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Am Samstage nach Ostern, ein kurzes Zeitlein nach Mittag, gehen der Gaberl und die Zäunerwittib dem Pfarrhofe zu.
Der Pfarrer macht sich nach dem Wortlaute des Evangeliums die Disposition zur sonntäglichen Predigt, als der Gaberl anklopft!
»Herein!« Recht feundlich kommt das Wort nicht gerade heraus, denn um solche Zeit, wo er gerade im besten Zuge ist, wäre ein anderer auch nicht sonderlich erbaut ob eines Besuches. Ein Verseh'gang? Damit wär' nicht so viel verspielt, denn auf dem stillen Wege kommen einem allerhand Gedanken, die in die schönste Predigt taugen. Ein Brautpaar! So! Das wischt die ganze Fassung wurzweg. Und noch dazu der Gaberl! Na, Pflicht ist Pflicht, und die schanzt einem öfters eine Stunde zu, der man ansonsten aus dem Wege ginge.
»Setzt euch nur gleich nieder!« lädt er beide ein. »Die Zäunerwittib, nicht wahr?«
»J-ja, Herr Pfarrer«, nickt die Zäunerin verschämt. »Es muss halt sein bei unsereinem. Die Arbeit haufenweise, wo eins hinschaut ...«
»Ich glaub's. Na, und wie wird sich der ehemalige Lateiner mit der Bauernwirtschaft befreunden können?« wendet er sich an den Gaberl. »Geht's auch mit Pflug und Egge?«
»Alles wird zum Erlernen sein«, vertröstet sich der. »Die erste Zeit wird' mich wohl ein bissel fuchsen, aber – gehen muss es. Gewalt bricht Eisen.«
Nachdem die üblichen Sachen erledigt sind und der Pfarrer die Bedeutung und Wichtigkeit der Ehe im Leben der christlichen Familie und im auf der Grundlage des Christentumes fußenden Staatswesen erklärt und beiden die Pflichten christlicher Ehe- und Hausleute ans Herz gelegt, verlassen sie den Pfarrhof wieder und gehen auf eine Maß Bier zum Wirt hinüber; aber dort ist schier alles aus dem Häuschen.
Vor der Haustüre steht ein Wagen mit allerhand Koffern und Kisten, und ein paar Leute sind damit beschäftigt, dieselben unter Dach zu bringen. Die Bahnvermesser sind gekommen, und den Wirtsleuten schnurrt ein Rädchen lose im Kopfe herum ob der Ehre und des zu verhoffenden Gewinnes. Herrenleut' wollen herrenmäßig leben und müssen daher herrenmäßig zahlen, und der Bahnbau soll das Geld nur so in Wehen ins Haus bringen.
Eine gute Weile sitzen die zwei Brautleute allein und unbeachtet in der Stube, und erst, als sie sich trotzig zum Fortgehen anschicken wollten, kommt der Wirt daher. »Ein Bier? Zwei Halbe? Eine Maß« sprudelt er nur so heraus, und als eine Maß bestellt worden, hastet er mit dem Steinkruge von dannen. Eine Maß für zwei einander stockfremde Leut'! Da muss was anderes dahinter stecken.
»Ausgewesen?« fragt er, als er mit dem Bier zurückkommt.
»Gerad' nur ein bissel im Pfarrhof drüben«, bescheidet die Zäunerbäuerin.
»All' zwei?«
»Na, vielleicht gar nur anderthalb?« lacht der Gaberl. »Zum Heiraten gehören allemal ihrer zwei ganze.«
»So?« dehnt der Wirt ellenlang heraus, reißt die Augen weitmächtig auf und fährt sich mit der Rechten hinter das Ohr. »Ja, was wär' denn das? Die Hochzeit muss aber gerad' über Nacht zeitig worden sein, weil noch kein Wörtel davon geredet worden ist ... Wird ja eine Hochzeit?« fragt er nach einer kleinen Pause.
»Ist noch gar nicht gewiss«, weicht die Zäunerin einer geraden Absage aus. »Das Trauerjahr ist noch nicht um ...«
»Ah was!« versucht der Wirt zu überreden. »Deswegen wird das nicht anders und jenes auch nicht, und so ein Zusammenheiraten ohne eine richtige Hochzeit ist gerad', wie wenn alles nur so verstohlenes Zeug wär' und nicht richtig und ehrlich. Eine Hochzeit müsst' Ihr schon anrichten und ... ich tu', was sich tun lässt.«
»Wie wir uns halt noch besinnen«, bedeutet der Gaberl, und damit muss sich der Wirt vorläufig zufrieden geben. Sind noch über vierzehn Tag' bis zur Hochzeit, und vielleicht fruchtet einmal ein eigens dem Zwecke geopferter Gang mehr. Ein Fünfziger bleibt zumindest bei so einem Hochzeitel, und der ist nicht leicht unverdient zu lassen.
Die zwei Brautleute beschließen aber in währendem Heimgehen, keine Hochzeit, das heißt keine Hochzeit nach allgemeinem Brauche, mit Musik und Tanz zu veranstalten, sondern den Tag nur im Familienkreise in aller Stille zu feiern. Gilt gerade so viel, und wer erst durch Spielleute und Hochzeitsjubel erinnert werden muss, dass er einen Bund fürs ganze Leben geschlossen, derselb' hat zumindest ein recht schwaches Gemerk'.
Gegen Abend, kaum dass der Gaberl noch recht heimgekommen, stapfen der Grashilmer und sein Bub daher.
Die Line wird so rot wie eine Pappelrose und sucht sich draußen herum ein Geschäft, und der Christoph und die Mena sinnen vergeblich, was wohl die zwei bei ihnen suchen könnten. Kommt auch keins darauf, bis der alte Grashilmer nach einer ausgiebigen Prise seinen Antrag vorbringt: Heiraten sollt der Nazi, und die Line sollt' es sein, meint der Bub.
So wohl! Nun, der Line ist er recht, gesteht die nach einer geheimen Zwiesprach' der Mutter, und zusammentaugen mögen sie auch. Wird am End' gerad' wieder so eine stille, losende Rasse, denn der Nazi sagt gemeiniglich nicht mehr, als sein muss, und die Line verschleudert auch keine Rede. Ist ihre Sach', und es ist auch nicht immer alles ermundwerkt. Und nachher liegt der Hof in der Grashilm, der seinen Namen von dem schier ganz mit Gras gewachsenen, kaum ein halbes Joch großen Seelein, der Grashilm, hat, so abgelegen und einschichtig im Talwinkel hinten, dass eins wunderselten in die Lage kommt, mit einem andern reden zu müssen.
Da ist also so weit nichts entgegen zu haben. Wie halt die Übergab' sein wird? Geldsachen berühren immer unangenehm, und bei so einer Angelegenheit sind sie doppelt zuwider, müssen aber trotzdem erörtert werden. Die Übergabe ist soundso hoch, und die Line kriegt voraussichtlich sounso viel Heiratsgut, wenn der Schönberger einmal herausrückt mit dem Gelde, was übrigens in kurzer Zeit geschehen müsse, und mit einigem schonenden Herumreden auf beiden Seiten kommt man schließlich doch über diesen schweißtreibenden Punkt hinüber und kann sich drüben ganz der Freude und harmlosem Scherze überlassen.
»Ich dürft' ein gelernter Binder sein, so kunnt' ich manchem die Reifen nicht fester antreiben, als ich sie dir antrieben hab'«, redet der Gaberl dem Nazi zu Gehör, aber die andern verstehen die Anspielung nicht, und der Nazi überhört sie geflissentlich vollständig. Seinetwegen redet der Kund', was er will; aufkommen täte er ja so kaum gegen ihn.
Am nächsten Tage verkündet der Pfarrer schon, dass der Gaberl und die Zäunerwittib sich die Ehe versprochen und sie somit zum ersten Male aufgeboten werden.
Manche wollen schon so etwas gewittert haben, aber für den Großteil der Kirchenbesucher kommt die Neuigkeit so überraschend wie etwa Blitz und Thorschlag bei heiterem Himmel; am verblüfftesten ist aber der alte Zäuner, als er das Aufgebot hört. ... So ist's wirklich wahr, dass der Hof in ganz fremde Hände übergeht? Und über zweihundert Jahre ist das Gütel vom Vater auf den Sohn übergegangen, über zweihundert Jahr! Ja, wenn's gerad' um und um sein müsst', nachher wär's noch anders, und es kunnt' sich eins allerhand Trost vorreden, so aber müsst' es nicht sein. Das ist der ganze Ärger. Wenn es gerad' sonst überall fehlte, wären noch zwei Dirndl da, und es wär' sonach doch nur eins ein Fremdes im Hofe, aber nicht einmal so weit ist's: es ist sogar noch ein Bub da, und wenn er gleich den Schulranzen noch nicht lange in die Ecke geworfen, ein Bub ist er doch und könnt' den Namen am Hofe erhalten.
Ob das nicht eine fein abgesponnene Sach' ist? Ja, von wem aber?
Es duldet ihn nicht mehr den ganzen Gottesdienst über in der Kirche, und jählings einmal steht er auf, macht das Kreuz über sich und geht. Ein Schemmel sollt' denen in den Weg gestellt werden, daran ist nicht zu rütteln, aber wo und auf welche Art? Es darf nicht sein, und es tut kein gut so, und der Nam' muss auf dem Hofe bleiben. Es fällt ihm dies ein und jenes, es kommt ihm Gift und Mord in den Sinn, aber zu solchen Sachen ist er nicht schlecht genug. Schlecht? Nun, ein Gott wohlgefälliges Werk wird am End' nie herausspringen aus der Geschichte, aber zum Wenigsten kann einer eine leichtere Sünd' leichter verantworten und verrechnen. Wird zwar auch nicht der richtige Weg sein, aber es handelt sich um den Hof, um die Heimstatt der Zäuner seit über zweihundert Jahren.
Bei welchem End' da anpacken? ...
Um dieselbe Zeit sitzt der Gaberl droben auf der Gredbank seines Vaterhauses und schaut träumend vor sich hin in den sonnigen Sonntag. Es sind heut alle andern zur Kirche gegangen, weil er nach altem Brauch daheimbleiben muss, und es geht ihn schier etwas an wie Langeweile. Sein Gebet hat er verrichtet, arbeiten soll eins nicht, und was fängt er sonst an? Er hätt' übrigens gar nicht aufmerken sollen auf das leere Gesage, dass solcher Ehen lauter taubstumme Kinder entsprießen, wo die Brautleute ihr eigenes Aufgebot hören, er hätte übrigens derweil im Wirtshause sitzen können, bis Predigt und Verkündigung vorüber und bis die Messe angefangen.
So eigenartig leer und langweilig ist dem Gaberl noch nicht bald eine Zeit vorgekommen seit der Zeit, da er im Militärhospitale gelegen. Unsinn! Die Zeit ist längst vorüber, und einen Bosniaken dürfte er wohl sein Lebtag nicht mehr zu Gesichte bekommen. Diese Zeit ist vorübergegangen wie ein dräuend Gewitter, und heut ist's wieder anders. Heut steht er knapp vor der Türe des Ehestandes und ... wird ein großer Bauer, er, der Notwebersbub. Wenn nur die drei Sonntage schon vorüber wären! Es muss doch nicht sein, dass er in die Kirche geht. Wart'! Da weiß er sich gleich ein Geschäft. Heut Nachmittag geht er zum Seigenbauer und nimmt sich die Maße vom Stadel, und die andern zwei Sonntage macht er den Bauplan ... Wozu aber? Der Gedanke schleicht sich herbei wie eine eiskalte Blindschleiche, und schier wie ein Frösteln läuft es seinen Rücken hinab. Wozu? Ist eine dumme Frage und doch so sehr am Platze wie keine andere mehr. Wozu macht er den Plan, und wozu geheißt er dem Seigenbauer die Ausführung der Arbeit, wenn ... er als Zäunerbauer keine Zeit dazu findet? Geht nicht, dass einer so eine Wirtschaft treibt und zu gleicher Zeit auch ein Handwerk. Entweder dies oder das!
Na, lieber wär' ihm die Zimmerei schon wie das Bauerngeschäft, von dem er soweit gar nicht viel versteht, aber in dem Falle muss es einer nehmen, wie es sich ihm bietet, außer ... die Barberl wär' des Willens, den Hof zu verkaufen. Wär' gar nicht gefehlt und besser. Wenn er unter einem entfernter und außer Bewerb stehenden Meister als Geselle stünde und selbstständig unternähme und baute, wär' er schier so viel wie ein Meister und hätt' das schönste Leben, schöner jedenfalls denn so.
Dann fände er vielleicht auch hier und da Zeit, dies oder jenes zu schreiben, was gerade im Herzen drückte und drängte, und wozu er als Bauer kaum ein Stündlein finden dürfte. Jetzt hätt' er Gelegenheit, irgendwo unterzukommen, weil die »Rockenstube« allem Anscheine nach Mitarbeiter braucht und ... Ja, er weiß wirklich nicht, wie er sich lenken und wenden soll. Es wird aber am besten sein, wenn er einmal redet mit der Barberl und ihr den Verkauf des Hofes recht dringend ans Herz legt. Wer weiß, sieht sie nicht selbst ein, dass es anders besser ginge? Wenn sie etwas auf ihn hält und wenn ihr an seinem Reden und Planen etwas liegt, nachher geht sie auf dies Ansinnen ein, und wenn nicht ... na, nachher ... liegt ihm auch nichts daran. So hätt' er sich's übrigens zuerst ausbedingen können, und es hätt' nicht bis zum Aufgebot kommen brauchen, wenn man sich nicht hätte einigen können ...
So sinnt er vor sich hin, und wie die Schneelahne immer größer und größer wird, je weiter sie rollt oder rutscht, so nimmt auch dieses Sinnen rechts und links mit, was daneben liegt und was halbwegs anraint, und zuletzt ist ihm so, dass er nimmer recht auseinander kennt, reut ihn der Schritt schon, oder ist's vorläufig nur bloßes Missvergnügen, Verstimmung oder dergleichen.
Ein paar Steinchen liegen vor ihm auf dem holprigen Pflaster der Gred, und mit denen loset er, um womöglich ein Blickchen in die Zukunft tun zu können: Willigt sie in den Verkauf – willigt sie nicht ein? Es ist eine ungerade Zahl von Steinchen, und es geht sich daher so aus, dass sie einwilligt. Das tröstet ihn derweil, bis die aus der Kirche heimkommen und allerhand Neuigkeiten erzählen.
Nach dem Essen kommt der alte Schönberger daher, das erste Mal, seit die Mena herüber geheiratet. Ein paar flüchtige Blicke wirft er in der Stube herum, und dann schlürft er langsam zu Tische hin und lässt sich daran nieder.
»Jetzt wird' doch Zeit, dass ich komm'«, lächelt er behaglich. »Hochzeiten ohne Heiratsgut haben nicht viel Wert, und jetzt geht's ja recht los bei euch herüben. Der Jakoberl hat mir all' die Neuigkeiten erzählt. ... Ihr seid heute schon verkündet worden?« wendet er sich an den Gaberl, der sich im Tischeck oben eine Pfeife stopft, aber häufig daneben tappt.
»Mir scheint schon. Ich hab' zwar nichts gehört ...«
»Das hättest auch noch notwendig«, rügt der Alte. »Ja, und die Line hat auch die Uhr schlagen hören? Der Jakoberl hat's verzählt. Na, was will eins mehr? Kein Zäunerhof ist die Grashilm nicht, aber besser schon als wie mach' anderes Höfel weiter hinunter. Ja, und dass keins aufgehalten ist, so bring' ich das Geld.« Er zieht ein sorgsam zusammengewickeltes Tüchel aus der Tasche und beginnt aufzuzählen.
»Was haben denn die Jungen gesagt?« forscht die Mena unterdes.
»Was werden sie sagen? Sein muss es, und ... mit Willen, sagt der Bauer, wenn etwas sein muss. Die Kathl hat die letzen Tag her selbst allweil antrieben, bis der Lipp um das Geld gangen ist.«
»Wie geht's ihr denn? Ist geredet worden, dass sie krank sein soll.«
»Da hast recht. Mir kommt sie nicht recht vor, unter uns gesagt. Der Doktor sagt, eine Vergiftung hätt' sie in ihr, aber ... woher denn? Und wenn dies oder das nicht recht und richtig gewesen wär', was sie zu den Feiertagen vom Krämer geholt, müssten ja die andern dieselbe Krankheit haben. Ich sag' halt so viel, dass ich ihr ein schlechtes Ziel geb'.«
»Wär' ein gehöriger Schlag für den Lippen«, sagt der Christoph und zählt darauf im Stillen mit, was der Schwäher laut zählt.
»Ist's so recht?« fragt der nachher, als er die letzten zehn Silbergulden aneinandergereiht. »Ich mein', ich hab' es bei der Mitt' erwischt.«
»Vergelt's Gott!« dankt die Mena und fasst des Vaters knochige Hand. Eine Rede drängt sich auf ihre Zunge, wie schön es hätte all' die Jahr her sein können, wenn diese Stunde vor etlichen zwanzig Jahren geschlagen, aber sie hält sie zurück, um nicht mutwilliger Weise eine Saite zu berühren, die einen abscheulichen Ton gibt.
»Gesegn' dir's Gott! Ja, und den Zweien wünsch' ich jedem recht viel Glück mit zu dem Geld, und dass ihnen alles fruchten und nach Wunsch gehen mög'. Und wenn ich nicht mehr umkrabbel' auf der Welt, mein' ich, kunnt' eins oder das andere dann und wann ein Vaterunser beten für mich.«
»Na, na!« macht es der Christoph vertröstend. »So gefährlich ist's noch nicht mit Euch. Ihr seid noch rüstiger wie mancher Junge.«
»Ist halt das Alter doch schon da; was nutzt nachher alles? ...«
Als wenn gar keine Zeit gewesen wäre, da Hass und Zwietracht zwischen ihnen gestanden, so reden und plaudern sie den ganzen Nachmittag über, bald von dem, bald von jenem, und überlings einmal trägt der Alte an, nach der Hochzeit in den Zäunerhof ziehen zu wollen, wenn es den beiden Jungen recht wäre, und den Gaberl einmal zu einem gehörigen Bauern abzurichten. Im Kopf hätt' er schon noch alles, aber dem Körper wär' das ewige Gehorsamen schon zuwider geworden.
»Ich würd' oftmals sogar zwei oder drei als Ratgeber brauchen«, sorgt der Gaberl. »Jeder Hütbub wird schon mehr verstehen von der Wirtschaft als ich.«
»Lass dir nur nicht grausen! Alles geht, wenn der Wille da ist.«
Wenn der Wille da ist? Hat er nicht selbst schon ein paarmal so gesagt, da er den Willen vorhanden gewähnt?
*
Am andern Vormittag klingelt plötzlich etwas die Bointen herauf, und da man sich danach umsieht, erkennt man den Pfarrer. Ein Pfarrer, dem ein Bub mit dem Glöcklein vorausgeht, ist oftmals nicht das beste Zeichen, denn dies bedeutet einen Versehgang, und manches schickt nicht früher um den Pfarrer, bis sich der Waagbalken schon hübsch hinüberzu neigt.
Ein Versehgang in den Schönbergerhof? Müsst' die Bäuerin kränker worden sein!
Im Weberhäusel herüben lassen sie alles liegen und stehen und rennen hinüber, um den Segen zu erlangen und mitzubeten für die Kranke, wie es der Brauch ist im Walde.
»Steht's denn gar so schlecht?« fragt die Mena das Inweib, als sie auf die Gred kommt und der Pfarrer hineingegangen ist, der Kranken Beichte anzuhören.
»Mir scheint, es schaut zur Himmelfahrt her« mutmaßt das Inweib raunend. »So eine narrete Krankheit.«
»Das ist wirklich eine narrete Krankheit«, bestätigt der Lipp. »Jetzt darf eins da auch nimmer glauben, was ein Doktor sagt. Vergiftung! Wie käm' denn unsereins zu einem Gift?«
»Wenn was sein wollt'?«
»Geh' hör' mir auf!« Das sind seit über zwanzig Jahren die ersten Worte, die Bruder und Schwester mitsammen wechseln.
»Ich sag' halt so viel: Der Tod will seinen Lückensteher haben«, sagt der Alte. »Und schön schaut es nicht her, sagt eins, wie es will. Das Leut ist noch niemalen eine Stund' krank gewesen, und jetzt ...«
»Wie wär's denn, wenn ihr um den Fischerdoktor ginget nach Waldzell?« rät der Inmann. »Soll erst gerad' neubacken sein und nicht auf der dummen Seiten.«
»Das kostet uns zu viel Geld«, lehnt der Lipp schlankweg ab. »Wenn ein Doktor bis von Waldzell herübergeht oder sich herüber fahren lässt, derselb' weiß, was er verlangen muss.«
»Da kannst auf ein paar Groschen nicht aufmerken«, tadelt der Alte. »Sparen muss man, wo es geht. Hättest manchmal um einen Zehner weniger verspielt!«
»Meine Sach'!« brummt der Lipp und wendet sich ab.
»Hast' denn nicht studiert mit dem Fischerbuben?« fragt der Christoph den Gaberl. »Ich mein', du hast einmal so was erzählt. Ja richtig, ich kann mich ja selbst erinnern auf all zwei.«
»Du weißt was?« sinnt der Alte.
»Was denn?«
»Lass dir die ganze Wichs erzählen und geh' hinüber! Du kannst dir alles merken und weißt alles, und an deiner Red' kennt sich doch einer aus. Gerad' was er sagt.«
»Wenn es der ... Vetter haben will, recht gern; aber sagen muss er mir's«, willigt der Gaberl langsam und etwas zurückhaltend ein.
»An dem wird's nicht fehlen«, mutmaßt und hofft der Jakoberl, fürchtet aber immerhin eine starrköpfige Abweisung des Antreges. »Zeit muss man ihm halt lassen zum Überlegen«, sucht er dann eine rasche und vielleicht unüberlegte Entscheidung zu verhindern. »Wenn einer den Kopf so voll Sorgen hat wie er, derselb' ist nicht allemal gleich zu haben für einen Rat.«
»Ich bring' ihm's schon vor«, meint der Alte, und da einstweilen in der Stube drinnen die Beichte vorüber ist und das Zeichen gegeben wird zum Hineingehen, unterbleiben weitere Reden und Unterhandlungen.
Man betet ein paar Vaterunser für die Kranke, und als der Lipp nachher den Pfarrer fragt, was er von der Krankheit halte, schupft der nur die Schultern. Was versteht er von Krankheiten? »Wie Gott will«, sagt er. »Es ist keines zu krank zum Gesunden und keines zu gesund zum Sterben.«
Das Inweib aber behauptet gleich baumfest, dass die Bäuerin für diesmal noch nicht unter die Erde müsse. Ein alter Aberglauben sagt, dass, wenn während des Betens die neben dem Kreuze stehenden Kerzenlichter nach der Türe hin zögen, das Kranke an derselbigen Krankheit versterbe, dass es aber im andern Falle die gefährlichste Krankheit überstehe.
»Was werden denn die Kerzenlicher wissen?« zweifelt der Gaberl an der Behauptung.
»Sagst, wie du willst, es ist was daran«, besteht das Inweib auf ihrer Ansicht, und dies hilft auch vieles mit, dass sich am Nachmittage der Lipp doch einmal herbeilässt, dem Gaberl ein gutes Wort zu geben, damit der zum Fischerdoktor nach Waldzell gehe. Wenn doch noch eine Hilf' wär'!
Und der Alte redet und nötet, als wenn keine einzige Stunde der Zwietracht vorübergezogen an seinem und seiner Tochter Lebenskalender und jeglicher Augenblick von Lieb' und Freude umstrahlt gewesen wäre. Was die Tochter gefehlt, scheinen die Enkel gutzumachen, und das söhnt ihn immer mehr und mehr aus mit allem, was seinen Lebensabend umgibt. Zeitenweise sinnt er wohl auch vor sich hin und kommt sich vor wie einer, der sich selbst ohrfeigen sollte, trotzdem er nicht so unrecht gehabt. Die Mena hätte eben folgen sollen, aber was wär's denn gewesen, wenn er anders getan? Mitten am Wege hätte sich am Ende einmal ein erlösendes Wort finden lassen, wenn man einander nicht so sorgsam ausgewichen wäre, er, wie sie alle, hüben und drüben. Etliche zwanzig Jahre Zwietracht und Feindschaft, wo Freundschaft und Liebe hingehört hätten! Wie möcht' es hüben und drüben stehen, wenn es anders gekommen, wenn man anders gewesen und hüben wie drüben etwas weichere Köpfe gehabt? Wer weiß? Und wenn man es auch wüsste, was könnt' eins daran ändern? Kein Zwecklein und kein Härlein.
Und weil sich nun die Zeit gewendet und der Ring sich wieder dorthin gedreht, wo er ihn vor etlichen zwanzig Jahren schon gern gehabt hätte, und weil dieser Umstand die Schranke niedergerissen zwischen hüben und drüben, die Trotz und Feindschaft aufgerichtet, so tut eins gut, wenn es die Tage der Gegenwart mit so viel Lieb' und Gutheit ausfüllt, als es nur vermag, um die vergangenen Zeiten damit zu überblenden ... Die Geschwister und die ganzen Gesippen durcheinander müssen auch wieder gut werden, und deswegen redet er auch so an dem starren, trutzigen Willen des Lipp, dem Gaberl den ganzen Anfang und bisherigen Verlauf der Krankheit zu erzählen und ihm ein gutes Wort zu geben, dass er nach Waldzell gehe. Gerad' was der drüben sagt zur Krankheit.
Der Lipp ist nicht gewohnt, etwas ohne Rat und Willen seines Eheweibes zu tun, und er sagt auch da weder ja noch nein, bis er sie gefragt.
»Der Ähnl meint soundso; wie wär' dein Willen?«
»Schick' hinüber!« fordert sie. »Alles, nur nicht versterben.«
So lässt er den Gaberl herüberbitten, sagt ihm das und jenes und gibt ihm daraufhin ein gutes Wort, er möge sich alles gut merken und zum Fischerdoktor gehen und womöglich Trost und Hilfe bringen.
»Gerad' was der sagt«, hofft und sehnt auch die Kranke. »Und wenn eins sieht, was er versteht und kann, und wenn's auf seinen Rat besser wird, kunnt' er auch einmal herüberkommen.«
»Wenn's besser wird, brauchet' er nimmer zu kommen«, widerneint der Lipp schüchtern. »Kostet gleich einen Haufen Geld ...«
»So lass mich gleich als eine Lebendige in den Freithof schaffen!« stößt sie heraus und fängt gleich nachher zu weinen an. »Wenn ich nur schon aus dem Weg wär'!«
»So bringst den Doktor gleich!« schafft der Lipp dem Gaberl, aber draußen auf der Gred rät er ihm doch wieder, nur auf einen bloßen Rat hinzuarbeiten und hinzufragen. Das Geld wächst nicht auf den Bäumen oben, und um den Arzt gehen könnt' jeder Narr.
Dem Gaberl drängt sich ein Vergleich auf zwischen hüben und drüben, da er die Boint hinabschreitet, und der Schönbergerhof zieht dabei den kürzeren Halm. Wenn deren Meinungen und Willen allweg so widereinander laufen, kann es zeitenweise recht ungemütlich sein.
Bei des Kleebointners Holzkreuz unten bleibt er ein Weilchen stehen und sinnt, ob er den besseren Weg über Steinbrunn einschlagen soll oder den schlechteren und kürzeren gleich über die jenseitigen Hänge und Höhen, und er entscheidet sich für den letzteren. Er ist noch jung, und so eine Anhöhe soll einem Zwanziger nicht einmal einen überflüssigen Schnaufer abjagen, sagt man.
»Wo denn aus?« schreit der Rosenbauer vom Feld herüber, und er steht Rede und Antwort, und auch der alte Zäunerbauer schreit so herüber vom Rande eines kleines Wäldchens, in dem er Dürrlinge aushaut: »Wo denn aus?«
»Zum Doktor.«
»Da hinüber?«
»Ja, nach Waldzell. Der junge Fischer soll schon daheim sein.«
»So ja. Doch nicht aber für eins von Euch?«
»Nein, für die Basel.«
»Geh' herüber ein bissel, dass ich dich gescheit fragen kann! Wenn einer so hinüber und der andere herüber schreit, ist's gerad', als wenn zwei Törische redeten mitsammen.«
Und der Gaberl geht näher.
»Wie liegt denn die Sach' gerad' auf?« forscht der Zäuner in seiner Art. »Was hat denn das Leut' für eine Krankheit?«
»Da überfragt Ihr mich schon«, weicht der Gaberl zum Teile absichtlich aus. Was geht den Alten oder sonst jemanden der Schönbergerin Krankheit an? »Bei uns oben kennt sich selbst kein einziges aus, was da fehlt.«
»Jetzt seid ihr schon wieder gut durcheinander?«
»Fehlt nichts mehr.«
»Hat sich halt gerad' um das Geld gehandelt. Und sel sag' ich dir: Wenn der Alte die Heirat nicht in Gang gebracht hätt', sähet ihr heut' noch keinen Knopf von dem Geld ...«
»Was ... für eine Heirat?« dehnt der Gaberl heraus.
»Da fragst noch? Die deine!«
»Da träumt Euch aber schon«, ereifert sich der Gaberl, und es ist jeder Silbe anzumerken, dass das Ärgertöpflein seihend geworden und dass ein paar Tropfen in die Rede geflossen. »Nein, es ist wirklich aus der Weis', was die Leut' alles zusammen ... reimen.«
»Das ist gar nichts Gereimtes«, beharrt der Alte bei seiner Behauptung. »Ich hab' mein Wissen geradweg vom Quellbrunnen, und da widerneint mir eins nicht. Aber ... Du hörst? ... Ich an deiner Stell', ich hätt' mir schon eine andere gesucht, und wenn dieselb' nichts gehabt hätt', keinen Flanken Gewand. Das und das fehlt ihr, sag' ich dir. Und wenn d' es nicht glaubst, geh' mit ihr zum Doktor. Sie schaut frisch und gesund aus, aber sie ist's nicht.«
Ein paar Male öffnet der Gaberl den Mund, als wollte er mit einer derben Rede herausplatzen, aber er schließt ihn immer wieder. Was soll einer da sagen? Es fällt ihm für den Augenblick keine Rede ein, die für diesen Fall taugte, und mittendrinn dreht er sich kurz entschlossen herum und geht ohne Gruß und Wunsch seines Weges.
»Ich hab's ja gewusst, dass es dir nicht recht ist«, redet ihm der Alte nach, »aber ich bin halt mein Lebtag so: was wahr ist, muss heraus.«
Wahr ist? Wenn das alles wahr wäre, nachher langet' er überall hin. Aber wer weiß, was für eine Absicht hinter des Alten Reden steckt? Dem Leut' sieht einer einmal schon gar keine Krankheit an, und wenn es so was wäre, hätt' es nicht verschwiegen bleiben können ... Sel sagt er ja, dass sie frisch und gesund ausschaut. Wenn doch dies oder jenes wäre? Hintergehen tun einen die Weibsvölker, sooft und sobald sie können, sagt ein alten Sprichwort, und Sprichwörter haben zumeist recht. Wenn sie ihn hinterginge? Geheiratet ist nicht so, wie wenn eins einen Ehehalten dingt von Lichtmess bis wieder zu Lichtmess und beiderseitige vierzehntägige Kündigung ausmacht; geheiratet ist gebunden, bis der Tod auf der oder jener Seite das Band aufknüpft oder kurzer Hand abschneidet. Zumeist wird das Band, das die Geschicke zweier Menschen verknüpft und verflicht bis zum Absterben des einen, als Blumenkränzlein und in anderen Fällen als mullweiche Baumwollschlinge empfunden, aber in manchen Fällen ist es sogar eine schwere, eiserne Stachelkette, die überall drückt und sticht, wo man sie umfasst, und die doch nimmer abzuschütteln. ... Von vielen Seiten wird die Ehe als ein bloßer Vertrag angefasst, der wieder gelöst werden kann, aber – gehört denn zur Ehe nicht mehr als eine bloße Vertragswilligkeit? Und wenn mehr vorhanden ist, wenn alle Stücke so gegeben, wie sie eine christliche Ehe verlangt, ist nachher selbst in dem Falle, wenn keine Kinder vorhanden, – ein angeschnittener Laib Brot mehr ein ganzer? Und wenn gar erst Kinder vorhanden! Wie sind die Waislein daran? Deshalb soll eins zuerst prüfen und proben und hundertmal überlegen, ehe es den Schritt tut und das Wort sagt, das die Hände bindet. Und er – wird sich's auch noch überlegen, wenngleich er schon aufgeboten. Erfahren muss er zuerst, wie die Sache aufliegt. Dass man ihn am Ende – verschachert wie ein Stückel Vieh, das ginge ihm gerade ab. Und es wär' schon nicht anders, wenn des alten Zäuners Rede nicht eine ganze Lüge. ... Wenn der Alte die Heirat nicht in Gang gebracht hätt' ... Zu gut wär' er gar nicht dazu, und glauben kann er es doch auch wieder nicht. Wenn es nicht heut noch gut tut, morgen geht er gewiss in den Zäunerhof und fragt geradewegs. Wie verhält es sich in den und jenen Stücken? Wenn der Alte gelogen hat, nachher soll er sich auf ein paar Wort' gefasst machen, und wenn er die Wahrheit geredet ... Aus ist's nachher trockenweg gar. Wenn sich die Zäunerin einen Mann erlisten will und wenn der alte ...Ähnl ihn an eine Bäuerin verkaufen möchte, so irrten sie alle zwei. Er tut da nimmer mit bei dem Spiel.
So sinnt er den ganzen Weg über, bis er hinunter sieht ins Tal von Waldzell, und andere Gedanken aus seinem Erinnern auftauchen.