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Glücklich bist Du! so sei denn glücklich,
Beneid' mir nicht mein Loos;
Dein friedlich Glück beneid' ich Dir
Und Deine stille Hütte.
Lady C.
Der Brief, den Frau Butler mit ängstlichem Erstaunen durchflog, war von Effie; es ließ sich nicht daran zweifeln, obgleich nur ein E. darunter stand, und Styl und Handschrift bei weitem besser waren, als was Effie sonst zu leisten im Stande gewesen. Er enthielt Folgendes:
»Theuerste Schwester!
»Ich wage viel, um Dir zu schreiben, und Dich zu benachrichtigen, daß ich noch lebe; und weltlich betrachtet in besserer Lage bin, als ich es verdiene, oder jemals erwarten durfte. Könnten Reichthum, Ansehen und ein hoher Rang glücklich machen, ich besitze dies Alles; allein Du, Jeanie, deren Lage in Rücksicht auf diese Dinge so weit unter der meinigen zu stehen scheint, bist bei weitem glücklicher als ich. Ich habe Mittel gefunden, von Zeit zu Zeit von Dir zu hören, meine theuerste Jeanie; das Herz hätte mir sonst brechen müssen. Mit großer Freude habe ich den Zuwachs Deines Hauses vernommen. Wir sind eines solchen Segens nicht werth befunden worden; zwei Kinder sind gleich nach der Geburt dahingegangen, und wir sind jetzt kinderlos. – Gottes Wille geschehe! Allein solch ein unschuldiges Wesen könnte ihn vielleicht von den finstern Gedanke zurückbringen, die ihn zuweilen sich selbst und Andern schrecklich machen. Doch sei unbesorgt, Jeanie, er ist dessenungeachtet immer noch gut gegen mich.«
»Die wirst Dich über meine Fortschritte im Styl und Schreiben wundern. Ich hatte [den] besten Lehrer, als ich im Auslande war, und gab mir viel Mühe, ihm gefällig zu sein. Er ist gut, Jeanie, nur ist Vieles, was ihn quält, besonders wenn er in die Vergangenheit zurückblickt. Mir erscheint bei einem solchen Rückblick mindestens ein tröstendes Licht – die großmütige Handlungsweise einer Schwester, die mich nicht verließ, als Alles mich verlassen hatte. Dir wurde Dein Lohn dafür. Du selbst glücklich in der Achtung und Liebe Aller, die Dich kennen, während ich das Leben einer elenden Betrügering dahinschleppe, und mein Ansehen in der Welt einem Gewebe von Lügen verdanke, das der kleinste Zufall zerstören kann. Seitdem er in sein Erbe getreten, hat er mich seinen Freunden als die Tochter eines verwiesenen schottischen Edelmannes vorgestellt, welche in einem Kloster erzogen worden. Und wirklich habe ich eine zeitlang in einem Kloster gelebt.«
»Wenn aber ein Schotte sich mir nähert und nach meinen Familienverbindungen fragt und sein Auge mit dem Ausdruck der tödtlichen Angst auf mich gerichtet ist, wird es mir schwer, mich nicht zu verrathen in meiner Bangigkeit. Und o, wenn ich jemals diese Schmach über ihn bringe, wird er mich hassen, er wird mich tödten, so sehr er mich liebt; denn er ist jetzt ebenso eifersüchtig auf seine Ehre, als er früher sorglos hinsichtlich derselben war.«
»Ich bin nun seit vier Monaten in England, und habe Dir schon immer schreiben wollen, es aber nie gewagt, aus Furcht, der Brief könne in fremde Hände gerathen. Doch jetzt muß es geschehen, selbst auf diese Gefahr. In vergangener Woche sah ich Deinen edlen Freund, den H. von A. Im Schauspiel kam er an mich heran und setzte sich zu mir. Etwas in dem Stück erinnerte ihn an Dich, und – großer Gott! er erzählte unserer Gesellschaft Deine ganze Reise nach London, und besonders der Unglücklichen, welche die Veranlassung dazu war. Wenn er geahnt hätte, neben wem er sitze, und wem er diese Geschichte erzähle! – Ich litt mit Muth, wie ein Indianer auf der Folter, während sie seine Fibern zerreißen und seine Augen durchbohren, und er jeder neuen Marter seiner Peiniger Beifall lächelt. Doch es ward endlich zu viel für mich, Jeanie; ich fiel in Ohnmacht. Es wurde theils der Hitze des Orts, theils der Reizbarkeit des Gefühls zugeschrieben. Zum Glück war er nicht gegenwärtig. Dennoch sind auch die Folgen dieses Ereignisses ängstigend. Ich habe seitdem Deinen vornehmen Freund oft gesehen, und er hat wieder jener Geschichte und der Menschen erwähnt, an denen ich meine Theilnahme auf eine so liebenswürdig gefühlvolle Weise geäußert. Liebenswürdig gefühlvoll! O Gott! – Kaum ist Alles, was ich ehemals litt, meinem jetzigen Zustande zu vergleichen. Damals waren es gewaltsame Schläge, jetzt werde ich mit spitzigen Nadeln zu Tode gepeinigt. Er, der H. nämlich, geht im nächsten Monat nach Schottland, um dort die Jagdzeit zuzubringen. Er bäte sich dann immer einmal im Pfarrhause zu Gaste, sagte er mir. – Sei auf Deiner Hut, und verrathe Dich nicht, wenn er meiner erwähnen sollte. Ach! Du selbst hast nichts zu verrathen, und nichts zu fürchten. Es ist E., deren Leben jetzt wieder von Dir abhängt, es ist E., die Du davor bewahren kannst, ihrer geborgten Federn beraubt und unter die Füße getreten zu werden, von dem vielleicht zuerst, der sie auf diesen schwindelnden Gipfel gehoben! – Das hier Beigefügte wirst Du jährlich zweimal erhalten. Schlage es nicht aus – es ist von meinem Nadelgelde, und kann verdoppelt werden, wenn Du dessen bedarfst. In Deinen Händen kann es von Nutzen sein, in den meinen nicht.«
»Antworte mir bald, Jeanie, sonst bin ich in der peinlichsten Angst, daß dieser Brief in unrechte Hände gefallen. Sende die Antwort unter der einfachen Aufschrift L. S. in einem Einschlag an Sr. Ehrwürden Herrn Georg Whiterose in York. Er glaubt, daß ich mit einigen meiner vornehmen jakobitischen Verwandten in Schottland in geheimem Briefwechsel stehe.«
»Lebe wohl, theuerste Jeanie. Zeige dies Schreiben Niemanden, selbst Butlern nicht. Ich habe alle mögliche Achtung vor ihm; allein seine Grundsätze sind allzu streng, und meine Verhältnisse erlauben keine zu scharfe Prüfung. – Ich bleibe stets Deine liebende Schwester E.«
Dieser lange Brief erregte eben so sehr Jeanie's Erstaunen, als er ihr schmerzlich war. Effie, ihre Schwester Effie lebte in so vornehmer Gesellschaft, sah den Herzog von Argyle, als wäre sie seines Gleichen. Sie traute kaum ihren Augen, als sie dies las. Auch schien es nicht weniger wunderbar, daß Effie in dem Zeitraum von wenigen Jahren sich so ausgebildet haben sollte; denn bei weit größeren Anlagen als Jeanie hatte sie doch niemals Lust zum Lernen bezeigt, und war stets hinter ihrer Schwester zurückgeblieben. Allein Liebe, Furcht und Nothwendigkeit hatten sich als gute Lehrmeister bewiesen, und allen ihren Mängeln abgeholfen.
Was Jeanie am wenigsten in diesem Schreiben gefiel, war eine gewisse unterdrückte Selbstsucht, die dennoch daraus hervorleuchtete. »Wir würden wohl schwerlich Nachricht von ihr haben,« sagte sie zu sich selbst, »hätte sie nicht fürchten müssen, der Herzog werde erfahren, wer sie sei, und daß sie uns niedrigen Leuten angehöre. Aber Effie denkt immer mehr an sich, als an Andere. – Ich weiß nicht, ob ich ihr Geld behalten soll,« sie nahm eine Banknote von fünfzig Pfund auf, die aus dem Brief zu Boden gefallen war; »wir haben genug, und es ist ordentlich, als wollte sie mich damit bestechen; ich würde ohnedies um alles Gold in ganz London nichts gesagt haben, was ihr schaden kann. Aber mein Mann muß es wissen. Ich sehe nicht ein, wenn sie solche Furcht vor ihrem Herrn Staunton hat, warum ich den Pfarrer nicht ebenso achten soll? Sobald nur der Trunkenbold von Hauptmann erst fort ist, sage ich es ihm. – Aber wie bin ich doch so wunderlich,« fügte sie hinzu, und kehrte wieder um, nachdem sie bereits einige Schritte nach der Thür gemacht, sich wieder zu den Männern zu begeben; »ich werde doch nicht eine solche Thörin sein, mich zu ärgern, daß Effie eine vornehme Frau ist, und ich nur eines Pfarrers Frau? – Und doch bin ich verdrießlich wie ein Kind, anstatt Gott zu danken, daß er sie vor Schande, Armuth und einem sündhaften Leben bewahrt hat.«
Sie ließ sich auf einen Stuhl am Fuß des Bettes nieder, faltete die Hände über der Brust zusammen, und nahm sich vor, nicht eher wieder hier aufzustehn, bis sie in einer bessern Stimmung sei.
Ihr edler Sinn hatte diesen ungewöhnlichen Ausbruch der Eigenliebe bald niedergekämpft. In jener mild wohlwollenden Stimmung, die größtentheils ihr eigen war, ging sie zu dem Wohnzimmer zurück, wo die Herren ihr Spiel so eben beendet hatten. Sie hörte hier von dem Hauptmann die Bestätigung der Nachricht des Briefs, daß der Herzog in Kurzem zu Roseneath erwartet werde.
Nach reiflicher Ueberlegung hielt Jeanie es für besser, ihrem Mann jenes furchtbare Geheimniß nicht zu entschleiern, dessen Verschweigen er bei seinem Amte vielleicht nicht für erlaubt halten dürfte. Jeanie hatte Staunton's eigenes Bekenntniß stets heilig geachtet, und bei ruhigem Nachdenken sah sie Effie's Brief aus demselben Gesichtspunkte an, und erwähnte gegen Niemand etwas davon.
Sie schrieb ihrer Schwester, daß sie ihren Brief erhalten, bat sie um öftere Nachrichten, und erzählte ihr Manches von ihrem eigenen häuslichen Leben. Bei diesem Bericht fühlte sie sich sonderbar hin und her gezogen; denn zuweilen entschuldigte sie sich, zu einer Frau von Stande von so unbedeutenden Dingen zu reden; und dann erinnerte sie sich wieder, daß Alles, was sie betreffe, ihrer Schwester nicht unwichtig sein könne. Das Geld zurückzusenden, schien ihr stolz und unfreundlich. Sie nahm sich daher vor, es für ihre Kinder bei Seite zu legen, zu ihrer künftigen Ausstattung, oder um ihnen eine bessere Erziehung zu geben, als ihre eigenen Mittel es erlaubten.
Die nächste Woche führte den Herzog nach Roseneath, und er ließ bald darauf die Bewohner des Pfarrhauses wissen, er werde in der Nachbarschaft desselben jagen, und ein Nachtlager dort annehmen; eine Ehre, welche er ihnen schon einigemal erzeigt.
Effie hatte richtig vorausgesehen. Der Herzog hatte sich kaum zur Rechten der Frau Butler am Tisch niedergelassen, und schnitt eben die fette gemästete Henne vor, welche auserkoren worden, das Mahl bei dieser ehrenvollen Gelegenheit zu zieren, als er von Lady Staunton von Willingham in Lincolnshire zu sprechen begann, und von dem Aufsehen, welches ihr Witz und ihre Schönheit in London machten. Auf Manches hiervon war Jeanie vorbereitet – allein Effie's Witz! dies wäre ihr nie eingefallen, da sie nicht wußte, wie der spöttelnde Witz der höhern Stände den leichtfertigen, schnippischen Reden der niedern ähnlich ist.
»Sie ist jetzt die gefeierte Schönheit dort,« fuhr der Herzog fort; »und in der That überglänzte sie am letzten Geburtsfest des Königs alle andern, die bei Hofe erschienen.«
»Bei Hofe! Am Geburtsfest des Königs!« Jeanie war wie vernichtet, indem sie sich der seltsamen Umstände ihres eigenen Erscheinens vor der Königin, und besonders der Ursache derselben erinnerte.
»Ich erwähne dieser Lady Staunton vorzüglich deswegen,« sagte der Herzog, »weil sie etwas im Ton ihrer Stimme und in ihren Zügen hat, was mich an Sie, Frau Butler, erinnerte. – Doch so bleich müssen Sie nicht aussehen, wie jetzt, wenn die Aehnlichkeit hervortreten soll. Sie haben sich allzusehr bemüht. Sie müssen mir mit einem Glase Wein Bescheid thun.«
Sie that es, und Butler bemerkte, es sei eine gefährliche Schmeichelei für eines armen Pfarrers Frau, wenn Seine Durchlaucht ihr sage, sie sehe einer am Hofe gefeierten Schönheit ähnlich.
»Ei, Herr Butler,« sagte der Herzog, »Sie werden eifersüchtig. Das ist ein wenig zu spät, denn Sie wissen, seit wie langer Zeit ich ein Bewunderer Ihrer Frau bin. Doch ernstlich gesprochen, es findet zwischen ihnen beiden jene unerklärliche Aehnlichkeit Statt, die man zuweilen in zwei völlig verschiedenen Gesichtern findet.«
Jeanie sagte verlegen, es sei vielleicht eine Landsmännin, und die Sprache gebe die Aehnlichkeit.
»Es ist wahr,« erwiederte der Herzog, »sie ist eine Schottin, aus dem unglücklichen Hause von Wintoun. Da sie aber auswärts erzogen worden, kennt sie ihren eigenen Stammbaum so wenig, daß sie mir einige Auskunft darüber verdankt.«
Sich einige Schadloshaltung für das ängstigende Gefühl dieser Augenblicke zu verschaffen, wollte Jeanie wenigstens so viel als möglich von dem Schicksal ihrer Schwester zu erfahren suchen, und sie wagte daher eine Frage über den Gemahl jener bewunderten Frau.
»Er ist sehr reich,« erwiederte der Herzog; »von einem alten Hause und wohl erzogen; doch bei Weitem nicht so beliebt als seine Frau. Er hat etwas Finsteres und Launenhaftes. Er soll in früheren Jahren ein Wüstling gewesen sein, und seine Gesundheit hat gelitten; doch ist er noch immer ein hübscher Mann.«
»Bewundert er seine Gemahlin auch so sehr als Fremde sie bewundern?« fragte Jeanie mit leisem Ton.
»Er soll sie sehr lieben,« sagt man. »Allein ich habe bemerkt, daß sie ein wenig zittert, wenn er sein Auge auf sie richtet, und das ist kein gutes Zeichen. – Doch es ist sonderbar, wie diese Aehnlichkeit mit Lady Staunton sich mir aufdrängt. Man sollte schwören, Sie wären Schwestern.«
Jeanie konnte ihre Bewegung nicht länger verbergen. Der Herzog glaubte sie durch ein unwillkürliches Erinnern an frühere schmerzliche Ereignisse veranlaßt zu haben, und es that ihm weh. Doch hatte er zu viel Welt, sich zu entschuldigen, und eilte nur, das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu lenken.