Ernst Schulze
Die bezauberte Rose
Ernst Schulze

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Zweiter Gesang.

 
1.
                  Wie eine Ros', am frühen Tag entsprossen,
Vom Thau gekühlt, mit scharfem Dorn bewehrt,
Vom zarten Kranz der Blätter dicht umschlossen,
Ein stolz Vertraun im keuschen Busen nährt,
Doch traurig bald, wenn mit den goldnen Rossen
Der Sonnengott am Himmel höher fährt,
Im fernen Strahl, der ihren Dorn nicht achtet,
Den Thau verzehrt, das Grün durchdringt, verschmachtet:
 
2.
So wähnt auch ihr, holdsel'ge, zarte Frauen,
So lang euch noch kein stärkrer Reiz bewegt,
Ihr dürftet kühn auf jenen Stolz vertrauen,
Den ihr im Geist, doch nicht im Herzen hegt.
Doch läßt nicht stets der Kühne kühn sich schauen;
Ein Steinchen hat oft weit den See erregt,
Und Blumen sind's, die Amors Taubenwagen
Im tiefsten Kelch gar still verborgen tragen.
 
3.
Einst kam der Tag, wo Ilios, die hehre,
Wo Priamus und sein Geschlecht versank,
Und schwache List vollzog, was nicht dem Speere
Des Göttersohns, nicht seinem Zorn gelang.
Ein Blick, ein Wort, ein Seufzer, eine Zähre,
Ein Nichts ist oft des Gottes stärkster Zwang.
Die ruhig lacht, wenn sie dein Herz gebrochen,
Bebt zärtlich oft, wenn dich ein Dorn gestochen.
 
4.
Drum mein' ich auch, es müsse nie verzagen,
Wer einmal sich solch schönes Ziel gesteckt.
Die Tulpe blüht schon in den frühsten Tagen,
Die Rose schläft, bis heißre Glut sie weckt.
Wohl sollt' ich kaum euch zu belehren wagen,
Den selbst so lang die Hoffnung schon geneckt;
Doch darf ich mir die eignen Leiden wählen,
So wähl' ich die, die mich mit Anmuth quälen.
 
5.
Solch süßes Leid, solch banges Liebessehnen
War auch Ianthens Liebling zugedacht;
Und zag' ich auch, benetzt mit leisen Thränen,
Den Blick zu sehn, der jetzt so friedlich lacht,
So weiß ich doch, daß sie den Reiz verschönen,
Wie köstlicher den Stein sein Wasser macht.
Auch sieht man nur bei sonnigen Gewittern
In lauer Luft den Regenbogen zittern.
 
6.
Dort, wo ein Bach von weichem Grün umgeben,
Den nahen Hain vom Königsgarten schied,
Sah man, begränzt mit zartverschlungnen Reben,
Vom reichen Schmuck der bunten Wies' umblüht,
Ein Hüttendach am Hügel sich erheben,
Das fast verschämt des Tages Helle mied,
Als ob es still mit seiner grünen Decke
Ein lauschend Aug', ein liebend Herz verstecke.
 
7.
Doch frühe, wenn von ihren Rosenschwingen
Den ersten Thau die Morgenröthe goß,
Und wenn die Stern' auf nächt'gen Pfaden gingen
Und längst der Schlaf die müden Blumen schloß,
Begann von dort ein süßes Lied zu klingen,
Das durch den Hain wie Duft und Dämmrung floß,
Als ob geweckt von holder Waldeskühle
Ein Elfe dort mit Laub und Wellen spiele.
 
8.
Und hob auch stets in neuen Sangesweisen
Sich wandelbar das zarterfundne Lied,
Wie man die Bien' um manche Blume kreisen,
In manchem Glanz die Welle spielen sieht,
Doch schien es nur ein einz'ges Bild zu preisen,
Wie mancher Zweig aus einem Keim entblüht,
Und konnte man auch leicht die Züg' erkennen,
Es wollte nie den süßen Namen nennen.
 
9.
Alpino ist's, der Sänger zarter Lieder,
Der dort in's Spiel der hellen Harfe greift,
Seit Amor jüngst von goldenem Gefieder
Sein süßes Gift ihm in die Brust geträuft.
Er hatte sonst beweglich hin und wieder
Mit leichtem Sinn die weite Welt durchstreift,
Bis endlich hier ein zärtliches Verlangen,
Ein holder Traum den flücht'gen Gast gefangen.
 
10.
Denn als er jüngst im heißen Sonnenbrande
Schon manche Stund' auf irrem Pfade ging,
Und freundlich jetzt an jenes Baches Rande
Der kühle Hain den Schmachtenden umfing,
Da jagte jenseits grad' am bunten Strande
Klotilde sich mit einem Schmetterling.
Wohl mochte jetzt das zarte Kind nicht meinen,
Als sie ihn fing, sie fange zwei für einen.
 
11.
Bezaubert lag, versteckt von dichten Bäumen,
Alpino da mit glühndem Angesicht.
Wohl wähnt' er erst, aus seinen wachen Träumen
Entfalte sich dies liebliche Gedicht,
Denn oft schon sah sein Auge Blumen keimen
Und Früchte glühn, und andre sahn sie nicht;
Doch fühlt' er bald, solch zartes, frisches Leben
Vermöge nie der schönste Traum zu geben.
 
12.
O armes Herz, wie bist du schlimm betrogen!
Wie hat so falsch mit listigem Bemühn
Dich Amors Hand zu diesem Ort gezogen,
Der dir so hold, so kühl, so friedlich schien!
Geschosse sind und Flammen diese Wogen,
Ein offnes Netz ist dieses zarte Grün!
Wohl würdest du jetzt fern im heißen Sande
Viel kühler ruhn als hier am weichen Strande!
 
13.
Schon sinkt das Bild der Freundlichen, der Schönen
Ihm holder stets und tiefer in's Gemüth.
Sie ist sein Glück, sein Schmerz, sein Trost, sein Sehnen,
Sein Denken, sein Gebet, sein Traum, sein Lied.
Von ihr allein darf Wald und Wiese tönen,
Da ja für sie nur Wald und Wiese blüht.
O süßer Trug, wen nie dein Netz umwunden,
Hat nie den Duft der Rose ganz empfunden.
 
14.
Jetzt ließ Alpin das stille Hüttchen bauen,
Das dort versteckt am grünen Hügel steht.
Er will nur fern die holde Herrin schauen,
Nur athmen, wo ihr süßer Athem weht.
Und wenn sie jetzt umringt von ihren Frauen
Durch's dunkle Grün der duft'gen Schatten geht,
Dann fühlt er, daß nichts Eignes ihm geblieben,
Denn Blick und Wort und Herz und Geist sind drüben.
 
15.
Doch saß auch sie, die Jenen ganz gefangen,
Jetzt häufiger am kühlen Wiesenbach.
Oft hing ihr Blick mit heimlichem Verlangen
An jenem Hain, an jenem stillen Dach.
Die Lieder, die von dort herüberklangen,
Sie hallten tief in ihrem Herzen nach.
Sie hätte gern, wie lieblich auch das Wehen
Der Töne war, den Sänger selbst gesehen.
 
16.
Wer wohnt doch wol in jenen grünen Hecken?
So sann sie oft und wiegte sanft ihr Haupt;
Ich such' umsonst im Haus' ihn zu entdecken,
Weil gar zu dicht der Wein die Thür umlaubt.
Er wird sich doch nicht gar aus Furcht verstecken,
Weil er vielleicht sich arm, sich häßlich glaubt?
Ich bin gewiß, es kann so süßes Singen
Aus holdem Mund, aus reicher Brust nur klingen.
 
17.
Man pflegt doch sonst nach Mädchen wol zu sehen,
Ergötzt man sich doch auch an Kranz und Strauß;
Allein wie viel' auch hier im Garten gehen,
Nicht einmal schaut sein Blick zu uns heraus.
Zwar kann er leicht, was draußen ist, verschmähen,
Noch sah ich nie solch freundlich stilles Haus;
Auch sind mir längst die Blumen dort im Grünen
Viel reizender als unsre hier erschienen.
 
18.
Und jenes Lied und jene süßen Klagen,
Wen meinen sie? Wo weilt dies holde Bild?
Er könnt' uns doch auch wol den Namen sagen;
Gern nennen wir, was ganz die Seel' uns füllt;
Und die er liebt, sie kann ihn doch nicht fragen:
Bin ich es, der dies süße Singen gilt?
Besorgt er wol, sie möcht' es zürnend hören?
Und gält' es mir, wie könnt' ich's ihm denn wehren?
 
19.
So sann sie oft. Und wie aus dunkeln Bäumen
Sich ungesehn ein Säuseln oft erhebt,
Von dessen Hauch, noch halb in nächt'gen Träumen,
Der zarte Kelch der Blumen flüsternd bebt,
Wenn leise schon mit rosig goldnen Säumen
Vom nahen Licht der Himmel sich umwebt,
So schien Klotilden dann ein dunkles Ahnen
In tiefer Brust an schönres Glück zu mahnen.
 
20.
Und als ihr jetzt der Sinn der holden Töne
Stets klarer ward im träumenden Gemüth,
Als nach und nach ihr eignes Herz die Schöne,
Wofür das Lied Alpino's klang, errieth,
Als ihr im Blick die erste leise Thräne
Des süßen Wehs verstohlen aufgeblüht:
Da fühlte sie, daß in der tiefen Seele
Das Schönste sich am längsten oft verhehle.
 
21.
Und in der Lust und in der Liebe Prangen
Erschien die Welt ihr jugendlich und neu.
Jetzt wußte sie, was Quell und Vögel sangen,
Daß mehr als Licht und zartes Grün der Mai,
Daß Glück und Schmerz und Hoffnung und Verlangen
In jedem Halm, in jeder Blume sei.
Nur Liebe kann dem Herzen Kunde geben,
Es wohn' ein Geist, ein Gott in allem Leben.
 
22.
Allein wie oft an aufgeblühten Zweigen
Die Knospen, die zum Lichte sonst geblickt,
Ihr schüchtern Haupt jetzt tief zur Erde neigen
Und zagend scheun, was sie belebt und schmückt,
So zittert auch die Liebe sich zu zeigen,
Und meidet bang, was heimlich sie beglückt.
Die Lust erst treibt zum Ringen und zum Wagen,
Die Liebe spricht durch Schweigen und Versagen.
 
23.
So mied auch jetzt Klotild' im zarten Bangen,
Was doch so süß, so lieblich ihr erschien,
Und mocht' auch bunt der Bach von Blumen prangen,
Sie mußten spät und ungepflückt verblühn.
Doch wenn von fern Alpino's Lieder klangen,
Dann lauschte sie verhüllt vom dichten Grün,
Und heimlich stahl ihr Blick sich durch die Hecke,
Ob immer noch der Sänger sich verstecke.
 
24.
Doch traurend saß, um jedes Glück betrogen,
Alpino jetzt verlassen und allein.
Wie schien ihm jetzt der blaue Himmelsbogen
So dicht umwölkt, die Flur so arm zu sein!
Wie bang erscholl sein Lied, wie klagend zogen
Die Töne jetzt hernieder durch den Hain!
Wie lagen Thal und Hügel rings in Frieden,
Und nur von ihm war alle Ruh' geschieden!
 
25.
Und ihn, der sonst so schüchtern sich verborgen,
Ihn reizte jetzt sein stilles Haus nicht mehr.
Bald irrt' er ohne Rast vom frühen Morgen
Bis in die Nacht durch Wald und Wies' umher,
Bald lag er still, versenkt in bittre Sorgen,
Am hellen Bach und seufzte tief und schwer,
Bald sah man ihn auf hohen Felsen stehen,
Um rings von dort den Garten zu durchspähen.
 
26.
Einst setzt' er sich an jene holde Stelle,
Wo ihm zuerst das theure Bild erschien,
Und träumend warf er Blumen in die Welle,
Und sah sie rasch im leichten Strudel fliehn.
Du spielend Kind, so sprach er, klare Quelle,
Du hast zugleich mir Glück und Leid verliehn.
Doch will ich gern mit holden Blüthenkronen
Im langen Schmerz die kurze Lust dir lohnen.
 
27.
So rief er aus. Doch Jene, die umgittert
Vom dichten Grün dem Spiele zugeschaut,
Sie fühlt sich tief von seiner Klag' erschüttert,
Sie athmet schwer, rasch klopft ihr Herz und laut.
Mit mildem Blick, worin die Thräne zittert,
Tritt sie hervor, erröthend wie die Braut;
Vergebens will ihr Antlitz sich verhehlen,
Ihr banger Fuß weiß nicht den Pfad zu wählen.
 
28.
Sie steht verschämt am weichen Ufermose,
Sie hebt die Hand, sie wiegt das Haupt, sie sinnt,
Dann lächelt sie und bricht die schönste Rose,
Der Liebe Bild, des Lenzes jüngstes Kind,
Und wirft sie sanft in's liebliche Gekose
Der hellen Flut, die zu ihm niederrinnt.
Verstohlen scheint ihr Blick dem Quell zu sagen:
Geh, meinem Freund dies Pfand hinabzutragen.
 
29.
Und ob sie auch das Ufer längst verlassen,
Eh' Well und Wind den Raub hinüberwehn,
Jetzt kann sein Herz dies einz'ge Glück nur fassen,
Sein freud'ger Blick dies einz'ge Bild nur sehn.
Und sollt' er auch in dieser Stund' erblassen,
Das Leben scheint, doch auch der Tod, ihm schön.
O Stern der Dämmrung, erste Gunst der Liebe,
O wenn doch mehr als nur dein Traum uns bliebe!
 
30.
Ja selig ist's, in jenem Rausch zu sterben,
Wozu den Kelch ein Gott nur einmal beut!
Wenn sich im Lenz die Bäum' am höchsten färben,
Hat eine Nacht die Blüthen bald zerstreut.
Auf Flügeln naht dem Glück sich das Verderben,
Das tauschend dann dem Glück die Flügel leiht.
Nach Stunden zählt die Lust, der Schmerz nach Jahren,
Das sollt' auch jetzt Alpino's Herz erfahren.
 
31.
Denn kaum ist jetzt in ihres Schlosses Hallen
Mit raschem Schritt Klotilde heimgekehrt,
Da sieht man bunt das Meer von Segeln wallen,
Am Ufer wird ein freud'ger Lärm gehört;
Schon nahen sich der Burg Astolf's Vasallen,
Wo gnädig sie der Gruß des Königs ehrt.
Erloschen ist des Krieges wildes Lodern,
Der Vater schickt, die Tochter heimzufodern.
 
32.
Kaum kann der Fürst zur Trennung sich entschließen,
Die plötzlich ihm die holde Tochter raubt,
Doch läßt sie selbst noch heißre Thränen fließen,
Und nicht aus Lust, obgleich es jeder glaubt.
Ihr Mund vermag die Boten kaum zu grüßen,
Sie sinnt und neigt ihr still erbleichend Haupt.
Wie reichen Schmuck ihr auch der Vater sendet,
Sie wähnt dafür ihr ganzes Glück verpfändet.
 
33.
Und sehnt sie auch zu jenem theuren Greise,
Zu ihrer Mutter langentbehrtem Blick,
In's Vaterhaus und in die fernen Kreise
Der freundlichen Gespielen sich zurück,
Doch zittert sie vor dieser weiten Reise,
Denn näher wohnt ihr jetzt das liebste Glück.
Ach! statt des Meers trennt jetzt mit schmalem Strande
Ein Bach sie nur vom holden Vaterlande.
 
34.
Doch still verschämt in ihres Herzens Grunde
Verschleiert sie mit zartem Sinn das Leid.
Und ach, schon naht, schon schlägt die bittre Stunde,
Der Bote ruft, die Führer stehn bereit,
Ach, keinen Wink, kein Wort aus scheuem Munde
Vergönnt dem Freund zum letzten Gruß die Zeit.
Die Winde wehn, die weißen Segel schwellen,
Schon schwimmt das Schiff dahin auf raschen Wellen.
 
35.
O du, der dort jetzt hinter grünen Ranken
So sorgenlos in stiller Hütte sitzt
Und sanft im Spiel mit freundlichen Gedanken
Auf seinen Arm die glühnde Wange stützt,
Ach, mahnt dich nicht der Zweige lindes Schwanken,
Der Thau, der rings wie helle Thränen blitzt?
Ach, singen nicht der Vögel leise Lieder
Dir bang in's Ohr: Sie flieht und kehrt nicht wieder!
 
36.
Du merkst es nicht in süßen Phantasien,
Indeß dein Lied mit jener Rose spricht.
Sie ist dein Glück, dein Sorgen, dein Bemühen
Bei später Nacht, bei frühem Morgenlicht.
Im Schlummer selbst, wo alle Bilder fliehen,
Entschwindet nur dies einz'ge Bild dir nicht.
Wohl hast du recht, dies zarte Pfand zu lieben,
Nichts ist dir sonst von allem Glück geblieben.
 
37.
Doch als nun Tag', als Wochen hingegangen,
Als einmal schon der Mond den Kreis durchlief,
Und spät und früh Alpino's Lieder klangen
Und keins hervor die süße Freundin rief:
Da regte sich von neuem das Verlangen,
Das wie ein Kind nur leis' auf Blumen schlief.
Ach! jede Gunst der Liebe gleicht dem Blinken
Des kühlen Thaus, den bald die Strahlen trinken.
 
38.
Und als er jetzt den dunkeln Ruf vernommen,
Der spät sich erst zu seiner Hütte fand,
Schon lange sei ein schnelles Schiff gekommen
Von fremdem Bau, mit fernem Volk bemannt,
Und scheidend sei sein Glück dahingeschwommen
Durch's wilde Meer in's weite Morgenland.
Da fühlt' er tief mit mancher bittern Zähre,
Daß stets die Lieb' auch leise Hoffnung nähre.
 
39.
O nahte doch in diesen dunkeln Tagen
Dem Traurenden ein Freund sich ernst und mild,
Um treu mit ihm zu weinen und zu klagen,
Bis Thrän' und Schmerz ihr reiches Maß gefüllt!
Verlassen muß der Arme jetzt verzagen,
Und keiner weiß, wem sein Verzagen gilt;
Der heitre Muth, das Bild der schönern Stunden,
Die Hoffnung selbst ist treulos ihm entschwunden.
 
40.
Nur einer bleibt und will ihn treu begleiten,
Das ist der Gott, der ihm das Lied verliehn.
Er kann allein die Bilder freundlich deuten,
Die düster jetzt um seine Seele ziehn.
Und wie um's Meer sich zarte Nebel breiten
Und Blumen oft an harten Felsen blühn,
So weiß er mild das Rauhe zu verstecken
Und selbst im Schmerz ein Lächeln aufzuwecken.
 
41.
Du holde Kunst melodisch süßer Klagen,
Du tönend Lied aus sprachlos finsterm Leid,
Du spielend Kind, das oft aus schönern Tagen
In unsre Nacht so duft'ge Blumen streut,
Ach, ohne dich vermöcht' ich nie zu tragen,
Was feindlich längst mein böser Stern mir beut!
Wenn Wort und Sinn in Liebe freundlich klingen,
Dann flattert leicht der schwere Gram auf Schwingen.
 
42.
Nicht länger kann Alpino dort verweilen,
Wo er das Glück gefunden und verlor;
Verletzend droht mit tausend scharfen Pfeilen
Aus jeder Blum' Erinnrung dort hervor.
Die Ferne nur kann solche Wunden heilen,
Verschwimmt doch Berg und Thal in ihrem Flor;
Wohl mag sie auch das rauhe Bild der Leiden
In weichre Form, in mildre Farben kleiden.
 
43.
Schon wandert er, die Harf' in treuen Händen,
An seiner Brust die Ros' und all sein Glück,
Schon will der Pfad sich um den Hügel wenden,
Und hinter ihm sinkt tief das Thal zurück.
Noch einen Gruß muß er hinübersenden,
Noch eine Thrän' und nun den letzten Blick.
Ein Leben schließt, ein andres liegt ihm offen,
An Wünschen reich, doch ach, wie arm an Hoffen!
 
44.
So zog er nun auf ungewählten Pfaden
Durch Wies' und Wald und Höhn, hinab, hinauf;
Nicht hielt das Meer mit brausenden Gestaden,
Die Wüste nicht den irren Wandrer auf.
Wo Abends sich die Sonnenrosse baden,
Wo früh der Gott sie lenkt zum neuen Lauf,
Durch Stadt und Feld, durch Schlösser und durch Hütten
Trieb Lieb' und Schmerz ihn fort mit raschen Schritten.
 
45.
Oft muß zum Mahl die wilde Frucht ihm dienen,
Zur Labung oft der wilde Felsenbach;
Sein nächtlich Bett schwoll unter ihm im Grünen,
Und oben wob im Grünen sich sein Dach.
Dort ruht' er aus, wenn spät die Sterne schienen,
Sein Auge schlief, doch blieb sein Kummer wach,
Und selbst der Traum, der sonst mit süßen Lügen
Die Sorgen täuscht, ihn will er nicht betrügen.
 
46.
Doch da so oft mit zärtlichem Verweilen
Sein feuchter Blick an jener Rose hängt,
Beginnt sie auch im Traum sein Herz zu theilen,
Daß oft ihr Bild Klotilden fast verdrängt.
Auch schmeichelt ihm der süße Wahn zuweilen,
Sie hab' in ihr sich selber ihm geschenkt,
Und lieblich nah' in mitternächt'ger Stille
Ihr Geist ihm jetzt in jener zarten Hülle.
 
47.
Auch lächelt ihm in leichtbewegten Quellen
Durch Rosen oft ihr sanft verschwebend Bild,
Die näher stets der Holden sich gesellen,
Bis zartes Grün die Glieder ganz umhüllt;
Und während noch zum Kuß die Lippen schwellen,
Hat üppig sich die Knospe schon gefüllt,
Und lieblich wallt der Worte süßes Klingen
Nur fühlbar noch auf duft'gen Geisterschwingen.
 
48.
Und kaum noch kann sein zweifelnd Herz erkennen,
Ob er die Ros', ob er Klotilden liebt.
Wie sollt' er auch die holden Bilder trennen,
Da einzeln ihn ein jedes nur betrübt?
Auch weiß sein Lied die Liebste jetzt zu nennen,
Weil ihm ihr Bild den süßen Namen gibt.
So wandert er, mit zarterfundnen Weisen
Im holden Preis der Rose sie zu preisen.
 
49.
Und wenn er oft in königlichen Hallen
Beim hellen Mahl die goldnen Saiten schlägt,
Dann läßt er laut die glühnde Sehnsucht schallen,
Den tiefen Schmerz, den er im Busen hegt,
Und Seufzer wehn und stille Thränen fallen,
Wohin der Klang des Liedes Strahlen trägt.
Doch ohne Stolz verschmäht er Gunst und Gabe
Und neigt sich still und greift zum Wanderstabe.
 
50.
Doch wenn ihn dann im spätern Abendglanze
Ein kühler Hain, ein fernes Thal umringt,
Und holder noch sein Lied zum leichten Tanze,
Zum zarten Spiel der Hirtin dort erklingt,
Dann schmückt er gern sich mit dem frischen Kranze,
Den ihm zum Lohn die schönste Hirtin bringt,
Und wünscht ihr still: daß nie dein Herz dir deute,
Was jetzt dein Ohr mit flücht'gem Klang erfreute!
 
51.
Schon flog der Ruhm der Einzigen, der Schönen
Von Stadt zu Stadt und weit von Land zu Land.
Wohl schien's, als sei mit Amors Bogensehnen
Das Saitenspiel Alpino's jetzt bespannt,
So wurden rings auf jenen süßen Tönen
Viel bittre Pfeil' in manches Herz gesandt,
Und wenn sein Leid den Sänger fortgetrieben,
War hinter ihm ein gleiches Leid geblieben.
 
52.
So sah er längst ein Jahr vorübergehen,
Seit er hervor aus seiner Hütte trat,
Da irrt' er einst durch dunkle Felsenhöhen
Im fremden Land auf ungebahntem Pfad;
Und als er jetzt bei frühem Morgenwehen
Dem steilen Haupt der Berge sich genaht,
Da lag, durchströmt von silbernen Gewässern,
Ein Land vor ihm mit Städten, Aun und Schlössern.
 
53.
Auf einer Wies' in einem schönen Garten
Stand eine Burg aus weißem Marmorstein,
Und wenn auch hoch auf Zinnen und auf Warten
Und vor dem Thor in dicht gedrängten Reihn
Viel Ritter dort und edle Knappen harrten,
Sie schienen nicht zum Kämpfen dort zu sein,
So festlich war mit Ketten und mit Spangen
Die helle Schar bekleidet und behangen.
 
54.
Doch vor dem Schloß, wo schattig, weich und eben
Die Wiesenflur durch's grüne Thal sich wand,
War weit umher aus seidenen Geweben
Ein bunter Kreis von Zelten ausgespannt.
Wie sah man rings die leichten Wimpel schweben,
Wie leuchteten vom Golde Knopf und Rand!
Nach ihrem Schmuck, nach ihren Farben schienen
Drei Fürsten sie zur Sommerlust zu dienen.
 
55.
Und drinnen war ein Wallen und ein Wogen
Und dehnte sich das ganze Thal entlang,
Und schöne Fraun und edle Ritter zogen
Durch Wies' und Wald bei süßem Hörnerklang;
Und wenn auch rings zu manchem Ehrenbogen,
Zu manchem Kranz sich Blüth' und Grün verschlang,
Doch schien das Gold, der Edelsteine Funkeln
Das helle Grün, die Blüthen zu verdunkeln.
 
56.
Als nun schon lang' auf dieses bunte Prangen
Vom hohen Berg der Sänger hingeblickt,
Kommt aus dem Wald ein junger Hirt gegangen,
Mit frischem Laub und Kränzen ausgeschmückt;
Ihn fragt Alpin mit staunendem Verlangen,
Welch frohes Fest man dort im Thal beschickt,
Und, um nicht lang den Pfad zu unterbrechen,
Beginnt der Hirt das rasche Wort zu sprechen:
 
57.
Gefällt es dir mit mir hinabzugehen,
So wirst du leicht noch schönre Dinge schaun,
Und während dann der Pfad uns von den Höhen
Hinunterführt in jene grünen Aun,
Erzähl' ich dir, was jüngst ich selbst gesehen,
Drum magst du wohl auf meine Worte traun.
Sonst wähnt man leicht, weil seltsam die Geschichte
Dem Hörer klingt, daß sie ein Schalk erdichte.
 
58.
Gern will Alpin das Abenteuer hören,
Und beide gehn, indeß der Hirt beginnt:
Der reiche Fürst, den diese Länder ehren,
Erzog ein einz'ges wunderschönes Kind.
Zwar wollte man in unserm Dorfe schwören,
Ein jeder werd' in ihrer Nähe blind,
Doch wähn' ich, dies ist so nur zu verstehen:
Wer sie gesehn, der mag nichts Andres sehen.
 
59.
Schon war sie wol ein Kind von achtzehn Jahren,
Als sie nach langer Reis' ihm doppelt werth,
Und fromm und klug, wie sie hinweggefahren,
Und schöner noch in's Land zurückgekehrt.
Da kamen nun die großen Herrn in Scharen,
Weil alle Welt von ihrem Reiz gehört,
Und Könige, ja Kaiser selbst, erschienen,
Der holden Jungfrau ritterlich zu dienen.
 
60.
Hätt' ich nur all die hellen Diamanten,
Das lichte Gold, die Perlen groß und schwer,
Die täglich ihr umsonst die Freier sandten,
Denn Gaben bot und nahm sie nimmermehr,
Wohl gingen mir dann Diener und Trabanten,
Und nicht mehr ich der Heerde hinterher.
Doch Alles will sich nicht für Alle schicken,
Drum kann ich jetzt mit Blumen nur mich schmücken.
 
61.
Wohl wurde viel der Herrscherin zu Ehren
Gespielt, getanzt, geritten und turniert,
Bis endlich uns, des Landes Ruh' zu stören,
Ein böses Glück drei Kaiser zugeführt.
Der eine herrscht, wo sich in fernen Meeren
Der Indus hier, der Ganges dort verliert,
Der zweite kam von Taprobana's Strande,
Der dritte war aus Saba's duft'gem Lande.
 
62.
Mit einem Heer von wilden Kriegesleuten
War jeder Fürst zum Schutz und Trutz umringt,
Als meinten sie mit Schwertern zu erstreiten,
Was nie Gewalt, was Liebe nur erzwingt.
Wie weit in's Land die Heerden sich verbreiten,
Wenn uns der Mai die jungen Lämmer bringt,
So glänzte rings in diesem stillen Thale
Der Helm am Helme jetzt, der Stahl am Stahle.
 
63.
Doch wie es ihr schon früher ging mit Allen,
So wollt' auch jetzt, da diese Werbung kam,
Kein einziger der Kaiser ihr gefallen,
Was minder uns, als diese Wunder nahm.
Sie mochte gern im tiefsten Haine wallen,
Und nährte still, so schien's, verborgnen Gram.
Auch sang sie oft halb träumend fremde Lieder
Und seufzte dann, und sang sie immer wieder.
 
64.
Nicht härter ward ihr Herz und nicht gelinder,
Ob jeder auch nach bester Kraft sich müht,
Wie thöricht oft ein Haufen kleiner Kinder
Der Iris folgt, die durch die Wolken flieht.
Dies Spiel verdrießt den stolzen Herrn der Inder,
Der heißer noch als seine Zone glüht,
Und was ihm Recht und Sitte nicht erlauben,
Beschließt er bald mit frecher Macht zu rauben.
 
65.
Er hatte sich den Tag dazu ersehen,
Wo jährlich man ihr Wiegenfest beging.
Man tanzte dann auf jenen Wiesenhöhen,
Man ritt und focht und sprang und stach den Ring.
Auch durfte man im Garten sich ergehen,
Der glänzend dann voll bunter Lampen hing,
Und wo, geschmückt mit einer goldnen Krone,
Die Schöne saß auf reichgewirktem Throne.
 
66.
Allein wie schlau er auch die Zeit erkohren,
Wie Alles auch des Räubers Wunsch entspricht,
Er täuschte doch den Taprobaner Mohren,
Den braunen Herrn von Saba's Fluren nicht.
Dem Argwohn dient die Sorge statt der Ohren,
Das Fünkchen wird der Eifersucht ein Licht;
Und jeder denkt: Laß ihn das Spiel beginnen,
Was er gewagt, kannst du vielleicht gewinnen.
 
67.
So rüsten sich nun alle Drei verstohlen
Und jeder schleicht auf unbetretnem Pfad
Mit seinem Heer, vom dichten Hain verhohlen,
Sich leis' heran zum schändlichen Verrath.
Da stehn sie nun und glühn wie heiße Kohlen,
Bis endlich sich die Abenddämmrung naht.
Sie alle sind vereint zu einem Werke:
Doch keiner glaubt, daß ihn der andre merke.
 
68.
Als lieblich nun durch grüne Laubgehänge
Das irre Licht gleich bunten Blumen glüht,
Als spielend schon der Fittig süßer Klänge
Bald rauschend naht und bald verhallend flieht,
Und hier das Volk in freudigem Gedränge
Und einzeln dort in stillen Paaren zieht,
Denn braucht die Lieb' auch nicht das Licht zu scheuen,
So mag sie doch im Dunkeln gern sich freuen:
 
69.
Da nahte sich bei lieblichem Gesange
Die Herrscherin dem zauberischen Hain.
Ein wenig trüb' und bleich schien ihre Wange,
Doch mocht' es wol vom vielen Lichte sein;
Und schön geschmückt, mit sittsam stillem Gange,
Umringten sie viel zarte Jungfräulein;
Dann folgten Knaben, die die Schleppe trugen,
Und Sänger dann, die süße Laute schlugen.
 
70.
Wohl ist es schön, wenn auf den duft'gen Höhen
Der Frühling treibt in Gras und zartem Kraut,
Und bunt umher die tausend Blumen stehen,
Und aus dem Grün die rothe Beere schaut.
Doch ist die Ros' am schönsten anzusehen,
Die schüchtern glüht wie eine junge Braut
Und still sich schämt an ihren schlanken Zweigen,
Daß alle jetzt auf sie nur sehn und zeigen.
 
71.
So schien auch sie auf ihrem Thron zu sitzen,
Von Duft und Glanz und Blüthen hold umspielt.
Und wie des Nachts sich um die zarten Spitzen
Der Blumen oft ein leichtes Flämmchen stiehlt,
So sah man hell die goldne Krone blitzen,
Die schön geschweift die krausen Locken hielt.
Ihr fein Gewand war silberhelle Seide,
Ihr Gürtel Gold und Perlen ihr Geschmeide.
 
72.
Doch während nun mit lieblichem Gesange
Der Sänger Chor die schöne Herrin ehrt,
Wird plötzlich rings von rauhem Waffenklange,
Von wüstem Lärm das holde Fest gestört.
Wie zischend oft die ungeheure Schlange
Mit weitem Schwung vom Baume niederfährt,
So brach, umringt von seiner wilden Horde,
Der Inder Fürst hervor zum Raub und Morde.
 
73.
Wie sollten wir, ein wehrlos schwacher Haufen,
Dem blanken Schwert der Krieger widerstehn?
Wir konnten nichts als zittern und entlaufen,
Wer denkt vom Wolf ein Lamm zurückzuflehn!
Schon wähnt der Feind den Sieg um nichts zu kaufen,
Da läßt sich ihm ein kühner Gegner sehn,
Denn plötzlich nahn den hohen Gartenthoren
Zum wilden Kampf die Taprobaner Mohren.
 
74.
Und während kaum die Scharen nun zum Streite
Das Schwert gezückt, den scharfen Speer gesenkt,
Kommt Saba's Heer von einer andern Seite
Gleich einem Sturm laut rasselnd angesprengt.
So kämpfen nun drei Räuber um die Beute,
Und jeder sieht von zweien sich bedrängt.
Der Waffen Klang, der Stimmen fremdes Schallen
Läßt weit umher Gebirg und Thal erhallen.
 
75.
Doch plötzlich schwieg das wilde Drohn und Toben,
Der laute Hain ward stiller als ein Grab,
Durch dunkle Nacht schwamm wunderbar von oben,
Wie ein Gewölk, ein leichter Kahn herab,
Und drinnen saß, von Mondenglanz umwoben,
Die schönste Fee mit goldnem Zauberstab.
Den schwang sie hoch in ihren zarten Händen
Und Blitze schien sein Schwung umherzusenden.
 
76.
Wohl kannten wir die freundlichste der Feen,
Weil wir so oft im Wald und Wiesengrün
Sie mit dem Kind des Königs einst gesehen,
Das frühe schon ihr einz'ger Liebling schien;
Drum wagten wir' s auch jetzt hinzuzugehen,
Seit ihre Näh' uns neuen Muth verliehn,
Und als wir scheu durch Zweig' und Hecken spähten,
Da war sie grad' aus ihrem Kahn getreten.
 
77.
Nun war es wohl der Mühe werth zu schauen,
Wie irr und wirr hier Alles lag und stand.
Der schwang den Speer, ein Andrer schien zu hauen,
Ein Dritter hielt die Bogenschnur gespannt,
Der sprang hervor, und Jenem schien zu grauen,
Den sah man schrein, wenn auch die Stimm' ihm schwand;
Denn so wie grad' ein jeder sich befunden,
So stand er jetzt, als wär' er festgebunden.
 
78.
Schon hatt' indeß die Fee den Thron bestiegen
Und an ihr Herz das schöne Kind gedrückt,
Das halb betäubt mit leisen Athemzügen
Zu ihr empor und dann zur Erde blickt.
So sah ich oft die zarte Lilie liegen,
Die früh im Hain der feuchte Sturm zerknickt.
Noch konnte sie vom Schreck sich nicht besinnen,
Da hört' ich so die schöne Fee beginnen:
 
79.
Was stürmt ihr hier so feindlich euch entgegen
Und füllt mit Haß der Liebe stillen Hain?
Kann euer Stolz den lauen Maienregen,
Den frischen Thau, den hellen Sonnenschein
Durch wildes Drohn und kühnen Zwang bewegen,
Gefild und Wald zu lichten, zu erfreun?
Der Pflicht nur kann das strenge Wort befehlen,
Die freie Gunst will selbst den Pfad sich wählen.
 
80.
Die Freiheit wird im Kampfe wohl erstritten,
Dem Bösen wehrt des Guten tapfres Schwert;
Wer Fesseln liebt, dem ziemen zarte Bitten,
Und Holdes ist dem Frieden nur gewährt.
Drum laßt den Kampf, zu dem ihr hergeschritten,
Ein schönrer wird von eurem Muth begehrt,
Und daß ihr ringt mit treuerem Bemühen,
Soll meine Hand den Preis euch jetzt entziehen.
 
81.
Denn also steht im Schicksalsbuch geschrieben:
Der Rose gleicht dies jungfräuliche Bild,
Die lange schon ihr zartes Laub getrieben,
Bis liebend sich der duft'ge Kelch enthüllt.
Die Rose kann den hellen Strahl nur lieben,
Den leisen Thau, die Lüftchen lau und mild;
Bei solchem Gruß, bei solchem holden Walten
Wird auch dies Kind ihr reiches Herz entfalten.
 
82.
Dies ist der Spruch. Jetzt mögt ihr selbst ergründen,
Auf welchem Pfad ihr euch die Braut gewinnt.
Könnt ihr für sie so schöne Gaben finden,
Als Licht und Thau und leise Lüftchen sind,
So wird von ihr der stille Zauber schwinden,
Der heimlich schon durch ihre Glieder rinnt,
Um wunderbar des Schicksals dunkeln Willen
Zugleich im Sinn und Bilde zu erfüllen.
 
83.
So sprach die Fee. Und was wir jetzt gesehen,
Sah keiner wol, so lang die Welt auch stand.
Denn leis' umfloß ein grünes Nebelwehen
Das holde Kind, das nach und nach verschwand.
Kaum konnte man ihr Antlitz noch erspähen,
Zu Duft zerrann ihr seidenes Gewand,
Und drinnen schien's zu wirken und zu walten
Mit bunter Schwing' in mancherlei Gestalten.
 
84.
Schon sah man Zweig' und Blätter sich verweben,
Schon blickte scheu die Knosp' aus grünem Laub,
Die Krone, die der Herrin Stirn umgeben,
Umhüllte sich mit goldnem Blüthenstaub;
Und muß als Thau die Perl' auch kürzer leben,
Was uns beseelt, wem schiene das ein Raub?
Nun wurde noch das Haar zum weichen Moose
Und vor uns stand die schönste Maienrose.
 
85.
Halb war vom Grün die Knospe noch umfangen
Und sah so scheu aus ihrem zarten Flor,
Als strebte sie mit zärtlichem Verlangen
Dem Lichte zu und dürfte nicht hervor.
So ist nun heut ein Jahr vorbeigegangen,
Seit nichts an Form und Farbe sie verlor.
Kein Sturm versehrt, kein Frost, kein Hagelwetter
Den duft'gen Kelch, die ewig grünen Blätter.
 
86.
Doch jene, die sich um den Raub geschlagen,
Sie merkten wohl, als nun ihr Zauber schwand,
Nicht räthlich sei's, das Leben dran zu wagen,
Wo nichts damit sich zu gewinnen fand.
Drum schwuren sie, sich friedlich zu vertragen
Und heimzuziehn ein jeder in sein Land,
Bis sie vielleicht die schönen Gaben fänden,
Die nöthig sind, den Zauberbann zu enden.
 
87.
Und heute grad' ist jene Zeit verschwunden,
Worüber sie beim Scheiden sich vereint.
Ob sie daheim die Gaben aufgefunden,
Das weiß ich nicht, wiewol es jeder meint.
Wir werden selbst es sehn nach wenig Stunden,
Weil bald die Zeit der sichern Prob' erscheint.
Wenn diesen Berg die Abendstrahlen röthen,
Dann werden sie den Rosenhain betreten.
 
88.
Dies ist der Grund zu jenem freud'gen Feste,
Zu dem das Volk von allen Seiten zieht.
Auch nahten sich viel edle fremde Gäste,
Die früher selbst sich um den Preis bemüht,
Und unser Fürst bewirthet sie auf's beste,
Und zweifelt nicht, daß heut die Ros' entblüht.
So sprach der Hirt, und hatte kaum geschwiegen,
Da waren beid' auch schon in's Thal gestiegen.

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