Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Tulpenbaum.

In früherer Zeit hatte in dem Dorfe ein Gutsbesitzer gewohnt, welcher ein grosser Freund der Bäume und des Waldes gewesen war. Mit besonderer Liebe aber hatte er einen Park gepflegt und vergrössert, welcher in der Nähe seines Wohnhauses bis an die schräge abfallenden Ufer des Sees sich erstreckte. Allerlei verschiedene Bäume und Sträucher aus allen Welttheilen hatte er dort angepflanzt und so bot dieser Park im Frühling den Anblick der fremdartigsten Blüthen und im Herbst eine Fülle unbekannter Beeren und eine Abwechselung der Laubfärbung vom tiefsten Purpurbraun bis zum hellsten Gelb. Dieser freundliche und immer thätige Mann, dessen sich die ältesten Einwohner des Gutes noch aus ihrer Kindheit erinnern konnten, war hochbetagt ohne Hinterlassung von Kindern gestorben, und das Gut war in andere Hände übergegangen. Der Nachfolger hatte solche Liebhaberei nicht getheilt, sondern den Park zwar bestehen, doch verwildern lassen und nur zuweilen nothdürftig für die Offenhaltung der Steige gesorgt, während Gesträuch und Bäume üppig wucherten und wuchsen wie sie wollten und wilder Hopfen, Geisblatt und Brombeeren dazwischen ihre Ranken spannen. Wo der Park mit einer kleinen Landzunge in den See vorsprang, stand auf der Höhe des schräg abfallenden Ufers ein prächtiger Tulpenbaum, der einzige seiner Art in dieser ganzen Gegend. In früherer Zeit war darunter eine Bank gewesen und dort hatte der alte Herr an schönen Abenden gerne gesessen, um über den See hinweg der untergehenden Sonne zuzuschauen, wie sie hinter fernen, bewaldeten Höhenzügen in einem Bette von Gold und Rosen zur Ruhe ging. Wer jetzt dort sitzen wollte, der fand keine Bank mehr. aber er konnte ausruhen auf einem mächtigen Granitblock, der, von Epheu überrankt, in einer kleinen Insel von Sinngrün lag und des Abends die letzten Strahlen der Sonne empfing anstatt dessen, der unter ihm ruhte, denn dort lag der alte Herr begraben.

Der jetzige dritte Besitzer des Gutes war ein tüchtiger Landmann und hatte für unnütze Zierrathe, wie Parks und Lustgärten ebenfalls wenig übrig. Sein Ideal war ein Garten, »wo was ordentliches wächst«, wie er sich ausdrückte, und darunter verstand er Aepfel, Birnen, Erdbeeren und dergleichen Obst, ferner Spargel, Erbsen, Kohl und Kartoffeln. Nach beendigter Tagesarbeit liebte er es, mit seiner langen Pfeife behaglich in seinem wohlgepflegten Obst- und Gemüsegarten auf und ab zu spazieren, und die stattlichen Gurken und Stangenbohnen, welche dort prächtig gediehen, mit Wohlwollen zu betrachten, während er für den verwilderten Park immer nur eine leise Verachtung hatte oder höchstens im Stillen ausrechnete, wie viel er lösen würde, wenn er das Holz schlagen liesse und wie viel schöner Weizen dann auf dem ausgezeichneten Boden wachsen könne. Aber er hatte auf dem etwas verwahrlosten Gute so viel zu verbessern und zu bauen, dass dies seine ganze Arbeits- und Kapitalskraft in Anspruch nahm und solches war wohl der Hauptgrund, dass der Park einstweilen erhalten blieb.

Dieser Gutsbesitzer hatte zwei Söhne, deren ältester, Robert, ganz die Neigungen seines Vaters geerbt hatte, während dagegen der um zwei Jahre jüngere Johannes so verschieden von seinem Bruder geartet war, dass Beide fast niemals bei einander gesehen wurden, weil sie gar nichts mit einander anzufangen wussten, da die Neigungen des Einen dem Andern ganz unverständlich waren. Für Johannes gab es nun keinen schöneren Aufenthalt, als den verwilderten Park und alle seine freie Zeit brachte er dort zu. Dort las er alle Bücher, deren er habhaft werden konnte, dort baute er seine heimlichen Hütten und Räuberhöhlen, dort spielte er Robinson oder Einsiedler und dort sass er gern an stillen Abenden auf dem Grabstein unter dem schönen Tulpenbaum, schaute in das verglimmende Farbenspiel des Abendrothes und träumte von Amerika, dem Lande der untergehenden Sonne. Dies war ein goldenes Wunderland für ihn und das Ziel seiner Sehnsucht, er hörte es nennen die »neue Welt« und »das Land der Freiheit«, er hörte erzählen, wie Viele dorthin ausgewandert und ihr Glück gefunden in dem Lande, wo das Gold auf der Strasse liegt, er hörte und las von seinen mächtigen Strömen, ungeheueren Wasserfällen und riesigen Urwäldern, und Alles umkleidete seine kindliche Phantasie mit märchenhaftem Zauber, sowie die versunkene Sonne die grauen Wolken mit leuchtend rothem Golde verbrämt.

Ausserdem zog ihn eine andere Ursache in diesen Ort, insbesondere im Juni, wenn der Tulpenbaum blühte und ganz bedeckt war mit den fremdartigen blassgrün und rothgelb gefärbten grossen Blumenkelchen. Auch dieser märchenhafte Baum, der seines Gleichen unter den einheimischen nicht hatte, stammte aus dem Wunderlande Amerika. In der Umgegend ging die Sage, dass um die Zeit der Sommersonnenwende sich zuweilen unbekannte goldene Vögel in ihm zeigen sollten, welche unter zauberischem sehnsüchtigen Gesange sich auf seinen Zweigen wiegten, um dann bei dem letzten Strahle der versinkenden Sonne, in den goldenen Abendschimmer hineinfliegend, zu verschwinden. Es musste wohl nur eine Sage sein, denn obwohl Johannes zu der richtigen Zeit an jedem sonnigen Abend dort weilte, war er doch niemals dieses Anblicks theilhaftig geworden. Da sass er eines Abends am Tag der Sommersonnenwende wieder unter dem Tulpenbaum und hing seinen wunderlichen Träumereien nach. Die Luft war so still, dass sich kein Grashalm rührte, dass selbst die Blätter der Zitterpappel regungslos an ihren beweglichen Stielen hingen und der See da lag, wie polirtes Glas; nur wo die Taucher oder Wasserhühner schwammen, zogen sie einen feinen, allmählig verblassenden Streifen hinter sich her. Aber sonst war es nicht still, denn in dem sonnigen Grase der Uferhänge zirpte, wetzte und schwirrte unendliches kleines Gethier, wie in seltsamer Hast, als ahnten sie, dass der Wendepunkt der schönen Zeit nun da sei; in dem Uferschilf lärmten die Rohrsänger, hier und dort warf eine Nachtigall eine Strophe dazwischen, aus allen Gebüschen klang das schnell dahingleitende Flöten und Schwatzen der Grasmücken, in der Höhe waren die Laubsänger thätig und in dem Wipfel einer ungeheueren Silberpappel sassen sämmtliche Staare aus der ganzen Umgegend und hielten Abendschule.

Plötzlich horchte der Knabe auf, denn mitten aus diesem unendlichen Klanggewirr von Tönen heraus vernahm sein geübtes Ohr ein seltsam wunderbares Singen, das er nie zuvor gehört. Aus dem Tulpenbaum zu seinen Häupten schien es zu kommen. Er ging leise bis an den Rand des abfallenden Ufers und blickte in den schönen Baum empor, der über und über voll seiner tulpenartigen Blüthen hing und von den Strahlen der sinkenden Sonne angeleuchtet war. O welch ein Wunder sah er dort! In den Zweigen bewegten sich goldglänzende Vögel, die sich hin und wieder schwangen, während ihre leuchtenden Schweife sanft nachschwebten und gleissende Funken von den schimmernden Spiegeln ihrer Flügel sprühten. Andere wieder sassen mit geblähtem Kropfe und sangen so herrlich, dass das Herz sich in der Brust bewegte vor sehnsüchtiger Wonne. Voll stiller Andacht stand Johannes eine lange Weile ohne sich zu rühren. Unterdess ging die Sonne langsam nieder zum Horizont, versank hinter den waldigen Höhenzügen, warf noch einmal durch eine Lücke zwischen zwei Wipfeln einen langen Strahl und verschwand, eine grosse goldene Gluth hinter sich lassend. In diesem Augenblick verstummten die Vögel, erhoben sich alle zugleich und schwangen sich in reissendem Fluge der sinkenden Sonne nach, wohin über das Wasser eine goldene Strasse gebreitet war. Mit gefalteten Händen blickte Johannes ihnen nach, so lange er sie sehen konnte, bis sie endlich in dem schimmernden Dunste entschwanden. Noch einmal sah er sie aufblitzen wie leuchtende Funken und dann nichts mehr. Auch sie zogen nach Westen zu dem Wunderlande der untergehenden Sonne, wo ihre Heimath war.

* * *

Als Johannes schon eine Weile erwachsen war, starb sein Vater und der älteste Sohn übernahm das Gut. Johannes aber nahm sein Erbtheil und machte sich unverweilt auf nach dem Lande seiner Sehnsucht. Er durchstreifte es zuerst nach allen Richtungen. Er sah die mächtigen Seen des Nordens und mit zitterndem Herzen die ungeheuere Wassermasse des Niagara in die Tiefe donnern. Er befuhr die mächtigen Ströme, durchschweifte die Steppen und Wüsten, sah die ungeheuren Riesentannen in Californien und alle Wunder, welche dieses reiche Land bietet. Ja, das Land gefiel ihm wohl, aber die Menschen, welche es bewohnten, blieben seinem Herzen fremd. Zwar die edlen Indianer, von welchen seine Bücher erzählten, hatte er wohl kaum zu finden gehofft, aber solche schmutzige betrügerische Strolche hatte er doch nicht erwartet. Ach, und die weissen Eingeborenen des Landes der Freiheit entsprachen ebenso wenig seinen Träumen. Sie waren eine Art von weissen Indianern, ewig auf dem Kriegspfade nach dem Dollar und stets bereit, dem listig Ueberwundenen den Skalp recht gründlich abzuziehen. Dennoch blieb er dort, weil er sich schämte, so früh mit Enttäuschung zurückzukehren. Des Landes und seiner Bewohner noch zu unkundig, verlor er sein Vermögen, aber der tüchtige Kern, welcher in ihm steckte, liess ihn nicht verzagen und jeder Arbeit sich zuwendend, welche ihm geboten ward, kam er langsam wieder empor und brachte es zu einer kleinen Unternehmung, welche ihn ernährte und noch etwas darüber abwarf. Er hatte längst Verzicht geleistet und lächelte über seine kindischen Träume, aber es war ein wehmüthiges Lächeln. Er lernte nun im Laufe der Zeit das Land seiner Sehnsucht gründlich kennen. Er sah die ersten Vertreter dieses stolzen Reiches dem schnapsduftenden Pöbel schmeicheln und um seine Gunst buhlen, und fand, dass sie keinen anderen Gott hatten als den Dollar. Im Munde führten sie hochtönende Phrasen und hinter dem Rücken machten sie die Hand hohl. Er sah eine Corruption, wie sie unter Culturvölkern nur noch in Russland vorkommt und sah mit Abscheu, wie, wenn bei einer Präsidentenwahl die gegnerische Partei hochkam, die widerliche Theilung der Beute vor sich ging und alle einflussreichen Posten mit Stellenjägern und Creaturen besetzt wurden, welche oft für ihr Amt nicht die geringste Kenntniss mitbrachten und nur die einzige Absicht hatten, die Macht ihrer Stellung auszunützen und möglichst viel Geld daraus zu machen. Er sah, dass in diesem Lande Alles nur Geschäft war, dass Religionsunternehmungen gegründet wurden, einzig um sich damit zu bereichern, und dass der Kampf um das Recht nur ein Kampf der Geldbeutel war. Er sah, wie dieses sogenannte freie Volk sich gegenseitig knechtete, schlimmer als Tyrannen es können, deren es statt einem unzählige hatte, nämlich sich selbst, den vielköpfigen Pöbel. Dazu fand er überall einen unglaublichen nationalen Dünkel verbreitet, der von Kind auf anerzogen, in dem fruchtbaren Boden allgemeiner Unwissenheit die reichste Nahrung fand und wie Unkraut, auch in den besten Köpfen wucherte.

Es überfiel ihn manchmal das Heimweh aber er blieb. Er hatte sich so in den engen Kreis seiner gleichförmigen Thätigkeit eingesponnen, dass er sich nicht herausfinden konnte. Seit lange trug er sich mit dem Vorsatze, im nächsten Jahre in die Heimat zurückzukehren; aber dabei blieb es auch, es ward immer wieder ein nächstes Jahr daraus. Er war einsam geblieben, denn die rechnenden, selbstbewussten Weiber dieses Landes gefielen ihm nicht. Sie waren wie schöne Blumen ohne Duft und glichen den glänzenden Puppen der Spielwaarenläden, welche inwendig mit Kleie ausgestopft sind.

So ward er allmählig grau und ein müder Mann. In seinen nächtlichen Träumen wanderte er oft durch die verschlungenen Gänge des schönen Parks in seinem Heimatsdorfe. Er wanderte und wanderte und konnte doch nicht ins Freie gelangen, obwohl er das Abendroth durch die Zweige schimmern sah und die goldenen Vögel in dem Tulpenbaume singen hörte. Da geschah es, dass er einmal dem Stiftungsfeste eines deutschen Gesangvereins beiwohnte, wo er in einer verborgenen Ecke den Klängen seiner vaterländischen Weisen lauschte. Da hörte er von einer schönen Stimme das wunderbare Lied von Heinrich Heine:

Ich hatte einst ein schönes Vaterland,
Der Eichenbaum
Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft,
Es war ein Traum.

Das küsste mich auf deutsch und sprach auf deutsch
(Man glaubt es kaum,
Wie gut es klang) das Wort: »Ich liebe dich!«
Es war ein Traum.«

Dem ergrauten Manne liefen die schweren Thränen über die Wangen und von dieser Zeit ab hatte er keine Ruhe mehr im Lande. Er löste seine Verbindungen, zog seine Gelder ein und machte sich auf nach seiner Heimat. Den Bruder traf er in behaglichen Verhältnissen von einer rundlichen Frau und einer stattlichen Kinderschaar umgeben. Er erntete den besten Weizen, hatte die glattesten Pferde und zog die fettesten Schweine in der ganzen Umgegend. Den schönen Park hatte er, wie schon der Vater es plante, wieder in Ackerland verwandelt und es standen gerade Kartoffeln darauf. Nur um das Grab herum war ein Stückchen erhalten geblieben und der schöne Tulpenbaum hatte an Pracht und Grösse zugenommen.

Johannes verbrachte den Rest seines Lebens als ein stiller Mann, er wandelte in der Gegend umher, las die Bücher, welche er als Kind gelesen hatte, und an schönen Abenden sass er unter dem Tulpenbaum und schaute in das Gold der untergehenden Sonne, während seine Gedanken im Lande seiner Jugend weilten. Als die Füsse ihm den Dienst versagten, liess er sich doch, so oft es anging, auf einem Fahrstuhl hinausbringen, doch auch dies hörte allmählig auf, als das Alter zunahm. Dann kam wieder einmal der Tag der Sommersonnenwende und da der kranke Mann sich nach Tagen grosser Schwäche seltsam wohl fühlte, liess er sich in den Wagen tragen und noch einmal hinausfahren an den geliebten Ort. Seine jüngste Nichte, ein rosiges Mädchen von sechzehn Jahren, schob ihn dorthin, rückte ihm die Kissen zurecht und sprang dann hinab, um am Seeufer Vergissmeinnicht zu suchen. Durch all' das Getön der Vögel am buschigen Abhang und im Rohre hörte man zuweilen ihre frische Stimme, wie sie sang:

»Blau blüht ein Blümelein,
Das heisst Vergissnichtmein . . . .«

Es war ein Abend, gerade wie damals in der Knabenzeit, und eine selige Schwäche und ein träumerisches Erinnern kam über den alten Mann. Die Augen fielen ihm zu und auf dem bleichen Gesichte lag der Glanz der Abendsonne. Was war das plötzlich für ein wundervolles Singen, gerade so wie damals, dass sich das Herz füllte mit sehnsüchtiger Wonne? Der alte Mann schlug die Augen auf und sah zwischen dem grün leuchtenden Gezweige und den schimmernden Glocken des Tulpenbaumes die goldenen Vögel schweben und hörte sie singen, aber es klang so traumverloren und wie weit aus der Ferne. Und als der letzte Strahl der Sonne hinter den Wipfeln des fernen Waldes verschwunden war, schwangen sie sich auf und zogen eilenden Fluges hinein in das goldene Abendroth. Der müde Mann erhob mit letzter Kraftanstrengung seine Arme nach ihnen, sank dann hintenüber in den Fahrstuhl zurück und seine Seele zog mit den goldenen Vögeln in jenes Land der wahren Freiheit, aus dessen Gefilden Niemand zurückkehrt.

 

 


 << zurück weiter >>