Willi Seidel
Der Sang der Sakije
Willi Seidel

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Intermezzo

Bint-Unzul, mein Täubchen, entlasse mich jetzt, denn siehe, ich glaube, die Luft ist rein!« »Wie Gott will! So geh denn! Du bist schöner als ein Weidenzweig! Und wenn dich nach mir verlangt, so komm wieder!« – – – – –

Im Herzen der Hamsaui, tief inmitten des Eingeborenen-Krämerviertels, saß Daûd. Die Seitengasse war überdeckt, sie glich einer bunten Stube. Gedämpftes Licht durchdrang sie. Anheimelnde Düfte: ätzender Mist- und Harndunst von Eseln, beschwichtigt von heimischen Wohlgerüchen aller Art, füllte die Luft... Eine murmelnde Stille herrschte in dieser abgelegenen, schier klösterlich diskreten Gasse, die narkotisch duftete. Denn kürzlich hatte Abu-Sisi, den Parfümeriehändler, das Mißgeschick getroffen, daß sein altersmorscher Ladentisch zusammenbrach und viele Fläschlein ihre Stöpsel verloren, ausrannen, ungeheure Duftverschwendung in die Gasse strahlten, so daß all die schläfrigen Krämer sich an die Nasen faßten und Gottes Segen auf Abu-Sisi herniederwünschten; denn das Unwesen tat einen guten Geruch, und auch Daûd spürte die benebelnde Entladung mit trägem Entzücken. Er saß wie ein Buddha-Bildchen hinter einem Berg von Mograbiner Schuhen. Seine Haltung hatte etwas Statuenhaftes und doch Leichtes. Er saß vollkommen bildhaft da, er sah weder rechts noch links und schwieg, während er teure Zigaretten rauchte und sie von Zeit zu Zeit mit exakten Bewegungen der ärmelverhüllten Arme von den weichen braunen Lippen löste. Er war schön, ja, das war er, etwa wie weiland Kamar-al-Zaman, bei dessen Anblick (wie überliefert wird) selbst Pilger seufzten. Seine Kelabije war aus schwerer Seide, gelb mit braunen Längsstreifen; auf dem Kopf trug er ein weißes Käppchen, und sein hellbraunes rundes Gesicht sah starr geradeaus ... Einsam saß er, still und gefaßt hinter den Schuhen, die er verkaufen sollte; und wenn ein Kunde kam, lächelte er mit hingehaltenem Lächeln und machte gewandte Konversation. Zuweilen drängten sich die Kunden dicht vor dem Basar.

Die roten Schuhe hatten gelbe Sohlen mit aufgebogenen Schnäbeln – wahre Kunstwerke waren sie an Gesittung und Eleganz. Abu-Katkûs hatte sie verfertigt – oh, er besaß großes Geschick darin. Er schickte sie in den Sudan, und auf dem Markt zu Omdurman gingen sie reißend ab. Es waren Schuhe für Schêschs, es ging sich gut darin, sie stellten etwas vor, wenn man die Beine überschlug. Sie waren heitere und stolze Abrundungen einer gewichtigen Persönlichkeit. Diese Schuhe formten, zu Tausenden von Paaren verkauft, überall in den Deltastädten ihre majestätische Sohle im Staube ab – und Abu-Katkûs machte ein gutes Geschäft. Er war reich; er lobte Gott und sich selbst; mittlerweile saß er in irgendeinem Café und zog das Brettspiel mit viel Geräusch oder betrank sich, bis die Selbstgefälligkeit ihn zu allerlei schweißtreibenden und primitiven Späßen trieb ...

Wenn er ein wenig Zeit hatte nachzudenken, so spürte Daûd in den ersten Tagen noch eine geheime Angst, es könnte eines Tages einer der weiß bekleideten Schauîschs auf ihn zutreten und ihn wegen des Diebstahls verhaften. Eine Woche lang hatte er sich bei jenem Weib in der Wasa versteckt gehalten, und da er reichlich Geld ausgab, hatte man dort ein Interesse daran gehabt, Sand in das Auge des Gesetzes zu streuen. Nun waren seit der Abreise der Inglîz zwei Wochen verstrichen; und wenn gepirscht worden war, so hatte man jedenfalls keinen Fiebereifer dabei entwickelt, und Daûd fühlte sich immer sicherer davor, aufs Karakol geschleppt zu werden.

Hier fühlte er sich wohl; und Abu-Katkûs vertraute ihm. Es war herrlich hier wie in einem Zauberkasten, und man konnte den ganzen Tag über träumen. An den Freitagen besuchte Daûd das Hammam, das vom Hof aus mit Mull in einem großen Backsteinkamin geheizt wurde. Er steuerte stolz auf dem schmierigen Boden um das Bassin herum, an dessen Rändern der Pöbel sich für einen großen Piaster striegeln ließ, und warf sich entkleidet in der Dampfstube auf die Kissen, zwischen Effendis und Kaufleute, hinter deren kupferblanken oder bernsteingelben Körpermassen er schier verschwand. Man schwatzte leise, transpirierte und genoß. Kleine Kaffeeschalen standen in Hauptesnähe, man rauchte Gosa und Tschibuk, man las Zeitungen: kurz, man nahm den ganzen Apparat der Muße in diese von Schweiß und Dampf geschwängerte Marmorstube mit.

Die schwerbewimperten und gutgenährten Herren faßten zu Daûd eine erhebliche Sympathie. Das war einerseits seinen äußerlichen Reizen zuzuschreiben, und dann noch dem folgenden Umstand: er bat sich die ›,Bourse Egyptienne‹, aus, und während er sein hellblaues Badetuch mit unbewußter Koketterie um sich drapierte, entfachte er eine Zigarette und las mit einem ungeheuren Ernst, der sein Gesicht ganz in Falten zerschnitt, die Börsenberichte durch. Fiel es schon auf, daß er eine perfekte Kennerschaft der französischen Sprache verriet (bei seinem Alter eine bemerkenswerte Tatsache), so nahm die überraschte Verwunderung kein Ende, als er seine Nachbarn in politische Finanzgespräche verwickelte und Fragen stellte, die von hellem Kopf und verschmitzt-rechnerischem Vermögen Zeugnis gaben. Denn mit Abu-Katkûs hatte er so manches Mal bereits einen kleinen Schwatz über derlei Themen gepflogen; von diesem stammten auch die Fachbezeichnungen, mit denen er wenig mundfaul umsprang. Abu-Katkûs hatte durchaus mit dem religiösen Prinzip gebrochen, daß man als rechter Moslem keine Zinsen nehmen dürfe: im Gegenteil, er spekulierte sogar, nicht im großen, aber so hier und da, und leuchtete, wenn er etwas angetrunken war, gern mit der kleinen Ölfunzel einer Enthüllung in das finstere Geschäftchen hinein. Diese Erklärungen machte sich Daûd entzückt zu eigen. Jede von den kleinen Usancen war für ihn bereits Erfahrung, und in der Badestube wußte er sie mit einer Miene zu verwerten, die vermuten ließ, daß er über noch viel mehr orientiert sei.

Dadurch enthusiasmierte er die fetten Schnarcher, und sie prophezeiten ihm, daß er dereinst berufen sei, ein großer »Agent d'Affaires« zu werden, was in bester Übersetzung »staatlich geduldeter Gauner« heißt. Doch war all das bei Daûd vorerst noch spielerische Theorie – – – Viele andere Eindrücke rein sinnlicher Art drückten sie auf die Seite, bis der Tag kam, wo er mit Erstaunen bemerken sollte, wozu solch ein Talent gut und nützlich sei.

Mittlerweile lebte er sich ganz in sein beschauliches Dasein ein. Noch nie hatte Abu-Katkûs soviel Schuhe abgesetzt wie in diesen Zeitläuften. Frauen aus allen Schichten kamen und verlangten kleine Saffianpantöffelchen für die ungewaschenen Kinder, die sie auf den Schultern trugen. Zuweilen entstiegen auch Damen in der Nebengasse, wo sie halten ließen, ihren Kutschen und trippelten herbei, während gepreßter Atem ihre Schleier blähte und ihre Stimmen melodisch und unablässig gurrten. Dabei verschlangen ihre schwarzen Augen den Verkäufer... Sie handelten nur, um den Kauf hinzuziehen, und Daûd war die Kulanz in Person. Einmal ward er französisch angelispelt und bemerkte eine tiefverhüllte Zirkassierin, die, scheinbar behindert durch allzu enge Schuhe, langsam an der Auslage vorüberschritt... und als sie vorbei war, überprüfte Daûd das Gehörte, und siehe: es steckte eine verhüllte Einladung darin. Er leistete ihr zur Nachtzeit Folge und geriet in ein prächtiges Haus, durch eine Hintertür: und nach lautlosem Durchschreiten eines langen Ganges und dreier duftender Gemächer vollzog sich die Begegnung im schwärzesten Dunkel ohne einen Funken Licht...

Diese Zirkassierin stimmte ihn etwas wählerischer; jedenfalls überwand er von nun ab die Neigung zu dem Weib in der Wasa.

Er hatte eine äußerst blumenreiche Art, seine Ware anzupreisen. So drang sein Ruf umher, und selbst Europäer gingen spaßeshalber vorüber und ließen sich (unbeschadet ihrer kritischen Hintergedanken) zauberhaft schnell in das aus elegantem Französisch oder schlagkräftigem Englisch gewobene Netz wickeln, das der junge Mensch mit leise werbendem Tone spann, ohne dabei seine meditierende Haltung zu verändern.

Gab der Ladeninhaber ihn für ein paar Stunden frei, dann machte er einen Spaziergang. Und überall sah er Neues und doch: wie unendlich Anheimelndes! Seine Seele glänzte dabei auf; er war zufrieden...

Eine kleine Strecke weit begleitete er einen Leichenzug und schloß sich den Sängern von der Schule an, die monoton grölten. Er folgerte nach dem Wert der rot-* gemusterten Decke auf dem Sarg, ob es ein reicher oder armer Mann sei, den man zu den Gräbern vor den Toren trug. Grell jammernde Weiber folgten einem Frauensarg, der einen schmuckbeladenen Hals am vorderen Ende trug, und an der Spitze dieses Zuges wandelten, sich an den Händen fassend, blinde Ulama. Hatte Daûd sich an diesem Schauspiel satt gegafft, das er fast täglich genießen durfte, so trieb er sich weiter durch die Hamsaui, verzehrte in einer Frühstücksstube eine Portion Saubohnen mit Zwiebeln, gezuckerte Gurken oder die Hälfte einer blutroten Wassermelone, oder er setzte sich an die Wand einer Zauje, zwischen feiernde Tagelöhner, oder zu Gassenjungen, an deren Spielen er sich noch beteiligte (mehr mit dem Gestus einer Liebhaberei zwar als aus wirklichem Bedürfnis).

Darauf ging er nach einem mit jauchzender Lungenkraft durchgeführten Streit, dessen Verlauf jene zeternden Ferkel siegreich zur Demut zwang, wenngleich sie ihm noch erbost nachgeiferten, zu den Gewürzhändlern und naschte bei ihnen, eine Eigenmächtigkeit, die sie grinsend gestatteten. Was gab es auch an nie geschauten Pikanterien! Fahrende Garküchen hatten ihren Reiz schon für ihn eingebüßt ... An den Quellen, die er aufsuchte, gab es Muskatnuß, Anis, Papageienfutter, Hirse, schwarzen Mohn, rote Pfefferschoten, von der Staude gepflückt, und schwarze, wie sie auf Bäumen wuchsen; selbst große Schwefelstangen gab es und grünes Henna ... Von dem letzteren erstand er sich ein Häuflein. Nach Hause gelangt, feuchtete er es an und füllte die Hände damit, die ihm Abu-Katkûs zusammenband, während er schlief. Und am nächsten Morgen leuchteten seine Handteller, herrlich rot geätzt...

Er sah den halbnackten, mit gelben Hüftfetzen bekleideten Kerlen zu, die mit Eisenstangen in Steinbehältern Drogen zerpulverten: Gummi und Seifenwurzeln aus dem Sudan, von denen die Frauen aßen, um fettleibig zu werden (man schätzte die Fettleibigkeit, wie Daûd an seinen älteren Freunden wahrnahm, ungemein). Oder er ging in die Zuckerije, in das Reich der Manufakturhändler. Hier war in jedem Laden ein unablässiges, leises Händerühren. Weber saßen an ihren Bandwebstühlen und zauberten rote Zierleisten in die mit Indigoschwarz gefärbten Baumwollgewänder, wie sie die Fellachen und Beduinen tragen. Unablässig auf und ab spulend, drehten sich die räderförmigen Strähngewinde aus leichtem Bambus... Bügler, in Schneiderstuben, sprühten Wasser aus dem Mund auf die Mäntel und führten das Bügeleisen mit dem Fuß über die Gewänder... Sie glichen Affen; all ihre Gliedmaßen waren in Bewegung...

Aus einem flachen Gebäude, an dem Daûd zuweilen vorüberkam, drang ein rasselndes Ticken, für das er keine Erklärung fand, bis er sich eines Tages verschämt hineinstahl. Was er sah, begriff er zunächst nicht recht. Auf vielen parallelen Tischen standen Maschinchen, von kleinen Pleuelstangen in Bewegung gesetzt; sie arbeiteten, hasteten, tickten, als ob in jeder ein kleiner, fleißiger Dämon sitze, der zugleich ein Sinnbild für dies ganze regsame Viertel sei. Als nun Daûd die Augen zufällig in ein Nebenräumchen wandte, war er für eine Minute fassungslos und verblüfft ...

Denn da drinnen, mit demselben Schritt, wie sie um die Sakije kreiste, ging eine dumpfe Gamusah ihren Frongang; sie war die Kraftquelle, sie erhielt das Leben dieser ganzen vielfältigen Zwirnerei. Daûd trat heran und streichelte sie. Sie grunzte leise, als ob sie einen Gruß aus der Heimat spüre ...

Und auf dem Hof, zwischen aufgestapelten Baumwollballen phlegmatisch gelagert, sah er zu, wie man einem Esel ein kunstvolles Sattelmuster auf den Leib schor, und er dachte des eigenen, dessen jetziges Schicksal ihm dunkel war, nicht ohne eine gewisse träumerische Wehmut ...

Was war dies auch zuweilen für ein seltsames Gemisch von traumhafter Vergangenheit und der Empfindung fiebernder Gegenwart!

In dem Viertel Darb-el-Achma, beizenden Ledergestank in der Nase, durchirrte er enge Gassen unter Zeltdecken von flammender Buntheit, die mit aufgenähten Koransprüchen und geknickten Sternornamenten bedeckt waren ... Zwischen Pantherfellen und ausgehängtem Zaumzeug hockten die Schuster und wachsten ihre Ziehschnüre ein, die sie mit den großen Zehen spannten. Ab und zu glitzerte ein Laden voller Lametta vor ihm auf, gefüllt mit rosa Zuckerpuppen, und rotbärtige Aleppiner hockten darin und spannten Tarbusche auf verstellbare Messingkübel. Die Fülle des Geschauten, das ihn neu und gleichwohl so heimatlich umgab, ermüdete Daûd. Er lehnte sich an den Alabasterbau eines Brunnens, unfern einer Medresse unter das ziselierte Gitterwerk eines Fensters und starrte die Straße hinab ... Wie in der Wasa wachte ein Gefühl in ihm auf, eine schrankenlose Hingabe der Seele an all dies phantastische Leben, das, noch unangetastet von der dahinrollenden Zeit, gleich dem dort draußen an den Ufern des Stromes seit vielen Jahrhunderten bestand und bestehen wird – unter dem Pulsschlag einer unfaßbar endlosen Gegenwart. Daûd war sich der eigensten Empfindung nicht bewußt, die ihn zur Andacht trieb; er fühlte nur das Unzerstörbare all der gleichmütigen Gesichter in allen Schattierungen von Braun und der uralten Handgriffe, die ihren flinken Lärm machten; das Unzerstörbare dieses ganzen lächelnden Volkes, das nie anders als von heute auf morgen denkt. Er fühlte das unvollkommen, aber deutlich genug, um sich ganz in üppigem Gleichmut zu ihnen zu gesellen und alle Sorge gleich ihnen von sich abzutun, wie man ein Ungeziefer mit den Fingern vom Ärmel schnippt.

Eines Tages prallte er während einer ziellosen Wanderung zurück und staunte: er stand vor dem Bab-Zuweili, vor jener Torschlucht in der Stadtmauer: hier hauste der Kutb!!

Die schwarzen Torflügel trugen an Nägeln, mit denen sie dichtbespickt waren, unzählige Fetzen, die sich wimpelnd in leichtem Winde rührten. Frauen traten heran, hoben ihre schmutzigen Kinder empor und ließen deren Stirnen und Lider an die eisernen Zapfen rühren ... Daûd sah scheu hinüber; etwas wie religiöse Inbrunst lähmte seinen Schritt. Und mitten in dem kreischenden, unablässigen Verkehr, der ihn wild umdrängte, gedachte er Ali-ibn-Mûsas, seines alten Lehrers, und der blaue Traum unter der Akazie, den er vor Jahren geträumt, durchleuchtete ihn und schüttelte ihn wie plötzliche Wollust. Erst nach langer Weile kehrte er, ganz in tiefes Sinnen verloren, um und ließ sich von der Welle des Verkehrs zurücktragen, gleichgültig wohin ...

Vor ihm wuchs der Wunderbau der Muaijad-Moschee empor und streckte seine beiden schlanken Minarette wie atmende Pflanzenschäfte in das Blau. Mit Zinnen von dreilappiger Lilienform wie ein Schrein geschmückt, beherrschte dieser Tempel einen Teil der Straße und zerdrückte mit seinen wuchtigen Maßen das wimmelnde Leben dort unten, das von seiner erhabenen Sicht aus einer Unratrinne glich. Daûd ging auf die alte Fassade zu und staunte empor. Abwechselnd weiße und schwarze Steinschichten türmten sich zu prunkvoller Höhe: wie süß das Blau durch die Zinnen dort oben quoll und jede Lücke leuchtend füllte!

Von oben taute Stalaktitenschmuck aus der sphärisch vertieften Bekrönung auf das Tor herab. Und dies Tor, von arabischem Rankenwerk umblüht, öffnete seine bronzenen Torflügel, die gebuckelten Schmuck von märchenhaftem Formenreichtum trugen, dem Kömmling wie zur Begrüßung. Ein halbblinder Hüter kam hervor; Daûd legte seine Schuhe ab und ging barfuß auf den kühlen Fliesen ins Sanktuarium. Er trat auf einen der Seitenliwane und blickte die Säulenreihen herab. Der Garten schob auf dem Grund des alten Sachn-el-Gama seine sonnigen Baumgruppen bis zu den Arkaden heran. Hier in der feierlichen Stille, in die der Straßenlärm ganz fern, kaum lauter als Mückengesumm, hereindrang, leistete Daûd sein Abendgebet, während die Schatten erwachten und das Blau in der Rosette ihm gegenüber tiefer wurde. Dann schlief er ein.

Als er erwachte, flimmerten rote Ampeln über ein Meer gebeugter Rücken hin; und von der Kanzel her, die er nicht sehen konnte, drang eine langgezogene, vibrierende Stimme, bebte durch den kahlen Raum und füllte ihn an, feierlich und fanatisch. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Eines Tages saß er schläfrig hinter seinen Schuhen. Die verflossene Nacht hatte er ein zweites Mal bei der Zirkassierin zugebracht, ohne doch mehr von ihr zu sehen zu bekommen als früher. Ihrer großen Hitze war es zuzuschreiben, daß er leichte Schatten unter den Augen trug, die ihm gut standen. Er grübelte soeben über die Lage jenes Hauses nach, die ihm immer noch unklar war (man hatte ihn jedesmal in einer geschlossenen Droschke hin- und zurückbefördert), und war gerade drauf und dran, etwas einzunicken, als ein Mensch auf ihn zukam, dessen Anblick ihn sofort munter machte. Denn der Mensch kam so unaufhaltsam auf den Laden zu, daß es sich ohne Zweifel um einen eiligen Kauf handeln mußte. Daûd taxierte ihn blitzschnell ein: ein Bei! schoß es ihm durch den Kopf. Ein großes Tier! Eine einheimische Größe! Er meint es nicht gut mit seinen Nächsten – siehst du die Nase und die gelben Augen?

Der Mann war inzwischen angelangt und lehnte sich, die Hände in den Taschen, mit einem grellen Blick auf Daûd, an die Auslage hin. Er sah die Schuhe nicht an; er sah Daûd an. Daûd seufzte eine arabische Empfehlung seiner Ware; er war etwas fassungslos ... Infolgedessen lächelte er und wies mit einer weichen, anheimstellenden Gebärde aus seiner kreuzbeinigen Stellung heraus über all die Schuhe hin, die wie eine Kaskade, hübsch gruppiert, aus dem Laden quollen und durch ein Brett in ihrem Trieb gehemmt, dennoch mit Hunderten von reizend aufgebogenen Schnäbeln auf Wanderschaft zu gehen wünschten ...

»Sehen Sie mich nicht an, Bei,« sprach Daûd still für sich, »sehen Sie doch die Schuhe an. Was bin ich? Ein Nichts. Ich bin nur die Betriebskraft ...« Und endlich, mit hingezogenem Lächeln, sprach er auf französisch: »Wünschen Sie mich zu kaufen, mein Herr, oder haben Sie es nur auf die Schuhe abgesehen?«

Hier lächelte der Mann auf eine unbehagliche Art und Weise. »Du hast recht,« sagte er, »ich will dich kaufen.«

In diesem Augenblick glich er einem Aasgeier. Seine gewölbten, hervortretenden Augen starrten grell, nackt und gefräßig in die Welt. Aus seinem ledernen, olivfarbenen Gesicht hieb die Nase wie ein Säbel nach Daûd. Alles Temperament, das er bei der Unterhaltung entwickelte, überließ er seinen Händen, die knochig waren und gewandt wie die eines Taschenspielers. Ein fadenscheiniger Schnurrbart hing grau und nikotingeschwärzt zu den Seiten der ledernen Lippen herab, die gelbe Zähne sehen ließen. Seine Schläfenadern saßen dick unter dem kantig vorspringenden Stirnbein; sein Adamsapfel stieg beim Reden ständig auf und ab. Daûd schätzte ihn auf beiläufig sechzig Jahre...

Alle Möglichkeiten dieses Handels schossen ihm durch den Sinn, und er fühlte sich ein wenig beunruhigt. Die Situation schien sich zuzuspitzen, doch hieß es, diplomatisch zu bleiben. Er schüttelte darum langsam das Haupt und schob den Zeigefinger amüsiert in der Luft hin und her.

Der Mann ließ sich etwas Zeit, bis er den billigen Irrtum berichtigte, und Daûd, schier verzweifelt, wand sich auf seinem Sitz. Da hatte der Mann ein Einsehen und setzte ihm sehr schnell und geläufig auseinander, wozu er ihn benötigte. Er sagte: »Ich bin Succetti-Pascha.« Da wußte Daûd, daß er den Direktor der Egyptian Banking Corporation vor sich habe; und eine große Neugierde machte ihn erbeben. Was mochte wohl den machtvollen Mann dazu bestimmt haben, sich in eigener Person nach ihm, Daûd, dem belanglosen Knaben, umzutun.

»Ich habe von dir gehört. Ein Bekannter erzählte mir von dir; er kennt dich von der Dampfstube her. ›,Denken Sie sich!‹, sagte er, ›,denken Sie sich, Succetti-Pascha! Ich liege und denke an nichts, da kommt ein Junge aus der Hamsaui und führt Börsengespräche wie ein Alter. Das wäre ein Kapital für Sie! Ein angenehmes Gesicht! Eine volle Figur!‹,« Er machte einen Ring mit Daumen und Zeigefinger; ein Solitär gab seinem Entzücken, das Gehörte durch die Tatsachen bekräftigt zu finden, einen blitzenden Nachdruck.

Daûd erbebte wiederum, aber diesmal, weil der Bericht ihm maßlos schmeichelte.

»Und ist es wahr, daß du drei Sprachen sprichst?«

»Das ist wahr, Effendi.«

»Wenn du nicht lügst,« meinte Succetti-Pascha, »so stelle ich dich an. Das Gehalt wächst, wenn du dich bewährst, und du verdienst dreifach soviel als hier.«

Er wies mit der Nase nach den Schuhen.

Dann zog er ein Notizbuch hervor und ließ Daûd einige Sprachproben und Zinsberechnungen zum besten geben. Eine halbe Stunde lang vertieften sie sich in diese anregende Tätigkeit ... Das Resultat überstieg die Erwartungen des Direktors offenbar, denn er wurde sehr beweglich, so, als ob er es allein nicht fassen könne, als müsse er noch andere Zeugen am Ausschnitt ihrer Kelabijen heranzerren und zu ihnen sprechen:

»Erstaunlich, meine Herren, diese Intelligenz, wie? Das ist ja scharmant ...!«

Und siehe da, es fanden sich Zeugen. Aus den umliegenden Läden traten sie hervor und bezeigten ihren Beifall, all die schläfrigen Krämer, untermischt mit vorbeibummelndem Pöbel, der alles stehen und gehen ließ und staunend rastete.

Auch Abu-Katkûs ward endlich lebendig.

Er hatte im Hintergrunde des Ladens gelegen; nun weckte ihn das Stimmengewirr. Er strich seinen schwarzen, rundgeschnittenen Bart und kam voll Neugier hervor.

Das Wortgefecht, das nun folgte, dröhnte die ganze Gasse herab. Denn als Abu-Katkûs begriffen hatte, daß man ihm seine Attraktion entführen wolle, rief er Allah und seinen Bart zu Zeugen an, daß er solches nie und nimmer dulden werde. Der Aasgeier jedoch sprach in einem Augenblick, wo Abu-Katkûs Luft zu schöpfen gezwungen war, sehr schnell und leise auf ihn ein; nahm das Heft des Gesprächs völlig in die eigene Hand, schließlich schlug er ihm auf seine fetten Schultern und teilte ihm flüsternd etwas mit ...

Abu-Katkûs verstummte.

Möglich, daß Succetti-Pascha von gewissen Unternehmungen des Biederen Wind bekommen hatte. Mit einem Gesicht, das sich in weinerlicher Wut verzog, trat der Kaufmann zurück.

Daûd hatte dem Streit um seine Person gelauscht, ohne einzugreifen. Nun erhielt er die Weisung, am folgenden Tag im Gebäude der Bank zur Stelle zu sein. »Du bist also engagiert«, sagte Succetti-Pascha schließlich. »Beherzige das, du Labsal der Augen.« Und darauf, nach einem langen, äußerst tückischen Blick, der Abu-Katküs vollends vernichtete und zusammenschrumpfen ließ, ging er seiner Wege.

Das Volk stand noch, dem Vorfall nachträumend, eine Weile umher und starrte Daüd mit offenem Mund an. Und dieser, als sei nichts geschehen, bot an, feilschte und trieb sein Geschäftchen weiter, bis der Abend kam.

Da lud Abu-Katküs ihn zu einem Abschiedsessen in sein Privathaus ein. Er ging früher fort, um seine Freunde dazu zu bitten; und nach Einbruch der Nacht folgte Daüd.


Das Haus, das Abu-Katküs bewohnte, lag in der Sikkeh-el-Guedidah in einer gleichartigen, etwa hundertjährigen Straßenzeile. Auf dem Messingklopfer der Tür standen die üblichen Worte: »Was hat Gott nicht gegeben!« Was in diesem Falle zu bedeuten hatte: »Gott hat das Haus so gemacht; ich bin nicht eitel!«

Nach dem Durchschreiten eines gewundenen Ganges gelangte Daüd, von dem Bauwab geleitet, in die Mandara.

Diese Mandara war ein seltsames Gemisch von konservativem Stil und neuzeitlicher Geschmacklosigkeit. Abu-Katküs' Vorväter hatten den Raum ausgestattet, wie er ihnen entsprach; davon zeugten noch die geschnitzten Balken an der Decke, die steinerne Suffeh,

208 die an der übertünchten Wand eingelassenen Schränke mit erfindungsreichen Holzgittermustern; ebenso noch die Gruppierung der Kissen und Matratzen auf den Diwanen zu beiden Seiten. Aber diese letzteren waren nicht aus bunter Seide, sondern mit kahler Leinwand überzogen; und auf der Suffeh standen keine Räuchergefäße mehr, auch kein Becken oder Krüge für Mahlzeits- und Gebetswaschungen, sondern die Generation Abu-Katküs' gestattete sich, da der Prophet nur den Weingenuß verbietet, starke Spirituosen zu gelegentlicher Leßung, so daß jenes Sims einem kleinen Schenktisch glich. Auch hatte Abu-Katküs seine Wasserpfeifen, deren er vier besaß, dort untergebracht. Auf dem sechseckigen Ziegelmuster der Durkaah, wo man sich zur Mahlzeit niedergesetzt, stand ein häßlicher, moderner Rauchtisch..,

Als Daüd eintrat, erhob sich das Häuflein, und die Begrüßung fand statt.

»Dein Tag sei glücklich!« sprach Daüd.

Abu-Katküs erwiderte: »Sei glücklich und gesegnet!«

Hierauf setzte man sich nieder und schwieg eine Weile. Dann erkundigte sich Daüd beim Hausherrn (den er noch vor zwei Stunden gesehen): »Wie geht es dir?«

»Gelobt sei Gott!« meinte Abu-Katküs und bot Zigaretten an.

Aber Daüd ließ nicht locker: »Geht es dir gut?«

Was Abu-Katküs zu der Antwort veranlaßte: »Allah ist groß; ja, wahrlich, es geht mir gut«, und alle damit wieder zu einem kurzen Schweigen verdammte, damit man dem Brauche Genüge leiste ...

Alle tauschten – es waren fünf Männer – ähnliche Begrüßungsformeln mit Daûd aus, was einige Zeit in Anspruch nahm, gerade solange, als man brauchte, um das Essen zu bereiten. Endlich kam es in einem großen Napf serviert. Es war ein schwer gepfeffertes Mahl, denn Abu-Katkûs war ein Leckermaul. Die Reihenfolge, die man innehielt, herzhaft mit den Fingern zulangend, war die: Reis mit Huhn, Zwiebeln in Tunke, gebratener Hammel. Diesen letzteren zerzupfte man mit den Fingern... Nur Hassan-Abu-Kêf, einer der Geladenen, ein Juwelier, trug ein Taschenbesteck bei sich; doch benützte er die Gabel nur dazu, um das gewählte Stück herauszufischen und nahm es dann, bevor er es in den Mund steckte, mit den Fingern von dem lästigen Instrument herab... Hierauf erschien süßer Reis mit Sahne und roher Salat. Den Beschluß bildeten Wasser- und Zuckermelonen, Mangofrüchte und kleine saure Äpfel.

Man aß mit Genuß, Ausdauer und Hingabe, man verschlang ungeheure Portionen und kaute, daß der Schweiß von den Schläfen rann.

Als sich nun alle gesättigt hatten und sich gegenseitig mit kräftigem Aufstoßen bewiesen, daß die letzte Luft aus ihren dankbaren Mägen verdrängt sei, entfernten zwei kümmerliche, offenbar für diesen Zweck von der Straße gemietete Diener die spärlichen Reste des Mahles und trugen einen Messingkessel mit Wasser auf, in dem man sich mit großem Geplätscher die Hände reinigte. Darauf nun ward eine Literkanne, hübsch ziseliert, an einem Stiel hereingetragen und in winzige Tassen ausgeschenkt. Der Dampf des Kaffees erhob sich lieblich. Sechs geblähte Nüstern schnupperten ihn befriedigt ein.

Man machte es sich noch bequemer als vorher; man lockerte die Schärpen und nahm halbliegende Stellungen ein. Lobsprüche über das Mahl, in tiefstem Baß vorgebracht, erfreuten Abu-Katkûs' Herz. Ungeheures Geschlürf begann, das brühheiße, braune Naß hüpfte in becherförmig vorgestreckte Lippen; verzückte Augen drehten sich zur Decke empor, gespreizte Finger deuteten das um sich greifende Urbehagen an.

Die Unterhaltung war nun auf dem Punkte angelangt, daß Abu-Katkûs Daûd in den Vordergrund schieben konnte. Er sang eine Hymne auf ihn, was Daûd mit verbindlicher Miene geschehen ließ; ja, er unterstrich die blumigen Bezeichnungen, die man auf ihn häufte, noch durch beständiges Kopfnicken. Er war völlig davon überzeugt, daß man eine Perle an ihm verlor. Dies meinten auch die anderen (alles ältere Männer von der Art des Gastgebers), und sie bedauerten einstimmig Abu-Katkûs' Entschluß.

»Allah weiß, daß mir flugs die Hände abfallen, wenn ich ihn gern von mir gebe...«, meinte Abu-Katkûs geräuschvoll. Und er fuhr fort, er gab die Gründe preis. Nun kam allerlei Erbauliches zutage; und Succetti-Pascha wurde nach drei Minuten hingerichtet. Ganze Mistwagen von Verleumdungen (und zum Teil berechtigten ) fuhr Abu-Katkûs hinter ihm her. Er selbst reinigte sich dröhnend von jedem Verdacht; ja, er saß am Schluß gekränkt und vereinsamt da und duftete von Unschuld.

Alle wandten nun ihre Gesichter Daûd zu und betrachteten ihn gedankenvoll. Nachdem sie sein Bild gründlich in sich aufgenommen, brummten sie beifällig. Habib-Mos-Tizi zog sein goldenes Zigarettenetui hervor, öffnete es nicht ohne selbstgefällige Umständlichkeit und reichte es geöffnet zu Daûd herüber. Der Tabak war mit Ambra imprägniert und war recht teuer. Beifallgrunzend sah man diesem Akt der Großherzigkeit zu und folgte dem kostbaren Gegenstand mit den Augen, bis er wieder bei dem Spender verschwunden war.

Zedân-Jussef-el-Albaza tat den Mund auf und sprach: »Bei Gott, Abu-Katkûs, es ist wahrlich an dem, daß du es bedauern mußt, diesen Knaben dahinzugeben. Er hat eine gute Art und Weise, und der Erbarmer hat ihn wohlerschaffen.«

Jedesmal, wenn irgendein Name in der Tafelrunde fiel, schwamm eine Welle von breit verrinnendem Gelächter hinter ihm her. Denn diese Namen waren samt und sonders obszöne Spitznamen, die sich die Männer untereinander gaben, und sie erhielten auf diese Weise stets eine gleichmäßige Heiterkeit wach.

»Da hast du recht gesprochen«, erwiderte Abu-Katkûs. »Es ist ein schlechter Mensch, der ihn wegnimmt, Allah vertilge seine Art.« »Sage mir doch,« rührte sich jetzt Mohammed-Abu'l-Sikr, der »Vater des Taumels« (so zubenannt, weil er sich am schnellsten betrank), »sage mir doch, Abu-Katküs, wie geschah es, daß du diesen da aufgefunden hast?«

»Das ist sehr einfach zu erläutern, o Mohammed-Abu'l-Sikr. Er kam die Gasse herab; er war wie ein Weidenzweig, und mein Herz neigte sich ihm zu. So kamen wir ins Gespräch miteinander, und ich erkannte seine ungemeinen Talente und setzte ihn hinter meine Schuhe. Allah weiß: es war kein schlechter Handel.«

Daûd dankte ihm für diese Schmeichelei, indem er die Geste der Begrüßung andeutete.

»Eins jedoch zerbricht mir den Kopf«, fuhr der Vater des Taumels fort und wandte sich an Daûd. »Dein ehrenwerter Name ist ein Bauernname, und wenn ich dich ansehe, so kann ich nicht glauben, daß du in der Eselskrippe auf die Welt gekommen seist.«

Dieser Punkt schien der ganzen Gesellschaft schon Gedanken gekostet zu haben; denn sie belohnten die Frage mit Beifall und machten sich auf die Eröffnung gefaßt. Und Daûd, der bis jetzt als der Jüngste geschwiegen hatte, erkannte, daß die Zeit zu einer Aufklärung gekommen sei und zugleich die Möglichkeit für ihn, einen geheimnisvollen Glanz auf seinen Abgang zu werfen. Er räusperte sich darum und hielt folgenden bescheidenen Vortrag:

»Deine Frage, o Mohammed-Abu'l-Sikr, rührt an mein Herz, denn du hast wahrlich recht mit deiner Vermutung. Ich bin nicht der Sohn eines Zabal, eines Damûm, Zuggâba oder Gabâz – Fluch über solche Namen, denn sie hören sich an wie geblökt von Jungvieh, und ihr Geruch sticht in die Nase. Die Wege des Erbarmers sind unerforschlich; so hat er mich denn in die Grube gesetzt und mir die Bestallung der Sakije überwiesen. Als die Zeit reif war, hat er meinen Kopf erleuchtet und mir offenbart, daß ich von besserer Herkunft sei.«

»Das muß wahr sein«, unterbrach ihn Hassan-Abu-Kêf, der dickste unter den Männern. »Du bist fett und hell. Du bist kein Sprößling eines Mistschleppers, denn sonst wärst du nach Allahs Ratschluß und nach der Gepflogenheit der Umstände schwarz und dürr. Denn die Kinder von Affen sind Affen und keine Katzen. Da du aber keine Katze bist, Sohn des rechtgläubigen Unbekannten, so ist daraus zu schließen, daß du die Wahrheit sprichst, und daß unser eigenes Blut auch in deinen Adern rollt.«

»Gut gesprochen«, freute sich jetzt Habib-Mos-Tizi. »Denn wenn du als Fellache geboren wärst, so wärst du einer geblieben, und Abu-Katkûs hätte Bedenken getragen, diese seine ehrenwerten Freunde um deinetwillen zu einem Mahl zu versammeln. Denn die Fellachen bleiben Schweine ihr Leben lang; und Gesittung bleibt ihnen fremd. Und hätte man ihnen auch deine Erziehung angedeihen lassen, so hätte es nicht die Frucht getragen wie bei dir, weil du von besserem Blute bist. Wie sagt der Imam-el-Schâfei?« Habib-Mos-Tizi tremolierte und schob den krächzend geleierten Vers ein: »Wer die Unwissenden mit Wissen beschenkt, verdirbt sie, und wer, die es verdienen, abhält, frevelt!«

Habib-Mos-Tizi tat sich nicht wenig darauf zugute, daß ihm dieser Vers zur guten Stunde einfiel. Er hatte ihn kürzlich von einem seiner Kunden, einem halbverblödeten Schreiber, gehört und zufällig behalten. Er ließ, um gleichsam anzudeuten, daß er den Vortrag der folgenden Verse nur aus Bequemlichkeit unterlasse, die hohle Hand noch eine Weile im Nacken beben, wobei er verheißungsvoll und unverständlich grölte; und dann schwieg er und schlürfte ein Schlückchen Kognak, sich aus der Flasche bedienend, die der kluge Abu-Katkûs inzwischen von der Suffeh heruntergeholt.

»Was die Fellachen anlangt,« rührte sich jetzt Zedân-Jussef-el-Abaza, »so muß ich euch insgesamt eine höchst lächerliche Geschichte berichten, die mir neulich begegnet ist. Ich hatte ein Geschäft zu Edavi, in der Nähe von Kafr-el-Zaiat, und begleitete den Dorfschulzen nach Iskandrije. Als wir nun im Speisewagen saßen, sprach dieser Unerleuchtete: ›,Mein Bruder, du hast mich in ein Wirtshaus geführt statt in einen Wagen!‹, – ›,Sorge dich nicht,‹, erwiderte ich, ›,es werden Pferde vor dieses Wirtshaus gespannt, und wir werden mit Allahs Hilfe zur rechten Zeit ans Ziel kommen!‹,«

Diese Antwort rief breites Gelächter hervor, worauf man dem Inhalt der Flasche gemeinsam zusprach.

Dem dicken Abu-Kêf fiel jetzt auch etwas ein. »Das ist sehr lächerlich, aber mir begegnete unlängst etwas Ähnliches. Ich saß in dem Geschäft jenes kleinen Schreihalses, der abendländische Weiber an die Inglîz verkauft.« (Er meinte den deutschen Besitzer eines bekannten internationalen Restaurants.) »Da kam ein Fellache herein. Er war ganz schmutzig. ›,Oh, mein Bruder,‹, sagte ich, ›,es ist nicht möglich, daß du dich hier niederlassest; denn hier sind Inglîz, die sich alle Tage waschen.‹, ›,Maalesh,‹, sagte er (er starrte von Schmutz), ›,ich habe heute zweihundert Feddân Land verkauft.‹, Und er setzte sich mir gegenüber. Da kam ein Diener in einer weißen Abaje (diesmal meinte Abu-Kêf einen Kellner) und schrie: ›,Mach', daß du hinauskommst!‹,

Doch jenes Schwein versetzte: ›,Warte ein wenig, du Hundesohn‹, und nahm eine Zehnpfundnote aus seinem Kaftan, der von Mist strotzte. Bei Gott! Er hatte ein Bündel Bankscheine in seiner dreckigen Kelabije, so viel, daß er uns alle hätte auskaufen können.«

»Mögen sie zur Hölle fahren und keine Ruhe finden«, unterbrach ihn hier Habib-Mos-Tizi. »Ja, es ist wahr, diese Leute, die einen Koben ihre Wiege nennen (verflucht sei der Schoß ihrer Mütter!), verdienen jetzt und gehen mit Pfunden um wie mit kleinen Piastern.«

Abu-Kêf quittierte diese Unterbrechung mit einem anerkennenden Blick. Dann fuhr er fort: »›,Hier und nimm,‹, sagte der Fellache, ›,und bring mir zu essen. Bringe auch eine Flasche Whisky für diesen ehrenwerten Kaufmann, der an meiner Kleidung mäkelt. Der Rest ist dein.‹, – Daraufhin lachte der Weißgekleidete und ließ ihn gewähren. Die Inglîz nahmen die Pfeifen aus dem Mund, schnoben durch die Nasen und gingen im Bogen um uns herum. Er stank erschrecklich. Jeder, der ihn ansah, hätte sich übergeben müssen. Aber der Whisky war gut, und so verzieh ich ihm manches, ja, ich vergaß schier, daß er nicht mein Bruder sei. Doch wer sich mit diesen einläßt, ist nicht wert, geboren zu sein!!

Wir tranken also, und jener Gastwirt kam und sagte: ›,Bei Gott, es ist nicht möglich, daß du hier sitzenbleibst!‹, – ›,Bei Allah ist alles möglich!‹, schrie der Fellache und pochte auf sein Geld. Da sprach ich zu ihm: ›,Ich habe ein Gewand zu Hause, das will ich über dich fallen lassen... Komm mit, ich schenke es dir.›,‹, Und ich ging mit ihm und hieß ihn sich auskleiden und gab ihm einen von meinen abgetragenen Mänteln. Darauf bespritzte ich ihn mit Rosenessenz über und über, und wir gingen wiederum an jenen Ort zurück. Hatte er vorhin abscheulich gestunken, so duftete er jetzt wie Abu-Sisi, der mit Wohlgerüchen in der Hamsaui handelt. Da ihn jetzt wiederum hungerte, bestellte er ein zweites Gericht.

Er war so dumm wie der Schêsch-el-Beled von Kene, der an seine Angehörigen in Kairo einen Brief schrieb, in dem unter anderem stand: Neulich habe er seine Kelabije gewaschen und auf das Dach zum Trocknen gelegt, und ein Windstoß habe sie herabgeweht. Da sei er auf die Knie gefallen und habe Allah inbrünstig und von ganzem Herzen gedankt, daß er nicht in der Kelabije gesteckt habe, denn sonst läge er jetzt zerschmettert am Boden!« Jetzt nun wurde Abu-Kêf durch ein dröhnendes Gelächter unterbrochen, das breit und sonor begann und in kleinen, hilflosen Schluchztönen, die immer wieder zum Vorschein kamen, langsam dahinstarb. Aufs höchste geschmeichelt, fuhr er fort: »Einen Fellachen ließ einst ein Imam den Koran lernen und städtische Kleidung tragen. Er sollte zum Schluß eine Probe seiner Gelehrsamkeit abgeben, und der Imam freute sich, denn er hatte viele Mühe und schweißtreibende Hirnarbeit an ihn gewandt. Beim Examen sprach also der Lehrer: ›,Ich habe hier etwas in der Hand, und du errätst mir, was es sei.‹, Sprach jener: ›,So Gott will!‹, und stellte, wie er es gelernt, das Horoskop. Darauf sprach er: ›,Es ist um und um rund, und in der Mitte ist es hohl.‹, – ›,Wahrlich, das stimmt‹,, erwiderte der Imam und war entzückt. ›,Doch was ist es?‹, Und dieser Bauer besann sich eine Stunde lang, und dann sagte er: ›,Bei Allah, es ist ein Mühlstein.‹,« – Nachdem Abu-Kêf die elementare Wirkung auch dieser Anekdote abgewartet hatte, nahm er einen Schluck und beschloß seine erste Erzählung.

»Das zweite Mahl wurde also gebracht, und ich hatte ihm zu Spargeln geraten. Als sie nun so hübsch eine an der anderen vor ihm lagen und es ihm nicht einfiel, mich einzuladen (wiewohl ich ihm doch das Gewand geschenkt!), sondern gleich darüber herfiel, sprach ich zu ihm: ›,Mein Bruder, du kommst aus dem Delta und bist unerfahren in der feinen Sitte: Man ißt die Köpfe der Spargel nicht mehr.‹, Darauf schnitt er sie ab und ließ sie liegen. ›,Was bin ich?‹, fuhr ich fort. ›,Ich bin in deiner Hand... Erlaube, daß ich die Brocken esse, denn mich hungert und bin arm wie eine Ratte.‹, – Und ich aß sie auf. Er verachtete mich darob.

Am Schlüsse grölte er und wurde zuchtlos. Ich habe nie einen Menschen von schlechteren Manieren gesehen!«

Dies bekräftigten alle und gaben Abu-Kêf recht. Während sie in der Folgezeit noch mit ihren rasselnden Stimmen durcheinanderschwatzten, bediente sich Daûd unablässig aus der Flasche und wurde dementsprechend schelmisch. Eine ungeheure Behaglichkeit durchdrang ihn. Er lüftete gleich den anderen ohne viel Umstände seine Gewandung, und ein Gelüst überkam ihn, Aufsehen zu erregen. Er sprach mit seiner hellen, gellenden Stimme: »O ihr Männer, hört mir zu!«

»Sprich«, kam es zurück. »Wir lauschen dir.« Und Daûd begann mit gewichtiger Stimme:

»Ein Bauer sagte einmal zu einem anderen: ›,Höre, was die Liebenden sagen.‹, Jener fragte: ›,Was sagen sie, o Abu Damum?‹, Da sprach der andere ein Gedicht, das hörte sich an wie plätschernder Eselsurin:

›,Ich sage, Ginêsin, du hast dich mit ihm zurückgezogen, in unsere Wohnung, du aufsteigender Mond, und er hatte seine Belustigung mit dir.‹,

Jener besann sich eine Weile, dann fragte er: ›,Von wem ist das?‹,« – und jetzt begann Daûd mit unerhörter Schnelligkeit in seinem vulgären Dialekt zu plappern: »›,Von Harin-er-Rusâd, der in den Brunnen fiel, wo ihn das Krokodil fraß, auf den der Dreck herabregnete in der Moschee Tîlûn, wo das Feuer kalt ist...‹, Jener sagte: ›,Sicherlich, gut, sehr gut, ich weiß auch eine Geschichte von Isâ-ibn-Abu-Tâlûb, die heißt: Es ging ihm genau so, wie es ihm ging, und um kein Haar anders!›,«

Das Gelächter, das Daûd erntete, stellte an Schlagkraft und Schallwirkung alle Erfolge in Schatten, die Abu-Kêf eingeheimst.

Allgemeines Wohlwollen umbrauste den Knaben; man zog ihn näher herzu; man befaßte sich mit ihm; er ging von Hand zu Hand wie eine gehätschelte Puppe. Schließlich befreite er sich unter glucksenden Lachtönen von all den Händen, von all der enthusiastischen Fürsorge. Er stellte sich im Raume auf und begann zu tanzen. Diesen Tanz deutete er dadurch an, daß er die Hüften hin und her schob, den Kopf mit geschlossenen Augen und klaffenden Lippen in den Nacken fallen ließ und die Hände auf die Seiten streckte, wobei er sie spreizte und in fast spitzen Winkeln abknickte.

Dann drehte er sich mechanisch und endlos um sich selbst, wobei er hoch und gläsern schrie. Farbige Lichter taumelten um ihn herum.

Und die Männer schwiegen und sahen ihm zu. Als er umfiel und auf den Boden rollte, regten sie sich, bemächtigten sich seiner mit breitem Gelächter, stärkten ihn und warteten vergnüglich ab, was dies trunkene Hähnchen ihnen nach weiteren Tänzen bescheren werde...


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