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5.

An der Stadtmauer ging es zu wie an einem Ameisenhaufen, den heillose Buben zerworfen. Überall Maurer und Handlanger und auf allen Wegen ächzende und knarrende Fuhrwerke mit tischgroßen Steinblöcken und schweren Baumstämmen. Überall Gehack und Geklopfe der Zimmerleute und überall Schreien, Lachen und wohl auch Singen.

Wo viel Volk beisammen ist, gibt es allenthalben und selbst zur ernstesten Zeit Neckereien, Gespöttel und helles Lachen, insonderheit aber, wo viel junges Gebursch darunter ist. Eines weiß dies, ein anderes jenes, und Scherz und Lachen würzen die schwerste Arbeit wie Salz und Lauch die schalste Suppe.

Da trällerte ein langsamer Maurer ein Liedel für sich hin, das wohl der Sänger Muskatblüt ersonnen haben mochte.

»Mein Herz ganz voller Freuden was War..
Ich sah die Blumen knopfen.
So klein war nirgends gar kein Gras,
Daran nicht hingen Tropfen.
Von süßem Tau
Hat sich die Au
Lustiglich überzogen
Mit Lilien und Rosen rot.
Aus herber Not
Kam mein Gemüt;
Des Maien Güt'
Hat mich noch nie betrogen.«

Und ein anderer schrie vom Mordgange der Stadtmauer ein Trutzliedel wider die grimmen Hussen hinaus in die sonnigen Lüfte und in die noch feindlose Weite, das er sich vielleicht selbst in müßiger Stunde ersonnen.

»Ihr Leut': es kommt der Hussensturm
Und fährt an Mauern, Tor und Turm
Und möcht' uns all' vernichten ...
Drum! drum! drum! ...

Drum auf, ihr Leut', und schaut nicht viel,
nehmt Streitaxt, Spieß und ... Besenstiel,
und zeiget es den Wichten!«

»Wenn er wirklich vor den Mauern stünde, der Husse, tätest auch nimmer krähen«, mutmaßte ein Wildbart, ein ungeschlachter Zimmergesell. »In ein Mausloch verkriechen, wenn du könntest.«

»Würdest dich irren. Ich habe mir schon eine Mordhacke heim aus dem Rathause und eine feste Beckelhaube. Möchte den sehen, der ...«

»Schon an die fünfzig Mann beim Stadtfähnlein«, rühmte ein junger Flaumbart. »Höll' und Donner hauen wir zuschanden.«

»Hat einen Willen und ein Geschicke, der junge Kühwolf. Und was er nicht weiß, das fällt dem Magister ein.«

»Ist nicht der dümmste Mensch, dieser Magister«, bestätigte unten auf der Gasse der Bauer Wilhalm, der mit ein etlichen anderen einen gutding zweimannsdicken Baumstamm ablud. »Ein paar Male seinen Rat angewendet, und das Weib kann wieder gehen ... kann schon halbwegs wieder gehen.«

»Wider alles gäb' es ein Mittel, wenn's einer wüßte«, kreißte daneben ein anderer.

»Wider Blutsauger und Herrenleute aber nicht.« So ein Hüne, der den Stamm am Zopfende Schwächeren Ende. ganz allein weghob. »Müssen wir diesem Krämerpacke auch noch scharwerken und fronen, wo uns eh' kaum soviel Zeit bleibt, bei Tage auf unseren Gründen zu arbeiten.«

»Unseren Gründen?« lachte ein schwarzbärtiger Zochen hämisch heraus. »Narr! Auf des Bärnsteiners Gründen mußt sagen, die er uns ... leiht, auf daß er etwen zum Zinsen und Scharwerken hat.«

»Das ist's ja. Und für was, möcht' ich wissen. Kommt der Husse, sitzt das Krämerpack hinter der festen Mauer und lacht der Bärnsteiner schadenfroh auf uns herunter, die wir oft nicht eine gute Schindel auf dem Dache haben und kein Gesperre an der Türe, geschweige denn Mauern und Tore. Für was, möchte ich also wissen.«

»Weißt, wenn wir unter uns reden: schaden tät es gar nicht, wenn der Husse wirklich käme«, raunte ein dürrhagerer, zerlumpter Kerl, auf dessen schier bodenlosem Hute eine zerzauste Hahnenfeder fächelte. »Was kann er uns nehmen oder vernichten? Nichts, gar nichts. Und wenn wir uns willig gäben ... Doch die anderen ... Wer weiß, wie es ginge, und wie dasig sie würden? Nach jedem Wetter wird der Erdboden viel frischer.«

»Das sage ich auch«, bekräftigte ein verknüllter und verschlissener Mensch, der im Winkelgäßlein neben dem Steffelhannes hauste und sich und seine Kinderschar mit Schindelmachen notdürftig durch das Leben schlug. »Wer weiß, wie es würde? Wenn man so reden hört ... Beim Sägfeiler bleibt immer einer über Nacht, wenn er gerade um die Wege ist, der Zwiebelböhm, und der weiß allerhand von diesen Leuten. Den Armen sollen sie gemeiniglich nichts tun, sagt er, nur auf die Herren und die Pfaffen Geistlichen. Damals ohne verächtliche Nebenbedeutung gang und gäbe. hätten sie es abgesehen, weil die ihren Hus verbrennet hätten und sie verfolgten. Die Welt wäre für die ganze Menschheit geschaffen worden, sagten sie – hör' ich –, Gründe, Wild und ... alles halt, nicht gerade für die großen Herren und für die reichen Pfaffen. Also müßte auch jeglicher seinen Anteil an der Welt haben und nimmer Leibeigener und Höriger der Großen sein, wie etwa das Vieh im Stalle.«

»Steht auch nichts in der Schrift von Herren und von Hörigen«, redete der Wilhalm dazwischen. »Also müßte es nicht so sein, meinet man. Lauter Scharwerk und lauter Scharwerk ... Kommst gar nimmer zu deiner eigenen Arbeit, es sei denn am Sonntag ...«

»Und da verbietet es der Pfaffe.«

»Na also! Gehörst herüben dem Bärnsteiner und drüben dem Hölldunner. Ein sauber Leben ...«

Zwei, drei Hauslängen weiter vorn zogen sie einen Balken auf den Mordgang, da einer morsch geworden. Ein Zimmerlehrling tänzelte mit ausgebreiteten Armen über einen freiliegenden Balken dahin wie ein fahrender Gaukler über ein Seil und johlte ein landläufig geworden Sprüchel:

»O Johannes Hus,
Armer Dominus!
Seufzest Ach und Weh,
Armer Domine!
Wärest doch daheim geblieben!
Dein Geleit war falsch geschrieben.« Altes Sprüchel.

»Aufgeschaut!« schrie ein Zimmergesell in den Trubel, und männiglich hielt seinem Tun inne. Bei der Scharwerksarbeit nutzte man jede Gelegenheit zu ein bißchen Rast. Nur der johlende Lehrbub tänzelte weiter ... »Aufgeschaut!«

Der Balken prallte aufs Gerüste, und einen, zwei Augenblicke nachher gellte ein kurzer Schrei, und der Lehrbub stürzte wie ein geschnellter Frosch vom Gerüst und zur Erde.

»Ich sag's ja ... ich sag' es ja ...«, stotterte der Schneiderdavidl entsetzt, während die anderen noch alleweil wie völlig erstarrt standen. »Keine Acht und kein Aufschauen ...«

Nun hasteten etliche hinzu. Wie mausetot lag der Bub und zuckte mit keiner Flechse. Man mühte sich um ihn, aber es schien, als ob Leib und Leben vollständig auseinandergeprellt wären.

»Absterbens Amen«, urteilte der Pfannenschmied, der auch an derselben Stelle scharwerkte. »Da gibt es nichts mehr.«

»Wem gehört er denn?« fragte ein Weib dazwischen.

»Was weiß ich? Hinterm Bärnstein hinten sollen seine Leut' hausen ...«

»Ein Bader ...! Wo ist denn ein Bader?«

»Tobies! Tobies!« brüllte ein Zimmermann in den Trubel.

»Mich können sie ...«, gehieß der sackgrob, als ihn einer aus seinem Mörtelumrühren aufstörte. »Wär' etwa der Tobies auch wieder einmal recht. Auf den ... Rauchfang können sie mir steigen.« –

Ein paar kräftige Fäuste packten ihn und drängten ihn kurzerhand durch das sich zusehends häufende Leutgemenge ... Mochte ja sein, daß ihn etwas verärgerte, das man nicht wußte, aber im Notfalle dürfte einer nicht lange herumklauben. Helfen müßte, wer nur könnte.

Aber auch vor dem trotz aller Mühen noch völlig totschlächtig liegenden Buben beharrte der Tobies bei seinem Weigern.

»Ich? Möcht' wissen! Ist noch einer da, ein ... Gescheiterer; soll zuerst der in die Ketten beißen. Könnte nachher gleich wieder heißen: wenn wir gleich zum andern gegangen wären! Und ... ich bin keiner, der einem anderen vom Brote beißt,« trutzte er gleich dahinter, als er den Schneiderdavidl ersah.

»Wenn du etwa damit mich meinst ...«, sträubte und plusterte sich der gleich. »Was geht es mich an, wenn du dem Richter nicht taugst! Macht euch solches untereinander aus!«

»Tobies!« versuchte auch die Gertraud zu nötigen, die der Balthes ebenfalls zum Stadtscharwerke geschickt.

»Ich ... ich mag nicht.«

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, wendete das Dirnlein und rannte spornstreichs davon. Ein Viertelstündlein später kam es eilends mit dem Magister daher.

»Schnauft eh' schon wieder«, lachte ihnen ein halbschüssiger Range entgegen. »Nur dämlich geprellt gewesen. In Daumens Länge singt er wieder.«

Hatte aber dazu kein Hersehen. Bei sich selber war er schon wieder, der Bub, doch wimmerte und kreißte er vor Schmerz und Wehtun im Fuße und im ganzen Leibe.

»Der Fuß wird ab sein«, mutmaßte einer.

»Der Husse noch gar nicht da, und gibt schon Unheil.« So ein anderer.

Magister Achmiller machte sich an den Buben. Es mochte wohl sein, daß der sich bei dem Sturz und Falle auch inwendig etwas zerprellt und verletzt, aber der linke Oberfuß war ab, kurzweg ab.

»Helft ihn irgendwo hintragen, wo man ihm den Fuß einrichten und schienen kann und wo er daheim ist!«, forderte er.

Daheim! Du liebe Zeit! Hinterm Bärnsteiner Schlosse in einem der Einödhäuser. Wer könnte ihn da wohl hintragen?

»Bringt ihn halt derweilen zu mir!« erbot sich der Schneiderdavidl zum Trutze. »Wenn er zusammengebunden und halbwegs zusammengeflickt ist, wird man ihn ja wohl heimfahren müssen zu seinen Leuten.«

»Und etwen zum Helfen brauchte ich.«

»Tobies!« mahnte der Pfannenschmied. »Bist ja selbst ein Bader.«

»Ich? Möcht' wissen ... Sei nur du stille!« fuhr er gleich darauf den Bauern Wilhalm an, der auch zureden und nötigen wollte an ihm. »Ich weiß es schon. Zuerst gibt man sich alle Mühe und wendet alle Künste an, und nachher hat man schlechte Nachreden. Ich ... tauge nicht dazu, und ... ich bin auch viel zu weichherzig zu solcher Arbeit.«

»So helf' ich«, trug die Gertraud an. »Bin ja auch ein Baderskind.«

Magister Achmillern wurde so, daß er am liebsten schlankweg wieder davongegangen wäre. Die Reden kamen ihm noch spitziger und spießiger vor, als sie gemeint waren, und der Ärger krabbelte nur so in ihm. Hätte es sich nicht um einen Menschen gehandelt, der der Hilfe bedurfte, er wäre vom Flecke weg davon.

Also trugen sie den wimmernden und schmerzkreißenden Buben zum Schneiderdavidl. Dorten schnitt sich der Magister ein etliche Holzschienen zurecht, derweil die Gertraud Wickel und Verbandzeug zurichtete und dem Buben einstweilen naßkalte Lappen auflegte, auf daß die Geschwulst nicht anliefe. Als der Magister die Schienen fertig hatte, war auch das Wickelzeug gerichtet.

Ein paar Augenblicke schaute der an dem Zeuge und nachher an dem Dirndel, und dann nickte er zufrieden. »Man kennt wirklich, daß Euer Vater ein Bader gewesen ist.«

»Hat seine Sache verstanden«, bestätigte der Davidl. »Da ist der Tobies nichts dagegen.«

Nun ging es ans Einrenken des Fußes und ans Schienen, und da mußten noch einige Männerleute herbei. Die Gertraud aber half. Keinen Handgriff tat sie unnötig oder gar verkehrt, und es war schier, als mochte sie dem Magister an den Händen oder an den Augen absehen, was der eben zur Hand brauchte.

»Bader, das wäre so ein Weiblein für Euch, wo Ihr eh' keines habt, wie man hört«, neckte ein Zimmergesell, doch der tat nur in währender Arbeit einen unmutigen Knurrer. Der Gertraud aber setzte sich diese Rede ins Sinnen wie eine hartnäckige Fliege, die sich nicht wieder vertreiben lassen wollte.

Wäre ...! Könnte wohl sein, und sie wäre es auch zufrieden mit solchem Handel. Soweit sie den Menschen kennengelernt hatte, ein recht ruhiger und gesetzter Mann, der etwas verstand von seinem Handwerke, und sie, das Baderdirndel, das wohl als solches halbwegs etwer war und hinwiederum als armes Jungferlein niemand, konnte sich kein besser Unterkommen träumen lassen.

Als der Fuß geschient und kunstgerecht gewickelt war, nickte der Magister wie selbstzufrieden vor sich hin. »So! Jetzt wenn es gerade wäre und wenn ein gutes Gefährte zur Hand stünde, das nicht arg schüttelte und prellte, könnte der Bub wohl heimgebracht werden zu seinen Leuten. Ist auch wegen der Pflege.«

Da machte sich der Davidl auf den Weg, ein solches Fuhrwerk zu suchen. Damit war er des Tages über des lästigen Scharwerkes an der Stadtmauer los, damit brachte er den Buben wieder aus dem Hause, der eine schwere Last wäre für ihn und die Seinen, und damit hatte er dem neidsüchtigen Bader Tobiesen doch ein Trutzstückel geboten.

Er ging vorerst zu Herrn Hillebrandt. Solches und dieses wäre vorgefallen, und wenn er, der Stadtoberste, ein Gefährte aufbieten und den Buben heimführen lassen wollte zu seinen Leuten ...

»Was? Ein Unglück?« fuhr der auf. »Da soll schon ... Wenn man nicht überall dabei ist und dabeisteht! So viel Stadträte, und keiner kümmert und schert sich. Da küren sie auch noch einen ... Stadthauptmann. Möcht' wissen ... möcht' wissen ... wozu? Damit sich kein Dunner mehr auskennt vor lauter Ämtern und lauter Gescheitheit. Sobald ich ein Gefährte kriege, kommt es. Oder wenn Ihr eines auftreiben könnt ...«

Also macht sich der Davidl selber auf die Suche, damit einer dieser lästigen Scharwerkstage auf die müßigste Weise verging. Der Bräuer hat Rosse, und vielleicht macht er die Fuhre. Ist ja nichts versäumt an dem Gange.

Beim Nagelschmied saß der alte Ahn' heraußen auf dem Hausbänkchen und in der warmen Sonne. Ihn fröstelte schon alleweil, sogar in der Sonne. Der fast hundertjährige, zusammengerackerte Leib glich einer beinahe erkalteten Schlacke, die ehedem auch einmal geglüht und gesprüht.

»Wo aus, Schneider?« näselte er ihm zu.

Das und jenes, und jetzt sollt' er ein Gefährte suchen.

»So wohl ... so ja ... Hätt' er sich nicht gleich erfallen können? Hätt' er nicht versterben können in seiner Jungdummheit? Wäre der schönste Tod, derselbe und vielem ausgewichen. Wenn eines einmal älter wird, stirbt es nimmer so leicht und ohne Sorge. Kinder und dies und jenes. Und wenn auch die nimmer hinderten ... es ist nichts mehr; es ... trägt einer schon zu schwer. Wie ein Stein liegst in aller Wege, aber du kannst nicht weg ... nimmer weg ...«

Der Davidl fand sich nicht zurecht an des Alten verworrener und wie ein Zwirnssträhnchen verwirrter Rede. Aber er nickte beistimmend und schlenderte vorüber.

»Ist so, Nagelschmied; ist nicht anders ...«

Der Bräu ließ gleich ein leichtes Wägelchen richten und einspannen. Auch lud er ein kleines Fäßlein schlechten Afterbieres darauf ... als lindernd Pflästerlein.

Als solches trug aber auch Jungfer Christel ein gut Stück Backwerk ins Schneiderhäusel und zu dem verunglückten Zimmerbuben.

»Wird bald wieder gut sein«, tröstete sie. »Gibt manche Leute, die Fuß oder Arm gebrochen haben und wieder so sind wie ehedem. Ein etliche Wochen böse Zeit eben.«

»Wenn eines sonst krank wäre, müßte es sich auch zufriedengeben.« So die Schneiderin. »Ich sag' allemal: was einem aufgesetzt und vorbestimmt ist, dem kann es nicht ausweichen, und machet' es auch einen meilenweiten Umweg. Und ist auch nicht anders.«

Mit des Bräuers Fuhrwerke kam auch Wolf Kühwolf zum Schneiderhäusel.

Man bettete den Buben so gut es ging auf eine feste Schütte Stroh, versprach ein bissel Beihilfe und wünschte baldige Heilung. Dann klapperte das Gefährte dem Bärensteiner Tore zu, und Wolf Kühwolf und Jungfer Christel schlenderten auf kleinem Umwege heimzu.

»Mir kommt es vor, als wenn zur Maienzeit ein böser Reif gefallen wäre und über Nacht alles Gras und alle Blumen versengt hätte wie im toten Herbste«, klagte Jungfer Christel. »So spelzeckig wird es wohl bei keinem zugehen wie bei uns ...«

»Wenn ...«, wollte Wolf Kühwolf wider ihren Vater klagen, aber er brach kurz ab. Wozu! Sie hatte es ja selbst gehört und wußte es ebensogut, wie er aus dem Hause gewiesen worden. »Wie glatt abgeschliffen geht es wohl nirgends aus. Hier fehlt es einmal an dem Stücke, dort an jenem, und wenn ein fester Willen da ist und ein treues Zusammenhalten, ebnet sich alles wieder aus. Fällt ja oftmals im Maien auch noch ein Reif, und doch blühen Gras und Blumen weiter.«

»Das wohl; aber ... mich beschleicht oftmals so eine böse Ahnung, wie wenn ... eine böse Zeit vor der Türe stünde. Lachet mich nicht aus! Manche spötteln darüber, doch ich kann mir nicht anders denken. Die Fliegen kommen, wenn Regenwetter wird, die Finken schreien: »schütt! schütt!«, und die Katzen wittern es, wenn ein Wetter in der Luft liegt, und sie wissen wohl auch nicht, wie und warum. So, meine ich, wittert die Seele die zur Türe schleichende böse Zeit und weiß auch nicht, wie und warum. Es ist etwas daran, sage ich Euch; es gibt Vorahnungen, gute und böse ...«

»Soll sie geben, meinethalben. Aber ich wiederum meine so: Wenn wir zwei fest und treu zusammenhalten und uns durch nichts abbringen lassen, dann kann schon kommen, was eben kommen will. Und ich ... früher rennen die Hussen oder anderes Widersachergevölke unsere festesten Berge um, ehe mich etwas zu anderem Sinnen brächte ...«

»Ja, mich auch.«

»Und ich habe mir fürgenommen, auch nach dieser Schande, die mir Euer Vater angetan hat, kein unrecht und kein unbeschaffen Wörtlein zu verlieren und nichts zu tun, das er übel deuten könnte. Er wird selber noch darauf kommen, daß er mir unrecht getan hat, und dann muß alles wieder recht werden.«

»Und ich und die Mutter tragen ab, soviel wir können. Die Mutter ist nicht so.«

»Das weiß ich schon.«

»Und wenn ich Eure Eltern grüße ...?«

»Die werden sich nur freuen darüber. Sie haben die beste Meinung von Euch, Christel. Das möget Ihr mir aufs Wort glauben ...«

Als die Handwerksmeister ihre Werkzeuge zur Seite gelegt und weithinschallend ihr »Feierabend!« in die Menge der Handlanger und Scharwerksleute gerufen, begannen sich Gerüste und Arbeitsplätze zu leeren. Das junge Gevölke jauchzte und jubelte, daß wieder ein Tag der Arbeit vorüber, die älteren Leute redeten von dem und jenem, was Tag und Zeiten mit sich gebracht, und die Bauern schimpften, daß sie nun, nachdem sie den ganzen Tag über sich und ihr Geviehe geschunden, bis zur anbrechenden Nacht noch auf den eigenen Gründen arbeiten müßten, um mit der Arbeit und der Zeit doch so halbwegs beisammenzubleiben.

Die Gertraud aber eilte noch für etliche Augenblicke ins Vaterhaus und zu den Brüdern. Kaum aber hatte sie dorten den kleinen, zeternden und strampelnden Schelm, den sie recht gut leiden mochte, aus der Wiege gerissen, um mit ihm ein Weilchen herumzuwursteln, ließ sie auch der eben heimkommende Tobies schon an wie beinahe einen knurrenden Hund.

»Bist mir eine.«

»Warum sollt' ich eine sein?«

»Was hat dich die Geschichte angegangen? Dich?«

»Ja, das meinst? Jeder Mensch hilft, wo zu helfen not ist, und du weißt es selber, daß bei einem Beinbruche die Arbeit am leichtesten ist, ehevor die Geschwulst anläuft. Was habe ich also da verbrochen?«

»Nichts, gar nichts. Aber ... geht dich der ... dieser Krautschneider etwas an, daß du dich gleich zum Helfen anträgst? Ein Baderdirndel ...! Hättest ihn allein werken lassen, den ... Magister! Würde sich ja gewiesen haben, was er versteht. Unsereiner ...«

»Ich habe ihm eh' nichts eingeredet«, verwahrte sich das Dirndel. »Ich rede dir nichts ein und auch etwem anderem nicht. Und ... zum Streiten bin ich nicht hergekommen.«

Sie setzte das Kind wieder in die Wiege und strebte der Türe zu.

»Das steht dafür, daß du eine Weile maulwerkest«, tadelte die Weberin den Schwager. »Wenn du eh dabeigewesen bist, warum hast denn du nicht geholfen?«

»Weil ich nicht mag ... weil ... ich den Bettel überhaupt nicht brauche. Verstehst?«

»Was willst denn sonst anfangen?«

Er tat in seiner Verärgerung nur einen unwirschen Knurrer, schob die Gertraud zur Seite und drückte sich zur Türe hinaus und wieder davon. Wie eine Gänseherde, das Weibsgevölke übereinander. Wenn eine schreit, schreien und zischen alle anderen und kommen mit gereckten Hälsen auf einen zu. Auf dem Gäßchen draußen blieb er ein paar Augenblicke stehen, dann nahm er den Weg zum Sternwirte.

Dort saßen etliche Handwerker, die denselben Tag Scharwerksdienste getan, und daneben zechten und lärmten an einem Tische einige Bärensteiner Troßknechte, die einen Karren voll Gewaffen zum Waffenschmiede gebracht hatten, auf daß er dieses instandsetze und schärfe. Die lachten, schrien und sangen, und einer trommelte ständig mit seiner rauhborstigen Hand auf den Tisch, da er sang:

»Das Holderholz Rohrpfeife., die Buchenkann',
ein Liedel und ein Trunk,
die sind mir lieber wie Herrn Karls
gesamter Kaiserprunk.

Das Holderholz, die Buchenkann'
und eine holde Frau
erquicken nach des Tages Schweiß,
wie dürres Land der Tau.

Das Holderholz, die Buchenkann',
mein Sachse Kurzes Schwert, ahd. sahs. fest und gut,
die machen mir zu jeder Fehd'
gar frohen, treuen Mut.«

»Bader! Tobies!« rief und winkte ein anderer, und er nickte den Handwerkern derweil nur einen kurzen Gruß zu und rückte an den Tisch der Bärensteiner. Zu seiner zerfahrenen Stimmung taugte wohl deren Aufgeräumtheit am besten. Ihn ärgerte alles, das Scharwerk, der Stadtrichter, der Magister, der Davidl, die Schwester und ... alle Welt eben. Diesen Ärger wollte er nun ein wenig übertäuben.

»Geh' her, Bader!« grinste ein wildbärtiger, schier wolfsgrauer Gesell und rückte ein wenig zur Seite. »Ein Liedel und ein Trunk. Was hat ein leidiger Gauch mehr Gutes auf der Welt?

Ich bin ein armer Schnapphahn,
doch dessen rühm' ich mich:
Ließ keine noch im Leide
und keinen nie im Stich.«

So trällerte er gleich darauf mit kiesrauher, eintöniger Stimme für sich hin. »Nicht wahr: auch schön, wenn man es also hält und halten kann.«

»Auch schön«, nickte der Tobies und ließ sich an seiner Seite nieder. »Man hat wahrhaftig andere Sorgen und anderen Ärger in diesem Hundeleben. Scharwerken auch noch wie ein leidiger Bauerntropf! Ist uns noch abgegangen. Hätten Geld genug zusammengewuchert, diese Gewürzsäcke, auf daß sie die Mauern von gezahlten Handwerksleuten könnten ausbessern lassen. Warum fronet der Herr Hillebrandt nicht? Hat Haus, Geschäft und jetzt auch noch den Wieshof, wie man hört.«

»Dem unseren abgewuchert«, zahnte ein schnauzbärtiger Troßknecht hämisch. »So es einer versteht, findet er Äpfel auf Dornstauden.«

»Der Hillebrandt versteht es«, schmunzelte der Huterer vom anderen Tische herüber und nickte bedeutsam dazu.

»Kann wohl sein.«

»Und da hat er recht, der Bader: warum front der nicht?« So der Eigerschmied Eiger oder Neiger = Bohrer. Aus ahd. nabager, nabiger, näbiger..

»Warum hat der Schmied die Zangen?«

»Warum? Warum?« schmunzelte der Wolfsgraue gleichmütig, der Fridel, wie sie ihn nannten. »Weil es eben so ist. Mach' es einer anders! Der Kleinste muß den schwersten Spieß tragen; der Oberst trägt keinen.«

»Trägt keinen. Ein Liedel und ein Trunk; was schiert uns das Werken der Stadtleute? Rappo, heb' du ein Liedel an!«

Ein junger Gesell mit strohhaarigem Igelkopfe und strohfarbenem Bartflaum im Gesichte, mit wasserblauen Augen und allweg verdrossener Miene nickte etliche Male vor sich hin, tat einen guten Zug aus seiner Kanne und hub nachher ein Liedlein an, das ihm wohl etwas nahegehen mochte, weil er gleich darauf mit der Hand einen Schleuderer tat, als wollte er etwas Heißes von sich werfen.

Ȇber den Wipfeln schreit:
»Du! Du! Ist Maienzeit«,
jauchzend der Gauch.
Für die Holdliebste mein
brech' ich ein Röselein
vom Blütenstrauch.

Über die Heide öd
eiskalt der Herbstwind weht,
krächzet ein Rab'.
Jäh schwanden Mai und Lust ...
Herbstwind weht Rosenblust
über ein Grab.«

»Etwas Lustiges bringst du nie heraus!« tadelte einer, dem eine blaurote Schmarre schräg über die kräftige Hakennase lief. »Allerwegen so weiberhaft pappig Zeug. Dunnerschlag! Dreschen und dreinhauen, saufen und raufen! Das gibt Söldnerlieder.«

So trieben sie es noch eine gute Weile fort. Und als sie dann lärmend und polternd aufbrachen und aus der Stube zogen, setzte sich der Tobies vom leergewordenen Tische weg und zu den Handwerkern hinüber.

»Grobschlächtige Gesellen«, meinte und urteilte der Eigerschmied. »Wenn die den Hussen so anpacken wie die Bierkannen, haben wir nichts zu fürchten. Die schlagen und raufen alles tot und zu Schanden.«

»Wenn ...!«

Ein Weilchen nachher trabbelte auch der Schneiderdavidl daher und setzte sich zum Abendtrunke nieder.

»Ein Hundeleben!« kreißte er. »Laufen und arbeiten, daß einem die Zunge ellenlang aus dem Munde hängt, daß man sich alle Augenblicke schier darauftreten könnte. Wenn nur diese Lasterzeit einmal vorüber wäre!«

In des Tobiesen Brust wallte der Ärger von neuem auf, da er das Männlein ersah, das ihm ohne Recht und Befug Arbeit und Verdienst schmälerte. Sollte bei seiner Scher' und Nadel bleiben, der Schelm, und nicht anderen vom Brote zwacken wollen. Was ging es ihn an, ob den Richter etwer scherte oder nicht, wenn dem er, der Tobies, nimmer taugen wollte? Ein richtiger Mensch und ein ehrlicher Handwerker würde einfach gesagt haben: Ist nicht mein Geschäft. Der aber ...

»Wirst dich übermühet haben!« lachte er spöttelnd und rauh heraus. »Zugeschaut, wie sich andere plagen können, und nachher da und dorthin geschlendert. Oder gar auch noch ... badern geholfen? Wenn einer ...«

»Dich ging' es auch nichts an, wenn es so wäre«, trumpfte der Davidl nicht minder bissig zurück.

»Eh' nicht. Und wundern tät' es mich auch nicht. Wenn einer schon anfängt mit der Baderei, muß er sich schon über alles geben.«

»Mir kannst auf den ... Kirschbaum steigen, du ... du ...« ging nun der Schneider in die Hitze. »Und einen Frieden will ich haben von dir. Verstehst du? Du ...«

»Wer: ich ...?« Unwillkürlich langte seine Hand nach der Kanne, und als der Schneider in seinem Ärger und in seiner Verlegenheit einen Schimpfnamen herausmühte, sprang er vom Stuhle auf, und im nächsten Augenblicke sumste die Kanne auch schon auf dessen Krauskopf nieder.

Der Schlag und der Schrecken mitsammen verschlugen dem Schneider Sehen und Hören und alles Leben für ein Zeitlein. Wie völlig erstorben und tot sank er vom Stuhle und auf die Stubenbühne nieder.

»Jetzt ... das ... das ...«, prustete der Sternwirt heraus und packte den Missetäter an der Brust. »Wenn ihr etwas habt widereinander, macht es anderswo aus! Einschlagen auf einen Menschen wie auf einen Ochsen ... in meinem Hause da ...«

»Ich muß mich nicht schimpfen und schänden lassen«, verteidigte sich der.

»Nachher sagst es mir. Für die Ordnung in meinem Hause bin ich da ... Hinaus, und geh' mir nimmer in die Stube ...«

Etliche mühten sich um den Schneider, der wie völlig tot auf der Stubenbühne lag.

»Ist hin«, urteilte der Tuchscherer kurzweg. »Hält nichts aus, ein Schneider. Ist hin.«

»Renn' einer um den neuen Bader!« riet der Eigerschmied. »Etwa doch noch ... Hannes, du rennst dich noch leicht ... Beim roten Balthes ist er in der Herberge.«

Einer hastete der Türe zu und um den neuen Bader, und hinterdrein flog der alte Bader nach, der Tobies.

»Ist hin ... mausetot ... mausdreckeltot ...«, hörte der noch an der Türe in undeutelbarer Steigerung, und dann taumelte er durch den Hausflur auf die schon dunkelnde Straße ... Ist hin ... mausetot ... Die Torheit groß genug, wenn es so geraten ist, und er, der Tobies, der Bader, ein ... Mörder, nach dem sie morgen oder gar heute noch fahnden werden, um ihn als einen Mannschläger Totschläger, Mörder. zu bestricken und ins Gefängnis zu legen. Ärger und Zorneshitze verflüchteten, und eiskalter Frost überlief ihn. Ein Mannschläger, er, der Badertobies, der ... angesehene Bürger! Reue, Furcht, allerhand Fürnehmen, Scham und Vorwürfe flogen in seinen Sinnen auf wie ein aufgescheuchter Fliegenschwarm und wirbelten wirr und surrend durcheinander, so daß er nicht den Gedanken mehr zu fassen vermochte, noch jenen und doch alle mitsammen schrillen hörte: Mannschläger, Mörder!

Ganz verstört und von kaltem Schweiß überronnen kam er in die Stube des Bruders.

So und solchermaßen haben mich der Narr und das Unheil grüßen lassen ...

Ein paar Augenblicke ward es totenstille in der dunkeldüsteren Stube. Einem wie dem anderen verschlug es die Rede. Das auch noch!

»Daß du aber ... nicht weiter denkst!« tadelte dann der Dikel, und die Nandl riet gleich hinterdrein: »Davon! Flüchtig geben!«

Flüchtig geben! Das mochte wohl das Beste und Gescheiteste sein, was er da noch tun konnte. Der Schande und dem Schimpfe ausweichen.

»Sagt man ... jetzt ...«, stellte der Dikel dahin. »Alle Tore schon zu, und wenn etwa das Gerüfte Nachricht. Gerufe. schon bis zu den Torwärteln gedrungen, dann ...«

Ja, dann nahmen ihn diese einfach fest und schleppten ihn in den Turm. Damit war es nichts mehr. Totschlächtig sank er auf eine Bank nieder und hämmerte sich mit der Faust wider die Stirne ... Der Zorn! Daß einer da gar kein bißchen Verstand mehr hat und ... nicht weiter denkt! Er hörte das Zehnte nimmer, was der Bruder und die Schwägerin redeten, fragten und tadelten. Manchmal wollte sich ein wenig Hoffnung in sein Sinnen schleichen, aber sie fand zu wenig Raum. Wenn der Schneider doch nur unmächtig war, wenn er wieder ... Zum Balthes gehen ... nein, schicken und kundschaften, was der Magister sagte? Die Gertraud würde es wohl wissen. Dann wäre es nicht so arg ... Aber gleich darauf hörte er's schon wieder schreien: Ist hin ... mausetot ...

Überlings fuhr er von der Bank empor. »Wird am besten sein, ich gebe mich flüchtig,« kreißte er steinhart heraus. »Bis man hört und weiß ... Ich brauche kein Tor; sind die Gerüste an den Mauern ... Ein langer Strick ... ein Seil, das draußen halbwegs niederlangt! Nachher können sie mir ...«

Bis man hört und weiß ... Das fand auch der Dikel am geratensten und suchte nachher nach Seil oder Stricken. Fand aber in der Hast und Aufregung nichts, fand nur den Einfall, daß auf den Gerüsten selber Seile lägen zum Aufziehen der Balken und Hölzer. Und dann schlich er sich mit dem Bruder davon und auf die Gerüste und half dem über die Mauer.

»Lasse bald vernehmen, wo du dich hingewendet hast, auf daß man dir Kunde geben kann, so oder so! Und wenn du gut unten angekommen bist, gib ein Zeichen!«

Langsam glitt das Seil über die Mauer, und dann hallte einmal ein Ruf herauf: »Behüt' euch ...!«

Am nächsten Morgen machte sich die Nandl in aller Hast auf den Weg zum Sonnenwirte. Die Gertraud werkte noch völlig allein in Haus und Küche herum.

»Weißt nicht, wie ... was es mit dem Schneiderdavidl ist?« raunte sie dieser zu.

»Dem der Tobies gestern die Kanne auf den Kopf gesetzt hat?« schmunzelte die Gertraud beinahe vergnüglich. Und solcher ... Unverstand tat der Weberin schier wehe.

»Ja. Was ... hat der ... Magister gesagt?«

»Hat schon wieder geschimpft und gezetert, bis der hingekommen ist ...«

»Schon ... wieder geschimpft ...?« entsetzte sich die Nandl nun baß ob der Torheit, die hernach im Baderhäusel unterlaufen. »Nicht tot ... gar nicht einmal tot?«

»Woher denn?«

»Und der Tobies ist davon, über die Mauer geflüchtet und davon ...«

»Seid ihr ... Hasenfüße!« ...


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