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In einem schmalen Thalgrunde des Waldgebirges lag in einiger Entfernung vom Ende des Dorfes eine alte Wassermühle. Der Bach brauste recht ungestüm und schäumend über das Rad hin, denn es war die erste Arbeit, welche er nach seinem fröhlichen Waldleben und seinen vielen lustigen Sprüngen über die Felsen zu thun hatte; aber sein unmuthiges Rauschen und Brausen half ihm nichts, und er mußte doch die Säge treiben, welche seine Freunde, die schönen Waldbäume, in lange, weiße Bretter zerlegte.
Es war ein schöner, sonniger Frühlingsmorgen; der bläuliche Rauch aus dem Schornstein des Müllerhauses stieg gerade auf in die Luft, sich hell gegen die dunkle Tannenwand des Abhangs abhebend, – auf dem bemoosten Schindeldach sonnten sich gurrend die weißen Tauben, der Bach brauste über das Rad hin und sprühte Schaum und Staub in den Sonnenschein. – Da kam ein junger Wandersmann das Thal hinauf durch das Dorf geschritten; dem gefiel es hier so ausnehmend, daß er zu sich selber sprach: »Hier werde ich bleiben!«
In der Mühle lebte ein alter Müller mit seiner Frau, einem Müllerburschen und einer Magd; ihre Kinder waren auswärts verheirathet. Der junge Mann, welcher Walter hieß und im Gebirge Pflanzen und Steine sammeln wollte, gefiel den alten Leuten so, daß sie auf seine Bitte, ihn einige Wochen für Geld und gute Worte zu beherbergen, ihm gern ein Kämmerlein einräumten und ihn auch an ihrem Tische mit essen ließen. Besonders der Müllerin gefiel er wohl, denn er hatte ein ernstes, schönes Gesicht, dunkle, tiefe Augen, volles, braunes Haar und ein so feines, artiges Betragen, daß man gleich merken mochte, er sei guter Leute Kind. Aber er sprach nicht viel und war auch nicht viel zu Hause, denn die ganzen Tage streifte er im Gebirge umher und kam oft erst am Abend spät nach Hause, schwer beladen mit Pflanzen, Steinen und dergleichen in ihren Augen unnützen Dingen.
Zuweilen ging er auch mit dem alten Müller des Abends ins Wirthshaus, trank einen Schoppen Wein mit ihm und hörte den Gesprächen der Bauern zu, welche über Flur und Feld und Nachbarn, nach Bauernart sich unterhielten.
Eines Abends kam dort das Gespräch auf allerlei Sagen und Märchen, die man sich in der Gegend erzählte: von dem Mann ohne Kopf, der weißen Frau und unendlichen Schätzen, welche in einer alten Ruine von Geistern bewacht wurden und dergleichen. »Die merkwürdigste Geschichte von allen aber ist die von der blauen Blume,« sagte ein alter, weißköpfiger Bauer endlich, »es müssen jetzt bald fünfzig Jahre her sein, aber ich weiß es noch wie heute, als sie die Nachricht brachten, daß der junge Jäger des Grafen todt am Bach gefunden worden sei, die blaue Blume in der Hand. Acht Tage vorher hatte er, wie man nachher erfuhr, einem Freunde sein Geheimniß anvertraut.«
Walter ward aufmerksam. »Wie ist die Geschichte?« fragte er, die blaue Blume machte ihn neugierig.
»Weiter hinauf in den Bergen,« sprach der Greis, »kommt der Bach, der hier unten die Mühle treibt, durch einen schmalen Felsenspalt aus einem ringsum unzugänglichen, von hohen, steilen Felsenwänden eingeschlossenen Thale. Es ist eine wilde Gegend ringsum und nicht geheuer dort, weshalb auch selten von uns Jemand hinkommt. In diesem Thal, sagt man, und wir glauben es Alle, was auch die klugen Leute dagegen reden mögen, wohnt eine schöne Frau aus dem Geschlechte der Nixen. Dort blühen Sommer und Winter die schönsten Rosen und andere Blumen, und es ist immer schönes Wetter dort. Ein kecker Bursch aus unserem Dorfe, welcher sich so leicht nicht fürchtete, hat einmal im Winter durch den Spalt hineingesehen, und da ist ihm eine warme Sommerluft daraus entgegengeweht und er hat Vögel singen hören, während draußen scharfes Frostwetter war. Dann hat ihn aber ein Grauen angewandelt, und er ist rasch davongelaufen und hat nicht eher geruht, bis er wieder unter Menschen gekommen ist.«
»Aber die blaue Blume,« fragte Walter, »was hat es denn damit für eine Bewandtniß?«
»Junger Mann«, antwortete der Greis, »nehmt euch mir in Acht, daß ihr sie nicht einmal findet bei euren Streifereien, denn es möchte euch große Gefahr daraus erwachsen. Wer nämlich die Blume findet und vernichtet sie nicht gleich, sondern nimmt sie zu sich, den verzehret eine unsinnige Liebe zu dem schönen Nixenweibe und es hat noch Jedem den Tod gebracht, der sie besessen hat.«
»Wie sieht denn diese Blume aus?« fragte Walter.
Das wußte ihm aber Keiner recht zu sagen; der Alte meinte wie eine Glocke, ein Anderer, wie eine Rose, der Dritte wie ein Stern, der Eine nannte sie dunkel-, der Andere hellblau, so daß Walter endlich lachte und meinte, das sei auch wohl so eine Geschichte, wie viele: die Hälfte nicht wahr und die andere Hälfte erlogen. Und dann sprachen sie von anderen Dingen.
Walter dachte bald gar nicht mehr an diese Geschichte und lebte ruhig in seiner Weise fort.
An einem schönen Frühlingsmorgen ging er frühe am Bach entlang, er wollte einmal seinen Lauf nach aufwärts verfolgen, wohin er noch nie gekommen war. Zuerst führte ein ebener Weg neben dem Gewässer her, der bog aber bald in ein Seitenthal, und nun stieg Walter in einem gewaltigen Bergeinschnitt neben dem rauschenden Wasser aufwärts. Nach einiger Zeit verstummte das Geräusch der Sägemühle, welches er noch immer gehört hatte, und nun war er allein mit dem Rauschen, Rieseln und Plätschern des Baches. Der war fast wie ein lebendes Wesen, wenn er Walter bei einer Windung der Schlucht plötzlich entgegensprudelte, oder wenn er zwischen mächtigen Felstrümmern sich ganz verlor und nur zuweilen hervorblitzte; sein Rauschen und Plätschern klang wie ein wirres, liebliches Geschwätz.
Allmählich ward es immer wilder und schroffer. Zu beiden Seiten ragten die mit bemoosten Steinblöcken bedeckten Abhänge. Zwischen den Felsen waren urmächtige Tannen aufgewachsen und spannten sich oft mit ihren Wurzeln wie mit riesigen Krallen über sie hin; hoch durch das starrende Gewirr ihrer Zweige und Aeste konnte man kaum den blauen Himmel schimmern sehen. Eine grüne Dämmerung herrschte dort und nur zuweilen gelang es der Sonne, ein langes, schmales Licht hineinzusenden.
Walter war ermüdet von dem Auf- und Abklettern über die Felsen; er setzte sich auf einen recht einladenden Stein dicht am Wasser, welches vor ihm in einem kleinen Fall in breiterer Fläche über einen glattgespülten Felsen geschossen kam. Aufwärts konnte er nicht sehen, denn er saß an einer Biegung, aber abwärts konnte er den Bach eine Strecke verfolgen, bis er nach tausend rauschenden Sprüngen und Fällchen unten um den Felsenvorsprung bog.
Ihm war so wunderbar zu Muthe, so sehnsüchtig ums Herz, und es war ihm, als wolle der Bach mit seinem Gesange etwas Schönes und Wunderbares erzählen, er könne es nur nicht verstehen.
Oben in einer Tanne hörte er Geräusch; es waren zwei spielende Eichhörnchen; kaum konnte er die kleinen rothen Gesellen in der gewaltigen Höhe erkennen. Sie kamen allmählich den Baum hinab, liefen endlich am Stamm herunter und huschten dicht vor Walter auf den knorrigen, bemoosten Wurzeln des Baumes umher. Dann kam auch ein Specht geflogen, ein schwarzer mit rother Kappe, der lief an dem Baumstamm in die Höhe und hämmerte daran. Walter schaute bald den Thieren zu, bald in das gleitende Wasser, bald horchte er auf Klänge, welche aus der Ferne durch den Wald hallten, ihm war immer, als höre er weit weit im Waldgrunde seinen Namen rufen. Mit einem Male wehte es ihn an wie Rosenduft, und ein rother Schimmer schien über das Wasser zu gehen, und nun plötzlich sah er eine rothe Rose den Wasserfall hinabgleiten und den Bach hinunter schwimmen. Er verwunderte sich, denn es blühten sonst noch nirgendwo welche; da kamen noch mehr Rosen, und mehr und mehr, und dann drängten sie sich ordentlich über den Felsen, glitten hinab und schwammen den Bach entlang; als Walter hinuntersah, war derselbe mit Rosen schon über und über bedeckt. Er saß ganz betäubt da vor Erstaunen, und sah starr auf das endlose Rosengewimmel, daß ihn fast schwindelte.
Da ward mit einem Male ein wundersames blaues Leuchten ringsum bis in die Kronen der Tannen und ein herrlicher, betäubender Duft verbreitete sich; es ward ein Singen und Klingen in der Luft, die Rosen verschwanden und der Bach glitt und sprühte wie leuchtendes blaues Feuer dahin.
Eine unnennbare Unruhe ergriff Walter: ihm war, als müsse ihm ein gewaltiges Glück begegnen; er sprang auf, um ihm entgegen zu eilen. Da sah er etwas, wie einen strahlend blauen Stern, im Wasser sich entgegenschwimmen; von ihm schien alles Licht auszugehen. Er griff danach und hielt eine seltsame blaue Blume in der Hand, wie er noch nie eine gesehen hatte. Sogleich war auch aller Lichtschein verschwunden, der Bach sprühte und rauschte wie gewöhnlich und weder Rosen noch andere Blumen waren in ihm zu sehen. Aber den gewaltigen Duft hatte die Blume behalten, Walter sog ihn in vollen Zügen ein und eine wilde Sehnsucht kam über sein Herz, es trieb ihn weiter dem Laufe des Baches entgegen zu dringen, denn dort war diese wunderbare Blume hergekommen.
Er kletterte hastig über die Felsen dahin und spürte keine Ermüdung. Seine Brust wogte ungestüm, seine Augen glühten und die dunklen lockigen Haare wallten ihm über die Stirn. Immer wilder und einsamer ward es ringsum. Fast senkrecht ragten die Wände an beiden Seiten; kein Sonnenstrahl fand den Weg hinein, sein Licht auf dem wild daher brausenden Bach tanzen zu lassen.
Endlich hatten sich die Felsenwände so weit zusammengeschoben, daß keines Menschen Fuß mehr neben dem Bache wandeln konnte, der aus einer mannsbreiten Spalte wild daher geschossen kam. Aufathmend stand Walter da und ließ seine Augen an der steilen Fläche hinaufschweifen; fern durch den Felsenspalt leuchtete ihm wie ein lichter Streif der sonnige Tag entgegen, eine warme, duftdurchhauchte Sommerluft wehte daraus hervor, und von den wechselnden Luftwellen getragen, tönte ein süßer, ferner Gesang zuweilen herüber.
Er sprang kühn in den Bach hinab und versuchte, sich gegen die ungestüme Fluth Bahn zu brechen, aber wild schleuderte ihn das Gewässer zurück und warf ihn gegen einen Felsen, daß er vom Falle fast betäubt ward.
Er raffte sich wieder auf und, indem er sich mit der einen Hand an den Felsen lehnte, schaute er, weit vorgebeugt, sehnsüchtig auf jenes Unerreichbare, welches ihm so hold entgegenlachte. Zufällig berührte er dabei mit der blauen Blume die Felsen – da schoben sich diese geräuschlos auseinander und ließen neben dem Bache einen schmalen Pfad frei.
Walter traute seinen Augen kaum, und eben wollte er den wunderbaren Pfad betreten, als er unwillkürlich zauderte, denn die Erzählung des Alten kam ihm plötzlich in den Sinn. Nachdenklich betrachtete er die blaue Blume in seiner Hand – sie habe noch Jedem den Tod gebracht, hatte der Alte gesagt. Dann blickte er wieder auf in den Sonnenschein vor sich; ihm war, als riefe es dort mit lockenden Stimmen, als zöge es ihn sanft dorthin mit schmeichelnden Händen, die wilde Sehnsucht kam wieder über ihn und ehe er sich es versah, hatte er den verhängnißvollen Schritt gethan. In trunkenem Staunen blickte er um sich, als er das Ende des Felsenspaltes erreicht hatte; eine schöne, blühende Natur schimmerte ihm entgegen. Eingeschlossen von steilen, ragenden Felsenwänden lag dort ein kleines Thal, wunderherrlich wie ein Stück vom Garten des Paradieses. Ueberall Rosen und blühende Rosen, Sonnenschein, Klang, Duft und Farbe; ein leichter Rosenhauch schien über dem Ganzen zu schweben. So einsam, so abgeschlossen lag es da, so fern dem Treiben der Welt, so in sich selbst und seine eigene Schönheit versunken, daß man an diesem Orte wohl die ganze Welt vergessen konnte.
Wie im Traume ging Walter in dem weichen Grase einher. Die Vögel, welche in den Zweigen der Rosensträucher saßen und sangen, ließen sich durch ihn nicht stören, sondern wendeten nur im Singen den Kopf nach ihm und sahen ihn mit klugen Augen an; aus dem Bache, der jetzt schnell aber sanft daherfloß, steckten blitzende Fischlein die Häupter und schauten ihm nach, und die Schmetterlinge umflogen ihn ohne Scheu und setzten sich auf seine Kleider.
Der Bach kam aus einem klaren Weiher in der Mitte des Thales geflossen; hier lagen bemooste, von Rosen überrankte Felsentrümmer verstreut; auf einen derselben setzte sich Walter. Sein Herz pochte in seliger, sehnsüchtiger Unruhe, als müsse ihm ein Wunderholdes begegnen; er schaute sich um in der Erwartung, es möge kommen. Aber es war Alles so einsam dort, da war nur die sonnige, rosige Luft und Blühn und Gesang und Gemurmel des Baches. Fernerhin ragten die stillen, sonnbeschienenen Bergwände steil auf; und auf ihrem Gipfel hoben sich frei und luftig einzelne Fichten gegen den blauen Himmel ab.
In seiner Nähe stand ein herrlicher Rosenstrauch, über und über mit blaßrothen Blüthen bedeckt, daß man fast keine Blätter sah; ein rankendes Gewächs hatte sich an ihm emporgewunden und ließ oben zwei herrliche blaue Blumen aus dem Roth hervorscheinen. Seine blaue Blume fiel ihm ein; er hielt sie noch in der Hand und sah nun, daß es dieselbe war, wie dort in den Rosen. Sorgfältig barg er sie jetzt in seiner Brusttasche.
Von dem schönen Rosenstrauche konnte er kein Auge verwenden; es war ihm, als müsse dort das süße Geheimniß verborgen liegen. Wie er so darauf hinstarrte, schienen die rothen Rosen in einander zu fließen und zu schwimmen, und die blauen Blumen schauten ihn wie ein Paar tiefe Augen an; es schimmerte wie Sonnengold darüber hin, und nun trat ein wunderherrliches Weib in fließendem blaßrothen Gewande, mit langhinwallendem Goldhaar dahinter hervor. Sie hob den weißen Arm zum Gruß und trat ihm entgegen.
»Ich wußte, daß du kommen würdest, ich rief dich!« sprach sie.
Walter war aufgestanden und schaute dem schönen Weibe entzückt ins Gesicht.
»Woher kennst du mich, du Herrliche?« rief er, »ich sah dich nie!«
»Aber ich sah dich oft,« sprach sie, indem sie neben einander hinwandelten, »wenn du unter einem Baume saßest und nur Augen hattest für deine Blumen, lag ich oft neben dir auf einem sonnbeschienenen Zweige und sah dir zu; ich bin oft neben dir gewandelt, wenn du über die sonnige Wiese gingst und du meintest, es sei ein leiser Windhauch. Heute saß ich über dir am Bach und ließ Rosen hinabschwimmen – sieh' so!« – damit strich sie über ihr Gewand und so wie sie dasselbe berührte, quollen Rosen unter ihren Händen hervor und glitten zur Erde.
Walter sah sich um; die Schlangenlinie, aus welcher sie durch das Gras gewandelt waren, war durch Rosen bezeichnet.
Die schöne Frau lächelte und winkte mit der Hand, da zergingen sie in der Luft wie ein rosiger Nebel.
Sie standen jetzt am Weiher und schauten beide in den klaren Wasserspiegel. Walter erblickte sein gebräuntes dunkles Antlitz drunten neben dem schönen rosigen, von Goldhaar umwallten – unwillkürlich schaute er dem schönen Weibe in die Augen. Die schauten ihn an so sieghaft und verzehrend, des Mundes schöne Rose neigte sich ihm entgegen und er beugte sich nieder und küßte sie.
»Du bist mein!« sprach sie dann, »du bist mein!« ihre blauen Augen leuchteten ihn an, ihr voller, weicher Arm schlang sich um seinen Nacken und so wandelten sie weiter. Sie sprachen nicht mehr viel, nur zuweilen blieben sie stehen, sahen sich in die Augen und küßten sich. Dann setzten sie sich nieder auf einen schwellenden Moossitz am Wasser und kosten mit einander; sie wand ihr langes Goldhaar um seinen Hals und gab ihm die süßesten Schmeichelnamen; bald blickten ihn die schönen blauen Augen verzehrend an, bald glühte der rothe, unersättliche Mund auf dem seinen und im Herzen entbrannte wie mit Feuersflammen eine gewaltige, sinnbethörende Liebe zu dem verführerischen Weibe. Die ganze Welt lag in rosenrothem Schimmer, Walter schwindelte das Herz in der Brust und es vergingen ihm die Sinne.
Auf welche Weise er wieder in das Dorf zurück und in seine Wohnung zu den guten Müllersleuten gekommen war, vermochte Walter am anderen Tage sich nicht zu erklären. Als er an sein Erlebniß zurückdachte, meinte er es für einen wunderherrlichen Traum halten zu müssen, obgleich er die blaue Blume in seiner Tasche fand. Eine verzehrende Sehnsucht und Unruhe hatte sich seiner bemächtigt und unwillkürlich suchte er wieder den gestrigen Weg auf, und als er wieder dort war, wo der Bach hervorbrauste, rührte er die Felsenwand mit seiner welken Blume an, aber Alles blieb starr und stumm, nur eine Elster, welche hoch über ihm durch die Wipfel der Bäume flatterte, erhob ihre Stimme und schien ihn auszulachen.
Plötzlich fiel ihm Alles ein, dessen er sich vorhin nicht erinnern konnte, und daß jenes schöne Weib ihn gewarnt habe zu irgend Jemand von seinem Glück zu sprechen, wenn er es nicht gänzlich zerstören wolle. Die blaue Blume würde ihn rufen. Wenn die aufblühe und dufte, dann solle er kommen, und das Felsenthor würde sich vor ihm aufthun, bleibe sie aber welk, so würde er vergeblich pochen.
Nun wandelte Walter nur noch wie im Traum auf der Welt umher. Er ging seinen gewohnten Beschäftigungen mechanisch nach, aber seine Seele war nicht mehr dabei. Hundertmal am Tage nahm er die blaue Blume hervor und schaute sie an und wenn sie dann wunderbar erblühte und den herrlichen Duft aushauchte, erfaßte ihn die unbezwingliche Sehnsucht und trieb den Willenlosen über Felsen und Gründe zu seiner schönen Geliebten.
Er saß gern am Ufer des Baches und schaute in sein sprudelndes Wasser; es kam ja aus ihrem Thale, er dachte nur an ihre Rosenschönheit und ihre sieghaften blauen Augen. Zuweilen überkam ihn ein triumphirendes Gefühl, wenn er dachte, daß ihn ein so herrliches Wesen liebe, und er stieg gern auf hohe Felsenspitzen und jubelt eins Weite hinaus.
So hatte er einige Zeit im Taumel der Wonne gelebt, als er eines Abends wieder im Wirthshaus allein und träumerisch an einem Tische saß und in sein Weinglas starrte, aus dessen Grunde ihm ihr Antlitz entgegenzulächeln schien.
An einem andern Tische hatte sich eine Anzahl junger Burschen aus dem Dorfe eingefunden, welche, vom Weine angeregt, laut sprachen und lachten. Bald kam das Gespräch auf Liebesabenteuer, und einer der schmucksten Bursche des Dorfes, welchem der Wein schon zu Kopfe stieg, fing an von seinem Glück bei den Mädchen zu prahlen; Andere mischten sich hinein und rühmten sich gleichfalls. Walter hatte unwillkürlich zugehört; ihm schien das so nichtig, dessen sie sich rühmten, wenn er an seine Liebe dachte. Ihn überkam ein stolzes, verachtendes Gefühl, wie die da weiter schwatzten.
Da sah der eine Bursche lachend zu ihm herüber und rief: »Na, und Ihr da, Ihr seid so still und habt gar nichts zu Kauf, – Blumen und Steine kennt Ihr wohl, aber wie ein Mädchenkuß schmeckt, habt Ihr wohl noch nie erfahren!«
Die andern Burschen lachten, doch Walter spürte plötzlich den betäubenden Duft der blauen Blume, es wogte und stürmte in ihm, vor seinen Augen schimmerte es blau und rosig und in seinen Ohren klang es wie Rauschen und Murmeln des Baches und flüsternde Liebeslaute; – da rief der Bursch wieder: »Seht den da, er wird schon roth, wenn man nur davon spricht!«
Walter sprang auf, um hinauszueilen! »O, wenn Ihr wüßtet, wie ich Euren niedern Sinn verachte,« rief er, »wenn Ihr wüßtet, wie mir ein anderes herrliches Glück blüht, wie es Euch in euren kühnsten Träumen nicht erschienen ist, wenn Ihr wüßtet!« ... damit hatte er unwillkürlich die blaue Blume hervorgezogen und verstummte in jähem Schreck, denn ein helles Leuchten ging von ihr aus, das ganze Zimmer war von blauem Lichtglanz erfüllt und unheimlich lag der Schein auf den entsetzten Gesichtern der Burschen.
»Die blaue Blume!« murmelten sie in banger Scheu, und still entfernte sich einer nach dem anderen.
Walter stand noch immer starr da im Bewußtsein seiner Uebereilung, schwächer und schwächer ward der Schein und Duft der Blume und erlosch endlich ganz, als auch der letzte das Zimmer verlassen hatte. Er hörte noch mit halbem Ohr, wie der zitternde Wirth ihn ersuchte, von nun an sein Gastzimmer zu meiden; – dann stürzte er fort in den nachtdunklen Wald hinaus.
Seit dieser Zeit wurde Walter im Dorfe nicht mehr gesehen. Beerensuchende Kinder und alte Leute, welche Holz im Walde sammelten, brachten zuweilen Nachricht über ihn. Der eine hatte ihn auf einem Felsen sitzen sehen und unverständliche Klagen ausstoßen hören, der andere war ihm auf seinen ruhelosen Gängen begegnet. Ein fremder Holzhauer, der Gegend unkundig, war sogar bis zu der verrufenen Felsenschlucht verirrt und hatte Walter gesehen wie er, wilde, klagende Rufe ausstoßend, mit blutigen Fäusten gegen den Felsen geschlagen hatte. Da war ihm ein Grauen gekommen und er hatte sich eilends entfernt.
Endlich, nachdem man einige Zeit nichts von ihm gehört und gesehen hatte, fand ein Jäger ihn todt am Ufer des Baches; in der fest zusammengeballten Rechten hielt er die vertrocknete blaue Blume.