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Wir müssen dem Leser jetzt eine Person vorführen, die in dem Baue unserer Erzählung eine Hauptstütze bildet. Es ist der Erbe eines Schulzenhofes, und er heißt Lambert Kersting. Sein Vater ist der reichste Bauer weit und breit, weil er nicht allein seinen väterlichen Hof, sondern auch die Verwaltung eines andern Guts besitzt, das Schwarzhorst heißt, der reichste Hof im Lande ist und dem heiligen Petrus zu Brennweiler, d. h. der dortigen Cisterzienserabtei, gehört; wenigstens werden dahin die Einkünfte abgeliefert; aber verwaltet wird der Hof nicht von dem Kloster aus, sondern seltsamer Weise ist der jedesmalige Schulze zu Kersting, der zu den Leibeigenen der Familie von Schwalborn gehörte, der unabhängige Verwalter des Hofes mit allem seinen ausgedehnten Zubehör an Feldern, Wiesen, Wald, Gefällen, Mühle und Gerechtsamen. Diese auffallende Stellung und Befugniß des Bauers hatte eine Urkunde seiner Gutsherrschaft für alle Zeiten anerkannt.
Man konnte nichts Schattigeres, Behaglicheres, Idyllischeres sehen, als dieses Gut Schwarzhorst. Der große Bauerhof lag am Abhange eines waldigen Hügels, das rothe Ziegeldach war bestreut von Blütenschauern der nahen Obstbäume, und unten am Fuße des Hügels rauschte, zwischen zwei lebendigen Hecken der nächsten Gärten eingefaßt, ein heller, lustiger Bach, der wie voll Kinderfröhlichkeit springend, gurgelnd, spritzend über Kiesel und Wurzelgeflecht fortschoß, um einige Schritte weiter eine kleine, vom Alter geschwärzte Mühle zu treiben und dann in einen breiten, schilfreichen Teich zu schießen. Ein Kranz dichten Eichenlaubs umrahmte das Bild.
Im Innern des Haupthauses, das durch seine Größe und Stattlichkeit die Mitte hielt zwischen Bauerhof und Herrenhaus, war Alles still; das Vieh war ausgetrieben, die Pferde vor den Pflügen und die Menschen mit ihnen gezogen zu gemeinsamer Thätigkeit. Das Landleben bringt die Thiere und die Menschen so nahe zusammen; die Menschen müssen da arbeiten wie die Thiere, und diese werken so still, so resignirt, so stets im selben Geleise, wie ihre Freunde, die Menschen. Die Waldgötter hätten aus dem nahen Busche hervortreten und sich an den Herd setzen können, so still war es auf dem Gehöfte. Nur die Tauben und Sperlinge, die im Strohdache der Scheunen nisteten, schienen es zu hüten. Sie waren so keck, daß sie sich kaum herabließen, den Hufen eines alten fuchsigen Kleppers auszuweichen, der auf dem Baumhof weidete.
In der weiten Küche ist Niemand; aber aus einem Hinterzimmer tönt eine laute Stimme. Wir betreten es. Es ist ein großes, mit einer gewissen Eleganz eingerichtetes Zimmer, welch man in dieser ländlichen Umgebung nicht erwarten sollte. Die Wände sind freilich nur geweißt, aber mit soliden neuen Möbeln besetzt; in der Mitte ein runder, spiegelblank gebohnter Klapptisch von Eichenholz, auf dem Bücher und Schriften liegen, und ein bequemes Canapee steht quer in das Zimmer gerückt, eine Genialität der Aufstellung, welche Bewunderung verdient in einer Zeit, in welcher man noch keinen Begriff davon hatte, daß sich ein Canapee anders als dicht an die Wand und ein Fauteuil anders als in die Zimmerecke stellen lasse. Die beiden Fenster waren geöffnet und eine Fülle dichter Weinranken hereingeschlagen; davor aber stand ein hoher Apfelbaum, in dessen Zweige die Buchfinken ihr künstlich verflochtenes Nest gebaut hatten. Das Gemach war so wohnlich, so sommerlich, so still, als hätte ein Dichter sich mit allen seinen Liebhabereien und Phantasien darin eingerichtet. Nur die Jagdapparate, die an den Wänden umherhingen, die Doppelpistolen, die über den Büchern auf dem kleinen Spiegeltische lagen, störten etwas diesen Eindruck. Neben den Pistolen lagen noch ein voller Kranz aus Eichenlaub und ein Dolch auf diesem Spiegeltische.
Es waren zwei Männer in dem Zimmer; der eine ein junger Mensch mit gewöhnlichen Zügen und auffallend blondem Haar: eine jener deutschen Physiognomien, mit runden frischen Wangen, breitem Kinn und starkem Einbug zwischen der geraden Stirn und der eben so geraden Nasenlinie. Was ihn auszeichnet, ist ein lebhaftes Glühen in den schmal geschlitzten Augen, ein Zug von Verschlagenheit und Keckheit um die Winkel des lächelnden Mundes. Er trug einen glänzenden, fein ausgenähten blauen Kittel und ein rothes seidenes Tuch, das nachlässig um den starken gebräunten Hals geschlungen war.
Der junge Mann stand mitten im Zimmer und schien sehr lebhaft seinem Gesellschafter etwas zu beweisen. Dieser Letztere war ein ältlicher Mann in militairischer Tracht, der auf dem Canapee ruhte und mit dem Lederquast seines spanischen Rohres spielte. Es ist ein alter Bekannter des Lesers, nämlich Niemand anders als der Hauptmann Zerrwitz, der unmittelbar nachdem ihn der Domherr verlassen, sich gedrungen gefühlt hatte, eine Unterhaltung mit dem jungen Manne zu suchen.
Was ihr jungen Leute doch heutzutage aus den Büchern herausstudirt! sagte der Hauptmann kopfschüttelnd, nachdem Lambert ihm eine Stelle aus Schiller's Räubern declamirt.
Aus den Büchern? Nun ja, aus den Büchern; aber was sind die Bücher anders, als die Spiegel, in welchen das Leben sich abbildet? Es grins't Euch mit einer scheußlichen Grimasse an, das Spiegelbild – nicht wahr? Und deßhalb sagt Ihr hochmüthig: es ist nicht so, das sind haarsträubende Phantasien verrückter Dichter. Meinethalb! träumt fort in Euerm Wahne – träumt, bis eine blutige Hand Euern Arm umkrallt und Euch wach schüttelt.
Und wessen ist die blutige Hand?
Die der Revolution! Gott segne sie!
Ihr seid ein verruchter Mensch, Lambert!
Meint Ihr? Nun, Jeder hat seine Ansichten. Ihr wißt nicht, wie ich die Euern nenne, alter Preuße! Auch haben wir beide unsere Autoritäten hinter uns – ich einige zwanzig Millionen begeisterter Franzosen, die das Feuer der Freiheit vom Himmel geholt haben und einen Weltbrand daraus machen, aus dem wie ein Phönix, leuchtenden Glanzes, die Himmel überstrahlend, der gerettete Genius der Menschheit aufsteigt.
Und ich, fiel der Hauptmann ein, habe auch eine Autorität für mich – hunderttausend Mann wohldisciplinirter Preußen … er machte eine Bewegung mit dem spanischen Rohre … vom alten Fritz geschult, jeder Mann wie ein Uhrwerk – wir wollen sehen, ob die den Weltbrand nicht ausblasen! Aber zanken wir uns nicht. Uns wird's wenig angehen. Wir werden hier nicht viel davon spüren. Ihr werdet ruhig Euern Acker bauen, ein Weib nehmen, wenn Ihr Euer Jahr bei Eurer Gutsherrschaft abgedient habt.
Lambert faßte den Hauptmann heftig am Arme.
Still – was soll das?
Ihr seid des Schwalborn Leibeigener!
Lambert wurde dunkelroth. Laßt mich das Wort nicht wieder hören, Hauptmann Zerrwitz! sagte er, während seine Brust sich krampfhaft hob.
Der Hauptmann zuckte die Achseln.
Das ändert die Sache nicht – aber wenn es für Euch so demüthigend ist, daran erinnert zu werden, weßhalb schüttelt Ihr das Verhältniß nicht ab?
Wenn ich – kann ich? fuhr Lambert heftig auf – wollt Ihr mich höhnen – wollt Ihr einem Gebrandmarkten das Haar aus der Stirn streichen? Was soll Euer Geschwätz, was wollt Ihr, was kommt Ihr zu mir?
Der Hauptmann dehnte sich behaglich auf dem Canapee und lächelte höhnisch kalt in das Aufbrausen des jungen Menschen hinein.
Erhitzt Euch nicht, Lambert; ich bin Euer Freund, und wenn Ihr die Freiheit wollt … Nun?
Ein geheimnißvolles und vielsagendes Lächeln war des Hauptmanns einzige Antwort.
Lambert trat ihm einen Schritt näher. Soll ich Euch etwa meine freie Seele verkaufen, damit der Sklavenleib frei werde, Dämon? sagte er blaß, mit bebender Lippe.
Was soll ich mit Eurer Seele machen? Aber ich will Euch meine Gedanken sagen. Ich habe auch meine Absichten – vielleicht unterstützen sie sich. Von dem alten Schwalborn werdet Ihr die Freiheit nicht bekommen; vom jungen Stammherrn sollt Ihr sie haben, dafür kann ich unter gewissen Umständen bürgen.
Es gälte also, die Alten todt zu ärgern?
Dadurch, daß Ihr – ihre Tochter heirathet!
Lambert lachte laut auf bei diesem Vorschlage.
Nun, sagte der Hauptmann, Ihr wollt einen Weltbrand anzünden und haltet es für unmöglich, ein Land-Edelfräulein zu erobern? Gibt es für einen entschlossenen Menschen nicht Mittel zu Allem? Gibt es nicht Entführungen – gibt es nicht …?
Halt! muthet mir keine Schlechtigkeit zu – und wenn Ihr erlaubt, was hättet Ihr dabei gewonnen?
Für Karl die Freiheit, meine Tochter zu heirathen. Sie lieben sich.
Sie lieben sich? Das ist etwas Anderes. Nicht Euch, Mephistopheles, aber ihnen möchte ich beistehen! Ich kann es! Wißt Ihr, daß ich ein Wort aussprechen kann, welches Eurer Tochter als Heirathsgut eine Tonne Goldes und noch mehr in den Schooß wirft?
Der Hauptmann fuhr hoch empor.
Ja, wenn der junge Schwalborn sie liebt, und wenn er verspricht, von mir das Brandmark der Leibeigenschaft zu nehmen.
Zerrwitz faßte den Arm des jungen Bauers; seine grauen Augen waren rund und groß aus ihren Höhlen hervorgetreten.
Um Gottes willen, Mensch, sprecht! was ist dies für ein geheimnißvolles Wort?
Habt Ihr das Bild des Bauers unter den Ahnen der Schwalborn gesehen? und das Bild der Nonne?
Ja, ja – weiter …!
Der Bauer war mein Urgroßvater – die Nonne war eine Schwalborn, die ihn liebte; ihre Aeltern zerrissen den Bund und sandten sie ins Kloster, wo sie ihre Leidenschaft mit dem Tode aus Harm und Kummer büßte.
Ich habe davon gehört – nur weiter – und Ihr?
Ich bin vor einigen Wochen vierundzwanzig Jahre alt geworden. Mein Vater ließ mich an meinem Geburtstage zu sich kommen; um die Stunde der Dämmerung ging er mit mir zur Dorfkirche. Der Küster mußte sie uns erschließen. Auf dem Chore, wo die Sterbewappen der Schwalborn hangen, und auch das der Nonne, die am gebrochenen Herzen starb, ließ er mich niederknien und einen heiligen Eid schwören – einen Eid zu Allem, was einem Christen heilig ist. Dann gab er mir ein Pergament mit einer großen Bulle daran. Es war dunkel in den feuchten Gewölben der kleinen Kirche; ich mußte, um die Schrift zu lesen, mich dicht an die ewige Lampe stellen; mein Vater kniete seitwärts über einem alten Leichensteine.
Lambert schwieg; er verschränkte die Arme und ging im Zimmer auf und ab.
Und in dem Pergamente …?
Ich habe geschworen, geheim zu halten, was darin stand; ich habe es vor dem Altar und, was mir mehr, vor dem Angesichte eines alten Bauern geschworen, der mein Vater ist!
Freiheitsheld! rief halb höhnisch, halb zornig der Hauptmann aus; ich verspreche ihm die Freiheit, und er wagt nicht, für diesen Preis den Inhalt einer alten verschimmelten Urkunde auszuplaudern!
Ich will kein Sklave einer Formel sein, die aus nichts als Worten besteht, wenn es gilt, einen Menschen glücklich zu machen, sagte Lambert halb wie für sich mit ruhiger Würde. Aber erst muß ich selbst mich überzeugen, ob Ihr mir die Wahrheit gesagt habt.
Der Hauptmann hob in quälendster Spannung beide Arme auf, als wolle er das Geheimniß, sobald es von Lambert's Lippen schlüpfe, aufgreifen.
Wobei soll ich Euch schwören, daß ich die Wahrheit sagte? Um Gottes willen sprecht!
Lambert lachte plötzlich laut auf, als er die Folter sah, auf welcher der alte Preuße sich befand. Es lag etwas in der Stellung, dem Gesichte, den auf- und niederrollenden Stirnfalten, dem ganzen curiosen Mienenspiele des Soldaten, was den unbändigen Muthwillen des jungen Mannes reizte.
Der Hauptmann wurde gelb vor Zorn.
Er wollte Lambert eine Beleidigung sagen, als plötzlich leise angeklopft und die Thür geöffnet wurde; ein freundliches, weißgepudertes Haupt mit dem unterwürfigsten Lächeln blickte in die Stube.
Es war Herr Benedict Tafelmacher, der Verwalter.
Bitte um Entschuldigung – befürchte fast, zu stören – nicht? Störe ich nicht, Lambert?
Gar nicht, alter Herr; was steht zu Euern Diensten?
Ich habe einen schönen Gruß von der gnädigen Frau und dem Herrn an Ihn, Herr Lambert, und Er möge doch den Ersten zukünftigen Monats kommen und Seine Pflicht ableisten als Hofknecht zu Schwalborn.
Des Hauptmanns ganzes Gesicht zuckte wie elektrisch getroffen, als er diese Botschaft hörte; dann beobachtete er den jungen Bauer, und ein Ausdruck tiefer Befriedigung spiegelte sich in seinen Zügen.
Zur rechten Zeit kommt das! das wird einschlagen! flüsterte er für sich.
Lambert stand bei den Worten des Verwalters wie versteinert. Sein Gesicht war todtenbleich geworden, und seine Rechte ergriff eine Stuhllehne, um sich zu stützen. So vergingen mehre Secunden. Dann holte er tief Odem, und wie nach Luft und nach Worten suchend, lallte er zuerst einige unverständliche Sylben, wie: Setzen Sie sich; es ist gut, sehr gut.
Danke, ich will jetzt wieder heim – also auf Wiedersehen, Herr Lambert – auf Wiedersehen.
Herr Tafelmacher fand Lambert's Mienenspiel höchst beunruhigend; er suchte deßhalb mit derselben lächelnden Freundlichkeit, womit er gekommen, möglichst bald den Rückweg zu gewinnen. Als er das Schloß der Thür erfaßt, hatte Lambert sich vom ersten Schrecken erholt; ein furchtbarer Zorn loderte in ihm auf. Er schleuderte dem Alten den Stuhl nach, an den seine Rechte sich geklammert hatte, und rief: Schleicher! Dämon! Bestie! wer hat dich hergesandt, um wie eine giftige Schlange deinen sauersten Geifer in meine Seele zu träufeln? – Der Stuhl flog in Stücken an der Thür aus einander, hinter welche Tafelmacher nur noch eben sich zu retten Zeit gewonnen.
Lambert folgte ihm und hätte ihn ohne Zweifel die Treppe hinuntergeworfen, wenn sich der Hauptmann nicht ins Mittel gelegt. Lambert stampfte in unbändigem Zorne den Boden.
Fassen Sie sich, lieber Lambert, sagte der Hauptmann, die Freiheit liegt in Ihrer Hand!
Der junge Mensch wandte sich von ihm ab, warf sich auf einen Stuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.
Der Hauptmann legte nach einer Weile seine Hand auf Lambert's Schulter.
Nun? heraus mit dem Geheimnisse! Legen Sie es mir in diese Hand, und aus der andern nehmen Sie die Freiheit! Ich verbürge mich mit meiner Seele für Karl von Schwalborn.
Lambert hob langsam den Kopf in die Höhe. Zerrwitz erschrak beim Anblick dieser blassen entstellten Züge.
Fort! sagte er mit einem Ingrimme, vor dem der Hauptmann zurückbebte. Ich will einen Feuerbrand in das Haus dieser Schwalborn schleudern, und Sie fodern von mir, ich soll ihnen eine Million in den Schooß schütten?!
Der Hauptmann wußte nichts mehr zu erwidern. Er nahm Hut und Stock und verließ die Stube.
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