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Vierzehntes Kapitel.

Er war bei allen ihren Spielen, war
Wie der Monarch bei ihrer kleinen Schaar;
Den Bogen macht' er, Ball, Racket' und Stab,
Sein Werk war Alles dies.

Crabbe's Dorf.

Francis Macraw begleitete, den Befehlen seines Herrn gemäß, den Bettler, damit dieser unangefochten das Schloß verlassen, und weder Gespräch noch sonstigen Verkehr mit Jemand von des Grafen Dienern haben möchte. Aber weislich erwägend, daß sich diese Beschränkung nicht auf ihn selber erstrecke, dem ja das Geleite des Bettlers anvertraut war, wandte er alles Mögliche an, um von Edie den Gegenstand seiner vertraulichen und geheimen Unterredung mit dem Grafen herauszulocken. Aber Edie war schon zu Zeiten an Kreuzfragen gewöhnt worden und entging daher leicht denen seines ehemaligen Kameraden. »Die Geheimnisse großer Leute,« sagte Ochiltree zu sich selbst, »sind gerade den wilden Bestien gleich, die in Käfige eingeschlossen sind. Hält man sie streng und fest verschlossen, so ist das recht gut – läßt man sie aber heraus, so werden sie einen anfallen und zerreißen. Ich erinnere mich, wie übel Dugald Gunn dabei weg kam, als er seiner Zunge freien Lauf ließ wegen des Majors Frau und des Kapitain Bandilier.«

Francie richtete daher mit seinen Angriffen auf des Bettlers Treue nichts aus, und ward, wie ein unkundiger Schachspieler, bei jedem ungeschickten Zuge immer mehr von den Zügen seines Gegners in die Enge getrieben.

»Du behauptest also, du hättest meinem Herrn weiter nichts mitzutheilen gehabt, als deine eignen Angelegenheiten?«

»Ja, und dann noch so mancherlei Kleinigkeiten, die ich ihm aus der Fremde mitbrachte,« sagte Edie, »ich weiß, daß ihr Papisten viel auf die Reliquien haltet, die aus der Ferne geholt werden, aus Kirchen und dergleichen Orten.«

»Allerdings, und der Graf muß wirklich zum Narren geworden sein,« sagte der Bediente, »da er so außer sich gerathen konnte, wegen der Dinge, die du ihm zu bringen im Stande warst, Edie.«

»Ich darf wohl sagen, in der Hauptsache hast du recht, Kamerad,« erwiederte der Bettler; »aber er mag wohl manche Noth in der Jugend zu bestehen gehabt haben, Francie, und das macht die Leute manchmal ein Bischen verwirrt.«

»Freilich, Edie, darin hast du wohl Recht; und da es doch wahrscheinlich ist, daß du nie wieder hieher zurückkommst, oder wenn du auch kommst, daß du mich nicht mehr findest, so kann ich dir wohl sagen, daß sein Herz in der Jugend so verwundet und verletzt worden ist, daß man sich wundern muß, es nicht schon lange gebrochen zu sehn.«

»So, wäre das wirklich der Fall?« sagte Ochiltree, »wahrscheinlich war ein Weib die Ursache davon?«

»Ja, du hast es errathen,« sagte Francie; »es war eine Verwandte von ihm, Miß Eveline Neville, wie man sie nannte; es war viel Gerede darum im Lande, aber man unterdrückte es, weil es die Großen betraf. Mehr als zwanzig Jahr sind seitdem vergangen, ja, ich denke, es werden dreiundzwanzig sein.«

»Damals war ich in Amerika,« sagte der Bettler, »und konnte von den Klatschereien des Landes nichts erfahren.«

»Es war wenig Klatscherei dabei, Freund,« erwiederte Macraw; »er liebte die junge Dame und wollte sie heirathen; aber seine Mutter kam dahinter und nun hatte der Teufel sein Spiel. Endlich stürzte sich das arme Mädchen selber bei Craigburnfoot in's Meer, und das war das Ende vom Liede.«

»Das Ende des armen Mädchens,« sagte der Bettler, »aber vermuthlich kein Ende mit dem Grafen?«

»Nein bei ihm nicht, bis sein Leben endet,« antwortete der Mann aus Aberdeen.

»Aber warum verbot die alte Gräfin die Heirath?« fuhr der beharrliche Frager fort.

»Warum! – Sie hat vielleicht selber nicht gewußt warum, denn sie verlangte Gehorsam für ihren Willen, mocht' er recht oder unrecht sein. Es war aber bekannt, daß sich die junge Dame einer der Ketzersekten des Landes zuneigte; überdies war sie ihm näher verwandt, als unsre kirchlichen Vorschriften gestatten. So ward die junge Dame zu der verzweifelten That getrieben und seitdem hat der Graf den Kopf nie wieder gerade tragen können.«

»So, so!« erwiederte Ochiltree; »'s ist doch närrisch, daß ich früher nie etwas von der Geschichte gehört habe.«

»'s ist auch närrisch, daß du jetzt davon hörst, denn keiner der Bedienten hätt' es wagen sollen, davon zu reden, als die alte Gräfin noch lebte. Ja, Edie, das war ein tüchtiges Weib; wer mit ihr auskommen wollte, durfte nicht auf den Kopf gefallen sein! – Aber sie liegt nun im Grabe und wir können schon ein Bischen freier sprechen, wenn wir mit einem alten Freunde zusammenkommen. – Doch leb' nun wohl, Edie, ich muß zurück zur Abendandacht. – Kommst du nach sechs Monaten einmal nach Inverurie, dann vergiß nicht nach Francie Macraw zu fragen.«

Was der Eine so freundlich erbat, das versprach der Andre eben so fest, und nachdem die Freunde mit allen Zeichen gegenseitiger Achtung Abschied von einander genommen hatten, ging der Diener des Grafen Glenallan nach dem Schlosse seines Herrn zurück, während sich Ochiltree auf seine gewöhnliche Wanderschaft begab.

Es war ein schöner Sommerabend, und die Welt, das heißt der kleine Bezirk, der dem, welcher ihn durchwanderte, Alles in Allem war, lag vor Edie Ochiltree da, um sich ein Nachtquartier zu wählen. Als er das minder gastfreundliche Gebiet von Glenallan verlassen hatte, standen ihm so viel Orte, wo er für den Abend eine Zuflucht finden konnte, offen, daß er in der Wahl schwierig und sogar eigensinnig wurde. Ailie Sim's Schenke lag, an der Straße vor ihm, etwa eine halbe Stunde weit; dort konnten aber, weil es Sonnabend war, viel junge Leute beisammen sein, und dieser Umstand war ein Hinderniß für jedes gemüthliche Gespräch. Allmählig traten andere Hausväter und Hausmütter, wie man in Schottland die Pächter und ihre Frauen nennt, vor seine Einbildungskraft. Aber der Eine war taub und konnt' ihn nicht hören; ein Anderer war zahnlos und konnte sich nicht verständlich machen; ein Dritter war mürrischer Natur und ein Vierter hatt' einen bösen Hofhund. Zu Monkbarns und Knockwinnock war er einer guten Aufnahme gewiß; aber diese Orte lagen zu fern, um sie heute noch bequem erreichen zu können.

»Ich weiß nicht wie es zugeht,« sagte der alte Mann, »aber ich bin eigensinniger in der Wahl meines Quartiers, als ich es je zuvor in meinem Leben gewesen bin. Ich glaube, weil ich dort all' die Herrlichkeit gesehn und dabei gefunden habe, daß man ohne sie glücklicher sein kann, bin ich stolzer auf mein eignes Loos geworden. Aber gut ist das nicht für mich, denn Hochmuth kommt vor dem Fall. Freilich wird die schlechteste Scheune, worin je ein Mensch lag, ein angenehmerer Aufenthalt sein, als Schloß Glenallan, mit all' den Bildern und dem schwarzen Sammt und dem Silbergeräth, was dazu gehört. Drum will ich mich nur gleich entschließen und zu Ailie Sim wandern.«

Als der alte Mann den Hügel hinunterstieg nach dem kleinen Dorfe, welches er sich zum Ziele gewählt hatte, waren die Einwohner von der sinkenden Sonne bereits von ihrem Tagewerk abgerufen worden, und die jungen Leute benutzten den schönen Abend, um sich durch Kegelspiel auf einem Gemeindeplatze zu unterhalten, während die Weiber und ältern Personen zuschauten. Das Schreien, Lachen, die Ausrufungen der Gewinnenden und Verlierenden schollen durcheinander bis hinauf zu dem Pfade, auf welchem Ochiltree herabstieg, und riefen ihm die Tage in's Gedächtniß zurück, wo er an Spielen der Kraft und Gewandtheit selbst oft Theil genommen und auch wohl Sieger dabei geworden war. Solche Erinnerungen haben gewöhnlich einen Seufzer zur Folge, selbst wo der Abend des Lebens noch durch glänzendere Aussichten geschmückt wird, als es bei unserm armen Bettler der Fall war. – Zu einer solchen Stunde, dachte er im Stillen, würde ich mich eben so wenig um einen alten wandernden Mann, der den Kinblytheberg herabstieg, bekümmert haben, als sich jetzt einer von jenen jungen rüstigen Leuten um den alten Edie Ochiltree bekümmern wird.

Indeß hatte er doch alsbald die Freude, zu finden, daß man sein Erscheinen weit wichtiger fand, als seine Bescheidenheit geahnt hatte. Es war zwischen den Parteien der Spieler Streit über einen Wurf entstanden, und da der Zolleinnehmer die eine Partei, der Schulmeister aber die andre begünstigte, so konnte man wohl sagen, die Sache sei von höhern Mächten übernommen worden. Der Müller und Schmied hielten ebenfalls zu verschiedenen Seiten, und bedachte man das lebendige Temperament dieser beiden Streiter, so war Grund vorhanden zu zweifeln, daß sich die Sache friedlich endigen werde. Aber der Erste, der den Bettler gewahr wurde, rief sogleich: »Ach, hier kommt der alte Edie, der kennt die Regeln aller Spiele besser, als irgend Einer, der je eine Kugel warf, – laßt den Streit ruhen, ihr Bursche, der alte Edie soll entscheiden.«

Edie ward begrüßt und mit allgemeinem Beifallruf zum Schiedsrichter ernannt. Mit all der Bescheidenheit eines Bischoffs, dem der Krummstab übergeben wird, oder eines neuen Sprechers, der die Rednerbühne betritt, lehnte der alte Mann die hohe Verantwortlichkeit ab, der er sich unterziehen sollte, und zum Lohne für seine Selbstverläugnung und Bescheidenheit hatte er die Freude, von Jung und Alt die wiederholte Versicherung zu hören, daß er gewiß die passendste Person sei, um das Schiedsrichteramt zu versehn. So ermuthigt, schritt er nun ernstlich zur Vollziehung seiner Amtspflicht, und nachdem er beiden Parteien alle beleidigenden Ausdrücke streng untersagt hatte, hörte er den Schmied und Zolleinnehmer auf der einen, den Müller und Schulmeister auf der andern Seite und ließ sie das Amt eines ältern und jüngern Sachwalters versehen. Im Innern war indeß Edie über die Sache bereits in's Reine, ehe noch die Verhandlung begann, wie es auch mit manchem Richter der Fall ist, der trotzdem alle Formen durchgehen und in vollem Maaße die Beredsamkeit der Advokaten ertragen muß. Nachdem nun auf beiden Seiten Alles gesagt, ja, vieles mehr als einmal wiederholt war, verkündigte unser Alter nach gehöriger und reiflicher Berathung, daß der streitige Wurf keine Geltung gehabt habe, und daher keiner Partei angerechnet werden könne. Diese weise, versöhnende Entscheidung stellte die Eintracht unter den Spielenden wieder her; sie begannen ein neues Spiel einzurichten und zwar mit all' der lärmenden Lustigkeit, die bei solchen Gelegenheiten auf dem Lande stattfindet; die Lebhaftern hatten bereits ihre Jacken ausgezogen und überließen sie nebst den bunten Schnupftüchern der Obhut der Weiber, Schwestern und Geliebten. Aber ihre Freude ward auf sonderbare Weise unterbrochen.

Außerhalb des Kreises der Spielenden erhoben sich Töne einer Art, die von jener der Freude sehr verschieden war – es wurden jene unterdrückten Seufzer und Ausrufungen vernehmlich, womit die Zuhörer die erste Nachricht von einem Unglücke zu empfangen pflegen. Ein Flüstern war unter den Weibern hörbar: »Ach, so jung und so plötzlich weggenommen!« – Dann verbreitete es sich auch unter die Männer und brachte die Laute fröhlichen Scherzes zum Schweigen. Alle merkten sogleich, daß sich ein Unfall in der Gegend zugetragen haben müsse, und jeder forschte bei seinem Nachbar, was es sei, während der Gefragte doch ebenso wenig wußte, als der Frager. Endlich drang das Gerücht, in bestimmterer Gestalt, auch zu Edie Ochiltree's Ohr, welcher sich in der Mitte der Gesellschaft befand. Das Boot Mucklebackit's, des Fischers, dessen wir so oft gedachten, war auf der See umgeschlagen, und wie man versicherte, waren dabei vier Männer umgekommen, wobei auch Mucklebackit und sein Sohn. Das Gerücht hatte jedoch hier, wie in andern Fällen, die Wahrheit überschritten. Das Boot war allerdings umgeschlagen, aber Stephan, oder, wie man ihn nannte, Steenie Mucklebackit, war der einzige Mann, welcher dabei ertrank. Obwohl sein Wohnort und seine Lebensweise den jungen Mann immer von der Gesellschaft der Landleute fern hielt, so ließen sie doch in ihrer ländlichen Lust eine Pause eintreten, um dem plötzlichen Unfalle jenen Zoll zu bringen, der selten bei einem ungewöhnlichen Unglücke ausbleibt. Vorzüglich für Ochiltree war die Nachricht ein Donnerschlag, da er noch vor so kurzer Zeit des jungen Mannes Beistand zu einem losen Streiche in Anspruch genommen hatte; und obwohl man dem deutschen Adepten weder Schaden noch Nachtheil zufügen wollte, so war das Werk doch nicht geeignet, die letzten Lebensstunden eines Menschen zu beschäftigen.

Mißgeschick kommt selten allein. Während Ochiltree, gedankenvoll auf seinem Stabe lehnend, sein Bedauern mit dem der Dorfbewohner vereinte, die des jungen Mannes plötzlichen Tod beklagten, und während er sich im Innern zugleich darüber Vorwürfe machte, daß er ihn zu jener Handlung verleitet hatte, ward der alte Mann von einem Gerichtsdiener beim Kragen genommen, welcher seinen Amtsstab in der Rechten emporhielt und ausrief: »Im Namen des Königs!«

Der Zolleinnehmer und der Schulmeister vereinigten ihre Beredsamkeit, um dem Gerichtsdiener und seinem Gehilfen zu beweisen, daß er kein Recht habe, einen Bettler des Königs als Landstreicher aufzugreifen; die stumme Beredsamkeit des Müllers und Schmieds, die sich in ihren geballten Fäusten aussprach, war bereit, ebenfalls für ihren Schiedsrichter hochländische Bürgschaft zu leisten. »Sein blauer Kittel berechtigt ihn, zu wandern.«

»Aber sein blauer Kittel,« antwortete der Gerichtsdiener, »berechtigt ihn nicht zu Ueberfall, Raub und Mord: und mein Verhaftsbefehl gegen ihn nennt diese Verbrechen.«

»Mord?« sagte Edie, »Mord? wen hab ich ermordet?«

»Mr. German Dousterzwiebel, den Agenten der Bergwerke zu Glen-Withershins.«

»Dümsterschnüffel ermordet? – ach, der ist ja frisch und gesund, Freund.«

»Wenn er's noch ist, hat er dir's nicht zu danken; er mußte sehr um sein Leben kämpfen, wenn Alles wahr ist, was er sagt, und du kannst nun Alles vor Gericht verantworten.«

Die Vertheidiger des Bettlers bebten zurück, als sie hörten, welch' schwere Verbrechen ihm zur Last gelegt wurden, aber mehr als eine Hand steckte dem Edie Fleisch, Brod und Geld zu, damit er im Gefängniß, wohin ihn die Gerichtsdiener jetzt führen wollten, leben könnte.

»Dank' euch – Gott segn' euch Alle, Kinder – Ich bin schon aus mancher schlimmen Sache gut heraus gekommen, wo ich es weniger verdient hätte. Ich werde entkommen, wie ein Vogel dem Jäger. Spielt nur weiter und kümmert euch um nichts – ich bin trauriger um den armen Burschen, der gestorben ist, als um Alles, was sie mir anthun können.«

Der Gefangene ließ sich daher ohne Widerstand abführen, während er die Gaben, die ihm von allen Seiten gereicht wurden, mechanisch annahm und in seine Taschen steckte, so daß er, ehe er aus dem Dorfe kam, so beladen war, wie ein Proviantschiff. Die Mühe, eine solche Bürde zu tragen, ward indeß durch den Gerichtsdiener beseitigt, welcher einen Karren und ein Pferd besorgte, um den alten Mann an eine Behörde zur Untersuchung abzuliefern.

Steenie's Unglück und Edie's Verhaftung machte dem ländlichen Spiel ein Ende, denn die Bewohner des Dorfes begannen über die Wandelbarkeit menschlicher Schicksale nachzudenken, wodurch einer ihrer Gefährten so schnell dem Grabe geweiht war, während der Meister ihrer Spiele in Gefahr kam, gehängt zu werden. Dousterswivel's Charakter war allgemein bekannt, d. h. in seinem Falle, er war überall verabscheut, und daher hegte man starken Argwohn, daß die Anklage nur von der Bosheit erfunden sein möge. Alle aber stimmten darin überein, daß, wenn Ochiltree bei dieser Gelegenheit das Härteste erdulden werde, was jedenfalls Schade sei, daß er den Dousterswivel nicht lieber gleich todtgeschlagen und so sein Schicksal besser verdient habe. –

Ende des zweiten Theils.

 


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