Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.
Handwahrsagerei.

Versüßt manch lust'ge Mähr und mancher Sang
Den rauhen Pfad, so wünschen wir ihn lang.
Der rauhe Pfad, uns führend in der Runde,
Neckt zaubrisch dann den Schritt auf Feengrunde!

Samuel Johnson.

Am frühsten Morgen hatte Quentin Durward seine kleine Zelle verlassen, hatte die trägen Diener geweckt und, mit mehr als gewöhnlicher Sorgfalt, darauf gesehn, daß Alles für die Reise des Tages in gehörigem Stande war. Gurte, Zäume, das Pferdegeschirr und auch den Beschlag der Pferde hatte er sorglich mit eignen Augen geprüft, damit so wenig als möglich von jenen Zufällen eintreten könnten, die, so gering sie scheinen, oft eine Reise unterbrechen oder hindern. Die Pferde waren auch, unter seiner eignen Aufsicht, sorgfältig gefüttert, um sie zu einer langen Tagereise tüchtig zu machen, oder wenn dieß nöthig werden sollte, zu einer eiligen Flucht.

Darauf begab sich Quentin auf sein eignes Gemach, rüstete sich mit ungewöhnlicher Sorgfalt, und gürtete sein Schwert mit dem Gefühl einer nahenden Gefahr und zugleich mit dem ernstesten Entschlusse, das Aeußerste zu wagen.

Diese hochherzigen Gefühle gaben ihm einen stolzen Gang und ein würdevolles Benehmen, welches die Damen von Croye noch nicht an ihm bemerkt hatten, obwohl sie stets Interesse und hohes Wohlgefallen an der Anmuth und Natürlichkeit seines Benehmens und seiner Unterhaltung im Allgemeinen, sowie an der Mischung einer schlauen Klugheit, die ihm natürlich eigen war, mit der Einfachheit, die auf seiner abgesonderten Erziehung und entlegenen Heimat beruhte, gefunden hatten. Er gab ihnen zu verstehen, es werde nothwendig sein, sich zur Reise an diesem Morgen weit früher als gewöhnlich anzuschicken, und daher verließen sie das Kloster unmittelbar nach dem Morgenimbiß, wofür, so wie für all' die gastfreundliche Bewirthung überhaupt, die Damen ein Altargeschenk gaben, was mit ihrem Range mehr, als mit ihrem jetzigen Aufzuge, übereinstimmte. Doch dieß erregte keinen Verdacht, weil man sie für Engländerinnen hielt, und der Ruf größern Reichthums damals schon den Inselbewohnern so sehr eigen war, wie in unsern Tagen.

Der Prior segnete sie, als sie Abschied nahmen, und wünschte Quentin Glück zu der Abwesenheit seines heidnischen Wegweisers; »denn,« sagte der ehrwürdige Mann, »besser auf dem Pfade straucheln, als sich auf einen Dieb oder Räuber zu stützen.«

Quentin war nicht ganz seiner Meinung; denn obwohl er den Zigeuner als gefährlich kannte, so meinte er doch, seine Dienste brauchen, und zu gleicher Zeit seiner verrätherischen Absicht trotzen zu können, da er einmal nun sah, was jener bezweckte. Aber seine Besorgniß über diesen Gegenstand ward bald geendet, denn der kleine Zug war noch nicht hundert Schritte vom Kloster und Dorfe entfernt, als Maugrabin zu ihnen stieß, der wie gewöhnlich sein kleines, behendes und wild aussehendes Thier ritt. Ihre Straße führte sie denselben Bach entlang, wo Quentin die geheime Unterredung des vorigen Abends belauscht hatte, und noch nicht lange war Hayraddin zu ihnen gestoßen, als sie unter demselben Weidenbaum hinzogen, der Durward als Versteck gedient hatte, als er ein unvermuteter Zuhörer dessen ward, was zwischen dem falschen Wegweiser und dem Lanzknecht verhandelt wurde.

Die Erinnerungen, die der Ort hervorrief, veranlaßten Quentin, ein Gespräch mit dem Wegweiser zu beginnen, den er bisher kaum eines Wortes gewürdigt hatte.

»Wo hast du Nachtquartier gefunden, du unheiliger Schuft?« sagte der Schotte.

»Eure Weisheit kann es errathen, wenn Ihr meinen Mantel betrachtet,« antwortete der Zigeuner, auf sein Kleid deutend, welches mit Heusamen bedeckt war.

»Ein guter Heuboden,« sagte Quentin, »ist ein passendes Bett für einen Sterndeuter, und ein weit besseres, als ein heidnischer Spötter unserer gepriesenen Religion und ihrer Diener überhaupt verdient.«

»Es paßte für meinen Klepper besser, als für mich,« sagte Hayraddin, sein Pferd auf den Hals klopfend; »denn er fand Futter und Obdach zu gleicher Zeit. Die alten glatzköpfigen Narren ließen ihn los, als ob eines weisen Mannes Pferd ein ganzes Kloster voll Esel hätte mit Witz oder Scharfsinn anstecken können. Zum Glück kennt der Klepper meine Pfeife, und folgt mir so treu wie ein Hund; sonst hätten wir uns nicht wieder getroffen, und Ihr hättet Eurerseits nach einem Wegweiser pfeifen können.«

»Ich habe dir mehr als einmal gesagt,« antwortete Durward mit Ernst, »du sollst dein loses Geschwätz im Zaume halten, wenn du dich in anständiger Gesellschaft befindest, was dir, glaub' ich, bis jetzt in deinem Leben selten begegnet sein mag; und ich gebe dir die Versicherung, daß, hielt' ich dich für einen eben so treulosen Wegweiser, als ich einen lästernden und unwürdigen Ungläubigen in dir sehe, mein schottischer Dolch und dein heidnisches Herz schon bekannt mit einander geworden sein sollten, obwohl das Vollbringen einer solchen That eben so unedel sein würde, als das Schlachten eines Schweins.«

»Ein wilder Eber ist einer Sau nah' verwandt,« sagte der Zigeuner, ohne vor dem scharfen Blick, mit dem ihn Quentin betrachtete, das Auge zu senken, oder nur im geringsten die spöttische Gleichgültigkeit, die er in seiner Sprache stets annahm, zu verändern; »und wie viele Menschen,« fügte er hinzu, »finden Stolz, Vergnügen und Vortheil dabei, sie zu erlegen.«

Erstaunt über des Mannes Selbstvertrauen, und ungewiß, ob er von seiner eigenen Geschichte und seinen Empfindungen nicht mehr wissen könne, als ihm angenehm zu besprechen war, brach Quentin eine Unterhaltung ab, worin er keinen Vortheil über Maugrabin gewonnen hatte, und nahm seine gewohnte Stelle zur Seite der Damen wieder ein.

Wir haben bereits bemerkt, daß ein bedeutender Grad von Vertraulichkeit unter ihnen entstanden war. Die ältere Gräfin behandelte ihn (da sie von seiner edeln Geburt überzeugt war,) wie einen begünstigten Standesgenossen; und obwohl ihre Nichte ihre Achtung für den Beschützer weniger frei an den Tag legte, so glaubte doch Quentin, bei all' ihrer Verschämtheit und Schüchternheit, deutlich wahrzunehmen, daß seine Gesellschaft und Unterhaltung ihr keineswegs gleichgiltig war.

Nichts belebt und beseelt die jugendliche Heiterkeit so sehr, als das Bewußtsein, daß sie günstig aufgenommen wird; daher hatte Quentin, während des frühern Theils ihrer Reise, seine schöne Schutzbefohlne mit der Lebendigkeit seiner Unterhaltung und mit den Sagen und Liedern seiner Heimath ergötzt, von denen er die letztern in seiner Muttersprache sang, während seine Bemühung, die ersteren in seinem fremdartigen und unvollkommenen Französisch wiederzugeben, hundert kleine Mißverständnisse und Irrthümer der Sprache veranlaßte, so unterhaltend, wie die Erzählung selbst. Aber an diesem sorgenreichen Morgen ritt er zur Seite der Damen von Croye, ohne die gewöhnlichen Versuche, sie zu unterhalten, zu machen, und es mußte ihnen natürlich sein Schweigen als etwas Außerordentliches auffallen.

»Unser junger Begleiter hat einen Wolf gesehn,« sagte Dame Hameline, auf einen alten Aberglauben anspielend, »und er hat die Sprache darüber verloren.«

»Zu sagen, ich hätte einen Fuchs aufgespürt, wäre passender,« dachte Quentin, ohne dies laut zur Antwort zu geben.

»Befindet Ihr Euch wohl, Herr Quentin?« sagte Gräfin Isabelle in so theilnehmendem Tone, daß sie selbst darüber erröthete, während sie fühlte, daß sie etwas weiter gegangen, als der Abstand zwischen ihnen gestattete.

»Er hat zu lange bei den lustigen Mönchen gesessen,« sagte Dame Hameline; »die Schotten gleichen den Deutschen, die all' ihre Lust beim Rheinwein dran geben, und dann nur wankende Schritte zum Abendtanz und schmerzende Häupter am Morgen in's Frauengemach mitbringen.«

»Nein, schöne Damen,« sagte Quentin; »ich verdiene Euren Tadel nicht. Die guten Mönche waren fast die ganze Nacht bei ihrer Andacht beschäftigt; und was mich betrifft, mein Trank war bloß ein Becher ihres dünnsten und gemeinsten Weines.«

»Die Schlechtigkeit seines Mahles ist's, was ihm die gute Laune geraubt hat,« sagte die Gräfin Isabelle. »Munter, Herr Quentin; und sollten wir je mein altes Schloß von Bracquemont mit einander besuchen, so will ich selber Euer Mundschenk sein, und mein Amt so versehn, daß Ihr einen Becher so edeln Weins haben sollt, wie er nie auf den Höhen von Hochheim oder Johannisberg wuchs.«

»Ein Glas Wasser, edle Dame, von Eurer Hand« – so weit sprach Quentin, aber seine Stimme zitterte; und Isabelle fuhr fort, als ob sie unempfindlich für die zärtliche Betonung des persönlichen Pronomens gewesen wäre.

»Der Wein ward in den tiefen Gewölben von Bracquemont von meinem Urgroßvater, dem Rheingrafen Gottfried, eingelegt,« sagte Gräfin Isabelle.

»Welcher die Hand ihrer Urgroßmutter gewann,« fiel Gräfin Hameline, ihre Nichte unterbrechend, ein, »indem er sich als den besten Sohn der Chevalerie beim großen Turnier zu Straßburg bewies – zehn Ritter waren in den Schranken erschlagen. Aber diese Tage sind vorüber, und Keiner denkt jetzt daran, der Ehre willen Gefahr aufzusuchen, oder die trauernde Schönheit zu retten.«

Diese Rede, die in dem Ton einer modernen Schönheit gehalten ward, deren Reize im Abnehmen sind, und die nun die Rohheit der gegenwärtigen Zeit verdammt, beantwortete Quentin selber; »noch sei,« sagte er, »kein Mangel an jenem Rittergeiste, den Dame Hameline als erloschen zu betrachten scheine, und wäre er auch irgendwo verdunkelt, so würde er doch stets im Herzen schottischer Edelleute glühen.«

»Hört ihn!« sagte die Dame Hameline; »er möchte uns glauben machen, daß in jenem kalten und öden Lande das edle Feuer noch lebt, welches in Frankreich und Deutschland erloschen ist! der arme Jüngling gleicht einem schweizerischen Bergbewohner, der wahnsinnig ist, weil er von der Heimath getrennt – er wird uns nächstens von dem Wein und den Olivenwäldern Schottlands erzählen.«

»Nein, Madame,« sagte Durward; »vom Wein und Oel unserer Berge kann ich wenig mehr sagen, als daß unsre Schwerter diese edlen Produkte als Tribut von unsern reichern Nachbarn erzwingen. Aber was die untadelige Treue und die unerloschene Ehre Schottlands betrifft, so muß ich jetzt erproben, wie weit Ihr ihnen vertrauen könnt, da sie es allein sind, was ich Euch als Bürgschaft Eurer Sicherheit bieten kann.«

»Ihr sprecht geheimnißvoll – Ihr wißt um eine dringende und nahe Gefahr,« sagte Dame Hameline.

»Ich las es schon seit einer Stunde in seinem Auge!« rief die Dame Isabelle, ihre Hände ringend. »Heilige Jungfrau, was wird aus uns werden?«

»Nichts, hoff' ich, als was ihr wünschen könnt,« antwortete Durward. »Und nun sehe ich mich genöthigt, zu fragen, – edle Damen, könnt ihr mir vertrauen?«

»Euch vertraun?« antwortete Gräfin Hameline, »gewiß – doch warum die Frage? oder in wiefern nehmt Ihr unser Vertrauen in Anspruch?«

»Ich meinerseits,« sagte Gräfin Isabelle, »vertraue Euch völlig und ohne Bedingung. Wenn Ihr uns täuschen könnt, Quentin, so will ich an keine Wahrheit mehr glauben, außer im Himmel.«

»Edle Dame,« erwiderte Durward, höchlich zufrieden, »Ihr laßt mir nur Gerechtigkeit widerfahren. Meine Absicht ist, unsre Reiserichtung zu ändern, indem wir direkt am linken Ufer der Maas gen Lüttich ziehen, statt über den Fluß bei Namur zu gehen. Dies weicht ab von des Königs Ludwig Vorschrift und den Instructionen, die er dem Wegweiser gegeben. Aber im Kloster hört' ich Neuigkeiten von Raubgesindel am rechten Ufer der Maas, so wie von dem Marsche burgundischer Soldaten, um jenes zu unterdrücken. Beide Umstände machen mich für Eure Sicherheit besorgt. Hab' ich Eure Erlaubniß so weit von Eurer Reiseroute abzuweichen?«

»Meine vollkommene und unbedingte Erlaubniß,« antwortete die jüngere Dame.

»Nichte,« sagte die Dame Hameline, »ich glaube mit Euch, daß es dieser Jüngling gut mit uns meint; – doch bedenkt Euch – wir überschreiten die Vorschriften König Ludwigs, die er bestimmt und wiederholt gab.«

»Und warum sollten wir seine Vorschriften achten?« sagte Dame Isabelle. »Ich bin, dem Himmel sei Dank, sein Unterthan nicht; und als ich Bittstellerin war, hat er das Vertrauen, welches er mir einzuflößen wußte, gemißbraucht. Ich möchte diesen jungen Herrn nicht beleidigen, indem ich sein Wort auch nur einen Augenblick gegen die Vorschriften jenes schlauen und selbstischen Despoten auf die Wagschale legte.«

»Nun, mag Gott Euch für dieses Wort segnen, Dame,« sagte Quentin erfreut; »und wenn ich das Vertrauen, was es ausspricht, nicht verdiene, so wäre, in diesem Leben mit wilden Pferden zerrissen zu werden, und im künftigen ewige Qualen zu erdulden, noch viel zu gut für mein Verbrechen.«

Mit diesen Worten spornte er sein Roß, und eilte zu dem Zigeuner. Dieser Ehrenmann schien von vorzüglich duldsamem, wo nicht versöhnlichem Charakter. Beleidigung oder Drohung bewahrte sein Gedächtniß nie, oder schien sie wenigstens nicht zu bewahren, und er ging in das Gespräch, welches Quentin jetzt begann, ein, ganz als ob im Laufe des Morgens kein unfreundliches Wörtchen gewechselt worden wäre.

»Der Hund,« dachte der Schotte, »bellt jetzt nicht, weil er beabsichtigt, mit mir auf einmal und für immer fertig zu werden, wenn er mich einmal bei der Kehle packen kann; aber wir wollen noch einmal versuchen, ob wir einen Verräther mit seiner eignen Waffe schlagen können. – Ehrlicher Hayraddin,« sagte er, »du hast zehn Tage mit uns die Reise gemacht und hast uns noch keine einzige Probe von deinem Geschick im Wahrsagen gegeben; und doch seid Ihr Eurer Kunst so ergeben, daß Ihr Eure Gaben in jedem Kloster, wo wir anhalten, darlegen müßt, auf die Gefahr mit einem Nachtquartier im Heuschoppen dafür zahlen zu müssen.«

»Ihr habt noch nie eine Probe meiner Geschicklichkeit von mir verlangt,« sagte der Zigeuner. »Ihr seid, wie alle Uebrigen in der Welt, die sich begnügen, über die Geheimnisse zu lachen, die sie nicht verstehen.«

»Gib mir demnach jetzt einen Beweis deiner Kunst,« sagte Quentin; und, die Hand entblößend, reichte er sie dem Zigeuner hin.

Hayraddin betrachtete sorgfältig alle die Linien, die einander in des Schotten flacher Hand kreuzten, und berücksichtigte, mit eben so gewissenhafter Sorgfalt, die kleinen Erhöhungen oder Anschwellungen an den Wurzeln der Finger, von denen man glaubte, daß sie so genau mit dem Charakter, den Gewohnheiten des Individuums zusammenhangen, als man es von den Gehirnorganen in unsern Tagen behauptet.

»Hier ist eine Hand,« sagte Hayraddin, »die von erduldeten Mühseligkeiten und bestandenen Gefahren redet. Ich lese in ihr eine frühe Bekanntschaft mit dem Schwertgriff; und gleichwohl auch einige Bekanntschaft mit den Spangen des Meßbuchs.«

»Was mein vergangenes Leben betrifft, könnt Ihr irgendwo gehört haben,« sagte Quentin. »Sagt mir etwas von dem zukünftigen.«

»Diese Linie, vom Venusberg entspringend,« sagte der Zigeuner, »die nicht abgebrochen, sondern der Lebenslinie folgt und sie begleitet, verspricht ein sicheres und großes Glück durch Heirath, wobei der Betheiligte unter die Reichen und Vornehmen durch den Einfluß glücklicher Liebe erhoben werden soll.«

»Solche Verheißungen gebt Ihr Allen, die Euch um Rath fragen,« sagte Quentin; »das gehört zu Eurer Kunst.«

»Was ich Euch sage, ist so gewiß,« sagte Hayraddin, »als daß Ihr in kurzer Zeit von großer Gefahr bedroht sein werdet; dieß erseh' ich an dieser schönen blutrothen Linie, welche die Tafellinie quer durchschneidet und Schwerthiebe bedeutet, oder sonstige Gewaltthat, von der Euch nur die Hülfe eines treuen Freundes retten wird.«

»Du selber, ha?« sagte Quentin, etwas unwillig, daß der Chiromantist so mit seiner Leichtgläubigkeit spielen, und seinen eignen Ruhm darauf gründen wollte, daß er die Folgen seiner eignen Verrätherei voraussagte.

»Meine Kunst,« sagte der Zigeuner, »sagt mir nichts, was mich selber betrifft.«

»Dann übertreffen in dem Punkte die Seher meiner Heimath Eure gerühmte Kenntniß,« sagte Quentin; »denn ihre Kunst lehrt sie auch die Gefahren, die ihnen selber drohen. Ich verließ meine Berge nicht, ohne etwas vom doppelten Gesicht, womit ihre Bewohner begabt sind, gelernt zu haben, und ich will dir eine Probe davon geben, als Lohn für dein Probestück der Handwahrsagerkunst. Hayraddin, die Gefahr, welche mir droht, liegt am rechten Ufer des Flusses – ich will sie vermeiden, indem ich am linken Ufer nach Lüttich reise.«

Der Wegweiser hörte mit einer Apathie zu, die Quentin, der die Umstände, worin sich Maugrabin befand, kannte, nicht begreifen konnte. »Wenn Ihr Euren Vorsatz ausführt,« war des Zigeuners Antwort, »dann wird die gefährliche Krisis von Eurem Schicksal auf das meine übergehn.«

»Ich dächte,« sagte Quentin, »Ihr hättet eben erst geäußert, daß Ihr Euer eignes Geschick nicht vorher ahnen könntet?«

»Nicht auf die Weise, auf welche ich Euch eben das Eurige weissagte,« antwortete Hayraddin; »aber es erfordert wenig Kenntniß Ludwig's von Valois, um zu prophezeien, daß er Euren Wegweiser hängen wird, weil Euer Wille war, von der Straße, die er vorschrieb, abzuweichen.«

»Wird mit Sicherheit die Absicht der Reise erreicht und ihr glückliches Ende versichert,« sagte Quentin, »so muß dies Verzeihung bringen für eine Abweichung von der genauen Linie der Reiseroute.«

»Ja,« erwiderte der Zigeuner, »wenn Ihr gewiß seid, daß der König dasselbe Ende der Pilgerschaft, welches er Euch vertraute, im Auge hat.«

»Und welches andere Ende könnte er möglicherweise im Sinne haben? oder woher könntet Ihr vermuthen, daß er irgend einen Plan in Gedanken hat, der abweicht von dem, den seine Weisung angab?« so forschte Quentin.

»Ich sage nur,« erwiderte der Zigeuner, »daß diejenigen, die den allerchristlichsten König nur einigermaßen kennen, wohl wissen, daß die Absicht, woran ihm am meisten liegt, stets die ist, welche er am wenigsten gern kund thut. Laßt unsern gnädigsten Ludwig zwölf Gesandtschaften absenden, und ich will dem Galgen meinen Hals ein Jahr vor der Zeit geben, wenn eilf von ihnen nicht einen andern Grund haben, als mit der Feder im Beglaubigungsschreiben aufgezeichnet ist.«

»Mich kümmert dein schlechter Argwohn nicht,« antwortete Quentin; »meine Pflicht ist mir klar und bestimmt übertragen – ich soll diese Damen sicher nach Lüttich geleiten; und ich nehme es auf mich, wenn ich diesen Zweck dadurch am Besten zu erreichen meine, daß ich unsre vorgeschriebene Route verändere und mich an der linken Seite des Maasstroms halte. Es ist überdies gerade der Weg nach Lüttich. Gehen wir über den Fluß, so verlieren wir Zeit und machen uns größere Beschwerde ohne Nutzen. – Warum sollten wir das?«

»Blos, weil Pilgrime, wie sie sich nennen, die nach Cöln gehn,« sagte Hayraddin, »gewöhnlich nicht weit von der Maas hinabgehn; und weil demnach die Route der Damen das Gegentheil von dem sagen würde, wofür sie sich ausgeben.«

»Wenn man dafür Rechenschaft von uns forderte,« sagte Quentin, »so wollen wir sagen, Besorgnisse vor dem bösen Herzog von Geldern, oder vor Wilhelm von der Mark, oder vor den Ecorcheurs und Lanzknechten, die am rechten Ufer der Maas hausen, rechtfertigen es, daß wir uns am linken halten, statt auf der beabsichtigten Route.«

»Ganz wie Ihr wollt, mein guter Herr,« erwiderte der Zigeuner, »ich für meinen Theil bin ebenso bereit, Euch am linken hinab oder am rechten hinab zu weisen. – Eure Entschuldigung bei Eurem Herrn werdet Ihr selber schon zu machen wissen.«

Quentin, obwohl sehr überrascht, war zu gleicher Zeit erfreut über diese bereitwillige, oder wenigstens nicht widerstrebende Annahme zum Wechsel der Richtung, denn er brauchte Hayraddin's Beistand als Wegweiser, und hatte doch gefürchtet, die Vereitelung seiner beabsichtigten verrätherischen That möchte ihn zum Aeußersten treiben. Ueberdies würde, den Zigeuner aus ihrer Gesellschaft zu verjagen, das Mittel gewesen sein, den Wilhelm von der Mark, mit dem jener correspondirte, auf ihren Weg zu führen; blieb aber Hayraddin bei ihnen, so glaubte Quentin den Schwarzen von aller Gemeinschaft mit Fremden abhalten zu können.

Nachdem man also alle Gedanken an die ursprünglich angenommene Richtung aufgegeben, so schlug die kleine Gesellschaft die am linken Ufer der breiten Maas ein, und zwar so rasch und glücklich, daß schon der nächste Morgen sie zu dem beabsichtigten Reiseziele brachte. Sie fanden, daß der Bischof von Lüttich, wie er selber angab, seiner Gesundheit wegen, doch vielleicht eher noch, um eine Ueberrumpelung von Seiten der zahlreichen und meuterischen Bevölkerung der Stadt zu vermeiden, seine Residenz in seinem schönen Schlosse Schönwald, etwa eine Meile von Lüttich, aufgeschlagen hatte.

Gerade als sie dem Schlosse naheten, sahen sie den Prälaten in einer langen Procession aus der benachbarten Stadt zurückkehren, wo er ein feierliches Hochamt gehalten hatte. Er befand sich an der Spitze eines glänzenden Zuges von Geistlichen, Civil- und Militärbeamten, untereinander gemischt, oder, wie es der alte Balladen-Dichter ausdrückt:

»Mit manchem Kreuzesträger vorn,
Und manchem Speer dahinten.«

Die Procession gewährte einen stattlichen Anblick, wie sie, den grünen Ufern der breiten Maas entlang ziehend, sich, als würde sie verschlungen, in das hohe gothische Portal der bischöflichen Residenz verlor.

Doch als die Reisenden näher kamen, fanden sie, daß so manche Umstände rings um das Schloß Besorgniß und ein Gefühl der Unsicherheit verriethen, welche der Entfaltung von Pomp und Macht, wovon sie eben Zeuge gewesen, widersprachen. Starke Wachen von des Bischofs Söldnern waren sorgfältig rings um das Gebäude und in dessen unmittelbarer Nachbarschaft aufgestellt; und dieses kriegerische Ansehn einer geistlichen Residenz schien zu beweisen, daß der ehrwürdige Prälat Gefahren fürchtete, weil er es nöthig fand, sich so mit kriegerischen Vertheidigungsmaßregeln zu umringen. Nachdem Quentin die Damen von Croye angemeldet hatte, wurden sie ehrerbietig in die große Halle geführt, wo sie vom Bischof die herzlichste Aufnahme fanden, der sie an der Spitze seines kleinen Hofes empfing. Er wollte ihnen nicht gestatten, seine Hand zu küssen, sondern bewillkommte sie auf eine Weise, die etwas von der Galanterie eines Fürsten gegen schöne Frauen, so wie auch etwas von der Zuneigung eines Hirten gegen die Schwestern seiner Heerde hatte.

Ludwig von Bourbon, der regierende Bischof von Lüttich, war in Wahrheit ein großmüthiger und milder Fürst; sein Leben hatte sich allerdings nicht immer mit strenger Genauigkeit in den Gränzen seines geistlichen Berufs gehalten; trotzdem aber hatte er immer den offenen und ehrenhaften Charakter des Hauses von Bourbon, aus welchem er stammte, behauptet.

In spätern Zeiten, bei vorgerücktem Alter, hatte der Prälat Gewohnheiten angenommen, die mehr ein Mitglied der Hierarchie bezeichneten, als seine frühere Regierungsperiode gezeigt hatte, und bei den benachbarten Fürsten war er beliebt als ein stattlicher Geistlicher, edel und prachtliebend in seiner gewöhnlichen Lebensweise, obwohl er keine ascetische Strenge des Charakters blicken ließ, und mit einem ruhigen Gleichmuth regierte, der bei seinen reichen und aufrührerischen Unterthanen rebellische Pläne mehr aufmunterte als demüthigte.

Der Bischof war ein so enger Verbündeter des Herzogs von Burgund, daß der letztere fast eine gemeinschaftliche Oberherrschaft in seinem Bisthum übte, und die gutmüthige Ruhe, mit welcher der Prälat Ansprüche gelten ließ, die er leicht hätte bestreiten können, dadurch lohnte, daß er bei jeder Gelegenheit mit dem entschlossenen und heftigen Eifer, der ein Theil seines Charakters war, seine Partei nahm. Er pflegte zu sagen, er betrachte Lüttich wie sein eigen, den Bischof wie seinen Bruder, (in der That konnten sie als solche gelten, da des Herzogs erste Gemahlin des Bischofs Schwester gewesen war,) und daß Jeder, der den Ludwig von Bourbon beleidige, es mit Karl von Burgund zu thun habe: – eine Drohung, welche in Betracht des Charakters und der Macht des Fürsten, der sie aussprach, jeden Andern in Furcht gesetzt haben würde, nur die reichen und unzufriedenen Bürger Lüttichs nicht, wo der viele Reichthum, nach dem alten Sprichworte, den Verstand erdrückte.

Der Prälat versicherte, wie wir gesagt haben, den Damen von Croye, daß er sich, so weit es sein Einfluß am Hofe von Burgund nur immer gestatten möge, für sie verwenden werde, und daß er hoffe, seine Verwendung werde um so wirksamer sein, da Campobasso, nach einigen neuern Entdeckungen, in des Herzogs persönlicher Gunst tiefer als früher stände. Er versprach ihnen überdies so viel Schutz, als immer in seiner Macht sein werde; aber der Seufzer, mit welchem er dies Versprechen gab, schien zu gestehn, daß seine Macht weit prekärer sei, als er es in Worten bekennen möge.

»Auf alle Fälle, meine theuersten Töchter,« sagte der Bischof mit einer Miene, worin sich, wie in seinem ersten Gruße, geistliche Salbung mit der erblichen Galanterie des Hauses Bourbon mischte, »soll der Himmel verhüten, daß ich das Lamm dem gottlosen Wolf überließe, oder edle Damen der Unterdrückung der Schlechten. Ich bin ein Mann des Friedens, obwohl mein Haus jetzt von Waffen erklingt; doch seid versichert, ich werde für eure Sicherheit wie für meine eigne sorgen; und sollten sich die Dinge hier verwickelter gestalten, wiewohl sich, mit unserer Frauen Gnade, hoffentlich Alles eher beruhigen, als entflammen wird, so wollen wir euch sicheres Geleit nach Deutschland verschaffen; denn auch selbst der Wille unsers Bruders und Beschützers, Karls von Burgund, soll uns nicht bestimmen, etwas wider eure eigne Neigung zu verfügen. Euer Gesuch, euch in ein Kloster zu senden, können wir nicht erfüllen; denn ach! so groß ist der Einfluß der Belialskinder unter Lüttichs Bewohnern, daß wir kein Asyl kennen, wohin unser Ansehn sich erstreckte, außer den Gränzen unsers eigenen Schlosses und dem Schutze unsers Kriegsvolks. Hier aber seid ihr höchlich willkommen, und euer Gefolge soll ehrenvoll unterhalten werden; vorzüglich dieser junge Mann, den ihr unserer Huld so ausdrücklich empfehlt, und dem wir insbesondere unsern Segen ertheilen.«

Quentin kniete, wie sich geziemte, nieder, um den bischöflichen Segen zu empfangen.

»Was euch selbst betrifft,« fuhr der gute Prälat fort, »so sollt ihr hier bei meiner Schwester Isabelle wohnen, einer Stiftsdame von Trier, und bei ihr könnt ihr euch in allen Ehren aufhalten, selbst unter dem Dach eines so fröhlichen Junggesellen, wie der Bischof von Lüttich.«

Höflich geleitete er die Damen nach den Gemächern seiner Schwester, nachdem er seine Bewillkommnungsrede geendigt hatte; und sein Haushofmeister, ein Beamter, der, im Range eines Diakonus, die Mitte zwischen weltlichem und geistlichem Charakter hielt, bewirthete Quentin mit der von seinem Herrn anbefohlenen Gastfreundschaft, während die übrigen Personen des Gefolges der Damen von Croye der Sorge der untern Dienerschaft anvertraut wurden.

Bei diesen Einrichtungen konnte Quentin nicht umhin zu bemerken, daß die Gegenwart des Zigeuners, so verachtet und gehaßt sie in den Klöstern auf dem Lande war, in dem Haushalt dieses reichen, und vielleicht könnten wir sagen weltlichen, Prälaten, weder Anstoß noch überhaupt Anlaß zu einer Bemerkung zu geben schien.


 


 << zurück