zwanzig Jahren ist es in London Mode geworden, hierher zu wallfahrten, um sich von der schönsten Natur entzücken zu lassen. Die Londoner nennen diese Gegenden die englischen Hochlande, so wie man in Deutschland die Gegend bei Schandau die sächsische Schweiz nennt, und auch ungefähr mit dem nämlichen Rechte.

Von Wigton aus kamen wir durch eine rauhe, öde Gegend, bis ganz nahe vor Keswick. Hier öffnet sich ein angenehmes, bebautes, fruchtbares Tal; ein kleiner See, Bassenthwaitewater, gibt ihm Reiz und Leben. Die Gegend ist bergig, aber die Felsen haben weder die schönen Formen noch die imposante Größe der schottischen.

Keswick ist ein kleines, freundliches Städtchen mit sehr angenehmen Umgebungen, die wir unstreitig sehr reizend gefunden hätten, wären wir nicht eben aus Schottland gekommen. Aber diese kahlen Felsenhügel verschwinden gegen jene gigantisch übereinandergetürmten Kolosse; diese Seen ziehen sich zu Fischteichen zusammen, wenn man an Loch Lomond dabei denkt. Man sollte solche Vergleichungen nicht machen; sie wurden uns indessen sowohl von den Einwohnern als durch die Benennung der englischen Hochlande gleichsam aufgedrungen.

Hinter Keswick wird die Gegend romantisch schöner, die Felsen werden höher; nur vermißten wir die Wälder, die in Schottland die niedrigeren Berge mit ihrem wechselnden Grün bekränzen. Zuerst kamen wir wieder an einen See, der, unregelmäßig, bald breiter, bald schmäler, sich durch das Tal windend, fast einem Strome gleicht. Er heißt Derwentwater, und gern begrüßten wir die freundlich Nymphe hier wieder, die Matlocks Felsen bespült. Einige hübsche Landsitze liegen sehr angenehm an den Ufern des Sees; Berge, Bäume, Felder, umgeben ihn in reizender Mannigfaltigkeit. Ein enges, rings von Felsen eingeschlossenes Tal empfing uns, als wir den See verließen, durchrauscht von einem lebendigen Flüßchen, welches sich gegen die Mitte des Tales in einen kleinen schmalen See verwandelt, der Thirlmere Lake heißt. Einige Brücken geben dem Ganzen ein recht pittoreskes Ansehen. Wir wurden hier lebhaft an den Plauischen Grund bei Dresden erinnert; es war, als sähen wir ein Miniaturgemälde jener berühmten Gegenden.

Nahe bei Ambleside öffnen sich weit ausgebreitete Aussichten, die durch den Kontrast mit dem engen Tale, durch welches wir vorher uns wanden, umso reizender erscheinen. Freundlich und lachend lag hier die Welt vor uns in mannigfaltiger Schönheit, verschiedene kleinere Seen blitzten uns aus der Ferne entgegen, umgeben von aller Anmut einer reichen Vegetation und hoher Kultur. Ambleside liegt hoch; von allen Seiten bieten sich schöne Aussichten auf die benachbarte Landschaft dar; aber die schönste derselben erwartete uns jenseits des freundlichen Städtchens.

Ein großer spiegelheller See trat allmählich zwischen Bergen und Waldungen hervor. Zehn kleine Inseln von mannigfaltiger Gestalt scheinen darauf zu schwimmen, alle mit freundlichem Grün bekleidet, mit Gebüsch und Bäumen gekrönt. Auf der größten dieser Inseln erhebt sich die elegante Villa eines reichen Gutsbesitzers, umgeben von freundlichen Gärten. Sie heißt Curwens Insel, nach dem Namen ihres Eigentümers. Zierliche, zu jener Villa gehörige Gondeln wiegen sich auf den klaren Wellen, alles atmet Freude und Lust.

Die Ufer des Sees sind von unbeschreiblicher, mannigfaltiger Schönheit: rauhe, zackige Felsen, grüne bebaute, zum Teil waldige Hügel, prächtige, einzeln stehende Bäume, Wiesen, Kornfelder, Dörfer, einzelne ländliche Wohnungen liegen umher in lieblichem Gemisch. Die Berge von Keswick schießen die bläulich dämmernde Ferne. In Low Wood stiegen wir ab. Es ist dies ein sehr guter, einzelner Gasthof, hart am Ufer des Sees, an einer der schönsten Stellen erbaut. Der See heißt Windermere; er enthält mehrere Stunden im Umfange und ist der größte in England.

Lancaster

Nachdem wir den See Windermere, die Krone dieser berühmten Gegend, gesehen hatten, hielten wir es für überflüssig, auch die übrigen kleineren Seen der Reihe nach zu besuchen und setzten daher unseren Weg weiter fort nach Lancaster. Das Land umher ist angebaut wie ein Garten, die Stadt selbst ist weder groß, noch lebhaft, noch hübsch. Viele Quäkerfamilien bewohnen sie. Diese guten Leute stellen sich jetzt im Äußeren mehr den Kindern der Welt gleich. Selten nur hört man noch das alte treuherzige »Du« aus ihrem Munde; auch von der feierlichen Steifheit ihrer Bewegungen und Kleidung haben sie vieles nachgelassen; dennoch bleibt immer genug, um sie vor anderen auszuzeichnen.

Die Mädchen und Frauen von Lancashire sind unter den Namen der Hexen von Lancaster, Lancaster Witches, als die schönsten in ganz England berühmt, und wir trafen fast bei jedem Schritt in der Stadt Lancaster auf Beweise, daß sie dieses Ruhms vollkommen würdig sind. Reizenderes gibt es nicht als die hiesigen Quäkermädchen in ihrer anspruchslosen, bescheidenen Tracht. Die dunklen Farben, in welche sie sich gewöhnlich kleiden, die Schürze und das große Halstuch vom allerfeinsten Musselin, das schwarzseidene Hütchen, alles ohne die mindeste Verzierung, geben den frischen, blühenden Gesichtern eine unendliche Lieblichkeit. Es ist etwas Klösterliches in ihrer Erscheinung; aber da sie frisch und frei in Gottes Luft umherwandeln, so erregen sie nicht das beängstigende Mitleid wie die Nonne; auch ist ihre einfache, reinliche Kleidung dem Auge weit angenehmer, als jene gotische entstellende Verhüllung.

Wir reisten über das sehr hübsche, freundliche Fabrikstädtchen Preston nach Liverpool. Gleich hinter Preston glaubten wir uns wie durch einen Zauberschlag aus England nach Holland versetzt. Das Land so flach als möglich, unabsehbare Wiesen, von Kanälen durchkreuzt, Gräben voll Wasser an beiden Seiten der mit Steinen gepflasterten Landstraßen, alles genau wie in Holland, nur das nette, geschniegelte Ansehen der holländischen Landhäuser fehlte. In England wird kein Haus von außen gemalt oder abgeputzt; in wenigen Jahren bekommen daher die Backsteine, aus welchen die meisten erbaut sind, ein altes, rauchiges Ansehen, welches dem nicht daran gewöhnten Auge mißfällt. Nichts ist dagegen hübscher und freundlicher als die ländlichen Wohnungen in Holland; das Holzwerk wird dort regelmäßig alle Jahre mit Ölfarbe angestrichen, die Ziegelsteine werden rot gefärbt, die Fugen derselben weiß gemacht; alles sieht daher immer neu aus und gibt dem Ganzen ein unbeschreiblich fröhliches und wohlhabendes Aussehen.

Liverpool

Diese Stadt, nächst London die größte und bedeutendste in England, steht dennoch, sowohl in Hinsicht der Schönheit als des Umfangs, weit hinter Edinburgh zurück. Aber Handel und Betriebsamkeit haben über Liverpool ihr Füllhorn ausgeschüttet, und Reichtum und Luxus glänzen dem beobachtenden Fremden überall entgegen.

Die reichen Kaufleute wenden ihren Überfluß auf eine sehr zweckmäßige Weise an, indem sie die an sich nicht schöne Stadt mit vielen neuen, prächtigen Gebäuden verzieren. Vier neue palastähnliche Kaffeehäuser, Newshouses, Neuigkeitshäuser hier genannt, sind seit kurzem durch Subskription erbaut; ein schönes Theater, ein Konzertsaal, ein großer Gasthof, viele mildtätige Anstalten, welche der Menschheit Ehre machen, verdanken den reichen Einwohnern ebenfalls ihr Dasein. Das prächtigste und kostbarste Werk ihrer vereinten Kräfte sind aber die Docks.

In diesen künstlichen Häfen liegen die Schiffe sicher und bequem, fast mitten in der Stadt zusammen, werden sogar da erbaut, ausgebessert, aus- und eingeladen, und überdies sind die Ladungen vor Dieben sichergestellt. Solche Docks kosten ungeheure Kräfte, um sie zustande zu bringen, sind aber auch für den Handel vom größten Nutzen.

Die Promenade längs ihren Ufern fanden wir nicht angenehm: das Gewühl, das Schreien, das Drängen und Stoßen ist betäubend, der Seegeruch unangenehm, aber der Anblick der offenen See über die Docks hinaus entschädigte uns; den am Ufer des Meeres Geborenen geht es damit wie den Bergbewohnern mit ihren Bergen. Wir sehnen uns, wenn wir es vermissen, und sein Wiedersehen erfreut wie das eines alten Freundes. Das Meer verschönert jede Gegend, ja die traurigste Sandsteppe erhält dadurch einen unbeschreiblichen Reiz. Das Brausen der Wellen tönt wie bekannte Stimmen aus unserem Jugendlande herüber, und wir horchen gern mit stiller Wehmut zu.

Wir haben schon bemerkt, daß Liverpool keine eigentlich schöne Stadt sei; auch die Umgebungen derselben zeichnen sich nicht vor anderen aus. Doch müssen wir die schönen Wohnungen verschiedener reicher Kaufleute erwähnen, die ganz nahe vor der Stadt, etwas abgesondert von dieser, auf einer mäßigen Anhöhe erbaut sind. Höchst elegant eingerichtet, vereinigen sie alle Vorteile des Land- und Stadtlebens auf die angenehmste Weise. Nur wird dieser Vorzug ihnen wohl nicht mehr lange bleiben, da sich die Stadt täglich vergrößert und man schon jetzt berechnen kann, daß im Verlauf von einigen Jahren jene Häuser mitten in ihr und in ihrem Gewühl liegen werden.

Der gesellschaftliche Ton ist in Liverpool vielleicht ein klein wenig leichter als in London; doch fehlt es hier wie dort an dem allgemeinen Interesse im Gespräch, welches die Fremden bald einheimisch macht. Sind die gewöhnlichen Redensarten, welche in diesem Lande immer von der allgemein angenommen Etikette herbeigeführt werden, abgetan, hat man über Wetter und Wohlbefinden sich ausgesprochen, so ist man in der Regel übel daran, wenn man von Handel und Politik nichts weiß oder nichts wissen will.

Die Männer dieser Stadt sind fast alle auf dem festen Lande gewesen, sie kennen fremde Sitten und Gebräuche; dies macht sie wenigstens toleranter gegen Ausländer. Die Frauen aber sind echte Engländerinnen im vollen Sinne des Worts, und im allgemeinen fehlt ihnen die höhere Bildung, die denn doch in einer großen Stadt wie London leichter zu erlangen ist als in einer Provinzstadt. Dafür haben sie sich tausend Bedürfnisse und Zierereien angeschafft, die ihren Reichtum und ihren guten Ton zugleich an den Tag legen sollen, dem daran nicht Gewöhnten aber höchst lästig und peinlich werden.

Die Liverpooler besitzen in hohem Grade die Tugend der Gastfreiheit, die dem Engländer in Städten sonst weder eigen ist noch seiner Einrichtung nach sein kann; daß aber die Langeweile an ihren wohlbesetzten Tischen auch hier gewöhnlich präsidiert, kann nicht geleugnet werden, wenigstens ist dies der Fall, bis die Damen aufbrechen und den Männern bei Wein und Politik freien Spielraum lassen.

In Liverpool, wie in ganz Lancashire, leben viele Quäker-Familien; doch sind sie hier sehr ausgeartet und schämen sich ihrer alten einfachen Sitte. Der neumodische Ton steht ihnen wunderlich; besonders benehmen sich die jungen Herren, welche Elegants sein wollen, ungemein link. Sie, deren Väter selbst vor dem Könige nicht den Hut abnahmen, grüßen jetzt, zum Beispiel auf der Promenade, fast jedermann, um zu zeigen, wie vorurteilsfrei sie sind; ungefähr wie elegante Juden, die, um ihre vorurteilsfreie Bildung an den Tag zu legen, sich an öffentlichen Orten mit Schinkenessen Indigestionen zuziehen. In einigen Läden fanden wir noch Quäkerinnen in der einfachen, sauberen Kleidung, die ihre Religion ihnen vorschreibt. Das »Du« klang in ihrem Munde so höflich und bescheiden, daß unser »Ihr« uns in dem Augenblicke recht lächerlich schien. Es handelt sich sehr gut mit ihnen; ihre Waren sind immer von vorzüglicher Güte, sie überteuern niemand, und kein Feilschen und Abdingen findet statt, das sie nur beleidigen würde.

Das Theater ist nicht groß, aber sehr elegant und bequem eingerichtet. Man hört überall im ganzen Hause vollkommen gut; die Erleuchtung ist vortrefflich, und die Dekorationen lassen nichts zu wünschen übrig. Wir besuchten hier die Vorstellungen einiger neuerer Schauspiele, welche wir schon in London gesehen hatten, und waren im Ganzen damit zufrieden, wenigstens mit den Schauspielern. Die Schauspielerinnen freilich scheinen sich einander das Wort gegeben zu haben, nicht über die beschränkteste Mittelmäßigkeit hinauszugehen.

Die Zuschauer waren weit weniger lärmend als in London; unter ihnen bemerkten wir im Parterre die beiden betrunkensten Menschen, die uns je vorgekommen sind. Beide, ganz elegant gekleidet, saßen leichenblaß, starr und steif nebeneinander, wie Tote, mit stieren, offenen Augen. Der eine fiel wie ein Stein vom Sitze herunter, der andere blieb, ohne es zu bemerken, steif sitzen. Einige Zuschauer im Parterre trugen sie hinaus, aber mit so zarter Schonung, mit so viel Teilnahme, daß man deutlich sah, jeder dachte im stillen: »Heute dir, morgen mir!«

Wir haben schon oben der vielen menschenfreundlichen Anstalten erwähnt, die hier der Wohltätigkeit und dem Reichtume der Einwohner ihr Dasein verdanken. Eine davon, für Blinde, besuchten wir mit Freude und Rührung. Der Fonds dieser Einrichtung ist noch nicht hinreichend, um ein Haus zu erbauen, welches geräumig genug wäre, daß all diese Unglücklichen darin wohnen können. Deshalb sind sie in der Stadt in Privathäusern eingemietet, aber sie versammeln sich alle Tage in dem für sie eingerichteten Gebäude, Asylum genannt; dort speisen sie zusammen, erhalten Unterricht in der Musik, in den Handarbeiten, die sie bei ihrem traurigen Zustande verrichten können, und bringen übrigens den Tag nach Gefallen miteinander zu. In zwei Zimmern stehen gute Pianoforten zu ihrem Gebrauch, im dritten eine Orgel. Als wir in letzteres traten, saß ein junger Blinder an der Orgel und akkompagnierte drei jungen Mädchen, seinen Unglücksgefährtinnen. Sie sangen dreistimmig eine rührende Klage, gemildert durch stille Ergebung und Hoffnung auf den Tag, der einst ihre lange Nacht erhellen wird. Ihre Stimmen waren angenehm und rein, sie bemerkten unseren Eintritt nicht und sangen ungestört fort; gerührt standen wir am Eingange des Zimmers still und hüteten uns wohl, sie zu unterbrechen.

Im Ganzen sind diese Blinden wie fast alle ihre Unglücksgenossen immer heiter und froh und gesprächig. In einem unteren Zimmer fanden wir eine Menge spinnender Weiber und Mädchen, Räder und Zungen schnurrten lustig um die Wette. In einem anderen Zimmer, wo sich Männer und Jünglinge mit Korbflechten beschäftigten, ging es nicht weniger munter her. Wir bewunderten die Feinheit und zierliche Form der Körbchen, sie flochten sogar Muster von grünen und roten Weiden hinein und wußten diese von den weißen durchs bloße Gefühl auf das genaueste zu unterscheiden.

Die Blinden machen auch sonst noch allerhand nützliche Arbeiten, welche unten im Hause in einem Laden zum Vorteile der Anstalt verkauft werden; sie weben, machen Seile, ja es gibt sogar Schuhmacher unter ihnen. Diese Anstalt gehört wohl zu den zweckmäßigsten und wohltätigsten ihrer Art. Entfernt von allen Scharlatanerien, strebt sie nur den Unglücklichen wirkliche Hilfe zu leisten, sie soweit möglich zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen und ihren einsamen dunklen Pfad zu erheitern durch Arbeit und Musik. Hier werden sie nicht mit tausend Kleinigkeiten gequält wie in anderen ähnlichen Anstalten, wo man das, was der Menschheit das Ehrwürdigste sein wollte, das Unglück, zum Zeitvertreib einer müßig gaffenden schauspiellustigen Menge herabwürdigt.

Am Tage, ehe wir Liverpool verließen, erscholl plötzlich von allen Türmen ein betäubendes Glockengeläute, welches eine ganze Stunde ununterbrochen fortwährte; die Glocken erklangen lustig bald die Oktave hinauf, bald herunter, bald Terzen, bald Quinten, die ganze Skala durch, nach Gusto der Künstler. Jeder von diesen Herren bimmelte nach Belieben der Nachbarschaft die Ohren voll, ohne sich an seine Kollegen zu kehren. Wir glaubten, es sei die Nachricht einer gewonnen Schlacht angekommen, oder der Geburtstag eines Mitglieds der königlichen Familie würde gefeiert oder wenigstens eine große, vornehme Hochzeit in der Stadt; denn auch an bloß häuslichen Freudentagen darf jeder Engländer mit allen Glocken läuten lassen, wenn er dafür bezahlen will. Aber nichts von alledem, sondern eine alte, vor mehr als hundert Jahren verstorbene Jungfer war die Ursache alles dieses Lärms. Diese hat in ihrem Testamente sämtlichen Liverpoolschen Künstlern eine gebratenen Hammelkeule mit Gurkensalat und dem dazugehörigen Porter für jeden Donnerstagabend das ganze Jahr hindurch auf ewige Zeiten vermacht. Sie verzehren dieses Gastmahl in Gesellschaft, müssen aber vorher mit ihren Glocken einen furchtbaren Lärm machen, der die Nachbarn der Kirchen in Verzweiflung bringt; alles zum Gedächtnis des Namens der Erblasserin, und es fragt sich, ob diese Erfindung, eine Art von Unsterblichkeit zu erhalten, nicht so gut und besser ist als manche andere.

Die Gegend hinter Liverpool fanden wir ebenso holländisch als die, durch welche wir hereinkamen. Das Land so flach als möglich, aber höchst kultiviert, durchschnitten von schiffbaren Kanälen. Über Warrington, ein sehr freundliches Städtchen, berühmt durch Glasfabriken aller Art, kamen wir zum zweiten Male nach Manchester, von dort auf sehr unebenem Wege nach Disley.

Die englischen Landstraßen werden mit Recht im Durchschnitt als höchst vortrefflich gepriesen. Aber in der Nähe großer Fabrikstädte, wo schwerbeladene Wagen und Karren den ganzen Tag darauf hin und her rollen, sind sie es weit weniger und müssen den Chausseen um Dresden, im Dessauischen, im Österreichischen und anderen in Deutschland den Vorrang einräumen.

Eine Unannehmlichkeit für fremde Reisende in England besteht darin, daß es sehr schwer wird, früh auszureisen. Bei aller Vortrefflichkeit der Gasthöfe ist es dennoch unmöglich, vor sieben Uhr morgens das Frühstück zu erhalten: der Wirt und seine ersten Bedienten schlafen bis spät in den Tag hinein; nur der Stiefelwichser ist zu jeder Stunde bereit, aber seine Macht erstreckt sich nicht weiter als höchstens zur Herbeischaffung der Pferde. Diese Beschwerde fühlt indessen nur der Fremde, namentlich der Deutsche: denn die Engländer sind in der Regel gewohnt, erst einige Stunden nach dem Aufstehen zu frühstücken und reisen immer eine oder ein paar Stationen, ehe sie ihren Tee mit geröstetem Butterbrote verlangen. In Disley, wo wir dem englischen Gebrauch gezwungen folgen wollten, fanden wir das Haus in so großer Unordnung und Unsauberkeit, daß es uns unmöglich war, den Wagen zu verlassen.

Unsere Reise fiel gerade in die Zeit der allgemeinen Bewaffnung der Nation gegen die gefürchtete Landung der berüchtigten Bateaux plats. Alt und jung spielte Soldaten; Comptoires, Werkstätten, Läden standen die Hälfte der Woche leer; jeder junge Mann suchte durch schöne Uniformen und Exerzieren bei heiterem Wetter im Angesichte der Damen seinen Mut an den Tag zu legen; bei Regenwetter gingen sie freilich wie die päpstlichen Soldaten mit Regenschirmen zur Parade.

Nach dem Exerzieren wurden in Gasthöfen bei großen gemeinschaftlichen Gastmählern die durch diese patriotische Anstrengung erschöpften Kräfte hinter der Flasche wieder ersetzt und die Nacht alsdann mit Tanz und Spiel vollends hingebracht. Diese Lebensweise galt damals durch ganz England, und die Chefs der darüber leerstehenden Comptoires und Fabriken wollten ob der großen Vaterlandsliebe der jungen Helden schier verzweifeln.

In Disley war eben diese Nacht solch ein patriotisches Fest gefeiert worden. Alles trug noch Spuren davon, welche, ziemlich abschreckend, dem Eintretenden auf alle Weise entgegenkamen. Hinter Disley war die Gegend zuerst recht freundlich, ganz englisch; alles grün, über und über. Dann gerieten wir wieder zwischen unfruchtbare hohe Felsen. Dürftig mit Heidekraut bewachsen, boten sie uns alles Unangenehme einer Gebirgsreise, ohne uns durch erhabenen Schönheit dafür zu entschädigen. Kurz vor Middleton kamen wir durch eine enge, zwischen Felsen von schönerer Form sich hinwindende Schlucht; dann ging es weiter über noch höhere und freudenlosere Berge bis Sheffield.

Dies ist eine große, aber nicht freundliche Manufakturstadt. Kohlendampf, üble Luft, unbeschreiblicher Schmutz wie in einer Schmiede überall. Die Straßen hallen wider von wildem, wüstem Geschrei und Gehämmer, alles hat ein grobes, unangenehmes Handwerksansehen. Es werden in Sheffield sehr viele und sehr schöne Stahl- und plattierte Waren verfertigt. Unseres Bleibens konnte aber dort nicht lange sein; nichts zog uns an, wir eilten fort und freuten uns in dem nicht weit entfernten Landsitze des Lord Fitzwilliam, Wentworth House, wieder einmal frische Luft zu schöpfen.

Wentworth House und Rotherham

Es ward uns erlaubt, durch den Park von Wentworth zu fahren. Obgleich groß und angenehm, zeichnet er sich dennoch übrigens nicht aus; ebensowenig die Gärten und Anlagen.

Das Merkwürdigste hier sind die prächtigen Ställe; sie gleichen wahrlich mehr einem Palaste als der Wohnung von Pferden. Sie umschließen einen großen viereckigen Hof von allen Seiten. Der eine Flügel des mit architektonischer Pracht verzierten Gebäudes ist zur Reitbahn eingerichtet; in den drei anderen sahen wir eine Menge der schönsten Pferde, unter ihnen viele Jagdpferde, meistens von arabischer Herkunft; auch verschiedene berühmte Renner, welche bei manchem Wettrennen unsterbliche Lorbeeren errungen hatten. Die Luft war in diesem Pferdestalle weit reiner als in der Stadt Sheffield. Die Pferde stehen alle auf steinernem, zum Abzuge der Feuchtigkeit hin und wieder durchbohrten Platten. Dies verhinderte allen unangenehmen Geruch. Über dem Stande der vornehmsten Pferde, der Jagdpferde und der Renner, war ihr Name, der Name ihrer werten Eltern und bisweilen ein noch längerer Stammbaum zierlich geschrieben zu lesen. Einige Stuten hatten ziemlich große Spiegel vor sich, um zu bezwecken, daß ihre Nachkömmlinge ihnen an Schönheit gleich würden.

In einem abgesonderten Teile des Hofes lief ein sehr hübsches persisches Pferdchen umher. Man sagte uns, es wäre über zwanzig Jahre alt. Zahm wie ein Hund und auch nicht viel größer, kam das zierliche Tier auf jeden Ruf freundlich und schmeichelnd herbeigesprungen.

Müde und angegriffen vom Anschauen und Bewundern setzten wir unseren Weg fort nach Rotherham, wo uns Merkwürdigkeiten anderer Art erwarteten.

Hier waren wir wieder in Vulkans Wohnung, doch ging es uns diesmal nicht wie in Carron; wir wurden eingelassen und freundlich empfangen.

Diese Eisengießerei, an Größe und Bedeutung die nächste jener nach Carron, gehört Herrn Walker. Obgleich auch hier Fremde ohne besondere Empfehlung nicht eingelassen werden, und wir keine an Herrn Walker hatten, so genügte ihm doch schon ein Blick auf einige offene Adreßbriefe, die wir von London aus für andere Orte in England mitgebracht hatten, und er gab Befehl, uns überall herumzuführen. Eine ungeheure Menge Blech wird hier geschmiedet, gereinigt, geschnitten, verzinnt und dann in Kisten gepackt in alle Welt versendet, wo es unter tausenderlei Formen wichtige und angenehme Dienste leistet. Das zu verarbeitende Eisen kommt alles aus Rußland, teils roh, teils in langen Stangen.

Die Eisengießerei war uns besonders interessant. Einen schauderhaft schönen Anblick geben die hochsprühenden Flammen und Funken, die roten zischenden Feuerströme, welche sich mit glühendem Schein langsam hinwälzen, bis sie sich in die Form wie ein Grab versenken, um dort auf immer zu erstarren. Ihn vermehren noch die schwarzen, kolossalen Männer, welche sich auf mannigfaltige Weise darum her beschäftigen. In Rotherham ward die große eiserne Brücke gegossen, die wir bei Sunderland bewunderten, und eine zweite, noch größere, ward hier vor kurzem nach Jamaika versendet. Das Eisen wird hier in unendlich verschiedene Gestalten gezwungen, von den kolossalen Brücken an bis herab zum demütigen Plätteisen. Man verfertigt hier auch viel schönes Gitterwerk, in geschmackvollen, meistens der Antike nachgebildeten Mustern, und braucht es sehr häufig zur Verzierung der Balkone, Fenster, Gartenpforten, Torwege und Treppen. Es sieht sehr reich und elegant aus. Durch die Erfindung, dergleichen Dinge zu gießen, statt sie zu hämmern, ist ihr Gebrauch ungemein verbreitet worden. Geschlagenes Eisen ist zwar weit dauerhafter als gegossenes, aber dieses kostet auch nur halb so viel als jenes, und da es denn doch Eisen ist, so bleibt es seiner Natur nach noch immer dauerhaft genug.

Das Glück wollte uns so wohl, daß wir eine vierundzwanzigpfündige Kanone gießen sehen konnten. Aus zwei Öfen floß brausend das flüssige Metall in zwei mit Sand und Erde eingedämmte Kanäle, die sich bald in einem einzigen vereinten, aus dem es gewaltsam in die tief eingegrabene Form stürzte. Dantes Hölle und der feurige Phlegethon waren bei diesem Anblick die nächstverwandten Ideen. Drei Tage braucht es, ehe die Kanone erkaltet ist, dann zerbricht man die Form und bringt sie so heraus.

Wir sahen auch eine Kanone bohren; denn sie werden alle massiv gegossen. Aus dieser Operation pflegte man sonst ein Geheimnis zu machen, doch ward sie uns ohne viele Widerrede gezeigt, sobald wir den Wunsch äußerten, sie zu sehen. Die dazu nötige Maschine wird vom Wasser getrieben. Eine lange, eiserne Stange, genauso dick als die Mündung der Kanonen weit werden soll, steht in horizontaler Stellung fest. Ein platter Stahl, ungefähr einen halben Zoll stark, mit scharfen Ecken, in Form einer Zunge, befindet sich am Ende der übrigens ganz runden Stange. Die Kanone, mit undenkbarer Gewalt vom Wasser getrieben, wird gezwungen, sich um diese Stange wie eine Achse zu drehen und zu winden; die Zunge schneidet das Metall aus der Öffnung, und die Stange poliert von innen ganz glatt und eben. Es ist unmöglich, die Kraft ohne Staunen anzusehen, die hartes Metall wie weiches Holz bearbeitet. Wie wenig vermag der Mensch mit seiner Stärke allein, und wie viel Erstaunenswertes bringt er hervor mit Hilfe der Elemente, die er zur Dienstbarkeit zwingt, die sich aber auch an dem ohnmächtigen Herrscher oft furchtbar rächen, wenn sie die Fesseln zerbrechen, die er schlau ersann, und in wilder Freiheit einhertoben, um in Momenten ganze Geschlechter zu vernichten.

Nottingham

Über das artige Städtchen Mansfield reisten wir nach Notthingham, einer schönen, ansehnlichen Fabrikstadt, in welcher besonders viele und große Strumpfwebereien sich befinden. Von dort gingen wir nach Derby, durch eine sehr reizende Gegend, dicht besät mit Parks und freundlichen, zum Teil schönen Landhäusern, zwischen welchen einige stolze Schlösser der Großen sich stattlich erheben. Unser Postillon fiel vom Pferde, die Pferde nahmen reißaus; doch auf diesen schönen und lebhaften Straßen hat solch ein Vorfall wenig zu sagen, obgleich er fast in allen englischen Romanen als ein großes Motiv paradieren muß. Unsere flüchtigen Pferde wurden bald angehalten, und wir kamen, zwar ein wenig erschrocken, doch wohlbehalten in Derby an. Hier waren die Pferderennen, auf die wir uns gefreut hatten, eben vorbei; auf unserer vorigen Durchreise war das Merkwürdigste, was Derby darbietet, schon bewundert; deshalb setzten wir unseren Stab bald weiter und zogen gegen Warwick.

Von Warwick kamen wir nach Stratford-on-Avon. Der Ort ist klein, arm und unbedeutend, aber ein heiliger Schimmer umgibt ihn: denn hier erblickte Shakespeare zuerst den Tag, hierher kehrte er zurück am Ende seiner großen Bahn, und seine Gebeine liegen hier begraben. Niemand weiß recht die Stätte, aber in der Westminster Abtei, dort wo die Könige ruhen, strahlt das Denkmal, welches die Nation ihm errichtete, deren Stolz er ist.

Wir ließen uns zu der Hütte fahren, in welcher sein Vater, ein wohlhabender Handschuhmacher, auch Wollkämmer, einst wohnte, wo der große Geist, seiner selbst nicht bewußt, in der engen Eingeschränktheit ängstlich und beklommen sich fühlte, bis ins sechzehnte Jahr, in stetem Kampfe mit der ihn einengenden Außenwelt, an den Banden riß, die ihn einzwängten, und endlich, nach mancher wilden, ungezügelten Äußerung, zu welcher Jugendmut und ungeleitete Kraft ihn hinzogen, dem engen Leben wie dem kleinlichen Zwange entfloh und frei seinem Genius folgte.

Die armen Lehnwände des Hauses können wohl schwerlich schon vor weit mehr als zweihundert Jahren gestanden haben, obgleich Stratfords Einwohner es allgemein behaupten. In der Brandmauer am Feuerherde aber ist ein alter hölzerner Lehnstuhl in einer Art von Nische eingemauert; der Herd selbst sieht sehr alt aus, eine große steinerne Platte liegt davor; hier hat gewiß Shakespeares Vater gesessen, eifernd über die wilden Jugendstreiche des Sohnes, der ihm bei aller Blutsverwandtschaft dennoch ein Fremder war und ewig sein mußte.

In einem oberen Zimmer zeigte man uns noch ein großes altes Bettgestell, in welchem Shakespeares Mutter ihn zur Welt brachte; auch sein Stammbaum hängt hier. Das Haus wird jetzt von einem Fleischer bewohnt, der sehr arm zu sein scheint. Doch sorgsam wacht er über diese heilige Stätte: denn sie bringt ihm durch die Besuche der Fremden bei seiner Dürftigkeit eine sehr willkommene Hilfe.

Tewkesbury und Cheltenham

In dem kleinen freundlichen Landstädtchen Tewkesbury vernahmen wir, daß dort in einigen Tagen ein großes Pferderennen gehalten werden sollte. Unter den Wölfen lernt man heulen, sagt das Sprichwort, unter den Engländern wird man am Ende selbst eine Art John Bull. Wir beschlossen also die Zeit bis dahin in dem benachbarten Bade Cheltenham zuzubringen, dann an dem zu jenen Feste bestimmten Tage nach Tewkesbury zurückzukehren, und reisten nach Cheltenham ab.

Dieser berühmte Brunnenort ist ein hübsches Städtchen, in einem angenehmen, von Hügeln umgebenen, breiten Tale. Alles darin sieht neu aus. Die Stadt ist größtenteils während der letzten vergangenen fünfzig Jahre erbaut, denn so lange ungefähr ist es, daß die dortige Quelle bekannt und berühmt ward.

Cheltenham besteht aus einer einzigen, wenigstens eine englische Meile langen Straße, an welche sich kleine Nebenstraßen und einzelne Gebäude anschließen. In dieser Hauptstraße mit den schönsten Gebäuden, den glänzendsten Läden, Leihbibliotheken und Kaffeehäusern wogt die schöne Welt den Morgen über langsam und, wie es uns schien, auch langweilig auf und ab. Die Damen schleichen gähnend zu zweien und dreien aus einem Laden in den anderen, während die Herren mit Reiten, Trinken und Zeitungslesen die edle Zeit auf ihre Weise hinzubringen suchen.

Der Geist geselliger Freude ist hier so wenig als sonst in England heimisch; man treibt alles ernstlich, und so wird auch das Vergnügen zur Arbeit. Wenn der Morgen überstanden ist, so helfen Bälle, Assembleen, Konzerte und Theater, wie es eben die Reihe trifft, die übrigen Stunden hinzubringen; für alles dies ist gesorgt, wenn auch nach etwas verjüngtem Maßstabe. Während der Saison präsidiert hier einer der Zeremonienmeister aus Bath, weil er den Sommer über dort müßige Zeit hat. Von dieser und anderen Einrichtungen der englischen Bäder sowie auch von der allen gemeinsamen Lebensweise behalten wir uns vor ausführlicher zu sprechen, wenn wir zur Beschreibung von Bath, dieser Königin aller englischen Badeorte, kommen.

Die Promenade, welche zu dem Brunnen von Cheltenham führt, wird für eine der schönsten in England gehalten; wahrscheinlich erwirbt ihr in diesem Lande die große Seltenheit gerader, von hohen Bäumen eingefaßter Alleen diesen Ruhm, denn hohe, schattige Ulmen umgeben hier von beiden Seiten eine breite, schnurgerade, etwa neunhundert Fuß lange Allee. In ihrer Mitte befindet sich der Brunnen in einem etwas schwerfälligen Tempel eingeschlossen, daneben ein hübscher Saal zum Gebrauch der Brunnengäste bei schlechtem Wetter, und in diesem ein Buch zu Subskriptionen für die Erhaltung der Promenade, des Saals usw. Jeder wohlerzogene Brunnengast unterzeichnet sich darinnen mit Namen und Stand; im Unterlassungsfall wird er für einen Nobody angesehen und keine Notiz von ihm genommen, wie billig. Am Ende der Promenade befindet sich noch eine gewöhnliche englische Gartenanlage; ein artiges, ebenfalls zur Belustigung der Badegäste bestimmtes Gebäude schließt hier die Allee, und am anderen Ende derselben bildet der ziemlich spitzige Kirchturm das Point de vue.

Es ist ein hübscher Anblick, wenn man morgens zwischen acht und zehn Uhr, der gewöhnlichen Brunnenzeit, die Badegesellschaft unter den ehrwürdigen Bäumen langsam auf und ab wandeln sieht. Der eigene Reiz, welcher die Engländerinnen in ihrer Morgenkleidung umgibt, ist bekannt, und hier, in diesem grünen Dämmerlichte, zeigen sich die weiß gekleideten, nymphenhaften Gestalten der meisten auf's Vorteilhafteste. Zwar hält diese Allee mit der von Pyrmont keinen Vergleich aus, die Engländer sind indes stolz darauf und meinen, sie sei die schönste in der Welt. Während man hier des Trinkens halber auf und ab spaziert, welches sehr charakteristisch die Morgenparade genannt wird, musiziert eine Bande Spielleute rasch darauf los, so gut es gehen will, und läßt laut ihr God save the King und Rule Britannia erschallen.

Eine wunderliche Einrichtung ist's, daß man nicht anders als über den Kirchhof zur Promenade gelangen kann; dieser ist zwar ganz artig, mit hübschen Linden, aber daneben auch mit vielen Leichensteinen besetzt und mag wohl bei manchem zur Quelle wallfahrtenden Kranken Ideen erwecken, die deren Heilkräfte schwächen könnten.

Das Wasser von Cheltenham wird hauptsächlich gegen Hautschäden, Skorbut und ähnliche Übel gebraucht. König Georg der Dritte brachte durch einige Besuche diese Quelle zuerst in Mode, doch bekam ihm dieses sehr übel. Er wollte hier von einem unangenehmen, aber eingewurzelten, vielleicht angeborenen Hautübel genesen; es gelang ihm, der Ausschlag verging, aber der gute Georg geriet darüber in den traurigen Gemütszustand, in welchem er bis an seinen Tod verblieb.

Endlich brach der festliche Morgen an, der uns nach Tewkesbury rief; ganz Cheltenham wanderte mit uns zugleich aus, eine lange bunte Reihe zu Wagen und zu Roß.

Dort war alles in geschäftiger Bewegung, alles hatte den Sonntagsrock angezogen, hübsche Mädchen in weißen Kleidern und gelben Nankingschuhen liefen überall munter und fröhlich umher. Eine Bande Seiltänzer und zwei herumziehende Schauspielertruppen hatten hier für den Abend Thaliens und Terpsichorens Tempel aufgeschlagen, dazu war noch für die Nacht Ball und Assemblee. Man denke, was dies alles im Städtchen Tewkesbury für Lärm machen mußte, und wie die jungen, dieser Herrlichkeit ungewohnten Herzen schon beim bloßen Gedanken daran rascher schlugen. Und noch dazu alle die glänzenden Herren und Damen aus Cheltenham, die Equipagen, schönen Pferde, Bedienten und der übrige Troß, es war zum Entzücken! Glücklich, wer wie wir beizeiten für Wohnung und Mittagessen gesorgt hatte: denn ohne diese Vorsorge war in dem Gewühle schwerlich ein Unterkommen zu finden.

Um zwölf Uhr zog alles, Mann und Roß und Wagen, hinaus zum Rennplatze. Eine große schöne Wiese ist dazu eingerichtet, in einem halben Kreise zieht sich die Stadt darum her, und ferne blaue Berge schließen rings die Aussicht. Das an sich schon recht hübsche Lokal, belebt von mehreren tausend fröhlichen Menschen jedes Standes, gewährte ein sehr interessantes Schauspiel. Die Seiltänzer hatten die mit unzähligen Fähnchen recht bunt verzierten Gerüste, auf welchen sie den Abend ihre Künste zeigen wollten, mitten auf dem Platze errichtet; dieses, die türkische Musik, welche ertönte, um die Neugierde des Publikums zu erregen, und ihre leichte phantastische Tänzertracht, in der sie teils mitten unter der Menge umherliefen, teils auf ihren Gerüsten sich gruppierten, machten das bunte Ganze noch bunter und lebendiger.

Auch die beiden rivalisierenden Schauspielertruppen strebten bemerkt zu werden und einander den Rang abzugewinnen. Unermüdet teilten sie an alle Welt ihre Zettel aus, in die Kutschen flogen diese Ankündigungen zu Dutzenden, und wenn einer eine Handvoll davon zu einem Schlage hingeworfen hatte, so eilte gleich sein Nebenbuhler durch den anderen Schlag ebenfalls das Lob seiner Gesellschaft zu verbreiten. Alles war Leben und Lust, nur die Wettenden schienen, mit Ernst und Eifer in ihren Zügen, das fröhliche Treiben der übrigen verächtlich anzublicken.

Endlich tönte die Trommel, die Pferde liefen vortrefflich, es waren einige berühmte Renner darunter. Das Ganze gefiel uns weit besser als in Edinburgh und behagte uns in der Tat so gut, daß wir, wie der größte Teil der übrigen Gesellschaft, nach Tische wieder zum zweiten Rennen fuhren.

Aber nun war der Reiz der Neuheit vorbei, und um uns nicht am Ende eines fröhlichen Tages zu langweilen, ließen wir Ball und Assembleen, Kunstreiter, Othello und Konsorten im Stiche und warteten sogar die Entscheidung des großen Streits nicht ab: ob Jenny Spinster eine Viertelminute eher als Edgar am Ziele gewesen sei, oder ob beide zugleich angekommen wären. Wir wünschten den guten Einwohnern von Tewkesbury, die Shakespeare in einem seiner Meisterwerke als vortreffliche Senffabrikanten verewigt hat, viel Vergnügen für den heutigen Abend und den morgigen Tag, an welchem gleiche Freuden sie erwarteten, bewunderten noch die schöne gotische Kirche, eine der größten und schönsten im Reiche, und fuhren fröhlichen Muts nach Gloucester.

Diese Stadt schien uns beim Durchfahren ziemlich bedeutend, mit hübschen Häusern und breiten Straßen. Übrigens enthielt sie, so viel wir erfahren konnten, nichts, was unsere nähere Aufmerksamkeit auf sich zog.

Bristol

Die Reise von Gloucester nach Bristol ist eine der angenehmsten und der Charakter der Gegend völlig von dem des übrigen England verschieden. Sie ist mannigfaltiger, südlicher. Grün ist nicht mehr so ganz die prädominierende Farbe, obgleich die Vegetation sich auch hier in höchster Pracht darstellt. Schönere, größere Bäume als irgendwo, in gedrängten Gruppen, viele große Pflanzungen von Obstbäumen, mit Mauern statt der gewöhnlichen Hecken eingefaßt, zeichnen sie vor allen anderen in Großbritannien aus.

Hier glüht der Goldpepping, der Stolz Englands, zwischen dem hellgrünen Laube und seufzt im Herbst unter der Presse, um später als Cider die Herzen des Mittelstandes, der die teuren französischen und portugiesischen Weine nicht bezahlen kann, zu erfreuen. Hier reift die Birne auf hohen stattlichen Bäumen und liefert den Perry, der oft unter der Maske sprudelnden Champagners von den Weinhändlern teuer verkauft wird.

Der schöne Strom Avon belebt die herrliche Gegend, kleinere Schiffe schweben auf seiner silbernen Fläche. Nahe bei Bristol wird er tief genug, um selbst große Schiffe von vierzig bis fünfzig Kanonen zu tragen; acht englische Meilen weiter hin, in einer der reizendsten Gegenden, fällt er in den Severn See, eigentlich einen Meerbusen, der hier tief ins Land geht. Bristols Umgebungen sind unstreitig die schönsten in England; denn alles ist hier vereint: das Meer, der schiffbare Strom und Berg und Tal, Feld und Wald in höchstem Reichtume, den weiser Fleiß und ein vortrefflicher Boden nur gewähren können.

Die Stadt schien uns größer als Edinburgh. Straßen und Plätze sind breit, wohlgepflastert, voll regen Lebens, umgeben mit schönen Privathäusern sowohl als öffentlichen Gebäuden und Kirchen, unter denen die Kathedrale und die von St. Mary Redcliffe als ehrwürdige gotische Gebäude sich auszeichnen. Das Theater ist groß, bequem und elegant, so auch das in der Vorderseite mit korinthischen Säulen verzierte Gebäude, in welchem unter der Aufsicht eines Zeremonienmeisters die Assembleen und Bälle während der hiesigen Badezeit statt haben.

Man vergleicht Bristol mit Rom; denn wie jene Königin der Städte thront es ebenfalls auf sieben Hügeln, und einige davon gewähren von ihren Gipfeln eine sehr schöne Aussicht in das Land ringsumher. Die Straßen, die hinaufführen, sind aber größtenteils sehr steil. Außer dem schiffbaren Avon strömt auch noch ein kleinerer Fluß, der Frome, durch die Stadt; hübsche steinerne Brücken führen über beide Gewässer. Der Quai am Hafen ist prächtig, ein Meisterwerk seiner Art; aber schaudernd wandten wir uns von seinem Anblick; denn hier war der Ort, von welchem aus die unmenschlichste Gewinnsucht Schiffe zum Sklavenhandel ausrüstete, der Bristols Einwohner bereicherte. Blut und Seufzer von Millionen Menschen kleben an diesen Steinen. Indem wir dieses bedachten, wurde es uns unmöglich, heiteren Mutes die schönen Docks zu bewundern, welche hier, wie in Liverpool, Schiffe aus allen Gegenden der Welt sicher und bequem beherbergen.

Eine der schönsten Partien um Bristol gewährt King's Weston, der Landsitz des Lord Clifford. Die Fassade des Hauses ist groß und stattlich, wenn auch etwas schwerfällig und mit Verzierungen überladen; wir mochten uns aber mit näherer Betrachtung desselben nicht aufhalten; sogar die schönen Anlagen durchliefen wir nur flüchtig, so mächtig zieht hier die einfache Natur ringsumher von der ab, welche die Kunst zu schmücken versuchte. King's Weston liegt auf einer beträchtlichen Anhöhe. Blickt man von oben herab, so bietet sich von einer Seite dem Auge ein reizendes Tal dar, ausgestattet mit allem dem Reichtum, aller der Kultur, welche England zu einem der schönsten Länder Europas machen, und liebliche Hügel, mit aller Pracht der üppigsten Vegetation geschmückt, scheiden diesen reizenden Punkt der Erde von der übrigen Welt. Von der anderen Seite der Anhöhe von King's Weston sieht man den hier mächtigen Avon sich majestätisch hinwinden durch ein jenem Tale ähnlichen Paradies. Schiffe aus allen Gegenden der Welt, umtanzt von Gondeln und kleinen Schifferbarken, schweben auf seiner silberblinkenden Fläche. Lange verfolgt hier der Blick den Lauf des Flusses, sieht ihn immer mächtiger, immer breiter werden, sieht, wie die Felsen zu den Seiten immer pittoreskere, immer romantischere Formen annehmen, wie, ganz in blauer Ferne, das Meer zuletzt die Aussicht und zugleich den Lauf des schönen Stroms begrenzt, indem es ihn in seinen Schoß aufnimmt und auf ewig mit sich vereinigt. Lange waren wir in diesem bezaubernden Schauspiel verloren; endlich nahmen wir unseren Weg durch den mit ehrwürdigen Bäumen besetzten Park des Lord Clifford zu einem noch höheren Hügel, Penpole Point genannt. Noch einmal genossen wir hier dieselbe Aussicht, nur von einem anderen Standpunkt aus gesehen und noch reicher, noch ausgebreiteter, noch entzückender.

Ein sehr angenehmer Weg führt von da nach Clifton. Man nennt Clifton ein Dorf, aber es ist ein Dorf, wir möchten sagen, aus Palästen bestehend. Es liegt zerstreut, teils im Tale, teils auf der sonnigen Seite eines Hügels. Die schönen großen Häuser stehen bald in der in England so beliebten Form des halben Mondes, teils in langen Reihen auf Terrassen, teils einzeln, oder bilden auch breite Straßen und schöne, regelmäßige Plätze. Alles dieses ist durch Gärten, Felder, steile, wilde Felsen und sanfte Anhöhen auf das Reizendste vermannigfaltigt.

Einige dieser Gebäude werden für immer oder auch nur den Sommer hindurch von reichen, angesehen Familien bewohnt; der größere Teil derselben ist zum Gebrauche der Badegäste eingerichtet, deren jährlich eine große Anzahl herkommt, in der Hoffnung, Heil und Rettung in der lauwarmen Quelle zu finden, welche nicht weit entfernt von Clifton fließt. Leider oft vergebens; denn diese Quelle wird gewöhnlich als letztes Mittel gegen das traurigste aller Übel, die unser kurzes Leben bedrohen, gegen Schwindsucht und Auszehrung, angewandt.

Nirgends häufiger als in England wüten diese Krankheiten, die fast immer die jüngsten und liebenswürdigsten Opfer sich erwählten, und sie verschönen und verklären, indem sie sie zerstören. So blüht die vom Wurm gestochene Rose oft um so früher und schöner auf. Es ist ein herzzerreißender Anblick, die jungen, ätherischen Gestalten atemlos, halb schon Bewohner einer anderen Welt, in diesen elysischen Gegenden über den grünen Rasen hinwanken zu sehen und dann einen Blick auf den nahen Kirchhof, die Ruhestätte ihrer Vorgängerinnen, zu werfen, auf dessen Leichensteinen die Zahlen von zwanzig und fünfundzwanzig Jahren in einer langen traurigen Reihe fast ununterbrochen zu lesen sind.

Hotwells

Ein sehr steiler Weg führt den Berg hinab nach Hotwells, wo die Quelle fließt und ebenfalls viele schöne Wohnungen für Badegäste erbaut sind. Nahe am Ufer des Avon rauscht sie mächtig hervor, aus einem der Felsen, die in majestätischen Reihen sich von beiden Seiten längs dem Bette des Stroms hinziehen. Ein hübsches Gebäude ist über der Quelle erbaut. Zuerst tritt man in einen Vorsaal, der den Trinkenden zum Ausruhen und zur Konversation dient; hinter diesem liegt das Brunnenzimmer. Ein artiges Mädchen personifiziert hier die Hebe und schenkt das gar nicht übel schmeckende, wie Champagner petillierende, lauwarme Wasser. Wenn es zuerst geschöpft wird, sieht es etwas trübe und weißlich aus, wird aber ganz klar, sowie es sich abkühlt.

Eine Menge artiger Kleinigkeiten, auch zum Teil seltene Konchylien, Steine und Mineralien aus den benachbarten Gebirgen, stehen hier zum Verkaufe, unter ihnen die bekannten Bristoler Steine, welche in den Ritzen und Spalten der den Avon umschließenden Felsen gefunden werden und sowohl an Glanz als Härte den wirklichen Diamanten sehr ähnlich sind.

Die Aussicht aus dem Fenster des Brunnensaals ist beschränkt, aber von ernster Schönheit; wild und hoch strecken die dunkelroten Marmorfelsen von St. Vincent ihr majestätisches Haupt hinauf in die blaue Luft. Der Avon drängt sich brausend durch das ihn einengende Felsenbette; ihm gegenüber, ebenso fruchtbar, in ebenso wilden Formen, starren andere, ganz ähnliche Gebirge; es ist, als hätte der dunkle Strom hier, um seinen Weg zu bahnen, den Fels gespalten oder ein Erdbeben, mächtig seine Grundfeste erschütternd, ihn zersplittert. Verfolgt man mit den Augen den Strom, der sich wohl anderthalb englische Meilen weit zwischen diesen Kolossen hinwinden muß, so erblickt man am fernen Horizont die schönen blauen Gebirge von Wales, welche die nicht ausgebreitete, aber höchst romantische Aussicht schließen.

Hinter dem Brunnenhause dient eine schöne, mit Bäumen besetzte Terrasse am Ufer des Avon zur Promenade. Tausend Schiffe kommen dort und gehen; kein Brunnenort hat wohl eine ähnliche Promenade aufzuweisen. Bei kaltem, regnerischem Wetter gehen die Gäste unter einer in Form eines halben Mondes erbauten Kolonnade auf und ab, welche auf einer Seite von einer Reihe eleganter Läden begrenzt wird. In Hinsicht der schönen Gebäude erscheint Hotwells wie eine Fortsetzung von Clifton; wie dort stehen sie hier einzeln und in schönen Reihen und Straßen vereinigt. Dazu kommen noch die mannigfaltigen Aussichten auf See und Fluß, Berg und Tal; es ist unmöglich, mit der Feder auszudrücken, wie überschwänglich reich sich hier die Natur bewies. Aber auch für andere Vergnügungen ist gesorgt. In zwei schönen, zur Aufnahme der Gesellschaft eingerichteten Gebäuden werden jeden Montag und Donnerstag Déjeuners dansants auf Subskription gegeben. Dienstags ist regelmäßig Ball, an den übrigen Tagen füllen Assembleen und Promenaden die müßige Zeit aus.

Wie in den übrigen größeren Bädern präsidiert auch in Hotwells ein Zeremonienmeister; seine Gesetze hängen in den Sälen an der Wand angeschlagen und werden pünktlich gehalten. Sie sind in Hinsicht auf Kleidung etwas weniger streng als in Bath; in der übrigen Etikette, besonders des Ranges, sind beide einander gleich. Die ganze Einrichtung von Hotwells gleicht der von Bath bis auf wenige Kleinigkeiten; wir verweisen deshalb den freundlichen Leser auf den zunächst folgenden Abschnitt.

Außer den allen Bädern gemeinen Vergnügungen, welche regelmäßige Promenaden, Assembleen, Bälle, Lesebibliotheken und dergleichen gewähren, erfreuen sich die glücklichen Bristoler Brunnengäste noch viel mannigfaltiger Freuden, wenn sie die herrliche Gegend ringsumher durchstreifen; denn außer King's Weston gibt es noch in ganz mäßiger Entfernung viele Orte, die wohl eines mehrmals wiederholten Besuchs wert wären.

Leider waltete über uns das gewöhnliche Schicksal der Reisenden, wir konnten nicht alles Sehenswerte aufsuchen; aber wer Wochen, vielleicht Monate lang hier verweilt, muß sich manchen hohen Genuß verschaffen können, und unter diesen ist es wohl keiner der geringsten, auf dem silbernen Strome hinzuschiffen. Bisweilen unternimmt die Gesellschaft solche Exkursionen, wo die wilden Felsen dann widerhallen von Musik, welche die Boote begleitet.

Bath

Der Weg von Bristol nach Bath ist nur vierzehn englische Meilen lang. Im unaufhörlichen Wechsel der reizendsten Aussichten fährt man, wie in einem Garten, auf den schönsten, ebenen Wegen, durch ein Land von mannigfaltiger hoher Schönheit.

Die Jahreszeit war die günstigste, um alles dies zu genießen, aber nicht um das eigentümliche Leben kennenzulernen, welches diese Stadt von den meisten anderen unterscheidet. Früher hatten wir im Winter Gelegenheit dazu, und was wir während unseres ersten und zweiten Aufenthalts in Bath bemerkten, finde vereint hier seinen Platz, um unseren Lesern eine zusammengestellte, vollständigere Ansicht dieses merkwürdigen Orts zu geben. Vorher aber noch etwas im allgemeinen von dem Leben der Engländer in Badeorten, weil es uns zur Verständlichkeit des Ganzen unentbehrlich dünkt.

Etikette ist in England überall an der Tagesordnung. Dem Briten geht es mit ihr wie den Frauen mit ihrer Schnürbrust, wenn sie sich von Jugend auf daran gewöhnt haben. Sie fühlen sich unbehaglich, wenn der gewohnte Zwang aufhört, und wissen ohne ihn nicht zu leben. Schon mit dem häuslichen Leben ist dieser Zwang auf das engste verwebt; in die heiligsten Bande, die Mann und Weib, Eltern und Kinder miteinander verbinden, ist er unzertrennlich verflochten; wie sollte er in den Bädern fehlen, wo der Brite, ganz wegen seiner Natur, unter Unbekannten lebt und sich mit ihnen nach einem etwas von dem Gewöhnlichen verschiedenen Takte, in etwas anders vorgezeichneten Kreisen dreht, dies ist's allein, wodurch das Badeleben vom Alltagsleben sich einigermaßen unterscheidet. Damit aber ja niemand von dem ihm ungewohnten Takt abweiche, die ihm neuen Kreise aus Unbeholfenheit und Unwissenheit verletze, so ist in jedem Brunnenorte ein eigener Zeremonienmeister angestellt; in Bath gibt es deren sogar zwei. Dieser Zeremonienmeister sorgt für alles, er macht gleichsam den Wirt und kommt jedem höflich entgegen. Bei den Bällen und überall hält er auf strenge Beobachtung der von der ganzen Gesellschaft für gültig anerkannten Gesetze, in allem, was die Ordnung der dem Vergnügen gewidmeten Stunden, der Kleidung, des Ranges und tausend anderer Zufälligkeiten betrifft. Diese Gesetze sind in den Assemblee- und Ballsälen angeschlagen, damit er sich gleich darauf berufen könne. Tanzlustige Herren und Damen melden sich bei ihm, wenn sie nicht vorher so klug waren, für sich selbst zu sorgen, und er verschafft ihnen Mittänzer, Partners, für den ganzen Ballabend. Jede Ursache zum Streit sucht er zu entfernen, jeden schon entstandenen zu schlichten. Unermüdet muß er für Anstand und Sitte wachen.

Man sieht aus allem diesem, es ist nicht leicht, dort Zeremonienmeister zu sein. Männer, die sich und ihr Vermögen im großen Strudel der Welt verloren, nun allein dastehen und aus dem allgemeinen Schiffbruche nur furchtlose Dreistigkeit, eine imponierende Gestalt, Weltton und einige vornehme Bekanntschaften gerettet haben, eignen sich am besten zu solchen Stellen und erhalten sie nach dem Tode oder der freiwilligen Resignation ihres Vorgängers durch die Stimmenmehrheit der anwesenden Brunnengäste. Das Leben, das sie führen, ist sehr ermüdend, ihr Lohn dafür Achtung im Äußeren, der Ertrag einiger Bälle, die jede Badezeit zu ihrem Benefiz gegeben werden, und von jedem Badegaste ein anständiges Geschenk. Daß sie überall freien Zutritt haben, versteht sich von selbst. Eine goldene Medaille, welche sie an einem Bande um den Hals oder im Knopfloch tragen, dient zur Bezeichnung ihres Amtes.

Eine entfernte Ähnlichkeit mit den englischen Zeremonienmeistern haben die Brunnenärzte in einigen der kleinen deutschen Bäder, wo sie auf Promenaden und an den öffentlichen Tischen Gesunde und Kranke umflattern, alles anordnen, alles wissen, überall sind und nirgends. Die eigentlichen Brunnenärzte fehlen in England gänzlich; man hält sich an die von Hause mitgebrachte Vorschrift seines eigenen Arztes, und nur in ungewöhnlichen Fällen zieht man einen aus dem Orte oder der Nachbarschaft zu Rate.

Auch öffentliche Spiele gibt es dort nicht, sie werden nicht geduldet, und man hat nicht wie in Deutschland schon vom frühen Morgen den empörenden Anblick dieser auf Raub ausgehenden Hyänen und ihrer sinnlosen Beute zu ertragen.

Hat man sich gleich nach der Ankunft im Badeorte häuslich und komfortabel eingerichtet, welches in England sehr leicht und schnell abgetan ist, hat man Karten an die Badegäste geschickt, die man schon kennt oder deren Bekanntschaft man zu machen wünscht, so bleibt nun weiter nichts übrig, als sich überall zu abonnieren, um überall Eintritt zu haben. Zuerst in die Assemblee-Säle, dann zu den an festgesetzten Tagen statthabenden Bällen, dann zu den Konzerten, die in den größeren Bädern auch regelmäßig gegeben werden; vor allen Dingen aber zu den verschiedenen Leihbibliotheken, die man in jedem Badeorte in ziemlicher Anzahl findet. Diese sind der Herzenstrost, die letzte Zuflucht aller, welche mit dem allgemeinen Feinde, der Zeit, sonst nicht fertig zu werden wissen.

Ist früh das Wasser getrunken, welches gewöhnlich während der Promenade in einem der Brunnensäle geschieht, hat man gebadet, en famille gefrühstückt (öffentliche Frühstücke sind selten), was fängt man dann mit dem langen Vormittage an, bis die zweite Toilette vor Tische beginnt? Reiten, fahren, gehen kann man nicht immer; die wenigen Visiten, die Revue der Putzläden sind bald abgetan. Welche eine Seligkeit, dann einen Zufluchtsort zu haben wie diese Leihbibliotheken! Man trifft dort immer Gesellschaft; mit Bekannten wechselt man ein paar Redensarten, die Unbekannten starrt man an und wird von ihnen wieder angestarrt. Und nun noch die Menge Romane, die Zeitungen, Journale, Broschüren, auf's eleganteste ausgestellt, die man entweder dort durchblättert oder mit nach Hause nimmt. Dies ist noch nicht genug. Außer den geistigen Schätzen findet man in diesen Läden noch deren von irdischerem Glanze. Eine Sammlung aller der zahlreichen Kleinigkeiten aus köstlichen Metallen und Steinen, die der Modewelt unentbehrlich dünken, und alles, was zum Schreiben und Zeichnen dient, vom simplen Bogen Papier an bis zum kostbarsten Schreibzeug oder Portefeuille. Von diesen immer zum Anschauen und zum Verkaufe fertig stehenden Herrlichkeiten wird sehr oft eines oder das andere lotteriemäßig verspielt und gewährt so diesen Anstalten ein neues Interesse.

Zu Mittag speist man etwas früher als in London, weil die Abendvergnügungen schon um sieben Uhr anfangen. Jede Familie besorgt für sich zu Hause ihre Ökonomie selbst oder läßt sie außer dem Hause besorgen. Einzelne Herren machen sich ihre Partie im Gasthofe. Hin und wieder gibt's auch Häuser, wo die Gesellschaft, die im Hause wohnt, sich zugleich in die Kost verdingt und gemeinschaftlich speist; doch entschließen sich nur wenige zu dieser Lebensweise, und sie ist nichts weniger als modisch, oder, wie die Briten sagen, stylish. Öffentliche Tische lieben die Engländer nicht; nur in kleinen Bädern, wo die Gesellschaft, an Zahl, Vermögen und Vergnügungen beschränkter, mehr zusammenhalten muß, trifft man sie. Damen nehmen immer ungern teil daran.

Nach Tische wird in den größeren Bädern die dritte Toilette gemacht. In der Regel hat jeder Abend der Woche seine feste Bestimmung. Abendessen sind nicht gebräuchlich; um Mitternacht geht alles zur Ruhe, einige privilegierte Nachtschwärmer vielleicht ausgenommen.

Das Badeleben in England ist weit bestimmter als in Deutschland: man weiß jeden Tag genau, wie man ihn hinbringen kann, und des zwecklosen Umhertreibens gibt es dort nicht so viel als in Pyrmont oder Karlsbad. Nur der Sonntag ist ein fürchterlicher Tag. Spiel, Tanz, Musik, alles ist hoch verpönt; alle Läden, alle Leihbibliotheken sind geschlossen; da bleibt denn kein Trost als die Abendpromenade im Salon bei einer Tasse Tee. Die Gesellschaft ist im Durchschnitt sehr einförmig, die Ausländer, die merkwürdigen Menschen fremder Nationen, die unseren Bädern oft ein so hohes Interesse geben, fehlen ganz. Einige wenige Ausnahmen abgerechnet, sieht man nur Landeseinwohner. Ein Irländer oder Schotte heißt sogar schon ein Fremder.

In England muß nun einmal alles im Leben dem gewöhnlichen Laufe der Natur entgegenstreben. Der Sommer ward zum Winter, der Winter zum Sommer umgeschaffen, den Abend machte man zum Mittag, die Nacht zum Tage, und um diese allgemeine Veränderung aller Zeiten recht vollkommen zu haben, beliebte man auch die Badezeit von Bath in den Winter zu versetzen. Vom November bis zum Mai wimmelt es dort von Badegästen, die sich im Kreise stets wiederkehrender Lustbarkeiten bis zum Schwindel umherdrehen. Im Sommer ist's leer, die recht bresthaften Kranken schleichen dann still, traurig und einsam zur heilenden Quelle. Man sieht sie auf den Terrassen und Promenaden an Krücken und auf Podagristenwägelchen die belebenden Strahlen der Sonne aufsuchen.

Im Winter herrscht Leben und Freude da, wo im Sommer einsame Seufzer traurig verhallen. Viele führt das Vergnügen, einige auch wohl eine leise Andeutung von Gicht und Podagra nach Bath; der größte Teil der Badegäste aber besteht aus einer eigenen Gattung von Kranken. Wer ein wenig zu schnell und lustig in die Welt hineinlebte und jetzt in ein paar etwas sparsamer verlebten Jahren seinen zerrütteten Finanzen aufzuhelfen denkt, wer bei beschränkten Mitteln den Freuden der großen Welt nicht zu entsagen versteht, der flüchtet hierher, wo er sie alle findet; freilich in etwas verjüngtem Maßstabe wie in London gehalten, aber dafür auch unendlich wohlfeiler. Zwar ist es auch hier sehr teuer leben, aber doch immer viel weniger als in London, wenn man in dieser Riesenstadt ein Haus machen muß. Schon in dem Umstande, daß die bergige Lage von Bath Pferde und Wagen entbehrlich, ja ganz überflüssig macht, liegt ein sehr bedeutender Ersparnis. Nach einigen in Bath verlebten Wintern ist man gewöhnlich wieder zu Kräften gekommen und kann sich von neuem auf einer größeren Laufbahn versuchen.

Da die Gesellschaft hier größtenteils aus Mitgliedern der müßigen und eleganten Welt besteht, so ist der Ton derselben so verfeinert und vornehm frivol als möglich. An Glücksrittern fehlt es dabei nicht; diese tragen aber zur Erheiterung des Ganzen bei, wo sie erscheinen. Väter und Vormünder reicher Erbinnen, welche diese bisweilen hierher führen, um sie zu ihrer Erscheinung auf einem größeren Theater vorzubereiten, müssen sich freilich in acht nehmen. Von Bath aus ward schon manche Reise zum kunstreichen Schmied von Gretna Green vorbereitet oder gar angetreten.

Bath liegt in einem lachenden Tale, rund umschlossen von beträchtlichen Anhöhen, die sich nur öffnen, um dem schönen Strom eben den Durchweg zu gewähren. Langsam und majestätisch windet er sich, bis zu dem zwölf englische Meilen entfernten Bristol schiffbar, durch Tal und Stadt, erhebt die Schönheit der Gegend und gewährt durch die leichte Kommunikation mit jenem großen Seehafen beträchtliche Vorteile. Von wunderbar einziger Schönheit ist der Anblick der Stadt. Bald ward das Tal zu eng, und sie erhob sich auf die nächsten Anhöhen, höher und immer höher türmte sie Paläste über Paläste, wetteifernd untereinander an Schönheit und allem Schmucke der neueren Architektur.

Im sonderbaren Kontraste mit diesen leichten, luftigen Schöpfungen liegt unten im Tale am Ufer des Avon die alte KathedraleAbbey Church. Die heutige Kirche ist die dritte an dieser Stelle und im Stil der dekadenten Gotik im 16. Jh. erbaut. zu welcher König Osric schon im Jahre 676 den Grund gelegt haben soll. Ernst steht sie da, in alter Majestät; ihre gotischen Türme streben wie aus eigener Kraft seit Jahrhunderten ins Blaue des Himmels hinaus, während die bunte neue Welt um sie her die Hügel erklettert und sich groß dünkt.

Die Häuser sind alle von schönen Quadersteinen erbaut, die man ganz in der Nähe in Menge bricht. Alles sieht neu aus, als wäre es gestern erst fertig geworden. Squares, einzelne Reihen Häuser, mehrere Circus, halbe Monde, aus eleganten Häusern bestehend, die unter einem fortlaufenden Dache, ganz symmetrisch verziert, das Ansehen eines einzigen Prachtgebäudes haben, stehen zerstreut, wo Laune der Erbauer oder Zufall sie hinsetzte, oft in sehr beträchtlicher Höhe.

Regelmäßig zu einem Ganzen verbunden ist dies alles nun gar nicht, aber doch unbeschreiblich hübsch anzusehen; ausgezeichnet schön der große Platz, Queen's Square genannt, mit seinen prächtigen, vielleicht ein wenig mit Zierart überladenen Häusern, aus deren Fenstern man sich einer schönen Aussicht erfreut. In der Mitte dieses Platzes umschließen eiserne Geländer einen artigen Garten, dessen sich die Bewohner der umliegenden Häuser zum Spazieren bedienen können; schade, daß ein kleinlicher Obelisk ihn entstellt.

Von Queen's Square geht es sehr steil in die Höhe durch Gay Street zum Royal Circus, einem großen runden Platze. Die ihn umgebenden Häuser sind mit dorischen, jonischen, korinthischen und allen möglichen Säulen aller möglichen Ordnungen verziert oder verunziert. Hinter ihm, noch viel höher, liegt der Royal Crescent; er besteht aus dreißig sehr schönen Häusern, die das Ansehen eines einzigen haben. Sie bilden einen halben Kreis, einfach, im edelsten Stil erbaut, mit einer einzigen Reihe jonischer Säulen. Vor ihnen hin breitet sich ein herrlicher Wiesenteppich und läuft hinab gegen die Ufer des Avon. Eine diesem ähnliche Reihe Häuser, Marlboroughsgebäude genannt, liegt ganz in der Nähe. Der höchste bewohnte Platz in Bath ist der Landsdown Crescent, ebenfalls eine schöne, im halben Monde sich hinstreckende Reihe Häuser. Sie liegen, gleichsam die Krone der schönen Stadt, in schwindelnder Höhe.

Noch mehrere oder gar alle diesen ähnliche Plätze und Straßen zu nennen, würde ermüdend werden, und vielleicht reicht das hier Gesagte schon hin, um dem Leser eine Idee von dem zu geben, was diese Stadt vor allen anderen so sehr auszeichnet. Es ist wahr, ihre so sehr bergige Lage hat viel Unbequemes, aber das herrliche Pflaster, die große Reinlichkeit der Straßen und nachts die wunderschöne Erleuchtung mildern diese Unbequemlichkeit gar sehr, und die Polizei wacht auf die musterhafteste Weise über alles, was zur Bequemlichkeit und Ruhe der Brunnengäste beizutragen vermag.

Am Fahren in der Stadt ist hier fast gar nicht zu denken. Mehrere der schönsten Straßen, Bond Street zum Beispiel, sind ganz mit großen Quadersteinen gepflastert und gar nicht für Equipagen eingerichtet. Zu den Assembleesälen, zu beiden Promenaden, die Nord- und Südparade genannt, kann man durchaus nicht zu Wagen gelangen. Doch befürchte man deshalb nicht, sich zu sehr zu ermüden: eine Anzahl von Portechaisen steht überall bereit; auf den ersten Wink setzen diese sich in Bewegung und transportieren im schnellsten Hundetrott ihre Last bis auf den höchsten Gipfel der Berge. Sie stehen unter strenger Aufsicht der Polizei, wie die Fiaker in London, sind alle numeriert und einer ziemlich mäßigen Taxe unterworfen, die sie nicht überschreiten dürfen.

Die ganze Stadt ist ein ungeheures Hotel garni. Alle die schönen Gebäude werden ganz oder teilweise an Badegäste vermietet. Der festgesetzte Preis eines möblierten Zimmers während der Badezeit beträgt eine halbe Guinee die Woche; ein Bedientenzimmer kostet die Hälfte. Unangenehm ist es, daß man immer die ganze Reihe Zimmer mieten und oft deren sieben oder acht bezahlen muß, während man kaum die Hälfte davon braucht. Es gibt zwar Häuser, welche zugleich ihre Gäste in die Kost nehmen, und in diesen ist man gefälliger und vermietet einzelne Zimmer; aber freilich muß man auch dort weniger Ansprüche auf Eleganz und Bequemlichkeit machen. Was man außer der Wohnung noch nötig hat, ist ebenfalls zu vermieten: Möbel aller Art, Betten, Porzellan, Küchengeschirr, Hausgeräte und Gemälde, Gläser und Kronleuchter, Tisch- und Bettwäsche, alles wie man es verlangt, auf das Prächtigste oder zierlich einfach. In der Zeit von zwei Stunden kann ein großes Haus mit allem Nötigen und Überflüssigen versehen werden. Überall findet man die einladensten Bekanntmachungen angeschlagen, überall, nach Londoner Sitte, alle Erfindungen des Luxus und der Bequemlichkeitsliebe hinter großen Glasfenstern in schönen Läden zum Verkauf und zur Miete auf das Zierlichste ausgestellt.

Das Wasser ist sehr heiß. Drei Stunden muß es stehen, ehe man sich hineinwagen darf. Es wird auch getrunken, doch mehr darin gebadet. Der heißen Quellen gibt es drei; man geht wie in Karlsbad beim Trinken von der schwächsten zur stärkeren allmählich über. Die Ärzte empfehlen dabei die größte Vorsicht. Das Wasser ist klar und schmeckt nicht unangenehm; Nervenübel, Lähmungen, Podagra und Gicht sind die Krankheiten, gegen welche es hauptsächlich angewandt wird. Die Zeit des Trinkens ist morgens zwischen sechs und zehn Uhr, und dann wieder einige Gläser gegen Mittag. Gewöhnlich trinkt man in dem zur Quelle gehörigen Brunnensaale.

In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts herrschte in Bath der ekelhafte Brauch, in großen gemeinschaftlichen Bädern in Gesellschaft ohne Unterschied des Geschlechts zu baden. Die Damen verzierten bei dieser Gelegenheit ihre aus dem Wasser hervorragenden Köpfe auf das Modernste und Vorteilhafteste; Zuschauer standen auf der das Bad umgebenden Galerie und machten mit den unten Badenden Konversation, um ihnen die Zeit zu vertreiben. Diese großen Bäder existieren noch, vier an der Zahl, aber nur die geringeren Klassen machen auf die oben beschriebene Weise Gebrauch davon. Das erste dieser Bäder, das Königsbad genannt, liegt dicht hinter dem großen Brunnensaale; eine Reihe dorischer Säulen umgibt es; es ist fünfundsechzig Fuß lang und vierzig breit, das Wasser hier zwischen einhundert und einhundertdrei Grad Fahrenheit heiß. Neben diesem Bade liegt der Königin Bad, es enthält nur fünfundzwanzig Fuß im Geviert und ist etwas weniger warm. Das Kreuzbad führt diesen Namen von einem Kreuze, welches ehemals hier stand, und hat einen eigenen kleinen Brunnensaal. Mit dieser Quelle, als der schwächsten, fängt man gewöhnlich an zu trinken. Das heiße Bad hat einhundertsiebzehn Grad Wärme. Privatbäder, Dampfbäder und ähnliche Anstalten sind damit in dem nämlichen Gebäude vereint. Diese Quelle, als die stärkste, wird selten getrunken, der dazugehörige Brunnensaal ist dumpf und düster.

Die erste Entdeckung der heißen Quellen von Bath verliert sich ins graueste Altertum. Die alten Briten kannten sie schon und bauten hier eine Stadt, die sie Caer yun ennaint twymyn, die Stadt der heißen Bäder, nannten. Später gaben ihr die Römer verschiedene andere Namen: Thermae sudatae, Aquae calidae, die Angelsachsen nannten sie Akemannus Ceaster, die Stadt der Gebrechlichen. Im Sommer möchte sie noch so heißen; wenn aber jetzt einer jener alten Herren, die sie so nannten, im Winter aus der Ewigkeit plötzlich in einen ihrer Ballsäle versetzt würde, er gäbe ihr gewiß dann einen schöneren Namen.

Salisbury und Stonehenge

Wir fuhren nun über eine unabsehbare Ebene. Armseliges Heidekraut sproß kümmerlich hier und da, nirgends ein Gegenstand, auf dem das Auge nur Momente haften könnte; die Lüneburger Heide ist ein Paradies dagegen.

Es war die berüchtigte Ebene von Salisbury, auf der wir uns jetzt befanden, ein ungeheurer Kirchhof, besät mit uralten Gräbern längst entschlafener Helden, deren Namen im Strome der Zeit untergingen. Wogen gleich, kaum noch sichtbar, erheben sich diese großen, abgerundeten Hügel nur wenig über die graue, düstere Fläche, und bloß an einigen entdeckt man die Spur eines sie einst umgebenden Grabens. Der blaue Himmel wölbt sich lautlos darüber hin, kein Vogel singt in dieser Einöde, denn nirgends steht ein Strauch, auf dem er sich niederlassen könnte.

Wir rollten schnell vorwärts und merkten doch kaum, daß wir weiterkamen. Kein Gegenstand bezeichnete unseren Weg; die Stelle, die wir verließen, glich ganz genau der, auf welcher wir am nächsten Momente anlangten. Da sahen wir es am Horizonte aufsteigen wie Geistergestalten; grau, formlos, allem, was wir bis jetzt erblickt hatten, unvergleichbar, stand es da in einem Zauberkreise; wir kamen näher und näher, noch immer wußten wir nicht, was wir sahen; jetzt hielt unser Wagen, und wir standen vor Stonehengedas bedeutendste Denkmal aus dem Megalithikum Europas. Ursprung und Bedeutung konnten bis heute nicht eindeutig bestimmt werden; sicher ist nur, daß die Steine, man schätzt die Anlage auf 4000 Jahre, in Verbindung zur Sonnenbeobachtung und Zeitmessung standen., dem ältesten Monumente der Vorzeit in England, vielleicht in ganz Europa.

Unförmige, riesengroße Steine, sichtbar von Menschenhänden aufgestellt, erheben sich in ungeheuren Massen auf einer mäßigen, nur ganz allmählich emporsteigenden Anhöhe. Hohen Säulen gleich, stehen sie in einem der großen tempelähnlichen Kreise, immer zwei und zwei näher aneinander, welche dann ein großer, ähnlicher Stein, wie ein Querbalken oder Gesims auf ihrer Spitze ruhend, miteinander verbindet. Einige der Säulen sowohl als der Querbalken sind umgesunken, dennoch bleibt die vollkommen runde Form des Ganzen deutlich. An den umgefallenen Steinen nimmt man noch wahr, wie sie befestigt waren; denn an jeder der Säulen ist oben eine Art Spitze oder Knopf ausgehauen, freilich sehr roh und in ungeheuren Verhältnissen, und die quer darauf liegenden Steine haben zwei runde Vertiefungen an beiden Enden, welche genau auf jene Knöpfe passen. So bildete und verband sie die rohe, arme Kunst jener Zeiten fest und dauerhaft genug, um Jahrtausenden zu trotzen. Auch die Säulen tragen Spuren des Meißels, sie sind viereckig, aber, ohne alle Idee einer Verzierung, ganz roh behauen, an Höhe und Stärke einander nicht gleich, aber alle von erstaunenswürdiger Größe und Schwere.

Schon vor tausend Jahren standen sie wie jetzt, und jede Spur ihrer ersten Bestimmung, ihres Entstehens, war schon damals verschwunden. Jetzt hält man dies wunderbare Gebäude für die Überreste eines alten Druidentempels. Hier ward das Feuer angebetet und die wohltätige Sonne. Man hat beim Nachgraben unter diesen Steinen Spuren verbrannter Opfer gefunden, vielleicht bluteten sogar hier Menschen unter dem Opferstahle ihrer verblendeten Brüder.

Mitten in dem großen Kreise dieses alten Tempels entdeckte man Überbleibsel einer kleineren Abteilung, von niedrigeren Steinen gebildet; einige derselben stehen noch; in ihrer Mitte liegt ein großer, platter Stein, wahrscheinlich der Altar, und diese Abteilung war das nur von Priestern betretene innere Heiligtum. Dieser Altarstein ist von einem der ungeheuren herabgestürzten Quersteine des äußeren Kreises in drei Stücke zerschmettert. Seitwärts, außer dem Kreise, liegt ein zweiter, dem Altarsteine ähnlicher Stein von ungeheurer Größe.

Ungefähr dreißig Schritte vom großen Kreise stehen noch ein paar der säulenartigen Steine aufgestellt, aber auch wohl dreißig Schritte voneinander entfernt. Vielleicht bildeten sie hier einen noch größeren Kreis, der jenen engeren einschloß, eine Art Vorhalle des heiligen Tempels; denn gewiß ist das gigantische Werk, das wir anstaunten, nur ein kleiner Überrest von dem, was es Ungeheures war in seiner Vollendung.

Wie diese gewaltigen Felsenmassen hergebracht wurden, welche fast übermenschlichen Kräfte sie aufrichteten, ist undenkbar; doch fast ebenso unbegreiflich, wie sie zerstört wurden. Vielleicht stürzte ein Erdbeben sie um, es öffnete sich die Erde und begrub zum Teil wieder in ihrem Schoße die ihr entrissenen Felsstücke, welche sonst den ganzen Kreis bilden halfen und jetzt verschwunden sind, ohne daß es doch glaublich scheint, man habe sie zu anderem Gebrauche fortgeführt. Welch ungeheure Kraft wäre auch erforderlich gewesen zum Transport dieser Riesenmassen!

Was das Wunderbare noch mehr erhöht, die Steine bestehen aus einer Art Granit, wie er mehr als dreißig englische Meilen in der Runde nicht anzutreffen ist. Wie war es möglich, sie durch unwegsame Wälder, über Sumpf und Moor, Berg und Tal herzubringen? Wahrlich, wenn man sie sieht, man fühlt sich sehr geneigt, der Tradition des Volks Glauben beizumessen, welche sie für das Werk einer früheren Riesenwelt hält, der mächtige Geister zu Hilfe kamen. Der Eindruck, den der Anblick des Ganzen macht, läßt sich nicht beschreiben. Ein stilles Grauen ergriff uns in dieser öden Wildnis beim Anschauen eines Werks, dessen Urheber wir uns nicht deutlich zu denken vermochten und das vor uns stand wie die Erscheinung aus einer anderen Welt. Wir hatten Zeit, uns diesem Eindrucke zu überlassen; denn öde und traurig ging unser Weg über die große Ebene hin, die sich immer gleich blieb, bis wir spät abends die alte Stadt Winchester erreichten.

Von Winchester aus hatten wir sehr böse Wege; denn durch unsere Kreuz- und Querzüge waren wir von der großen, gebahnten Straße abgekommen und mußten sie nun durch fast unfahrbare Land- und Nebenwege wieder zu erreichen suchen. Oft stiegen wir aus und gingen die steilen Hügel, über welche unser Wagen mühsam hinrasselte, zu Fuß hinab; reiche, weit ausgebreitete Aussichten entschädigten uns zuweilen für unsere Mühe.

Endlich erreichten wir das Städtchen Chichester. Wir fanden den ganzen Ort in einer Art von freudigem Tumult, als sollte es ein Pferderennen geben. Alle Fenster waren mit geputzten Frauen und Mädchen besetzt, die Straße voller Leute, Erwartung auf allen Gesichtern. Das Regiment des damaligen Prinzen von Wales, welches hier in Garnison liegt, paradierte im festlichen Schmucke, in zwei langen Reihen aufmarschiert, dem Gasthofe gegenüber. In letzterem hatte niemand Zeit; Herr und Frau und Aufwärter liefen mit den Köpfen gegeneinander. Nichts Kleines konnte all diesen Aufruhr veranlassen. Mrs. Fitzherbertseit 1785 heimliche Gattin des Prinzen von Wales, des nachmaligen Georgs IV. Nach dem königlichen Ehegesetz von 1772 jedoch illegal, da der König die Erlaubnis nicht gegeben hatte. Die Verbindung überdauerte auch die Eheschließung des Prinzen mit Caroline von Braunschweig (1795) und ging erst zur Zeit Johannas in die Brüche., die Freundin des Prinzen von Wales, war es; sie wurde auf ihrem Wege nach Brighton in Chichester erwartet. Nach zwei Stunden erschien sie, ließ, ohne auszusteigen oder sich umzusehen, die Pferde wechseln und rollte davon. Die große Begebenheit war vorüber, die Soldaten marschierten ab, und alles beruhigte sich nach und nach. Wir gingen ebenfalls weiter nach Arundel.

Der Herzog von Norfolk besitzt dort ein altes Schloß; es wurde eben durch ein neues Hauptgebäude und einen daran stoßenden Flügel ergänzt und vergrößert; alles war voll Lärm, Staub und Unordnung, wie es gewöhnlich beim Bauen ist. Der Anblick des alten Schlosses wäre überall ehrwürdig und imposant, nur hier, auf einem nicht sehr geräumigen Hofplatze, neben dem neuen, ganz modernen Gebäuden, verliert es unendlich. Einige mit Efeu bewachsene alte Mauern bewiesen, daß das Schloß von Arundel weit größer und beträchtlicher gewesen sein müsse als jetzt. Der noch übrige Teil des Gebäudes mit runden Türmen und einem schönen Portal steht wie verwundert da neben der neuen, dicht dabei entstehenden Schöpfung. Schwerlich wird eines durch das andere gewinnen; isoliert, unterm Schutze alter Bäume, wären diese heiligen Überreste vergangener Größe zu dem Schönsten zu rechnen, was England in dieser Art aufzuweisen hat, so reich es auch an Denkmälern der Vorzeit ist.

Wir waren diesen Tag bestimmt, in den Gasthöfen alles in Bewegung und Unruhe zu finden. In dem zu Arundel hielten die Volontärs, von denen wir schon früher sprachen, im Saale neben dem uns angewiesenen Zimmer ein großes Bankett. Das Gebäude bebte vom Jubel der Helden bei jedem ausgebrachten Toast; im Nebenzimmer machten die Oboisten des Regiments eine Musik, welche Tote hätte erwecken können; die Aufwärter hatten alle Hände voll Bouteillen und Korkzieher; die Pfropfen knallten, Waldhörner und Trompeten schmetterten, die Janitscharentrommel drohte die Grundfesten des Hauses zu erschüttern, zu alledem der Jubelruf der vom Geiste ergriffenen Freiwilligen und die Anstalten, die wir zu einem Ball machen sahen. Das war zu viel, es trieb uns hinaus. Ganz gegen die Sitte des Landes reisten wir mit sinkender Nacht ab. Hart am Ufer des Meeres fuhren wir hin; ein sanfter Wind kräuselte kaum dessen vom Monde versilberte Fläche, die Wellen spielten und flüsterten und blinkten geheimnisvoll und leise; so kamen wir glücklich nach Brighton.

Brighton

Dieser Ort, noch vor zwanzig Jahren ein kleines, unbedeutendes Fischernest, ist ein sprechender Beweis der Wunder, welche die Mode zu wirken vermag. In seiner neuen Gestalt hat er sogar den schwerfälligen Namen Brighthelmstone verloren und heißt viel eleganter und kürzer Brighton.

Während der Sommermonate war Brighton der Lieblingsaufenthalt des damaligen Prinzen von Wales, späterhin des jetzt schon bei seinen Vätern ruhenden Königs, Georgs des Viertengeb. 1762, 1811 Regent, nominell König von 1820-50. Johanna brachte hier in seinem Todesjahr für die Herausgabe der »Sämtlichen Werke« ihre Reiseberichte auf den letzten Stand.. Es liegt nur vierundfünfzig englische Meilen von London entfernt. Dies ist kaum eine kleine Tagesreise in diesem Lande, und wahrscheinlich bestimmte die Nähe der Hauptstadt den englischen Thronerben, sich gerade das noch vor kurzem ganz unbedeutende Fischerstädtchen zu erwählen.

In Brighton bewirkten seine Gegenwart oder Entfernung jedesmal eine wahre Ebbe und Flut unter den übrigen Brunnengästen. War er abwesend, so wurde alles öde und leer, mit ihm kehrten Lust und Leben zurück. Wie sehnsüchtig die Londoner elegante junge Welt nach Brighton blickte, ist unbeschreiblich und erscheint dem, der dem Zauberstabe der Mode nie unterworfen war, beim Anblicke des Orts sogar unglaublich. Die Lage desselben, hart an der See, ist so wenig einladend, daß dessen eifrigste Verehrer, um ihre Vorliebe nur einigermaßen zu motivieren, gezwungen waren, die Luft als ungemein gesund anzupreisen und zu behaupten, die Leute im Orte würden ungewöhnlich alt. Und in der Tat ist das Klima hier sehr gemäßigt. Ein Amphitheater von leider ganz kahlen Bergen schützt die Stadt gegen Nord- und Ostwinde. Sie liegt, trocken und gesund, auf einer mäßigen Anhöhe; Seelüfte mildern die zu große Hitze im Sommer.

Die Stadt ist klein. Stattliche Häuser aus der neuesten und unscheinbare Hütten aus der kaum verflossenen Zeit stehen wunderlich untereinander gemischt und geben ihr ein buntscheckiges, nicht angenehmes Äußere. Man baut hier von Kieseln, die mit Mörtel verbunden sind; nur die Einfassungen der Fenster und Türen bestehen aus Ziegeln. Man rühmt die Dauer solcher Mauern sehr, sie sehen aber schlecht aus, besonders da es in England gar nicht gebräuchlich ist, den Häuser von außen einen Tünch zu geben.

Ganze Reihen geräumiger, bequemer Häuser für Fremde, alle unter einem Dache fortlaufend, haben das Ansehen eines einzigen Palastes. Von dieser Art sind ein Crescent oder halber Mond, mit einer hübschen Aussicht auf das Meer, verschiedene Terrassen und sogenannte Paraden zum Spazierengehen, von einer Seite mit schönen Häusern besetzt, während man von der anderen ebenfalls der Aussicht auf das Meer sich erfreut, alles nach dem Muster von Bath, nur in kleinerem Maßstabe.

Die Promenaden sind von der Natur wenig begünstigt. Nackte Berge umgeben von zwei Seiten die Stadt; gegen Westen erstrecken sich große Kornfluren; das Meer begrenzt alles dieses. Es ist hier zu flach, als daß große Schiffe in der Nähe vorbeisegeln könnten; daher gewährt es einen ziemlich einförmigen Anblick, den nur Fischerboote etwas beleben.

Die Hauptpromenade, der Steine, ehemals eine zwischen den Bergen sich hinziehende hübsche Wiese, ist jetzt fast ganz mit neuen Gebäuden bedeckt, denn die Terrassen, Paraden und einzelnen Fischerhäuser sind fast alle auf dem Steine angelegt.

Die Wohnung des Prinzen, der Marine Pavillon, liegt ebenfalls am Steine, ein hübsches, mit einer Kolonnade verziertes Gebäude; da es nicht von bedeutender Größe ist, erscheint es etwas niedrig. Die innere Einrichtung desselben soll sehr prächtig gewesen sein, aber niemand Fremdes wurde hineingelassen. Der Prinz versuchte Gärten anzulegen, doch kommen Bäume und Sträucher hier auf keine Weise fort. Eine große pechschwarze Negerfigur mitten im Hofe, welche einen Sonnenzeiger trägt, nimmt sich wunderlich aus und spricht nicht sehr gut für den guten Geschmack der übrigen Verzierungen.

Ein ebenfalls am Steine gelegenes Gebäude enthält die Bäder. Man findet dort deren kalte und warme, Schwitzbäder, Schauerbäder, kurz alles, was je erfunden ward, um die Übel, die unser armes Leben bedrohen, fortzuspülen. Zu allen diesen Bädern wird Seewasser genommen. Bademaschinen, wie in anderen Seebädern, um damit sicher und ungesehen in der freien See zu baden, gibt es in Brighton nicht, vermutlich weil der Strand es nicht erlaubt; aber man badet doch bisweilen im Freien. Zwei ganz voneinander abgesonderte Plätze, einer für Herren, der andere für die Damen, sind dazu angewiesen, aber das freie Baden hat hier, wie leicht zu erachten, manches Unbequeme: bei Nordostwinden, wo dann die See stark anschwillt, ist es sogar nicht ohne Gefahr.

Der Steine vereinigt so ziemlich alles, woraus das Leben in Brighton besteht; sehr unangenehm aber ist es, daß auch die Fischer sich in diesen glänzenden Kreis drängen, und gerade in der Gegend, wo man am häufigsten spaziert, ihre Netze zum Trocknen ausbreiten und die Luft verderben.

Die zweite, jedoch weniger besuchte Promenade ist ein Garten. Ihn umgeben schattige Bäume, die hier als eine Seltenheit verehrt werden, obgleich man sie an anderen Orten kaum bemerken würde. Er enthält auch einen hübschen Salon mit einem Orchester.

Die Versammlungssäle befinden sich in zwei Tavernen oder Gasthöfen, der Kastelltaverne und der alten Schiffstaverne. In ersterer wird gespielt; man findet noch ein Kaffeehaus, ein Billard und dergleichen darin; in der zweiten ist dieselbe Einrichtung, doch können hier auch noch Fremde wohnen. Wir fanden indessen die Aufnahme in derselben weit weniger gut, als man es in England gewohnt ist. Die Säle beider Häuser bestehen wie die in Bath aus einem Tanzsaale und einigen Nebenzimmern zum Spiele, Tee und Unterhaltung. Sie sind alle artig und zweckmäßig verziert.

Bei unserer Abreise von Brighton blieben wir zwei Tage in dem auf halbem Wege gelegenen Städtchen Reigate, weil wir jemanden vorausschickten, der unsere Wohnung in London zu unserem Empfange einrichten lassen sollte. Wir freuten uns, nach langem Herumstreifen einmal Halt zu machen und Atem zu schöpfen, ehe wir auf's neue in den ewig kreisenden Strudel der großen Hauptstadt gerieten. Aber in diesem kleinen Orte war wenig an Ruhe und Stille zu denken: Postchaisen, Equipagen, öffentliche Fuhrwerke aller Art rollten unablässig an unserer Wohnung vorüber. Es war, als ob alle Frauenzimmer aus London emigrieren wollten, denn aus ihnen bestand bei weitem die Mehrzahl der Vorüberreisenden.

Die Landkutschen füllten von innen und außen Weiber und Mädchen, und stattliche Ladies in eleganten Postchaisen guckten kaum mit der Nase über Berge von Putzschachteln hinweg, welche die Zurüstungen zu künftigen Triumphen enthielten. Man trieb und jagte, um nur keinen Auenblick zu verlieren; eifriger ward nie nach Loreto gepilgert als hier nach Brighton, wohin alles zog.

RÜCKKUNFT NACH LONDON

Wir setzten unsere Reise weiter nach London fort, wo wir glücklich anlangten und uns in den gewohnten Umgebungen wieder etwas einheimischer fühlten als auf der eben beendeten, nur durch wenige Ruhepunkte unterbrochenen Reise.

Schwer ist's, in dieser ungeheuren Stadt sich ganz zu Hause zu finden. Zwar lebt es sich zwischen den vertrauten vier Wänden hier wie überall heimisch; doch kaum setzt man den Fuß auf die Straße, so ist man in einer unbekannten Welt, in der Fremde, und hätte man auch ein Menschenleben in London zugebracht. Das rastlose Treiben einer Million Menschen, auf einem verhältnismäßig immer kleinen Punkte, reißt unaufhaltsam alles mit sich fort, indem es zugleich alles trennt. Da wir uns indessen eine geraume Zeit in diesem großen Strudel mit herumwirbeln ließen, so gelang es uns wenigstens manches aufzufassen aus dem unendlichen Treiben und manches ganz Individuelle zu bemerken.

London

Von welcher Seite man auch diese Stadt betreten mag, immer glaubt man schon lange in ihrer Mitte zu sein, ehe man noch ihre Grenzen erreichte. Keine der größten Städte Europas, nicht Wien, nicht Berlin, selbst nicht Paris kündigt sich aus der Ferne so imposant an. Häuser reihen sich an Häuser, durch fast unbemerkbare Zwischenräume in verschiedene Flecken, Städtchen und Dörfer abgeteilt, alle scheinen zu einem Ganzen vereint, alle vergrößern ins Ungeheure die Stadt, welche ohnehin in ihrem Bezirke, bei verhältnismäßiger Breite, anderthalb deutsche Meilen lang ist. Zu ihr führen von allen Seiten schöne breite Heerstraßen, welche, auch außer den Städten und Flecken, mehrere Stunden weit von London mit Laternen besetzt sind. Ein ewiges Gewühl von Wagen und Reitern verkündigt dem Fremden schon von ferne, daß er dem Wohnorte von fast einer Million Menschen sich nähere.

Von Shooter's HillArthur Schopenhauer notierte zu diesem Aussichtspunkt: »Mittwoch, 25. May. (Die Familie hatte am Vortage die Insel betreten.) Wir fuhren diesen Morgen von Canterbury ab, frühstückten in Rochester, und aßen in Schooting-Hill zu Mittag. Man hat von hier eine prächtige Aussicht auf London und die umliegende Gegend, die wir aber eines starken Nebels wegen nicht sehen konnten. Nachmittag kamen wir in London an., einer sechsundzwanzig englische Meilen von London entfernten Anhöhe, erblickten wir zum ersten Male die ungeheure Hauptstadt, lang sich hindehnend an den Ufern der königlichen, mit Schiffen bedeckten Themse. Hoch in die Lüfte sahen wir St. Pauls wunderbaren Dom sich erheben, weiter zurück den schönen gotischen Doppelturm der Westminster Abtei, daneben noch die Türme von weit über hundert anderen Kirchen. Es war ein schöner, heiterer Tag; aber der aus so vielen Kaminen aufsteigende Steinkohlendampf ließ uns die Gegenstände wie durch einen Flor erblicken.

Schnell rollten wir hin auf dem prächtigen Wege und glaubten, wie alle Fremden, schon lange am Ziele zu sein, ehe wir es erreichten. Endlich sahen wir die Themse vor uns. Die schöne Blackfriars Brücke führte uns hinüber, und nun erst waren wir in London. Beträubt von dem Gewühle rund um uns her, erreichten wir das nicht weit von der Brücke entlegene York Hotel, wo wir für's erste abstiegen, um späterhin mit Bequemlichkeit eine stillere Wohnung in einem Privathause zu wählen. Fast alle Fremden, welche längere Zeit in London zu verweilen gedenken, tun dies.

Der Aufenthalt in den Londoner Gasthöfen ist unglaublich teuer, die Zahl derer, in welchen Fremde nicht nur essen und trinken, sonder auch wohnen können, ist verhältnismäßig klein zu nennen, und selbst von diesen sind nur sehr wenige so bequem eingerichtet, als man es bei einem Aufenthalt von mehreren Wochen oder gar Monaten verlangen muß, eben weil dieser Fall den Gastwirten nur selten vorkommt.

Hingegen findet man mit leichter Mühe in allen Straßen vollkommen gute, gleich zu beziehende Wohnungen, mit Küche und Keller und allen sonstigen Erfordernissen versehen; größer und kleiner, elegant und einfach möbliert, wie man es wünscht, sogar ganze Häuser mit Stallung und allem Zubehör. Man braucht nur durch die Straßen des Quartiers zu gehen, in welchem man zu wohnen wünscht, überall erblickt man angeschlagene Zettel an den Häusern, welche Wohnungen zur Miete ausbieten, so daß bloß die Wahl unter so vielen den Fremden in Verlegenheit setzen kann.

Die Eigner dieser Wohnungen sind Leute aus dem Mittelstande, angesehene Landhändler oder Handwerker, Witwen von beschränktem Einkommen. Alle beeifern sich auf das zuvorkommendste, dem Fremden jede mögliche Bequemlichkeit zu verschaffen. Gewöhnlich übernimmt es auch die Haushälterin oder die Frau vom Hause, für Reinlichkeit der Zimmer und für die Küche zu sorgen, so daß man sich wie zu Hause am eigenen Herd ganz heimisch in seinen vier Pfählen befindet.

London in aller seiner Größe, seiner Pracht und seiner Individualität ganz zu schildern, ist ein Unternehmen, dem wir uns nicht gewachsen fühlen; auch wäre es nach so vielen, zum Teil trefflichen Vorgängern ein sehr überflüssiges. Nur das, was wir während unseres Aufenthaltes einzeln sahen und aufzeichneten, können wir dem Leser hier geben, kleinere Züge zu dem großen Gemälde liefern, welches andere vor uns schufen. Der Gegenstand ist bedeutend genug, um auch in sonst weniger beachteten Details interessant zu erscheinen.

Ein Gang durch die Straßen in London

Johanna bewundert hier noch den Lichterglanz der Stadt vor der Einführung der Gasbeleuchtung um 1807. Man erzählt von einem der unzähligen kleinen vormaligen Souveräne des weiland Heiligen Römischen Reichs: er habe, da er spät abends in London seinen Einzug hielt, gemeint, die Stadt sei ihm zu Ehren illuminiert. Wäre er bei Tage durch die volkreichsten Straßen der City, etwa durch Ludgate Hill oder den Strang gekommen, er hätte ebenso leicht meinen können, ein allgemeiner gefährlicher Aufruhr setze die Einwohner alle in Bewegung.

Niemand, der es nicht mit seinen Augen sah, kann sich einen Begriff machen von dem ewigen Rollen der Fuhrwerke aller Art in der Mitte des Weges, von dem Wogen und Treiben der Fußgänger auf den an beiden Seiten der Straßen hinlaufenden, etwas erhöhten Trottoirs. Nicht die Leipziger Ostermesse, nicht Wien, selbst nicht Paris können hier zum Vergleiche dienen. Dennoch geht es sich nirgends besser zu Fuß als in London, sobald man sich in die Art und Weise der Eingeborenen zu finden gelernt hat. Dies gewährt den Fremden, besonders den reisenden Damen, einen großen Vorteil, um alles zu sehen und zu bemerken. Wenn man wie in anderen großen Städten immer in seinem Wagen festgebannt bleiben muß und keinen Schritt gehen kann, lernt man den Ort kaum zur Hälfte kennen; auf den schönen Quadersteinen der Londoner Trottoirs aber kommt man vortrefflich fort, selbst wenn das Wetter auch nicht ganz günstig wäre. In den Hauptstraßen sind diese breit genug, um sechs, acht und mehr Personen bequem nebeneinander hinwandeln zu lassen; in den engen winkeligen Gassen der eigentlichen City ist's freilich nicht so bequem, weil die Fußpfade dort auch schmäler sein müssen. Fremde kommen indessen wenig in jenes, einem Ameisenhaufen ähnlichen Stadtviertel, wo Handel und Wandel so ganz im eigentlichen Ernst ihr Wesen treiben und Mode und Luxus noch wenig Eingang fanden.

Die prächtigen Läden, die Ausstellungen aller Art trifft man größtenteils in den breiten Straßen, welche gleichsam das Mittel halten zwischen der arbeitsamen City und dem vornehmeren, nur genießenden Teile der Stadt. Die Gewohnheit der Engländer, immer zur rechten Hand dem Entgegenkommenden auszuweichen, erleichtert das Gehen sehr und verhindert fast alles Stoßen und Drängen. Den Damen und überhaupt den Respektspersonen läßt man immer die Seite nach den Häusern zu, sie mag zur rechten oder linken Hand stehen. Anfangs kommt es der Fremden wunderlich vor, wenn der sie führende Londoner, so oft man eine Straße durchkreuzt hat, ihren Arm losläßt und hinter ihr weg auf die andere Seite tritt; doch gar bald wird man von dem Nutzen dieser Nationalhöflichkeit überzeugt. Auf dem Mittelwege, wo Hunderte von Wagen sich ewig von allen Richtungen her durcheinander drängen, ist freilich die Ordnung nicht so leicht zu erhalten als auf den Fußpfaden. So breit die Fahrwege auch im Durchschnitt sind, so entsteht dennoch oft eine Stockung, die mehrere Minuten dauert und durch die Mannigfaltigkeit der Wagen, der Pferde, der Beweglichkeit des Ganzen einen recht interessanten Anblick gewährt; nur muß man dem Lärmen gelassen aus dem Fenster zusehen können.

Elfhundert Mietwagen stehen den ganzen Tag auf den dazu angewiesenen Plätzen bereit, und dennoch ist's oft unmöglich, einen zu finden, wenn man ihn eben braucht. Die Italiener selbst fürchten vielleicht den Regen nicht so sehr als die Londoner; naß werden ist ihnen eine schreckliche Idee; sobald nur ein paar Tropfen vom Himmel fallen, eilt alles, was keinen Regenschirm führt, sich in einer Kutsche zu bergen. Im Hui sind dann alle Wagen verschwunden, und man findet selbst jene große Anzahl noch bei weitem nicht zulänglich.

Die Fiaker sehen im Durchschnitt recht anständig aus und würden in Deutschland noch immer als stattliche Equipagen paradieren; nur das Stroh, womit der Fußboden belegt ist, macht sie unangenehm. Die Pferde sind in unbegreiflich gutem Zustande, wenn man bedenkt, daß sie täglich über zwölf Stunden auf dem Pflaster bleiben. Auch werden sie möglichst gut verpflegt; sowie sie einen ruhigen Augenblick haben, bindet ihnen der sorgsame Kutscher einen langen, schmalen, genau um den Kopf passenden Beutel voll Hafer um, aus welchem sie sich gütlich tun. Die Polizei hält strenge Aufsicht über die Fiaker; alle sind numeriert. Wehe dem Kutscher, der sich beigehen ließe, die festgesetzten, sehr billigen Preise zu überschreiten, oder sonst auf irgend eine Weise sich gegen die ihm vorgeschriebenen Gesetze aufzulehnen; jeder vorübergehende, der Sache kundige Engländer wird dann sein Richter und hält streng auf die einmal festgesetzte Ordnung. Zu jeder Stunde der Nacht kann man sich einem Fiaker sicher anvertrauen, wäre man auch ganz allein, und trüge man auch noch so viel Geld oder Juwelen bei sich; wenn nur jemand aus dem Hause, wo man einsteigt, die Nummer des Wagens so bemerkt, daß es der Kutscher gewahr wird.

Von der Pracht der Läden und Magazine ist schon vielleicht zum Überfluß viel geschrieben. Wahr ist's, nichts setzt den Fremden mehr in Erstaunen als der Reichtum und die Eleganz derselben. Die kostbaren glänzenden Ausstellungen der Silberarbeiten, die schönen Drapierungen, in welchen die Kaufleute, welche mit Musselinen und anderen Zeuchen handelt, ihre Waren hinter großen Spiegelfenstern dem Publikum zeigen, der feenhafte Schimmer der Glasmagazine, alles blendet und reizt.

Aber auch viel geringere Gegenstände werden auf eine dem Auge gefällige Weise zum Verkaufe ausgestellt. Die Kerzengießer zum Beispiel wissen ihre Lichter recht zierlich hinter den Fenstern aufzuputzen. Die Apotheker, hier Chymisten genannt, verzieren ihre Läden mit großen gläsernen Vasen, angefüllt mit Spiritus oder Wassern in allen möglichen schönen und glänzenden Farben; dazwischen prangen große künstliche Blumensträuße. Abends, wenn hinter allen diesen farbigen Gläsern Lampen brennen, schimmern diese Läden wie Aladins Zaubergrotte.

Nichts Lockenderes kann man sehen, als einen der vielen großen Obstläden, in welchen die Früchte aller Jahreszeiten und Zonen, von der königlichen Ananas bis zum kleinen sibirischen Staudenapfel, in zierlichen Körben, mit Blumen und Orangerien geschmückt, prangen. Die Kuchenläden, in welchen es Ton ist, morgens einzusprechen und einige kleine Törtchen, heiß von der Pfanne weg, zum Frühstück einzunehmen, präsentieren sich auch recht hübsch. Alles, was Kuchenbäcker und Konditoren nur erfanden, steht, lockend angerichtet, auf schneeweiß behangenen Tischen, dazwischen Blumen, Gelees, Eis, Liköre, Dragées von allen Farben und Arten in zierlichen Kristallvasen. Bald fesseln uns wieder die Kupferstichläden, in welchen täglich neue Gegenstände dargeboten werden, oft wahre Kunstwerke, öfter Erguß satirischer Laune oder Porträts berühmter Menschen, auch wohl Tiere, wie es kommt. Immer umlagert ein Kreis Neugieriger diese Fenster. Fast ist's unmöglich, vorbeizugehen, ohne wenigstens einige Augenblicke von der Schaulust festgehalten zu werden. Die Magazine der Buchhändler gewähren ebenfalls täglich neuen Genuß. Bald sind es Neuigkeiten, bald schöne Prachtausgaben älterer Schriftsteller, bald kostbare Kupferwerke; sogenannte Stationers, die mit allen möglichen, zum Schreiben und Zeichnen brauchbaren Dingen handeln, zeigen täglich tausend neue Dinge, uns Deutschen fast unbekannte Papparbeiten, Verzierungen, Kupferstiche, Vergoldungen und dergleichen; wieder andere haben in ihren Läden Brieftaschen, nichts als Brieftaschen, von der riesenmäßigsten Mappe an bis zum winzig kleinen, zierlichen Necessaire. Dazwischen flimmern Magazine, wo die herrlichsten Stahlarbeiten im Sonnenglanze das Auge blenden. Die Miniaturmaler stellen ihre oft sehr schönen Arbeiten dem Publikum vor's Auge; gewöhnlich sind's sehr ähnliche Porträts bekannter Personen, Schauspieler und Redner, um die Lust zu erwecken, auch sein eigenen wertes Ich so täuschend vervielfacht zu sehen.

Schon der Anblick der vielen Inschriften unterhält, welche an den Häusern mit vollkommen schön gezogenen goldenen Buchstaben glänzen. Welche Mengen Bedürfnisse, die der genügsame Deutsche kaum kennt! Besonders fällt es auf, daß die königliche Familie so viele Kaufleute und Handwerker beschäftigt. Aber jeder derselben, bei dem einmal zufällig für ein Mitglied des königlichen Hauses gekauft wird, jeder Schuster oder Schneider, der einmal so glücklich war, für einen Prinzen einen Stich zu tun, hat das Recht, sich auf der Inschrift seines Hauses dessen zu rühmen und die Gunst des Augenblicks für dauernd auszugeben. So prangt denn auch der Name eines mit allerhand Arkanen Handelnden auf der Inschrift seines Hauses am Strand mit dem prächtigen Titel: Bugdestroyer to Her Majesty, the Queen, Wanzentilger Ihrer Majestät der Königin. Gewiß ein Titel, der noch auf keiner Hofliste gefunden ward!

Wunderbar abstechend ist der Kontrast, wenn man aus dem Gewühl der City in den anderen Teil der Stadt tritt. Hier deutet alles auf bequemes, ruhiges Genießen; kein rauschender Erwerb, kein Gedränge der arbeitenden Menge. Alles hat Zeit, alles scheint einzig bedacht, diese auf das angenehmste hinzubringen.

Die Magazine und Läden bieten dar, was nur der raffinierteste Luxus verlangt, weit teurer als in der City, aber auch schöner, moderner, eleganter. Der Schuhmacher in der City verkauft zum Beispiel seine Waren im Laden, hübsch aufgeputzt, und nimmt in seiner an denselben stoßenden, reinlich möblierten Stube das Maß, wenn's verlangt wird; in Bond Street aber wird man in ein elegantes, mit Diwan, köstlichen Lampen und seidenen Gardinen geschmücktes Boudoir zu diesem Zweck geführt, und schwerlich würde der Artist einen Fuß berühren, der nicht aus einer Equipage gestiegen wäre. Dafür kostet aber auch sein Kunstwerk zwei Guineen. Nach diesem Maßstabe geht alles.

Nichts ist schöner als die großen Plätze in diesem Teile von London; zwar umgeben sie keine Paläste, denn deren gibt's ohnehin hier wenige, aber schöne große Häuser, alles solid und prächtig. Dazu die hübschen Boskette in der Mitte der Plätze, zu welchen jeder Bewohner der umliegenden Häuser für eine Guinee einen Schlüssel haben kann.

Glänzende Equipagen rollen, Mohren, bunte Livreen, geputzte Herren und Damen beleben die Trottoirs, ohne Gedränge, ohne Lärm. Der Fremde aber, dem es darum zu tun ist, das englische Volk kennen zu lernen, kehrt bald gern zurück aus diesem vornehmen Quartiere, wo es wie überall in der großen Welt zugeht, und sucht das neue, sonst nirgends gesehene Leben der eigentlichen Stadt London auf.

Bettler

Vom eigentlichen Bettler wird man in Londons Straßen wenig gewahr, dennoch wissen die Armen auf mannigfaltige Weise die Wohltätigkeit anzuregen. So sahen wir oft zwei Matrosen: einem fehlte ein Bein, dem anderen ein Arm; aufeinander gestützt schwankten sie durch die Straßen, indem sie mit lauter Stimme nach einer wilden, klagenden Melodie eine Art Ballade sangen, welche die Geschichte ihrer Leiden enthielt. Mitleidig weilte John Bull bei ihrem Klageliede und belohnte es gern mit einigen Pence.

An den Kreuzwegen, wo man, um in eine andere Straße zu gelangen, die Trottoirs verlassen und über den Fahrweg gehen muß, stehen immer Leute, die geschäftig einen reinlichen Fußpfad kehren, der freilich alle Augenblicke durch darüber rollende Wagen wieder zerstört wird. Bescheiden wagen sie wohl zuweilen die Frage: ob man nicht einige einzelne Pfennige führe? Und auch ohne diese gibt man ihnen gern.

An wenigen betretenen Plätzen, besonders im ruhigen Teile der Stadt, sieht man oft Männer, die mit Kreide auf den breiten Quadersteinen der Trottoirs wunderschöne kolossale Buchstaben malen, Namen, Sentenzen, Sprüche aus der Bibel. Der Vorübergehende steht still, bewundert ihre Kunst und belohnt sie unaufgefordert mit einer kleinen Gabe. Unbegreiflich war es uns immer, wie Leute, die eine so schöne Hand schreiben, so tief in Armut versinken können. Auf dem festen Lande müßte jeder dieser Bettler als Schreibmeister oder Schreiber seine reichliche Existenz finden, denn es ist unmöglich, etwas Vollkommeneres in seiner Art zu sehen als diese Schrift.

Besonders merkwürdig aber erschien uns eine Bettlerin, der wir täglich in den volkreichsten Straßen der City begegneten. Man hielt sie allgemein für eine durch verschuldete oder unverschuldete Unglücksfälle so tief gesunkene Schwester der berühmten Schauspielerin Siddons, wenigstens trug sie eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dieser in ihren Zügen. Dieselbe hohe, edle Gestalt, derselbe Adel in Blick und Miene, nur älter, blaß und wie versteinert durch lange Gewohnheit des Unglücks. Niemand beschuldigte Mme. Siddons der Härte gegen ihre unglückliche Schwester, denn alle, welche diese Frau für solche ausgaben, fügten hinzu: sie nähme nichts von ihr an und wolle nun einmal bloß von fremdem Mitleid ihr Leben fristen. Oft begegnete uns diese wunderbare Erscheinung. Sie trug immer einen schwarzseidenen Hut, der nicht so tief in's Gesicht ging, daß man nicht dessen Züge hätte bemerken können; ein grünwollenes Kleid, eine schneeweiße große Schürze und ein ebensolches Halstuch. Schweigend, mit stolzem Ernst wandelte sie, gestützt auf zwei Krücken, langsam und ungehindert durch die Menge. Jedermann wich ihr mit einer Art Ehrfurcht aus und ehrte in ihr die Heiligkeit eines großen, ungekannten Unglücks. Sie forderte nicht, sie bat nicht, aber reichliche Gaben wurden ihr dennoch von allen Seiten geboten, jeder fühlte sich gezwungen, getrieben, ihr zu geben. Es war, als müsse man ihr danken, daß sie die gebotenen Gabe nur nahm. Sie dankte nicht; mit dem Anstande einer Königin nahm sie das Dargebotenen und wandelte stumm weiter wie ein Geist. Die bildende Kunst hat sich diese auffallende, große Gestalt, diesen weiblichen Belisar, möchten wir sagen, oft zum Vorbild gewählt. In allen Kupferstichmagazinen, bei allen Ausstellungen der Maler fand man ihr sprechend ähnliches Bild, denn diese Züge drückten sich leicht der Phantasie ein.

Wohnungen in London

Eigentlich wohnt man im Durchschnitt nicht sonderlich in London. Da der Eigentümer eines Hauses sich hier großer Vorzüge im bürgerlichen Leben zu erfreuen hat, so strebt jeder, eines zu besitzen. Daraus entsteht dann, daß London fast aus lauter kleinen Häusern zusammengesetzt ist. Wer auch kein eigenes Haus hat, will doch für sich allein wohnen; dies verengt den Platz ungemein.

In Paris, möchte man sagen, schweben vier Städte übereinander; in London macht jeder Anspruch auf sein Plätzchen auf Gottes Erdboden, und nur Fremde, einzelne Familien oder in ihren Mitteln sehr beschränkte Personen bewohnen Etagen, die dann auch freilich bei der Kleinheit der Häuser wenig Bequemlichkeit darbieten. An eine Suite mehrerer Zimmer ist in gewöhnlichen bürgerlichen Häusern nicht zu denken; selten, daß man zwei aneinanderstoßende findet, selbst in denen der reichen Kaufleute; jedes Stockwerk enthält gewöhnlich nur zwei Zimmer, eines nach der Straße, eines nach dem oft engen Hofraum zu. Überall enge Treppen, wenige und kleine Zimmer. Die Küchen und Bedienstetenwohnungen sind in den Souterrains untergebracht, die Türen alle auffallend enge und hoch, sowohl die Haustüren als die in den Zimmern. Jene sehen bei größeren Gebäuden oft nur wie eine enge Spalte aus; in diesen findet man fast niemals Flügeltüren. Auch die Fenster sind schmal, die Spiegelwände zwischen denselben dagegen sehr breit. Die schönen Teppiche aber, die selbst bei wohlhabenden Handwerkern nicht allein die Fußböden der Zimmer, sondern auch Treppen und Vorplätze von der Haustüre an bedecken, die zierlichen Möbel, das schöne Mahagoniholz mit seinem bescheidenen Glanze, die Reinlichkeit überall, geben diesen kleinen Wohnungen einen eigenen Reiz. Alles sieht sauber, bequem, elegant aus und ist es auch.

Die Kamine, die oft mit Marmor, Stahlarbeiten und dergleichen geschmückt sind, dienen zu keiner geringen Zierde der Zimmer; schöne Vasen von Wedgwoods FabrikJosiah Wedgwood (1730-95); Schöpfer der englischen Tonwarenindustrie. Berühme Manufaktur und kristallene Kandelaber zieren den Sims; der stählerne Rost, in welchem das Feuer brannte, Zange, Schaufel und alles Metallgerät glänzen hell poliert; Kupferstiche schmücken die Wände, schöne Vorhänge die Fenster. Nichts in der Welt ist gemütlicher, als ein englisches Wohnzimmer.

Das Schlafzimmer kann selten viel mehr als ein Bett fassen. Die englischen Bettstellen sind alle sehr groß. Drei Personen fänden bequem darin Platz; auch ist's allgemein Sitte, nicht allein zu schlafen; Schwestern, Freundinnen teilen ohne Umstände das Bett miteinander, und fast jede Frau nimmt in Abwesenheit ihres Mannes eines ihrer Kinder oder im Notfall sogar das Dienstmädchen mit sich zu Bette, denn die Engländerinnen fürchten sich nachts allein in einem Zimmer zu sein, weil sie von Jugend auf nicht daran gewöhnt wurden. Federdecken sind ganz unbekannt, nicht so Unterbetten von Federn; seit einigen Jahren kommen diese sehr in Gebrauch, doch sind Matratzen gewöhnlicher. Betten ohne Gardinen, sowie Zimmer ohne Teppiche kennt nur die bitterste Armut.

Lebensweise

Der größte, fleißigste Teil von Londons Bewohnern, die Handwerker und Ladenhändler (beide werden hier zu einer Klasse gerechnet), führt im Ganzen ein trauriges Leben. Die großen Abgaben, die Teuerung aller Bedürfnisse, die durch den einmal herrschenden Luxus in Kleidung und dergleichen ins Unendliche vermehrt sind, zwingt sie zu einer großen Frugalität, die in anderen Ländern fast Ärmlichkeit heißen würde.

Ewig in den Laden und an die daran stoßende, oft ziemlich dunkle Hinterstube gebannt, müssen sie fast jedem Vergnügen entsagen. Die Theater sind ihnen zu entlegen, meistens zu kostbar, kaum daß die Frau eines wohlhabenden Kaufmanns dieser letzten Klasse zweimal im Jahre hinkommt.

In's Freie kommen sie fast gar nicht; mehrere versicherten uns, sie hätten seit zehn Jahren keine anderen Bäume als die von St. James Park gesehen. Die Woche über dürfen sie von morgens neun Uhr bis Mitternacht den Laden fast gar nicht verlassen; dieser ist sehr oft das Departement der Frau, und der Mann sitzt dann in dem oben erwähnten Hinterzimmer und führt die Rechnungen. Sonntags sind freilich alle Läden geschlossen, aber die Theater auch, und da alle Untergebenen an diesem Tage die Freiheit verlangen, auszugehen, so muß die Frau vom Hause es hüten.

Der größere, wirkliche Kaufmann führt ein nicht viel tröstlicheres Leben. Auch er muß in gesellschaftlichen und öffentlichen Vergnügungen weit hinter den reichen Kaufmannshäusern von Hamburg oder Leipzig zurückstehen. Doch liegt das wohl auch zum Teil an der Landesart. Die Frauen lieben mehr häusliche Zurückgezogenheit, sie sind an das rauschende Leben, an die vielen großen Zirkel nicht gewöhnt. Sie wollen ihre Ruhe, Ordnung und Gleichförmigkeit in ihrem Hause nicht derangieren. Die Männer hingegen suchen nach vollbrachten Geschäften die Freude gern auswärts, in Kaffeehäusern und Tavernen.

Die Familien der meisten wohlhabenden Kaufleute wohnen den größten Teil des Jahres, oft das ganze Jahr hindurch auf dem Lande, in sehr zierlichen, größeren und kleineren Landhäusern, die sie Cottages, Hütten, nennen, obgleich sie wohl einen vornehmeren Namen verdienen. Hier genießen Frauen und Kinder die freie Luft, halten gute Nachbarschaft und erfreuen sich ganz gelassen und anständig, vielleicht etwas langweilig, des Lebens; während das Haupt der Familie den Tag in London auf seinem Comptoir zubringt und sich dann abends in ein paar Stunden auf den herrlichen Wegen, zu Pferde oder Wagen, zu den Seinigen begibt.

Von der Lebensweise der Großen und Vornehmen läßt sich nichts sagen: diese gehören in keinem Lande zur Nation, sondern sind sich überall gleich, in Rußland wie in Frankreich, in England wie in Deutschland. Auch ist von dem Luxus, den sie, besonders auf dieser Insel, auf's höchste gesteigert haben, von der Art und Weise, wie sie Jahres- und Tageszeiten durcheinander wirren, schon von anderen so viel geschrieben, als man in unserem Vaterlande zu wissen braucht. Wir wollen also jetzt davon schweigen und nur, wenn sich die Gelegenheit dazu künftig darbietet, im Vorübergehen das vielleicht Nötige erwähnen. Unser Streben auf Reisen ging immer dahin, die Landessitte der eigentlichen Nation kennen zu lernen; diese muß man aber weder zu hoch, noch zu tief suchen. Nur im Mittelstande ist sie noch zu finden.

Ein Tag in London

Wer spät zu Bette geht, steht spät auf, das ist in der Regel; daher hat die goldene Morgensonne nirgends weniger Verehrer als in London, wo doch sonst das Gold nicht zu gering geachtet wird. Vor neun bis zehn Uhr wird's nicht Tag. Anständig gekleidet, versammelt sich dann die Familie in dem zum Frühstück bestimmten Zimmer, die Herren in Stiefeln und Überröcken, die Damen unbeschreiblich reizend gekleidet, schneeweiß verhüllt bis ans Kinn, mit zierlichen Häubchen. Das Negligé ist der Triumph der Engländerinnen; mit der geschmackvollen Einfachheit vereinigt es die höchste Eleganz; der volle Anzug hingegen fällt oft steif und überladen aus.

Nichts Einladenderes gibt's in der Welt als ein englisches Familienfrühstück, auch wird die dabei hingebrachte Stunde durchaus für die angenehmste des ganzen Tages gehalten, und man verlängert sie gern. Auf dem hellpolierten, stählernen Roste lodert die stille Flamme des Steinkohlenfeuers, selbst im Sommer, wenn das Wetter feucht ist. Das elegante Teegeräte steht in zierlicher Ordnung auf dem schneeweiß bedeckten Tische, daneben frische, ungesalzene, in Wasser schwimmende Butter, das weißeste Brot von der Welt, Zwieback, hartgekochte Eier, auch wohl, nach schottischer Sitte, Honig und Marmelade von Pomeranzen. Hotrolls, heiße Rollen, eine Art warmer, mit Butter bestrichener Semmeln, und Toasts, Brotschnitten, welche, von beiden Seiten mit Butter bestrichen, langsam am Feuer rösten, dürfen nie fehlen; letztere stehen in einem dazu verfertigten silbernen Gestell im Kamin, der Teekessel braust und siedet gesellig daneben.

Mit allem diesem wäre aber dennoch das Frühstück ohne die neuesten Zeitungsblätter sehr unvollständig, sie sind ein Hauptstück dabei. Ein selten vermißtes Stück des deutschen Frühstücks, die Tabakspfeife, ist, zum Lobe der Londoner sei's gesagt, bei ihnen ganz verbannt; dies schmutzige Vergnügen wird der letzten Klasse des Volks überlassen; höchst ergötzt sich noch zuweilen ein alter, ausgedienter Seemann oder ein kaum halbzivilisierter Landjunker in seinen einsamen vier Pfählen daran.

Die Dame des Hauses bereitet den Tee, zwar viel umständlicher, aber auch viel besser als wir. Die Tassen werden erst sorgfältig mit heißem Wasser ausgewärmt, der Tee abgemessen, das heiße Wasser nach gewissen Regeln darauf gegossen, und um für alle diese Mühe den gehörigen Ruhm zu ernten, wird der Reihe nach gefragt: ob der Tee nach jedes Wunsch geraten sei? Alles geschieht langsam und mit einer feierlichen Ruhe, welche die Engländer gern ihren Mahlzeiten geben: denn sie mögen dabei keine anderen Gedanken aufkommen lassen, außer den des gegenwärtigen Genusses. Nur die Zeitungsblätter machen beim Frühstück hiervon eine Ausnahme, und die Herren und Damen beschäftigen sich eifrig damit: denn nicht nur politische Neuigkeiten werden darin aufgetischt, auch Theater- und Familiennachrichten, und vor allem die neuesten Stadtgeschichten, frohe und traurige, erbauliche und skandalöse, wahre, halbwahre und ganz erdichtete. Alles wird gelesen, alles wird besprochen. Daß bei solchen Fällen das Gespräch seltener stockt, als sonst wohl geschieht, ist natürlich.

Nach dem Frühstück begeben sich die Männer an ihr Geschäft, ins Comptoir, oder wohin ihr Beruf sie treibt. So viel möglich wird den Vormittag über alle Arbeit abgetan, und trotz des späten Anfangs ist er lang genug dazu, da niemand vor fünf bis sechs Uhr zu Mittag speist. Nach Tische feiert jeder gern, wenn ihn nicht gerade ein hartes Schicksal zur Arbeit zwingt.

Viele Herren besuchen bald nach dem Frühstück ihr gewohntes Kaffeehaus, wo sie einen großen Teil ihrer Geschäfte abtun, eine Menge Briefe aus der Stadt und andere Bestellungen harren dort schon ihrer; dorthin verlegen sie auch gewöhnlich ihre Zusammenkünfte mit Freunde, um über wichtige Dinge sich mündlich zu besprechen und Verabredungen zu treffen. Die Wirtin des Hauses nimmt auf ihrem erhöhten Sitz unten am Eingange alles an und bestellt es mit pünktlicher Treue an ihre Kunden, die sie alle persönlich kennt, weil sie es fast nie verfehlen, sich zur nämlichen Stunde einzustellen.

Diese Gewohnheit, sich täglich an einem bestimmten Orte finden zu lassen, ist in dieser ungeheuren Stadt von großem Nutzen; eine Menge unnützer Gänge und viel sonst verlorene Zeit werden dadurch erspart. Obendrein gewinnt der häusliche Friede dabei, denn nächst der fleckenlosen Reinheit des eigenen Anzugs liegt einer Engländerin nichts so sehr am Herzen, als die ihres Hauses, ihrer Treppen, ihrer Fußteppiche, und wie sehr ist für alles dies dadurch gesorgt, daß so manches außer dem Hause gemacht wird, was sonst in demselben Unordnung oder doch wenigstens Unruhe erregen müßte!

Die Ladies gehen nun auch an ihr Geschäft. Sie greifen zu den Morgenhüten, denn jede Tageszeit hat ihr eigenes Kostüm, und selbst im Wagen würde es auffallend erscheinen, wenn sich eine Dame in den Vormittagsstunden ohne Hut wollte sehen lassen. Wäre sie auch in siebenfache Schleier gehüllt, alles würde sie anstarren, gleich etwas nie Gesehenes. Wollte sie es vollends wagen, ohne Hut, selbst nur wenige Schritte zu Fuß über die Straße zu gehen, sie wäre ganz verloren; unbarmherzig würde sie der Pöbel verfolgen, als hätte sie die größte Unanständigkeit begangen.

Wohlversehen also mit großen Hüten, mit Halstüchern, Shawls, wandern wir nun aus, denn die Mode will, daß man sich in den heißen Stunden des Tages am sorgfältigsten verhüllt. Visiten haben wir nicht viel zu machen, der Kreis unserer eigentlichen Bekannten ist klein, man schränkt sich zum näheren Umgange auf wenige Häuser ein, wie in allen großen Städten. Das Visitenwesen wird in London überdies fast immer mit Karten abgemacht. Indessen, einen Wochenbesuch haben wir doch abzustatten, denn diese sind hier, wie überall, unerläßlich; nur werden sie später als bei uns angenommen.

Wir finden die Dame in dem glänzenden Schlafzimmer. Vor allem prunkt das große Bett. Die Kissen, die Decken sind mit Spitzen und feiner Näharbeit verziert, mit grüner Seide gefütterte Draperie vom thronartigen Baldachin herab, so daß man die schönen Säulen von Mahagoni- oder anderem, noch kostbarerem Holze frei erblickt. Das Negligé der Dame ist über und über mit den teuersten Spitzen geschmückt und bekräuselt; alles ist fein und erlesen, alles zeigt Reichtum.

Den Hauptgegenstand des Gesprächs gewährt die auf einem Seitentisch ausgestellte Garderobe des neuen Ankömmlings. Er selbst ist nicht sichtbar, sondern in der Kinderstube mit seiner Amme, denn das Selbststillen der vornehmeren Mütter ist in England nicht so allgemein wie in Deutschland.

Es gibt hier bedeutende Läden, wo nichts anderes verkauft wird als Kinderzeug, und zwar zu sehr hohen Preisen. Alle Waren dieser Läden prunken dann in dem Wochenzimmer verschwenderisch aufgehäuft. Selbst ein großes Nadelkissen in der Mitte ist nicht zu vergessen, auf welchem man mit Stecknadeln von allen Größen künstliche Muster steckt, die einer schönen, reichen Silberstickerei gleichen. Wahrscheinlich werden diese Dinge selten oder nie gebraucht, denn sie sind ihrer Natur nach zu zart und vergänglich, sie dienen nur zum Prunke.

Sind wir mit dem Besehen und Bewundern endlich fertig, so wandern wir weiter a Shopping, dies heißt: wir kehren in zwanzig Läden ein, lassen uns tausend Dinge zeigen, an welchen uns nichts liegt, kehren alles Unterste zu oberst und gehen vielleicht am Ende davon, ohne etwas gekauft zu haben. Die Geduld, mit der die Kaufleute sich dieses Unwesen gefallen lassen, kann nicht genug bewundert werden; keinem fällt es ein, nur eine verdrießliche Miene darüber zu zeigen. Sehr vornehme Damen fahren a Shopping. Ohne sich aus dem Wagen zu bemühen, lassen sie sich den halben Laden in die Kutsche bringen, zur großen Beschwerde der Kaufleute sowohl als der Vorübergehenden auf dem Trottoir. Man erzählt, daß ein Trupp Matrosen, dem eine solche mit offenem Schlag dastehende Equipage den Weg versperrte, ohne Umstände einer nach dem anderen hindurchspazierte, indem sie der darin sitzenden Dame höflich guten Morgen boten.

Die mannigfaltigen Ausstellungen von Kunstwerken sowohl als von Naturseltenheiten bieten uns angenehme Ruhepunkte, wenn wir es endlich müde sind, die Kaufleute in Bewegung zu setzen.

Die Promenade im St. James Park könnte auch eine Abwechslung gewähren; doch wird sie im Ganzen weniger besucht, so reizend sie auch ist. Zwar fehlt es nie an Spaziergängern darin, aber nur bei sehr seltenen Gelegenheiten findet man sie so bevölkert, wie es die Terrassen der Tuilerien alle Tage sind. Es gibt der müßigen Männer weit weniger in London als in Paris. Die englischen Damen gehen nicht so viel aus als die Pariserinnen, und wenn sie es tun, so ziehen sie eine Shopping party allen anderen Promenaden vor.

Die Kuchenläden, deren wir früher gedachten, liegen, gleich anderen, frei und offen unten an der Straße; daher können Damen recht anständig allein dort einkehren. Nur in dem berühmtesten aller Etablissements, bei Mr. Birch, in der Nähe der Börse, geht dies wohl nicht an; hier kann man sich nicht ohne männliche Begleitung blicken lassen.

Das nicht sehr geräumige Frühstückszimmer befindet sich hinten im Hause, am Ende eines langen Ganges. Kein Strahl des Tageslichts wird darin geduldet, Wachskerzen erleuchten es, und wenn die Sonne draußen noch so hell schiene; die übrige Einrichtung des Zimmers ist anständig, ohne sich besonders auszuzeichnen. Immer findet man Gesellschaften von Herren und Damen darin, die gewöhnlich schweigend ihre Schildkrötensuppe und ein paar warme kleine Pastetchen verzehren. Weiter wird in diesem Hause nichts zubereitet; aber die Pastetchen sollen die besten in der ganzen Welt sein, und nun vollends die Schildkrötensuppe, darüber geht nichts. Nirgends weiß man sie so zu bereiten wie hier, so behaupten die Londoner. Uns aber kam die Gelassenheit, mit welcher die Herren und Damen das von Madeirawein und Cayennepfeffer glühende, uns Zunge und Gaumen verbrennende Gemengsel genossen, weit bewundernswerter vor als die Suppe selbst.

Der vorige Besitzer dieses Hauses, Mr. Horton, brachte indessen bloß mit diesen Pastetchen und der Suppe in nicht gar langer Zeit ein Vermögen von hunderttausend Pfund Sterling zusammen, und sein letzter Nachfolger, Mr. Birch, ist auf gutem Wege, es ihm nachzutun. Dennoch sind die Preise in diesem Hause sehr billig und wie überall ein für allemal festgesetzt. Was jeder verzehrt, ist eine Kleinigkeit, aber die Menge der Verzehrenden gibt eine ungeheure Einnahme.

Gegen fünf Uhr wird es Zeit, nach Hause und an die nötige Toilette vor Tische zu denken. Heute sind wir zu einem Dinner geladen, aber wenn wir auch ganz en famille den Tag zu Hause zubrächten, so wäre es doch höchst unschicklich und bei gesunden Tagen unerhört, im Morgenkleide zu bleiben. Selbst die Männer ziehen den Börsen-Rock aus und mit ihm alle Gedanken an Geschäfte, um in einem eleganteren Anzuge zu erscheinen.

Schön und etwas steif geputzt fahren wir nun um halb sieben zum Mittagessen. Gastfrei sind die Londoner eben nicht, sie scheuen nicht sowohl die große Teuerung aller Dinge als vielmehr die hier von allen geselligen Zusammenkünften durchaus unzertrennliche Etikette, welche einen solchen Tag für die ohnehin Ruhe liebende Hausfrau zu einer schweren Last macht. Daher werden gewöhnlich solche Dinners nur durch äußere Anlässe herbeigeführt, wie etwa die Gegenwart von Fremden, denen man die Ehre antun zu müssen glaubt. Sonst führt der Londoner seinen Freund lieber in eine Taverne, als daß er ihn bei sich aufnimmt, dort tête à tête, oder in einem größeren, doch immer geschlossenen Zirkel tun sie sich bei Wein, Politik und lustigen Gesprächen gütlich. Zu Hause ängstigt sie die Gegenwart der Frauen, denen man zwar die größte Hochachtung im Äußeren aufweist, aber ihnen auch, wie allen Respektspersonen, eben deshalb gern so viel möglich aus dem Wege geht.

Doch wieder zu unserem Dinner. In dem Besuchszimmer finden wir die Gesellschaft versammelt; es faßt höchstens zwölf bis vierzehn Personen. Nach den herkömmlichen Begrüßungsformeln nehmen die Damen zu beiden Seiten des Kamins in Lehnstühlen Platz, die Herren wärmen sich am Feuer, und nicht immer auf die schicklichste Weise. Schläfrig, einsilbig, langsam wankt die Konversation zwischen Leben und Sterben, bis endlich der willkommene Ruf ins Speisezimmer ertönt. Dies liegt oft eine Treppe höher oder niedriger als das Besuchszimmer, weil, wie wir schon früher bemerkten, die Wohnungen, selbst sehr reicher Leute, nichts weniger als geräumig und bequem sind.

Die Tafel steht fertig serviert da, bis auf die Gläser. Servietten gibt es jetzt an den englischen Tafeln, seit die Engländer so viel reisen, wenigstens, wenn man ein Dinner gibt. Vor weniger Zeit fand man sie nur in Häusern, welche auf fremde Sitten Anspruch machten. Das Tischtuch hing damals und hängt auch noch wohl jetzt, wenn man en famille speist, bis auf den Erdboden herab, und jedermann nahm es beim Niedersitzen auf's Knie und handhabte es wie bei uns die Serviette. Die Dame vom Hause thront in einem Lehnstuhl am oberen Ende der Tafel, ihr Gemahl sitzt ihr gegenüber unten am Tisch, die Gäste nehmen auf gewöhnlichen Stühlen zu beiden Seiten Platz, so viel möglichst in bunter Reihe, nach der Ordnung, die ihnen vom Herrn des Hauses vorgeschrieben wird. Alle Gerichte, welche zum ersten Gange gehören, stehen auf der Tafel.

Die englische Kochkunst hat auch in Deutschland ihre Verehrer; wir gehören nicht dazu, uns graute vor dem blutigen Fleisch, vor den ohne alles Salz zubereiteten Fischen, vor dem in Wasser halb gar gekochten Gemüse, den Hasen und Rebhühnern, die, wie alle anderen Braten, ungespickt, ohne alle Butter, bloß in ihrer eigenen Brühe zubereitet werden.

Die Dame serviert die reichlich mit Cayennepfeffer gewürzte, übrigens ziemlich dünne Suppe, nachdem sie jeden Tischgenossen namentlich gefragt hat: ob er welche verlange? Des Fragens von Seiten der Wirte und des Antwortens von Seiten der Gäste ist an einem englischen Tische kein Ende. Eine große Verlegenheit für den fremden Gast, der, wenn er auch der englischen Sprache sonst ziemlich mächtig ist, dennoch unmöglich alle diese technischen Ausdrücke wissen kann. Er muß Rede und Antwort von jeder Schüssel geben, ob er davon verlangt, ob viel oder wenig, mit Brühe oder ohne Brühe, welchen Teil vom Geflügel, vom Fisch, ob er es gern stärker oder weniger gebraten hat, eine Frage, die besonders oft die Fremden in Verlegenheit setzt; man sag: much done or little done, wörtlich übersetzt heißt das: viel getan oder wenig getan.

Diese Fragen ertönen von allen Seiten des Tisches zugleich, denn ein paar Hausfreunde helfen dem Herrn und der Frau vom Hause im Vorlegen der Schüsseln. Alle werden nach der Suppe zugleich serviert, nicht nach der Reihe wie in Deutschland. Sie bestehen aus einem großen Seefisch, einem Lachs, Kabeljau, Steinbutt oder dergleichen, der, beim Kochen gesalzen, vortrefflich wäre, so aber dem Fremden fast ungenießbar bleibt, aus Puddingen, Gemüsen, Tarts und allen Gattungen von Fleisch und Geflügel, ohne Salz, Butter oder andere fremde Zutat in eigener Brühe gedämpft, geröstet, gebraten oder gekocht, nur der Pfeffer ist nicht daran gespart. Hat man über eine solche Schüssel einen dünnen, trockenen Butterteig gelegt, so beehrt man sie mit dem Titel einer Pastete.

Die halbrohen Gemüse müssen ganz grün und frisch aussehen, erst bei Tafel tut jeder auf seinem Teller nach Belieben geschmolzene Butter daran. Kartoffeln fehlen bei keiner Mahlzeit, sie sind vortrefflich, bloß in Wasserdampf gekocht. Die Puddings aller Art wären auch sehr gut, nur sind sie oft zu fett, fast nur aus Ochsenmark und dergleichen zusammengesetzt. Die Tarts, der Triumph der englischen Kochkunst, bestehen aus halbreifem Obst, in Wasser gekocht und mit einem Deckel von trockenem Teige versehen. Die Pickels, welche den Braten begleiten, eigentlich alle Arten Gemüse, Mais, unreife Walnüsse, kleine Zwiebeln und dergleichen, mit starkem Essig und vielem Gewürze eingemacht, sind vortrefflich.

Mit diesen sowie mit der Soja- und anderen pikanten Saucen, die hier im Großen fabriziert und verkauft werden, treibt London einen großen Handel durch die halbe Welt. Diese Saucen, Senf, Öl und Essig stehen in zierlichen Plattmenagen zum Gebrauch der Gäste da, sowie auch immer für zwei Personen ein Salzfaß.

Der Salat wird von der Dame vom Hause über Tische mit vieler Umständlichkeit bereitet und klein geschnitten; er besteht aus einer sehr zarten, saftigen Art Lattich, dessen Blätter schmal, aber wohl eine halbe Elle lang sind; außer England sahen wir sie nirgends, dafür aber ist auch unser Kopfsalat dort unbekannt. Unermüdet bieten die Vorlegenden alle diese Dinge den Gästen an; dafür müssen diese wieder alles pflichtschuldigst loben und versichern, sie hätten in ihrem Leben kein besser Kalb- oder Hammelfleisch gesehen, und es wäre auch alles ganz vortrefflich zubereitet.

Das Zeremoniell beim Trinken ist, besonders den fremden Damen, noch beschwerlicher und versetzt uns oft in wahre Not. Da sitzen wir betäubt und ängstlich von alledem wunderlichen Wesen; plötzlich erhebt der Herr vom Hause seine Stimme und bittet eine Dame, und aus Höflichkeit die Fremde zuerst, um die Erlaubnis, ein Glas Wein mit ihr zu trinken, und zugleich zu bestimmen, ob sie weißen Lissaboner oder roten Portwein vorziehe? Denn die französischen Weine sowie der Rheinwein kommen erst zum Nachtisch. Verlegen trifft man die Wahl, und mit lauter Stimme wird nun dem Bedienten befohlen, zwei Gläser Wein von der bestimmten Sorte zu bringen. Zierlich sich gegeneinander verneigend, sprechen die beiden handelnden Personen wie im Chor: »Sir, Ihre gute Gesundheit! Madam, Ihre gute Gesundheit!« trinken die Gläser aus und geben sie weg. Nach einer kleinen Weile tönt dieselbe Aufforderung von einer anderen Stimme, dieselbe Zeremonie wird wiederholt und immer wiederholt, bis jeder Herr mit jeder Dame und jede Dame mit jedem Herrn wenigstens einmal die Reihe gemacht hat. Keine kleine Aufgabe für die, welche des starken Weins ungewohnt sind. Abschlagen darf man es niemandem, das wäre beleidigend; obendrein muß man noch mit dem ersten Glase den Wunsch für die Gesundheit jeder einzelnen Person an der Tafel wenigstens durch ein Kopfnicken andeuten und auch genau acht geben, ob jemand der anderen Gäste uns diese Ehre erzeigt. Es wäre die höchste Unschicklichkeit, wenn eine Dame unaufgefordert trinken wollte, sie muß warten, wäre sie auch noch so durstig, doch bleibt die Aufforderung selten lange aus. Auch die Herren müssen sich zu jedem Glas einen Gehilfen einladen, ein Dritter hat aber die Erlaubnis, sich mit anzuschließen, wenn er vorher geziemend darum anhält.

So hat man denn mit Antworten auf die Einladung zum Essen und Trinken, mit Gesundheittrinken, und mit Achtgeben, ob niemand die unsere trinkt, vollauf zu tun. Kein interessantes Tischgespräch kann aufkommen, es wird sogar für unschicklich gehalten, wenn jemand den Versuch macht, eines aufzubringen; der Herr des Hauses fährt gleich mit der Bemerkung dazwischen: »Sir, Sie verlieren Ihr Mittagessen, nach Tische wollen wir das abhandeln.« Die Damen sprechen ohnehin nur das Notwendigste aus lauter Bescheidenheit. Die Fremden können sich nicht genug vor zu großer Lebhaftigkeit des Gesprächs hüten; es gehört hier gar nicht viel dazu, um für ungeheuer dreist, monstrous bold, zu gelten.

Ist der erste beschwerliche Akt des Essens überstanden, so wird der Tisch geleert, die Brotkrumen sorgfältig vom Tischtuch abgekehrt, und es erscheinen verschiedene Arten von Käse, Butter, Radieschen und wieder Salat. Letzterer wird ohne alle Zubereitung bloß mit Salz zum Käse gegessen.

Dieser Zwischenakt dauert nicht lange, er macht einem zweiten Platz. Jeder Gast bekommt nun ein kleines, schön geschliffenes Kristallbecken voll Wasser zum Spülen der Zähne und zum Händewaschen und eine kleine Serviette; man verfährt damit, als wäre man für sich allein zu Hause. Die ganze so beschäftigte Gesellschaft erinnerte uns oft an einen Kreis Tritonen, wie man sie Wasser speiend um Fontänen sitzen sieht. Die Damen ermangeln nicht, große Zierlichkeit im Abziehen der Ringe und Benetzen der Fingerspitzen anzubringen; die Herren gehen schon etwas dreister zu Werke.

Nach dieser Reinigungszeremonie ändert sich die ganze Dekoration. Das Tischtuch, mit allem was darauf stand, verschwindet, und der schöne, hellpolierte Tisch von Mahagoniholz glänzt uns entgegen. Jetzt werden Flaschen und Gläser vor den Herrn des Hauses hingestellt, das Obst wird aufgetragen, und jeder Gast erhält ein kleines Couvert zum Dessert, ein Glas und ein kleines rotgewürfeltes oder ganz rotes, viereckig zusammengelegtes Tuch. Letzteres aber darf man nicht entfalten, man benutzt es nur, das Glas darauf zu stellen. Das Obst wird nicht herumgereicht, sondern wie vorher die anderen Gerichte vorgelegt und mit vielen Fragen ausgeboten. Es ist im Ganzen schlecht, sauer und halbreif. Haselnüsse, die Lieblingsfrucht der Engländer, welche sie Jahr für Jahr knacken, fehlen nie dabei, süße Konfitüren und Bonbons sind wenig im Gebrauch.

Jetzt fangen die Flaschen an, die Hauptrolle zu spielen; jeder schiebt sie seinem Nachbar zu, nachdem er sich etwas eingeschenkt hat, viel oder wenig, wie man will, nur leer darf das Glas nicht bleiben, und bei jedem Toast muß das Eingeschenkte ausgetrunken werden. Den Damen sieht man indessen durch die Finger, wenn sie bloß ein wenig nippen. Der Wirt bringt nur einige Toasts aus, er läßt seine Freunde leben, die sich denn wieder durch ein Gegenkompliment an ihm und der Dame vom Hause revanchieren; die königliche Familie wird nie bei dieser Gelegenheit vergessen. Einige der Gäste geben Sentiments zum besten, das heißt, kurze Sätze, die zuweilen auf die Damen Bezug haben, zum Beispiel: merit to win a heart and sense to keep it, Verdienst, ein Herz zu gewinnen, und Verstand, um es zu behalten. Alle diese Gesundheiten werden beim Trinken mit lauter Stimme von jedem wiederholt.

Diese Gesundheiten, Ermunterungen zum Trinken, Ermahnungen, die Flasche weiterzuschieben, sind alles, was man jetzt hört. Bald nachdem man dem König die gebührende Ehre erzeigt hat, erhebt sich die Dame des Hauses aus ihrem Lehnsessel; mit einer kleinen Verbeugung gibt sie den übrigen Damen das Signal, alle erheben sich und trippeln sittsamlich hinter ihrer Führerin zur Tür hinaus. Sogar wenn Mann und Frau tête à tête allein essen, geht Madame fort und läßt den Eheherrn allein hinter der Flasche. Ob er dann auch Toasts ausbringt, ist uns nicht bekannt.

Jetzt, da die Frauen fort sind, wird es den Herren leichter um's Herz, aller Zwang ist nun verbannt, sie bleiben unter sich allein, bei Wein, Politik und manchem derbem Spaß, den sie während unserer Gegenwart mühsam zurückhalten mußten. Ihr lautes Sprechen und Lachen verkündet dem ganzen Hause, daß ihnen gar wohl zu Mute sei. Wir aber, wir Armen, was wird aus uns? Da sitzen wir wieder am Kamin und sehen uns an und gähnen mit geschlossenem Munde. Nicht einmal Kaffee gibt es, um uns einigermaßen munter zu erhalten, Handarbeit in Gesellschaft wäre auch unerhört, der gegenseitige Anzug ist leider zu bald durchgemustert. In der trostlosesten Stimmung sitzen wir hier und sind allesamt des Lebens herzlich müde. Wie gern schliefen wir ein! Aber das schickt sich nicht.

Endlich ist eine Stunde so jämmerlich hingeschlichen. Wir haben vom Wetter gesprochen, vom Theater; das ist hier aber kein so gangbarer Artikel als in anderen Orten, denn man geht viel seltener hin. Die Fremde ist zehnmal gefragt worden, wie ihr London gefällt, und sie hat zehnmal pflichtschuldigst geantwortet: ganz ausnehmend wohl; da macht dann endlich die Frau vom Hause dem Jammer dadurch ein Ende, daß sie die Herren zum Tee bitten läßt.

Man sagt, die schnellere oder langsamere Befolgung dieses Winks sei das sicherste Zeichen, wer im Hause herrsche, ob der Mann oder die Frau. Indessen, wenn sie auch zögern, sie kommen doch, die Herren, ein wenig heiter, ein wenig redselig; aber, zu ihrer Ehre sei es gesagt, betrunken haben wir bei solchen Gelegenheiten keinen gesehen.

Die Dame macht jetzt den Tee sehr umständlich. Die Fragen, wie man ihn findet, wie man ihn wünscht, ob süß, ob mit viel Milch oder wenig, werden auch hier nicht unterlassen. In einigen Häusern wird er draußen serviert und vom Bedienten herumgereicht; doch dies sind Ausnahmen von der Regel; die englischen Ladies lassen sich ungern den Platz am Teetisch nehmen, den sie so ehrenvoll behaupten. Neben dem Tee wird auch sehr schlechter, dünner Kaffee geboten.

Die Konversation geht nun ein klein wenig rascher, indessen die Herren haben sich bei der Bouteille rein ausgesprochen, die Damen sind müde und sprechen überhaupt wenig, es wird selten ein munteres, erfreuliches Gespräch daraus. Nach dem Tee fährt man nach Hause, denn für's Theater ist's zu spät, oder man bleibt zum Spiel, je nachdem man eingeladen ist.

Whist ist das einzige übliche Spiel in Gesellschaft; von unserer Art zu spielen weicht man darin ab, daß man nur Partie Simple oder Double zählt, kein Tripel oder Quadrupel. Auf diese Weise kann man höchstens sieben Points in einem Tobber verlieren, deren man immer drei spielt, nie mehr, noch weniger. Die Karten sind sehr teuer und groß, aber ungeschickt. Dies ist wohl das einzige Fabrikat, in welchem die Engländer anderen Nationen nachstehen. Kartengeld ist nicht gebräuchlich, ebensowenig Trinkgeld an die Bedienten.

Daß die Engländer sehr gut, sehr ernst und schweigend dies ihr Nationalspiel spielen, ist bekannt, nicht aber, daß keineswegs die Spielenden, sondern der Herr des Hauses zu bestimmen hat, wie hoch seine Gäste spielen sollen. Dieser Taxe muß man sich ohne Widerrede unterwerfen, wenn man nicht beleidigen will. Einige bestimmen aus Ostentation ein sehr hohes Spiel, andere, die vernünftiger sind, tun das Gegenteil. Dem Fremden ist zu raten, daß er sich vorher nach der Sitte des Hauses erkundige, ehe er zum Spiel geht, sonst kann er in unangenehme Verlegenheit geraten.

Nach dem Spiele setzt man sich noch zu einem kalten Abendessen von Austern, Hummer, Tarts und dergleichen; dies wir sehr schnell abgetan. Froh, das Vergnügen des Tages überstanden zu haben, fährt man spät nach Mitternacht durch die noch immer von Menschen wimmelnden Straßen nach Hause. Alle Läden sind noch offen und erleuchtet, die Straßenlaternen brennen ohnehin immer, bis die Sonne wieder scheint.

Es gibt noch eine Art geselliger Zusammenkünfte, welche die erste Klasse des Mittelstandes, von der wir hier sprechen, dem vornehmeren, aus den ersten Familien des Reichs bestehenden Zirkel abgelernt hat. Sie heißen Routs, gleichbedeutend mit unseren Assembleen in Deutschland. Mit dem Wort Assembly verbindet man in England immer die Idee einer auf Unterzeichnung gegründeten Zusammenkunft an einem öffentlichen Orte.

Die Frau vom Hause macht die Honneurs dieser Routs und ladet dazu ein. Schon mehrere Tage vorher werden allen Bekannten Karten zugeschickt, und zwar ungefähr dreimal so vielen Personen, als das Lokal gemächlich fassen kann. Es versteht sich von selbst, daß man zu einem solchen Feste eine bessere Wohnung als die gewöhnlichen haben muß, die doch wenigstens eine Art von Folgereihe mehrerer Zimmer enthält.

Um zehn Uhr, oft noch viel später, fängt man an, sich zu versammeln, drängt sich durch, um die Wirtin zu begrüßen, die gewöhnlich unfern der ersten Tür im Zimmer Posto gefaßt hat, und nimmt dann Platz an einem der vielen Spieltische, die dicht zusammengedrängt den ganzen Raum erfüllen. Tee und andere Erfrischungen werden herumgereicht, solange die Bedienten durchkommen können. Wird es zuletzt so voll, daß niemand mehr atmen kann, daß vor allgemeinem Geräusch kein Wort mehr zu verstehen ist, daß es an Stühlen und Raum fehlt, welche zu stellen, ja, daß die zuletzt Kommenden auf Treppen und Vorplätzen stehen bleiben müssen, so hat das Vergnügen seinen Höhepunkt erreicht.

Um zwei, drei Uhr gegen Morgen entwickelt sich der Menschenknäuel langsam, wie er anschwoll. Man fährt nach Hause und hat einen deliziösen Abend im großen Stil hingebracht. Die Dame vom Hause zieht sich in ihr Zimmer zurück, zwar betäubt vom Lärm, wie zerschlagen an allen Gliedern von dem ewigen Stehen und allen Begrüßungsformeln, aber doch mit dem stolzen Bewußtsein, die höchste Glorie des geselligen Lebens erreicht zu haben.

Sonntag

Welch ein Tag für die arbeitende Klasse auf dem festen Lande! Die Greise freuen sich schon sonnabends auf den Ruhepunkt, wo sie nach sechs mühevollen Tagen die Ihrigen reinlich und festlich gekleidet in Freude und Lust um sich sehen; die Kinder rechnen schon Montag, wie lange es noch zum Sonntag sei, dann ist keine Schule, dann können sie frei und frank herumlaufen und spielen nach Herzensgefallen, und vollends den jungen Leuten öffnet sich ein Himmelreich bei Musik und Tanz, unter der Linde und in der Schenke.

Von den Vornehmen in den Städten haben freilich viele alle Tage Sonntag, wenn sie wollen; dennoch ist für alle Stände der Tag des Herrn nicht nur ein Ruhetag, sondern auch ein Tag der Freude, geselligen Vergnügens und vor allem Familienzusammenkünften geweiht. Wenige gibt es, die nicht diesem Tage, so oft er erscheint, mit irgend einer frohen Hoffnung entgegensehen, und wäre es nur die, einmal ins Schauspiel zu gehen, nachdem man die ganze Woche alle Abende bei der Arbeit war.

Ganz anders ist es in London: Musik und Tanz sind hoch verpönt, an Theater ist gar nicht zu denken erlaubt, alle Läden, alle Ausstellungen sind dicht verschlossen. Die fanatische Pedanterie, mit der man hier für die Heilighaltung des Sabbats wacht, übertrifft noch die der Juden, welche doch nur die Arbeit untersagen, aber das Vergnügen erlauben.

Einige der vornehmsten Familien des Reichs wurden vor kurzer Zeit fast namentlich in den Kirchen als Sabbatschänder und schreckliche Sünder abgekanzelt und in allen öffentlichen Blättern mit Schmähreden überhäuft, weil sie sonntags unter sich Liebhaberkonzerte gaben, und weil es bisweilen vorkam, daß die Gesellschaften, welche sie sonnabends bei sich versammelten, bis nach Mitternacht bei Tanz und Karten verweilten und dadurch den Tag des Herrn entheiligten, ehe er noch recht erschienen war.

»Ist's wirklich wahr, daß man in Deutschland am Sonntage Karten spielt?« hörten wir eine Dame fragen. »Keinen Tag lieber als sonntags, wo man doch nichts zu tun hat«, war die Antwort. »Good Lord!« seufzte die zweite Dame; »aber«, setzte sie belehrend hinzu, »man kann's ihnen nicht verdenken, sie werden nicht besser gelehrt«, und dabei blickte sie mitleidig auf uns Heiden. »Aber sie spielen doch nicht um Geld?« fragte eine dritte. »Freilich um Geld, oft um viel Geld!« Alle fuhren schaudernd zurück. »God bless us all«, Gott segne uns alle!, sagte die vierte, »ich habe einmal sonntags (und um gar nichts) Karten gespielt, und ich kann's mir heute nicht vergeben.« Alle vier hatten zwei Minuten vorher bitterlich über den Sonntag geseufzt, der ihnen nicht erlaubte, einen Robber zu machen; man war auf dem Lande bei abscheulichem Wetter und hatte die schrecklichste Langeweile, während die Herren bei der Flasche wie angemauert blieben.

Der echte Engländer teilt den Tag zwischen öffentlichem Gottesdienst, häuslicher Betstunde und der Flasche; seine Frau bringt die Zeit, welche ihr die Andacht übrig läßt, mit irgendeiner Frau Gevatterin zu und läßt den lieben Nächsten eine etwas scharfe Revue passieren, denn das ist sonntags erlaubt. Die Kinder sind gar übel daran, seit man eigene Schulen für die Sonntagabende errichtet hat, in welche sie prozessionsweise getrieben werden, nachdem sie den Tag über zweimal in der Kirche und einmal zu Hause die sinn- und geistlose Liturgie des englischen Gottesdienstes haben herbeten müssen.

Aber wie noch erbärmlicher geht's dem des Zwangs ungewohnten Fremden! Sie öffnen das Klavier, die Wirtin knickst in's Zimmer herein und bittet, den Tag des Herrn nicht zu vergessen. Sie ergreifen ein Buch, da kommt ein Besuch, sieht, daß Sie einer weltlichen Lektüre sich überließen, und hält Ihnen eine wohlgemeinte Ermahnungsrede. Ärgerlich setzen Sie sich in's Fenster; ohne daran zu denken, ergreifen Sie ein Strickzeug, da versammelt sich der Pöbel vor dem Hause, mit Schimpfen und Schelten zieht er Ihnen einen neuen Besuch der Wirtin zu, welche im heiligen Eifer sich diesmal etwas weniger glimpflich ausdrückt, als kurz vorher. Beschäftigen Sie sich fern vom Fenster in Ihrem Zimmer, so äußern die Bedienten, so oft sie hereintreten, ihren heiligen Abscheu, wenigstens durch Mienen, wenn nicht durch Worte. Wollen Sie mit ihren Landsleuten eine Partie Whist in ihrem eigenen Zimmer machen, so hat Ihr eigener Bedienter das Recht, Sie beim nächsten Friedensrichter zu verklagen, und Sie entgehen sicher der Strafe nicht.

Was fängt man aber mit dem Tage an, der zweiundfünfzigmal im Jahre wiederkommt? Man macht kleine Reisen, wenn die Jahreszeit und das Wetter es erlauben, und achtet's nicht, daß die Wegegelder am Sabbat doppelt erlegt werden müssen, zur Ehre des Herrn. Im Winter, bei schlimmem Wetter, faßt man sich in Geduld, anderen Rat gibt's nicht.


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