Ossip Schubin
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Ossip Schubin

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»Eines Tages kam ich zu dem Bewußtsein, daß die Flitterwochenzeit vorüber war. Ich kann Ihnen nicht sagen, woran ich es merkte. Ein böses Wort war zwischen uns nicht gefallen und unsre Zärtlichkeit hatte nicht abgenommen. Wir küßten einander noch gerade so oft wie früher – aber manchmal in die seligste Verzückung hinein beschlich mich etwas wie eine leise Verstimmung. Der goldene Dunst vor ihren Augen fing an zu verschweben – öfters, immer öfter bemerkte ich etwas Musterndes, Prüfendes in ihrem Blick.

»Und immer häufiger überkam mich das Gefühl meiner Unzulänglichkeit; ich kann Ihnen nicht sagen, wie linkisch mich das machte, wie schwer es mich drückte!

»Wir reisten jetzt durch Oberitalien, von Venedig nach Mailand, von Mailand nach Genua – dann von Genua zu Wagen die Riviera entlang.

»Es war Ende Oktober und die Blätter fielen, aber die Rosen blühten mitten zwischen das herbstliche Sterben hinein, und die immergrünen Bäume des Südens lenkten den Blick ab von dem Verfall.

»Eines Nachmittags fuhren wir die Bergstraße zwischen Monte Carlo und Nizza entlang, auf der einen Seite ein Olivenwald, auf der andern eine fast schroff gegen das Meer zu abfallende Felswand.

»Nur hie und da hatte sich eine Pflanze an den Stein geklammert – ein stachliger, blaugrauer Kaktus, eine merkwürdige Distel oder ein Tamariskenbusch.

»Tief unter uns rauschte das blaue Meer und küßte leise den harten Fuß des Felsens.

»Heute zieht sich durch diese Gegenden am Rande des Abhangs eine schöne, weiße Mauer, über der sich zum besonderen Schutz der Reisenden an den gefährlichsten Punkten der Straße noch ein Gitter erhebt. Damals gab es keinerlei Schutzwehr und man mußte sich gänzlich der Klugheit der Pferde und der Vorsicht des Postillons anvertrauen. Ich bin von Natur aus zum Schwindel geneigt – meine Frau kannte dergleichen gar nicht. Da sie auf meinen Vorschlag, auszusteigen und zu Fuß weiter zu wandern, nicht eingegangen war und ich mich nicht dazu bringen konnte, meine Schwachheit einzugestehen, so lehnte ich mich mit geschlossenen Augen im Wagen zurück, als sie mich plötzlich mit einem Schrei des Entsetzens am Ärmel packte. Ich fuhr auf und fragte: ›Was gibt's?‹ Sie deutete nach dem Abhang hin, und dort erblickte ich etwas, das mir allerdings das Blut in den Adern erstarren ließ, nämlich ein etwa zweijähriges Kind, das gegen fünfzig Fuß tiefer als der Straßenrand an einem Gestrüpp hing. Es mußte herabgestürzt und von dem Buschwerk wundersamerweise aufgehalten worden sein. In der Ferne sah man ein Frauenzimmer, offenbar die Wärterin des Kleinen, mit verzweifelt vor sich hin gestreckten Händen und laut schreiend dem nächsten Dorfe zueilen. Offenbar wollte sie Hilfe suchen.

»Hilfe! Ehe die Menschen mit Stricken und Leitern die Stelle erreicht hätten, wäre der arme Wurm längst zerschmettert unten gelegen!

»Was war zu tun?

»Das Kind wimmerte und weinte und schlug mit den Ärmchen um sich – die Dornen hielten es am Kleidchen fest – es wußte nicht, daß diese Dornen seine einzige Rettung waren – es tat, was es konnte, sie von sich abzuwehren. Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn – eine halbe Sekunde später war ich irgendwie den Felsen hinabgerutscht auf das Kind zu. Ich handelte, einem höheren Gebot folgend, wie im Traum, aber selbst in diesem traumhaften Zustand war ich mir deutlich des Umstands bewußt, daß unser Kutscher mich mit einem entsetzten Warnungsruf hatte zurückhalten wollen, während Kathrin mich stumm und regungslos gewähren ließ . . . Ja nicht nur das. Einen Augenblick war's wie eine nervöse Unruhe durch ihren Blick geirrt – wie eine Angst, ob ich die Prüfung bestehen würde.

»Mich an Dornen und Gräsern anklammernd, erreichte ich das Kind. Es hing nur noch mit einem Fältchen seines Kleides an dem Gestrüpp. Ich empfand eine jauchzende, jubelnde Freude, als ich den kleinen, warmen Leib in meinem Arm fühlte, dann löste eine lähmende Müdigkeit die Freude ab.

»Was nun? Warten, bis die Menschen mit dem nötigen Rettungskrimskrams angesegelt kämen! Die große Woge der Begeisterung, die mich sozusagen den Abhang hinuntergeschwemmt hatte, war verbraust, nie in meinem Leben war ich nüchterner, klarer gewesen. Im rechten Arm hielt ich das Kind, mit der linken Hand klammerte ich mich an einen Ast des Strauches fest. Der Ast krachte, ich fühlte, daß er nicht lange meiner Last widerstehen würde.

»Oben, in recht anständiger Entfernung vom Rande des Abhanges, in einem bequemen Wagen hinter zwei vorsichtigen Pferden, hatte mir dermaßen geschwindelt, daß ich die Augen hatte schließen müssen. Hier an einem Haar über dem sicheren Tod schwebend, hielt ich die Augen weit offen und fühlte nicht die geringste Beängstigung – höchstens das Kind fallen zu lassen, fürchtete ich. Im übrigen prüfte ich meine unangenehme Lage genau und berechnete, was noch an Möglichkeiten vorhanden war, mich ihr zu entziehen. Viel Hoffnung lachte mir nicht – einen Augenblick kam der Gedanke, alle weitere qualvolle Unschlüssigkeit abzuschneiden, den Ast los und mich samt dem Kind in die Tiefe stürzen zu lassen. Und möchten Sie das glauben – in den Gedanken mischte sich der Wunsch, durch meinen Tod meiner Frau ein Leid zuzufügen. Ich hätte ihr das Leid gegönnt – es nagte mir am Herzen – in diesem feierlichen, schauerlichen Augenblick, an der Grenze der Ewigkeit nagte mir's am Herzen – ja, ich vermochte nichts andres zu denken, als daß der fremde Kutscher, der elende Mietling, mich von dem halsbrecherischen Unternehmen hatte zurückhalten wollen – mein Weib nicht!

»Lange dauerte die selbstmörderische Anwandlung keineswegs; als der Ast in meiner Hand stärker zu krachen begann und die dringende augenblickliche Gefahr mir näherrückte, sah ich mich von neuem gespannt nach einer Rettungsmöglichkeit um.

»An ein Hinaufklettern war nicht zu denken – und knapp unter dem Busche war der Abfall des Felsens senkrecht – aber links von mir, etwa sechzig Zentimeter von dem Platz, an dem ich mich befand, fing das Gestein an, sich etwas abzuschrägen, auch zeigte sich da schon hin und wieder ein Gestrüpp, so daß man sich langsam hinunterrutschen lassen konnte. Es galt nur, sich diese sechzig Zentimeter weit nach links zu schieben . . . sechzig Zentimeter . . . es ist nichts . . . aber ich sag' Ihnen, mir war's, als dauerte es ein Jahr, ehe ich darüber hinwegkam – ich weiß noch heute nicht, wie mir's gelang! Ich nahm das Kleidchen des Kindes zwischen die Zähne, dann griff ich nach einem kleinen Tamariskenbusch, der an der Stelle aufragte, wo sich der Felsen zu schrägen begann . . . er hielt genau so lang, bis ich mich hinübergewunden . . . dann gab er nach – alles fing an, nachzugeben – mein Bewußtsein, meine Willenskraft, meine Nerven – das Kind immer noch teilweise im Arm, teilweise mit den Zähnen festhaltend, ließ ich mich hinuntergleiten; manches Mal hielt ich mich an einem Steinvorsprung, ein andermal an ein paar derben Gräsern, an denen ich mir die Hände zerschnitt . . . eh' ich mich dessen versah, war ich unten!

»Auf einem rings vom Meer umspülten Felsblock saß ich da, ein bewußtloses Kind auf dem Schoß – müde, mit einem zerschundenen Körper, zerrissenen Kleidern – und einem wunden, zornigen Herzen!

»Zum ersten Male blickte ich nach meiner Frau. Ich habe Falkenaugen – Jägeraugen. Trotz der großen Distanz, die uns trennte, sah ich sie genau. Dort stand sie am Rande des Abgrunds, drückte beide Hände an ihren Mund und schickte mir einen Kuß.

»Ihre Gestalt hob sich gegen den Hintergrund eines Olivenwaldes ab, zwischen dessen grausilberigem Laub die rote Brunst des Sonnenunterganges glühte. Sie sah hinreißend schön aus, auch ihre Gebärde war schön, edel. Dennoch trug sie nur dazu bei, meinen Zorn zu vermehren. Anstatt Kathrins Gruß zu erwidern, wendete ich meinen Kopf von ihr ab.

»Als ich wieder hinaufsah, hatte sie den Wagen bestiegen und rollte dem Flecken zu, der hinter den Olivenbäumen aufragte.

»Sie ist gegangen, um ein Boot zu holen, sagte ich mir – es war mir ganz gleichgültig!

*           *
*

»Wie viel Zeit verstrich, ehe sie mit dem Boot kam, weiß ich nicht.

»Ob's lang, ob's kurz war? Ich sehnte mich nicht nach dem Boot – ich sehnte mich nach nichts – in mir war alles stumpf – mit einer Stumpfheit, aus der sich's wie ein dumpfer Haß gegen meine Frau herausrang – ja, ein Haß!

»Meine Gedanken drehten sich immer im selben Kreise herum.

»Es wäre in jedem Fall gekommen, wie es kommen mußte! Das Kind hätte ich ja nicht im Stich gelassen, aber daß meine Frau mich nicht nur nicht zurückgehalten, sondern Angst gehabt hatte, ich könne der Prüfung nicht gewachsen sein, das wurmte mich! . . .

»Das Boot kam, von zwei Schiffern gerudert, Kathrin saß darin, himmlisch schön, mit dem verklärenden Dunst vor den Augen, den ich so gut kannte. Sie streckte die Arme nach mir aus, ich schob sie von mir. Sie wollte mir das Kind abnehmen – ich hielt's fester an mich. Da senkte sie traurig das Haupt.

»Die Schiffer wollten mir entgegenjubeln – ich lehnte alle Ovationen ab. Nun bestiegen wir den Kahn. Längere Zeit war nichts zu hören als das leise Anklatschen der Wellen an die Flanken des Boots und das Aufundniedertauchen der Ruder. Dann stimmten die Schiffer ein Lied an. Das Kind auf meinen Knieen kam zum Bewußtsein, öffnete die Augen, sah mich verwundert an, verzog das Mündchen und fing an zu wimmern.

»Ich bemühte mich, es zu beschwichtigen, aber ohne Erfolg, und da jetzt meine Frau zum zweiten Male die Hände danach ausstreckte, so überließ ich es ihr. In ihren Armen beruhigte es sich sofort. Sie hatte aber auch eine gar zu liebe Art, es anzurühren, ihm zuzulächeln; ihre Haltung schmolz in eine so unaussprechliche Weichheit und Zärtlichkeit zusammen, daß ich meinen ganzen wütenden Zorn vergaß. Zum ersten Male sah ich eine ganz neue Kathrin vor mir; und die söhnte mich mit der alten aus.

»›Wenn wir nur schon so weit wären!‹ dachte ich heimlich, und wurde mir zugleich darüber klar, daß alle ans Unerquickliche streifenden Überspanntheiten ihres Wesens nichts andres waren, als die sich in edlen Schrullen äußernde Unreifheit einer großartigen Natur, die länger als eine andre braucht, um sich voll und harmonisch zu entwickeln, und daß sie die liebenswürdigste aller Lebensgefährtinnen werden würde, sobald ihre Liebe zu mir durch eine gegenseitige Sorge geheiligt worden wäre.

*           *
*

»Am Ufer kam uns die Wärterin des Kindes entgegen. Sie machte ein großmächtiges Geschrei, kniete vor mir nieder – aber das gehört nicht hierher. Ich habe weder sie noch das Kind je wiedergesehen.

»Als wir endlich allein waren, Kathrin und ich, und nun einen schmalen Weg zwischen zwei Orangengärten entlang gingen, fragte sie plötzlich: ›Warum warst du mir denn eigentlich so böse, Paul?‹ Dabei legte sie mir die Hand auf den Arm.

»Etwas von meinem erlöschenden Groll flammte bei dieser Frage von neuem in mir auf. ›Warum ich dir böse war – mich ärgerten deine heroischen Attitüden,‹ erklärte ich ihr schroff.

»›Meine heroischen Attitüden?‹ Die Tränen traten ihr in die Augen.

»›Daß ich dem Kind beispringen mußte, verstand sich von selbst, wie hätte ich denn das Leben weiter ertragen sollen und an den Wurm denken – aber es gibt keine Frau, die bei einer ähnlichen Gelegenheit ihren Mann nicht zurückzuhalten versucht hätte, während du . . . du jagtest mich förmlich mit deinen Augen vorwärts, einen Moment – Gott verzeih mir's, sahst du mich an, als habest du Angst . . . ich könnte vielleicht nicht selbst auf den Gedanken kommen, da hinunterzuspringen!‹

»Sie hatte meinen Arm losgelassen und war stehen geblieben. Beide Hände über den Augen, verblieb sie eine Weile regungslos, worauf sie dann plötzlich und unvermittelt dermaßen zu schluchzen begann, daß ihr ganzer Körper davon zuckte und zitterte. Mich überkam eine gewaltige Rührung. Ich nahm sie in meine Arme und küßte sie wieder und immer wieder. Als sie sich etwas beruhigt hatte, blickte sie zu mir auf: ›Zurückhalten durft' ich dich nicht,‹ murmelte sie, ›aber von dem einen kannst du überzeugt sein, wenn dir etwas zugestoßen wäre, so hätte ich mich in die Tiefe gestürzt – dir nach.‹ Ich fühlte, wie ihr Körper an meinem Herzen schauderte. Daß sie die Wahrheit gesprochen hatte, wußte ich.

*           *
*

»Als ich den nächsten Morgen erwachte, bemerkte ich, daß die Schläfen meiner Frau über Nacht grau geworden waren.

»Da erriet ich, was sie, dort am Rande des Abgrundes stehend, für mich gelitten hatte.

»Das rührte mich natürlich sehr, und ich küßte die armen, verblaßten Härchen . . . aber ein Bodensatz aufrührerischer Bitterkeit war seit jener grauenhaften Begebenheit in mir verblieben und gärte bei den geringfügigsten Anlässen von neuem in mir auf.

»Sie hatte sich's von mir ausgebeten, daß wir uns ein paar Tage in dem Flecken aufhalten sollten, neben dem ich das Kind gerettet hatte. Es war damals ein ziemlich unbedeutendes Örtchen. Ich sehe es noch vor mir – die einfachen Häuser, teilweise grellweiß mit blaßgrünen Bretterfensterläden – Fensterläden in einem Stück, wissen Sie – andre Häuser mit großen, braunen Narben an den Wänden – Stellen, wo die Feuchtigkeit den Mörtel heruntergefressen hatte – andre ganz ohne Mörtel und ohne Fensterläden und mit außerhalb angebauten Steintreppen, fast alle mit denselben blaßrötlichen Dächern, und ringsum das fiedrige Grau der Ölbäume oder das golddurchschimmerte Dunkelgrün der Orangengärten. Im Hintergrund die himmelanstrebende Schroffheit der dürftig bewachsenen Alpen – vorn das blaue Meer – blau – blau – als hätten die Engel ein Stück Himmel gestohlen, um es uns vor die Füße zu breiten.

»Die Rosen dufteten noch, und die Sonne schien goldig und hell, aber über alles senkte sich doch schon eine dämpfende Traurigkeit – die Traurigkeit, die jeden Wechsel begleitet.

»Kammerdiener und Jungfer hatten wir vorausgeschickt nach Nizza, wo sie das Winterquartier für uns vorbereiten sollten.

»Wir lebten wie die Studenten in einem kleinen, primitiven Gasthof mit einer Terrasse, die auf das Meer hinaussah und von einem Feigenbaum beschattet war.

»Wir nährten uns hauptsächlich von Makkaroni, Parmesan, Paradiesäpfeln und Bouillabaisse – wir bedienten einander gegenseitig – sie bürstete meine Röcke aus und ich knöpfte ihr ihre Stiefelchen zu, wir machten lange Spaziergänge zwischen den Orangengärten und in den Olivenwäldern der Umgebung, und kamen mit einem wundervollen Appetit heim. Es hätte so reizend sein können, und doch . . .

»Ihr ganzes Wesen hatte sich verändert, ihr Lächeln, ihr Blick, der Ton ihrer Stimme, alles verriet mir gegenüber eine fast demütige Innigkeit.

»Ich hatte es sehnlichst gewünscht, daß aus meiner Heroine ein Weib werden möge – jetzt war mein Wunsch erfüllt! Aber anstatt mich zu freuen, überkam mich die Melancholie der Menschen, denen nichts mehr zu wünschen übrig bleibt!

»Und wenn's noch Melancholie gewesen wäre, aber . . . es war launenhafte Verdrießlichkeit. Früher hatte ich beständig daran denken müssen: wird sie mit mir zufrieden sein, mache ich ihr's recht? Mein ganzes Wesen hatte sich um ihretwillen gestreckt und gehoben . . . über sein natürliches Maß hinaus. Jetzt war zum Strecken keine Veranlassung mehr – sie neigte sich zu mir nieder, und da ich ohnehin von der langen Anstrengung erschöpft war, so ließ ich mich gehen. Das aber vertrug sie doch nur eine sehr kurze Zeit – nur gerade so lange, als ihre Begeisterung für meine armselige Heldentat noch andauerte. Dann wich der goldene Dunst von ihren Augen, sie begann wieder zu sehen und, wie ich erriet, zu kritteln.

»Ich merkte es genau, daß ihr häufig etwas an mir nicht recht war – ein Befehl, den ich erteilt – ein Urteil, das ich über ein Buch oder über irgend einen Menschen gefällt hatte – oder auch, daß mir mein Mittagessen zu gut schmeckte. Sie sagte mir nichts, weil ich mir die Rettungsmedaille verdient hatte, aber das machte die Sache nicht besser.

»Mir wär's viel lieber gewesen, sie hätte mich nicht geschont, hätte mit mir gezankt – wenn ich nur nicht so beständig gefühlt hätte, daß sie mich beobachtete!

»Da hatte sie so ein ganz besonders quälendes Marterinstrument bei sich, das sie ihren ›ethischen Standpunkt‹ nannte. Ich haßte diesen ethischen Standpunkt, der mir entsetzlich unbequem und überall im Wege war.

»Meinethalben sollte er herausrücken bei großen Gelegenheiten, aber daß er sich so von früh bis Abend in meine Existenz hineinmischen, mir jedes kleine Pläsier verderben wollte, das ihm nicht entsprach, daß er mein ganzes Leben in ein feierliches Marschtempo hineinzuzwingen versuchte, das war mir unsagbar verdrießlich! Ich verwünschte den ethischen Standpunkt!

»Ich hätte manches Mal mit meiner jungen Frau lachen und tändeln, sie necken, quälen, ausgelassen mit ihr tollen, schlechte Witze machen, ihr vielleicht eine bedenkliche Anekdote erzählen, mich an ihrem Entsetzen ergötzen und ihr die liebliche Schamröte von den Wangen küssen mögen . . .

»Ja, versuchen Sie so etwas mit einer Frau wie Kathrin!

»Es wäre alles gegangen, wenn wir irgend etwas zu tun gehabt hätten im Leben, wenn wir, durch die Mühsal unsrer Existenz täglich mehrere Stunden getrennt, uns von einem Beisammensein aufs andre hätten freuen können, wenn wir, von gesunder Arbeit ermüdet, miteinander hätten ausruhen, Schwierigkeiten hätten überwinden, kleine Überraschungen füreinander hätten vorbereiten dürfen.

»Aber unser Leben lag fix und fertig zurechtgeschnitten vor uns da, wir hatten nichts zu tun, als einander zu lieben. Wir waren im Grunde beide viel zu vernünftige Geschöpfe, um das auf die Dauer auszuhalten. Kathrin, klug wie sie war, sah ein, daß es nicht wohl anging, mich ohne Beschäftigung zu lassen.

»Eines Tages trat sie besonders zärtlich an mich heran und sagte: ›Es kommt mir manches Mal vor, als ob du es bereutest, deinen militärischen Beruf aufgegeben zu haben!‹ Dies hatte ich nämlich ihr zuliebe getan.

»›Ach nein . . . wirklich nicht . . . ich versichere dir,‹ murmelte ich ausweichend.

»Sie betrachtete mich prüfend, etwas unzufrieden. ›Nun, viel zu bedauern hast du dabei nicht,‹ meinte sie, ›zum Säbelschleppen in Friedenszeiten scheinst du mir nicht recht geschaffen. Ich habe mir etwas ausgedacht, das dich für deinen aufgegebenen Beruf entschädigen soll. Wir wollen die alten Herrschaften deines Vaters zurückkaufen und dort wollen wir uns festsiedeln.‹

»Nun hatte ich mir heimlich gar nichts brennender gewünscht, als meine alte Heimat zurückzugewinnen. Doch witterte ich sofort ein veredelndes Erziehungsexperiment hinter ihrem Vorschlag, und gereizt, wie ich war, verdroß mich das.

»Infolgedessen erwiderte ich ihr auf ihre Worte fast nichts.

»Meine anscheinende Gleichgültigkeit befremdete sie. – Offenbar hatte sie erwartet, daß ihre Mitteilung einen großen Eindruck auf mich machen würde. Sie war enttäuscht.

»›Ich denke mir das sehr schön,‹ fuhr sie mit etwas weniger siegesgewisser Stimme fort. ›Wir werden trachten, die Landwirtschaft zu heben und das Volk zu bilden – es sollen keine Lumpen und keine Unglücklichen mehr zu finden sein, soweit unsre Grenzen reichen. Und an die Stelle, wo die alte Birke gestanden hat, wollen wir eine neue hinpflanzen!‹

»Sie blickte gespannt zu mir auf. Ich aber blieb stumm. ›Gefällt dir mein Vorschlag denn gar nicht?‹ fragte sie. ›Ich habe mich bereits durch einen Freund in Wien erkundigen lassen – die Herrschaften sind zu verkaufen.‹

»›Es wundert mich nicht, daß man sie los werden will,‹ erwiderte ich, ›getragen haben sie nie etwas.‹

»›Einen hohen Prozentsatz des angelegten Kapitals herauszupressen, darauf sind wir ja, Gott sei Dank, nicht angewiesen, Paul, und es kann ja auch nicht durch geführt werden ohne Plackerei der arbeitenden Klasse, vor der mir graut! Wir wollen sie nicht schinden, wir wollen sie beschäftigen, ernähren und erheitern!‹

»›Bin neugierig, wie du das durchsetzen wirst!‹ entgegnete ich trocken.

»Ich wußte es ganz gut, daß sie trotz all ihrer theoretischen Humanität kein Talent hatte, sich populär zu machen. – Ich war ja ihr gegenüber nur ein recht erbärmlicher Wicht – aber ich verstand es, mit dem Volk umzugehen. Sie verstand es nicht. Meine Leute wären alle für mich durchs Feuer gegangen, von meinen ehemaligen Rekruten bis zu meinem ganz neu angeschafften Kammerdiener – während sie immer Scherereien hatte mit ihren Untergebenen, jeden Augenblick wurde einer oder der andre renitent.

»Sie seufzte ein wenig. – mein Mangel an Sympathie für ihre schönen Projekte entmutigte sie.

»›Und wo möchten wir, das heißt wo sollen wir den Winter verbringen?‹ fragte ich nach einer Pause.

»›Einen kleinen Teil des Winters könnten wir reisen,‹ erwiderte sie, ›den Rest möchte ich auf dem Lande verbleiben – der Winter ist wunderschön auf dem Lande.‹

»›Ja, solange die Jagden dauern,‹ erwiderte ich, ›wenn die einmal vorüber sind, finde ich den Winter auf dem Lande tötend. Und das Reisen wird man auf die Länge der Zeit überdrüssig.‹

»›Und wo möchtest du im Winter sein?‹ fragte sie etwas unruhig, ›doch nicht in Wien?‹

»›Gewiß in Wien,‹ erwiderte ich.

»›Ich liebe Wien nichts entgegnete sie, ›es ist mir eine zu üppige, genußsüchtige Stadt. Aber wenn du's wünschest, so könnten wir ja immerhin ein paar Wochen im Winter dort zubringen. Nur, wenn ich mich einmal auf dem Lande niedergelassen hätte, möchte ich mich nicht gern allzu lange entfernen. Wenn man Einfluß auf die Bevölkerung gewinnen will, darf man den Kontakt mit ihr nicht verlieren.‹

»›Einfluß auf die Bevölkerung!‹ . . . Ich zuckte mit den Achseln, ›wovon träumst du!‹

»›Mir wäre darum zu tun – to raise the moral standard of the people, das ist die Aufgabe, die ich mir in meinem kleinen Wirkungskreis gesetzt habe!‹

»›Hm! . . . In der Woche wirst du mit guten Ratschlägen und Viktualien in den Dörfern herumspazieren, und am Sonntag werde ich vor einem Publikum von Ackerknechten und Taglöhnern Vorträge halten sollen über das Thema ‚ noblesse oblige‘, und auch über das Thema ‚Gebet dem Cäsar, was des Cäsars ist‘; denn das darf bei euch Sozialisten aus den höheren Sphären doch nie vergessen werden!‹ spottete ich.

»›Paul!‹ sagte sie und sah mich traurig an.

»Ich senkte den Kopf – den Blick konnte ich nicht aushalten!

»›Du sprichst mit mir, als ob du mir böse wärest,‹ sagte sie leise. ›Hab' ich dich verletzt?‹

»Erst schwieg ich, ich wollte mich bemeistern, dann brachte ich's nicht über mich. Es brauste aus mir heraus: ›Bist du dir denn gar nicht bewußt, daß du in all deinen Zukunftsplänen nur deine Ansichten betonst? Du meinst's ja vielleicht ganz gut, aber schließlich ist es doch eine demütigende Sache für einen Mann, sich so als willenloses Opfer der Beglückungs- und . . . Erziehungsexperimente seiner Frau hinter ihr durchs Leben schleppen zu lassen.‹

»Sie zuckte zusammen wie von einem Schlag getroffen, wurde totenblaß und wendete sich ab.

»Ich meinerseits nahm meinen Hut und ging voll Zorn und Verdrießlichkeit hinaus.

»Herrgott! war das ein Leben auf dem Lande, das sie mir da ausgemalt hatte! Ins Irrenhaus käme ich, unfehlbar ins Irrenhaus, sagte ich mir, wenn ich unter solchen Bedingungen in meiner ehemaligen Heimat existieren sollte. Ebensogut konnte ich als Missionar nach Afrika gehen. – Ich liebte das Leben auf dem Lande. Aber für mich waren die Hauptsache dabei: ein glänzendes Gestüt, ein famoser Marstall, ein malerisches Revier, ein reicher Wildstand, Viererzüge, Reitpferde und Jagden. Und was das Volk betraf . . . na, es verstand sich von selbst, daß es den Leuten um mich herum gut gehen mußte – schon weil es mich verstimmte, wenn ich lange Gesichter sah – um das materielle Wohl der armen Teufel wollte ich mich natürlich kümmern, aber mit ihrer moralischen Vervollkommnung sie nicht weiter plagen, sondern ihnen sogar recht gern alle ihre kleinen Schustereien und Lumpereien durchgehen lassen, solange mir persönlich kein Schaden daraus erwuchs. – Ich redete mir ein, daß dies das einzig Richtige – und Kathrinens theoretische, humanitäre Veranstaltungen ein überspannter Unsinn seien. Solange mein Zorn andauerte, blieb ich auch bei dieser Überzeugung, aber als er sich zu verflüchtigen begann, wurde ich schwankend. Es dämmerte in mir auf, daß meine Lebensauffassung, wenn auch die bequemere, doch die unendlich niedrigere war.

»Überspannt freilich war Kathrin, aber vielleicht konnte ich mit meinen Erfahrungen etwas zur praktischen Durchführbarkeit ihrer Utopieen beitragen. – Arme Kathrin! – lieb und reizend war sie doch – und schließlich kam mir der Gedanke, daß meine einseitige Selbstsucht mit ihrem etwas schroffen Edelmut allenfalls ein Kompromiß schließen könne.

»Ich fing an, sehr unruhig zu werden und mich meiner Flegelhaftigkeit recht empfindlich zu schämen.

»Es war ein schöner Herbsttag. Die Sonne schien herrlich – nicht grell alle Konturen kantig hervorhebend, wie sonst wohl die südliche Sonne tut – sondern weich und goldig. Sie erinnerte mich an Brüssel!

»Im Laufe meiner Wanderungen verirrte ich mich zufällig in den schmalen Weg zwischen den Orangengärten, wo ich am Abend nach meinem schwindligen Abenteuer mit ihr hingewandelt war.

»Um ein verfallendes Gemäuer schlang sich ein Rosenstock mit schweren gelblichrosa Blüten und rötlichen Stengeln und Blättern – echte Rivierarosen. Da ich kein Messer bei mir hatte, brach ich von den Rosen ab, was sich brechen ließ. Es tat mir wohl, daß ich mir dabei die Finger zerstach.

»Dann begab ich mich, etwas aufgeregt und mit furchtsam klopfendem Herzen, nach Hause zurück. Ich dachte, sie würde mir böse sein und mir abweisend begegnen, wie ich's eigentlich verdient hätte. Aber nein!

»Als ich in unserm kleinen Gasthaus nach ihr fragte, sagte man mir, sie erwarte mich draußen auf der Terrasse zum Frühstück.

»Ich begab mich auf die Terrasse. Der Tisch war gedeckt mit derbem, duftigem Linnen, mit eisernen Bestecken in schwarzen Holzgriffen, mit buntbemaltem Geschirr und den landesüblichen, in Bast eingeflochtenen Weinflaschen von antiker Vasenform. Sie stand, beide Hände auf die niedrige Brüstung der Terrasse gestützt, den Rücken mir zugewendet, da und sah auf das Meer hinaus. Ich merkte, daß sie ihr Kleid gewechselt und eines aus weißer Wolle angetan hatte, das ich besonders liebte. Leise schlich ich mich an sie heran, legte den linken Arm um ihren Leib und reichte ihr mit der rechten Hand den Rosenstrauß über ihre Schulter hinüber. Sie zuckte zusammen – sah sich nach mir um. Ihre Augen waren gerötet, offenbar hatte sie geweint, aber von Zorn oder abweisendem Verdruß war in ihrem lieben Gesicht nichts wahrzunehmen.

»Da schmolz ich völlig. Sie nahm mir die Rosen ab, neigte mit geschlossenen Augen das Haupt zurück, ich küßte sie auf Augen und Mund, dann murmelte ich: ›Kathrin, mir ist schrecklich leid – ich habe unrecht gehabt!‹

»Sie schüttelte heftig den Kopf – ›Nein, nein, nein.‹ entgegnete sie trotzig.

»›Also haben wir vielleicht beide ein wenig unrecht gehabt?‹ fragte ich leise.

»›Nein!‹ rief sie, ›ich allein habe unrecht gehabt!‹

»›Du? . . . Aber, bist du närrisch?‹

»›Nein, gar nicht – ich habe nur ernstlich über die ganze Angelegenheit nachgedacht – als du fortliefst, war ich erst ein wenig böse auf dich, ich dachte wirklich, du seiest im Unrecht, und das machte mich sehr unglücklich. Dann entdeckte ich, daß ich allein im Unrecht sei. Das beruhigte mich. Ich schämte mich sehr, aber es war mir viel lieber. Zehntausendmal will ich mich lieber für mich schämen, als ein einziges Mal für dich! Aber das wirst du mir nie antun – nie! – nie! . . . daß ich mich für dich schämen müßte, nur das nicht, Paul! Und jetzt verzeih mir aber ganz!‹

»Sie umschlang mich mit beiden Armen und küßte mich.

»Ich liebte sie in diesem Augenblicke rasend, aber aus meinem Herzen schrie eine Angst auf, die an Verzweiflung grenzte; mehr als je fühlte ich ihre Überlegenheit und meinen Unwert, und mehr als je fühlte ich mich als einen Schwindler, der sich beständig fürchten muß, ertappt zu werden.

»Warum konnte sie mich denn nicht lieben, wie ich wirklich war!

*           *
*

»Kurz darauf erhielten wir die Nachricht, daß die alte Tante Kathrins, die ihr in Brüssel das Haus geführt hatte, auf dem Wege von Paris nach Italien erkrankt sei und, von einer Lungenentzündung befallen, in Nizza im Hotel des Anglais liege.

»Es ist ein gutes, altes Hotel am Kai gleichen Namens und mit der Aussicht auf die Engelsbai und einen etwas schäbigen Palmengarten.

»Dorthin begaben wir uns, um die Tante zu pflegen.

»Kathrin wich nicht von dem Bette der alten Frau. Ich sah sie kaum mehr, außer bei den Mahlzeiten. Die ersten Tage verbrachte ich damit, in unserm kleinen Salon ein Scheit Holz nach dem andern auf das Feuer zu legen, die Zeitungen zu lesen und zu warten, daß mir Kathrin Nachricht aus dem Krankenzimmer bringen möge.

»Die Nachrichten blieben immer dieselben – die Tante erhole sich, aber langsam und mühsam – sie war schlechter Laune, wollte mich nicht sehen und Kathrin nicht aus den Augen lassen.

»Immer zu Hause sitzen wurde mir auf die Länge der Zeit langweilig. Ich ging aus – erst für eine halbe Stunde, dann eine ganze, dann blieb ich von einer Mahlzeit bis zur anderen fort, und möchten Sie es glauben – anfangs . . . nun ja, anfangs hatte ich Kathrin bei jedem Schritt vermißt, nach einer Weile fing mich's an zu freuen, allein zu bummeln, wobei ich aber noch immer stark mit Kathrin beschäftigt war und in alle Läden hineinschaute, um ein hübsches Geschenk für sie zu finden. Dann . . . dann – es ist scheußlich – aber ich erwachte langsam wie aus einer hypnotischen Betäubung. Mit jedem Schritt, den ich allein machte, war mir's, als streife ich irgend eine Fessel ab.

»Erst jetzt empfand ich's ganz, wie unbequem mir Kathrins edle Bevormundung gewesen war.

»Und eines Tages auf der Place Masséna, während ich gerade einer alten, blaßblond gefärbten Frau in einem sehr auffallenden Kostüm nachblickte, zupfte mich eine leichte Hand am Ärmel. Mich umsehend, blickte ich in die Augen von Lotti Schwippel. Ich wollte sie mit einem verächtlichen Blick niederdonnern und grußlos an ihr vorübergehen. Sie aber ließ sich nicht so rasch abschütteln. Ihre Hand in meinen Arm legend, lachte sie zu mir auf. Sie sah blaß und abgefallen aus, was mich rührte, und dann . . . Ja, plötzlich wandelte mich eine Lust an, mit beiden Füßen in mein altes, lustig ungebundenes Leben hineinzuspringen – und sei's nur für eine Stunde!

»›Na, was machst denn du eigentlich hier?‹ fragte ich.

»›Suche ein neues Engagement,‹ gab sie mir zur Antwort.

»›Hm! . . . Richtig, mein Onkel ist tot!‹ sagte ich. ›Hat er dir denn nichts hinterlassen?‹

»›Hinterlassen – mir? nausgeworfen hat er mich.‹

»›Da hat er vielleicht recht gehabt.‹

»›Na, freili . . . aber weißt, das, was du moanst, davon is nix vorg'fallen – überhaupt seit mir zwa auseinand sind, hab' ich g'funden, die Liab is kein Spiel, auch kein Genuß is sie – die Liab is eine harte – harte Arbeit.‹ Bei diesen Worten legte sie die Hand aufs Herz und verdrehte auf so unglaublich drollig tragische Art die Augen, daß ich laut auflachen mußte, so laut und herzlich, wie ich überhaupt nicht mehr gelacht, seitdem sie mich verlassen hatte. Ich lachte mit dem ganzen Körper, mit jedem Blutstropfen, jedem Nerv – ein Lachen, das ich bis in die Haarwurzeln hinauf und bis in die Zehen hinunter spürte. Ach, was tat das wohl, so lachen zu können, – mit Kathrin hatt' ich mein Lebtag nicht so gelacht. Nicht daß Kathrin langweilig gewesen wäre oder keinen Sinn für Humor gehabt hätte, im Gegenteil, sie hatte einen sehr scharfen, wenngleich an allem Dürftigen, Ärmlichen schonend vorbeigleitenden Blick für das Lächerliche und eine sehr geistreiche Art, ihre Beobachtungen zu äußern.

»Aber ihre traits d'esprit waren zu fein, als daß man darüber hätte lachen können, es war schade darum, sie waren wie die Spitzentaschentücher – nur zum Bewundern, aber nicht für den Gebrauch.

»Über die schlechten Witze Lottis lachte ich so, daß sich die Leute auf der Straße nach mir umsahen. Lotti betrachtete mich schwermütig – sie behauptete bei dergleichen Gelegenheiten immer einen würdevollen Ernst, der viel dazu beitrug, die komische Wirkung ihrer Bemerkungen zu erhöhen.

»›Naah, was gibt's denn?‹ fragte sie, die Hände tief in die Taschen ihres Jäckchens vergrabend, ›hast vielleicht den Keuchhusten bekommen, soll ich dir an Puffer in den Rücken geben, damits dich erholst?‹

»›Nein, nein, ich bitt' dich, Lotti, hör' auf,‹ lachte ich weiter, ›du bringst mich um, die Menschen laufen ohnedies schon zusammen.‹

»Sie streckte den Arm mit einer tragischen Gebärde von sich und sagte mit der affektierten Bruststimme einer Wiener Lokalsängerin, die den hochdeutschen Akzent karikiert: ›Kann ich dafür – kann ich dafür?‹

»›Du bringst mich um – du bringst mich um,‹ schluchzte ich vor Lachen.

»Sie sah mich mit einem Blick an, der mitleidig von meinem Kopf bis zu meinen Füßen herunterglitt. ›Woaßt, wie du mir vorkommst?‹ sagte sie, ›wie a Champagnerflaschen, die endlich den Stöpsel losg'worden ist – da geht der ganze verhaltene Spiritus auf einmal raus . . . psch . . . sch . . . sch . . . s . . . sch–ch–sch! Hast wohl schon lang nicht mehr g'lacht, du armer Schlucker, du? Unter uns gesagt – nöd wohr, Alter, die Ehe is ane melancholische Veranstaltung!‹

»›Du, Lotti. Da hinein misch dich nicht, das duld' ich nicht!‹

»›Na, was denn?‹

»›Daß du mir an meine Heiligtümer tastest!‹ fuhr ich sie an.

»›Hm! Werd's bleiben lassen, won's di kränkt, scher' mich überhaupt nit mehr viel um kane Heiligtümer nicht, hab's satt.‹

»›Aber wie kommst denn du auf die Vermutung, daß ich mich langweil'?‹ fragte ich ärgerlich.

»›Weil's auf deinem ganzen Gesicht steht,‹ gab sie mir zur Antwort, ›brumm nicht, ich verrat's keinem Menschen – und wem sollt' ich's auch erzählen, wo's dich genieren könnt' – meine Worte dringen nicht über die Kluft hinüber, die mich von – der trennt‹ – wieder der tragische Gaumenton und das karikierte Hochdeutsch aus der Lokalposse, dabei eine Geste nach oben mit herausgekehrter Handfläche, ›die mich von der trennt, die ich nicht nennen darf.‹

»›Lotti!‹

»›Na, nix für ungut, ich komm' nit mehr auf sie zu sprechen, und da i dir's sehr gut moan, so denk' ich, es könnt' uns am End' ein Bekannter von dir erblicken und der ›Unnennbaren‹ was vortratschen – schließlich die erste beste bin i nit, könnt' doch aner fragen, wer war denn die hübsche Person, mit der ich Ihren Herrn Gemahl . . . &c. Also wennst vielleicht noch eine Viertelstunde frei hast, so kumm mit mir in mein Loschih und laß dir 's letzte Kapitel von meiner Biographie erzählen.‹ (Sie sprach natürlich Piehjokraffie aus.)

»Ich hätt' nicht mit ihr gehen sollen, aber – ach, das bißchen Freiheit tat wohl. . . .

»›Geh hinter mir, damit man nöd sieht, daß d' mit mir bist,‹ rief sie mir zu, und ich tat's.

»Im Innersten der Stadt wohnte sie, in einer Pension, die von einer alten Tänzerin gehalten wurde, und in der lauter gefallene Größen hausten. Ein Witzbold hatte die Pension infolgedessen Pension Sankt Helena getauft. Seither nannte man sie nicht anders.

»Lotti hauste im vierten Stock. Die Treppe war schmal, dunkel, mit einem außerordentlich schmutzigen Teppich bespannt und von oben bis unten von einem widerwärtigen Knoblauch- und Safrangeruch durchweht.

»Das Zimmer war so niedrig, daß ich mit der Hand den Plafond erreichen konnte.

»Aus den Löchern des bunten, billigen Teppichs guckten die roten Ziegel, womit der Fußboden gepflastert war; auf einem eisernen, mit schmutzigen, rotweißen Gardinen umhangenen Bette lagen zwei sehr dünne Matratzen, ein elendes Polster und eine noch elendere, mit gelbem Wollatlas bezogene Steppdecke. Auf dem Kamin aber stand eine prachtvolle Bronzeuhr, die die Afrikanerin unter dem Manzanillenbaum darstellte.

»›A b'sondere Aufmerksamkeit von der Hauswirtin, 's letzte Cadeau von ihrem letzten Verehrer, frisch aus'n Versatzamt,‹ erklärte Lotti, ›na, etwas muß ma doch davon hab'n, daß man a Gräfin is,‹ bei dem Wort Gräfin seufzte sie tief. Die scheußlich blau und gelben Wandtapeten waren teilweise mit stockfleckigen, in schmale Goldleisten eingefaßten Stahlstichen verdeckt – Napoleon am Pont d'Arcole und Sappho am leukadischen Felsen hingen da in verträglicher Gemeinschaft mit ein paar Chromolithographieen, die die Abenteuer eines jungen Engländers bei Mabille darstellten.

»Die schmalen, rosa gestrichenen Türen waren mit Goldleisten verziert und vor dem Fenster zog sich ein Balkon hin, von dem man auf ein Square hinunterblicken konnte, wo sich hinter einem niedrigen Eisengitter ein paar zerzauste Palmen mit dem Herbstwind herumbalgten.

»Warum ich Ihnen das so ausführlich schildere? Um Ihnen einen Begriff von der elenden Schäbigkeit des Raumes zu machen, in welchem ich mich, ich kann's nicht leugnen, nach fünf Minuten vollständig heimisch fühlte.

»Lassen Sie Ihren Verdacht auf keiner falschen Fährte herumschweifen! Nein, Lotti warf sich mir nicht an den Kopf, dazu war sie zu klug, von Liebe nicht ein Sterbenswörtchen, sie sah mir's an der Nase an, daß in der Richtung momentan nichts durchzusetzen war, aber sie machte mir's unglaublich gemütlich und bequem. Sie schob mir einen Lehnstuhl zu, von dem sie freilich zuvor ein halbes Dutzend Kleidungsstücke hatte forträumen müssen, in dem ich mich aber sehr behaglich ausstrecken konnte; dann bettelte sie mich treuherzig an, ihr eine Flasche Champagner heraufbringen zu lassen. Das tat ich mit großer Bereitwilligkeit, unter der Bedingung, daß ich nichts davon trinken müsse. Was mich anbelangte, so wollte ich mich mit Kognak und Sodawasser begnügen – sehr viel Kognak und wenig Sodawasser – es war mein Lieblingsgetränk, und ich hatte diesem Genuß, wie allen meinen Lieblingsunarten, entsagen müssen, seit ich verheiratet war.

»Lotti klingelte den Kellner herauf, er erschien, ein Jüngling in einem sehr schmutzigen Frack und mit einer schönen, symmetrisch zusammengeklebten Frisur um ein regelmäßig gebildetes, aber von dem fettig schimmernden, unreinen Teint der Südfranzosen verunstaltetes Gesicht.

»Er hieß Ambroise. Auf meine Frage nach der Weinkarte grinste er – und schwieg. Lotti stieß mich mit dem Ellenbogen. Über Weinkarten verfügte die Pension Sankt Helena nicht, aber verschaffen wollte Ambroise alles, wir möchten ihm nur die Marke sagen, die wir wünschten, erklärte er mir.

»Lottis Lieblingsmarke war Cliquot; sie hatte eine Leidenschaft für süßen Champagner.

»Der Kellner verschwand mit unserer Bestellung und einer Ladung abgegessener Teller, die Lotti bei meinem Erscheinen von dem einzigen Tische in ihrem Zimmer auf einen Koffer geschoben hatte.

»In unglaublich kurzer Zeit kam Ambroise zurück, beladen mit Champagner, Syphon und Kognak. Der Champagner war warm, der Pfropfen flog an die Zimmerdecke, das Sodawasser war lau, der Kognak von fragwürdiger Qualität. Aber er schmeckte herrlich. Ambroise schien besorgt um die Begleichung der Rechnung – ich zahlte sofort und belohnte ihn außerdem mit einem königlichen Trinkgeld.

»Es genierte Lotti nicht im mindesten, daß ich als ihr Gast die Bewirtung bei ihr bestritt. Sie hatte keinen ›ethischen Standpunkt‹ – Gott sei Dank.

»Kaum hatte sie die ersten zwei Gläser Champagner hinuntergeschlürft, so übersprudelte sie geradezu von lustigen Teufeleien.

»Unter anderem erzählte sie mir, warum sie aus Schloß Kremenz vertrieben worden war. Die Ursache war humoristischer Natur.

»Sie erzählte das einfach in ihrem Wiener Dialekt, mit einer Verve, unbeschreiblich sag' ich Ihnen – unbeschreiblich – ich muß trachten, mich auf ihre Worte zu besinnen.

»›Du weißt,‹ fing sie an, ›wie er mich kennen g'lernt hat, hab' ich ihm's gar nit toll g'nug treiben können, je ausg'lassener, je besser, aber kaum daß i verheirat' war, hat er die Kurasch verloren, hat Spagat kriegt, aber so an Spagat! Hat mi ins Gebet g'nommen, der alte Exzellenzerich, mir was vorplauscht von der Würde meiner Stellung, und daß i der was schuldig bin. Jesus Maria! von anem Tag zum andern hab' i lernen sollen, den Leuten Respekt einflößen. – Na, und erst hat mir's Spaß gemacht, sie recht anzuschmieren, bin rumspaziert mit niederg'schlagenen Augen, das Bild leutseliger Wohlerzogenheit, ganz wie i's auf der Burg von der Hohenfels gesehen hab. Der Alte war wie närrisch vor Freud, daß ich's so gut treff'.

»›Zu meiner höheren Vervollkommnung hat er noch a Schwester von sich nach Kremenz kommen lassen, die grad' ihr ganzes Gerstel in Aktien verspielt g'habt hat, weshalb sie disponibel war, sonst hätt' sie sich's wohlweisli überlegt, meine Erziehung zu übernehmen. Die Dienerschaft hat ihr Frau Gräfin g'sagt, obschon s' nie an Mann g'habt hat, aber sie war a Stiftsdam, und die san alle solche Talmifrauen.

»›A gelbe alte Hex war sie mit an rot'n Samtbeutel am Arm, aus dem immer a besonders garstige Arbeit rausg'schaut hat, die für an wohltätigen Zweck b'stimmt war.

»›Na, sie war sehr gnädig mit mir, um sich beim Exzellenzerich einzuschmeicheln, hat mir die Backen g'streichelt und mir immerfort g'sagt: ›sie hat Talent, die Kleine – wird sich machen‹, und dann hat s' an mir rumg'hobelt den ganzen Tag. Französisch hat s' mir beibringen wollen, und meinen musikalischen G'schmack bilden. Jeden Vormittag hab' i müssen mit ihr das Bußlied von Beethoven singen, und nach dem Diner haben wir alle Tag den Trauermarsch aus der Eroica vierhändig gespielt.

»›Herr Gott! war das a Unterhaltung, nach acht Tagen hab' i's satt g'habt bis daher,‹ sie hielt sich die Hand unters Kinn.

»›Dann hat der Exzellenzerich die Gicht kriegt zur Abwechslung, is in Baumwoll eing'wickelt dag'legen wie a Siebenmonatskind, und i hab' ihm müssen die ›Fliegenden‹ vorlesen und bei ihm sitzen den ganzen Tag. Na, wenn er eing'schlafen is, hab' i zum Fenster nausg'schaut, grad in den wunderschönen Stallhof hinein, und da hab' i a Entdeckung g'macht, denk dir, in anem von di Reitknecht hab' i a leibhaftiges Geschwisterkind von mir erkannt – den Franz – 's war a besonderer Spezi von mir. Nein, die Freud', die i g'habt hab'! Kaum daß i's hab' erwarten können, bis i mi heimli in den Stall g'schlichen hab'. Na, er war grad beim Pferdeputzen; von hinten bin i auf ihn los, hab' ihm d' Händ' auf die Achseln g'legt und gerufen: ›Wer bin i, Franzl? Kennst mi nöd?‹

. . . I hab' glaubt, er wird mir um den Hals fallen dafür, daß i nöd stolz bin. Ja grad! Fuchsteufelswild war er.

»›I soll mi nöd unterstehen, jemandem unsere Verwandtschaft zu verraten, hat er g'sagt, sonst schmasten s' uns bade naus!

»›Des wär' ihm nemli recht z'wider g'wesen – weil er grad a Avancement abgewartet hat, um a ehrsame Schneiderstochter hamz'führen, mit der er schon seit drei Jahren verlobt war. – Na, so hab' i denn ma Fleisch und Blut nöd öffentli anerkennen dürfen,‹ fuhr sie pathetisch, die Hand aufs Herz legend, fort. ›Es hat mir sehr leid getan.‹

»›Dem Franz z'lieb hab' i g'schwiegen. Im Schloß hab' i fortg'fahren, mit niederg'schlagenen Augen rumzuschleichen, mir die Hand küssen z' lassen und den Leuten Respekt einz'flößen.

»›Aber meine ganze freie Zeit hab' i im Stall verbracht – und dort war's aus mit der Frau Gräfin und dem Respekt.

»›A paar Tag is des so weiter gangen – vom Stallpersonal hätt' kaner auf mich g'tratscht, die haben mi alle gern g'habt. Aber die Kammerjungfer von der Talmifrau – des war a Drach!

»Inzwischen is der Fasching z' End gangen und am Faschingsdienstag hab' i a großes Fest geben mit Punsch und Krapfen in der G'schirrkammer, und weil i schon so lang vor dem Publikum nöd g'sungen hab', hab' i mei Jockeikostüm anzogen, das, in dem i zum letzten Male am Theater an der Wien auftreten bin, und hab' ihnen Stanzerln vorg'sungen, die Viererpeitschen in der Hand, der Franz hat mir's derweil gelernt g'habt zu knallen. Du, der Applaus, Alter, besonders fürs Knallen, nicht zu sagen, wie beim Benefiz. – Da . . . tönt's Mitternacht – Aschermittwoch is – na . . . i weiß noch heut nöd, was mi da für a Teufel g'ritten hat, aber i stell' mi in Positur und fang an das Bußlied von Beethoven zu brüllen: ›Mein Gott, wie schwer hab' ich an dir gesündigt, und Übles oft an dir getan.‹ – Was is das? – Die Tür geht auf, und herein tritt die Talmifrau, von ihrer Kammerjungfer g'folgt.

»›Dann war's natürlich aus,‹ schloß sie.

»›Wie's der Franz vorausgesagt hat, so is's eintroffen – rausg'schmissen haben s' uns alle beide. Hat der auf mich g'schimpft, der Lackl! Na, ihn haben s' wieder zurückgenommen – mich nicht. Hab' auch nicht drum g'standen. Nein, wie sie mir's angekündigt haben, daß sich der alte Exzellenzerich scheiden lassen will von mir, hab' ich erklärt: I küss' die Hand – mit dem allergrößten Vergnügen! Darüber ist er gestorben, und seine Verwandten haben mir hunderttausend Gulden geben zur Abfertigung; die hab' i auf der Börs' verspielt – die Stimm' hab' i indes auch verloren, und – so geht's mir schlecht. Na, aber die Sonn' scheint doch manchmal und verlangt nicht, daß man ihr dafür was zahlt, und manchmal g'winn' ich was in Monte Carlo, und ich versichere dich, daß, wenn man auch oft genug net weiß, mit was man sein Mittagessen zahlen soll, alles doch noch schöner ist, als Exzellenzgräfin sein und den Leuten Respekt einzuflößen auf Schloß Kremenz.‹

»Ich lachte über die Geschichte wie toll. Sie sah mir humoristisch zu und schlürfte ihren Champagner zu Ende. Als ich mich etwas beruhigt hatte, sagte sie phlegmatisch: ›Wie du siehst, Hochmut kommt vor dem Fall, warum i hab' auch durchaus müssen Frau Gräfin wern! Aber jetzt hast mir beinah' verziehn – beinah'! – gelt.‹ Sie blinzelte einschmeichelnd und schelmisch.

»Ich antwortete nicht, trank nur noch ein großes Glas Kognak und Soda. Von unten tönte die Nachtigall von Alabieff: › Solowieh moj solowieh!‹ von einem schwachen Sopran zu dem harfenartigen Akkompagnement eines alten Klaviers gesungen.

»›Bei uns in der Pension Sankt Helena ist alles lungensüchtig, selbst das Klavier, und alles hat bessere Tage gekannt,‹ erklärte mir Lotti, ›das Klavier soll einer Fürstin gehört haben und von dem berühmten Franz Liszt in seinen jetzigen Zustand hineinmalträtiert worden sein, die Sängerin ist eine Französin, die in Petersburg die Stimme verloren hat, der, dem sie vorpiepst, ist ein russischer General mit sehr vielen noblen Verwandtschaften und noch mehr Gründen, ihnen allen aus dem Wege zu gehen; wer ich bin, weißt.‹

»Die Dämmerung sank, rundete die Ecken in dem kleinen Zimmer ab, unten fröstelten die Palmen auf dem Square.

»Die Uhr auf dem Kamin gab sieben Schläge – erschrocken fuhr ich auf.

»›Du gehst schon? . . . Letztes Läuten,‹ rief sie, – ›na, halten mag i di net, Verdruß sollst keinen hab'n wegen mir, mein Alter, aber schön war's. Schad', daß mir auseinander müssen.‹

»Sie drängte sich an mich heran, und eh' ich mich dessen versah, hatte sie die Arme um meinen Hals geschlungen und mich grad auf den Mund geküßt. – Ich schob sie heftig von mir.

»Sie bog den Kopf zurück und lachte.

»›Hu, wie du dich fürcht'st –‹ rief sie. ›Mach dir 's Leben doch nicht so schwer, nimm's wie's kommt. – Du, wenn wir uns a Rendezvous geben täten in Monte Carlo – gelt, das war' a Hetz!‹

»Ohne mich nach ihr umzusehen, eilte ich die vier Stockwerke hinunter.

»Unten am Fuß der Treppe paßte mich die Pensionsvorsteherin ab, eine Dame von etwa fünfzig Jahren, an der sehr viel gefärbt war, die Haare, das Gesicht und das Kleid, und sehr viel falsch, ein Auge, die Zähne, der Blick und das Lächeln. Sie sang eine Lobeshymne auf Lottis Liebenswürdigkeit und ein Trauerlied über deren Armut. Hatte denn eine reizende Frau wie die Gräfin keine Freunde? Da ich sehr beeilt war, schüttelte ich einfach meine Börse in ihre Hand aus und bat sie, Lottis Rechnung damit zu begleichen.

»Während sie sich noch in grinsenden Danksagungen erging, stolperte ich hinaus auf den Platz.

»Der Gedanke, woher das Geld stammte, mit dem ich Lotti unterstützt hatte, durchzuckte mich unangenehm. Überhaupt berührte mich jetzt die Erinnerung an das ganze Zusammentreffen, an dem ich mich doch anfangs sehr ergötzt hatte, peinlich . . . Von der Turmuhr schlug's halb Acht. . . . Wie ich mich sputete nach Hause!

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