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Siebentes Capitel.
Räthselhafte Begegnungen.


Nachdem Engelbert die nöthigen Briefe geschrieben, um zu erhalten, was er seinem Bruder versprochen, reiste er am andern Tage ab. Seine Rückkehr verzögerte sich bis in die vierte Woche; als er in dem kleinen Pfarrhause seines Bruders wieder anlangte, fand er Gustav Wald in schönster Harmonie mit Agathe und, wie es schien, jetzt mit Engelbert's Wahl vollständig ausgesöhnt. Agathe selbst war von ihrem Fußleiden gänzlich genesen. Für Engelbert waren mehre große Schreiben mit Amtssiegeln darauf angekommen. Sie enthielten, was er seinem Bruder zu übergeben hatte, um von diesem getraut werden zu können.

Auch von Agathe habe ich alles Nöthige erhalten, sagte der Pfarrer, als die beiden Männer am Abende im Wohnzimmer Gustav's allein waren. Willst du die Papiere sehen?

Engelbert fühlte bei dieser Frage sich in eine äußerst lebhafte Spannung versetzt. All sein Hab' und Gut hätte er hergegeben, diese Papiere zu sehen, wenn es nicht anders möglich gewesen wäre. Aber er unterdrückte mit Gewalt alle äußern Zeichen seiner Spannung. Wie durfte er sie seinem Bruder gestehen, dem er ja vorgespiegelt hatte, er wisse von Agathen Alles!

Willst du mir die Papiere zeigen? warf er deshalb überaus gleichgültig hin.

Wenn sie dich nicht interessiren, antwortete Gustav mit boshafter Schelmerei, so brauche ich den Schreibtisch nicht darum aufzuschließen.

O, der Taufschein einer Dame interessirt unsereins immer, mein unschuldiger Bruder, versetzte Engelbert – und nun gar einer Braut!

Ich sehe, du bist doch zum Diplomaten nicht ganz verdorben, erwiderte Gustav Wald – du hast wenigstens Geistesgegenwart im Auffinden von hübschen Vorwänden! Lachend stand er auf und öffnete sein Schreibepult.

Engelbert aber blieb seiner Rolle kaum noch treu, als sein Bruder die Papiere vor ihn hinlegte. Mit größter Hast durchflog er sie. Das erste war der Taufschein. Er war in einem Orte in Oestreich, dessen Namen weder Engelbert noch Gustav kannten, ausgestellt, für Agatha Paula Maria Emma Karolina, geboren den 20. Mai 1833, Tochter von Paul Friedrich Baron von Falkach und dessen Gattin Emma Schellenberg. Das zweite Papier war eine lateinische Ausfertigung eines Pfarrers in Ungarn, dessen Kirchdorf vollends einen unleserlichen und seltsamen Namen hatte; es wurde darin bescheinigt, daß dieselbe junge, Agatha, Paula u. s. w. benannte Jungfrau rite et solenni modo als in den Stand der Ehe zu treten beabsichtigend von der Kanzel proclamirt sei; derselbe Pfarrer ertheilte zugleich die literas dimissioriales.

Dann lag noch ein Actenstück vor. Eine Frau Emma von Falkach, geborene Schellenberg, ertheilte darin für sich als Mutter und zugleich im Namen ihres in fernen Ländern auf Reisen abwesenden Gemahls die Einwilligung zur Verbindung ihrer Tochter mit dem Herrn Legationssecretär Engelbert Wald. Dies nicht ganz orthographisch richtig abgefaßte Document war ausgestellt in einem süddeutschen Badeort.

Das ist Alles? fragte Engelbert.

Das ist Alles, und es ist genug! antwortete Gustav Wald, indem er die Papiere wieder an sich nahm und verschloß.

Engelbert hatte sehr große Lust gehabt, die Namen des Geburtsorts und des Pfarrorts sich aufzuschreiben, aber Gustav ließ ihm nicht Zeit dazu.

Und wann wird nun Hochzeit gemacht? fragte dieser seinen Bruder.

O, noch diese Woche, versetzte Engelbert – übermorgen, morgen –

Gott behüte uns, antwortete Gustav Wald. Hannah geht mit dem Plane um, ein feierliches Frühstück nach der Trauung unter der Laube draußen anzurichten – damit ist sie morgen nicht fertig.

Also nach Hannah's Frühstückzurichtungen soll sich unsere Verbindung richten – am Ende wirst du uns warten lassen, bis deine Hühner die nöthige Anzahl Eier zu diesem Frühstück gelegt haben!

Weshalb nicht – du begännest dann ab ovo ein neues Leben!

Wir wissen nicht, wie viel Tage Hannah zur Zubereitung ihres Hochzeitmahls noch brauchte; zu viele werden ihrer wohl nicht gewesen sein, denn sehr bald nachdem sich, wie wir sahen, Alles zur Verbindung der beiden jungen Leute geebnet hatte, finden wir diese als junges Ehepaar in der Stadt, an welche Engelbert durch sein Dienstverhältnis; gebunden war.

Sie bewohnen einige sehr elegant eingerichtete Zimmer im zweiten Stock eines Hauses, das zwar nicht im Mittelpunkt des Verkehrs, aber desto ruhiger, freundlicher und angenehmer in einer einzelnen Häuserzeile liegt, deren Vorderseiten auf die Baumwipfel und das dunkle Grün des fürstlichen Schloßgartens hinausgehen. Engelbert hatte während seiner Abwesenheit die Wohnung vorher eingerichtet.

Agathe war, als sie dieselbe betrat, entzückt über den Geschmack, mit welchem er es zu thun gewußt. Die Räume waren weder groß und zahlreich, noch üppiger möblirt, als es der Gehalt und die Einkünfte eines jungen Beamten erlaubten; aber die Wahl der nöthigen Einrichtungsgegenstände war mit einem Gefühl für vornehme Einfachheit, ansprechende Formen und harmonische Farben getroffen, daß das Ganze den wohlthuendsten und gewinnendsten Eindruck machte.

Besonders erfreute Agathe sich an dem kleinen Zimmer, welches Engelbert für sie bestimmt hatte. In die Mitte desselben hatte er ihr einen kleinen Arbeitstisch von Acajou stellen lassen, der von einem Epheugitter überwölbt war; und wenn Agathe von ihrer Arbeit aufsah, so blickte sie durch das Fenster ihr gegenüber weit hinab in eine prachtvolle dunkle Lindenallee, welche die fürstlichen Parkanlagen durchschnitt und in deren Hintergrunde eine hohe Bildsäule von weißem Marmor sich von einer grünen Laubwand schimmernd abhob.

In diesen Räumen nun brachte das junge Paar die glücklichen Tage des »Honigmonats« zu, wie es Diejenigen nennen, welche danach das Essen von Honig unter die Zahl der menschlichen Glückseligkeiten zu stellen scheinen. Agathe war heiter, ja ausgelassen wie ein Kind. Und wenn Engelbert einmal scherzend auf ihre Verschwiegenheit anspielte und beginnen wollte, sie auszuholen, dann wurde sie es doppelt, und es schien, als ob sie an der Geistesgegenwart, womit sie ihm zu entschlüpfen wußte, eine kindische Freude empfinde; es war ein fortwährendes Versteckenspielen zwischen ihm und ihr, und was Agathe anging, so hatte es allen Anschein, als ob dies Spiel die heiterste Würze ihres heitern jungen Ehelebens sei.

Was dabei sonst noch in der Seele der jungen Frau vorging, wer verstände es zu analysiren! Vielleicht war ihre ganze Verschwiegenheit nur Freude am Fortspielen einer angenommenen Rolle, am Heimlichen und Versteckten – eine Neigung, die nach der Versicherung gestrenger Seelenkundiger ja tief im weiblichen Gemüthe sich bergen soll. Vielleicht wollte sie den Rausch nicht schwinden sehen, in welchem ihr verliebtes junges Herz schwelgte, wenn sie daran dachte, daß in dieser egoistischen, mistrauischen Welt ein stolzes Männerherz sich ihr zu eigen gegeben mit dem allerrückhaltlosesten Vertrauen, so rein nur um ihrer selbst willen! Vielleicht freute sie sich auch an Engelbert's Neugier und an der kleinen Qual, die sie Dem, den sie so unaussprechlich liebte, damit verursachte; denn ein wenig zu quälen, was man liebt, ist bekanntlich auch einer jener launenhaften kleinen Züge, die zusammen ausmachen, was man ein Frauennaturell nennt.

Und vielleicht – wer weiß es – bewegten noch viel andere, tiefere Gründe Agathe, so immer noch die hartnäckige Sphinx zu spielen. Weshalb sonst saß sie zuweilen, wenn sie allein war und Engelbert auf den Bureaux im Hause des Baron R., seines Gesandten, arbeitete, so ernst an ihrem epheuumgrünten Tische und blickte umwölkten Auges in das Schattendunkel der Parkallee vor ihr hinab? Wie eine stille Sorge lag dann etwas auf ihrer schönen schmalen Stirn, als ob sie fürchte, daß das weiße schimmernde Marmorbild, welches sie so fest dabei fixirte, sich aus dem Hintergrunde heranbewegen und ihr leise näher schreitend ein Unheil näher bringen könne.

Er ist wie Ottokar – sagte sie einmal, während sie so dasaß, in halbleisem Selbstgespräch; er ist eine so eigenthümlich vornehme, poetisch reine und deshalb stolze Natur. Er stellt mich viel, viel zu hoch – das ist mein Unglück; ich bin viel zu sehr sein Ideal … er wird scheu werden, und ganz so wie Ottokar es machte … und auffallendem Eifer den Hut zog und Agathe eine Verbeugung machte …

Sie hörte Engelbert's Schritt auf der Treppe und flog ihm entgegen mit dem lachendsten Gesicht von der Welt.

Engelbert kam, seine kleine Frau zu einem Spaziergang abzuholen; es war das schönste Wetter von der Welt; aber da es ein ziemlich heißer Tag war, begaben sich Beide in die Schloßanlagen, wo fast überall Schatten herrschte. Sie waren eine Weile plaudernd gewandelt, als eine Carrosse, in welcher ein Herr und eine Dame mittlern Alters saßen, ihnen entgegengerollt kam. Die Dame im Wagen nahm ein Lorgnon und fixirte das lustwandelnde Paar damit; dann wechselte sie mit dem Herrn ein paar Worte, und als die Equipage neben Engelbert und Agathe angekommen war, grüßte die Dame Agathe mit der Hand, mit wiederholtem Kopfnicken und einem Lächeln, worin die größte Herzlichkeit sich aussprach, während der Herr mit ebenso großer Freundlichkeit

Kennst du die Herrschaften? Das ist der russische Gesandte in Dresden, Fürst G., der auf der Durchreise hier ist und den ich heute bei Baron R. sah.

So werden sie dich gegrüßt haben! fiel Agathe, die tief erröthet war und wie aufgeregt ihre Schritte beschleunigte, ein: und für eine so flüchtige Bekanntschaft, setzte sie lachend hinzu, war der Gruß der Frau Fürstin überaus warm; du mußt ihre Eroberung in einem Grade gemacht haben, daß ich eifersüchtig werde, mein böser Engel!

Mauvaise langue! sagte Engelbert und drückte zur Strafe den vollen gerundeten Arm, den er auf dem seinigen trug. Die Fürstin war gar nicht bei R., sondern nur der Fürst, um einen diplomatischen Besuch zu machen: du siehst, deine Ausflüchte gelten nicht, kleine Bosheit!

Agathe vertheidigte sich nicht weiter, sondern lenkte das Gespräch auf andere Dinge.

Engelbert hatte die Begegnung bereits beinahe vergessen. Aber sie wurde ihm lebhaft ins Gedächtniß zurückgerufen, als eine andere noch auffallendere hinzukam, welche einige Tage nachher stattfand.

Agathe beabsichtigte in einem entfernten Stadttheile für ihre angehende Haushaltung einige Einkäufe zu machen, und Engelbert begleitete sie. In einer der Straßen, durch welche ihr Weg führte, blieb Agathe vor einem kleinen baufälligen Hause stehen, weil sie die Stickereien betrachten wollte, welche auf rothen und blauen Papierflächen hier hinter einem Schauladen ausgestellt waren. Engelbert, den diese Spitzen und Krügen nicht interessirten, warf nur einen flüchtigen Blick darauf, mit dem er zugleich wahrnahm, daß hinter dem Schauladen, im Innern des Hauses, ein paar Frauenzimmer über ihre Näharbeiten oder Stickereien gebückt saßen; er wendete sich dann ab und musterte die Vorübergehenden, bis Agathe ihre Theilnahme an den zierlichen Gegenständen ihrer Aufmerksamkeit befriedigt habe. Da hörte er im Innern des Hauses eine Thür sich öffnen, ein rascher, etwas schwerfällig schlürfender Schritt kam heran, und in die offene Hausthür neben dem Schaufenster trat eine starke, sehr nachlässig gekleidete Person mit vollem Gesicht und unangenehmer Lebhaftigkeit in Mienen und Bewegungen – sie streckte die Hand Agathe entgegen und rief mit kreischender Stimme: Ei, grüß Gott, ei, Sie hier, Fräul …

Aber bei der ersten Erscheinung der Ladenbesitzerin hatte Agathe sich abgewandt, und mit einem Gesichte, in welchem sie trotz aller Geistesgegenwart und Selbstbeherrschung nicht die Spuren erschrockener Ueberraschung unterdrücken konnte, eilte sie an Engelbert's Arm zurück und mit ihm fort.

Die Person auf der Thürschwelle, welcher so plötzlich das Wort im Munde abgeschnitten war, blickte ihr verwundert nach.

Ei sieh, die ist stolz geworden und kennt unsereins nicht mehr! sagte sie dann, sich ins Haus zurückwendend, mit bitterm Lachen.

Nun, Agathe, ist das wieder eine plötzliche Eroberung, die ich gemacht habe? fragte Engelbert betroffen.

Nein, diesmal bin ich weit entfernt, das zu behaupten, böser Mann, antwortete Agathe, sich rasch von dem Schauplatz des kleinen Ereignisses entfernend – diesmal scheint man mich für Jemand anders gehalten zu haben!

Das muß sein! antwortete Engelbert, aber bei weitem nicht mehr in demselben scherzend heitern Tone, in welchem er Agathens Ausflüchte aufgenommen hatte, als sie den Gruß des russischen Fürsten erhalten. Er ging im Gegentheil auf dem ganzen Wege ziemlich einsilbig neben ihr her, während sie bemüht schien, durch ihr Geplauder seine Gedanken zu zerstreuen.

Es war natürlich, daß nun in Engelbert die Versuchung aufstieg, jene Putzarbeiterin am andern Tage allein aufzusuchen und sie nach ihrer Bekanntschaft mit Agathe zu fragen.

Aber er verwarf diesen Gedanken ebenso schnell, als er ihm gekommen. Er konnte unmöglich hinter dem Rücken seiner Frau solche Schritte thun und heimliche Nachforschungen nach ihr anstellen. Es hätte ihn in seinen eigenen Augen entehrt, weil er es für – – – ja für gemein hielt. Aber er begann von diesem Augenblicke an die Verschwiegenheit seiner Frau als etwas, was ihn verletzte, zu empfinden.

Diese Arbeiterin, sagte er sich, wird vielleicht Dienerin bei den Aeltern Agathens gewesen sein; vielleicht hat sie Arbeiten für sie gemacht; aber weshalb nur verleugnet sie vor mir eine solche Bekanntschaft? Es kann doch keinen andern Grund haben, als um mich abzuhalten, mit dieser Frau zu reden. Ich soll keine Spur finden, auf der ich das Räthsel ihrer frühern Existenz entdecken würde! Was ist denn eigentlich an dieser verhüllten frühern Existenz, das das Licht zu scheuen hat? Etwas Vorwurf Verdienendes, Beschämendes – o nein, das ist nicht möglich bei Agathe – nun und nimmermehr. Und wäre es so – könnte sie dann nicht alles Andere mir mittheilen und nur Das mir verschweigen, was sie zu verbergen hätte? – In der That, es liegt doch ein Mangel an Vertrauen zu mir in allem Dem, der anfängt, etwas rücksichtslos Kränkendes zu bekommen! Aber freilich, sagte er sich dann weiter – will ich ihr Vertrauen erhalten, so muß ich es vor allen Dingen verdienen. Und ich glaube, es ist am besten, ich höre auf, ihr zu zeigen, daß ich ihre Vergangenheit zu kennen wünsche. Sie wird dann dies Versteckenspielen aufgeben, weil es den Reiz für sie verliert, wie ein Kind, das aus seinem dunklen Eckchen von selbst hervorkommt, wenn man es nicht mehr sucht. Ich muß den Anschein annehmen, als suchte ich ihr Vertrauen nicht. Sie müßte nicht eine Frau sein, wenn sie dann nicht mir es auf den Händen entgegentrüge!

Engelbert blieb dieser Politik von diesem Tage an getreu; er verdoppelte seine Aufmerksamkeit für Agathe, wenn dies irgend möglich war, er zeigte ihr nie etwas Anderes als die rückhaltloseste Hingebung und Offenheit, aber er vermied von nun an im Gespräche jede Wendung, welche wie eine directe Anspielung auf ihre Verschwiegenheit oder wie die Aeußerung eines innern Wunsches ausgelegt werden konnte, daß sie diese Verschwiegenheit ablegen möge.

Eine Weile lang wurde es Engelbert nicht schwer, seinen Plan auszuführen; nach einiger Zeit aber machte er Beobachtungen, welche ihm die Aufgabe sehr erschwerten.

Er hatte eines Tages, als er nach Tische seine Wohnung verließ, um zu seinen täglichen Berufsarbeiten zu gehen, Agathe versprechen müssen, am Abende einen Besuch mit ihr zu machen. An einer bestimmten Stelle im Schloßgarten wollten sich Beide dazu treffen, weil dadurch Engelbert ein großer Umweg erspart wurde. Als es Abends 6 Uhr schlug, war er auf dem Wege zu dem Rendezvous im Park; den Schlangenwindungen der Pfade in den nach englischem Geschmack entworfenen Anlagen folgend, nahte er sich der bestimmten Stelle, als er, um ein hohes Gebüsch wendend, plötzlich Agathe mit einem fremden Menschen im Gespräch erblickte, der durch die Lebhaftigkeit, womit er sprach und lachte und dabei ungenirt seine langen Gliedmaßen schlenkerte, augenscheinlich ein alter Bekannter Agathens sein mußte. Es war eine hohe Gestalt, mit einem blassen, verlebten Gesicht, wirrem und langem pechschwarzem Haar und einer vernachlässigten Kleidung, welche nicht die der untern Vollsclassen und auch nicht die der gebildeten Stände war. Die ganze Erscheinung machte den Eindruck eines Vagabunden oder wo möglich von etwas noch Aergerm auf Engelbert, der erbleichend einen Schritt zurücktrat und vom nächsten Gebüsch geborgen still stand, um ungesehen die beiden Gestalten beobachten zu können. Das Gespräch Agathens mit dem Fremden dauerte noch etwa fünf Minuten; dann streckte der letztere die Hand aus, und Engelbert, dem bei diesem Anblick das Blut zum Herzen zurückströmte, sah, wie Agathe zum Abschied herzlich die ihrige hineinlegte und wie der Mensch endlich ging, mit Kopfnicken und Handwinken grüßend, aber ohne an seine Mütze zu rühren.

Agathe blickte nun um sich, wie in Sorge, ob sie gesehen worden in diesem Zwiegespräch, dann schritt sie auf eine in der Nähe befindliche Gartenbank zu und setzte sich darauf, um Engelbert's Kommen abzuwarten. Engelbert aber blieb, einen Spiräenzweig abbrechend und zwischen den Zähnen zerkauend, nachdenklich eine Weile stehen. Hatte früher Agathens Verschlossenheit etwas Verletzendes für ihn gehabt – jetzt begann sich ein anderes Element hinein zu mischen: die Sorge, die Unruhe über ihre Vergangenheit!

Endlich faßte er sich, und indem er ein unbefangenes Gesicht machte, nahte er sich der, wie es schien, in Gedanken versunkenen jungen Frau auf der Bank. Sie begrüßte ihn heiter wie immer; Beide machten sich dann auf den Weg, um ihren Vorsatz auszuführen. Während sie nebeneinander herschritten, bot Engelbert Agathe seinen Arm nicht an. War es Absicht, oder war es Zerstreuung – es war das erste mal heute bei ihren gemeinsamen Wanderungen. Sie legte nach einigen Schritten ihren Arm unaufgefodert in den seinen. Dabei sah sie wie fragend zu Engelbert auf. Aber sein Auge begegnete ihrem Blicke nicht. Er blieb überhaupt den ganzen Abend schweigsam und zerstreut.

Der Besuch, den das junge Ehepaar machte, galt einer sehr lebhaften, sehr gesprächigen Dame, die durchaus verlangte, daß Engelbert und Agathe zum Thee bei ihr bleiben sollten; Agathe nahm die Einladung an, obwol es Engelbert, der sich sehnte, mit sich allein zu sein, unangenehm war. Aber er mußte sich in sein Loos ergeben, und über der eifrigen Unterhaltung, welche Agathe mit der lebhaften Wirthin und einem paar anderer Gäste, die sich im Laufe des Abends einstellten, führte, schien die junge Frau nichts von der Verstimmung ihres Mannes zu merken.

Engelbert fühlte, daß seine Lage ernster sei, als er geahnt. Es kamen ihm Gedanken, als ob er sich Vorwürfe zu machen habe, daß er in verliebtem Leichtsinn anders gehandelt, als er hätte handeln sollen. Aber es schien ihm, daß es noch immer am besten sei, bei der Politik, für welche er sich einmal entschlossen hatte, zu bleiben.

Seltsam war, daß, je mehr und je länger er diese Politik befolgte, desto mehr Etwas in Agathe hervortrat, was sie früher nie gezeigt. Ihre sonstige immer gleiche Heiterkeit schien sich nämlich zu trüben. Sie fing auch an, ihm Vorwürfe zu machen, daß er sie nicht mehr liebe wie früher, und sie zeigte sich wol gar eifersüchtig. Aeußerungen dieser Art waren zwar immer in Scherze gehüllt und in ihrer harmlos heitern Weise vorgebracht; aber Engelbert entging darum doch nicht, daß sich etwas wie ein wirklicher Ernst darunter berge.

Es mochte etwa eine Woche verflossen sein, als das junge Ehepaar eine Einladung zu einer großen Abendgesellschaft erhielt. Sie nahmen die Einladung an, und bald nachdem sie an dem Abende des Festes in die Salons der Frau v. W. eingetreten waren, wurde Engelbert von der Wirthin gebeten, an einer Whistpartie Theil zu nehmen, welche für ein paar alte, auf andere Weise nicht mehr zu erheiternde Damen angeordnet worden war. Engelbert war weder ein besonders geschickter noch ein leidenschaftlicher Spieler, aber aus Gutmüthigkeit und Gefälligkeit für die Wirthin hielt er dennoch sehr lange Stand. Endlich bat er ermüdet und erschöpft einen in seine Nähe kommenden Bekannten, eine Zeit lang für ihn die Partie zu übernehmen, und erhob sich, um eine Wanderung durch die andern Gesellschaftsräume anzutreten. Sein Auge überflog dabei die spielenden oder sprechenden Gruppen der Gäste, um Agathe zu suchen. Er hatte vorhin ihre helle Lerchenstimme gehört, wie sie zu allgemeinem Beifall ungarische Zigeunerlieder mit Pianofortebegleitung vorgetragen. Aber er fand sie jetzt nicht; endlich entdeckte er sie im letzten Salon; sie stand in einer Fensterbrüstung, halb verdeckt von den reichen Damastvorhängen. Vor ihr hatte sich ein dem Namen nach ihm bekannter Franzose, ein Graf S. aufgepflanzt, der für Engelbert als leerer Salon- und Jockeyclub-Mensch eine ziemlich unangenehme Persönlichkeit war. Engelbert nahte sich ihnen, und zwar, weil der Boden mit weichen Teppichen belegt war, ohne daß sein Kommen vernommen wurde. Die Unterhaltung wurde in französischer Sprache geführt; aus den Worten, die Engelbert von dieser Unterhaltung entgegenschwirrten, verstand er, daß Agathe und Graf S. zusammen in der Großen Oper in Paris Ronconi in der Rolle des Herzogs in »Lucretia Borgia« gehört hatten und sich jetzt ihr Entzücken über diesen großen Genuß aussprachen.

Engelbert trat heran.

Sie kennen meine Frau von Paris her, Herr Graf? sagte er, ohne die Frage irgend zu betonen und wie gleichgültig hingeworfen.

Der Franzose wandte sich zu ihm und mit der kaltblütigsten Unverschämtheit von der Welt antwortete er:

O nicht doch; ich bin nicht so glücklich. Wir redeten von Ronconi, den Ihre Frau Gemahlin auf dem Kärntnerthortheater in Wien und ich in Paris hörte!

Engelbert sah ihm finstern Blicks in das ruhig lächelnde Gesicht. Er war durch diese offenbare Lüge so empört, daß er nahe daran war, die Fassung zu verlieren und ihm eine derbe Zurechtweisung zu geben. Aber er besann sich im rechten Augenblicke, daß er hier keine Scene veranlassen dürfe, und daß er außerdem nur zu leicht lächerlich werden könne, wenn er seiner Gereiztheit nachgebe, da man die letztere sicherlich für einen Ausfluß ehemännischer Eifersucht halten werde. Er beschloß eine andere Gelegenheit abzuwarten, um mit diesem Franzosen wieder anzuknüpfen. Deshalb drehte er ihm den Rücken zu, und als er dabei mit dem Auge die Züge Agathens streifte, trat ihm aus ihrem Gesichte ein Ausdruck entgegen, den er heute zum ersten male bei ihr wahrnahm, und der ihn unbeschreiblich schmerzlich berührte. Es war ihm, als blicke eine lächelnde Schadenfreude oder ein spöttisches Triumphiren über ihn aus ihren dunkeln lebhaften Augen. Dieser Ausdruck war ihm so fremd, er goß ihm einen solchen Strom eisiger Kälte ins Herz, daß er, als er am Abende seine junge Frau nach Hause begleitete, nicht über sich gewinnen konnte, von dem ganzen Vorfall mit ihr nur ein Wort zu reden.

In der Nacht lag er stundenlang schlaflos da, denn die Sorge scheuchte den Schlummer von seinen Augenlidern. Wenn Agathe so weit geht, fragte er sich, mit fremden Menschen sich zu verbünden, um mich von ihnen belügen zu lassen, soll ich dann noch die zarte Rücksicht haben, mich aller heimlichem Nachforschungen über ihre Vergangenheit zu enthalten? Wahrhaftig, dazu bin ich doch zu nahe berührt von dieser Vergangenheit!

Und trotzdem kam er nicht dazu, einen Entschluß zu fassen. Er war zwar noch immer fest überzeugt, daß in der Vergangenheit Agathens nichts Unverzeihliches liegen könne. Aber dennoch bangte er bereits vor den Ergebnissen, wenn er beginnen werde, still und heimlich zu untersuchen und zu kundschaften. Und welche unheilbare Kluft mußte es zwischen ihm und ihr aufreißen, wenn er durch Nachforschungen hinter ihrem Rücken zu Ergebnissen gekommen wäre, die demüthigend für Agathe gewesen wären. War und blieb es nicht immer noch das Beste, wenn er nicht sein ganzes Lebensglück auf das Spiel setzen wollte, sich zu beherrschen, alle in ihm aufgestachelten Gefühle zu unterdrücken und fortzufahren, ihr rückhaltloses Vertrauen zu zeigen, um ihr eigenes Entgegenkommen dadurch zu gewinnen?

Engelbert blieb bei diesem Gedanken stehen, und als er seiner Frau am andern Morgen zum Frühstück gegenüber trat, zeigte er ihr ein durchaus unumwölktes Gesicht und versuchte mit derselben Unbefangenheit wie immer über gleichgültige Dinge zu plaudern. Aber seltsam – es war, als ob Agathe heute Sorgen irgend einer Art nähre; sie sah ihn manchmal, wenn sie glaubte, es unbemerkt thun zu können, fragend an und offenbar war sie weniger heiter als je.

Als er gehen wollte und Abschied von ihr nahm, war sie ungewöhnlich bewegt. Sie legte ihren Kopf an seine Brust, und indem sie traurig zu ihm aufblickte, sagte sie:

Liebst du mich denn nicht mehr? wirklich nicht ein ganz klein wenig mehr?

Welche seltsame Frage, Agathe! antwortete Engelbert.

Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und sprach nicht weiter. Engelbert drückte flüchtig einen Kuß auf ihre Stirn. Da sie nicht fortfuhr zu reden, machte er sich endlich sanft von ihr los und entfernte sich. Es fängt an, sie zu drücken, daß ich so wenig Neugierde beweise, sagte Engelbert sich, als er die Treppe niederstieg; wahrhaftig, nur standhaft so fortgespielt, und eines schönen Tages wird sie mir danken, wenn ich nur ihre Bekenntnisse anhören will!

So zufrieden nun auch mit seiner Politik Engelbert heute seine Wohnung verließ, um sich zu seiner täglichen Berufsarbeit zu begeben, so sehr wurde er in seinen Entschlüssen wankend, als immer wieder ein Tag nach dem andern verging, ohne daß Agathe ihm die erwarteten Geständnisse machte. Sie schien im Gegentheil nur stiller und verstimmter zu werden.

Eines Vormittags kam Engelbert ungewöhnlich früh aus der Wohnung seines Gesandten zurück. Die laufenden Arbeiten waren erledigt worden und es war noch Zeit, vor Tische einen Spaziergang zu machen. Engelbert wollte Agathe dazu auffodern. Er ging unhörbar über den Teppichstreifen, der im Vorgemach vor ihrem Wohnzimmer lag. Als er die Thüre zu dem letztern öffnete, sah er Agathe mit gerötheten Wangen, offenbar in der größten und lebhaftesten Aufregung neben derselben Person im Sopha sitzen, welche damals aus dem Stickereiladen hervorgetreten war und von der Agathe sich bestürzt abgewandt hatte, gleich als ob sie dieselbe nicht kenne. Die corpulente Frau mit ihrer fahlen Gesichtsfarbe und den verlebten Zügen hatte für Engelbert etwas unaussprechlich Widriges.

Agathe sprang auf, offenbar erschrocken. Auch ihre Gesellschafterin erhob sich rasch und machte übertriebene Knixe und ebenso übertriebene Redensarten. Ihr ganzes Benehmen hatte etwas von unangenehmster Zudringlichkeit.

Agathe sprach jetzt mit ihr von einer Arbeit, welche die Frau ihr besorgen sollte. Dann sandte sie dieselbe fort.

Also diese Person ist doch eine alte und gute Bekannte? konnte Engelbert jetzt nicht zu fragen unterlassen, als die Arbeiterin gegangen war.

O sie ist ein Original! antwortete Agathe lachend, aber so, daß dabei eine gewisse Beklommenheit der Stimme nicht zu verkennen war; sie ist mir als Weißnäherin von Frau von W. empfohlen worden, und um ihres komischen Geschwätzes willen habe ich sie eine Weile hier behalten.

Und worüber schwatzt sie komisch, wenn man fragen darf? sagte Engelbert sich abwendend.

Bloßes leeres gossip, mon cher, das staatsmännischen Ohren, die dem Sphärengesang der europäischen Staatenharmonie lauschen müssen, sehr albern vorkommen würde: Anekdoten über die Weißzeugliebhaberei der Frau des englischen Geschäftsträgers, die an Spitzenchemisetten so reich ist, wie weiland der Graf Brühl an Röcken und die russische Kaiserin Elisabeth an Kleidern waren – dann über …

Und ein solches Geschwätz anzuhören, unterbrach Engelbert sie etwas unwillig, läßt du einer Person dieser Art sich so auffallende Vertraulichkeiten bei dir erlauben?

So abscheulich plebejisch bin ich, erwiderte Agathe, die ihre ganze schelmische Unbefangenheit wiedergefunden zu haben schien – so plebejisch, einer Person, welche den ganzen Morgen bei ihren Kunden umhergelaufen ist, zu erlauben, daß sie sich setzt, während sie mich durch ihr Geplauder amüsirt und ich ihr meine Aufträge gebe. Mann, Mann, wie abscheulich aristokratisch, herzlos, egoistisch, hochmüthig wirst du noch werden!

Und in diesem Tone plauderte sie weiter. Dann trillerte sie eine Cadenz und setzte sich an ihr Pianoforte, um den Anfang der Arie aus »Norma« zu singen:

So hab' ich, stolzer Römer, dich geliebt!

Engelbert machte weiter keine Bemerkungen. Aber heute zum ersten male ward er seinem Plane untreu. Der Nachmittag fand ihn in der Straße, in welcher das Haus der Weißnäherin lag. Die Thüre desselben stand offen und er trat vor die Ladenbank, welche zur Linken des Eingangs lag. Im nächsten Augenblick kam dann auch die Arbeiterin in niedergetretenen Pantoffeln aus ihrer Stube herbeigeschlürft.

Ich möchte einen hübschen Kragen haben, sagte Engelbert, um ihn meiner Frau zu schenken.

Die Ladenbesitzerin brachte augenblicklich geschäftig mehre Cartons mit derartigen Sachen herbei, und indem sie mit wunderbarer Zungengeläufigkeit ihre Waare anpries, breitete sie Alles, was sie hatte, vor Engelbert aus.

Dieser wählte unter den Dingen, welche ihm vorgelegt wurden, eins aus und dann sagte er:

Ich glaube, es wird meine Frau freuen, wenn ich ihr sage, daß es von Ihnen kommt und Ihre Arbeit ist. Sie haben ja schon früher zu ihrer Zufriedenheit für sie gearbeitet!

Früher? antwortete die Arbeiterin wie verwundert. Doch nicht – das ist nicht der Fall – das ist nicht an dem – ich habe bisher die Kundschaft von Ihrer Frau Gemahlin nicht gehabt, es wäre sonst eine große Ehre für mich gewesen, für eine so charmante, liebe, junge Frau zu arbeiten. Ich habe gleich diesen Morgen, als ich zu Hause kam, zu meiner Schwester Lenore gesagt: Lenore, sagte ich, da hab' ich mal ein prächtiges junges Frauchen kennen lernen, und so schön ist sie, Lenore, bildhübsch ist sie, sagt' ich, ein wahrer Engel von einem Weibchen, und was den jungen Herrn angeht, sagt' ich

Engelbert zählte in beinahe fieberhafter Hast während dieser Worte den verlangten Preis auf die Ladenbank, um diesem Geschwätz, das ihm schrecklich zu werden drohte, zu entkommen. Er zerknitterte mit unbarmherziger Rücksichtslosigkeit die feine Stickerei, welche er gekauft hatte, indem er sie schnell in seine Rocktasche schob.

Also eine förmliche Verschwörung wider mich, sagte er halblaut vor sich hin, als er draußen war. Und Agathe, fuhr er fort, ist also gezwungen, sich zu solchen Geschöpfen herabzulassen und sie in ihr Geheimniß zu ziehen! Jetzt ertrage ich es nicht länger! Jetzt hören alle Rücksichten auf. Licht! Licht! Wer gibt mir Licht!



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