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Musette stand auf dem Main-Neckar-Bahnhof in Frankfurt und wartete auf den Schnellzug nach Mainz – Saarbrücken.
Ihre eigentliche Absicht, direkt von Neustadt nach der Saar zu reisen, war durch verschiedene Umstände vereitelt worden. Die eingleisige Strecke wurde am Tage nach der Schlacht bei Weißenburg für jeden Zivilverkehr gesperrt. Unaufhörlich rollten die Züge mit Ersatztruppen, Geschützen und Kriegsbedarf. Dazwischen gab es auf fast allen Stationen lange Aufenthalte, denn auch aus der Front kamen Züge mit Verwundeten und Kranken, die in die Lazarette des Hinterlandes bis Mainz, Wiesbaden, Frankfurt verfrachtet wurden.
Musette hätte zwar in Neustadt oder Landau die Gelegenheit abwarten können, bis ein Truppentransport sie mitgenommen hätte, aber sie mußte auch daran denken, ihre Garderobe zu vervollständigen. Das einfache Wollkleidchen, das sie in Neustadt, in einem Bazar für siebzehn Gulden erstanden hatte, schien ihr nicht würdig genug, um dem Geliebten darin vor die Augen zu treten.
Hans Dietrich war an die elegante Pariserin gewöhnt und sollte nicht enttäuscht werden. Aber weder in Neustadt noch in Landau fand Musette Kleider und Wäsche nach ihrem Geschmack. Sie löste darum am Bahnhof kurzerhand eine Fahrkarte nach Mainz und fuhr – dort angekommen – nach Frankfurt weiter.
Aus Frankfurt schrieb sie dem Geliebten einen langen, sehnsuchtsvollen Brief, avisierte ihre Ankunft auf den 7. oder 8. August und speiste im Hotel Englischer Hof auf dem Roßmarkt zur Nacht.
Die große Handelsstadt am Main stand unter dem Eindruck des ersten großen Sieges bei Weißenburg. Die Hauptstraßen zeigten reichen Flaggenschmuck, zumeist in den Stadtfarben rot-weiß. Von den städtischen und staatlichen Gebäuden wehte die schwarz-weiße Preußenflagge. In den Straßen um den Dom und den damaligen Hauptgeschäftsstraßen, Zeil, Fahrgasse, Schnurgasse, wogte eine freudig erregte Menschenmenge. Wildfremde Menschen sprachen sich an, drückten sich die Hände; und Musette stellte halb zu ihrem Erstaunen, halb zu ihrer Freude fest, daß sie den Siegesjubel der Deutschen teilte, daß sie sich eigentlich schon als gute Deutsche fühlte, trotzdem sie kaum ein Wort der Landessprache verstand.
In den großen Frankfurter Geschäften, wo Musette am kommenden Tage ihre Einkäufe machte, sprach oder verstand man fast überall Französisch. Musette gab sich zuerst als Schweizerin oder Belgierin aus. Als ihr aber die Inhaberin eines Hutsalons im Steinweg lachend erklärte:
»Warum das, Madame? – Wir führen doch nicht mit Frauen Krieg, und wir Zivilisten schon gar nicht. Mit Euren Männern werden unsere Soldaten schon fertig; das hat Weißenburg bewiesen!«
Als Musette dieses ehrliche Bekenntnis vernahm, stellte sie fest, daß die Deutschen in der Tat großzügiger waren als ihre Landsleute. Die Mißhandlungen und Beschimpfungen von deutschen Staatsangehörigen in Paris, kurz vor Ausbruch des Krieges, hafteten noch zu frisch in Musettes Erinnerung. Die Deutschen schienen weniger kleinlich, weniger gehässig. –
Auf dem Main–Neckar-Bahnhof wurde es lebendig. Eine ganze Kompagnie Landwehrleute, das Kreuz am Tschako marschierte auf, und verteilte sich auf dem Bahnsteig. Ein langer Zug fuhr langsam ein: Gefangene! Franzosen! Infanteristen, Chasseurs, Turkos, Zuaven! Gefangene aus den Kämpfen an der Sauer und bei Weißenburg. Zwischen hochgewachsenen Normannen mit blonden Haaren und lebhaften, kleinen Südfranzosen standen schwarze und braune Neger und Araber, daneben wieder blasse Pariser Gamin-Gesichter in der phantastischen, farbigen Zuavenuniform.
Einige wenige Gefangene schienen verwundet, viele niedergedrückt und verärgert; der größte Teil aber war lustig und ausgelassen. Frauen mit der Roten-Kreuz-Binde erschienen, schleppten große Körbe mit belegten Broten, Kannen mit heißem Kaffee und Zigarren. Die Lebensmittelkörbe waren im Nu geleert.
Geschrei, Zurufe, Bitten und Befehle in Deutsch und Französisch gellten und schwirrten durch die Bahnhofshalle.
Die bärtigen Landwehrleute, das aufgepflanzte Gewehr im Arm, freuten sich gutmütig über den gesunden Appetit der Gefangenen.
Ein Gepäckträger tauchte vor Musette auf.
»Madamche!« sagte er. »Sie wolle nach Maanz – Saabricke? – Da misse se da niwwer! – Der Zug geht uff dem annern Bahnsteig ab – –!«
Musette verstand natürlich kein Wort und sah sich hilflos um.
Zwei Offiziere, die die Szene beobachtet hatten, traten näher. Einer legte die Hand an die Mütze und stellte seine Dienste zur Verfügung; er sprach Englisch.
Musette lächelte.
» Je suis française, Monsieur!« sagte sie.
Der Offizier, ein junger Infanterist mit zwei Schmissen auf der linken Wange, war einen Augenblick überrascht, verbarg sein Erstaunen auch nicht, gab dann höflich in französischer Sprache Auskunft, und begleitete Musette nach einem Abteil zweiter Klasse.
»Wenn Ihnen unsere Begleitung nicht unlieb ist, Madame?« sagte er, indem er ein Abteil öffnete. »Wir fahren beide mit dem gleichen Zuge bis Mainz.«
Musette besaß zwar eine Fahrkarte erster Klasse, aber die Begleitung der beiden Offiziere, von denen einer gut französisch sprach, bewog sie die Fahrt in einem Abteil zweiter Klasse zu machen.
Kaum, daß sich die drei eingerichtet hatten, gellte die Pfeife des Zugführers. – Der Zug fuhr ab.
Die beiden Offiziere betrachteten Musette diskret, verstohlen, ohne eine Unterhaltung mit ihr zu beginnen. – Sie wußten nicht, was sie mit der Französin anfangen sollten, waren aber zu gut erzogen, um neugierige Fragen zu stellen.
Musette benützte die erste Gelegenheit, um ein Gespräch einzuleiten, als hinter Höchst der jüngere der beiden Offiziere bat, das Fenster öffnen zu dürfen.
Als sie ihr Reiseziel nannte und der Wahrheit gemäß berichtete, daß sie ihren verwundeten Bräutigam, einen preußischen Ulanenrittmeister besuchen wolle, tauten die beiden Herren auf und nannten auch ihre Namen, die Musette allerdings nicht verstand. Nur so viel glaubte sie herausgehört zu haben, daß der Jüngere der beiden, der mit den zwei Schmissen, ein ›Doktor‹ sein müsse. Der andere Offizier wurde lebhafter.
»Verzeihung, gnädiges Fräulein!« sagte er. »Es ist ein seltsamer aber vielleicht glücklicher Zufall, daß wir uns hier in Frankfurt kennen lernten. Ich stehe bei der 5. Kompagnie des 40. Regiments und habe die ersten Kämpfe bei Saarbrücken miterlebt. Ich kenne nur einen Ulanenoffizier, der verwundet wurde, – den Rittmeister von Martini!«
Musette fuhr freudig überrascht auf.
» Charmant!« rief sie. »Welch ein Zufall! Und – ein Glück! Ich reise in der Tat zu Herrn von Martini. Sie kennen ihn, Monsieur?! – Haben an seiner Seite gekämpft, haben ihn vielleicht noch nach seiner Verwundung gesehen und gesprochen? – – Bitte, Monsieur, Sie müssen mir von Herrn von Martini erzählen; alles was Sie wissen! – Alles, aber auch alles interessiert mich!«
Die beiden Offiziere lachten. – Das Eis war gebrochen.
Der Vierziger berichtete nun, was er wußte. Es war nicht viel; aber Musette war bescheiden. – Hier traf sie einen Kameraden, der ihr von Hans erzählen konnte. Welch ein glücklicher Zufall!
Der Premierleutnant stellte die große Schlacht, den ›Riesensieg‹ allerdings etwas anders dar, als ihn die französischen Zeitungen ausposaunt hatten. In Saarbrücken lag nur ein schwaches Bataillon Infanterie und einige Ulanenschwadronen. – Und gegen diese lächerlich kleine Macht rückten die Franzosen unter dem Oberbefehl des Kaisers mit dem ganzen Korps des Generals Frossard an, ohne zu ahnen, wie sie von den Preußen genarrt worden waren.
Die Ulanen hatten, wie der Premierleutnant lachend erzählte, die Franzosen nicht schlecht zum besten gehalten. Täglich rückten die wenigen Schwadronen vor die Stadt, einmal als Ulanen; am nächsten Tag pumpten sie sich Infanteriewaffenröcke und Helme und mimten Dragoner; dann liehen sie sich die Helme der Saarbrückener Feuerwehr aus und zogen die Röcke verkehrt, mit dem weißen Futter nach außen an, sodaß die französischen Vorposten entsetzt melden konnten, jetzt seien auch noch Kürassiere in Saarbrücken eingerückt.
Bei einem derartigen Patrouillenritt hatte sich der Rittmeister Martini anscheinend zu weit vorgewagt und erhielt auf ziemliche Entfernung einen Zufallsschuß durch den rechten Arm.
Der Premierleutnant wußte von der Amputation noch nichts, oder er wollte die Operation feinfühlend vor Musette verschweigen.
Er war, wie er weiter berichtete, Verpflegungsoffizier seines Bataillons, hatte in Frankfurt Zigarren eingekauft und wollte in Mainz Wein bestellen. –
Er stellte gern seine Dienste und seine Begleitung zur Verfügung, falls Musette einen Tag in Mainz bleiben wollte; aber Musette drängte jetzt so schnell wie möglich nach Saarbrücken zu kommen.
Die Fahrt nach Mainz verging unter dem Geplauder wie im Fluge. Auf dem Bahnhof verabschiedeten sich die beiden Offiziere. Der Schnellzug fuhr ohne Halt bis Bingen und von dort nach Kreuznach.
Hier gab es einen längeren Aufenthalt, weil wieder Truppentransporte die Strecke sperrten.
Als Musette kurz nach drei Uhr in Saarbrücken eintraf und hinter dem Gepäckträger den Bahnhofsplatz betrat, war jedes Haus beflaggt. Dem Vorsieg bei Weißenburg war am 6. August ein wirklicher, großer Sieg gefolgt. Bei Wörth hatte der Kronprinz von Preußen die Armee des Marschalls Mac Mahon zu fassen bekommen und in wilder Flucht auf Zabern und die Vogesen zurückgeworfen. Die französische Armee verlor über 8000 Tote und Verwundete, außerdem aber 10 000 Gefangene und über 30 Kanonen, die in die Hände der Sieger fielen.
Musette las die Telegramme in der Bahnhofshalle; und wenn sie auch den Text nicht genau verstand, die hohen Verlustziffern sagten ihr genug. –
Vor der Bahnhofshalle mußte Musette warten. Die Straße war von durchziehenden Truppen versperrt: Infanteristen, Jäger, hellblaue Bayern und dunkelblaue Preußen.
Die Bayern sangen, ein etwas schwermütiges Lied:
Was nützet mir ein schöner Garten,
Wenn andre drin spazieren gehn.
Es waren stramme, kräftige Burschen, die trotz des Singens Zeit fanden, mit den Mädchen unter den Zuschauern auf dem Bahnhofsplatz Scherzworte auszutauschen.
Manchmal schrie eine oder die andere junge Saarbrückerin hell auf. Es mochten mitunter derbe Scherze sein, die sich die Soldaten leisteten. Musette wunderte sich nicht. Soldaten waren in allen Armeen der Welt gleich.
Die endlose Schlange der durchmarschierenden Truppen riß nicht ab. Jetzt ertönte ein dumpfer Paukenschlag, und sofort setzte das Zwitschern und Jubilieren der Querpfeifen ein.
Musette hatte derartiges noch nie gehört. Bei den Franzosen marschierte vor der eigentlichen Regimentsmusik der Tambourmajor mit seinem langen, schweren Taktstock und eine Abteilung Militärmusiker mit Clairons, kleinen hell klingenden Trompeten. Die Franzosen marschierten auch schneller, beweglicher, mit kurzen, trippelnden Schritten, während der Marsch der Preußen wuchtig, bedächtig, schwer auf dem Saarbrückener Pflaster dröhnte.
Jetzt war die Musikkapelle herangekommen. Die Querpfeifen setzten aus. Die eigentliche Musikkapelle fiel ein. Es war eine schwere, getragene Hymne, fast wie ein Choral, aber im Marschtakt.
Soldaten und Zivilisten auf dem Bahnhofsplatz in Saarbrücken sangen begeistert mit.
Dieses Lied kannte Musette – – Die Wacht am Rhein! – – –
Es braust ein Ruf wie Donnerhall
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb Vaterland, magst ruhig sein!
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!!
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!!
Es gab eine schlechte französische Übersetzung dieses alten Liedes, das jetzt, gewissermaßen über Nacht, zur deutschen Nationalhymne geworden war. – Das Lied, das hämisch und höhnisch glossiert, vor einigen Wochen in einer Pariser Zeitung stand, klang hier ganz anders.
Lieb Vaterland, magst ruhig sein! Fest steht und treu die Wacht am Rhein! – –
Musette hatte, je länger sie den nicht endenwollenden Durchmarsch dieser prachtvollen deutschen Truppen mit ansah, das Empfinden, daß das Vaterland wirklich in der Tat ruhig sein konnte.
Die Wacht am Rhein stand wirklich treu und fest. –
Musette nahm sich kaum die Zeit, im nahen Hotel Meßmer den Reisestaub abzuschütteln und in ein Frankfurter Schneiderkleid zu schlüpfen. Es drängte sie nach dem Garnisonslazarett zu Hans Dietrich von Martini.
Der Unteroffizier am Eingang hatte kaum den Erlaubnisschein des bayerischen Generals gelesen, als er sofort stramm stand und die Hand an die Mütze legte.
»Ich glaube, Sie werden schon lange erwartet, Madame!« sagte er. »Ordonnanz!!«
Ein Soldat erschien.
»Die Dame zu Herrn Rittmeister von Martini!« befahl der Unteroffizier. »Leichtkrankensaal 2 Zimmer 17!«
Eine Minute später lag Musette in den Armen des Geliebten. –
Sprechen konnte sie nicht; unter. Lachen und Weinen bedeckte sie das Gesicht des Mannes mit zärtlichen Küssen.
»Laß Dich ansehen, mein lieber Junge!« jubelte sie. »Jetzt bin ich endlich bei Dir und gehe nicht mehr fort! – Nie mehr – – Hans!!«
Hans Dietrich von Martini trug seine Uniform; der rechte Ärmel hing schlaff herab.
»Ich – – ich – bin ein Krüppel, Musette!« sagte Hans schmerzlich.
»Nein – nein! – Du bist der liebste, der beste Mann!« jubelte Musette. »Ich arbeite für Dich! Ich habe ja zwei gesunde Arme, Hans. Ich bin sogar fast froh, daß Du gleich verwundet wurdest. Jetzt können Dich die Franzosen nicht mehr totschießen –! Jetzt gehörst Du mir – –!«
»Still, Musette!« rief Martini und bedeckte den Mund des Mädchens mit der gesunden, linken Hand.
Das Wiedersehen spielte sich in einem kleinen Zimmer ab, an das sich unmittelbar ein großer Krankensaal mit nur leichter Verwundeten anschloß. Dort lagen Bett an Bett Preußen, Bayern, Württemberger und Badener, Verwundete aus den ersten Gefechten der endlich geeinten, Schulter an Schulter kämpfenden deutschen Armee. Kämpfe, die auch gleich Siege waren – Weißenburg und Wörth!
Martini öffnete die Tür und trat überrascht und auch ein wenig erschrocken zurück.
Ein hoch gewachsener, preußischer Offizier in Generalsrock und Mütze, ging durch den langen Saal; hinter ihm eine glänzende Suite von Offizieren und der Chefarzt des Garnisonslazaretts im weißen Mittel.
Der Offizier mit dem blonden Vollbart und den gütigen, klaren, blauen Augen schritt langsam von Bett zu Bett. Überall richteten sich die Verwundeten auf. Ein Leuchten der Freude, des Stolzes huschte über schmerzdurchfurchte, leidende oder müde Gesichter. Diesen Mann, den Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, den Sieger von Wörth, vergötterte die ganze Armee.
Ein Adjutant, der links hinter dem Kronprinzen von Preußen ging, und einen Bogen Papier in der Hand hielt, flüsterte ab und zu einen Namen.
Dann griff der Kronprinz nach rechts, wo ein zweiter Offizier mit einem Tablett stand und legte mit einem herzlichen Händedruck ein Eisernes Kreuz auf die Brust des Verwundeten.
Vor einem bärtigen Mann, der, als der Kronprinz von Preußen näher trat, grinsend sein weißes Gebiß zeigte, blieb Friedrich Wilhelm stehen.
»Na – mein Junge?« fragte er gütig. »Wo fehlt's?«
Der ›Junge‹ – er mochte vielleicht sogar ein bis zwei Jahre älter sein als der Kronprinz – stützte sich auf den linken Arm.
»Net der Red wert, Herr Kronprinz!« erwiderte er. »Schuß von aan Schaßboh (Chassepot) in den rechten Backen – –«
Friedrich Wilhelm von Preußen betrachtete überrascht das Gesicht des Landwehrmannes, konnte aber keine Verwundung feststellen. – Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. – Er hatte verstanden; der Verwundete lag auf der linken Seite.
»Na – mein Sohn!« meinte er. »Am Kauen wird Dich diese Verwundung aber kaum hindern – –!«
»Naa, Herr Kronprinz! Weiß Gott net!«
Friedrich Wilhelm warf einen Blick auf die Tafel am Kopfende des Bettes.
»Mathias Trensenreuter!« las er. »Aha!« sagte er. »Ein Bayer! Woher bist, Trensenreuter?«
»Aus Wasserburg am Inn, Herr Kronprinz! – Jetzt 10. königlich bayerisches Jägerbataillon, 1. Kompagnie!«
»Brav!« meinte der Kronprinz lächelnd. »Einer von den bayerischen Jägern, die sich in den Weinbergen von Weißenburg so tapfer geschlagen haben?!«
»Sell woll, Herr Kronprinz! – Aber, i maan halt, auch die Oberführung war guat –! – Ohne die nützt nämlich auch die größt' Kurasch nix!«
»Richtig, mein Sohn! Du bist demnach mit meiner Führung ziemlich zufrieden gewesen?!«
»Und ob, Herr Kronprinz!« erwiderte der Bayer. »Schaun's, wann Sie uns im Jahre 1866 geführt hätt'n, dann – na dann hätten wir bei Kissingen und Hammelburg die verdammten Saupreiß'n net schlecht verhauen – –!«
Der Offizier neben dem Kronprinzen ließ vor Schreck beinahe das Tablett mit den Orden fallen. – Der Chefarzt des Lazaretts erstarrte zur Bildsäule.
Aber der Kronprinz brach spontan in ein herzhaftes Lachen aus, konnte sich sekundenlang überhaupt nicht beruhigen.
Und dieses Lachen wirkte befreiend. – Die ganze Suite lachte; auch der Chefarzt atmete auf. –
Der Kronprinz ging weiter, betrat das kleine Nebenzimmer, wo Rittmeister Hans Dietrich von Martini stand.
Neben dem Landwehrjäger Trensenreuter aus Wasserburg am Inn lag der Reservist, Gefreiter Daglhofer aus Bad Tölz, zur Zeit 12. Kompagnie des 11. bayerischen Infanterieregiments ›von der Tann‹.
»Mathias! – Rindviech, damliges!« fuhr er Trensenreuter an. »Kamel! – Idiot! – Du wirst drei Tage in den Kasten flieg'n! – Was sag i – drei Tage?! – Festung kriegst! – – Du hast den Kronprinzen tödlich beleidigt – – –! Dös is doch selber a Preiß!«
»Geh!« erwiderte Trensenreuter ruhig und legte sich wieder auf die linke Seite. »Woher soll i denn das wiss'n?! An der Nas'nspitz'n konnt i 's ihm net anschaug'n! – Laß mi in Ruah!« – –
Hans Dietrich von Martini stand vor dem Kronprinzen von Preußen.
»Rittmeister von Martini?« meinte der Kronprinz. »Ihren Namen kenne ich. Helfen Sie mir doch bitte nach!«
»Königliche Hoheit, ich war bis zu Kriegsbeginn Militärattaché bei der Botschaft in Paris!«
»Aha!« sagte der Kronprinz nur. »Jetzt weiß ich schon Bescheid. Sie haben uns ganz hervorragende Dienste geleistet.«
»Königliche Hoheit verzeihen!« erwiderte Rittmeister von Martini. »Die eigentliche Arbeit erledigte eine Frau. Gestatten königliche Hoheit, daß ich diese Frau ergebenst vorstelle: Fräulein Musette de Lanory – meine Braut!«
Musette trat näher und knickste.
Der Kronprinz von Preußen legte die Hand an die Mütze.
» Madame!« sagte er französisch. »Ich weiß sehr wohl, was Sie für uns getan haben, und ich möchte Ihnen herzlich danken! – Ich beglückwünsche den Herrn Major von Martini zu seiner Wahl! – –
»Wir, in Preußen, kennen leider keine Kriegsorden für Frauen. – Sie, Madame, hätten einen Orden wohl verdient. –
»Aber ich darf diese Dekoration Ihrem zukünftigen Gatten, dem Herrn Major von Martini überreichen!«
Musette zeigte nicht die geringste Verlegenheit.
» Merci, mon prince!« sagte sie mit leuchtenden Augen.
Der Kronprinz ergriff Musettes Hand und zog sie an die Lippen. –
Als Friedrich Wilhelm das Zimmer verlassen hatte, legte Musette zärtlich den Arm um den Hals des Geliebten.
»Du, Hans!« sagte sie. »Ich bin ganz verliebt in den Kronprinzen! – Was ist das für ein hübscher Mann!«
Hans von Martini drohte Musette schelmisch mit dem Finger: »Das hört jetzt auf, Musette! – Außer mir hat Dir niemand mehr zu gefallen!«
» Entendu!« erwiderte Musette ernst. – »Du bist ja doch der Liebste und Schönste von allen! Aber sage einmal, Hans, der Kronprinz nannte Dich Major? Ich glaubte, Du seist nur Rittmeister?!« –
»Ja!« erwiderte Martini und lächelte. »Ich habs bisher auch geglaubt. Aber wenn der Kronprinz von Preußen meint, ich sei Major, dann Musettchen, wird's schon stimmen. – Man darf den hohen Herrschaften beileibe nicht widersprechen, besonders dann nicht, wenn sie eine angenehme Nachricht bringen.«
* * *