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Der Menschensohn, der schicksallos sich glaubt,
Ihn blickt der Genius der Menschheit schon
Mitleid'gen Auges an, und sieht die Stunde
Beflügelt nahn, die sein Geschick erfüllt.
Hamerling, Ahasver in Rom.
Anna konnte die Beobachtung der Gestalten, welche ihr in den beiden ersten Tagen ihres Aufenthalts auf Haus Edern entgegengetreten, in den nächsten Tagen ziemlich ungestört fortsetzen. Die Hausgenossen kümmerten sich wenig um sie; ihre meisten Stunden waren dem Unterrichte von Comtesse Bertha gewidmet, die sich ziemlich kalt und fremd gegen sie hielt, obwol Anna es an Bemühen, sich Bertha näher zu stellen, nicht fehlen ließ.
Das junge Mädchen war nicht ohne Talent, sie begriff und behielt leicht und Anna fand deshalb ein Vergnügen darin, sie zu unterrichten. Aber sie sah zuweilen Bertha's Augen mit einem Blicke auf sich ruhen, der sie erschreckte. Es war etwas Forschendes, Lauerndes in diesem Blicke.
Auch geschah es nicht selten, daß Bertha, die eine Erklärung, eine Auseinandersetzung Anna's in der Unterrichtsstunde aufmerksam hingenommen hatte, später plötzlich mit Fragen und Einwürfen kam, die offenbar darauf berechnet waren, Anna aufs Glatteis zu führen und ihre Rechtgläubigkeit zu prüfen. Es war, als ob Bertha ihrer Mutter berichtete und von dieser sich solche Einwürfe eingeben ließ.
Bertha schien eine wahre kleine Ketzerriecherin. Und dabei hatte Anna gegen den Fürwitz zu kämpfen, den ihr Zögling, für alles, was sie betraf, zeigte; sie stellte, offen und versteckt, Fragen nach Anna's frühern Verhältnissen, sie zeigte – und dies meist versteckt – ein ganz unnöthiges Interesse für Anna's Bücher, Habseligkeiten und ihre Toilettengegenstände, von denen ihr manche sehr fremd und unnöthig luxuriös vorzukommen schienen. Es lag dann ein sehr häßlicher Ton hoffärtigen Neides in ihrer Bemerkung: Edwine und ich brauchen das nicht!
Wenn Anna im Familienkreise war, genoß sie häufig die Ehre, von Prinz Günther unterhalten zu werden; er erwies ihr offenbar eine große Aufmerksamkeit, sprach sehr viel und mit anscheinend sehr großer Offenheit von seinen Verhältnissen und von seinen philanthropischen Planen und Ideen – stellte dabei auch wol sehr geschickt gewendete diplomatische Fragen nach ihren frühern Verhältnissen, auf welche Anna sehr kurze und einfache Antworten gab.
Des Prinzen Aufmerksamkeiten waren ihr nicht unangenehm; obwol seine Reden und sein Wesen eben so stark vom Odeur frommer Salbung dufteten wie sein Taschentuch vom Odeur des Jockeyclubs, wurde sie doch durch seine große Gutmüthigkeit angezogen, und was er that, wirkte, was er freilich vielleicht nur als sein Steckenpferd trieb, war doch viel für einen Prinzen – man konnte wol darüber lächeln, konnte seine Erfolge bezweifeln, aber man mußte doch auch gestehen, daß ein achtbares Streben, mehr zu sein als eine vegetirende unnütze Wasserlode am Fuße eines alten Stammes, sich dareinmische.
Außer dem Prinzen und seinem Gefolge kamen noch mehr Gäste nach Haus Edern in diesen Tagen; sie kamen und gingen, manche von ihnen sah Anna gar nicht; das Haus aber schien wie ein Taubenschlag. Die Geschwister Gohr ließen sich jedoch nicht blicken – nicht einmal Dankmar kam zu einem kurzen Besuche herüber. Anna verhehlte sich nicht, daß sie eigentlich an jedem Tage erwartete und fürchtete, ihn zu sehen; daß sie sich erleichtert fühlte, wenn der Tag zu Ende ging, ohne ihn zu bringen, und daß sie sich doch nun desto mehr gereizt, verletzt fühlte und seine Worte, seine Keckheit von neulich immer tiefer empfand!
Was ihr am meisten auffiel in diesen Tagen, war das Benehmen Gundobald's von Burghaus. Es war offenbar eine Veränderung in seinem Wesen eingetreten. Er neckte sich nicht mehr mit Edwine, er war nicht mehr beflissen, den Cavaliere Servente bei ihr zu machen. Er machte keine Scherze mehr. Es war etwas Scheues, Schweigsames über ihn gekommen. Die Ursache konnte nicht darin liegen, daß Edwine mit ihm schmollte – sie war offenbar sehr entgegenkommend gegen ihn; an ihr lag es nicht, wenn er sich so zurückzog. Auch wol an der Gräfin nicht. Sie war die Freundlichkeit selbst gegen Gundobald Burghaus.
Anna sah mehreremal von ihrem Fenster aus beide zusammen im vertrautesten Gespräche in der Avenue von Haus Edern auf- und abgehen. Nach einem dieser Gespräche, nachdem die Gräfin Gundobald verlassen und ins Haus zurückgekehrt war, sah Anna den letztern lange sinnend und zu Boden blickend stehen bleiben – dann rasch ein paar Schritte machen; dann wieder wie unschlüssig stehen bleiben – und endlich in großer Hast davonschreiten, die Avenue hinauf, bis an das Steinkreuz, wo der Weg ins Gebüsch einschlug, der nach Haus Gohr führte.
Gundobald wandte sich hier links – er schien offenbar tieferregt mit etwas beschäftigt, worüber er sich in Gohr Rathe erholen wollte.
Und so war es.
Gundobald verfolgte hastig den Weg durch das Holz und kam mit sehr erhitztem Gesicht in Gohr an. Auf dem Hofe unter der Veranda fand er Hermine in einem Rohrsessel sitzend, mit einer sehr wenig eleganten Näharbeit höchst emsig beschäftigt; in der Eichenallee ging der geistliche Rath, das Brevier betend, auf und ab; Dankmar war, seine Büchse auf der Schulter, gegangen, um einem Rehbocke nachzustellen, der sich aus dem nächsten Gehege herüberverirrt haben sollte.
Also Sie sind allein, gestrenges Fräulein Hermine? sagte Gundobald, als er auf seine Frage nach Dankmar diese Auskunft erhalten hatte.
Ganz allein – werden Sie deshalb wieder auf und davon eilen?
Nein, erst recht bleiben, versetzte Gundobald; es freut mich, daß ich Sie allein treffe. Für Sie dagegen, Fräulein Hermine, ist es kein glücklicher Zufall, der mir so Gelegenheit gibt, mich an Ihnen zu rächen. Ich kann jetzt also den ganzen Haß, den ich Ihnen neulich geschworen habe, an Ihnen auslassen, wenn niemand da ist, der Ihnen zu Hülfe kommen und mich stören kann.
Ihren Haß? fragte Hermine, von ihrer Arbeit zu ihm aufblickend. Ich fürchte ihn nicht; was können Sie mir anthun?
Ich kann Ihnen all mein Herzeleid aufladen, ich kann Ihnen mein Vertrauen schenken, ich kann Hülfe, Rath, Beistand in meiner Noth von Ihnen fordern; graust Ihnen nicht vor diesem Schicksal?
O nein; ich fühle mich den Pflichten, welche Sie so gütig sind, mir aufladen zu wollen, völlig gewachsen. Sprechen Sie – worum handelt es sich? Was ist Ihr Herzeleid? Wollen Sie in Edern ein Drama mit vertheilten Rollen lesen und wissen nicht die nöthige Anzahl von Exemplaren des Buchs aufzutreiben?
Ach, scherzen Sie nicht; können Sie denn gar nicht etwas, das mich betrifft, ein klein wenig ernsthaft nehmen? Und sehen Sie denn nicht, daß es sich um etwas sehr Schlimmes für mich handeln muß, wenn ich mir in meiner Verzweiflung nicht anders zu helfen weiß, als mich zu Ihnen zu flüchten?
Gundobald sagte dies mit einer halb spöttischen, halb wehmüthigen Miene.
Ich denke, versetzte Hermine nach einer kleinen Pause und wieder plötzlich von ihrer Arbeit auf- und Gundobald anblickend, der Gedanke, mich um Rath anzugehen, konnte Ihnen doch nicht so fern liegen – ich habe Ihnen wenigstens nie gezeigt, daß es mir gleichgültig sei, wie und was Sie thaten und trieben.
Nein, das ist wahr, Sie haben mir immer gezeigt, daß Sie sehr vergnügt waren, wenn Sie, was ich that und trieb, tadeln konnten! sagte Gundobald mit einem schwermüthigen Tone des Vorwurfs.
Ich dachte, Sie seien gekommen, mir Ihr Leid zu klagen? fiel Hermine ausweichend ein.
Nun ja, erwiderte Gundobald mit einem Seufzer, so ist es auch.
Also – worin besteht es?
Darin, daß die Gräfin Edern mich besser kennen will als ich mich selbst, daß sie die Entdeckung gemacht zu haben behauptet, ich sei sterblich in Edwine verliebt, Edwine in mich, und daß sie voraussieht, wir würden uns im Laufe einer der kommenden Wochen verheirathen!
Ist das in der That wahr? fragte Hermine, überrascht aufblickend.
Daß wir uns heirathen werden? Ich bitte Sie, antwortete Gundobald sarkastisch, was würde nicht wahr, was Gräfin Edern, meine erlauchte Tante, voraussieht?
Und Sie – Sie sind darüber in Leid versenkt, in Verzweiflung? Ist Edwine nicht eine gute Partie für Sie?
Es bringt mich am meisten in Verzweiflung, daß Sie, Sie, Hermine, das so kühl sagen! Sie finden das wol ein ganz gutes Schicksal für mich, daß ich mich mein Leben lang von einer solchen mir aufgezwungenen Frau und einer solchen Schwiegermutter soll gängeln lassen! Zum Henker und frei heraus, in solcher Noth bekommt auch der Feige Muth, und Sie wissen, der Muth des Feigen ist schrecklich – soll ich mich einmal von einem Weibe gängeln lassen, so laß ich mir's höchstens von Ihnen gefallen – das ist meine tiefste Herzensmeinung, und da man mich so drängt, mögen Sie's wissen – sonst hätte ich's freilich nicht herausgebracht, nie und nimmer! Wollen Sie's übernehmen, wohl, so ist's gut, ich denke dann, es ist mein mir von Anfang an bestimmtes Schicksal! Wollen Sie's nicht – nun, dann meinethalb, ich gehe dann diesen Ederns, die mich tyrannisiren wollen, durch und in die Welt und schlage da aus wie ein junges Fohlen oder wie ein unbändiges, wildes Steppenpferd, und der Schaden, den ich dann anrichte, kommt auf Ihre Rechnung, Hermine. Ich kümmere mich um die ganze elende Welt nicht, nur um Sie, Hermine, und nun, nun ist's gesagt!
Gundobald wischte sich nach dieser im Ton des Verdrusses ausgestoßenen Erklärung den Schweiß von der Stirn.
Hermine war bei seinen Worten anfangs ein wenig erröthet und dann ein wenig erblaßt. Doch sagte sie anscheinend sehr ruhig:
Gundobald, was ist das nun wieder für eine Art, um die Hand eines jungen Mädchens zu werben! Spricht ein ernster, besonnener Mann so? Kann ich glauben, daß Sie mich lieben, wenn Sie sich auch nur im Scherze vor mir einen Feigling nennen können? Können Sie einem Mädchen sagen, Sie wollten von ihm gegängelt sein, da Sie doch wissen müssen, daß eine Frau von ihrem Manne Stärke, Willenskraft und alle Eigenschaften verlangt, auf die sie sich stützen, von denen sie Schutz und Schirm erwarten kann?
Gundobald sah sie bei diesen Worten überrascht, aber nicht unangenehm überrascht an.
Ach, ich denke eben, es ist Ihnen sehr gleichgültig, wie ich bin, und deshalb bin ich selber sehr gleichgültig dagegen.
Darauf habe ich Ihnen vorhin schon geantwortet. Wenn Sie mir so gleichgültig gewesen wären, würde ich mich nicht so oft über Sie geärgert haben.
Dann dürfte ich mich ja am Ende noch freuen über all die bösen Redensarten, die ich von Ihnen habe hören müssen?
Das hängt von der Wahrheit dessen ab, was Sie mir eben gesagt haben. Wenn Ihnen wirklich so ums Herz ist, wie Sie …
Hermine, sagte Gundobald, aufspringend und ihre Hand erfassend, wie mir ums Herz ist, davon habe ich Ihnen noch keine Silbe gesagt – aber jetzt will ich's Ihnen sagen, daß ich nur Ein Interesse mehr auf der Welt habe, nur Einen Gedanken, und das sind Sie! Aufrichtig gesagt, ich habe früher, wenn ich mich darauf ertappte, daß meine Gedanken so im Wachen und im Traume nur bei Ihnen waren, geglaubt, es sei der Aerger, der Groll gegen Sie, daß Sie mich immer mishandelten und so gar nicht gelten ließen. Seit diesen Tagen aber, wo mich die Gräfin bedrängt, wo ich ruhige Einkehr bei mir selber habe halten müssen, bin ich über mich selbst klar geworden; ich weiß jetzt, daß mein ganzes Erdenglück, mein Leben davon abhängt – daß – daß Sie mir gut sind, Hermine, daß …
Sie legte ihre freie Hand auf die Gundobald's, welche ihre andere umschlossen hielt, und sagte:
Ich bin Ihnen gut, Gundobald, von Herzensgrunde, glauben Sie es mir, und wenn ich Ihnen wehe gethan habe, so kam es nur daher, weil es mir selbst wehe that, zu sehen, wie Sie so nichts dazu thun wollten, mir so zu gefallen, wie mein Herz verlangte, daß Sie es sollten. Ich hätte den Augenblick gesegnet, wo Sie stolz und hochfahrend gegen mich geworden wären – eine edle Natur, die uns Sympathie einflößt, können wir nicht sich zu eitlem Getändel erniedrigen sehen, ohne unsere Sympathie für sie beleidigt zu fühlen.
Trieb ich denn wirklich so viel eitles Getändel?
Vor der Welt wenigstens. Ich weiß, daß Sie im Grunde eine ernste und tiefe Natur sind, ich weiß, daß Sie im stillen halbe Nächte lang arbeiten und studiren können; aber der Welt zeigten Sie sich nicht so.
Kann nicht auch darin ein Stolz liegen? Kann das Getändel nicht auch der Humor sein, in dem sich die Schwermuth einer ernsten, aber stolzen Seele äußert?
Und glauben Sie, ich hätte nicht bei Ihnen diesen Humor herausgefühlt? Aber die Welt fühlt ihn nicht heraus, und sie braucht ihn auch nicht zu fühlen; die Welt achtet nur den, der ihr Achtung abzwingt, und das thut ein Mann nur durch Ernst und stolze Willenskraft.
Sie haben recht, Hermine, gewiß, Sie haben recht, und wenn Sie Gelübde von mir verlangen …
Gelübde nicht, nein, ich verlange jetzt nur, daß Sie sich dort wieder niedersetzen und daß Sie ruhig und vernünftig mit mir überlegen. Denn ach, Gundobald, wir haben beide jetzt viel, viel Vernunft nöthig – wir sind beide sehr, sehr arm, und das dürfen wir nicht vergessen!
Gundobald gehorchte ihr nicht ganz; statt sich zu seinem Stuhle zurückzuziehen, kniete er vor ihr hin, und beide Hände über ihren Knien faltend und sie anschauend, sagte er flüsternd:
Doch, Hermine, wir dürfen es vergessen! Siehe, ich fühle mich so unendlich reich; wenn ich in deine Züge schaue, sehe ich wie in die unendliche Schönheit hinein. Macht nicht ein solcher Blick reich für immer? Du weißt nicht, Hermine, wie schön ich dich finde!
Sie neigte ihr Haupt und legte ihre warme, erröthende Wange einen Augenblick auf seinen braunen Scheitel – aber nur einen Augenblick, dann schob sie ihn lächelnd von sich und flüsterte:
Sie sind ein Kind, Gundobald, und wie ein Kind unvorsichtig! Wir könnten gesehen werden – Sie wollen ja ernst sein von heute an – gehen Sie auf Ihren Platz zurück, damit wir wie zwei ruhige, praktische Leute miteinander reden.
Ich möchte aber ewig so kniend bleiben! Verträgt sich das nicht mit dem Ernste? Mir ist so ernst und heilig fromm zu Muthe – ja, wie einem Kinde, das betet!
Herminens Auge hatte einen feuchten Glanz, als sie ihn nach diesen Worten groß und innig anblickte. Sie legte dabei ihre Hand auf seine Schulter.
Und ich soll ja von nun an auch meinen eigenen Willen haben, fuhr Gundobald fort, so laß mich hier damit beginnen; ich werde knien an dieser Stelle, solange ich will, Hermine!
Wenn ich dann aber aufstehe und Ihnen davon gehe?
Freilich, das wäre zu schrecklich!
Also stehen Sie auf und hören Sie mir zu.
Er gehorchte ihr und warf sich in seinen Stuhl.
Ich höre, sagte er dann.
Sehen Sie, Gundobald, hob Hermine an, ich nehme Ihre Bewerbung an – vielleicht sollte ich es nicht so rückhaltlos, so rasch – doch, um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, ich bin ein wenig in Ihrer Lage – auch auf mich, scheint mir, hat Gräfin Edern Plane gebaut, die mich beunruhigten und ängstigten – diese Beunruhigung läßt mich das bindende Ja mit weniger Scheu sprechen. Aber, Gundobald, wir sind beide arm. Wir, Dankmar und ich, besitzen nur dieses kleine Gut. Es ist das Vätererbe, das nach altem Brauch und von Rechts wegen Dankmar bleiben muß. Sprächen wir nun offen mit ihm, so würde er – ich kenne ihn genug darin – mir Haus Gohr abtreten wollen. Er würde in die Welt gehen, sich eine Stellung zu suchen. Dieses Opfer will und kann ich nicht annehmen!
Ebenso wenig, wie ich es je dulden würde! fiel Gundobald ein.
Und Sie, Gundobald, fuhr Hermine fort, sind nicht reicher als ich, denk' ich …
Nein, gewiß nicht, sagte Gundobald mit einem Seufzer; ich habe nur noch so viel, um eben leben zu können, bis ich es zu einem Gehalte im Staatsdienste gebracht haben werde. Die Hoffnungen auf die Böhmer'sche Bank, die Boto hegt, scheinen mir noch immer nicht recht verbürgt, und ohnehin werde ich ja jetzt auch wol bei meiner erlauchten Tante, folglich auch bei ihrem Sohne, Vetter Boto, und ihrem Freunde, Herrn Böhmer, ein wenig in Ungnade kommen – damit wird denn meine Justitiarstelle bei jenem wunderbaren Geldinstitut auch in Frage gestellt sein.
Ja, ja, antwortete Hermine, auf diese Hoffnung werden wir nicht bauen können, und um uns darüber zu trösten, wollen wir hinter das ganze wunderbare Geldinstitut vorderhand noch ein Fragezeichen machen.
Niemand ist geneigter dazu als ich, erwiderte Gundobald.
Wir haben also keine andern Aussichten als Ihre Anstellung? fragte Hermine.
Keine andern, entgegnete er mit einem tiefen Seufzer; und um sie eher zu erreichen, keine Vetterschaften, keine Verbindungen, gar nichts – wir sind in der That sehr arm, Hermine!
Muß ich jetzt die sein, die Ihnen sagt, daß wir trotz alledem reich sind, Gundobald? Wir haben unsern Muth und unser Hoffen, ich meine treue Ausdauer und Sie Ihre Kraft und Ihren Fleiß. Also fühlen wir uns reich …
Und glücklich, Hermine, grenzenlos glücklich!
Hermine reichte ihm ihre Hand über den Tisch hinüber.
Gewiß – es macht mich glücklich, daß Sie es sind – durch mich – aber Sie sehen ein, daß wir fürs erste und vielleicht noch lange, lange schweigen müssen!
Sie haben recht, wir werden es müssen; wenn ich auch mein Glück jedem athmenden Menschen, jedem Baume des Waldes zurufen möchte!
Das dürfen Sie ja auch, den Bäumen, antwortete sie lächelnd; nur nicht so laut, daß horchende Menschen es hören könnten. Was Gräfin Edern angeht, so sagen Sie ihr freilich alles; sagen Sie ihr …
Ich weiß schon, was ich ihr sagen werde; um Edwine nicht zu verletzen, werde ich als den Grund meiner Weigerung, auf ihre Plane einzugehen …
Gundobald wurde hier unterbrochen durch feste, lauttönende Schritte, die von der Holzbrücke über den Graben her erschallten. Es war Dankmar, der zurückkam und bald neben ihnen stand. Er blickte, ohne eine Bemerkung zu machen, arglos in ihre erregten Mienen. Ein anderes Gespräch mußte begonnen werden. Gundobald führte es ein wenig unstet, ein wenig zerstreut, ein wenig aufgeregt; aber Dankmar wurde um so weniger verleitet, etwas von der Scene zu argwöhnen, welche zwischen seinem Freunde und seiner Schwester stattgefunden, als Hermine desto stiller und schweigsamer war; sie fühlte bei alledem, was sonst ihr Herz erfüllte, wie eine drückende Last daraufliegen, daß sie ein Geheimniß vor ihrem Bruder haben mußte; das erste Geheimniß, welches sie je vor ihm gehabt.
Als nach einer Stunde Gundobald sich verabschiedete, um heimzugehen, schlenderte Dankmar mit ihm den Weg durchs Gehölz hinunter. Gundobald hatte gegen seine Gewohnheit Dankmar's Arm genommen. So neben ihm schreitend sagte er:
Ich begreife wohl, daß die Menschen, welche doch mit so vielem unzufrieden sind, nicht revolutionärer sind. Sie sind nicht glücklich genug dazu. Ich denke, ein plötzliches ungeheures Glück, das uns überkäme, müßte zu einem wüthenden Revolutionär machen! Es müßte mit dem stürmischen und nicht zu bemeisternden Drange erfüllen, nun alle andern Menschen auch glücklich sehen zu wollen!
Haben Sie sich in ein plötzliches ungeheures Glück so lebhaft hineingeträumt, Gundobald, daß Ihnen die Ahnung eines solchen revolutionären Dranges gekommen?
Vielleicht – weshalb soll man sich nicht einmal hineinträumen? Daß ein solcher Traum Wirklichkeit werde, ist doch am Ende nicht unmöglich.
Freilich, nicht so unmöglich, wie glücklich zu machen durch eine Revolution.
Gundobald wollte antworten, als die beiden jungen Männer in ihrer Nähe Stimmen vernahmen – bekannte Stimmen, von denen die eine Dankmar das Blut zum Herzen zurückströmen machte – er blieb stehen, er wäre der Begegnung gern ausgewichen und es war doch zu spät; einen Augenblick nachher erschienen Anna Morell und Comtesse Bertha um die nächste Wendung des Weges; Anna war mit ihrem Zöglinge auf einem Spaziergange durch das Gehölz begriffen, in welches jetzt die niederglühende Sonne ihre letzten Strahlen warf. Das Moos auf dem Boden unter den Stämmen, die Farrnkräuter und das niedere Gestrüpp des jungen Aufschlags lag schon überall im Schatten, auch die kleinen Lichtungen; nur an den grauen, flechtenbewachsenen Stämmen glühte hier und dort ein rother Strahl, während weiter oben Lichter mit einzelnen Laubbüscheln spielten oder ganze Zweigpartien der Wipfel vergoldeten.
Die beiden jungen Männer standen bald vor den ihnen Begegnenden, die eben durch die Lichtfülle einer hellern Stelle ihres Weges auf sie zugeschritten kamen, und Gundobald rief ihnen zu:
Sie sollten auf dem erleuchteten Standpunkte, den Sie eben einnehmen, stehen bleiben, Fräulein Morell; Sie glänzen darin wie eine goldige Lichterscheinung!
Dankmar vermied, Anna's Blick zu begegnen; in den Tagen, worin er sie nicht gesehen, worin er nicht gewagt, ihre Begegnung zu suchen, hatte er sich immer fester eingeredet, daß seine Worte von neulich von ihr als Uebermuth und selbstzufriedene Zuversicht gegen ein Mädchen in ihrer Stellung gedeutet worden sein mußten; und das lag um so schwerer auf seinem Herzen, als er ja die eigenthümliche Muthlosigkeit empfunden hatte, zu seiner Rechtfertigung auf jenes Gespräch zurückzukommen.
Gundobald fuhr unterdeß fort:
Wir beide bewegen uns eben sehr im Dunkel, in dem Dunkel einer schwer lösbaren Frage: Kann man das Glück schaffen durch Revolution, es finden auf dem Wege der Gewalt? Dankmar sagt Nein! Was denken Sie darüber?
Anna und ihr Zögling hatten sich gewendet, um mit den jungen Männern in der Richtung von Haus Edern zurückzugehen.
Ueber Revolutionen zu urtheilen darf wol ein junges Mädchen sich nicht anmaßen, antwortete Anna nach einer kleinen Pause; aber das Glück finden auf dem Wege der Gewalt? Sollte das nicht zuweilen möglich sein? Ich denke doch, daß es Lagen gibt, worin man ein wenig Gewalt nöthig hat, um das, was zwischen uns und dem Glück steht, zu besiegen. Wir haben doch auch neben dem Gemüth die Kraft.
Anna hatte das im Anfang ein wenig stockend – dann freiern Tones gesprochen. Es war eigenthümlich – sie hatte sich das erste Wiedersehen mit Dankmar so ganz anders gedacht, es gefürchtet – jetzt, wo sie ihn sah, wo sie seine Beklommenheit nicht verkennen konnte, war es so ganz anders; von Groll fühlte sie nicht das Geringste mehr in sich … war es Schwäche, daß sie nicht grollen konnte?
Bei der Antwort Anna's hatte Comtesse Bertha, welche diese philosophische Unterhaltung zu langweilen anfing, Vetter Gundobald's Arm genommen und begann seine Aufmerksamkeit durch eine Geschichte vom Kutscher Christian und ihrem Pony abzuziehen; Dankmar und Anna sahen sich deshalb gleich darauf nebeneinander im Zwiegespräche, was Dankmar's Beklommenheit gerade nicht minderte. Um so eifriger hielt er an diesem um Allgemeinheiten sich bewegenden Gesprächsstoffe fest.
Ueber den Weg zum Glück denkt wol jeder verschieden, sagte er. Schon jede Frau muß anders darüber denken wie jeder Mann. Wollen Sie mein Glaubensbekenntniß für mich anhören, so ist es kurz dieses: Es gibt am Ende kein Glück ohne innern Frieden, ohne Ausgesöhntsein mit dem Menschenschicksal und ohne das Bewußtsein, daß man seine Aufgabe erfüllt hat. Die Aufgabe unserer Zeit ist die völlige Befreiung vom Mittelalter und den Lebensformen, in denen der ihm eigenthümliche Geist sich ausprägte. Die Aufgabe des Einzelnen in dieser Zeit ist: dieselbe Befreiung in sich selber zu erreichen. Diese Befreiung ist auf dem Wege der Bildung, des Gedankens zu suchen. Aber der Gedanke allein bringt nicht den Frieden und das Ausgesöhntsein mit dem Menschenschicksale; ich wenigstens fühle so; es gibt einen Luxus des Denkens, eine Ueberfeinerung des Gedankenlebens, die uns dahin führen würde, daß der Mann zu der niedern, abstumpfenden Arbeit des Alltaglebens, das Weib zur Erfüllung ihres schweren, natürlichen Berufs zu vergeistigt werden würde. Zu dem Gedanken muß für den Mann die That kommen. Der Gedanke muß uns die Klarheit geben, deren wir zu rechtem, klarem Thun und Handeln bedürfen; in der That aber liegt erst der volle Friede, die Harmonie mit uns selbst, die Zufriedenheit mit unserm Dasein das Glück!
Anna Morell, die es anfangs ebenso vermieden, seinen Blicken zu begegnen, wie Dankmar den ihren, hatte, während er sprach, die Augen voll zu ihm aufgeschlagen und sagte jetzt unbefangen:
Ich glaube, daß Sie darin vollaus recht haben. Aber die That, die Gelegenheit zur That, ist sie allen geboten?
Freilich, antwortete Dankmar – ich müßte, um meine kleine Lebenstheorie unangreifbar zu machen, nachweisen, daß sie es ist. Statt dessen muß ich Ihnen einräumen, daß ich dies nicht kann. Ich selbst sehne mich nach der That, nach der Arbeit und gehe doch eigentlich müßig! Glauben Sie, ich empfände das nicht? setzte er mit einem Seufzer hinzu.
So kann ich vielleicht Ihre Theorie ergänzen, erwiderte Anna lächelnd. Wie wäre es, wenn wir auf unsere Unterredung von neulich zurückkämen und sagten: die That braucht nicht immer im Thun zu bestehen, sie kann auch bestehen im Entsagen?
Diese Worte Anna's erfüllten Dankmar mit einer eigenthümlichen Freude – dieses unbefangene Erinnern an jene Unterredung von ihrer Seite machte ihn glücklich, weil es wie eine Absolution von dem, was ihm ängstigend und beklemmend auf der Brust lag, lautete, darüber dachte er nicht an eine Antwort auf ihre Frage, er blickte sie nur mit hell aufleuchtenden Augen an.
Sie werden das wol nicht gelten lassen, fuhr sie, da er nicht sprach, fort – aber, sagte sie dann in heiterm Tone, da Sie ein so großer Philosoph sind und den Weg zum Glücke für den Mann so bestimmt anzugeben wissen, so zeigen Sie mir auch den, welchen die Frau wandeln muß. Soll sie nicht auch durch Denken unabhängig und frei werden und durch die That das Glück suchen?
Sie spotten meiner, Fräulein Anna, erwiderte Dankmar, und deshalb will ich Ihnen nicht einräumen, daß ich, der so wenig Frauen kennt, darüber wol kein Urtheil habe, sondern ich antworte: ich glaube, daß der Bildungsstandpunkt, auf welchem die Menschheit von heute angekommen ist, sich nicht mehr mit dem unbewußten, dem einem guten, aber dunkeln Drange seines Gefühls folgenden oder auch wol instinctiv gebundenen Weibe von ehemals verträgt. Wenigstens kann ein Philosoph, wie Sie mich nennen, den holden Reiz unbewußter Weiblichkeit nicht mehr gelten lassen. Das Weib darf kein halb unzurechnungsfähiges Mittelglied zwischen Kind und Mann sein, sondern muß ein voller Mensch sein. Aber das klare Denken wird den Frauen schwerer als uns. Der Führung durch das gute, dunkle Gefühl entwachsen, selbstbewußt wollend, wird die Frau immer einen langen Weg der Schwankungen und Irrungen durchzumachen haben, bis sie zu der vollen Klarheit, der nicht mehr zu trübenden Einsicht gelangt, wie allein für sie das Glück zu finden ist.
Und, fragte Anna, liegt es auch für sie nur in der über der Tiefe, sagen wir aus dem Thalgrunde, des Denkens sich aufbauenden That?
Ja – aber die That der Frau, die That, worin sie allein Glück findet, ist eine ganz andere als das Thun des Mannes …
Anna Morell fiel hier Dankmar ins Wort – es schien, als ob sie verhindern wolle, ihn zu seinem letzten Schlusse kommen zu lassen; ein wenig erröthend sagte sie:
Ich danke Ihnen, ich will über dieses ernste Thema nachdenken, und Sie sollen nicht vergessen, daß Sie mir noch eine Antwort auf meine Frage von oben schuldig sind, über welche Sie ebenfalls nachdenken mögen. Im übrigen, fuhr sie fort, kann ich mit Ihrer Lebensphilosophie ganz zufrieden sein. Wenn es auch nicht sehr verbindlich ist, zu behaupten, daß uns das Denken schwerer werde als den Männern, so müssen wir Ihnen doch sehr dankbar sein, daß Sie allen Menschen, Frauen wie Männern, die gleichmäßige Berechtigung unabhängigen Denkens und freier, eigener Prüfung dessen, was uns entgegengebracht wird, einräumen. Mehr verlange ich nicht. Etwas in mir, was andere vielleicht nur den Widerspruchsgeist einer widersetzlichen Natur, die sich nichts octroyiren lassen will, nennen würden, zeigen Sie mir im schönsten Lichte philosophischer Berechtigung auf freies Denken und bewußtes Streben nach Klarheit. Wenn Sie auch dahinter die Gefahren langer Irrwege für eine Frau erblicken – man muß dann schon so viel Muth und Vertrauen zu sich selber haben, daß man sich aus diesen Irrwegen am Ende doch glücklich zurechtfindet. Also, ich bin mit Ihrer Philosophie zufrieden, schloß Anna heiter ihre Rede.
Mit der Philosophie, entgegnete lächelnd Dankmar, können Sie immer zufrieden sein – dafür ist sie die Kunst, sich zu beweisen, daß man allen Grund habe, mit der ganzen Welt und insbesondere mit sich selber höchst zufrieden zu sein. Aber hier haben wir das Steinkreuz erreicht, und es wird Zeit für mich, heimzukehren.
Man verabschiedete sich, Dankmar bot auch Anna die Hand, welche sehr flüchtig die ihre hineinlegte und sich dann rasch wandte, um ihren Weg fortzusetzen.
Dankmar eilte durch den jetzt ganz dunkeln Wald mit raschen Schritten heim. Sein Herz war um eine Centnerlast erleichtert.
Anna, welche zwischen Comtesse Bertha und Gundobald die Avenue von Haus Edern hinabschritt, war unterdeß nicht so erleichtert zu Muthe. Hatte sie sich nicht doch Vorwürfe zu machen, daß Dankmar's Gegenwart so viel bezwingenden Einfluß auf sie geübt, daß ihr ihm gegenüber der Muth oder besser der Drang geschwunden, ihre Verstimmung gegen ihn, ihr Verletztsein, ihren beleidigten jungfräulichen Stolz zu zeigen?
Vor dem Hause begegnete den drei Heimkehrenden Boto. Er kam sehr fröhlich ihnen entgegengeschritten. Er war sehr gesprächig, er zeigte Anna, mit der er sich bisjetzt sehr wenig beschäftigt hatte, eine große Aufmerksamkeit; er bot ihr sogar, als man den Fuß der Portaltreppe erreicht hatte, den Arm. Anna lehnte ihn ab und eilte die Stufen hinauf; Gundobald sah fragend den Vetter an, und als Anna die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufging und die beiden jungen Männer allein unten im Flur standen, sagte Gundobald:
Ich kenne dich nicht wieder, Boto; du bist ja gegen die Gouvernante deiner Schwester von einer Herablassung, welche ich deinem gräflichen Bewußtsein gar nicht zugetraut hätte.
Gouvernante oder nicht Gouvernante, was kümmert mich das! antwortete Boto. Ich finde, daß sie verdient, eine Gräfin zu sein, und deshalb soll ihr Gouvernantenthum mich nicht abhalten, ihr zu zeigen, daß sie meine Eroberung gemacht hat!
Ein so armes, bürgerliches Mädchen konnte deine Eroberung machen?
Weshalb nicht? Was fragt das Herz nach Reichthum und Abel?
Burghaus lachte laut auf. Nun wahrhaftig, rief er aus, während ich mit ihr durch den Wald schritt, muß sie dir in der Abwesenheit stark den Kopf verrückt haben! Ich falle wirklich aus den Wolken, dich so reden zu hören!
Und doch hörst du nichts als meine wahre Herzensmeinung, die ich im Grunde immer gehegt habe. Fräulein Morell hat eben meine Eroberung gemacht, und ich wüßte keinen Grund, weshalb ich es ihr nicht zeigen sollte.
Ich wüßte der Gründe sehr viele …
Wüßtest du in der That? So nimm immerhin an, daß du damit zu spät kommen wirst, daß ich von Fräulein Morell schon viel zu sehr bezaubert bin, um auf deine Vernunftgründe zu hören, und deshalb erspare sie mir. Es ist nicht nöthig, irgendeine Silbe darüber zu verlieren, theuerer Vetter – namentlich auch andern gegenüber nicht – du begreifst!
Gundobald Burghaus sah seinen Vetter sehr erstaunt an.
Nein, sagte er, daß du, du, Vetter Boto von Edern, so redest, das begreife ein anderer! Du kannst auch sicher sein, daß ich nicht darüber rede, denn wem ich es sagte, der würde es mir nicht glauben.
Thörichte Menschen – weil ich ein Mann von praktischem Verstande bin, weil ich keinen Chimären nachrenne, sondern mich um Dinge mühe, die wahren und reellen Werth für das Leben haben, deshalb soll ich mich ausschließen wollen von allem einfachen und wahren Empfinden? Deshalb soll ich auch in der Sphäre, wo nur das Herz und das Gemüth herrschen dürfen, nur berechnen und nur lieben können, alte Stammbäume und Zinsberechnungstabellen als pièces justificatives in der Hand?
Boto wandte sich wie zürnend ab. Burghaus sah ihm kopfschüttelnd nach und sagte sich endlich gutmüthig:
Nun, ich will ihm glauben, so schwer es mir wird. Er hat sich eben, ohne daß er es jemand merken lassen, im stillen mit der Gouvernante beschäftigt, sie beobachtet, sich in sie verliebt, und diese Neigung fängt an, auf seinen Charakter zu wirken; es ist am Ende nichts Wunderbares dabei.
Burghaus wurde in dieser Annahme bestärkt, als er am Abend in dem versammelten Familienkreise Boto beobachtete. Dieser war auffallend beflissen, Anna die Unterhaltung zu machen; und Anna, das war offenbar, nahm diese Beflissenheit sehr gut auf. Sie sprach lebhaft mit Boto, es schien fast, als ob ihre Farbe sich dabei höher geröthet habe, als ob Boto verstanden, ein Interesse in ihr hervorzurufen.
Der Prinz näherte sich einigemal Anna und mischte sich ins Gespräch; aber Boto schien keine Lust zu haben, ihm zu weichen und das Vorrecht, die Gouvernante zu unterhalten, aufzugeben. Burghaus plauderte mit Edwine, und da die drei jungen Missethäter des Prinzen mit dem alten Grafen Achatius Piquet spielten, blieb dem Prinzen nichts übrig, als sich zur Gräfin Edern zu setzen, die mit ihren forschenden Blicken von Zeit zu Zeit die Gesellschaft überflog und mit einem Zuge von Misvergnügen Boto's Beflissenheit um Anna wahrnahm.
Ich muß Ihnen meinen Glückwunsch machen, Durchlaucht, sagte sie; Sie haben, seit wir uns nicht sahen, große Fortschritte in der Civilisirung Ihrer Schutzbefohlenen gemacht; ich finde alle drei durch Ihren Einfluß bedeutend gefördert …
Sie machen mich glücklich durch diese Versicherung, Gräfin, sagte der Prinz. Ich habe durch Lehre und Beispiel gewirkt, wie ich konnte, und der liebe Gott hat mich unterstützt ich hoffe auch, alle drei mir anvertrauten Seelen in nicht zu langer Frist als ehrenwerthe Jünglinge wieder in das Leben zurück treten lassen zu können – es ist das eben der Vorzug adelicher Naturen, daß das Sündhafte und Gottlose sich weniger als innere Fäulniß, sondern mehr wie ein äußerer Rost an sie ansetzt, den die richtige Behandlung immer wieder entfernen kann, während die gemeine Natur von dem Sündhaften nur zu leicht ganz durchzogen und durchtränkt wird. Die adeliche Natur verliert nie das Bewußtsein, daß sie sich selbst etwas schuldig ist; die gemeine ist sich selbst nichts schuldig, sie hat dieses ihre Aufführung controlirende Bewußtsein nicht – und das ist ein uns vom lieben Gott gegebener Vorzug, der mir meine Aufgabe bedeutend erleichtert.
Das ist sehr richtig bemerkt, Durchlaucht, versetzte Gräfin Edern, und eine andere Erleichterung haben Sie in dem Beistande der Vorsehung, welche über jedem einzelnen unserer Standesgenossen wacht, mehr wacht wie über andern Menschen; das ist eine Beobachtung, die ich in einem langen Leben gemacht und zu oft bestätigt gefunden habe, um sie nicht auszusprechen. Es ist möglich, in diesem Glauben eine unchristliche Ueberhebung über andere Menschen zu sehen. Aber was wollen Sie – ich habe zu auffällige Beispiele davon und bin meiner Sache zu gewiß, um nicht daran festzuhalten. Auch ist im Grunde nichts Wunderbares darin. Wenn Gott einem Wesen einmal das Glück gewährt, durch die Geburt ihm adeliches Blut zu geben, so hat er schon dadurch bestätigt In der Vorlage »bethätigt«., daß er ihm besondere Gnade zuwendet, und ist nun nicht schon von vornherein anzunehmen, daß eine besondere Gnade ihm auch auf seinem ganzen Lebenswege folgen wird?
Allerdings, antwortete der Prinz; man braucht nur die Lehre von der Prädestination anzunehmen: aus ihrer Weiterentwickelung geht dann offenbar die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit dessen, was Sie als eine Erfahrung Ihres Lebens aussprechen, hervor.
Als eine Erfahrung, eine mir nicht mehr umzustoßende Erfahrung! fiel die Gräfin ein. Mit der Prätestinationslehre dürfen Sie sie jedoch nicht in Verbindung bringen, Prinz, denn diese ist ketzerisch.
Der Prinz schwieg. Gegen dieses letzte Argument hatte Prinz Günther nie sich aufzulehnen versucht gefühlt. Er fuhr nur nach einer Pause fort:
Und doch, liebe Gräfin, sind die Schwierigkeiten des Berufs, den ich ergriffen, keine geringen. Sie müßten sie selber kennen, um das ganz beurtheilen zu können. Meine ganze Seele schreckt doch oft tief verletzt und verwundet zusammen, wenn Baron Bruno, der im Grunde ein so guter Mensch ist, einmal wieder der Versuchung, trotz all meiner strengen Bewachung, unterlegen ist und in grenzenloser Betrunkenheit sich wie ein rohes Thier geberdet; oder wenn Baron Beltram, der begabte, liebe Mensch, von seinem Cynismus übermannt und recht, ja, wirklich recht schmuzig wird …
Sie armer Prinz Günther – Ihre feinbesaitete Seele mag dann allerdings sehr leiden! antwortete Gräfin Edern.
O ja, sehr, sehr! flüsterte Prinz Günther weich. Und oft verzage ich dabei und zu andern Zeiten kommt mir die Ueberzeugung, daß meine Kräfte allein nicht hinreichen, daß ich eines Beistandes bei meinem gottgefälligen, aber schweren Werke bedarf.
Allerdings, Durchlaucht, fiel Gräfin Edern ein, wenn der Kreis der Ihnen Anvertrauten sich erweitert, wenn Sie einen festen Wohnsitz eingerichtet haben, dann mag es sich empfehlen, daß Sie sich einen Helfer zugesellen, einen Mann von energischem Charakter und ebenso viel Stärke als Reinheit des Wollens; einen Mann, der Ihre milde, feinorganisirte und sublime Natur ergänzte, und nöthigenfalls durch Strenge …
Ach nein, das ist nicht gerade mein Gedanke! unterbrach Prinz Günther sie. Nicht auf Strenge und Stärke ist mein System gegründet – nur auf die Entwickelung des Gemüths durch Liebe und Milde. Nein, mein Gedanke geht darauf hin, zu meiner Unterstützung die Macht des läuternden, erhebenden weiblichen Elements herbeizuziehen.
Auch diesen Gedanken darf ich billigen, versetzte die Gräfin. Eine ältere, erfahrene Frau von großer religiöser Bildung des Herzens und von warmer, wahrhaft christlicher Hingebung würde gewiß in Ihrem Hause recht an ihrer Stelle sein, ja, sie wird Ihnen nöthig sein, schon um dieses Haus zu führen …
Eine ältere, erfahrene Frau? fiel Prinz Günther ein. Sie haben recht, Gräfin; einer ältern, erfahrenen Frau könnte ich sehr viel zu verdanken haben. Aber glauben Sie nicht, daß ich darauf sehen müßte, das Element des echt Weiblichen, die Zaubermacht der schönen, weiblichen Erscheinung, das Gewinnende und Vergeistigende einer edeln Frauennatur so für mich zu gewinnen, daß es meinen Zwecken bei der Läuterung dieser zum Theil sehr verwilderten Gemüther dienstbar würde?
Ach, sagte Gräfin Edern lächelnd. Sie möchten die Schönheit zur Gehülfin!
Im stillen sagte sie sich: Mir geht ein Licht auf! Der gute Prinz Günther!
Liebe Durchlaucht, fuhr sie darauf fort, Sie müßten dann schon Ihrem Berufe das schwere und bittere Opfer bringen, zu heirathen, denn sonst sehe ich nicht …
O, ich wäre um meiner guten Sache willen auch dazu entschlossen, ich könnte auch das thun, Gräfin! fiel der Prinz eifrig ein.
In der That, Sie sind bewundernswürdig, Prinz! versetzte Gräfin Edern mit einem leichten Anfluge von Sarkasmus im Tone, der dem gutmüthigen Prinzen durchaus entging. Aber lassen Sie mich Ihnen gestehen, daß Sie Schwierigkeiten finden würden. Eine Dame Ihres Standes, in welcher Sie diejenigen Eigenschaften fänden, die allein Ihre Wahl bestimmen könnten, würde sich schwer entschließen, in einen, lassen Sie mich sagen, so verantwortlichen Wirkungskreis einzutreten; sie würde Anstand nehmen, neben den Gattenpflichten auch noch solche zu übernehmen, welche sie an Ihrer Seite erwarteten. Es wäre freilich möglich, fuhr die Gräfin fort, daß Sie einer solchen Dame eine Leidenschaft einflößten, die sie anfangs über alles hinwegsehen ließe; aber ich fürchte, nach kurzem Verlaufe und nach näherer Bekanntschaft mit Baron Beltram, Baron Bruno, Graf Axel …
Nein, nein, nein, unterbrach sie Prinz Günther jetzt sehr lebhaft, an eine Dame meines Standes könnte ich nicht denken! Ich könnte das nicht schon aus dem einfachen Grunde, weil ich als nachgeborener Prinz eine viel zu geringe Apanage beziehe, um an eine standesgemäße Vermählung denken zu dürfen. Meine Idee, liebe Gräfin, ist eine andere; ich muß, wenn ich mich zu dem aufopfernden Schritte, von dem wir reden, entschließe, die Hingebung an meine Zwecke so weit treiben, daß ich auch vor einer Vermählung zur linken Hand nicht zurückweiche!
Zur linken Hand? rief die Gräfin überrascht aus.
Eine morganatische Ehe – würden Sie davon abrathen, liebe Gräfin? Ein in strengen Grundsätzen und zu einer aufopferungsvollen Thätigkeit erzogenes Mädchen aus dem Bürgerstande, dessen äußere Erscheinung mich gewänne, dessen Gemüthsleben mit dem meinen harmonirte, ist das, was ich seit einiger Zeit suche, und fügte Prinz Günther ein wenig erröthend hinzu – ich glaube, sie gefunden zu haben …
Sie glauben, sie bereits gefunden zu haben?
Ich glaube, sie gefunden zu haben, und an einem Orte, wo ich doppelt lebhaft empfinde, daß ich Ihres Rathes, Ihrer Billigung bedarf, ehe ich mich entschließe.
Doch nicht hier? rief die Gräfin erstaunt aus.
Hier, liebe Gräfin Edern, fuhr der Prinz lispelnd und sehr leise fort – ich meine Fräulein Anna Morell.
Die alte Dame sah ihn überrascht an; dann flog ihr Auge mit schnellem Blicke zu Anna hinüber, die sie noch immer mit Boto in lebhaftem Gespräche sah.
Was denken Sie darüber, meine theure Freundin? setzte der Prinz ein wenig erregt hinzu.
Die Gräfin sah schweigend und nachdenklich vor sich nieder; dann sagte sie:
In der That, so überraschend mir Ihre Eröffnung ist, so muß ich, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gestehen, daß Sie mit wunderbarer Einsicht die richtige Persönlichkeit erkannt haben.
Prinz Günther ergriff lebhaft, fast zärtlich die Hand seiner Freundin.
O, wie es mich freut, aus Ihrem Munde diese Worte zu vernehmen! Nicht wahr, Sie glauben auch, daß der liebe Gott es so gewollt, mich gerade hierher zu führen, wo ein solch ausgezeichnetes Wesen weilt, wie ich es vielleicht nirgends auf Erden wiederfände?
Dieses ausgezeichnete Wesen, dachte Gräfin Edern im stillen, scheint ja wirklich eine besondere Gabe zu haben, allen Männern die Köpfe zu verrücken – jetzt steht sogar dieser sanfte Prinz in Flammen – mir kann in der Welt nichts willkommener sein, als wenn er sie unschädlich macht und mit ihr als seiner morganatischen Gattin abzieht.
Aber, fuhr die Gräfin dann laut fort, haben Sie denn hinreichend Fräulein Morell kennen gelernt? Sind Sie der Uebereinstimmung des Gemüthslebens in einem Grade sicher …
O doch, doch! Ich habe mich mehrmals über sehr ernste Fragen mit ihr unterhalten und einen überlegenen Geist in ihr gefunden, versetzte Prinz Günther. Jedes Wort, welches sie mir sagte, hat mich sie achten gelehrt; und dann darf ich wohl sagen, ich bedarf weiter keiner Prüfung und Untersuchung; es ist Sache des Gefühls, der Intuition bei mir; die innere Ueberzeugung, daß ich einer Person mit ganzem Vertrauen mich hingeben darf, kommt mir immer wie eine Art Offenbarung meines Herzens, nicht wie ein Raisonnement des Verstandes …
Bei einer so vergeistigten Natur wie der Ihrigen, Prinz, nimmt mich das nicht wunder, versetzte die Gräfin.
Und nicht wahr, liebe Gräfin, fuhr der Prinz fort, da Sie in so hohem Grade meine Wahl billigen, so haben Sie gewiß auch die Gnade, mich dabei ein wenig zu unterstützen? Es würde mich Ihnen ewig dankbar machen, wenn Sie Fräulein Morell etwas darauf vorbereiten wollten.
Ich? Wozu sollte es dienen?
Es könnte sein, daß sie Einwände zu erheben hätte, daß sie meinen Antrag in einem Lichte sähe, welches ihr Ihren vorherigen Rath wünschenswerth machte; es wäre für mich einigermaßen peinlich, wenn ich bei ihr den Schußredner des Verhältnisses machen müßte, in dem ich Fräulein Anna die Meine zu nennen hoffe …
Fürchten Sie einen Korb?
Nicht das gerade; aber ich fürchte Fräulein Morell's Unbekanntschaft mit einem Institut unsers Fürstenrechts, welches ihr Gefühl verletzen könnte, bevor ich Zeit gefunden, sie die rechten Gesichtspunkte erkennen zu lassen …
Es mag sein, Sie mögen recht haben, antwortete die Gräfin. Im allgemeinen können Sie ruhig sein, Prinz Günther; eine arme Gouvernante gibt einem Prinzen, der ihr die Hand, sei es nun die rechte oder die linke, bietet, keinen Korb.
Glauben Sie wirklich? rief Prinz Günther entzückt über diese Versicherung aus.
Ganz sicherlich, fuhr Gräfin Edern fort; aber ich will gern Fräulein Morell ihr Glück ankündigen, wenn Sie das wünschen.
Ich wünsche nichts lebhafter!
Schon morgen soll es geschehen, wenn Sie wollen.
Ich bin ganz gerührt von Ihrer Güte, theure Freundin!
Prinz Günther zog bei diesen Worten die Hand der Gräfin an seine Lippen.
Verlassen Sie sich – sprach Gräfin Edern weiter, unterbrach sich aber, als sie sah, daß der Prinz den Finger auf seinen Mund legte und über ihre Schulter fortblickte. Sich umsehend, gewahrte sie, daß Comtesse Bertha, die sehr lautlos herangetreten sein mußte, neben ihrem Sofa stand.
Du, Bertha? sagte die Gräfin ein wenig unwillig. Es wird Zeit für dich, zu Bette zu gehen!
Ich kam auch just, dir Gute Nacht zu sagen, liebe Mama, versetzte Comtesse Bertha ein wenig schnippisch, der Mama die Stirn zum Kusse bietend.
Schlaf wohl, mein Kind, sagte Gräfin Edern dabei; sag' auch dem Papa und deiner Gouvernante Gute Nacht.
Bertha ging zuerst zum Papa, dann zu Fräulein Anna; nachdem sie dieser mit einem: Gute Nacht, Fräulein Morell! die Hand gegeben, wandte sie sich dem neben Anna sitzenden Boto zu und flüsterte ihm hastig ins Ohr: Begleite mich hinaus! –
Dann ging sie langsam, noch mit Edwine einige Worte wechselnd, hinaus.
Boto konnte ohne Aufsehen sich erheben und ihr folgen. Er fand sie draußen auf dem Corridor seiner harrend.
Was willst du mir sagen, Bertha? fragte er flüsternd.
Denk dir, antwortete das junge Mädchen in demselben Tone, Prinz Günther will sie heirathen!
Sie heirathen – wen heirathen?
Sie – Fräulein Morell!
Prinz Günther – Fräulein Morell! Bist du unsinnig?
Ich sag' es dir, Boto! Er hat mit der Mama darüber gesprochen – ich habe alles gehört; ich habe deutlich gehört, wie ihm die Mama sagte: Eine arme Gouvernante gibt einem Prinzen, der ihr die Hand bietet, sei es nun die rechte oder die linke, keinen Korb.
Das hast du gehört?
Ja, und auch, daß die Mama bei ihr für ihn sprechen soll – schon morgen will sie es thun.
Graf Boto stand einen Augenblick sprachlos.
Du, sagte Bertha mit noch leiserm Flüstern, der Prinz weiß doch nicht etwa auch schon, was wir wissen, daß er sich so rasch entschlossen hat, der »armen« Gouvernante die Hand zu bieten?
Boto hielt Bertha erschrocken den Mund zu.
Ich bitte dich um Gottes willen, sprich nicht davon! sagte er. Was sollte er wissen! Aber das darf, das darf nicht geschehen! Die Mama darf nicht mit ihr davon reden, bevor ich mit Fräulein Morell habe sprechen können! Höre, Bertha, du mußt mir helfen – ich verlasse mich auf dich!
Was soll ich thun?
Du darfst Fräulein Morell morgen nicht von der Seite gehen, du darfst sie mit niemand, und besonders nicht mit der Mama allein sprechen lassen, bis ich mit ihr habe reden können! Macht, daß ihr draußen im Gartenpavillon frühstückt – dort will ich sein!
Das will ich schon so einrichten, versetzte Bertha, die mit Vergnügen jede kleine Intrigue unterstützte. Gute Nacht, Boto!
Gute Nacht, Bertha – vergiß nicht, daß ich mich ganz auf dich verlasse!
Nein, nein!
Sie lief die Treppe zum obern Stocke hinauf, und Boto kehrte höchst gedankenvoll in das Familienzimmer zurück, wo er zu seinem Aerger wahrnahm, daß Prinz Günther seinen Platz neben Anna eingenommen hatte und mit süßester Miene und Stimme auf sie einredete. Es gab ihm nur einige Genugthuung, als er sah, daß Anna bald nachher diese Gnade in solcher Weise miskannte, daß sie aufstand, der Gräfin Edern Gute Nacht sagte und sich zurückzog.
Comtesse Bertha hatte am andern Tage ihr Versprechen zu halten gewußt. Man hatte zwar nicht im Pavillon, sondern im Familienzimmer gefrühstückt, aber nach dem Frühstücke hatte Bertha ihre Gouvernante bewogen, mit der Arbeit unter den Pavillon hinauszuziehen.
Fräulein Anna hatte dagegen durchaus keinen Einwurf erhoben. Comtesse Bertha beobachtete, daß sie in demselben Maße, wie sie am gestrigen Abende erregt gewesen, heute still und in sich gekehrt und zerstreut war; so zerstreut, daß sie eine eigenthümliche Aenderung im Wesen Bertha's gegen sie gar nicht wahrzunehmen schien.
Comtesse Bertha war sonst trotz aller scheinbaren Demuth ziemlich schnippisch und naseweis gegen ihre Gouvernante. Heute war das anders. Bertha war merkwürdig unterwürfig, eifrig beflissen, ihr zu gefallen; sie sah über das Buch, in welchem sie eine Aufgabe lernen sollte, fort, wie mit bewundernden Augen Anna an. Wäre diese nicht so in Gedanken versunken gewesen, sie hätte sich sagen müssen, daß es ihr in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts in Edern nun plötzlich doch gelungen, sich eine große Hingebung bei ihrem Zöglinge zu gewinnen.
Boto kam nach einer Weile und setzte sich zu der Gouvernante und ihrer Schülerin. Bertha sagte lachend:
Wenn du auch bei Fräulein Morell eine Stunde nehmen willst, so will ich dir mein Buch geben – da, nimm, ich hole mir ein anderes. Dabei sprang sie auf und lief davon, dem Hause zu.
Bertha! rief Anna überrascht aus. Aber Bertha hörte nicht. Anna blickte ein wenig unwillig Boto an; sie schien das Abgekartete dieses seltsamen Benehmens zu ahnen.
Lassen Sie sie laufen, Fräulein Morell, sagte Boto; es ist mir sehr willkommen, daß sie mir möglich macht, mit Ihnen allein zu sprechen. Ich möchte wirklich bei Ihnen eine Stunde nehmen.
Eine Stunde, bei mir, und worin? fragte Anna ziemlich verwundert.
Um offen zu sein, in einer Kunst, die ich bisher ein wenig vernachlässigt habe. Ich habe eben viel anderes zu thun gehabt. Sie kennen unsere Verhältnisse aus eigener Anschauung, Fräulein Anna. Sie haben einsehen können, daß mein guter Vater nicht der Mann ist, um einen großen Besitz mit der Einsicht und der rastlosen Thätigkeit zu verwalten, welche die vielfachen verwickelten Beziehungen und oft schwierigen Aufgaben nöthig machen, denen sich ein großer Grundeigenthümer heutigentags gegenüber sieht. Man kann gewiß meiner Mutter das Zeugniß geben, daß sie viele ihres Geschlechts geistig überragt, daß es ihr weder an Einsicht noch an Thatkraft fehlt; aber immerhin kann eine Frau nicht das auf sich nehmen, was nur die Schultern eines Mannes tragen. So ist denn, seitdem ich erwachsen bin, mir eine große, praktische Thätigkeit zugefallen; ich habe zu ordnen, zu organisiren, zu kämpfen gehabt und habe mich meinen oft schweren und ermüdenden Aufgaben mit um so mehr Eifer hingegeben, als ich täglich mehr glückliche Ergebnisse gesehen, als es mir gelungen, die Verhältnisse unsers Hauses in einer Weise festzustellen, daß ich sagen darf, es gehört zu den wohlhabendsten, geachtetsten, festgegründetsten des Landes. Am Ende dieser Arbeiten darf ich den Anspruch erheben, mir, meinem innern Selbst und den Bedürfnissen meines Gemüths ein wenig zu leben – über den eifrig administrirenden Landjunker ein wenig hinauszugehen, Mensch unter Menschen mit Herz und Empfindung zu sein und dem eigenen Herzen, dessen Stimme ich in mir fühle, zu gehorchen – habe ich da nicht recht, Fräulein Anna?
Fräulein Anna sah ihn in höchster Spannung, worauf alles dieses hinauslaufen solle, an. Wollte Boto sie zur Vertrauten irgendeiner Neigung, vielleicht zu Herminen, machen? Sollte sie, Anna, ihm dabei dienen, oder wollte er blos ihren Rath?
Er sprach weiter, da sie nicht antwortete.
Gewiß geben Sie mir recht, sagte er. Aber Sie begreifen auch, daß ich ein wenig verlegen und unbeholfen bin, wenn ich jenes Gefühl, daß ich eben auch ein Herz und ein Herz voll inniger Liebesfähigkeit habe, aussprechen und gestehen soll. Ich habe mich bisher so wenig um die Art und Weise, wie man um Frauen wirbt, wie man ihre Neigung gewinnt, wie man zu ihnen redet, gekümmert; ich bin so, ich darf wohl sagen, schülerhaft unerfahren, so wenig beredt, daß – daß – nun, daß ich eben zu Ihnen komme, Fräulein Anna. Sie sollen mir eine Stunde darin geben, wie man es macht, wenn man alles, was man besitzt, dafür geben möchte, einer Dame zu gefallen und ein Herz zu gewinnen, in dem man das höchste Gut und den Inbegriff alles Glücks erblickt …
Boto sah das junge Mädchen vor ihm mit so sprechenden Blicken und dabei mit einer so eitel lächelnden Miene an, daß sie plötzlich erbleichte.
Galt das alles ihr?
Nehmen Sie an, fuhr Boto fort, man hätte den festen Entschluß, ihr sein ganzes Leben lang zu dienen, ihr feinen Namen, sein Vermögen zu Füßen zu legen, ihr bis in den Tod treu sein zu wollen – wie macht man es, daß ein solches Geständniß sie nicht verletzt, bevor man sich durch langes Werben ihre Gunst gesichert – ach, langes Werben ist so schwer, wo eine aufrichtige Neigung sich das Glück im Sturme erobern möchte! Sie geben mir keine Antwort, Fräulein Anna ich bitte, sprechen Sie zu mir!
Anna sah den Mann, der so zu ihr redete, mit immer erstauntern Blicken an. Konnte sie den Sinn seiner Worte noch verkennen? Seine Blicke redeten zu deutlich; und zuckte, während diese Blicke so zärtlich auszuschauen suchten, nicht etwas wie ein triumphirendes Lächeln um seinen Mund?
Was soll ich Ihnen auf alles dies antworten, Herr Graf? versetzte sie, die Augen niederschlagend und mit zitternder Lippe. Weshalb glauben Sie, daß ich Ihnen Unterricht darin geben könnte, wie man redet, um einer Frau zu gefallen? Die Voraussetzung ist nicht schmeichelhaft für mich. Jedenfalls haben Sie sich nicht zu beklagen, daß Ihnen die Kunst der Rede nicht gegeben – ich habe die feine und kühle Eleganz Ihres Vortrags in hohem Grade bewundert. Ich zweifle nicht, daß Sie Glück damit machen werden; sie steht nur selten einer wahren, »aufrichtigen Neigung« zur Seite, und wo diese bewaffnet damit auftritt, müssen Eroberungen im Sturme ihr leicht werden. Dazu kommt, daß Sie Ihren Namen, Ihre Grafenkrone mit in die Wagschale zu werfen haben; es gibt der Frauen viele, sehr viele, welchen so etwas ein Ersatz scheint, wenn auch sonst an den Bedingungen wahren Glücks etwas fehlen sollte. Sollte ich jedoch wagen dürfen, Ihnen einen Rath zu geben, so wäre es der, nicht zu rasch Eroberungen im Sturme zu versuchen, sondern erst dann den Muth dazu zu fassen, wenn Sie sich Gunstbezeigungen einer Dame erworben haben, welche Ihnen die Bürgschaft geben, daß sie Ihr rasches Sturmlaufen nicht als eine Beleidigung aufnimmt.
Boto hatte Anna, während sie dies sagte, mit höchst betroffener Miene angeblickt; er wechselte mehrmals die Farbe und war so verwirrt, daß er wirklich nicht recht faßte, was sie sagte, nicht wußte, ob er es als eine entschiedene Abweisung anzunehmen habe oder nicht. Bei ihrem letzten Worte kam ihm die Ahnung, daß doch wol ersteres der Fall sei, so unglaublich die Sache für ihn war.
Er nahm ein gezwungenes Lächeln an und stieß die Worte heraus:
Kann eine Dame eine ehrliche Bewerbung, die Aeußerung einer großen und aufrichtigen Neigung als Beleidigung aufnehmen? Das ist ein hartes, seltsames Wort, Fräulein Morell!
Man sagt, daß bei stolzen Frauen es vorkomme, versetzte Anna – aber weshalb sagen Sie mir alle diese Dinge? Ich kann Ihnen wirklich weiter keinen Rath geben, und für den, welchen ich Ihnen gegeben, bitte ich mir zur Belohnung einen kleinen Dienst aus.
Einen Dienst? Und welchen?
Daß Sie die Gnade haben, Herr Graf, mir Bertha zurückzurufen, damit wir unsere unterbrochene Stunde fortsetzen.
Boto biß sich auf die Lippen. Er war bleich vor Aerger und Wuth.
Das soll sogleich geschehen, sagte er mit einer kleinen Verbeugung, indem er sich erhob und raschen Schrittes dahinging.
Numero siebenundsechzig! flüsterte Anna für sich, mit einem Seufzer ihm nachblickend. Aber ich fürchte, setzte sie nachdenklich hinzu, meines Bleibens ist jetzt nicht länger hier. Diese übermüthigen Männer! Ist denn mein Geheimniß verrathen? Muß es das nicht, wenn dieser Graf Boto, dessen ganzes Wesen den berechnenden Egoisten verräth, mir seine Hand anbietet? Würde er es thun, wenn er mich für eine arme Gouvernante hielte? Nimmermehr! Ich soll gerührt sein, daß Graf Boto Edern einen solchen Schritt thut, ich soll darin die Bürgschaft einer grenzenlos aufrichtigen, wahren, uneigennützigen Neigung erblicken – aber gewiß, gewiß weiß dieser Mensch – o, mein Gott, wer kann ihm verrathen haben – ihm und auch Dankmar von Gohr – auch ihm?
Anna's leises Selbstgespräch verstummte, sie schien bei dem Gedanken an Dankmar von Gohr, an seine brüske Erklärung von neulich in ein tiefes Sinnen zu verfallen und dieses Sinnen sehr trauriger Art zu sein, denn ein Ausdruck unverkennbarer Schwermuth legte sich über ihre Züge.
O, mein Gott, welch trauriges Schicksal, seufzte sie endlich, nie sich einer Neigung hingeben zu sollen, niemals, ohne daß sofort die dunkelsten Schatten eines herzbeklemmenden Argwohns darauffallen!
Bertha kam nicht zurück. Aber nach einer Weile kam ein Diener unter den Pavillon heraus; er brachte eine Botschaft von Gräfin Edern. Die Frau Gräfin wünschten Fräulein Morell zu sprechen. Frau Gräfin befänden sich allein im Familienzimmer.
Anna erhob sich erregt. Was bedeutet das? Wollte die stolze Gräfin sich herablassen, die Werbung für ihren Sohn fortzusetzen? Das junge Mädchen ging sehr beunruhigt.
Gräfin Edern empfing Anna mit huldvollem Lächeln.
Setzen Sie sich neben mich, mein Kind, sagte sie, mit der Hand auf den Platz neben ihr im Sofa deutend. Ich habe mit Ihnen zu reden und allerlei zu sagen, woraus Sie sehen werden, welche warme Freundin Sie an mir gewonnen haben, mit welcher herzlichen Fürsprache ich den glänzenden Eindruck zu unterstützen beflissen war, den Sie auf einen unserer Gäste gemacht haben. In der That, mein liebes Fräulein, Sie haben eine große und glänzende Eroberung hier gemacht, eine Eroberung, auf welche Sie stolz sein dürfen …
Anna zog leise die Brauen zusammen und sah die Gräfin fragend an. Sprach diese von Boto, ohne zu wissen, daß dieser eben selbst für sich gesprochen? Nein. Einen unserer Gäste, hatte Gräfin Edern gesagt wer war das?
Die Gräfin ließ sie nicht lange im Zweifel. Eine Eroberung, fuhr sie fort, welche Ihnen ein großes und nie geahntes Glück verbürgt; denn noch niemals hat wol ein Mann, der mehr Achtung und Vertrauen verdiente, die Hoffnung gefaßt, durch treue Erfüllung aller christlichen Gattenpflichten sich ein wahres und dauerndes Glück zu gründen. Sie müssen ahnen, von wem ich rede – sagt Ihnen Ihr Herz nichts darüber?
Ich ahne gar nichts, nicht das mindeste, versetzte Anna trocken.
Wie könnten Sie es auch ahnen? Es würde nicht für Ihre Bescheidenheit, nicht für die richtige Würdigung Ihrer Stellung sprechen, wenn Sie mir eine andere Antwort als diese gäben; und so sage ich es Ihnen denn: es ist Prinz Günther, liebes Fräulein, dem Sie einen solchen Eindruck gemacht haben, daß er in Ihnen eine liebende Gattin, eine hingebende Gehülfin bei seinem edeln und aufopferungsvollen Wirken zu finden hofft!
Gräfin Edern, die bisher, in ihrem Sofa zurück gelehnt, an den Falten ihrer braunseidenen Robe niedergeblickt hatte, schlug bei diesen Worten ihre Augen auf und schaute Anna voll ins Gesicht, wie um die Wirkung ihrer Eröffnung zu sehen.
Sie war einigermaßen betroffen, als sie nur einen Ausdruck von Unwillen in Anna's Zügen entdeckte, als diese mit einem bittern Auflachen sagte:
Prinz Günther?
Prinz Günther von Welda – das finden Sie lächerlich, Fräulein Morell?
Verzeihen Sie mir, Frau Gräfin, versetzte Anna. Sie haben recht, mich darauf aufmerksam zu machen, daß es eine sträfliche Regung des Hochmuths von mir ist, wenn mir im ersten Augenblicke diese Mittheilung und die Vorstellung, welche sie in mir erweckte, etwas Lächerliches hatte. Ich dachte mich neben dem sanften Prinzen inmitten seiner Schutzbefohlenen, mitwirkend an ihrer Veredlung – ich konnte nicht anders, als diese Lage für mich ein wenig komisch finden und doch mag es viele Frauencharaktere geben, welche an einem solchen Platze sich große Ansprüche auf Achtung verdienen würden.
Gewiß, und ich bin überzeugt, daß auch Sie das werden, denn es wird Ihnen nicht in den Sinn kommen, den Antrag des Prinzen abzulehnen.
Das ist wirklich Ihr Ernst, Frau Gräfin? versetzte Anna lebhaft. Fühlen Sie als Frau nicht das Demüthigende, welches darin liegt, von den Männern als so etwas wie eine Frucht betrachtet zu werden, nach der sie blos die Hände auszustrecken brauchen, um sie zu pflücken?
Eine Demüthigung finden Sie darin, wenn ein Prinz, ein Prinz von Welda, sich herabläßt …
Anna zog bei diesen Worten leis erröthend ihre Brauen zusammen.
Sie haben recht, Frau Gräfin, sagte sie, ich falle wieder in denselben Hochmuth – eine Gouvernante, der ein Prinz die Hand bietet, sollte so nicht reden, sondern gerührt sein über so viel unverdientes, überschwengliches Glück. Aber ach, ich bin ein unlogisches Geschöpf, in dem das ursprüngliche Gefühl und der Fraueninstinct in unverantwortlichster Weise die Herrschaft behält über alle Betrachtungen der Klugheit. Dieser Fraueninstinct oder, wenn Sie einen andern Namen dafür wollen, das Gefühl dessen, was ich mir schulde, fühlt sich jedesmal aufs äußerste empört, wenn ich sehe, wie ein Mann mit seiner grenzenlosen Selbstzuversicht ohne weiteres um ein Mädchen zu werben wagt, ohne sich irgend Mühe gegeben zu haben, ihr Herz zu verdienen, ohne ihr irgend Beweise gegeben zu haben, daß er durch eine tiefe und innige Neigung sich ihrer würdig gemacht hat. Ist es nicht furchtbar beleidigend, wenn er dadurch zu ihr sagt: Zwar weißt du eigentlich von meinem Innern nichts, zwar ist dir mein ganzer Charakter noch eine unbekannte Welt; aber deine geschmeichelte Eitelkeit, dein Ehrgeiz, deine Oberflächlichkeit werden sich mir in die Arme werfen, weil ich ein Prinz, oder ein Graf, oder ein schöner Mann bin – ein Geschöpf wie du wird andere, tiefere Bedingungen des Glücks nicht verlangen …
Liebes Fräulein, unterbrach die Gräfin sie hier, ich bin erschrocken über diese überspannten Reden, die ich von Ihnen vernehmen muß. Ein Mädchen wie Sie sollte mit schlichterer Verständigkeit über eine so wichtige Frage urtheilen, wie die Wahl eines Gatten ist; dabei von tiefern Bedingungen des Glücks zu sprechen, wenn man unter diesen tiefern Bedingungen des Glücks nicht zuerst die versteht, welche Vernunft und Religiosität fordern, ist sehr thöricht. Wenn der Prinz um Sie wirbt, so ist das keine Demüthigung für Sie, sondern es ist das Allerehrenvollste, was Ihnen in Ihrem Leben begegnen kann. Ich denke, das Vertrauen, die Hochachtung, welche er Ihnen schon dadurch beweist, sind groß genug. Die Stellung, welche er ihnen dadurch bietet, ist glänzender und beneidenswerther, als Sie sie in Ihren kühnsten Träumen hoffen konnten. Und welches höhere Glück könnte sich Ihnen bieten als das, an der Seite eines so ehrenwerthen, durch seinen Charakter wie durch seine Geburt gleich hochstehenden Mannes für edle und Gott wohlgefällige Zwecke alle Ihre Kräfte aufwenden und sich so ein Bewußtsein erkaufen zu können, wie er selbst es haben darf?
Ach ja, versetzte Anna seufzend, Sie haben gewiß recht, Frau Gräfin! Aber mich reizt nun einmal weder die Aussicht auf das Glück, Durchlaucht genannt zu werden, noch die auf das Bewußtsein, einige mir entschieden unangenehme junge Leute zu einer fraglichen und gebrechlichen Solidität zurückführen zu helfen; und deshalb kann ich den Voraussetzungen, welche auf mich gebaut sind, nicht entsprechen.
Die Gräfin fühlte einen großen Unwillen in sich aufsteigen. Welch thörichter Hochmuth, welche Ueberspanntheit steckten in diesem Mädchen! Sie schlug ohne weiteres die Hand eines Prinzen aus – und das in der Voraussetzung sogar, dieser Prinz wolle sie zu seiner vollberechtigten Gemahlin erheben – daß es sich blos um eine morganatische Ehe handle, hatte Gräfin Edern ja gar keine Zeit gehabt, ihr klar zu machen! Sollte sie nicht jetzt noch ihr das sagen, wenn auch nur, um sie ein wenig zu demüthigen, um ihr die stolze Einbildung, sie habe es von der Hand gewiesen, eine Prinzessin zu werden, ein wenig zu stören?
Gräfin Edern hatte diese Erklärung schon auf der Zunge – aber ein Blick in Anna's klare und ernste Züge hielt sie davon ab; es war ihr beinahe, als scheute sie dieses so eigenthümlich selbstbewußte, selbstsichere Geschöpf, als habe sie Grund, eine solche Erklärung zu umgehen, um sich nicht einer Erwiderung von Anna auszusetzen, welche sie in eine nachtheilige Stellung ihrer Gouvernante gegenüber bringe. –
Und das ist Ihr letztes, bestimmt gesprochenes Wort in einer für Sie so unendlich wichtigen Angelegenheit? sagte sie deshalb nur.
Es ist mein letztes Wort in einer Angelegenheit, die ich durchaus nicht als wichtig anerkennen kann, antwortete Anna ruhig. Sie wäre das nur, wenn ich glauben könnte, der Prinz habe eine tiefere Neigung für mich gefaßt. Da dies nicht der Fall ist, so ist die Sache nichts als eine kleine Episode, wie man sie öfter erlebt und vergißt.
Gräfin Edern blickte Anna mit aufrichtiger Verwunderung an. Es kam ihr die Idee, dieses Mädchen, diese arme Gouvernante, welche so fühl einen Prinzen ausschlug, müsse an Wahnsinn leiden. Anna selber schien zu ahnen, was in der Gräfin für Betrachtungen über sie aufsteigen müßten, und so sagte sie:
Ich bedauere nur das Eine dabei, daß ich Ihnen, Frau Gräfin, in einem falschen Lichte erscheine; ich bin nicht so überspannt und so hochmüthig, wie ich es Ihnen scheinen muß – ich habe nur in sehr ausgebildetem Maße das Gefühl weiblicher Würde, und – es mag das vielleicht übertrieben, es mag für ein Mädchen in meiner Stellung thöricht und lächerlich gehalten werden – aber ich fühle immer eine Nichtachtung jenes Gefühls aus solchen raschen, siegesgewissen Werbungen heraus.
Ueber Ihr Gefühl kann ich nicht richten, entgegnete trocken die Gräfin. Sie sind bei Ihren Entschlüssen nur von sich selbst abhängig. Meinen Rath verlangen Sie nicht, und ich will ihn Ihnen nicht aufdrängen; aber meine Ueberzeugung, daß Sie thöricht handeln, kann ich Ihnen nicht vorenthalten.
Es ist ein hartes Urtheil, Frau Gräfin, doch bleibe ich nichtsdestoweniger darum Ihnen dankbar für die Güte, womit Sie das, was Sie für mein Glück hielten, zu fördern suchten und den ersten Schritt dazu thaten. Glauben Sie mir, die Thorheit in mir, deren ich in Ihren Augen schuldig bin, schließt die Dankbarkeit nicht aus!
Und was soll ich dem Prinzen sagen?
Daß ich nicht Neigung genug für ihn empfinde, und ohne eine solche aus keiner Rücksicht auf irgendetwas in der Welt, und wäre es ein Kaiserthron, meine Hand verschenken werde.
Gräfin Edern machte ein höchst misvergnügtes Gesicht.
Ich werde wol selbst sehen müssen, wie ich ihn beruhigen will, Fräulein Morell. Wir könnten unsere Zwiesprache beenden; seien Sie so gut, nachzusehen, wo Bertha sich umtreibt.
Anna zog die Hand der Gräfin an ihre Lippen, verbeugte sich und ging. Sie ging – und vergaß, daß sie sich nach Bertha umsehen müsse. Sie schritt die Treppe hinauf zu ihrem Wohnzimmer, und als sie auf diesem angekommen, schloß sie es ab und ließ sich niederfallen in den Stuhl am Fenster.
Es ist richtig, es ist kein Zweifel mehr, sagte sie hier tief aufseufzend, mein Geheimniß ist verrathen, und jetzt entsteht das alte, leidige Kirchthurmrennen nach meiner Hand! Vor wenig Tagen Er – heute der Graf Boto, der Prinz – wie rasch, wie schamlos rasch diese Menschen sich niederwerfen und ihre Grafen- und Fürstenkrönlein in den Staub mir zu Füßen legen! Aber ich vergesse, ich bin ja nur eine arme Gouvernante, und daß sie mit dem unschuldigsten Gesichte, als ob ihre Seele nichts anderes ahnte, kommen – das, das muß mich ja rühren! Wie meisterhaft Gräfin Edern ihre Rolle spielt! Keine Schauspielerin kann die völlige Unbefangenheit besser darstellen! Von Graf Boto's Absichten mußte sie nichts wissen – er hat sie augenscheinlich nicht eingeweiht, er hat wenigstens den Muth gehabt, den Angriff auf mein armes Mädchenherz selbst zu machen, und sich nicht, wie dieser sanfte Prinz, dabei hinter die Mama gesteckt!
Arme, arme Anna, wohin jetzt mit dir! Heimkehren? Kannst du das? Heimkehren mit dem Geständnisse, daß alle deine schwärmerischen Illusionen nicht die Probe weniger Wochen überstanden haben – heimkehren in die alte, bedrängende, tyrannische Welt? Es ist unmöglich! Meinen Vorsatz durchführen in einem andern Lebenskreise – ist es nicht das Einzige, was übrigbleibt? Ich könnte zu Marie gehen, eine Zeit lang bei ihr, in ihrer Nähe zubringen – aber sie ist nicht frei, sie ist durch ihre Pflicht gebunden, sie wird keine Stunde im Tage für mich haben! O mein Gott, wie elend und verlassen oft macht der Reichthum!
Anna stützte die Stirn auf ihre Hand und versank lange in tiefes Sinnen.
Wer mich ihnen nur verrathen haben mag – wer! sagte sie dann auffahrend. Ich will, ich muß es wissen, wie Er es erfuhr! Wenn ich mich diesem guten Geistlichen anvertrauen könnte! Er könnte es erforschen, er steht ihm so nahe; er könnte mir erklären, wie es möglich ist … aber ach, was brauche ich Erklärungen! Sind nicht alle diese Männer sich gleich, sich so kläglich, erbärmlich gleich?