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Bagdad, am 29. Januar 1934
Vor meinem Fenster strömt breit und gelb der uralte Tigris. Palmen stehen am jenseitigen Ufer, grosse Ruderboote gleiten zur Brücke des General Maude hinab; drüben gibt es Soldaten, ihre Signale schmettern von Zeit zu Zeit im Dreiklang in den morgendlichen Himmel.
Die Uhr ist wieder um eine Stunde vorgerückt; ich bin schon weit im Osten. Die Wüste gibt hier das Gefühl der Entfernung. Professor Jordan erzählte mir gestern, dass er früher 21 Tage gebraucht habe, um mit einer Karawane von Aleppo bis Bagdad zu reisen. Das mag freilich eine andere Erfahrung gewesen sein, und wir versäumen heute viel. Aber jeder Zeit sei das Ihrige gegönnt; über nichts bestimmen wir weniger als über unsere Erlebnisse.
Ich bin von Damaskus in Stunden hierher geflogen. Man weckte mich im Hotel Omajad um halb drei Uhr morgens; ein Auto holte mich ab, alles vollzog sich in grosser Geschwindigkeit, und schon fuhren wir auf der lichterbesetzten Strasse zum Flugplatz hinaus. Neben uns lagen die geisterhaft leeren Hügel, die ersten Begleiter der Karawanen, die ja auch meistens nachts aufbrechen. Aber sie wichen unmerklich zurück und gaben der Ebene Raum; da waren auch schon die grossen Schuppen, die roten Lämpchen, wir bogen von der Strasse ab und hielten gleich darauf neben dem Flugzeug, dessen Propeller schon liefen und blaue Garben aussandten. Es war sehr kalt. Arbeiter und Mechaniker liefen umher. Die Piloten standen in ihrem dicken Lederzeug 88 und rauchten und betrachteten schweigend den grossen zitternden Körper der Maschine. Dann rollten wir über den Platz, zwischen den roten Lämpchen hindurch, erhoben uns mit einem Ruck, änderten die Richtung und schwebten schon über den Lichtern der Stadt. Die Nacht schien hell, ein weisser Streifen bezeichnete den Horizont, ein schwacher gelber Glanz lag über den Gärten von Damaskus. Man erkannte die ummauerten Vierecke, die dunklen Flecken beackerter Erde, die silbrigen Ölhaine. Die Strasse, die aus der Wüste kam, lief nun plötzlich, am Ende aller Mühen, durch diese fruchtbaren Mosaike und gab der Stadt ihre poetischen Beinamen im Mund der Araber. Aber bald wurde die Erde still, der Glanz erlosch, es waren nur noch Hügel, die sich wie der Faltenwurf eines Kleides nach allen Seiten verliefen.
Manchmal ein Dorf: ein fester Platz, ummauert mit den nackten, fensterlosen Wänden der äussersten Häuser, und alles ineinandergebaut, Hof an Hof; dazwischen liefen die schmalen Gassen, und am Ost- und Westende verliess eine Spur das Dorf und verlor sich in der Nacht.
Bald hörten auch die Dörfer auf, und in tiefer Dunkelheit flogen wir über die ungeborene Welt, die Wüste.
Nach zwei Stunden begann die Dämmerung. Hinter uns war sie blau wie pastell, vor uns blieb der Himmel schwarz und brach sich violett und stahlblau an der roten Wand im Osten. Die weissen Feuerräder der Propeller erloschen, bleiches Licht umgab uns. Ich sah jetzt die Wüste, die sich aus dem Schlaf befreite, und es war, als sei man der erste Mensch und die Erde tauche soeben aus der Urnacht und werde vom frühen milchigen Licht getroffen.
89 Als die Sonne nach langer Zeit aufging, war sie wie eine rote Flamme, und man sah nichts mehr. Erst allmählich floss das Licht über die Hügel, sie erglänzten einer nach dem anderen, teilten sich in einen schattigen Abhang und einen glänzenden und folgten weithin wie Wellen aufeinander.
Der Sand zeichnete die Linien der Hügel in unregelmässigen Umrissen, dazwischen verliefen die ausgetrockneten Wadis; manchmal sah man auch Spuren, spärliche Linien, die sich irgendwo verloren. In einigen Wadis hatte sich während der letzten Regen Wasser angesammelt. Es lag als schwarzes Auge in den länglichen Brunnen.
Als die Hügel aufhörten und nur die flache Wüste da war, sahen wir die ersten Gazellenherden. Sie flohen, weisse Tiere, von ihren Schatten begleitet, unter uns hinweg.
Es wurde Tag. Der Pilot winkte mir, nach vorn zu kommen, und zeigte mir vor uns, noch weit entfernt, den schimmernden Euphrat.
Gleich veränderte sich unten das Bild: Es gab wieder Hügel und breite Einschnitte wie von alten Flussbetten, in ihnen dunklere Erde und schönbearbeitete kleine Äcker den Rändern entlang. Nomadenzelte, von einem Wall aus Dorngesträuch umgeben, bildeten fremdartige Siedlungen. Kamele lagerten zwischen den Anwesen, Rauch stieg auf, Eselreiter zogen alten Spuren nach in der Richtung des lebensspendenden Flusses. Rechts lag der See. An seinen salzigen Ufern sah man Schafherden, dann Reiter, pflügende Fellachen hinter weissen Ochsen, Flussufer, mit Palmen bestanden, eine Brücke, eine kleine Stadt. Überall regte sich Leben, ländliche Tätigkeit, die Kultur der Ebene. Es war 90 ein wunderbares Panorama, ein friedlicher Anblick, wie er sich seit fünftausend Jahren an diesem Ufer bietet . . .
Plötzlich neigte sich das Flugzeug. Einen Augenblick lang sah ich neben mir den Fluss und die Palmenhaine an Stelle des schrägen Himmels, und die Moschee von Kadhimain mit den goldenen Türmen warf sich uns schwindelnd entgegen. Das Häusermeer Bagdads kreiste um uns, war ganz nahe, entfernte sich, die Ordnung stellte sich wieder her, und wir rollten schon über das Flugfeld und landeten. 91