Willy Seidel
Der Garten des Schuchân
Willy Seidel

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Der Garten des Schuchân

»Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt!«

Die Ankunft

Sadaui hob den Kopf, der mit geschlossenen Augen nach vorn gesunken war. Und während seine Füße ungleichmäßig vorwärtsfielen, schrie er: »Esch . . . sch! Wahrlich, du Kalb, du bist toll geworden!« – Er machte noch eine müde, beschwörende Bewegung, um seinem heiseren Ausruf Nachdruck zu geben, doch niemand sah ihm zu. Da nahm er seine lange Flinte und stieß dem Bischarin, das aus der Reihe getrabt war, kräftig mit dem Kolben in den samtenen, elastischen Bauch. Es grunzte leise.

Nun war es schon das dritte Mal, daß dieses junge Kamel aus der Reihe gefallen war, obwohl es keine Kräuter mehr am Wege gab und man die bewachsene Vorwüste längst verlassen hatte. Nach kurzem Aufenthalt im Gebiet der Kopten-Klöster und der Salzsümpfe des Natrontales war man nach Südwesten abgeschwenkt und befand sich seit acht Tagen im Wadi-Faregh, das wie ein kolossaler Schmelztiegel glühte. Die Luft war von Hitze, schwersiedender Hitze erfüllt; der ganze Himmel wallte weißblau, gleich einer einzigen Schleierwelle von Licht, ursprünglichstem, heftigstem Licht; das schwache Rot ferner Höhenzüge, flacher Basaltschichten, und das schreiend helle Gelb der Kiesflächen, der von Glimmer- und Kalkspatfunken übersäten, ward aufgesogen und vernichtet. Der Glanz wanderte nicht 4 hin und her, sondern herrschte starr; schwer lastete er auf dem Blick; er zerstörte die Konturen und streute Pulver ins Hirn. Still wabernd, wie ein Meer von weißer Lohe, füllte er das Gesichtsfeld; und seine Flamme hatte einen leisen, ganz hohen Ton, der unablässig in den stumpfen Gehören sang.

Sadaui sah jetzt eine Zeitlang geradeaus; das ungebärdige Tier hatte ihn munter gemacht. Sein tabakfarbenes, knochiges Gesicht mit den massiven, von grauem Kräuselhaar dünn bedeckten Kiefern hob die wollenen Burnusfalten in die Höhe, die es dick verhüllten. Er durchspähte die Reihe; neunzehn Schulternpaare bewegten sich rhythmisch vor ihm, und die Sonne stahl Funkengarben aus den Läufen der Feuersteinflinten. Auf den Kamelen, die nackten, mit kupfernen Knöchelringen versehenen Füße zwischen die fast geleerten Wassergirben gepreßt, hockten die Frauen wie schwarze, unförmige Säcke, und zwischen ihnen, zusammengekrümmt, die Kinder. Den Kopf mißmutig herumwerfend, musterte Sadaui das Häuflein; dann tat er einen gleichmäßig zischenden Zuruf, das »Zap zap« des Treibers, das die Reihe hinunterlief, bis alle Häupter sich hoben und die Füße sich taktfester bewegten.

Die Sonne kroch dem Zenit zu. Ein heller, wohllautender, leiernder Gesang erhob sich vorn:

»O schlagt mir nicht mein Bischurin, ihr Leute,
Wenn es das trübe Wasser schlürft, mein Freundchen;
5 Sein Hals ist wie ein Palmzweig langgestreckt;
Ich kam von Sîwa, und es folgte mir!«

Der Gesang setzte nicht ab, sondern ein Vers nach dem andern folgte; ein ganzer Strauß von blühenden Vergleichen entfaltete sich. Das junge Kamel hob die weichen, beweglichen Nüstern und drängte wiederum nach vorn, denn es kannte den Wohllaut und den Sänger: das war Schuchân, der sechzehnjährige, spätgeborne und zierliche Halbbruder des Sadaui. Er ging, wiewohl gleich den andern von Hitze ermattet, dennoch schlank und unbekümmert dahin; seinen Burnus, in dessen Falten die Holzperlen einer schier hochzeitlich stattlichen Kette aneinanderschlugen, trug er mit großer Anmut, und sein rundes Gesicht mit den tiefschwarzen Augen war ohne Arg. So ging er dahin; hinter seiner schmalen Stirn, die er leicht beim Singen krauste, schien eine Hoffnung zu lächeln. Er sang seine Verse ab und fügte neue, selbsterdachte hinzu . . . und während er sang, eine einsame Stimme, die in der Wüste verklang wie das Pfeifen einer Springmaus, strafften sich knorrige Arme, spielten Muskeln, spannten sich Sehnen; ja selbst die Schleierbündel auf den schaukelnden Kamelrücken bewegten sich, und bläuliche Lider taten sich auf, einen Moment von Lethargie befreit.

Auf einmal brach Schuchân ab; und nach einer kleinen Pause blieb er stehen, so daß Mensch und Tier, ein Roß, zehn Kamele und das gesamte Häuflein der 6 versprengten Auladali-Beduinen sich hinter ihm staute; er zog seinen Teppich aus der Packtasche hervor, breitete ihn aus und sank gefällig darauf nieder. Alle anderen taten desgleichen, so daß für einen Augenblick eine Geschäftigkeit entstand, als wolle man rasten und Zelte schlagen, hier bei Moghara, an der Todesstraße nach Bachrîje, in der Serîr-Wüste und am Saum jener Sandbreiten von Ländergröße, die alles Leben fressen. Die Beduinen warfen ihre Flinten ab und legten die gespreizten Hände parallel, die scharfen Gesichter in die verblichenen Muster ihrer Teppiche gepreßt, alle nach Osten gewandt, und leisteten das Dhur, den Mittagsanruf, mit staubdürren Zungen. Auch Sadam sprach die gewohnten Worte, doch er dachte dabei daran, daß er altere, daß das Geschwür an seinem Fuß ihn plage und daß er des planlosen Umherschweifens in diesem Augenblick für immer müde sei. Er dachte daran, daß er der Blutrache, um deretwillen er sich durch Monate das Kreuz lahm geritten, verlustig gegangen sei; und daß der Mörder nun im Fayum bei einem fetten Pächter seine Brotfladen über friedlicher Asche backe oder der ägyptischen Gerichtsbarkeit verfallen und ihm so für immer entzogen sei.

Daran dachte Sadaui . . . Rote Blitze zuckten durch sein Hirn und erzeugten eine dumpfe Empfindlichkeit über den Brauen. Es war sein Privatgeschäft gewesen; doch alle wußten darum. Und alle hatten es eilig 7 gehabt, ihr spöttisches Bedauern zu zeigen; hatten ein wenig, zur Entschädigung, an der Grenze des Deltas geräubert und waren sodann nach Westen aufgebrochen, um zum Mahdi zu stoßen, der gerade zu einem Überfall auf die Andersgläubige unter den Wüstenstämmen warb. Sadauis heißer Wille, sein Blutrecht zu fordern, hatte sich bescheiden müssen, als man die Flinten im Taumel dieser neuen fanatischen Losung durcheinanderschwenkte. Doch als der Mahdi eine verlustreiche Schlappe erlitt und sich in einer Zauja versteckte, hatte man sich zurückgezogen, neuer Weisung gewärtig, aber allzubald ernüchtert und pfadlos; und war nun hier, beim Dschebel-Sommara, an der Pforte der Hölle, nahe der nackten Durstzone, wo eine Handvoll fauliges Brackwasser den Wert einer Perle besitzt.

Der Anruf war beendet. Man erhob sich. Stumpf kroch die Schlange des Zuges weiter. Schuchân sang nicht mehr; er ließ nur zuweilen ein anfeuerndes Zischen hören. Die Glut war unvermindert und erbarmungslos. Schon beschloß man zu rasten, als die Kamele begannen, sich unruhig zu gebärden. Sie schnauften hörbar; eines schrie. Die Leute sahen einander an. Ein Gespräch schwirrte auf, erregte Hände fuhren aus den Ärmelsäcken. Und siehe da: in der Ferne, an dem hitzeschwankenden äußersten Saum des Runds entstand ein dunkler Punkt mit einem geisterhaft tanzenden 8 Zwillingsbild! Und der dunkle Punkt wuchs, je näher man rückte, wuchs unendlich langsam, sprang, die spähende Pupille äffend, in kleinen Sätzen zurück . . . Was war das? Alâme, Wegzeichen konnten es nicht sein, wiewohl man solcher gewärtig war, da eine Karawanenstraße der Hedschas-Pilger unweit vorüberging. Das Ding wuchs jetzt an Fülle, wurde gleichsam fetter, eine kleine blaue Masse, die sich zusehends zerteilte . . . Alle waren so bewegt, daß die ewigen Worte der Eröffnungssure in ergriffenen Bruchstücken von selbst über die Lippen drangen. Schuchân schrie einen langen Satz, in dem sich ein Preis Allahs mit einer Beglückwünschung seiner selbst und aller, die er liebte, verquickte; denn, wenn es Rechtens geschah, so gehörte das segenverheißende Pünktchen nächst den Kamelen, die es zuerst gewittert, ihm.

Eilig kam man näher, während man die Eigenschaften des Gottes, neben dem es keinen Gott gibt, auf den Lippen trug. Denn vor ihnen, als sei ein ungefaßter Edelstein der Hand Allahs in der Muße entrollt, stand mitten in der dürren Wüste, unfern einer antiken Trümmerstätte, eine Gruppe Dunpalmen. Dies Wunder, mit den Fingern umrahmt, war einem Blick ins Paradies vergleichbar; es blühte dort, kobaltblaue Schatten spendend, mit zierlichen, smaragdgrünen Wedeln und schlanken Stämmen; es umgab sich mit Safsaf und Schîje-Kräutern, schleichenden Gespinsten voll 9 aromatischer Blüten, Adjeram und hochgestielten Asphodelen; aus den Trümmern quollen Dornsträucher voll Wolfstrauben, die blutrot leuchteten, und hie und da bewegte eine stammlose Wüstenpalme, mit grauem Faserwerk gepanzert, raschelnde Fächer dolchscharfer, schmaler Blätter. Ein leiser Wind war spürbar, ein duftender Anhauch wie eine Begrüßung; und die Leute stießen ihre Flinten in die Höhe und knallten ziellos, wie berauscht, in die Luft. Braune Schatten stoben irgendwo auseinander; ein Rudel Gazellen, nur erkennbar an einer Kette glitzernder Sandwölkchen, verschwand hinter der nächsten Düne. Ein Tierschrei erscholl; ein Geier bohrte seine träge Spirale ins Blau. Es blieb totenstill.

Dies rätselhafte Schweigen machte die Leute stutzig; sie hielten darum ihre ungestüm vorwärtsdrängenden Tiere gewaltsam an und berieten schrill, wie sie sich der offenbar im Hinterhalt liegenden Bewohnerschaft nähern sollten. Sadaui blieb schweigsam, nur seine Blicke gingen schnell im Kreise umher. Durch diese unbeteiligte Haltung fiel er auf, wie es stets ist, wenn einer steinern bleibt, wo die Gemüter sich erhitzen; und so konnte es nicht ausbleiben, daß man, als die eigenen Schlüsse erschöpft waren, auch nach seiner Meinung forschte. Zudem galt er für klug und in Gemäßheit seiner grauen Haare (er stand im sechsten Jahrzehnt) redekundig und auf seinen Vorteil bedacht; und dann 10 wollte man seinen Schmerz ehren, denn die mißlungene Blutrache zehrte an ihm. Das sah man aus seinem Verhalten und seinen Augen, die kälter und trüber dreinstarrten als früher und, oft geschlossen, tiefer in den Höhlen lagen, so daß sich die Hackennase freier und gewalttätiger zu erheben schien.

So baten sie ihn denn, sich als erster in die Oase zu begeben. Als er ging, tastete er mit der Rechten nachlässig an Brust und Stirn . . . Es war ein aufrechter, fast schwebender Gang, den er zeigte; er schritt lautlos auf seinen abgenutzten Sandalen durch den pulverartigen Sand, und es war etwas Fürstliches darin, wie der hochgewachsene Mann seinen graugelben beschmutzten Burnus trug. Er hatte die Flinte von seinen knochigen, breiten Schultern genommen und hielt sie wagrecht in der einen Faust. Als er aber dem Gesichtskreis der anderen so weit entschwunden war, daß er nur mehr als helles wanderndes Flöckchen erschien, das sich in dem stumpfen Grün bewegte und von den zersprengten Säulenstrünken und Quadern kaum noch zu unterscheiden war, stieß er einen dumpfen Fluch aus und begann ungleichmäßig und kläglich zu hinken, denn das Geschwür an seinem Fußknöchel, von den harten Kräutern unbarmherzig geritzt, brannte wie Feuer. Langsam vorwärts dringend, sah er sich halb geduckt um. Er stand jetzt in dem Schatten, den das schräg fallende Licht vor die Oase breitete.

11 Da nun ward ihm bewußt, daß Menschenhände hier gewirkt hatten. Unter kluger Benützung der Ruinen und gleichförmiger Anpflanzung von Dornsträuchern zwischen den Mauerresten und zerspaltenen Tempelstufen hatte man um die ganze Oase und einen Teil ihrer Umgebung einen Damm errichtet. Der Sand hatte sich hinter der lebenden und toten Schranke gleichmäßig gestaut; er war, wo er über das Hemmnis zu rieseln drohte, planiert worden, so daß er stufenweise nach außen abebbte; deutlich ließ sich erkennen, wie emsig und nachhaltig man da und dort seiner Herr geworden, wie man ihn mit Lehm gekittet und seine schleichende, tückische Lebendigkeit gefesselt hatte. Hinkend und vor Verwunderung leise zischend und mit der Zunge schnalzend, prüfte Sadaui den Damm. Er fand bald Stellen, die offenbar seit Monaten unbewacht, geborsten, überschüttet und zerblasen waren. An solchen Breschen schob der Sand geschäftig seinen gelben Leib herein, einem riesenhaften Tausendfüßler gleich; hier lagen breite Streifen, die sich hell durch den Hain zogen; da und dort hatten seine Berührungen verwilderte Kulturstrecken zerstört.

Sadaui, die Flinte schußbereit schräg unter den Arm geklemmt, ging nun in das Innere, stets gewärtig, auf Leute zu stoßen. Bald genug überzeugte er sich, daß die Oase vollkommen leer und ausgestorben war. Halb vermoderte Reste eines ehemaligen eiligen Aufbruches 12 traf er an; ein einziges friedliches Skelett ließ sich durch einen prüfenden Fußtritt zertrümmern. Eine rostbedeckte Waffe, eine Flinte mit zerfressenem Kolben, stak irgendwo. Durch die Palmenstämme gellte der jahrtausendalte Schrei der Einsamkeit: – – – – nur erträglich, wenn man selbst einen Lärm erzeugte. Das tat auch der Beduine; er stieß ein Gebet hervor, er löste Schüsse nach drei Richtungen, er hieb rhythmisch an die leicht erschütterten, jungfräulichen Stämme und ließ sich endlich, geräuschvoll atemziehend, am Ufer des kleinen Teiches nieder, unfern der Quelle, die ihr sorglos segenspendendes Wesen hatte und in regelmäßigen Intervallen stumme Blasen an die Oberfläche warf.

So, bald auf die Quelle starrend, bald von dem funkelnden, schon abendlich gemilderten Blau, das hinter den Stämmen war, den Blick geblendet, saß er längere Zeit und hatte seine Gedanken. Unerschütterliche Vorsätze, harte und reizende Entschlüsse tauchten auf; seine kantige Stirn war in Falten gelegt; die Augen unter den herabhängenden eisgrauen Brauen wurden schmal und verschmitzt. Sie wanderten unablässig, ohne daß Sadaui das Haupt auch nur leise bewegte, in der Oase umher und heimsten viele Möglichkeiten ein, die das brütende Hirn hungrig empfing; – und endlich erhob er sich mit einem steinernen Ausdruck und hinkte, so rasch sein Fuß es erlaubte, durch eine 13 Dammbresche, deren Lage ihm ein schnurgerader Sandstreifen verriet, wieder zu den Seinen hinaus. Das Häuflein erwartete ihn voll würdiger Fassung, nahm aber dann seinen Bericht mit verblüfftem Meinungsaustausch und mit viel Geschrei entgegen.

Sie zogen, Mann hinter Mann und Tier hinter Tier, in die Oase ein. Die Kamele empfingen Nackenschläge; sie brachen in die Kniee und brüllten entzückt, während man sie eilig abtakelte. Von der Last befreit und mit derben Fußtritten in die Richtung der Tränke gewiesen, erhoben sie sich ruckweise; mit gerade gestreckten Hälsen schritten sie zum Wasser und sogen mit den Unterlippen das rötlichbraune Naß in die lechzenden Kehlen. Die einzige Stute, die dem Häuflein noch geblieben war und durch deren seidenzarte Haut die enthaltsamen Rippen traten, stieg mit ihren harten, flechsenstarken Beinen in das Bad und schlürfte und soff, so daß sie sichtbar glatt und ansehnlich wurde wie zu jenen Zeiten, als sie sich noch in der Vorwüste tummelte und ihr Blick bei einer hitzigen Phantasie in königlichem Blutschimmer loderte. Und während auch die Leute unter großen Danksagungen die Hände füllten, wurde die Sonne zu einem schwankenden Purpurball, tanzte riesig und feuerflüssig auf der Scheide der Welt und ließ Schatten entstehen, die, ins Purpurbraune spielend, sich endlos streckten und der Dämmerung ein schmal gemustertes Pfühl erschufen.

14 Und ehe man nun daranging, Pflöcke einzuschlagen und die flachen Zelte aus schwarzem Tuch zu erbauen, ward es Zeit zum Abendanruf, dem Asr; und man sank nieder, wie erlöst: für die nächste Zeit hatte man ja einen Rastort. Die Lippen murmelten: Segen über Segen Dem, der Seinen Kindern ein guter Führer ist, und dem Erlauchten, den Er berief! – Mittlerweile war die Sonne fast eilig gesunken; die Hitze entwirbelte dem Boden und stieg in den kühlen, von den winzigen Fackeln erster Sterne silbern durchzitterten Raum. Dieser Bereich wuchs blau und gnädig; entlegene Purpurmassen verblichen; ein letzter meergrüner Strich zögerte am Horizont, und die fahlroten Tinten des schwachen ungeheuren Lichtfächers zerliefen tiefviolett. Ein neues Glanzgebiet entstand auf der Gegenseite: der Mond. Zunächst oval, rundete er sich und prangte, scharfe Schatten erzeugend, am Osthimmel. Er schwebte seltsam körperlich im Raum, und ein kühler Wind sauste vor ihm dahin. Endloses Schakalgekläff ward hörbar: eine jammernde Lautwelle, deren Ursprung dem Gehöre verborgen blieb. Ein Goldwolf weinte schmerzlich wie ein Kind, das in eine Zisterne gefallen ist. Nach Stunden erst ward es still; die Leute lagen schwer und ruhig atmend zwischen den Sätteln, unförmig in ihre Burnusse gewickelt. Einer schluchzte im Schlaf: das war Schuchân.

Sadaui blieb wach; der Schmerz saß auf seinem Fuß 15 wie ein Kobold. Er dachte viel an seine Blutrache und an seinen greisen Oheim Abu-Sêf-Sâle, den »Vater des Schwertes«, der um seiner Amulette und seiner Gürtelsteine willen, die zu Rechts wegen ihm, Sadaui, anheimgefallen wären, eines meuchlerischen Todes starb. Er dachte an das Achselzucken und an die Stichelreden derer, die ihm damals ihren Beistand hitzig anboten und dann so mild und manierlich wurden, als sie an den Bachr Jussuf kamen und an Zigaretten und gedörrten Pflaumen ihr läppisches Genügen fanden.

Dort lagen sie vor ihm, die drei Haupthähne: prächtige Männer, pomphaft zubenannt, Abu-Rîch, Abu-Makar und Abd-el-Al, zäh, tiefbraun und schwarzbärtig – – – doch Sadaui wußte, daß ihr Verstand klein war, hirsekornklein wie der von Weibern, und daß ihr Wille träg war, ihr Sinn eigennützig und ihre Gedanken nicht behender als die von Sklaven, die gern einen Diebstahl begehen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Dämonen-Beschwörung

Die Frühe dämmerte, und die Kamele taten hohe Schreie, denn sie waren des Weitermarsches gewärtig. Zudem waren sie voll nützlicher Feuchtigkeit und wohl imstande, wiederum geschmälerte 16 Tibben-Rationen und heißen Sonnenblick unbeschadet zu ertragen; ihre Augen waren lebensvoll und ihre Gelenke beweglich. Sadaui erwachte zuerst, er leistete still für sich das Sobh, den Morgenanruf, und steckte nach dieser mit hergebrachter Inbrunst vollzogenen Handlung seinen Fuß in das Wasser. Zuvor schon, während er zum Ufer hinkte, bemerkte er untrüglich, daß der Knabe Schuchân von Fieber besessen war, denn er redete im Schlaf, mit hoher und zerstreuter Stimme.

Schuchân lag, den Kopf auf eine Kamelstasche gebettet, mit offenem Mund da, und der Atem fuhr ihm eilig wie ein Wind über die trockenen Lippen. Sein halbnackter Körper, mit den hellen Brustmalen, befand sich in Aufruhr und ward hin und her geworfen.

Sadaui sah in den Pausen, die die sorgsame Pflege seines Übels ihm gestattete, nach dem Halbbruder hinüber und nahm seinen krankhaften Zustand gedankenvoll wahr. Er holte eine runde Sattelflasche, füllte sie und setzte sie an den Mund des Fiebernden, der sie hastig leerte. Da löste sich der Krampf des Atmens, und Schuchân ward ruhiger; die tiefschwarzen Wimpern senkten sich still auf die bräunlichen Wangen.

Die Frühe brachte zarte Farben; ein leichter Nebel lag über dem Teich, und eine wundervolle, schwebende Kühle erhielt sich noch unter den Stämmen. 17 Schwaden hellsten Goldes rollten herein; über den Palmenwedeln, die blasse Schatten warfen, entstand ein seliges Türkisblau. Einige Gazellen, deren zierliche Silhouetten sich deutlich von dem Morgenhimmel abhoben, wagten sich mit unendlicher Vorsicht an die gewohnte Tränke heran. Sie blieben nicht lang: ihre schlanken Ohren fuhren steil in die Höhe, da nun auch die anderen Beduinen erwacht waren und ihre Gebete sangen.

Dann durchbrach die Sonne den leichten Schleier und begann ihre Pfeile, wie tagtäglich, in blendenden Massen herabzuschütten: der Sand empfing sie, letzter Taudunst rang sich los, letzte Brisen spielten matt hinweg. So ward die Glut im Verlauf einer halben Stunde voll und kräftig. – – –

Unter den zwanzig Männern gab es einen freigelassenen Sklaven, einen Negerbastard von tierischem Gesichtsschnitt, der aus der Barka stammte und Eluâni hieß. Seine Gestalt war dürr, seine Hautfarbe ein verschossenes, unregelmäßig gebleichtes Ockerbraun, sein Kopf klein und trotz spitzer Schultern von einem dicken, doch beweglich lauernden Nacken getragen, so als erwarte er jeden Augenblick angeschrieen zu werden. Man duldete ihn gern, ja man zollte ihm hohen Respekt, denn es war bekannt, daß er über gewisse Kräfte verfügte und sich gewappnet zeigte, wenn trotz der Glut ein Schauer über die Herzen der anderen lief. Weit über 18 hundertmal hatte jeder es erlebt, daß aus einer Ritze im Todestor ein Lichtstrahl ihn streifte, ein kleiner Strahl, der nur wie eine Ahnung aufblitzte, Sekunden aussetzenden Pulses lang, sei es, daß ein Stück Hackblei aus einer Askariflinte am Kopf vorübersummte, oder sei es, daß die Eingeweide allzu heftig nach Wasser schrieen, und man bereit war, den Tod verhüllt zu erwarten. Dies war keinem unbekannt; und weiter ward es auch gerühmt, daß Eluâni alsdann wie ein stählerner Helfer sich bewährte, unantastbar von Ungemach und von den Leibesbedürfnissen eines Sperlings. Man erzählte sich, daß seine Kenntnisse aus der Senussi-Schule in Dscharabub stammten; er war des Schreibens kundig, und mehrere Suren waren ihm geläufig; darunter dunkle, seltsame, dem Korân fremde, von schwärmerischem Tonfall und hoher Schönheit der Verse. Gab es Krankheiten, so galt er als bewanderter Hakim; und so war es auch seine Sache, dem kranken Schuchân zu helfen.

Er entblößte den Schlummernden vollends, den braunen Blick starr auf ihn gerichtet, und da Schuchân sich wand und die Nerven an seinen Schultern zuckten, kostete es Arbeit, ihn in Schweiß zu bringen. Eluâni knetete ihm Brust und Bauch; und als Schuchân, schnell und erschöpft nach Luft ringend, eine Weile mit schlaffen Muskeln zurückgesunken war, erhob sich der Hakim und sah sich grübelnd im Kreise um, über 19 die zusammengedrängten Köpfe der Leute spähend, die seinem Tun flüsternd folgten. Er blickte in die Lücke im Hain, wo der Stumpf eines halbversunkenen Bauwerks emporragte; blickte angestrengt, als sei er ganz Gesicht und Gefühl geworden; und auf einmal war es, als würden seine Hände mechanisch nach jener Richtung gezogen. Zuerst unsicher schwankend, flogen sie plötzlich empor; und er erließ eine große, scharfe Verwünschung. Das war klar; hier gab es Dschinn; ein besonders boshafter dieser Teufel lallte aus Schuchâns Mund und sprach sonderbare, liebliche Worte. Er sang: »Bleibt hier, ihr Männer. Baut Durrha und Gerste an; hier ist gut sein. Hier ist Schatten und Wasser. Bleibt hier!«

Alle lauschten, weil diese Rede so hübsch war; und weil sie des Schattens und Wassers wochenlang bedurft hatten, so daß die zwei Worte ihnen wie Zaubersilben erschienen. Eluâni aber hatte inzwischen eine Tonscherbe bekritzelt und legte sie mit einer gezierten Bewegung auf die Lippen des Kranken, die noch weiter bereit waren, Ähnliches zu formen, wie zwei Saiten, deren der Afrîd sich zu einem Lockakkord bediente. Der Kranke verstummte und entschlummerte, während Eluâni, auf seine Amulette pochend, sich mit schriller Stimme zu dem Versuch bereit erklärte, diese Teufel hinwegzutreiben. Die Oase sei vor Jahren verlassen worden, vielleicht weil die Verworfenen Allahs in den 20 Trümmern ihr Wesen getrieben hätten . . . und er werde vor dem Abendgebet noch heute hinübergehen und versuchen, sich mit den Geistern zu besprechen, sie zu bannen und Verträge mit ihnen zu schließen.

Alle staunten, weil Eluâni einen solchen Mut zeigte . . . doch stand er so bescheiden und unantastbar da im Schutze der Katzenfellbeutelchen, die seine Amulette bargen, mit Münzen behangen und den Blick zu Boden gerichtet, daß kein Zweifel an seiner Berufung sich regte. Alle murmelten ihren Beifall und taten scheue Blicke nach der Gegend, die er verfemte; und da seine Worte auch die Kraft gehabt hatten, zu den Zelten zu dringen, zeigten sich die schmalen, kleinen Gesichter von Weibern in den Spalten . . . Die durch Entbehrungen getrübte Glut schwarzer Augen zwischen bläulichen Lidern hub ein ängstliches Spiel an. Die Kinder, mager und keck, bildeten scheue Gruppen; ein einziges, den Kopf voll schwarzer Zottelhaare, schlug ein stillvergnügtes Gelächter auf.

Nun fragte Eluâni, ob jemand bereit sei, ihn in die Trümmerstätte zu begleiten. Und kaum hatte er diese Frage gestellt, als auch schon Sadaui vortrat und sich anbot. Denn – so lautete seine rauhe, kurz hervorgestoßene Rede – er lasse sich nicht vertreiben dadurch, daß einer der Verworfenen den geschwächten Leib eines Knaben erobert habe; überdies, wie er spöttisch meinte, sei das kein tückischer Afrîd, der von Schatten und 21 Wasser plaudere und bei Auslegung von Tonscherben stracks verstumme. Er, Sadaui, mache sich anheischig, so sanften Teufeln jederzeit zu trotzen; überdies sei das Wasser ein Balsam, denn, wie ihn der Zustand seiner Fußwunde lehre, es wohne eine heilsame Kraft darin, die nur von der Güte Dessen, der Brunnen in der Wüste weckt, ihren Ursprung nehmen könne. Durch diese vermessenen Worte erregte er zunächst unverhohlenes Befremden und verblüffte Bedenklichkeit, so daß, wie geläufig auch die Zungen vorher gewesen, keiner zu reden wagte und nur die braunen Hände sich langsam und abwehrend gegen ihn hoben. Eluâni aber machte ganz kleine Augen und sah ihn wie ein Augur an, so daß ein schattenhaftes Lächeln an die Lippen Sadauis trat, nur erkennbar an einem kurzen Aufblitzen seiner scharfen Zähne.

Sadaui sagte nun noch etwas, und dies wirkte Wunder. Er sprach: »Als wir im Fayum waren, und ich aus der Spur dessen war, der Abu-Sêf-Sâle, meinen Oheim, gemordet – – meinen Oheim, der so hitzig und tapfer war wie zwanzig von euch, und so stark im Glauben, daß Allah seine Kugeln um die Ecke lenkte! – halfet ihr mir nicht. Nun, da ihr als gläubige Männer diese Stätte weihen und mit diesem da – –« er wies auf Eluâni – »die Dschinn vertreiben sollt, die hier hausen, denkt ihr: Mag Sadaui gehen, wir rühren uns nicht. – Ihr seid keine Männer, sondern 22 Krämer und Weiber, ihr sollt verflucht sein!« – Man hatte ihn mehrmals unterbrochen; besonders Abd-el-Al und Abu-Rîch waren so erzürnt, daß man das Weiße in ihren Augen sah. Sie stießen die Kolben ihrer Flinten heftig nach unten; der Sand spritzte hinweg. Nun wagte Sadaui ein Weiteres: den tiefliegenden Blick trüb und kalt auf sie gerichtet, spie er bedachtsam auf den Boden, ohne sich von der Stelle zu rühren. Ein Lärm entstand; ein bedrohliches Murmeln; Abu-Makar strich sich heftig seinen schwarz glänzenden Kinnbart und machte einige Schritte auf Sadaui zu. Da aber geschah es, daß Schuchân sich rührte.

Von dem Geräusch erweckt, erhob er sich schwankend mit Hilfe Eluânis, stand da und öffnete langsam die runden Augen. Herzhaft gähnend, streckte er die wohlgeformten Arme in die Luft; und dann, nach einem schnellen Tränenbad, das durch kräftiges Zwinkern versiegte, waren seine Blicke wie früher groß und hell . . . Es war ersichtlich, daß der Druck von seiner Stirn gewichen und das Übel aus seiner Brust vertrieben war. Die Plötzlichkeit nun, mit der er sich genesen zeigte und zufrieden lächelnd sich umsah und anschickte, selbständig zur Quelle zu schreiten, brachte einen Umschwung hervor. Ernüchtert und überrascht folgten ihm einen Augenblick alle Augen, und es rührte selbst die älteren Leute, wie er voll Unschuld und mit stiller Geschäftigkeit sein junges Kamel streichelte und mit 23 Strohschnitt versah . . . So kam es, daß die versöhnliche Stimmung flugs auf dem Fuße folgte. Und als Sadaui die Frage Eluânis wiederholte, erklärten sie sich prahlerisch bereit, mitzugehen, immer noch mürrische Blicke auf den Sprecher gerichtet, der es gewagt, sie der Feigheit so offen zu bezichtigen.

Der Tag verging. Eine Flauheit war in der Luft spürbar, die der früheren trockenen Hitze fremd gewesen war. Die ganze Zeit über war der junge Halbbruder Sadauis beweglich wie ein freundlicher Geist; er summte Liedlein vor sich hin und machte auch zwischendurch einen kleinen Ritt in die Wüste hinein, auf »Neid der Winde«, der einzig übriggebliebenen Stute, die einen Schweif wie eine Flagge und hellrote Nüstern hatte. Sie war etwas heruntergekommen und triefäugig gewesen, als sie ankam; ihre edle Form war an der Grenze der Schlankheit angelangt. Nun, da sie erfrischt und gesättigt war, machte ihr kein Tempo mehr Mühe. Schuchân umritt eine Gazelle und trieb sie zwischen die Sträucher. Doch gelang es ihm nicht, sie zu schießen, da seine Hände von dem Sonnenstich, den er erlitten, noch schwankten. Während dieser Jagd, die mehr einem Tanz glich, den Mensch und Tier, beide von Leben erfüllt, zu ihrer Belustigung und Erholung vollführten, war die Zeit der Beschwörung reif geworden, und Schuchân dachte daran, daß sein wortkarger Bruder den Dschinn mit dem Messer 24 zu Leibe wolle, und bewunderte ihn scheu von weitem, als er mit der Stute in die Oase zurückkam. Dort war am Teich eine eifrige Unterhandlung im Gang. Die Dämmerung kam; das blaue Licht ward fahl und schmiegsam. Die Männer sanken nieder und beteten. Während Schuchân sich ihnen blitzschnell anschloß – denn es war Gott gefällig, wenn der Niederfall aller sich gleichzeitig vollzog –, sah er verstohlen nach Sadaui; und auch dieser hatte seine Augen nicht am Boden, sondern spähte mit abschätzenden Stirnfalten unter den Brauen hervor nach dem Bastard, der seine wulstigen Lippen in die schmutzigen, bunten Fransen seines Teppichs wühlte, in einer Stellung, als fürchte er getreten zu werden.

Man erhob sich und ging nun zu fünft nach der Trümmerstätte. Eluâni führte den kleinen unternehmungslustigen Zug, dann folgte Sadaui, und den Beschluß bildeten die drei Krieger, langsam und würdig, in gleichen Abständen. Ein großer Vogel stieg mit knatterndem Flügelschlag vor ihnen empor. Sie kamen allgemach in den Bereich, wo die Reste von Marmorfundamenten frühester Anlagen begannen. Dort blieb Eluâni plötzlich stehen. Vor ihnen wurde der Boden glatt, und ein riesiges Mosaikkreuz zeichnete sich dunkel am Grunde ab, von Schîjekraut überwuchert. Eluâni leistete eine kurze fanatische Verwünschung . . . Eine halbverfallene Krypta, aus den antiken Quadern 25 errichtet, ward übersprungen. Reiches, marmornes Blumenwerk blinkte am Wege auf: zerspaltene Kapitäle. Auf einmal taten alle, mit Ausnahme Sadauis, rauhe Schreie und schoben sich eng zusammen; denn aus einer halbverwehten Zisterne heraus blickte ein Afrîd.

Er blickte still und reglos mit seinem gefleckten, regelmäßigen Gesicht aus dem Sand hervor. Seine Nase war gerade wie ein Strich, sein Mund halb offen und von keuscher Form, zierlich umrahmt von geteiltem, weichwelligem Haar. Seine Augen waren entsetzenerregend. Sie hatten keine Sterne, waren vollkommen leer. Sie starrten weiß hervor, sie nahmen den ganzen Umkreis ohne Wimpernzucken auf und warfen ihn wieder ohne Seele zurück. Doch auf einmal belebte sich das eine der Augen . . . es rollte langsam hin und her. Die Pupille senkte sich schlau in den Winkel, dann glitt sie herüber und sah eine Zeitlang in die Wüste hinaus, wo die Schakale wieder kläfften und der kaum geschmälerte Mond seinen geisterhaften Bereich näher rückte; und endlich erhob sie sich bis unter das Lid, anklagend und gebieterisch zugleich, so als sei der Afrîd es müde, angestarrt zu werden. Während sich nun, unter dem Vorsang Eluânis, der heftig seine Hände schwenkte, eine unermüdliche Beschwörung erhob, erglomm das Auge grün: ein magischer Lichtkreis ging von ihm aus. Es erglühte zornig und boshaft . . . 26 und dann erlosch es plötzlich; die Pupille flog heraus wie ein Pfeil. Kreischend stob das Häuflein auseinander, als der Funken im Bogen über sie dahinstrich; nur Sadaui blieb stehen. Einen kurzen Augenblick lang hatte auch ihn das Entsetzen der anderen gepackt; nun übermannte ihn ein bewußter, überlegener Zorn auf den albernen Geist; er raffte schwere Steine auf und warf sie mit aller Macht in das weiße, wieder leer herübergrinsende Gesicht. Und als der sechste Stein schmetternd darauf fiel, verschwand es, war nicht mehr da; und Sadaui rief die anderen, die sich zitternd in einiger Entfernung verhalten hatten, an die Stätte zurück, wo er den Kampf mit dem Afrîd siegreich ausgefochten hatte.

Und siehe da – während die anderen hinzutraten und sich mit maßloser Verwunderung von seiner Tat überzeugten – erblickte Sadaui in der Falte seines Burnusses einen schwachen Lichtschein. Ihm stockte das Herz. Da sah er einen Käfer von der Größe eines halben Daumennagels, mit schwarzen Flügeldecken und phosphorischen Pünktchen an den Ringen des wurmartigen Leibes. Sadaui hob den Arm gekrümmt und behutsam, so daß sein spähendes Profil hinter der gehobenen Schulter versank, und schloß die Hand über dem Insekt. Es war weich und bohrte schwache, elastische Fühler in die zitternde Hand. Wiewohl Sadaui wußte, daß im Fayum oder in Beheira zur 27 Frühlingszeit alle Kinder mit diesen Lampyriden spielten, so empfand er doch Sekunden hindurch einen erwartungsvollen Graus, ob nicht doch ein kleiner Scheitân sich in dem Wurm versteckt habe.

Doch der Wurm verhielt sich still und leblos. Der Beduine wandte sich jetzt in einem Ruck herum und sprach zu den andern: »Allah akbar! – Ich habe den Afrîd gefangen. Hier in dieser Hand halte ich ihn.« – Er machte eine Geste mit der gehöhlten Faust. Als er sah, wie mächtig seine Worte wirkten, wie die drei Stammesgenossen mit erneutem Schreckensruf, ja mit einem hilflosen Angstgestöhn vor dieser Ungeheuerlichkeit zurücktaumelten, wurden Sadauis Augen wie am vorhergehenden Tage bei der Quelle schmal und verschmitzt. Er lächelte wiederum schattenhaft im Schutz seiner Kopftuchfalten und der Dunkelheit; er kostete ihre Bestürzung reichlich aus und machte noch einige possenhafte Gebärden mit dem Ding in seiner Hand, die eine gesteigerte Wirkung hatten. Auf einmal war er mit Eluâni allein, der, die Finger um seine Fellbeutelchen mit den Korânstreifen geschlossen, sich zu nähern wagte. Nach einem geflüsterten Zwiegespräch, das die beiden dortselbst miteinander hatten, brachen sie in ein lautloses Gelächter aus. Eluâni hielt es nicht mehr für nötig, seine Amulette zu berühren; er ließ sie fahren und schlug sich mit den Handflächen vor Heiterkeit an die dürren Schenkel. Dann nahm 28 er den Käser mit spitzen Fingern, betrachtete ihn und gab ihn Sadaui zurück.

Bevor sie sich auf den Heimweg machten, wollte Sadaui noch nach dem Afrîd mit dem weißen Gesicht sehen und sich an seiner Ohnmacht belustigen; aber hier weigerte sich der Hakim mitzugehen. Sadaui trat darum allein an die Zisterne heran und sah sich den zertrümmerten Marmorkopf voller Befriedigung an. Dann kam er zurück und sprach: das müsse schon ein ganz besonders tückischer Scheitân sein, der ihm, Sadaui, standhalten wolle; und tat, während sie nun in die Oase zurückkehrten, noch mehrere solche Reden, deren Vermessenheit offensichtlich an Fieberwahn grenzte. Den Käfer trug er sorgsam wie eine Perle. Es war jetzt überall Mondschein; zwei junge Fenneks spielten auf dem Mosaikkreuz mit einer kleinen Schlange. Blitzschnell verschwanden sie; und Sadaui und Eluâni versagten sich nicht, kräftig nach dem verhaßten Zeichen zu speien, ehe sie vorüberschritten. Als sie den Platz neben dem Teich wieder erreicht hatten, hatte Abu-Makar gerade eine aufgeregte Rede beendet. Das Geschrei der anderen, so des Abd-el-Schuard, eines Mariut-Beduinen von großer Zungenfertigkeit, ward jäh erstickt, als man der Zurückkehrenden ansichtig ward. Man bildete einen scheuen Kreis, ließ sie in die Mitte treten und verhielt sich ruhig; ja es wurde geradezu grabesstill, 29 als Sadaui die Hand öffnete und sie stumm vor sich hinhielt.

Und siehe da, der Freiheit zurückgegeben, belebte sich das Tierchen und begann wiederum einsam und hochzeitlich zu leuchten. Doch ehe es die Flügel spreizte, warf Sadaui es zu Boden und setzte den Fuß darauf, mit zurückgeworfenem Kopf, ungeachtet des Entsetzensschreies, der laut wurde. Dann zertrat er das Wesen öffentlich, zertrat den Glanz und das Rätsel, wischte es herrisch von der Tafel des Lebens; und während Eluâni diese rituell vollzogene Handlung mit einem leiernden: »la illaha il'allah...« bekräftigte, ward es offenbar, daß sie beide im Besitz von Kräften sein müßten, einer Art von höchsten Ortes anerkannter Gläubigkeit, die sofort einen Dunstkreis von Respekt und Unantastbarkeit um sie schuf.

Und nun nützte Sadaui die Stimmung völlig aus. »Dreimal«, so erklärte er, »haben wir die Dschinn vertrieben. Zuerst haben wir ihrer einen, der aus Schuchân sprach, zum Schweigen gebracht, wiewohl seine Rede gut war, denn er bat uns zu bleiben. Er plauderte uns von Schatten und Wasser und zeigte uns, daß hier gut zu hausen sei. Das zweite Mal habe ich den Starken mit dem weißen Gesicht gesteinigt, so daß er wiederum in die Hölle tauchte; und das dritte Mal habe ich seine verworfene Seele mit dieser Hand, die Allah zur rechten Zeit geschickt machte, eingefangen 30 und ausgetilgt. Dieser erhabene Fiki hier billigte mein Tun. – Was uns nun angeht, so haben wir im Herzen uns fest entschlossen, an dieser Stelle auszuharren, die Früchte Allahs auszusäen und den Ertrag des Bodens seßhaft zu genießen, solange uns Tage zugedacht sind. Und wir bitten euch, auch allhier zu bleiben und eure Zelte bestehen zu lassen.« – So und ähnlich wußte Sadaui noch verschiedenes beizufügen, was durch seine reglose Haltung und sein bedächtiges, stolzes Mienenspiel große Überzeugungskraft erhielt. Er sagte noch mehrmals: »wir bitten euch;« – und da inzwischen auch Schuchân sich aus der Gruppe der Lauschenden gelöst und sich schweigsam mit einer andächtigen Unterwürfigkeitsbewegung den beiden zugesellt hatte, gewann das »wir« vollends an Kraft, und das »bitten«, rauh wie es hervorgebracht wurde, klang kurz und schneidend wie ein Befehl. Abu-Rîch und Abd-el-Al bewegten sich zwar noch trotzig hin und her, doch schienen ihnen immerhin neue Gedanken zu kommen, die ihren plumpen Widerstand lähmten; Abu-Makar nickte langsam mit dem Kopf, und der wortschnelle Abd-el-Schuard murmelte eine beifällige Redensart, die er plappernd und papageienhaft wiederholte, indem er sich mit seinen blanken braunen Augen umsah – – kurz, als die Rede Sadauis mit einem dreimaligen Anruf, wie mit einem Tusch, verklungen war, gab es niemand mehr, der ihm ernstlich widerstrebte.

31 Man tauschte keine Meinungen mehr aus, da die Nacht schon weit vorgeschritten war, und legte sich zur Ruhe nieder.

Der Ritt nach Aïn-Wara

Am nächsten Morgen nun erbaute man die Zelte vollends. So entstanden um den Teich herum an die zwanzig viereckige flache Hütten, die in der Mitte, wenn der Bewohner sich eines oder gar zweier Weiber erfreute, durch einen Vorhang streng geteilt waren. Sadaui tat seine Behausung am Südufer auf, ganz nahe der Quelle; der einzige, der noch auf seiner Seite wohnte, war Eluâni, dessen Zelt, der besseren Kenntlichkeit halber, aus grell und verwirrend gemusterten Fetzen zusammengeflickt war. Von diesem Südufer, das Sadaui sich nicht ohne Überlegung gewählt, obwohl es schlammig war und ganz von Burti-Schwertgras bedeckt – konnte man das Zentrum der Oase und den Eingang bequem überblicken. Das Zelt war für zwei Weiber, Sadaui und seinen Halbbruder berechnet und mit hinlänglicher Bequemlichkeit ausgestattet, besonders mit Ertrag aus der Gepäcknachhut von Hedschas-Zügen, aus der Zeit, als die ägyptische Regierung noch keine Sicherheitsabfindung an die Beduinen zahlte.

Denn wiewohl äußerlich, soweit seine primitive 32 Kenntnis reichte, Moslem reinsten Wassers, erachtete es Sadaui keineswegs für Raub, das irdische Gut seiner Glaubensgenossen dann und wann, wie üblich, anzutasten. Dazu kam ein dumpfes Bedürfnis, sich dafür zu entschädigen, daß man selber nie gleich den anderen den Anblick des Arkadenhofes und des kostbaren Würfels, in dem der vom Himmel gefallene Stein ruhte, genossen hatte.

Als das Zelt im Innern wohl eingerichtet war und die Zwischenräume der Tragpflöcke gut verstopft, auch der Boden glatt geschlagen und mit Teppichen belegt war – ging Sadaui heraus und mähte mit seinem Dolch die Schwertgräser an der Wurzel ab, um einen kleinen Vorplatz zu schaffen und das Gefühl des Besitztums durch Herstellung gerader Grenzen zu erweitern. Schuchân half ihm dabei, doch zerschnitt er sich – er hatte Hände wie eine Frau – bald genug die Finger und stand von der Arbeit ab, um sich ganz der Pflege dieses Übels zu widmen. Sadaui war darüber zornig, daß Schuchân sich so verletzlich zeigte; er warf ihm einen übelwollenden Blick nach, als er nach dem Ufer ging. Doch erinnerte er sich dabei der eigenen Fußwunde, die er seit seiner gestrigen Dämonenaustreibung vergessen hatte. Sie schmerzte nicht mehr und war von trockenem Schorf geschützt.

Nach einigem Nachdenken schien es ihm an der Zeit, den Damm auszubessern, und er ging ans andere Ufer 33 und erbat sich Gehör. Man kam sofort. Er kannte die Oase am besten, da er als erster darin geweilt und ihre Besiedelungsmöglichkeiten am reiflichsten geprüft hatte. Sehr gefährdet war die südliche Spitze, denn hier, wie er ihnen zeigte, war der Damm bis an sechzig Meter von einem Sturm teilweise niedergeblasen worden, und ein großes Gebiet lag unter fußhohem, feinem Sand vergraben, in dem einige Palmenschößlinge und die Reste sorgfältiger Bestellung verkümmert siechten.

Sadaui erklärte, wie man den Damm am besten wieder aufbauen könne. Einige hölzerne Futterschalen wurden fest mit Stöcken verbunden, wodurch man Spaten und Kellen zugleich erhielt. Mit diesen schwer brauchbaren Instrumenten begann man unter mehrmaligem »bism'allah« zu viert den hinter die ursprüngliche, nunmehr verdorrte Dornenhecke gedrungenen Sand rhythmisch hinauszuwerfen, um das Fruchtland freizubekommen. Die anderen, die nicht an der Arbeit mit den Schalen beteiligt waren, schöpften und gruben mit den Handflächen. Abu-Muchla, ein Beduine von El-Alfa, tat dies so sinnverwirrend schnell, daß seine Hände dem Triebwerk einer kleinen Mühle glichen. Mit der Zeit warfen alle ihre Bekleidung ab, und die dunklen Leiber wurden blank vor Schweiß. Sadaui beteiligte sich zunächst selbst an der Arbeit, die unsäglich langsam und noch von wenig Erfolg begleitet vorwärtsging; als man etwa vier 34 Quadratmeter vollständig abgehoben hatte, stand er auf, während auch die anderen mit heftig blasenden Lungen eine Pause machten. Sie sanken zurück, kreuzten die Füße unter den Schenkeln und saßen eine Zeit lang gedankenlos da, nur auf Stärkung ihrer über Gebühr beanspruchten Herzen bedacht.

Als sie sich völlig erholt hatten, drehten sie ihre kindlichen dunklen Augen Sadaui zu, und da sie auch ihn in erschöpfter Versunkenheit erblickten, meinten sie murmelnd untereinander, daß dies doch eine recht törichte und ungewohnte Arbeit sei und daß sie für heute genug davon hätten. Sie teilten dies auch Sadaui mit; aber Sadaui sah sie so trüb und finster an, daß sie sich keinen Vers darauf zu machen wußten, bis er mit bedeckter Stimme die schlichte Antwort gab, daß nach dem Mahle – nach dem er selbst jetzt kein Gelüsten trage – die Arbeit ebenso munter ihren Fortgang nehmen müsse und daß es gelte, die drei- bis vierfache Strecke in derselben Breite heute noch vom Sande zu befreien.

Während dieser Worte trat er in einer ähnlichen Stellung vor sie hin, wie am vorhergehenden Tage, als er sich als Verbündeter des unheimlichen und mächtigen Bastards gezeigt. Und am Nachmittag, als sie, noch immer verdutzt, zurückkehrten, ward ihm bewußt, daß diese Arbeit ein Prüfstein seines erworbenen Einflusses werde: er sah zu, wie sie sich weiter bückten, dumpf 35 wie Sklaven; er leistete sich einen Aufseherposten öffentlich und mit schöner Selbstverständlichkeit, als habe er stets, wo andere in Schweiß gerieten, mit untergeschlagenen Armen daneben gestanden und als sei ihm das die vertraute Würze seiner Behaglichkeit. Und während er die siebzehn braunen Rücken sah, die sich mit eigenem Willen und, wie er geheim ahnte, mit seinem Willen vor ihm im Feld zerstreut bewegten, und der Sand, von ihren Händen emporgeworfen, wie eine kleine gelbe Brandung über die Hecke hüpfte – da lächelte seine farblose Seele, und eine herzliche Zufriedenheit nahm Besitz von ihr.

Früher, als sie noch durch das Wadi-Faregh zogen, hatte er mit seinem sanften »Zap-zap« den Gang der Kamele belebt; er hatte, da er der Wirkung gewohnheitsmäßig sicher war, eine ähnliche Zufriedenheit gespürt, die ihren eigenen Rhythmus besaß. Dieser wollte sich jetzt hörbar machen, und darum begann Sadaui auch jetzt sein summendes Zischen, nicht anders als ob er Kamele vor sich habe . . . Da die Leute sich ohne Bedenken diesem Takt unterordneten, regelte er ihre dumpfe Arbeit mit lauterer Stimme und einem krächzenden »Há há há«, ohne daß sie den Kopf hoben und sich ihrer Demütigung bewußt wurden. Sadaui wurde vor Freude in den Kniekehlen schwach; die Freude, ja, sie saß in den Spitzen seiner Finger und in seinen unruhigen Zehen, drängte und wollte hinaus; der 36 Aufseherruf wurde schärfer und schneller; und Sadaui, weil die Lust in ihm gärte, sich selbst zuzuhören, sich selbst Beifall zu spenden, begann umherzuschlendern, immer rufend, immer anfeuernd. Er versuchte die Wirkung zu erproben: er drehte sich um und rief in die Oase hinein, so als seien seine Gedanken durchaus nicht bei der Sache, als sei er völlig müßig und seiner Macht, oh, so sicher; als sei es ihm lästig, diese Siebzehn arbeiten zu lassen, und als habe er im Augenblick eigentlich viel mehr Lust, sich mit Salme oder Umm-Dschamîl, seinen Weibern, abzugeben . . . Dabei lauschte er mit einem kranken, verzehrenden Eifer, ob es nicht einem einfiele, plötzlich seinen Holzspaten hinzuwerfen und Siesta zu machen; er wäre imstande gewesen, ihn stracks zu erschlagen. Doch seine Furcht war nicht begründet.

Selbst als er ganz leise vor sich hinsang und nur der stoßweise Kehllaut zurückblieb, wurde die Arbeit in gleichem Zeitmaße weitergeführt. Da ward ihm plötzlich etwas bewußt, was ihn für kurze Zeit lähmte: er war nicht allein der Machthaber, er genoß die prickelnd junge Würde nicht allein in dieser bedeutungsvollen Stunde, sondern er hatte vergessen, daß ein anderer sich schon geraume Zeit dasselbe anmaßte, Eluâni. Er war die schlauere Spinne, die längst im wohlverwahrten Netze hockte. Er strahlte schon seine Fäden aus und brüstete sich längst im Schmuck seiner Kräfte, an die er glaubte und die ihm aus ebendiesem Grunde auch 37 geglaubt wurden. Mittlerweile stand er zwischen den Palmen und starrte nach Sadaui herüber, ein wenig eifersüchtig – seine Unterlippe wölbte sich vor – und gleichzeitig aber auch, wie es schien, voller Einverständnis, mit dem Schimmer im Blick, der geheime Anerkennung bedeutet. – Aber noch ein Dritter sonderte sich ab und gesellte sich den beiden zu: trabantenhaft fügsam zwar, aber zu einer Sonderstellung schon im Mutterleib berufen: Schuchân. – Denn während Sadaui sein jauchzendes Há-há leiser, wie ein unterdrücktes Gebell, von sich gab, begann Schuchân seine Kelle schlicht hinzulegen, sich die Hände durch Schütteln zu reinigen und eine Ruhestellung einzunehmen, die seiner Ermüdung entsprach und zugleich seine schlanken Gliedmaßen in der gefälligsten Lösung zeigte; und als er sich, die runden Augen halb geschlossen, hinlänglich durch stilles Liegen gestärkt, nahm er die Arbeit nicht wieder auf, sondern gab selber den Takt an und überbot den älteren Partner siegreich mit seiner hellen Stimme. Sadaui ließ sich dies nicht bieten, und so wetteiferten sie eine Zeitlang, bis Schuchân im selben Tonfall in ein Trutzlied überging, das er mit Mimik begleitete und zu dessen besserer Darstellung er sich erhob und ab und zu einen Tanzschritt vollführte: Vom Reiterangriff der Uled-Brassa und von der Schlacht im Wadi-Ater; hitzige kleine Epen, wie sie das Blut in Wallung bringen. Sadaui, schwerfällig wie er war, überließ ihm jetzt das Feld. Seine knochigen Wangen färbten sich dunkel. Schuchâns Wortschwall, auf einen Ton gestimmt, der an jedem Satzende emporschnellte, füllte sein Hirn wieder mit roten Bildern: er dachte an die mißlungene Rache – – Begierden, die ungestüm nach ihrem Rechte schrieen, verbissen sich in rotem Blutdampf ineinander zu einem Knäuel. Nun hatten sie sich erwürgt; Sadauis starres Grübeln hatte ein Ende; er blickte auf, hörte den Singsang Schuchâns, sah die Sonne schräg, fast am Rande, und staunte fast, daß er die Arbeit halb getan fand.

Grauer Mull, Humus von Pflanzenmoder, war in großen Strecken freigelegt.

Weil diese Art von Arbeit etwas Neues für sie war, und der Erfolg so offen zutage trat, wurden die Leute nicht müßig und reinigten den Platz im Laufe der nächsten Tage völlig. Darauf schafften sie genügend lehmigen Uferschlamm herbei, um den Damm zu kitten. Sadaui unterwies sie, wie dies am besten zu bewerkstelligen sei; auch zeigte er ihnen noch alle Stellen, wo der Damm einer Ausfüllung bedurfte.

Nachdem sie sich alle bereit erklärt, die erforderliche Arbeit zu Ende zu führen, setzte er sich auf die Stute »Neid der Winde«, mit einer genügenden Fracht von Wasser und Feigen versehen, und ritt nach Aïn-Wara in die Nähe von Moghara, um Sämereien zu holen. Er ritt zwei Tage und zwei Nächte auf dem 39 tänzelnden Pferd, mit nur zwei einhalbstündigen Pausen. Die geräumige Oase wimmelte von Hedschas-Pilgern, kleinen Senussi-Trupps und Transportkarawanen, die, von Sîwa kommend, auf dem kürzesten Weg nach Kairo hier rasteten. Sadaui erstand um ein halbes ägyptisches Pfund einen gewichtigen Sack verschiedenartigsten Samens: Koriander, Reis, Fenchel, Hirse, Durrha und Gerste. Er gab sich dabei für einen angesessenen Beduinen aus dem Delta aus, schwatzte erklecklich, da er ein erfahrener Mann war, schalt in bilderreichen Wendungen über das britische Regime und setzte die Leute in tiefes Erstaunen durch die Schilderung eines Zuges von Abbas-Hilmi, dem Vizekönig, als dieser mit einem eigenhändig gelenkten Viererzug nach der Amon-Oase über das Plateau kutschiert sei.

Er blieb noch einen Tag dort; dann erwarb er sich zu guter Letzt noch eine gedörrte Gazellenkeule und ritt zurück. Zu seiner Linken erstrahlte der grellweiße Zackenzug des Ras-Bakar. Er spornte das Pferd; es verfiel in den gewohnten sausenden Paßgang. Die Sonne umfing den weiten Umkreis wiederum mit ihrer grenzenlosen, siedenden Glut. Als Sadaui an die zehn Stunden geritten war, ging eine Veränderung in der Atmosphäre vor sich.

Die Glut wich einer dumpfen Schwüle. Ein Wind sprang auf; backofenheiße Luftwellen durchrannen den Ausgang des Wadi; es war kein kühlender Wind, 40 sondern ein heißer, schweißtreibender Anhauch. Die Flanken des Pferdes wurden schlüpfrig; ganze Bäche von Schweiß tränkten sein Fell. Auch über des Reiters Körper sickerte die Feuchtigkeit; und die staubtrockene Haut warf Falten. Weiche Runzeln, wie die eines alten Weibes, entstanden auf seiner hageren Brust. Irgendwo in der Luft wanderte ein langer Vogelpfiff vorüber, hoch und fein. Sadaui blickte um: hinter ihm, wollig gehäuft und in träge Fetzen zerschoben, erfüllte schwarz geronnener Dampf den Himmel.

Alle Zisternen laufen nun für Wochen voll, Segen ergießt sich; Herr des Himmels sei bedankt! Die Stute rannte fröhlich weiter; ihre nächtigen Mädchenaugen waren blank vor Hoffnung. Der schwarze Berg wuchs und quoll; kühle Schatten schienen aufzuwachen, die gespensterschnell über die Sandmassen jagten; doch hing der Feuerkessel der Sonne ungeschmälert weiß wallend im Raum. Und dann gab es einen Stillstand. Sadaui hielt das Pferd an, stieg ab, legte die Hände auf die seidene Rückenhaut des Tieres und starrte hinüber. Das Gewölk hatte sich zu einer einzigen graublauen Wand aufgelöst, die sich rückwärts in die Breite zog, aber nicht näher kam. – – – Offenbar gingen weit östlich prasselnde Regen nieder; Herr des Himmels, so läßt du deine Gläubigen im Stich! O Fülle, o entzogene Gnade, die fern gespendet wird! – Die eigene Zunge lechzt, die eigene Erde schmachtet!

41 Die graublaue Wand blieb, während Sadaui mürrisch und tief enttäuscht weiterritt, noch für die Dauer einer halben Stunde sichtbar; dann löste sie sich; verblaßte; die Glut fraß sie spöttisch auf; zitternder Dunst war da, wo sie gewesen. Die kühlen Winde waren verstummt; nun kam wieder ein seufzender Atemzug aus dem Wadi wie der lohende Anhauch von Stichflammen, die auf den Wiesen Dschehannams blühen.

Der Horizont verlor seine Kontur, wurde seltsam dunstig.

Da war es auf einmal, als werde ein Schleier vor den Himmel geschoben. Die Sonne erlosch zu einem weißen, schwelenden, kreisrunden Fleck, der ins Gelbliche spielte. Er glotzte aus einem wirbelnden Aschgrau, in welches alles Blau hineinsickerte, wie Farbe, die von einem Gewebe aufgesogen wird. Der Wind wurde stärker; er glich einer pfeifenden, züngelnden Flamme. Das Pferd begann langsamer zu laufen. Es warf den Kopf zurück, wieherte schrill und taumelte hin und her. Dann schluchzte es noch durch die Nüstern und bettete sich einfach in den Sand. Sadaui war abgesprungen. Er wußte, was die nächsten Minuten bringen würden.

Der Wind dauerte an. Sadaui legte sich platt auf den Boden, dicht unter den heftig pulsierenden Leib des Pferdes. Er breitete seinen Burnus über den Kopf und stellte sich mit dem Sattel und dem Proviant eine Hohlkammer her, die er möglichst luftdicht verschloß. Es knisterte in der Luft. Vogelschwärme warfen schallende, verfliegende Schreie in das Geräusch des anhebenden Sturmes. Leichtes Getrappel von Gazellenrudeln verrann unfern. Der Sturm begann zu dröhnen; er stieß die Sandwolken wie einen wagrechten Hagel vor sich her. Er peitschte die Quarzkörnchen gegen Himmel und Erde; der ganze Sand wanderte; der Umkreis war ein gelbgraues, fauchendes Chaos.

Sadaui, zusammengezogen wie ein lauerndes Tier, den Kopf gegen den schwer ächzenden Leib des Pferdes gestemmt, bebte vor Erregung und wütender Angst, denn er wollte nicht sterben. Dies Gefühl beherrschte ihn nur kurze Zeit; dann sank der bleierne Friede auf ihn, den der Gedanke an das Gismet gibt. Er fühlte vor sich den Todesengel stehen, in sandfarbenem Kleid, blassen Smaragdschein um das Haupt; und je mehr die Atemnot ihn bedrängte, um so greifbarer sah er ihn vor sich stehen, zehn Schritte vor sich; sein inneres Auge verfolgte ihn. Und der Engel bewegte unablässig, im Gleichmaß mit dem jagenden Puls Sadauis, seine staubgrauen Geierfittiche und fächelte ihm heißen Wind zu. Auf einmal ward es purpurne Nacht; und nachdem Sadaui lange Zeit verhüllt nach der Grenze und nach dem Tor gestarrt und nach dem Spalt im Tor, aus dem ein eiskühles Feuer blakte, wurde es wieder hell; die violetten Sterne schossen zu Perlen 43 zusammen, die funkelnd fielen und zu Nichts zerstoben. Das Dröhnen ließ nach, Luft drang an die gierig schlürfenden Lippen. Sadaui lebte.

Rhythmisch gereihte Worte summten in seinem Ohr, Bruchstücke von Liedern. Er dachte an einen Teich, an eine kühle Brise, an Weiber mit bauchigen Tonkrügen am Ufer . . . Ein starker Durst quälte ihn. Er schob den Burnus zurück und wagte es, über den regungslosen Leib der Stute zu sehen. »Neid der Winde« war erstickt, ihr Kopf war völlig von Sand begraben. Sadaui öffnete eine Sattelflasche und trank nicht, er verschlang das brühwarme Wasser. Dann stand er auf und sah sich um.

Die Sonne stand schon schräg. Ihr Licht brach sich in einer seltsam goldglitzernden Luft. Fern tummelten sich kleine Türme von Sand; sie wanderten in Serpentinen näher, jeder mit einem pilzförmigen Hut; das waren die scherzenden Wirbel aus der Nachhut des Sturmes. Diesmal konnte Sadaui sich eines abergläubischen Schauers nicht erwehren; denn er wußte, daß dies Afrîds waren, die sich, gleichsam vor Freude über den prächtigen Chamßin-Sturm tanzend und einander haschend, dort vergnügten. Ein Gefühl größter Preisgegebenheit und Öde beschlich ihn mächtig; wiewohl er die Gedanken durch die Erinnerung an sein Ziel und seine Pläne krampfhaft zu vertreiben suchte; er sank mit einem Laut der Schwäche auf seinen 44 Teppich nieder und wiederholte die Eröffnung fünfmal stumm für sich. Dann fühlte er sich hinreichend gestärkt und begann aufzubrechen.

Mit der Satteltasche, der Flinte, den Flaschen und dem erhandelten Sack beladen, ging er ohne weiteres vorwärts, indem er sich blind auf die Orientierung nach der Sonne verließ. Seine Kniee waren bleischwer; der Sand war mulmig; Sadaui tauchte bei jedem Schritt bis über die Knöchel ein. Es wurde Abend; die Sonne verschied in einem schreienden Karminrot. Sadaui sprach das Asr; dann fiel er hin und schlief wie ein Toter.

Am nächsten Morgen gelang es ihm, sich einer Karawane anzuschließen, die über Bachrîje aus dem Sudan kam und junge Negersklaven von Dar-Fur auf einem Umweg nach dem Norden schaffte. Da er äußerste Schwäche zeigte und beweisen konnte, daß er dem Mahdi des öfteren einen Dienst geleistet, ließ man ihn auf einer Hegine reiten, bis er sich erholte und zu Fuß weiter wandern konnte.

Das junge Kamel

Nach Verlauf einiger Tage befand er sich in der Nähe seiner Oase, unweit der Stelle, da sie zuerst entdeckt worden war. Es war an einem heißen Nachmittage, als er wieder zu Fuß dahin kam, von wo 45 man ihn hinuntergesandt hatte, um das kleine Paradies zu erforschen. Diesmal waren keine Begleiter um ihn und keine Karawane, die es zu erretten galt; und die Flinte, die er damals schußbereit unter der Achsel gehalten hatte, trug er jetzt schief über der Schulter, und an ihr war die ganze Last befestigt, die er zu schleppen hatte. Als er aber an den Eingang gekommen war, und offenbar unbemerkt – durchzuckte ein Gedanke seinen Kopf. Er legte alles, mit Ausnahme des Sackes mit den Sämereien, an einem versteckten Platze nieder und schlich sich in die Nähe des Teiches.

Die Kinder standen bis zu den Knieen im Wasser und spritzten sich unter Jubeln an. Sanft und schläfrig wiederkäuend lagen die Kamele auf dem gestampften Lehm. Es herrschte Mittagsfrieden. Kein Mensch war zu erblicken. In den Zelten erklang dann und wann eine gelangweilte Weiberstimme. Sadaui ging also vorsichtig an das Südende, nach dem neuen Damm.

Schon bevor er hingekommen war, hatte er zirpende Töne gehört, so als ob eine riesige Zikade irgendwo sitze und zuweilen schrille . . . und nun klangen diese Zirptöne heftiger, und es war noch eine Stimme dabei, die in psalmodierendem Tonfall den Mittag zu feiern schien . . . Sadaui starrte aus seinem Versteck und sah alle Männer, die grinsend auf dem Boden saßen und einen lautlosen Kreis bildeten. In der Mitte 46 dieses Kreises saß mit untergeschlagenen Beinen Schuchân und bückte sich über ein Monochord, das er im Schoße hielt. Dazu sang er mit seiner warmen Stimme das Mahdi-Lied, den aufreizenden Hymnus der Senussia, mit einem zischenden Refrain, an dem sich alle beteiligten; und als er fertig war, blickte er sich mit glänzenden Augen um. Da traten sie alle heran und dankten ihm. Sie beugten sich mit Handgesten an Brust und Stirn und sprachen: »Friede mit dir!« und: »Wahrlich, du sollst alle Jahre zufrieden sein!« – – Eine Stimme übertönte die anderen: »Der Herr verlängere dein Leben!« – Es war die Eluânis.

Da nun Sadaui sah, wie Schuchân geehrt wurde, wiederholte er lautlos in seinem Versteck die Worte: »Der Herr verlängere dein Leben . . .« aber mit keinem freundlichen Ausdruck, sondern wie in tiefem Grübeln und mit einer scharfen Furche um den Mund, so als ob ein Schmerz über seinen von den Strapazen erschütterten und geschwächten Leib zucke. Und als alle sich wieder auf den Boden setzten und Schuchân anhob, ein neues Lied zu singen, ließ Sadaui seine Blicke über sie hinwegschweifen und fuhr zusammen, als habe er einen Peitschenschlag erhalten: der Damm war wiederum zerstört. Der Sandsturm, dem er selbst beinahe zum Opfer gefallen, hatte die heiße Arbeit zunichte gemacht. Die Strecke lag wieder ganz begraben 47 da, kein Streiflein Humus war unbedeckt, bis tief in den Hain hinein zog sich die Wüste.

Als er dies sah, und das Häuflein trotz alledem so unbekümmert weitersang und plauderte, überkam ihn eine so maßlose Wut, daß seine Hände den Sack fallen ließen und auf- und niederflogen wie Zweige im Wind. Sie sahen ihn nicht. Er eilte zurück und holte seine Flinte. Dann trat er zu ihnen, die Waffe im Anschlag, den geschmückten Kolben in die aschgraue Wangenhöhle geworfen, und stellte sich vor sie hin. Er ließ das Rohr schwanken und krümmte den Finger am Hahn . . . . Ein keuchender Atemzug drang aus seiner Brust; und sein Anblick war überrumpelnd wie ein plötzlicher Alb; er war entsetzlich anzusehen, wie er, vor Wut fast tänzelnd, mit blutunterlaufnen Augen auf sie starrte. Sie stoben auseinander und deuteten mit den Fingern auf ihn. Da sie im Augenblick ohne Waffen waren, fielen sie ratlos nieder, die Handflächen wie bettelnd ihm entgegengestreckt; denn sie meinten nicht anders, als daß er sie blindlings erschießen würde, wie es eben dem mächtigen Dämon gefiele, von dem er zweifellos besessen sei. Sadaui beherrschte sich allmählich, da er ihre Angst sah, und spürte eine Befriedigung, so stark, daß er imstande gewesen wäre, das Gewehr auf den Boden zu legen, sich friedlich hinzusetzen, gleich den anderen auch, und den Liedlein Schuchâns zu lauschen. Er löste einen Schuß, 48 mehr aus Freude am Knall als aus Zorn, über den Damm hinweg; sorgsam an Schuchân vorbei, der in seiner tödlichen Verwirrung immer noch am Platze stand und mit den Knieen bebte. Jetzt warf Sadaui die Flinte hin und näherte sich mit einem gleichmütigen Lächeln den entsetzt zu ihm auflugenden Leuten.

»Warum seid ihr so erschrocken?« sprach er sanft. »Ich schoß nach einem Geier . . . ich habe euch mit Allahs Hilfe Samen von Aïn-Wara geholt; ihr könnt mit der Aussaat beginnen. – – Doch wo sind euere Felder? Habt ihr vergessen, den Damm mit Lehm zu kitten? – – Ha, ich sehe, der Damm ist euch zwischen den Händen zerlaufen. Vertreibt die Wüste, ihr Männer und zögert nicht. Regt die Hände; denn dieser Singvogel ist eine Gefahr für euch!«

Und siehe da: sie regten die Hände und vertrieben die Wüste ein zweites Mal. Sie kitteten den Damm und bewässerten den Boden. Sie unterließen nichts zu tun, was Sadaui für zweckmäßig hielt.

Als sie noch bei der Arbeit waren, sprach er zu Schuchân: »Bist du ein Hakim oder eine Frau, mein Bruder? – Warum arbeitest du nicht, wo doch diese älteren Männer geschäftig sind und keine Schande darin finden, den Rücken zu krümmen?«

Schuchân war verblüfft. Er machte eine lässige Geste mit den Händen, als wolle er seine Person umrahmen und zur Darstellung bringen, so daß man erkenne, daß 49 er nicht zur Arbeit geschaffen sei. Er hatte eine etwas magere, schwache Brust und nicht eigentlich Muskeln an den Armen. Sein Fleisch war müßig; seine helle Haut wie die eines Prinzen. Nein, er war nicht dazu geschaffen, sich anzustrengen und grobe Arbeit zu tun; es stand ihm besser, im Schatten zu sitzen und bernsteingelbe Sîwa-Datteln zu kauen. Aber Sadaui sah das nicht oder wollte es nicht sehen; er starrte ihn nur grell und befehlshaberisch an, und Schuchân erschrak gewaltig, denn es war eine arge Lieblosigkeit in diesem Blick. Ohne ein Wort zu sprechen, begann er zu graben und zu hacken, mit einem angstvollen Eifer, als ob er die Knute hinter sich spüre.

Hier aber wurden die Leute des Anblicks gewahr und legten die Kellen nieder. Abu-Rîch ging stracks herüber und nahm dem Jüngling das Werkzeug aus der Hand. Die andern waren aufgestanden und wandten sich Sadaui zu. Sie verlangten, daß er selber arbeiten solle und nicht immer umherstehen und Ratschläge erteilen, wo doch ein Korânkundiger und Erleuchteter gleich ihnen wie ein Fellache am Werke sei. Sadaui blieb eine Zeitlang ruhig und ließ es zu, daß sie sich aufsässig gebärdeten. Er war noch zu matt von seinem Ritt, dem Todesritt, den er um ihrer Sämereien willen getan, und sprach mit sanfter Stimme: Wenn sie nicht selbst das Einsehen hätten, es sei nur zu ihrem eigenen Nutzen, daß jeder von ihnen, Schuchân mit 50 einbegriffen, sein Teil schaffe, so seien sie hirnlose Tölpel.

Murrend führten sie ihre Arbeit zu Ende; auch Schuchân stocherte noch ein wenig in dem Sand umher, ohne Liebe zur Sache und verärgert, denn er fühlte sich mißbraucht und wußte, daß die anderen zu ihm hielten.

Danach ging es an ein Verteilen des Bodens, und jeder steckte sich sein Stück ab. So entstanden zwanzig Parzellen; dem Hakim gönnte man aus freien Stücken die größte. Schuchân wählte sich die seine, im Einverständnis mit den anderen, an derjenigen Stelle des Dammes, wo er einen spitzen Winkel bildete, der nach Süden wies; Sadaui grenzte sich ein recht bescheidenes Ländlein neben dem Schuchâns ab. Er suchte sich einen ganz kleinen Bezirk aus, nicht größer als ein rechtschaffenes Gemüsebeet und mit zwei langen Sätzen überspringbar; dieser Teil war so anspruchslos und dürftig, daß er fast wohlwollend betrachtet wurde.

Nun wurde der Inhalt des Sackes hervorgezogen, und man leerte die Leinenbeutelchen, die den verschiedenen Samen bargen. Eluâni wurde gebeten, die Verteilung vorzunehmen, und er errichtete mit dem Finger die Häuflein, die auf jeden trafen. Und dann begann die Aussaat. Sadaui pflanzte eine Hecke von Dornsträuchern an die Grenze seines Feldchens, wo es an das Schuchâns stieß.

So verging ein Monat, so ein zweiter. Die Leute 51 hatten sich völlig in der Oase eingelebt. Die Jagd lieferte gutes Erträgnis; und das Wasser der Quelle klärte sich, da man den Sand sorgsam fernhielt. Man fühlte sich wohl; die Tage rannen dahin, schöne, heiße, durch Schatten gemilderte, schlafsüchtige Tage . . . Sadaui war unablässig beschäftigt. Er umgab den Vorplatz, den er aus dem Schwertgras herausgemäht, mit einer hohen Dornenhecke; die Sträucher, die er dazu brauchte, grub er mit großer Mühe zwischen den Trümmern aus. Auch um sein Zelt herum errichtete er eine Verschanzung von Dornen und verdorrten Stämmen, die er fand, so daß seine Behausung zu guter Letzt einer kleinen Festung glich. Während er so arbeitete und keine Ruhe fand, saß sein junger Halbbruder müßig da und staunte ihn an. Stets bereit zu helfen, war er immer rasch ermüdet und griff alles am verkehrten Ende an, so daß er kurze Worte zu hören bekam und Sadaui ihn herumstieß und fortschickte, wann immer ihn die Lust dazu anwandelte. Darum, wenn Schuchân nicht draußen war, hatte er manches zu erleiden, so besonders in der Nacht, wenn der rasselnde Atem des Älteren neben ihm die Stunden zersägte, oder dessen knochige, ungetüme Glieder, in ruhelosen Träumen und Erwägungen umhergeworfen, ihn jäh erweckten. Er zog sich dann so eng zusammen, als er konnte, doch Sadaui ließ es ihn spüren, daß ihm der sorglose Atem neben dem seinen ein Ärgernis sei.

52 Einmal fuhr der weichherzige Schuchân vom Schlafe empor und Sadaui war hinter dem Vorhang bei seinen Weibern. Unter den Fransen wanderte eine kleine Hand hervor, als bettle sie stumm um Hilfe und wolle eine zweite, hilfreiche, von draußen ergreifen. . . . Es war die Hand Salmes mit dem silbernen Armreif, der am Gelenke klirrte. . . . Und Schuchân hörte einen spitzen Schrei und sah, wie sich die Hand ballte und in die Fransen griff, so krampfhaft daß die Fäden knirschten. Dies sah er genau, da ein Mondstreif in die Finsternis des dumpfen, kleinen Gemaches fiel. Er kroch näher und betrachtete die dunkle kleine Hand. Er konnte sich nicht versagen, sie ganz zart zu berühren; doch auf einmal warf ihn ein heftiger Schrecken zurück, denn ihm war, als höre er das Knurren eines Raubtieres hinter dem Vorhang. . . . Und die Hand versteckte sich blitzschnell, während ein leises menschliches Wimmern sich erhob. Mit aufgerissenen Augen tauchte Schuchân in die Ecke zurück; sein Herz jagte. Der Schatten eines Schakals verdunkelte blitzschnell den Mondstreif. Schuchân ging hinaus und vertrieb ihn. Dann blieb er draußen und sah den Sternen zu, die groß durch den Schacht des Himmels flimmerten.

Als er nach einer Stunde wieder in die Hütte zurückschlich, sah er Sadaui an dem gewohnten Platze liegen; er stieg lautlos über ihn hinweg und versuchte zu 53 schlafen. Doch das Gehörte lag wie ein Alb auf seiner Brust.

Tagsüber, wenn sie zusammen in der Hütte aßen, blickte Sadaui finster auf ihn und gab ihm die Bissen mit heftigen Bewegungen; und Schuchân hielt die schwarzen Wimpern gesenkt und versteckte sein rundes Gesicht vor dem Blick des Bruders. Er fürchtete sich vor ihm, und gleichzeitig krausten sich die Flügel seiner leicht gebogenen, stumpfen Nase, wenn er an den Laut in jener Nacht dachte und Sadaui unversehens eintrat und ihn beiseite schob. Oft aber auch war es kindliche, scheue Verehrung, die ihn beseelte; er dachte an die Macht, die von Sadaui ausging; er dachte daran, daß dieser einen Afrîd in der bloßen Hand getragen hatte und ihn alle fürchteten und scheuten, wenn sie sich auch prahlerisch verstellen mochten. Er starrte aus Entfernungen nach ihm hin und sah, wie breit und stolz er ging, und wie der Burnus um seinen Rücken wallte gleich dem Segel einer Dahabîje.

Inzwischen fiel eines Morgens ein duftender Regen. Perlengarben stäubten vom Himmel; ein wohliger, schiefergrauer Schatten lag über den Palmen. Der Frühblick der Sonne vergoldete noch den Boden: dort glänzte das fallende Wasser wie Geschmeide auf. Zuerst kam es zaghaft und zärtlich hernieder, wie ein Kuß; dann brauste es herunter; gehäufte Wolken barsten. Die Keimkraft des Bodens wurde wild befördert. Als 54 die Sonne wieder zum Vorschein kam, hörte man fast, wie es sich überall regte. Über den blassen Halmen, die schon in Schwärmen aus der bestellten Erde gedrungen waren, lag ein dunklerer Schimmer. Am nächsten Tage strotzte der südliche Bereich der Oase von Grün. –

Um diese Zeit machte sich das junge Kamel Schuchâns auf und spazierte umher. Es ging täppisch und würdevoll durch die Oase. Vorher war es ihm nicht eingefallen, den abgegrenzten Platz zu verlassen, der für seinesgleichen bestimmt war; wo es sich hingelegt hatte, da blieb es und war durch keine Macht der Welt zu bestimmen gewesen, hinwegzuschreiten. Es saß so stramm auf seinen knorpeligen Knieen da und schob dornige Zweige mit den jungen Lippen hin und her. Sein Blick war so entlegen und stolz gewesen, seine Seele hatte geschlummert. Nun war es auf einmal lüstern und beweglich geworden. Der Regen hatte es unruhig gemacht; und während die älteren Tiere es verschmähten, sich auch nur einen Meter unnötig hinwegzuheben, stand es eines Tages aufrecht da und stelzte nach Süden, rund um den Teich herum. Und dann ging es geradeswegs auf Schuchân zu, der in seinem Feldchen stand und sich an dem Wachstum erfreute, und begann sich gütlich zu tun. Es stellte sich breit in die Halme hinein, nahm das Maul voll Spitzen und begann gedankenvoll zu kauen.

55 Schuchân verzieh seinem jungen Kamel, daß es ihm die Ernte schmälerte; noch mehr: er gönnte es ihm von Herzen und sah versunken und glücklich zu, wie es schmauste. Er klatschte ihm unter den samtenen Bauch; und das Bischarin, sanft und gebührlich, machte keinen ungebärdigen Sprung, sondern nahm dankbaren Sinnes die Gabe Allahs hin. Nach einer Stunde trieb Schuchân es heraus, und so tat er jeden Tag. Und jeden Tag stellte es sich von selber ein.

Eines Tages saß Schuchân in der Hütte, als Sadaui mit den anderen jagte. Da spaltete sich der Vorhang, und Salme blickte heraus.

Er sah, daß ihre Züge verzerrt waren, und sah Blut auf ihrer Brust. Ihre bläulichen Lider waren matt und schwer. Sie lächelte ihm zu; sie spreizte die Hände gegen ihn, mit einer Unterwürfigkeit, die ihn heftig bewegte. Sein Gesicht verdunkelte sich, und ein Beben erfaßte ihn. Er sah, daß sie mißhandelt worden war. Sie glich einem kleinen, scheuen Tier, einer Springmaus mit vibrierendem Köpfchen. Und dann flüsterte sie ihm ihr Leid zu, wobei sie trotz der Wärme schauerte, so daß ihr silberner Armschmuck und die kupfernen Knöchelringe ihrer Füße klirrten. Ihre kohlschwarzen, von bläulichem Fettglanz bedeckten Zöpfe pendelten hin und her, während sie gegen den Boden sprach. Ob Sadaui da sei? – – – Nein, er sei auf der Jagd . . . er sei nicht hier.

56 Auch Umm-Dschamîl ward sichtbar. Sie zeigte sich halb enthüllt, wie Salme. Die Köpfe der beiden Weiber füllten den Spalt des Vorhangs. Sie waren hilflos und verängstigt; und sie hätten ihr Leben darum gegeben, um heute hinausblicken und Schuchân, den Schönen, betrachten zu können. Sadaui hatte ihnen diese Nacht übel mitgespielt; linsengroße Flecke von ungesunder Farbe zeigten sich, soweit man sehen konnte, auf ihrer Haut. Angestrengt lauschend und von gleicher Vorsicht beseelt wie sie, kam Schuchân näher; und als er in Greifweite war, glitten vier kleine Hände heraus mit weichen, pressenden Fingern; sie zupften an seinem Burnus und lächelten mit halbgeschlossenen Augen ihr immer gleichbleibendes, dummes und rührendes Lächeln . . . .

Sadaui kam zurück, und in der nächsten Nacht fand er ein Amulett Schuchâns hinter dem Vorhang, im inneren Frauenbezirk des Zeltes. Er ergriff es und sah es eine Zeit lang mit seinen tiefliegenden Augen an, wobei dumpfe Gedanken sich in ihm regten. Doch sagte er nichts Böses, als er es dem Bruder aushändigte. Er sagte nur: »Du hast dein Amulett verloren, mein Bruder. Ich fand es im Zelt.« – Schuchân, ahnungslos, dankte; und Sadaui wandte sich mit einer hämischen Mundfurche ab, die einem anderen als dem Knaben das Blut hätte gefrieren machen.

57 Als Sadaui nach dem Stand seiner Hirse sah, fand er das junge Kamel in seinem Acker.

Es hatte in die Dornenhecke eine kleine Bresche gefressen und war dann von Schuchâns Feld herübergestiegen. Wie wenn jemand versehentlich, in Gedanken, einen falschen Schritt macht – so hatte es sein knochiges, täppisches Bein gehoben und war über die Hecke gestiegen. Es war sich seines Übergriffes nicht bewußt und wurde es auch nicht, als Sadaui es auf die schmerzhafteste Weise hinaustrieb. Ja, er war fast besinnungslos vor Zorn; er stach dem dummen jungen Ding mit der Dolchspitze in die Keule. Es hatte arg in dem kleinen Gemüsegarten gehaust, das war klar; die Hälfte hatte es glatt aufgefressen; es war fett und wählerisch geworden, da ihm der Segen von Schuchâns Feld das Blut über Gebühr erhitzt hatte. Nun flüchtete es, aus der Wunde blutend, mit weichem Blöken von der ungastlichen Stätte.

Schuchân kam trällernd von draußen her und fand sein mißhandeltes Bischarin. Als er mit dem älteren Bruder zusammentraf, erfuhr er, wie es sich verhielt; doch sah er den Umstand anders an, und seine warme Stimme, vor Entrüstung eintönig und schrill, übertönte die dunkle des Bruders, bis dieser ihn ruhig bat, die Hütte zu verlassen und selbständig zu hausen. Er blickte, während seine Finger an dem Dolchgehenk spielten, mehrmals nach dem Vorhang und dem 58 Frauenbezirk hinüber und sah dann den Jüngeren unvermittelt scharf an, Blicke, die Schuchân mit runden, kindlichen und tränenverschleierten Augen erwiderte. Dann ging Schuchân und errichtete im Laufe der nächsten Tage sein Zelt am anderen Ufer, der Hütte Sadauis gerade gegenüber.

Schêsch-Wahl

Es geschah, daß Sadaui in der nächsten Zeit, während er mit Salme und Umm-Dschamîl, seinen Weibern, zur Nachtzeit spielte, in der Erregung von Salme den Namen Schuchâns vernahm. Sie preßte ihn mit geschlossenen Augen durch die Lippen; und Sadaui ließ mit einem bösen Lächeln von ihr ab und tat ihr nichts Übles. Nur das eine fragte er: »Habt ihr ihn selber hereingerufen?« – und sie erwiderten einstimmig: »Nein, bei Gott, er kam von selbst!« – – Die Finsternis verdeckte ihre Mienen und ihre zitternde Bestürzung, mit der sie gemeinsam, als seien ihre armen Gedanken ganz dieselben, diese Lüge verlauten ließen. Sie schworen nochmals: »Er kam von selbst . . .«, und Sadaui hörte an dem entfernteren Geräusch ihrer Fußspangen, daß sie sich in ihrer Angst in die Ecke geflüchtet hatten.

Gleichwohl machte er noch eine runde Bewegung mit den Fingern, die, eisenhart gekrümmt, nur den 59 Vorhang ergriffen und ein Loch in ihn rissen; dann besann er sich eines Besseren und ging ohne ein weiteres Wort in den vorderen Teil des Zeltes, wo er sich niederlegte.

Jeden Margen pflegte er auf den Vorplatz zu gehen, seinen Teppich zu entbreiten und den Anruf zu leisten. Doch nun wurde seine Andacht gestört, wenn Schuchân dort drüben zufällig gleichzeitig mit ihm herausgetreten war. Alsdann sah er ihn durch eine Lücke der Schwertgräser, wie seine hellbraune Gestalt sich knieend hob und senkte, wie er die runden Arme aus dem schimmernd weißen Burnus streckte, und er hörte seine Stimme, die durch die einsame, köstliche Frühe helllautend über das Wasser lief. Sadaui war oft fest entschlossen, nicht hinüberzuspähen; dann aber kroch er doch an die durchsichtige Stelle und erblickte den Bruder, in dem grünen Rahmen klein wie eine Puppe und durch die Entfernung im Umriß geadelt, während das selige Frühblau aus dem seichten dunklen Wasser heraufglänzte. Ungerufene Worte, häßliche von Süden her und versöhnliche und harmlose Grüße vom Nordufer füllten geisterhaft die Luft und trafen sich in der Mitte; die Lautwellen des Anrufs, wenn er sich hier und dort zugleich erhob, klangen in einen Zwiegesang zusammen; und oft stießen sich dieselben Worte grell aneinander, wiewohl sie den gleichen Sinn bargen. Dies geschah durch dreier Monate Dauer jeden Morgen.

60 Nun war auch die Ernte reif, und man heimste sie ein. Die Leute rupften die Halme in hockender Stellung aus und zogen die Fruchtbüschel durch die Finger. Die Körner, die zurückblieben, warfen sie auf einem Tuch zusammen. Es war eine Arbeit, der sie sich gemächlich und stets von neuem erfreut anheimgaben; der ganze Segen überraschte sie; und wenn etwas imstande war, sie an den Ort zu fesseln, so war es dieser offensichtliche Erweis von der Güte Dessen, der das Samenkorn sprengt und es dem Lichte öffnet. Und als alles eingesammelt war, setzten sie sich um den Haufen, der ihnen Brot auf Monate versprach, gestikulierten, schrieen und taten groß . . . und dann riefen sie Sadaui herzu, und dieser sah, würdig mit dem Kopfe nickend, sich den Ertrag an.

Er trat vor sie hin und hob zunächst die Hände in Dankstellung. Sofort verstummte das Gespräch, und die sämtlichen Arme fuhren in die Höhe. Und dann betete er: zuerst in allgemeinen Wendungen von Güte und Dank, darauf spielte er den Gegenstand in seinen eigenen Bereich herüber. Er schilderte seinen schwierigen Ritt mit grellsten Farben; ja seine schwerfällige Zunge versuchte sogar, Anläufe von Versen zu formen. Er wurde immer persönlicher; der Sandsturm, den er beschrieb, wurde immer entsetzlicher. Sadaui beugte sich vor, mit derwischähnlichen Bewegungen; er krauste die Stirn, verdrehte die Augen und stieß die ganze 61 Schilderung in fauchendem Flüsterton von sich . . . dann, nach einem heiseren Angstgebrüll, starb er. Schweratmende Stille. Plötzlich, mit einem irren und eitlen Lächeln, das sich auf seinem rohen Gesicht mehr als ein Feixen darstellte, lebte er wieder auf und zog mit großem Nachdruck die Folgerung: »Alle Vorräte also, mit denen ihr euch brüstet; die gesamte Nahrung, die ihr drescht, schneidet, röstet und speichert, verdankt ihr mir.«

Dies »mir«, als ein ekstatischer kleiner Aufschrei, verfehlte seine Wirkung nicht. Eine Welle von Dankbarkeit und Begeisterung folgte der Rede. Zum erstenmal war der Sonderling ihnen persönlich willkommen und angenehm. Sie verdrehten die Augen und schüttelten die Köpfe in schwerer, nachhaltiger Bewunderung; sie trillerten und patschten mit den Handflächen auf den Boden. Ein Wirrwarr von Stimmen begrüßte ihn: »Kul al Allah!« riefen sie, »Alles steht bei Gott! – – Du bist durchaus preiswürdig! –« So Schmeichelhaftes, dieser Erwiderung ähnlich, hatten sie weder ihm noch einem anderen aus ihrer Mitte geboten. Und Sadaui war es denn auch zufrieden und trat ab. Er gab sich keine Mühe, seinen Dank für den Beifall allzudeutlich zu zeigen; er machte nur ein paar herablassende Gebärden. Schuchân war ganz auf seiner Seite, das fühlte er; im selben Augenblicke, wo er die Rede endete, war die Stichwunde des 62 jungen Kamels geheilt und vergessen. Ja, wenn er sich nicht täuschte, so fuhr sich der Bruder einen Augenblick mit dem Armstück seines frisch gewaschenen Burnusses übers Gesicht, gerührt und stolz wie er war.

Eines Tages rief Sadaui nach Eluâni. Es war nicht Sitte und außerdem gefährlich, in das Zelt des Hakims zu treten. Eluâni kam darum aus seinem bunt bemalten Gelaß hervor und ging mit Sadaui zu dessen Hütte. Er wurde über Gebühr reichlich bewirtet, erhielt vier appetitlich zubereitete Springmäuse und den Ziemer eines Fenneks, dazu als leichtere Nachspeise zwei geröstete Wüstentauben. Als Getränk gab es einen Absud aus gegorenen Datteln – mithin hatte die ganze Bewirtung einen festlichen Anstrich. Dann schlürften sie einen fettigen Kaffee aus zwei flachen Silberschalen, und des Hakims Neugier wurde immer größer. Sadaui warf einen mißtrauischen Blick auf den Vorhang, worauf er seinen Gast ersuchte, mit ihm auf den Vorplatz zu gehen.

Hier taten sie sich zusammen und führten ein leises, langes Gespräch miteinander. Es war davon die Rede, daß eine Ratsversammlung anberaumt werden solle. Diesen Mâd müsse man jetzt, vor dem Winter, abhalten . . . Das sei wichtig, denn man sei jetzt eingesessen und stelle einen Stamm dar. Man vermehre sich; drei Weiber seien neuerdings wieder schwanger – verriet Eluâni –, und er habe ihnen den Leib 63 besprochen. Man dürfe nicht die Zeit verstreichen lassen ohne ein Regiment. Er selbst scheide sich aus, da er von kläglicher Herkunft sei und zudem kriechend an Gestalt. Er machte sich klein und häßlich; und Sadaui nickte dazu und gab ihm recht.

Dann betonte Sadaui noch einmal die Notwendigkeit, daß ein Schêsch gewählt werden müsse. Dazu habe man so berufene Männer. Abu-Makar sei in den besten Jahren. Von Abd-el-Schuard wolle er nicht reden, denn dieser sei geschwätzig wie ein Weib. Aber Abu-Rîch? Dieser sei schön von Gestalt und wisse Würde zu wahren.

Hier aber wehrte sich Eluâni und wollte Abu-Rîch nicht gelten lassen. Er habe wahrlich nicht mehr Hirn unter dem Schädel als ein Gemüsebauer; Allah habe ihn bei der Verteilung der Geistesgaben übergangen. Er sei völlig unerleuchtet und sein Kopf gleiche einer ausgehülsten Erbsenschote. Wenn nun auch nicht ersichtlich war, warum Eluâni auf den Mann so hitzig zu sprechen war, freute sich Sadaui dennoch innig darüber und gab ihm auch hier bedachtsam recht. Sie hechelten so miteinander noch die anderen Tapferen durch; prüften sie, drehten sie hin und her und befanden sie als zu leicht. Als das Thema so weit gediehen war, schwiegen sie, und Sadaui sah, wie das freche, verschobene Gesicht Eluânis mit der platten Nase sich lauernd senkte und Gedanken 64 darin spielten, die auch er zur Sprache zu bringen wünschte.

Er stand darum auf und verschwand im Zelt; dann kam er wieder heraus und setzte sich. Eluâni musterte ihn und ward eines silbernen Fingerrings mit einem großen Edelstein gewahr, den Sadaui plötzlich an der Hand trug. Sadaui sprach nichts, sondern blickte die Kostbarkeit verliebt an; er spreizte die Hand, klopfte auf den Stein und hob den Finger in die Höhe, so daß der Edelstein zu schimmern begann. Der Nacken des Bastards wurde dick vor Erwartung. Er starrte geblendet und gefesselt auf den Schmuck – – endlich zog Sadaui ihn ab und warf ihn dem Hakim in den Schoß. Und beide nickten sich wiederum zu, wie zwei Auguren.

Sie verstanden sich. Doch eines merkte der Bastard nicht ohne Verwunderung: Sadaui hatte den Namen Schuchâns nicht ein einziges Mal erwähnt.

Seit die Unterredung nach einem ungewöhnlich langwierigen Abschied beschlossen war, zeigte sich Sadaui allerorten äußerst liebevoll, demütig und freundlich; er vergab sich viel, selbst vor denen, die er nicht liebte. Eluâni sorgte dafür, daß der Mâd zustande kam, und man hielt ihn auf dem freien Platze am Quellteich ab. Zu diesem Zwecke baute man ein kleines Amphitheater aus Sätteln, Teppichen und Kissen und ließ sich im Kreise nieder. Nun galt es, den Ältesten als 65 Unparteiischen und Vorsitzenden zu bestätigen. Ohne weiteres fiel das Richteramt Sadaui zu. Er wurde, wie es der Brauch war, dreimal gerufen (wobei man rhythmisch in die Hände klatschte); dann stand er auf und setzte sich auf den Richterplatz.

Erster Sprecher war Eluâni. Er stellte sich an die Seite des sitzenden Sadaui und begrüßte die Versammlung. Er hielt einen kleinen Rückblick über die verflossene Zeit und pries die Seßhaftigkeit, indem er die Fährnisse des früheren jahrzehntelang gewohnten Nomadenlebens in übertreibenden Gegensatz stellte. Man könne ja auch noch jetzt jederzeit kleine Streifzüge unternehmen. Hier tat er mit der hohlen, nach hinten gekehrten Hand einen Griff in die Luft, und alle lächelten und schlossen die Augen.

Und wo ist die Abfindung vom Khedive? – – »Ich habe sie nicht gesehen,« sprach Eluâni und tat einen Blick in die Höhe. »Ich habe lang kein ägyptisches Pfund mehr in der Hand gewogen. Die feisten Oasenbauern von der Barka und von Sîwa sind auf der Pilgerschaft. Hier hat Allah uns eine Ernte beschert. Und wenn es not tut, wollen wir uns aufmachen und unseren Brüdern die Last ihrer Güter tragen helfen.« Wiederum lächelte der Kreis mit geschlossenen Augen.

Als Eluâni von der Ernte sprach, hatte er eine empfehlende Bewegung nach Sadaui hin vollführt. Nun 66 kam Eluâni mit dem Zweck der Versammlung langsam und vorsichtig ans Licht. Zu allen Unternehmungen, sprach er, brauche man einen Führer und bei Streitfällen untereinander einen, der sie mit bloßem Wort zu schlichten wisse, einen Erleuchteten, einen Liebling Allahs, der zugleich des Gesetzes nicht unkundig sei und über hoheitsvolle Gebärden verfüge. Unterordnung sei ein Kitt der Geselligkeit. Darum müsse man jetzt einen Schêsch wählen.

Hierauf neigte er sich noch einmal vor der Versammlung, und mit einem verschmitzten Blick auf Sadaui trat er ab. Ein maßloser, heftiger Meinungsaustausch erhob sich; jeder überschrie den anderen. Abu-Rîch und Abu-Makar äußerten sich untereinander mit ruckweisen Wendungen ihrer stolzen schwarzen Köpfe und zurückgeworfenen Schultern; denn sie fühlten, daß die Wahl auf einen von ihnen beiden treffen müsse. Die anderen, nicht minder hoffnungsvoll, wechselten ihre Mienen und gaben sich Stellungen, die sie sonst verschmähten. Schuchân stand freundlich irgendwo im Hintergrunde. In dem allgemeinen Geschrei hatte er sich zurückgezogen und scherzte mit den Kindern, die, vom Lärm begeistert, barbarisch jubelten. Ab und zu drehte sich Schuchân wieder um und guckte in die Versammlung; doch fuhr er dabei mit dem Zeigefinger an der Nase herab, denn es war ihm offenbar gleichgültig, wovon die Rede war.

67 Da näherte sich Eluâni plötzlich Sadaui und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sadaui höhlte daraufhin die Hände um den Mund und rief:

»Betet zum Propheten!«

Dies hatte eine Zauberwirkung. »Tausendmal,« kam ein Gemurmel zurück. Dann ward es für eine halbe Minute still, und Sadaui verkündete, man müsse jetzt mit der Wahl beginnen, denn es hätte keinen Sinn, wenn sie alle durcheinander redeten. Er habe jetzt beschlossen Stimmen zu sammeln; dies sei der einzige Weg, zum Ziel zu kommen, ehe der Abend nahe. Er bat sie, die Hände zu heben, wenn er einen Namen rufe; wer die meisten Hände erhalte, der solle Schêsch werden. Jetzt gab es Überraschungen, denn als er die Namen der Stolzesten rief, verhinderte die gegenseitige Eifersucht, die diese Tapferen aufeinander hegten, daß mehr als zwei, drei Hände auf den einzelnen entfielen. Schuchân war der einzige, der sich nicht schlüssig war, wem er den Vorzug geben solle, denn seine Hand zuckte, als ob er jedesmal in Versuchung sei, seine Stimme herzuschenken. Er hatte jetzt gut begriffen, worüber die Rede ging; er war ganz nach vorn gegangen und ließ seine schwarzen Augen unbekümmert und fröhlich im Kreise spielen.

Nachdem Sadaui alle Namen, die in Betracht kamen, ausgerufen hatte, war das Ergebnis zweifelhaft und verworren. Er gab dieser Tatsache mit scharfer 68 Stimme Nachdruck. Sein Gesicht war steinern, wiewohl sein Blut tanzte. Erwartung und Freude machten seine Hände, die er unter den Falten versteckte, heftig zittern. – – Eluâni trat nun vor, und nachdem er sich verschmitzt umgeblickt, nannte er den Namen Schuchâns.

Und nun geschah folgendes: Sadaui tat fast als erster seine Hände hervor, bemeisterte ihr Zittern und streckte sie gerade in die Höhe mit offenen Fingern. Sein Gesicht war fahl. Und siehe da: fünfzehn weitere Händepaare folgten; und endlich zögernd, halb grimmig, halb zustimmend, auch die von Abu-Makar und Abu-Rîch. Es war ein Wald von erhobenen Händen.

Nur ein einziger rührte die seinen auch jetzt noch nicht: Eluâni.

Sadaui sah ihn mit blitzschnellem Lächeln an. Dann sanken die Hände, und Schuchân stand da und wußte nicht, wie ihm geschehen war. Er war jetzt siebzehnjährig; seine Augen wurden größer, während er sich noch besann. Fast traumverloren, ohne die Würde, die man seinen jungen Schultern übertragen wollte, in ihrer Bedeutung zu ahnen, blickte er sich um; ein leichter Schwindel ergriff ihn und er sah über die Köpfe hinweg in das funkelnde Grün. Dann senkte er den Blick und fühlte sich heftig erschrocken, ohne jedoch im Augenblick zu wissen, warum.

Er sah, auf dem erhöhten Platze vor sich, nur einen 69 schwarzen Umriß. Dann sah er zwei graue Augen, zwei stechende, lieblose, gewalttätige Augen, von denen Befehle ausgingen wie lähmende Wellen. Schuchân machte, ohne es zu wollen, eine unbeholfene, rührende Bewegung, als wolle er den Blick beschatten; dann sah er wieder auf. Das war ja sein Bruder! . . . Und er sah ihn gar nicht böse an; er hatte ja für ihn gestimmt, und Schuchân liebte ihn ja und bewunderte ihn! Sadaui lächelte ihm freundlich zu: Da, nimm! Und im selben Augenblick trat Eluâni vor und nannte den letzten Namen, der zu nennen war.

Sadaui erhob sich und setzte sich zu den anderen, als man seinen Namen rief. Jetzt erhob auch Eluâni seine Hände ein erstes Mal steil in die Höhe.

Und fast im selben Augenblick spürte Schuchân wieder den leichten Schwindel und den lähmenden Anhauch; eine plötzliche Hilflosigkeit erfaßte ihn, und er wußte nicht, woher sie kam; nur das eine schien ihm zu helfen, daß er die Arme so eifrig hob, als wolle er alles, was ihn wie plötzliches, innerliches Schluchzen bedrängte, heftig von sich stoßen. Sadaui hatte sich langsam erhoben und seltsam: während er aufrecht stand, schien, gleich Wellenringen von einem Stab im Wasser, das gleiche Gefühl einer unterwerfenden Lähmung von ihm auf alle hinüberzufluten: begonnene Vorstellungen in den Hirnen versiegten, Gedanken brachen ab; einzig er, und nochmals er, war der 70 Brennpunkt sämtlicher Augen, und alle Hände hoben sich wie tastend ihm entgegen.

Regungslos blieb er stehen, er dankte ihnen nicht.

So wurde Sadaui durch die Mehrheit einer Stimme, der Eluânis, und durch Schuchâns weiches Herz zum Schêsch und Oberhaupt über das gesamte Häuflein der Auladali-Beduinen in der einsamen kleinen Oase, die er selbst erwählt und bestellt hatte. – – –

 

Die erste Handlung Sadauis, des Schêschs, war die, daß er sich aufmachte, um Pferde zu holen, wo er sie fand. Er ritt mit elf von seinen Leuten auf Heginen in die Richtung des Ras-Bakar. Dort, zwischen den Kalkfelsen versteckt, erspähten sie auf der Karawanenstraße einen Reitertrupp. Sie ließen die Heginen zwischen den Felsen, und als sich der Trupp zur Nachtzeit gelagert hatte, schlich sich Sadaui mit zehn seiner Leute hinzu. Wie aus dem Boden gewachsen, sprangen sie windschnell auf die erschrockenen und sich aufbäumenden Pferde. Ehe die aus dem Schlaf auffahrenden Leute Zeit gewannen, war das Häuflein, von Geschrei und vergeblichen Schüssen verfolgt, hinter der nächsten Sandwelle verschwunden. Den Wächter fanden die Überfallenen geknebelt, mit den Füßen im Sand vergraben.

Bald hatte man die Kamele erreicht, die inzwischen von dem überzähligen Elften bewacht worden waren, 71 und trieb sie unter Gejauchz und eitel Fröhlichkeit zur Oase zurück, die man nach mehrtägigem Ritt erreichte. Denn es zeigte sich, daß die Satteltaschen den Erlös eines kleineren Haschisch-Schmuggels bargen, den jene Leute, unter griechischem Sold stehend, als harmlose Gewürzkrämer verkleidet, auf einem Umweg von der Küste nach dem Delta zu schaffen gedacht. Sadaui, als der Schêsch, beanspruchte kurzerhand die Hälfte der Summe. Trotzdem entfielen immer noch mehrere Pfund auf jeden Mann. Außer dem Gelde fanden sich Teppiche vor; ein stark bemerktes Stück war ein hellblauer Seidenmantel, den man mit einmütigem Beschluß Schuchân übergab. Sadaui entsandte hierauf fünf seiner Leute mit den Heginen nach Sîwa, um sie in Kleinvieh umzutauschen. Einzig das Bischarin Schuchâns ließ man in der Oase, da er sich nicht von ihm trennen wollte. – – – Die Fünf kamen nach zwei Monaten mit drei Hämmeln, vier Mutterschafen und zwei Ziegen zurück, deren Zucht eine empfindliche Notwendigkeit war. Die übrigen Tiere waren unterwegs in der Durstzone verendet.

Einer, dem Sadaui zwei Goldstücke mehr zugestand als den anderen, war Eluâni; und wieder nickten sie sich insgeheim einander zu.

72 Der Riß im Mantel

Bei der Verteilung des Geldes hatte es manchen Streit gegeben, besonders heftig artete ein solcher zwischen Abu-Makar und Abu-Rîch aus, zu einer Tageszeit, als Eluâni mit Sadaui jagte. Die beiden Leute, die sich früher gut vertragen hatten, schrieen sich zunächst mit emporgedrehten Augen an. Jeder suchte dem anderen seinen Anspruch an den Fingern klarzulegen, und so fuchtelten sie sich eine Zeitlang vor den Gesichtern herum, während ihre Stimmen, wie die von Bazarschreiern, wüst und hohl wurden. Keiner gab nach. Als der Höhepunkt der Erbitterung erreicht war, stierten sie einander nahe ins Gesicht und knurrten sich wie zwei Hunde an. Ihre stolze Haltung war verloren; ihre Nacken dick gebäumt, ihre niederen Stirnen gerunzelt. Da ihnen die Waffen im Augenblick nicht zuhanden waren, fielen sie mit den Händen übereinander her, und bei dieser Gelegenheit biß Abu-Makar dem Abu-Rîch die Nase ab.

Abu-Makar hatte feste, schmale, starke Zähne und einfache Triebe. Als Abu-Rîch ihm den Finger in die Augenhöhle bohrte, tat ihm das weh und er biß in seiner Wut einfach zu, wohin es traf; und so kam es, daß ihm das Knorpelstück der Nase des Gegners zwischen den Zähnen blieb. Er spuckte es verächtlich aus und ließ es genug sein. Abu-Rîch sah sehr 73 niedergeschlagen aus. Das Wasser aus seinen Augen vermengte sich mit dem Blut, das aus dem Stumpf schoß und am Boden eine Spur hinterließ, als ob man einen Hammel geschlachtet habe.

Es war jämmerlich, wie der große, stolze Abu-Rîch geschändet war. Die Verzweiflung und der Schmerz ließen ihn heiser brüllen und sich von neuem auf Abu-Makar stürzen. Da aber trat plötzlich Schuchân dazwischen und wehrte ihm. Er bekam zwar noch einen derben Schlag ab, aber es gelang ihm, den Rasenden zurückzuhalten. Nach einer kurzen Weile ging ein sonderbar scheues, verlegenes Lächeln über dessen verstümmeltes Gesicht, und seine zu Krallen gekrümmten Finger lösten sich.

Schuchân war, seiner Art und Weise gemäß, in seinem blauen Rock, den er heftig liebte, in der Oase umhergeschlendert, hatte die Kinder ein Spiel mit kleinen Knochen gelehrt und auch wohl nach seinem Bischarin gesehen, das inzwischen an Größe und Appetit zugenommen hatte. So konnte man ihn öfters sehen; und die Weiber aus den Zeltritzen, wie auch die Männer beim Waffenreinigen oder Plaudern waren es gewohnt, den blauen Rock, der dann und wann in einem Sonnenstreif warm aufblitzte, zwischen den Stämmen zu entdecken. Dann kam es vor, daß einer ein spannendes Märchen plötzlich mit einem Segenswunsch unterbrach oder sogar den Rahmen seiner 74 Schachtelgeschichten vergaß: so liebten sie ihn. Und die Frauen erbebten und gurrten einander von den Schätzen seines Leibes vor. Dies alles spürte der Gute und wuchs wie eine Pflanze auf unter dem warmen Anhauch der allgemeinen Gunst.

Heute vollbrachte er eine Tat aufrichtigsten Mitleids, und es wurde allgemein bemerkt und gepriesen. Nachdem er Abu-Rîch bestürzt und ergriffen betrachtet, nahm er den Saum seines blauen seidenen Rockes und riß kurzerhand einen großen Fetzen davon ab. Dann machte er ein Bündelchen daraus, tränkte es mit Wasser und stillte das Blut Abu-Rîchs. Seine weichen Hände waren so zärtlich und behende, daß der Verletzte mit dem erstaunten Dankgestammel gar nicht innehielt: so völlig waren die guten Regungen seiner einfachen Seele erweckt. – – Als er später trotz des lindernden Tuchklumpens vor dem Gesicht noch einmal in Wut geriet, rief Schuchân auf eigene Faust einen kleinen Mâd zusammen, vor dem der Fall seine gebührende Erledigung fand.

Denn Abu-Rîch machte, wie ihm nicht zu verdenken war, eine gewaltige Angelegenheit daraus und versteifte sich auf die Nase seines Gegners. Jedesmal, wenn er sie so gerade, an den Nüstern gekraust, herrisch und hübsch gebogen in dessen Gesicht erblickte, erzürnte er sich von neuem, wenn er an die traurige Ruine dachte, die ihm selbst geblieben war. Deswegen 75 war es schlichtes Recht, daß man dem bissigen Gegner Gleiches mit Gleichem vergalt, und die Stimmen, von Schuchâns zögernder Billigung geleitet, einten sich denn auch dahin. Abu-Makar hätte sich jedoch lieber ins Messer gestürzt, als daß er sich derart hätte verkürzen lassen. Er geriet in große Angst, da an Flucht nicht zu denken war. Nun jedoch hielt Schuchân eine sanfte Rede, auf deren Grund Abu-Makar schließlich verurteilt wurde, mit seinem gesamten Bargeld und all seinem Hab und Gut für die Nase zu büßen.

Diesem ersten Schiedsrichter-Urteil Schuchâns folgten weitere, und Sadaui hörte davon und ergrimmte. Er fühlte, wie ihm sein Einfluß entglitt; doch unterließ er es, selbst in die kleinen Händel einzugreifen.

Aber jedesmal, wenn er an Schuchân dachte und an den klaffenden Riß im Mantelsaum Schuchâns, erkaltete ihm das Herz in der Brust und ward hart wie Stein. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Eines Frühlingstages traf es sich, daß Schuchân zur Jagd ausritt und, eine Fußreise von Tagesdauer entfernt, einen Mann fand, der am Verdursten war. Er hatte ihn schon längere Zeit bemerkt: in der Luftspiegelung, die die Hitze erzeugte, saß eine riesige schweigsame Silhouette gleichsam auf der Kante des Gesichtsfelds, spreizte Schattenfinger und wogte auf und ab. Je näher er dem Phantom kam, desto kleiner wurde 76 es. Endlich entdeckte er ein weißes Pünktchen, das der Wirklichkeit angehörte; und das Pünktchen wanderte ihm entgegen. Es war, wie er jetzt erkannte, ein Mann, der zu Fuß ging. Daß er Entbehrung gelitten hatte, sah man aus der Trägheit, mit der er die Füße setzte. Schuchân erkannte einen kleinen Greis mit scharfem Gesicht, schnellen schwarzen Augen und schlohweißem Bart. Er hatte eine hohe, von feinen Furchen bedeckte Stirn; seine Kleidung bestand aus einem weißen Burnus und hellgelben Sandalen. Er trug einen geflickten Sack auf der Schulter. Als der Greis sich dem jungen Reiter auf Sehweite genähert hatte, tat er einen schwachen Ausruf des Erstaunens und blieb stehen. Seine Hände hoben sich segnend; er sprach ein sanftes »Salaam«. Den Kopf wiegend, trat er an das Pferd heran, und Schuchân sprang ab, so daß sich sein hellblauer Rock in der Luft bauschte.

Da der kleine Greis vorerst zu erschöpft war, um zu reden, ließ ihn Schuchân aus seiner Sattelflasche trinken. Der Fremde dankte mit einem gemurmelten Spruch und wurde dann lebhafter. Beide machten sich miteinander bekannt. Der Greis war ein Sendling der Senussia, ein wandernder Mönch, der seit Jahrzehnten für den Mahdi Proselyten machte. Aus der Barka ausgewiesen, hatte er Tunis, Algier und die Kyrenaika bereist und war über das Auladaligebiet geritten. Vor zwei Tagen hatte er sich verirrt und sein 77 Pferd eingebüßt. Er hatte versucht, die Karawanenstraße zu Fuß zu erreichen, völlig in den Willen des Schicksals ergeben und gewärtig, den Dursttod zu erleiden.

Schon während dieser Erzählung blickte er den jungen Schuchân staunend an; jeder Satz seiner mühsamen, atemlosen Rede klang in einen kleinen unvermittelten Ausruf des Erstaunens und in Pausen aus, die er dem Anschauen seines Retters widmete, so daß Schuchân mehrmals sagen mußte: »Und wie nun, mein Vater?« – – ehe er mit seiner stockenden Rede fortfuhr. Schuchân fühlte sich durch die scharfe Betrachtung, der er unterworfen wurde, leicht befangen; doch die Spannung, mit der er dem Bericht folgte, siegte über das unbehagliche Gefühl, das ihn beschlich. – – Endlich nötigte er den erschöpft Verstummenden auf sein Pferd und geleitete ihn nach der Oase. Der Greis versank in Lethargie; und als Schuchân sagte: »Blicke auf, mein Vater, hier stehen unsere Zelte, das des Schêschs Sadaui, meines Bruders, und das meine,« – da fuhr der Greis zusammen und pries Gott, als er das liebliche Grün an so unvermutetem Ort gewahrte.

Er wurde ehrenvoll empfangen und erhielt Speise im Überfluß; doch aß er sehr sparsam davon. Man scharte sich schweigend um ihn, bis er dankte und sich in einer Haltung niederließ, die man auf seine Bereitschaft zu reden deuten konnte. Sadaui setzte sich ihm 78 gegenüber, und nun begann der Greis in höflichen und blumenreichen Wendungen seine Sendung zu erklären. Sobald der Kreis erfaßt hatte, daß er von einer Zauja kam, ein greiser Lehrer der Enthaltsamkeit und ein hitziger Feind der Andersgläubigen war, erhoben sich ehrfürchtige Rufe des Willkomms und der Neugier. Sadaui, als die erste Gemütsbewegung sich gelegt hatte, erzählte nun, wie er hierher gelangt sei. »Ich hatte eine Blutrache, mein Vater; doch der, den sie treffen sollte, versteckte sich; und meine Tapferen hier wurden aus dem Fayum vertrieben. Ich fand den Mörder meines Oheims nicht. Ich war beschämt, sammelte Kamele und floh. So sind wir hierhergekommen. Dieser Platz war der Sitz von Teufeln, die ich und dieser Hakim hier vertrieben.« Er warf einen kalten Blick auf seine Leute; die Kaumuskeln an seinen Kiefern traten stramm hervor, und seine flachen grauen Wangen sanken um ein weniges tiefer. – – Der Mönch sah sich vorsichtig um, als wolle er die Worte abschätzen; ein fast unsichtbares Lächeln huschte um seinen Mund; doch der lange Bart machte es ebenso schnell wieder vergessen.

Er hatte gelächelt, als er von den Teufeln hörte. Nicht, als ob er daran zweifelte, daß es solche gebe und daß man sie vertreiben könne; sondern es war die Überlegenheit des Kenners der Überlieferung, des Schülers dreier Zaujen und der Stolz dessen, der nicht mit 79 Gewalt und Raub, sondern mit dem Wissen und dem wohlgesetzten Worte wirbt und unterjocht. Er war ein feiner und erlesener Kopf; auch war er, da er nun schon an die achtzig Jahre zählte, noch ein Genosse des Schêschs Ali-es-Senûsi gewesen, jenes geistesstarken Begründers der Sekte, und hatte sein Herrschaftsgelüsten durch gemeinsam verbrachte Nächte voll spitzfindiger Folgerungen aus dem Korân befeuert. Jahrzehntelange Gewohnheit, so ärmliche, schlichte Gemüter, wie die dieser dumpfen Glaubensbrüder und Kameldiebe, mit überredendem Wort zu überrumpeln, hatten seiner Sprache und seinem Auftreten eine gefällige Schmiegsamkeit und eine betäubende Kraft erteilt.

»Du sagst,« wandte er sich jetzt an den Schêsch, »daß dich Allah deine Blutrache nicht ausführen ließ, mein Bruder. Sidi-el-Mahdi – den der Erlauchte bewahre – zog damals seine Kräfte zusammen; ich weiß es – und du folgtest ihm. Diese falschgläubigen Hunde mit den roten Gesichtern, die Abendländer, hatten Teufelsgeschütze mit hundert Kugeln. Da wich er zurück. Bald wird seine Kraft ihnen überlegen sein. Wenn du wiederum zu ihm stößt, wirst du umarmt werden und deiner Rache teilhaftig werden. Was sitzest du hier und lässest dein Herz verfaulen? – Jetzt ist die Zeit, daß du dich aufmachst . . .« Er schwieg plötzlich, erschreckt durch die blutleere Grimasse des 80 Gegenübers. Sadaui bezwang sich nach einiger Zeit. Ein abenteuerlustiges Murmeln war in der Reihe entstanden. Träge, schier schläfrige Wimpern rissen sich auf, alle sogen den Bericht des Mönches wie Honig ein. Und auch mit Schuchân war eine Veränderung vor sich gegangen. Er war lebhaft geworden; er wollte sich zeigen und freute sich darauf, dem kleinen Greise zu gefallen. Schnell lief er ins Zelt und holte die einsaitige Laute; dann setzte er sich, hieb mit den runden Fingern auf den grobgedrehten Darm und sang mit leiernder Stimme den Mahdi-Hymnus. Der Greis nahm eine lauschende Stellung ein; seine Augen begannen fanatisch zu glühen. Und noch ehe Schuchân mit dem Sang fertig war, und jene Strophe gellte: »Und das 'Ain, o Sklaven Allahs: Tag der Abrechnung, Tag, an dem die Rechte die Linke anklagt . . .« erhob er sich, deutete mit zitternder Hand auf Schuchân und überschrie ihn mit dem hastigen Wort: »Dieser, seht; o seht diesen dort! . . . Er ist jung; gleicht er nicht einem edlen Pferd? Sind seine Augen nicht Menschenseelen? Ist seine Stimme nicht Sturm? . . . Ja, wahrlich; dein Herz ist Feuer des Samum!«

Alle waren erschüttert. In diesem Augenblick war Schuchân der Herr der Stunde. – Etwas ruhiger geworden, fuhr nun der Mönch fort:

»Geh mit mir, mein Sohn; komm mit nach 81 Dscharabub, es wird dir dort gut ergehen. Du bist schön und Gott hat dir Verstand und Anmut verliehen. Man wird dich ausbilden, und du wirst eine Leuchte in Dschidda werden oder einer der Weisen an der großen Moschee El-Ahzar . . . Komm mit mir!«

Schuchân stand ratlos vor dem begeisterten Mönch. Eluâni wechselte mit Sadaui einen Blick und sprach dann: »Ich muß dir zureden, mit diesem Verehrungswürdigen zu gehen. Allah mit dir!« – Sadaui, zuerst schweigsam, blickte mit tiefliegenden Augen vor sich auf den Boden. – Dann verzog er mit einem Lächeln seinen Mund, verhalten und hämisch, so wie nur er allein zu lächeln wußte, und Schuchân bekam zum zweiten Mal den großen fremden Haß zu spüren, der ihm die Kniee schier lähmte; so wie dazumal, als die Schêschwahl stattfand und er den Schatten sah vor sich, der mehr eines Wolfes als eines Menschen Züge trug. Dann sprach Sadaui mit eintöniger, ruhiger Stimme: »Es ist gut, mein Bruder, wenn du mit diesem gehst.« – Es ist kein Raum für uns beide! – dachte er dabei insgeheim mit der Inbrunst seines Hasses.

Und während der alte Senussipriester angespannt in seinen Zügen forschte, sah sich Schuchân im Kreise um, und seine Blicke trafen in viele andere und alle baten ihn: »Bleibe.« – – Er sah die Kinder spielen, er sah das funkelnde Grün, sah sein Zelt, den 82 spiegelnden Quellteich, sein Bischarin und alles, was ihm teuer und heimisch geworden war; und dann dachte er noch an sein Feldchen und daß er es kürzlich bestellt habe. Und er wandte sich dem Mönche zu und sagte: »Ich danke dir, mein Vater; aber ich fühle nicht die Kraft in mir, deinem Rate zu folgen. Denn mein Kopf ist klein und meine Gedanken sind kurz. – – – Gott möge dir allzeit gnädig sein!« setzte er artig hinzu. »Aber es muß mir versagt sein, deinem Wunsche zu willfahren.« Seine letzten Worte verklangen im allgemeinen Beifall. Alle erhoben sich und umringten ihn. Sie betasteten ihn und schmückten ihn mit reichem Lob. Sie überboten sich gegenseitig und woben den Dank wie einen Teppich, in dem die stolzesten Vergleiche blühten . . . Diesen Teppich nahm Schuchân mit verschämtem Lächeln auf seine runden Schultern . . . Niemand achtete dabei Sadauis, der den grauen, dünnen Kräuselbart vom Kehlkopf heraus in die Höhe strich und mit den Zähnen knirschte, als ob sich ein Mahlmörser in einer leeren Hirsepfanne drehe.

Der Senussimönch gab das Feld verloren. Er wurde noch einen Tag bewirtet und dann von Sadaui mit einem Pferd – nicht eben dem besten – beschenkt, auf dem er in der Richtung nach Aïn-Wara weiterritt.

Nach einem Monat geschah es, daß Sadaui seiner beiden Frauen müde war und sich Matrîje, die vierzehnjährige Tochter des El-Alfa-Beduinen 83 Abu-Muchla, zur dritten Gattin erkor. Er verkündete dies öffentlich und fragte Abu-Muchla, was er für seine Tochter als Morgengabe begehre. Der künftige Schwiegervater begnügte sich mit drei Goldstücken. Im übrigen fühlte er sich geschmeichelt, daß seine Tochter zur Frau des Schêschs erhoben werde. So gab es wieder eine Neuigkeit in der Oase, die zu Feiern Anlaß bot. Soweit man im Besitz eines solchen war, legte man einen neuen Burnus an oder wusch den alten: man klatschte bei Sonnenuntergängen den Phantasieen zu, die von einigen Leuten geritten wurden. Hier kam es auch zutage, daß eine gewisse Wohlhabenheit seit der Beschlagnahme des unrechtmäßigen Haschischgewinnstes in der Oase um sich gegriffen hatte. Man hatte sich inzwischen von den Karawanen, die man aufsuchte, allerlei erhandelt; man sah breite, silbergravierte Fußbügel, schöne Satteldecken aus Ledermosaik, klirrendes Kopfgeschirr von gebuckeltem Silber und in einzelnen Händen neue Waffen mit hübscher Kolbenverzierung. Seit »Neid der Winde« umgekommen war, hatte Schuchân sehr um sie getrauert und ein Liedlein auf sie gedichtet mit dem Refrain: »Ich rief in die Wüste hinein, doch sie gab keine Antwort mehr!« – Nun war er fast getröstet, als er auf »Labsal der Gläubigen« saß, einem Hengste von edler Herkunft, milchweiß und silbergrau, den er selber getauft hatte. Schuchân und Abu-Makar taten sich bei 84 den Phantasieen besonders hervor; Abu-Makar verstand es, in vollem Galopp herunter- und wieder aufzuspringen, und Schuchân stellte sich auf den geschmeidigen Rücken seines stürmenden Tieres, so daß sein blauer Mantel in weiten Falten knatterte.

Jeden Morgen, bei Aufgang der Sonne, löste man Flintenschüsse und betete vor den Zelten. An dem festgesetzten Tage nun standen Hullen, kupferne Kessel, vor dem Zelt des Bräutigams, in denen Reis brodelte; daneben andere Töpfe mit Fleisch. Als die Stunde herangekommen war, ging man daran, wie es Sitte war, den Hammel zu schlachten.

Diese Handlung wurde dem Ritus gemäß von dem Fiki Eluâni, und zwar mit langsamen Schnitten vollzogen. Das Blut fing man auf; Abu-Makar tauchte seine Hand hinein und preßte einen Abdruck an einen Zeltpfosten im Innenraum des Schêschzeltes. Darauf, während ein flotter Schmaus sich erhob, schritt die Braut siebenmal um das Zelt und verschwand darin, von Händeklatschen begleitet. Der Fiki gab ihr einen Spruch auf den Weg, und nach Verlauf einer Stunde folgte ihr Sadaui.

Einen Monat war Matrîje schon Frau; und Umm-Dschamîl und Salme waren ihr gut gesinnt, da das Kind die Bürde einer gewalttätigen Ehe ohne viel Klage auf sich nahm und dadurch die anderen entlastete. Eines Morgens (– wie schön waren diese Morgen!.. 85 mit kurzem Zwielicht, voller Gold, Blau und leichten Brisen –) hatte sich Sadaui entfernt, und seine Rückkunft stand nicht bald zu erwarten. Da wagten die drei Weiber sich auf den Vorplatz hinaus. Sie saßen zitternd und bebend da, kalt noch vor Dunkelheit und erloschener Freude; die Herzen taten ihnen weh. Ihre Köpfe zueinandergesteckt, wisperten sie, bis der letzte leichte Nachtfrost sich gehoben hatte und die Wärme den Umkreis bunt machte. Dann wagten sie es, freier zu reden, lebhafter zu schwatzen, ja sogar zu lachen. Als ein entferntes Wassergeplätscher an ihr Ohr drang, verstummten sie; und Umm-Dschamîl bog mit der kleinen schwachen Hand die fast vom Wachstum gesperrte Lücke in dem Schwertgras frei. Die drei Köpfe schoben sich vorsichtig hinein. Siehe da: dort drüben am jenseitigen Ufer, an einer flachen Stelle, stand eine hellbraune Gestalt bis zu den Knieen im Wasser.

Das war Schuchân. Er hatte seine Bekleidung abgeworfen, war völlig nackt, und vergnügte sich damit, ein Bad zu nehmen. Er warf sich der Länge nach in das lehmbraune Wasser, das silberne Wirbel um seinen beweglichen Körper bildete. Er spritzte, prustete und schüttelte den dunklen Lockenkopf. Er glich einem jungen Panther. – Zuweilen blieb er mit schnellem Atem stehen und sah mit verkniffenen Augen in der Runde umher, dann machte er wieder einige Schwimmbewegungen – richtig zu schwimmen war diesem 86 seltenen Fisch versagt –; und endlich ging er heraus, die Füße von rötlichem Schlamm bedeckt, und ließ sich von der Sonne trocknen. In dem wachsenden Licht glänzte seine Haut wie Seide. Matrîjes Augen verschleierten sich, so daß ihre brombeerschwarzen Pupillen einen stumpfen, fast schlafenden Schimmer bekamen.

Nachdem sich Schuchân vor seinem Zelt mit ein paar Griffen bekleidet hatte, sang er auf dem bereitliegenden hochroten Teppich sein Gebet. Die Lautwellen wanderten wie tiefe Harfentöne herüber. Das war das Erlebnis, das Matrîje beschert ward, nachdem sie eines Monates Dauer hindurch Sadauis Gattin gewesen.

An einem der nächsten Tage – da Sadaui wiederum fort war – fand Schuchân zu früher Stunde Matrîje in seinem Zelt. Sie saß einfach da, als sei sie ihm als Geschenk von einem hübschen Zufall in die Hütte gesetzt oder vom Himmel gefallen. Sie hatte sich schön gemacht. Das dunkle, grobfaserige Tuch, das ihr in gespanntem Sitz um die überkreuzten Beine geschlungen war, ließ die Hälfte ihres kleinen hageren Körpers frei. Über ihren spitzen kleinen Brüsten lag ein Schmuck. Die kindlichen Arme, grünblau tätowiert, hielt sie mit einer spröden und erwartenden Gebärde von sich ab; sie trug einen prachtvollen schmalen Nasenring, durch den sie ihre kurze, in gleicher Farbe tätowierte Unterlippe vorschob. Ihr Vogelköpfchen 87 wandte sich ihm ruckweise zu, als er eintrat, und blieb dann wie erstarrt in dieser Stellung. Schuchân wunderte sich sehr; ein »Allah kerîm!« entfuhr ihm. Er war durchaus nicht in der Lage, zu erfassen, was dies Geschöpf hier in seiner Hütte für eine Bedeutung habe. Sie blieb sitzen und war stumm, wie ein zierliches Idol.

Endlich, als er einige Male vorsichtig hin und her geschritten, auch einmal um sie herumgegangen war, schluchzte sie auf mit einem schnaubenden, hilflosen Ton – und seltsam: sie lächelte dabei. Das Schluchzen stieg in ihr auf nur als ein kleiner Laut von Schmerz; doch ihre Lippen verzogen sich dabei nicht in einer Gramfalte, sondern zu einem schmalen, hellen Strich, in dessen Mitte es blitzte. Da kam es dem guten Schuchân zu Bewußtsein, daß dies die Frau des Schêschs Sadaui, seines Bruders, sei, und es ward ihm so unbehaglich zumut, daß er sie mit der Hand erfaßte, sie emporzog und sagte: »Geh! – Geh! –« Sie war gehorsam. Aber bevor sie sich hinausstahl, riß sie ihm blitzschnell ein Stück des blauen Mantels ab, schier ohne daß Schuchân in seiner großen Bestürzung es bemerkte; es war ein dreieckiger Fetzen aus eben dem Loch, das er sich selbst gerissen, um einen Balsam für den Nasenstumpf des Abu-Rîch zu erhalten.

Seit Matrîje, von niemand bemerkt, wieder in Sadauis Hütte gelangt war, hütete sie das Stücklein 88 Seide wie einen Schatz. Sie zeigte es auch ihren Mitfrauen nicht, sondern versteckte es eifersüchtig und zog es nur in Augenblicken hervor, wo sie sich sicher und unbeobachtet wähnte . . .

Doch es geschah, daß Sadaui sie, als er lautlos und plötzlich eingetreten war, damit spielen und es mit Küssen bedecken sah. Er riß es ihr aus der Hand und gab ihr einen so heftigen Stoß, daß sie in die Ecke rollte und bewußtlos liegen blieb.

Der Mord

Schon am nächsten Tage traf der Schêsch seinen jungen Bruder bei den kleinen Feldern an und bat ihn, mit ihm auf die Jagd zu gehen. Er bat mit freundlicher Stimme, so nebenhin; er habe da und da ein Gazellenrudel entdeckt. Weiterhin hielt er eine kleine Rede, in der er seine frühere Heftigkeit mit dem Ärger erklärte, den er in der ersten Zeit seiner Amtsübernahme habe erdulden müssen. Sein Gesicht, mit den greisen zottigen Brauen, war schlaff und friedlich. Seine Augen hatten einen milden brüderlichen Ausdruck; ebenso lag seine Hand, die knochige grobe Hand, sanft wie ein Blatt auf der Schulter des Erstaunten. Und Schuchân war vergnügt und erklärte in aller Demut, zufrieden zu sein; und zur heutigen Jagd sei er gern bereit.

89 Sie schwangen sich auf zwei ungesattelte Pferde, bewaffneten sich und ritten hinweg. Sadaui wußte es so einzurichten, daß sie an einer Stelle die Oase verließen, wo niemand ihr gemeinsames Fortreiten bemerken konnte. Eine Stunde Wegs entfernt, schossen sie zwei Gazellen. – – Die Hitze war stark.

Sadaui plauderte und ritt stets Seite an Seite mit dem Bruder. Als sie zurückkamen, befanden sie sich in der Nähe eines Quaderhaufens, der von Flugsand halb vergraben war. Sie waren im Bereich der Trümmerstätte, noch fern von der Oase, die man bei ganz klarem Wetter von der Spitze dieses kleinen Hügels erblicken konnte.

Hier angelangt, zog Sadaui seinen langen, ziselierten Dolch unversehens hervor und stach ihn seinem Bruder mit einem raschen Stoß von der Seite her in die Brust. Er gab der Klinge noch eine Drehung, und das Blut schoß warm über das Heft des Messers bis in den Ärmel Sadauis hinein. – – Schuchân tat keinen Schrei. Mit dem Ausdruck des Erstaunens sank er auf die Seite, als wolle er sich vertraulich an den Bruder lehnen. Sein weit geöffneter Blick ward matt; die Pupille glitt unter das obere Lid, und das bläuliche Weiß seiner Augen drang hervor. Er war sofort tot; der ganze linke Schenkel bis herab zu dem unbeschuhten Fuß triefte von Blut. Sadaui ließ ihn auf der Seite herabstürzen, um zu verhindern, daß 90 das Pferd Schuchâns vom Blute benetzt wurde; und mit einem dumpfen Ton schlug der leblose Körper im Sande auf.

Zunächst führte Sadaui nun das herrenlose, abgezäumte Tier in weitem Bogen zu einem entlegenen Weideplatz in der Trümmerstätte. Dann kehrte er zurück, hob den Leichnam auf seinen eigenen Gaul, zusammen mit den erlegten Gazellen, und brachte ihn zu dem Quaderhaufen. An dessen Außenseite war der Sand, der unablässig wanderte, bis in eines Armes Tiefe fein und locker. Sadaui grub mit beiden Händen ein flaches Loch, bis es die Größe des Toten erreichte; dann bettete er ihn und seine Flinte hinein und begann ihn sorgfältig zu überschütten. Der elastische Sand, der sich leicht pressen ließ, verschluckte die schönen Glieder Stück um Stück. Sadaui arbeitete unablässig stundenlang. Als nur noch der Kopf frei war, nahm er die Hände voll Sand und ließ ihn in der Freude seines Herzens wie kleine Kaskaden durch die gespaltenen Finger rinnen. Er beeilte sich nicht; er zielte zunächst nach den Augen und erst zuletzt nach dem offenen Mund, bis auch dieser gefüllt war und verschwand. Als nichts mehr zu sehen war, reinigte er seinen Burnus und seinen von eisernen, hageren Muskelsträngen bedeckten Arm sorgsam von dem Blut; ebenso tat er mit dem Messer, bis es sauber blitzte. Dann kam das Schwerste. – – Um zu verhüten, daß der Tote durch die Schakale oder 91 Geier wieder herausgewühlt werde und die Tat sich so zur Unzeit offenbare, stieg er auf den Haufen und stieß mit ungeheurer Kraft drei, vier der schwersten Marmorquadern herab. Die Anstrengung war so gewaltig, daß er, als sie vollbracht war, schwankend zu Boden sank. Düster grübelnd, mit aufgestemmten Händen, saß er einige Zeit. Dann suchte er sich noch einen Haufen kleinerer Steine zusammen und verteilte sie regellos zwischen den Quadern. Als das Werk vollbracht war, saß er auf und ritt langsam zurück; die beiden Gazellen trug er vor sich im Sattel.

Er ließ sich nun, in die Oase zurückgelangt, nicht das Geringste anmerken. Ja, er trug sogar eine gewisse Leichtigkeit und Heiterkeit zur Schau und ging zur gewöhnlichen Zeit in sein Zelt. Am nächsten Morgen sah er nach dem Gebet mit innigem Wohlgefallen über das Wasser, wo ein leichter Wind mit den Vorhängen des leeren Zeltes dort drüben spielte.

Das Gebet leistete er mit lauter Stimme, nicht monoton und trotzig wie sonst, als er noch des Anderen Gesang teichüberwärts bestehen mußte und die sanften Laute mit den seinen einen grellen Mißklang ergaben, so daß die eigenen in rauhem Gemurmel erstickten: nein, er saß auf den Knieen, den Rücken wie eine Feder gebogen, die sich in den Hüften frei schwebend hob und senkte; er stieß bei jedem der Sätze die Ellbogen auf, mit der ganzen Länge des Vorderarmes. 92 Und seltsam: zum ersten Male hörte er das Lautgemenge der Anderen, wie das ferne Geblök von Kälbern und schlecht anzuhören . . . Die Stimme dessen, der nicht mehr da war, stellte keine goldene Scheidewand mehr zwischen die Sadauis und den Chor der Übrigen. So mußte er lauter beten, schon weil ihm das unschöne Geräusch ein Ärgernis im Ohre war und weil er es liebte, sich allein zu hören und die einzige einsame Stimme im Dickicht des Schilfes zu sein.

Was aber insgeheim in ihm sang, war ein wohlüberlegtes Gebet. Seine Rede, nach außen hin so stockend und schwerfällig, war nicht mühsam mehr, wenn sie in der Kammer seines Herzens, seines engen, finsteren Herzens erklang; es war ein breites, ungebändigtes und strömendes Gemurmel von der Lautquelle des Tiefsten. Dort sah ein kleiner Bereich heute festlich aus; eine kümmerliche Freude war entfacht, die Bilder erzeugte und ein Heergetümmel von unaussprechlichen, nur fühlbaren Worten. Nun fand er von selbst, tastend, die Form für seine Rechtfertigung; er hatte seine Tat vollbracht wie er Luft schöpfte, zu den Weibern ging oder schlief; es war früher, als Schuchân noch lebte, eine Behinderung, ein Augen- und Ohrenschmerz um ihn gewesen, den es zu lindern und zu verscheuchen galt. Er sah damals eine Macht neben der seinen; er sah die vielen Augen nicht auf sich haften und gläubig besinnungslos an sich gefesselt, sondern er 93 sah, wie sie an ihm vorüberglitten, ihn verließen, ihn wie Glas durchblickten und den Mantel des anderen dumpf bestaunten, eh!, diesen verfluchten blauen Mantel!

Dies war der Urgrund all seiner Vorstellungen; tiefer ging seine Qual nicht, bevor der, der sie schuf, fiel. Und das war seine Qual: das Zaudernmüssen vor zwanzig lächerlichen Augenpaaren. Schuchâns glatte Glieder bewegten sich schemenhaft in seinem Hirn . . .: In Sadauis Kopf, unter dem körperlichen Augapfel, erwachten grell die Blicke eines erzürnten Tieres, in fahlem Schimmer lodernd und nicht mit der Wärme anheimelnden und geselligen Blutes. Er hatte ansehen müssen, wie ein anderer, verschmitzt wie ein Weib, im Schatten des inbrünstig ersehnten Zieles saß, in einem schmalen Schatten, der nur den Raum für einen einzigen bot; er hatte hören müssen, wie alles ihn bestätigte; wie alle einander zunickten und sprachen: »Der Schatten ziert dich, Du unser Geliebter! Bleibe im Schatten! Wir sind Sklaven. Recke Deinen Fuß heraus, gekühlt vom Segen Deines Schattens. Hier ist eitel Sonne; doch so lang sie uns nicht verbrennt, werden wir unsere Lippen Deinem Fuße nähern und versuchen, die Augen nicht zu schließen, wachsam, daß Du in deiner Unschuld nicht die Stelle verlässest, die Dir gebührt, und von der Sonne leidest.« – Oh, er war ein junges Kalb, dieser Schuchân, das blind seine 94 Weide fand und sich daran das Blut erhitzte; und so waren sie alle, Kälber, von Allah verlassen!

So rechtfertigte Sadaui sich vor der eigenen Brust und ward tief befriedigt davon. Vor Allah jedoch sprach er sich mit folgenden Worten frei: »Er war, als er noch mit mir zusammenwohnte, bei meinen Weibern, und dann, sobald er allein hauste, nahm er Matrîje in seine Hütte. Du sandtest mir – gepriesen sei Dein Name – Zeichen, das Amulett und den Mantelfetzen. Also mußte ich ihn töten. Ich habe gerecht gehandelt. Ich ward meiner Blutrache nicht teilhaftig. Du hast mir diesen Frevler zum Ersatz gesandt. Gepriesen seist Du und Dein Prophet!« – Sadaui sprach diese Worte nicht innerlich, sondern er formte mit leiser Stimme jede Silbe scharf und langsam; er wußte, daß diese Rechtfertigung vor dem Gesetz Bestand habe und daß dem Höchsten der nicht ausgesprochene, aber geheim gefühlte Grund, die Stimme hinter den Worten, die Stimme: »Es ist kein Raum für uns beide!« – vorenthalten bleibe. Sadaui wiederholte noch einmal, wie zum Nachdruck: »Ich habe gerecht gehandelt!« herausfordernd und kurzem Nackenrücken; und dann ging er in die Oase. Sein Gesicht war ruhig.

Das Fernbleiben Schuchâns fiel zunächst nicht auf. Als es aber Abend wurde, ward hier und da nach ihm geforscht und sein Name bildete sich auf den Lippen. 95 Da es dem Schêsch nicht beliebte, von selbst ein Gespräch anzuknüpfen, fragte man ihn nicht; er setzte sich in den Kreis; es wurde eine gemeinsame Abendmahlzeit auf dem Mâdplatze gehalten. Auf einmal räusperte sich Abu-Rîch, sandte den Blick suchend umher und fragte: »Wo bleibt doch Schuchân? Hat er niemandem gesagt, wohin er ging?«

Verneinende Gebärden waren die Antwort. Allerlei Vermutungen wurden an die Frage geknüpft. Sadaui beteiligte sich, schweigsam wie immer, nur mit Blicken daran. – Man sang das Asr und blieb noch plaudernd am Feuer sitzen. Abd-el-Schuard erzählte eine Schachtelgeschichte. Das Feuer warf tanzende Schatten. . . . Als die Rede von dem Afrîd war, der aus der Flasche stieg, ungeheuer groß wurde und ehern schrie, so daß dem Fischer, der ihn herausgezogen, das Herz gänzlich verzagte – da rief man schnell eine Behütungsformel, und der Erzähler stockte einen Augenblick, denn es schien nicht mehr Sadaui zu sein, der am Platze saß.

Die Dunkelheit herrschte an jener Stelle. Und doch, wenn man näher hinsah, saß dort ein großer Mann, größer als Sadaui, ein schwarzer Faltenklumpen, der Beklemmung erzeugte. Die erhitzten Köpfe streckten sich vor . . . Die leiernde Stimme des Erzählers setzte wieder ein; sie beruhigten sich. Es war doch Sadaui, denn jetzt wurde sein Gesicht beglänzt. Statt der 96 Augen hatte er dunkle Löcher im Kopf. Die Kuppeln seiner Lider waren tief zurückgesunken. Er schien in aufrechtem Sitz zu schlummern.

In der Geschichte trat nun ein Prinz auf, der hinlänglich duftete – er kam soeben aus dem Hamman – und so schön war wie Schuchân, »denn Allah gebe nur Auserwählten seine Gaben im Überfluß.« Der Prinz verfügte sich in ein Frauenhaus, wo er mit beneidenswertem, sagenhaftem Vermögen seinen Mann stellte. Der Erzähler verblieb eine lange Zeit bei diesem Thema und schmückte es mit ungeheuren Bildern aus. Er gestikulierte und sang; alle wurden von langgezogenem, brüllendem Gelächter erschüttert. Der letzte Vergleich, der zu dieser Angelegenheit geliefert wurde, übertrumpfte die vorigen und krönte sie. Die Freude schwoll bis zur Ermattung an. Jeder wiederholte die Köstlichkeit seinem Nachbar. Dann erstarb das Gelächter leise. . . Doch ein einziges schien zurückzubleiben und schluchzte wie ein kurzer Harfenton: keiner hatte es ausgestoßen . . .

Die Palmenwedel, wie schwarzes Filigran vor dem silbernen Blau der Himmelstiefe, schwankten leise hin und her; ein Nachtwind, eisig kalt, hauchte vorüber. Alle schauerten in dumpfem Unbehagen, denn in der Pause, die unwillkürlich entstand, hörte man die Schakale kläffen, und Sadaui spürte, daß ihre Laute nicht zerstreut klangen, wie sonst, sondern daß sie seltsam 97 einmütig hallten, von klagendem, ärgerlichem Geheul durchsetzt . . . Er öffnete den Mund, ein leises Gurgeln kam aus seiner Kehle. Er konnte sich nicht über die Richtung täuschen, von der das Geheul kam. Etwas Fremdes, Kaltes, Kriechendes war im Anzug. Er ging in sein Zelt, und auch die anderen legten sich nieder.

Am nächsten Morgen begab sich Sadaui nach der Stätte, wo Schuchân verscharrt lag. Der Boden war aufgewühlt, doch nur da und dort; es zeigten sich kleine Mulden im Sand. Ersichtlich war der Leichnam völlig geschützt. Nicht einen einzigen Stein hatten die Tiere zu rücken vermocht. Sadaui verwischte ärgerlich die kleinen Spuren; dann, zufriedengestellt, verließ er den Platz.

Da der Knabe auch am nächsten Tag verschwunden blieb, wurde die Frage nach ihm lauter und dringender. Man begann nach ihm zu suchen. Vielleicht war ihm ein Unglück zugestoßen: ein Schlangenbiß oder ein Sturz in eine der halb versandeten Marmorzisternen . . . Die Leute gingen, unter dem Schutze Eluânis, in die Trümmerstätte. Einmal wurden sie durch ein eigentümliches Stöhnen, das aus einem Gewölbe kam, heftig erschreckt. Aber Schuchân war nicht darin, nur ein Goldwolf, der nicht heraus konnte und im Verenden lag.

Sie brauchten mehrere Tage, um das weite Areal 98 oberflächlich zu durchsuchen. Es gab auch die Möglichkeit, daß er auf eigene Faust zu weit geritten, sich verirrt habe oder von den Senussimönchen entführt worden sei. Mithin unterließen sie nichts, soweit sie konnten, die Wüste zu durchforschen; und es dauerte eine Woche, bis sie sich von der vorläufigen Vergeblichkeit ihrer Mühe überzeugten. Darauf überließen sie sich einer stumpfen Trauer. Sadaui verhielt sich die ganze Zeit über schweigsam. Einmal fragte er: »Habt ihr ihn gefunden?« Und als sie betrübt verneinten, senkte er den Kopf und fiel so sichtlich und augenfällig in sich zusammen, daß sie sich in ihrer Trauer eins mit ihm wußten. Freilich sahen sie nicht, wie Sadaui hinter der übers Haupt geworfenen Burnusfalte lächelte.

Als ein Monat vergangen war, hatte sich nichts geändert. Man vergaß nicht, daß Schuchân fehlte; man schrak zuweilen zusammen, wenn man in Gedanken plötzlich auf ihn stieß; es schien, als sei er nicht jahrelang bei ihnen gewesen, sondern kaum eines blendenden Sommers Dauer hindurch und täglich reicher. Eine Lähmung lag auf den Handlungen aller. – Tagelang konnten sie untätig beieinander hocken und austauschen, was ihnen von Schuchân noch am greifbarsten in der Erinnerung haftete. Sadaui saß stets dabei, und sein Antlitz wurde magerer, sein Blick müder. Sein Gang hingegen ward gemessener, würdiger 99 denn je und seine Sprache schwerfälliger und von schneidendem Tonfall. Das Zelt Schuchâns ließ er zusammenlegen; ja, er griff, trotz seiner Würde als Schêsch, eigenhändig bei der Arbeit zu und half die Pfosten mit herausziehen. Die Habe Schuchâns gab er Eluâni in Verwahrung, »bis man über den Verbleib des Vermißten sicher sei«.

– Die Tage rannen dahin, bis ein zweiter Mond sich gerundet hatte. Und da begab es sich, daß Sadaui zu seinem Felde ging und nach dem Stand von Hirse, Fenchel und Durrha sah. Als er sich zuweilen bückte und die jungen Pflanzen mir der Hand betastete, hörte er ein Scharren und blickte auf Schuchâns Acker hinüber, auf dem alles bis auf den letzten Stumpf abgefressen und versandet war. Und siehe: Jetzt erschien das junge Kamel. Sadaui sah, daß es durch eine Lücke im Damm, gerade an dessen südlichster Spitze, hereintrat. Diese Lücke hatte es selbst getreten; es stieg langsam, aber mit sicherem Stelzgang hindurch. Offenbar wurde es von Durst getrieben. Man hatte es wochenlang nicht gesehen . . . nun ging es geradeswegs auf die Hecke zu, die Sadauis Acker eingrenzte, und stieg hinüber, bis es in nächster Nähe Sadauis war.

Zuerst stand Sadaui reglos; und dann ergriff er seinen langen Dolch. Das junge Kamel, unbehelligt von der rasenden Bewegung, mit der er nach der Waffe fuhr, tat sich langsam gütlich. – Nun fiel Sadaui 100 ein, daß es schöner sei, das Tier zu quälen, es gemächlich und schmerzhaft zu töten . . . ah, diese Mahlzeit würde ihm gut bekommen!

Als er das Messer hob und bedachtsam zielte, wo er dem eckigen, täppischen, halb erwachsenen Tier den ersten Stich versetzen solle, hob es das Haupt und sah ihn ruhig käuend an. Seine Augen waren so rund, kindlich und sanft. Es blinzelte mit den Lidern, die lange Wimpern trugen, weil es zwischendurch Fliegen zu verscheuchen hatte. Seine Augen drehten sich langsam und ruhig; sie waren tief dunkel und spiegelten die Welt ohne Arg. Es hielt ihm seinen Kopf nahe ans Gesicht; dann senkte es ihn wieder, um weiterzukäuen . . . In diesem Augenblick wurde Sadaui trotz der Glut des Tages urplötzlich von einem kalten Entsetzen befallen: Was war das? Die Pupillen des Tieres zogen sich zusammen, und zwei ernste Sterne blickten ihn still und vertraulich an: – – – – – Schuchâns Augen!!

Das Tier äste weiter, und Sadaui wich zurück. Endlich ermannte er sich und klatschte in die Hände, um das Bischarin zu vertreiben; er schrie es rauh an, und es ging gehorsam wieder über die Hecke auf das verödete Feldchen zurück. Als es drüben stand, wandte es den Kopf noch einmal zurück und sah ihn wiederum mit menschlichen Augen an. Es dehnte den Hals etwas; es blickte unbeweglich und versonnen hinüber. 101 Es war dem Schêsch, der es anstarrte, als steige der Kopf an diesem Hals, einem elastischen, samtenen Hals, langsam über die Hecken – – und er tat einen gurgelnden Schrei, warf sein Messer hin und rannte in den Hain zurück.

Dortselbst, nach einiger Zeit, fand er seine Fassung wieder und vergewisserte sich mit einer seltsamen Gründlichkeit, ob niemand Zeuge dieses Schreies geworden sei. – – Mit einer unmutigen Bewegung raffte er sich zusammen und versuchte die leichte Betäubung abzuschütteln, die auf seiner Stirn lag. Er ging auf das Feld zurück und holte sein Messer wieder. Sobald er es, gebückt suchend, gefunden hatte und in der Hand hielt, sah er sich ruhig um. Das Bischarin war wiederum durch die Dammlücke verschwunden. –

Einer der nächsten Befehle Sadauis war, die Hecke um seinen Acker zu verdoppeln, und zwar von innen, denn er hielt mit Strenge darauf, daß niemand auch nur einen Fuß auf Schuchâns Ackerfeld setze. Er verbot es unter ärgsten Strafandrohungen, bevor man mit der neuen Anpflanzung begann. Er litt lieber, daß man sein eigenes junges Feld dabei zertrat. Die Leute sahen die Lücke im Damm und erklärten, daß diese notwendig ausgefüllt werden müsse, da der Sand an einer Stelle schon bis zum Hain gedrungen sei. Doch Sadaui schüttelte den Kopf.

Er erinnerte sich dabei der Zeit, da er es das erstemal 102 gewagt, sich insgeheim und unauffällig zum Aufseher dieser Leute zu machen. Als sie jetzt gebückt arbeiteten, hatten sie wie damals ihre Kleidungen abgeworfen, und ihre braunen Leiber glänzten vor Schweiß. Einige Zeitlang schafften sie schweigend, bis Abu-Muchla die Bresche im Damm wieder in Erwähnung brachte. Das Stichwort lief die Reihe hinunter, und sie legten nacheinander das Werkzeug hin. Alle wandten sich mit drohenden Gesichtern Sadaui zu . . . »Durch die Lücke im Damm dringt die Wüste,« sprach einer mit scharfer Stimme. »Was lässest du diese Hecke verdoppeln, Sadaui? Wir wollen den Damm zubauen, das ist nötiger. Der Riß ist noch nicht alt . . .« Sadaui antwortete nicht, sondern blickte sie steinern an.

Da ging kurzerhand Abu-Muchla auf Schuchâns Feld hinüber. Er bot Sadaui als sein Verwandter ohne Skrupel die Stirn – – – – Hier aber ereignete sich etwas Unvorhergesehenes.

Sadaui ging auf Abu-Muchla zu und packte ihn an der Kehle. Der große kräftige Mann war waffenlos, da er seinen Dolch zugleich mit der Kleidung abgelegt hatte; so wand und wehrte er sich wütend. Doch Sadaui zwang ihn ins Knie, und zum Schluß gab er ihm noch einen Stoß in die Gegend des Magens, so daß Abu-Muchla die Augen verdrehte und wie ein Klotz auf den Boden fiel.

103 Der Vorgang spielte sich mit solcher Schnelligkeit ab, daß die anderen davon überrumpelt wurden. Sadaui hatte sich steil aufgerichtet, deutete auf den Bewußtlosen und sprach: »Tragt ihn weg!« – Sie rührten sich nicht . . . Etwas Gefährliches, wie der Dunst eines Tieres, ging von Sadaui aus. Seine Zähne knirschten wieder wie ein Mahlmörser; sein Auge, das trüb auf sie gerichtet war, bekam einen schmalen Rand von Blut, wie damals, als er von Aïn-Wara kam und seine erste Arbeit vernichtet fand. Er atmete tief auf; dann, immer herrischer in der Haltung, schrie er mit schneidender Stimme: »Tragt ihn weg!« – und machte einen Seitenschritt dorthin, wo seine Flinte am Boden lag. Eluâni kam inzwischen ganz dicht an ihn heran und blickte ihm von unten herauf in die Augen; dann, als Sadaui regungslos stehenblieb, der Ausführung seines Befehls gewärtig, sprach Eluâni leise und bedeutungsvoll: »Ich rate euch, ihr Männer, daß ihr schleunigst tut, wie euch von diesem Starken hier geboten wird.« Die Hände um seine Fellbeutelchen geschlossen, trat Eluâni in gebückter Sklavenstellung unter mehrmaligen Verneigungen zurück. Er machte noch eine rätselhafte Handbewegung, die Sadauis Umriß in vergrößernder Weise umschrieb; und Sadaui, wie ein Steinbild, stand weiter reglos. – – – – Endlich öffneten sich seine Lippen; Speichelschaum trat in seine Mundwinkel, 104 und eine fremde, gewaltige Stimme schrie: »Ihr Verfluchten!!«

Die Stimme schien nicht von Sadaui zu stammen, obwohl sich, als sie erscholl, der Kehlkopf des Schêschs blähte. Seine Lippen waren gleich darauf wieder peinlich geschlossen, und von abergläubischem Entsetzen gepackt, schafften sie Abu-Muchla hinweg und brachten ihn an den Teich, wo der Hakim seine Pflege übernahm.

Sadaui wurde jetzt wieder beweglich. Angstvolle Blicke streiften ihn; eilfertige Hände kamen jedem seiner rauhen, wegwerfenden Befehle nach . . . Eine neue Hecke ward in zwei Tagen fertiggestellt.

Als das Kamel wieder durch die Dammlücke stieg, doch, vom Anblick der vielen Leute befremdet, verschwand, erregte es großes Staunen, daß Sadaui sich plötzlich abwandte und, solange das Tier auf Schuchâns Feldchen weilte, die Augen mit der Ärmelfalte bedeckte. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Wüste

Von dieser Zeit ab zeigte sich Sadaui seltener. Einmal ging er durch die Oase und sah Kinder mit kleinen Knochen spielen. Ein kleines war dabei, den Kopf voll schwarzen Zottelhaars, das stillvergnügt lachte. Als 105 er vorüberging, ließen sie das Spiel ruhen und drehten ihm ihre Gesichter zu, stumm, voll Neugier und Schreck. Und sie hatten die Augen Schuchâns.

Damals war es, daß Sadaui die Kinder schlug; und sie flohen vor ihm, sobald sie ihn nahen sahen. Eines Tages um die Mittagszeit hörte er das Zirpen eines Monochords zwischen den Stämmen. – – Eines der Kinder hatte das herrenlose Ding gefunden und stieß seinen kleinen Finger daran. Das Schwirren der einzigen einsamen Saite ging ihm wie Feuer ins Blut . . . er schritt den Tönen nach, riß die Laute aus der kleinen ratlosen Hand und zerspellte sie an einem Stamm.

Der Spätfrühling brachte eine unerhörte Glut. Der Umkreis lohte; alle Farben wurden grell und peinigten das Auge. Und seltsam, während früher, bei Tagesanbruch und zur Abenddämmerung zarte, tröstende Lüfte gespielt hatten, mit holdem Vergessenlassen ertragener Mühsal – – schwieg auch jetzt zu diesen Zeiten die Luft und rührte sich nicht, als sei sie gefesselt. Die Hitze drückte sie, ballte sie förmlich zusammen. Jeder Schritt in die Wüste hinein, auf den glühenden Sand, schmerzte; das Auge verzehrte seine Sehkraft in diesem gleißenden Strom von Gelb und Abergelb bis in die Ferne und den blassen Himmel hinein, der in den Teilen, wo die Sonne nicht loderte, tief sattblau funkelte, in einem ungeheuer keuschen, ursprünglichen Kristallglanz. Draußen war die Hölle; innerhalb des 106 Haines, an dem Teiche, war Geborgenheit, Schatten und Kühle.

Doch nun, wo die Hitze so gierig – schon wochenlang – und unablässig an allem Leben fraß und selbst die Luft sich untertan machte, so daß sich kaum ein Seufzer rührte und die Nächte selbst dumpf und schlafarm wurden – kaum daß die frühere Kühle sich noch dann und wann gespensterhaft fühlbar machte – nun wurde auch das spärliche Leben der Oase matt und taub. Eine Lethargie ergriff die Leute; sie lagen mit halb geschlossenen Augen auf dem Dorfplatz; die Stimmen regten sich selten, und dann kurzatmig und mühselig; nur wenn es nötig war. Selbst die Kinder – – – sechs an der Zahl – – – vergnügten sich nicht mehr mit lautem Geschrei; sie lagen nackt in einem Haufen und strampelten nur zuweilen mit den Füßen im Wasser. Eines von ihnen hatte eine kleine, gelbbraune Giftschlange gefangen, und sie neckten das fauchende Tierchen mit Hölzern. Manche von den Männern kamen überhaupt nicht hervor, sondern vergruben sich in ihre Zelte.

Auch Sadaui verschwand. Man sah ihn nie. Die Hitze wuchs, und unter den Palmen war eine surrende, kochende Stille. Draußen tanzte der Umkreis in Wellenlinien; grellweiße Blitze drangen durch die Stämme. Seltsame, nie gehörte Laute erwachten in der Luft und auf der Erde. Eines Tages seufzte das 107 Lehmufer des Teiches: Ein großer Spalt klaffte auf. In den Palmenstämmen entstand ein Rieseln: der innen aufgespeicherte Wasserdunst ging auf die Wanderschaft. Die Spitzen der langgefiederten Blätter liefen braun an; und das Schilf, pulvertrocken, stäubte überreifen, seidenen Samen ab, sobald auch nur die Ahnung eines Hauches sich rührte.

In diesem Sommer geschah es auch, daß die Mücken überhandnahmen.

Das Wasser, das zurückgesunken war, hatte sich mit einer graugrünen, schleimigen Algenschicht überzogen. Dort, wo die Quelle sonst einen kleinen, fröhlichen Wirbel bildete, quälte sich in großen Zwischenräumen eine träg zerplatzende Blase hervor. Und über dem Teich entstand ein geschäftiges Leben, eine flimmernde Schicht, in der sich das Licht brach; ein Wirrwarr von Millionen glasfeiner Schwingen, die auf und nieder tanzten, aber noch von dem Element, das sie geboren, gebunden. Abends, in der dumpfen Schwüle, konnte man Laute hören; einen einzigen, tiefen, warmen Klang, der sich bald verlor, bald von allen Seiten befördert, allumfassend flutete, jedes andere Geräusch zerschneidend: die hörbare Stille.

Allmählich wurden die Mücken dreister und mächtiger. Nach einer weiteren Woche windloser, stagnierender Glut brausten sie zu einer Abendstunde empor, wie eine kleine, in allen Ohren spitz singende Wolke. Das 108 prasselnde Feuer, das man ihretwegen unterhielt, wurde trüb, schwelte und bekam einen Rand von Qualm, als sich ein Teil der zarten, verderblichen Tiere hineinstürzte; für einen Augenblick huschte eine Dunkelheit über den Platz, da sich immer neue Kolonnen besinnungslos hineinwarfen; und zuckende, stinkende Seitenflämmchen sprangen auf. Die Leute, die träg im Freien lagerten, verspürten ein Prickeln auf der Haut. Sie sprangen auf und schlugen mit den Ärmelfalten um sich. Dann eilten sie zu den Pferden, die sich stampfend und wild mit den Schweifen schlagend durcheinanderdrängten.

Ein Hammel verschwand. Kurz zuvor hatte man ihn noch in der Nähe des Schilfes gesehen; und als man nach drei, vier Tagen dort nachsuchte, fand man ihn verendet und aufgetrieben, halb in den zähen Schlamm vergraben. Der Kopf des Tieres starrte träg aus dem Wasser, mit einem grellen Ausdruck in den toten Augen. Bisweilen war es, als blinzele er mit den Lidern: das war die dicke Kruste von wimmelnden Mücken, die ihm Augen und Nüstern umrahmte. Man scheute sich, das unreine Tier zu berühren, und ließ es, wo es war. Kurze Zeit darnach geschah dem Schêsch etwas Seltsames.

Als er ziellos, um das dumpfe Gefühl von Schlafsucht zu bemeistern, das ihn gleich den anderen befallen hatte, zwischen seinem Zelt und der Quelle hin und 109 her schritt, erschrak er aufs tiefste, denn es bildeten sich, wie er wahrzunehmen glaubte, in der flimmernden Glut vor ihm die Umrisse eines jungen Mannes, der ihm entgegenschritt. Diese ganz in gelbem, glitzerndem Feuer verrinnende Gestalt schien stehenzubleiben, sobald Sadaui seine entsetzten Augen auf sie heftete; dann wich sie zurück und zerfloß zu einer weißklaren Flamme mit dem übrigen Glanz, der ringsum herrschte. Sie wich nicht auf dem Uferweg zurück, sondern ruckweise über die kaum bewegte, von Pflanzenfäulnis schwärende Oberfläche des Wassers; und auf eben dem Platz, wo Schuchân ehemals seinen Gebetsteppich entbreitet, verweilte sie ein weniges, ehe sie zerfloß. Etwas Gelbes schien dort noch sekundenlang fortzulodern; bis auch dies erlosch. Gleichzeitig erhob sich ein flauer, schwacher, äußerst träger Luftzug: und der stillstehende Sadaui, der nur den Kopf ratlos drehte, sah auf einmal, daß das Schilf geborsten war, niedergesengt, und daß der Kopf des Hammels kahl und halb enthäutet mit grellen Augen aus dem Wasser starrte. Der Luftzug brachte einen Geruch mit, der über alle Beschreibung häßlich war. Und dieser Geruch schien sich allem mitzuteilen, was es ringsum gab. Sadaui verhüllte schnell den Kopf und ging in seine Hütte. Ein sausendes, knatterndes Geräusch ward hinter ihm hörbar: ein Geier hatte den Kopf entführt und sich, schrill kreischend, auf eine entferntere Palme geflüchtet.

110 Am nächsten Tage, bei unverminderter Hitze, lagen sechs Pferde verendet in einem Winkel der Oase. Eine graue, lärmende Wolke von Geiern, die überall aus dem Blau hervorstürzten wie Meteore, bedeckte sie mit eifersüchtig hauenden, grobfederigen Schwingen, aus denen schmutziger Flaum stäubte. Ihre nackten Hälse, blauweiß, mit baumelnden, halb vertrockneten Hautklunkern, vergruben sich tief in die Kadaver. Man schoß sie zu Dutzenden nieder, doch es wurden ihrer immer mehr. Die Aasfetzen tanzten unter dem Wetteifer der gierig hackenden Schnäbel hin und her. Gleichzeitig tauchten viele Wüstenfüchse auf; Rudel von gespensterschnellen, knochendürren, fauchenden Füchsen. Sie schienen keine Scheu mehr zu kennen; sie lieferten, mit schnappenden Zahnreihen, mit Zischen und Zerren, und trotz des Mittagslichtes vor Blutdurst und Hunger glupenden Augen, eine Schlacht mit den Geiern. Das Getöse der Tiere klang durch die ganze Oase. Die Leute wurden des Schießens müde, denn eine unerklärliche, schlaffe Beklemmung, die vom Magen ausging, ließ ihnen die Flinten aus der Hand gleiten. Als der Abend kam, erbrachen sich Abu-Rîch und Abu-Makar als die ersten. Ihre Gesichter waren aschgrau, sie wälzten sich in Krämpfen am Boden. Eluâni hatte viel zu tun. Zwei Stunden lang gellte seine heisere Beschwörung, doch es half nichts. Die beiden starben. Dann folgten die Kinder nach, von 111 einer wütenden Kolik hingerafft. Man verscharrte sie eilends . . . und als man sah, daß sie am zweiten Morgen aus den aufgewühlten Löchern verschwunden waren, ergriff eine Kopflosigkeit und eine Stumpfheit die Leute, wie sie nur äußerste Angst und unmittelbare, schier körperliche Gegenwart des Todes in seiner widerlichsten Gestalt erzeugt.

Endlich ward beschlossen, Allah und Den Propheten in großer Zeremonie um Regen anzuflehen.

Es war um die Mittagszeit, und Eluâni trat aus seinem bunten Zelt hervor. Man bildete einen Kreis; und Eluâni hob die Hände empor und wandte seinen stärksten Zauber an. Drei Stunden redete und tanzte er ohne Unterbrechung; dann, völlig erschöpft und in Schweiß gebadet, sank er zuckend zu Boden. Er lag, das tierische Angesicht zu einem bösen Ausdruck verzerrt, etliche Zeit wie ein Toter da. Plötzlich erhob er sich und stammelte, indem er nach Sadauis Zelt deutete: »Dort . . . geht dorthin . . . ich werde mitgehen . . . er ist stärker . . . geht zum Schêsch, er wird euch Regen geben . . .«

Und die Leute, Eluâni an der Spitze, schritten müde zu dem Zelt des Schêschs. Weil es fest verschlossen war, setzten sie sich auf den Vorplatz. Die Weiber, durch die große Not der Sitte entbunden, kamen, eine nach der anderen, gleichfalls aus ihren Schlupfwinkeln hervor und gesellten sich den Männern zu. Zaudernd 112 ließ man sich in einer Reihe unter dem Druck der grellen Glut vor dem Zelte nieder, und Eluâni als erster schrie: »Sadaui, komm hervor!«

Es blieb totenstill.

Nach einer Pause schrie Eluâni, diesmal in anklagendem Ton: »Komm hervor, Sadaui, und hilf!« Er wiederholte es noch mehrmals, doch nichts regte sich. In träger, hoffnungsloser Geduld wartete das Häuflein noch die Dauer zweier Stunden, dann, einer nach dem anderen, erhoben sie sich und verließen den Platz.

Noch am selben Abend starben Abd-el-Schuard und Abu-Muchla. Die Verzweiflung stieg: und beim ersten Blick der Frühe waren sie wiederum vor Sadauis Zelt versammelt.

Nachdem Eluâni wieder seinen vergeblichen Ruf getan, schrieen auch die anderen; und zum Schluß dröhnte ein einziger Schrei vor der Hütte: »Sadaui, hilf!«

Es fruchtete nichts . . . und eine Erbitterung erwachte, die sich langsam in Wut wandelte. . . . Auch Eluânis Gebärden zeigten eine Veränderung. Eines Tages, um Mittag, nachdem er das Haupt, wie gewohnt, zu Boden gesenkt getragen, spannte sich sein Körper plötzlich wie im Krampf, und ein lang anhaltender Schrei, der in ein Gelächter ausklang, brach aus seinem Mund. Seine Augen waren verdreht . . . das Gelächter, das er ausstieß, klang schluchzend; und 113 darauf seltsam rein, leise wie ein pfiffiges Kichern. »Sadaui ist tot,« sprach er und hob den Finger. »Hört ihrs nicht? – Wir müssen ihn mit den Flinten erwecken.« Es schüttelte ihn wie ein guter Witz. Man rüstete sich und stürmte heulend zur Hütte. Darauf schoß man etwa zwanzigmal scharf hinein. Ein jammerndes Kreischen, wie das gefangener Vögel, drang heraus, um einer großen, beklemmenden, um sich fressenden Stille Platz zu machen. Plötzlich, gedankenschnell, teilte sich der Vorhang, und Sadaui stand aufrecht vor ihnen da, so daß sie bestürzt, ja kopflos zurücktaumelten.

Er stand steinern . . . er wuchs förmlich aus dem Dunkel heraus wie ein Dämon, mit einem Gesicht so voll Abscheu erregenden Hasses, daß er sich selber kaum mehr glich. Sein Kopfskelett, greisenhaft deutlich, zeichnete sich ab; schwere Wülste paarten sich über seiner Nasenwurzel; seine Augen, kaum sichtbar, hellgrau und stechend, wurden durch schmutzigweißes Brauenhaar halb verdeckt; ebenso schien sein wolliger Bart wie sein Haupthaar inzwischen gebleicht zu sein. Er sprach kein Wort. –

Dann tauchte er wieder im Dunkel der Hütte unter. Nach einer Pause erschien er wieder und schleifte die erschossene Matrîje heraus, die er ihnen hinwarf. Sie war federleicht und mager; er hatte ihr rabenschwarzes, verfilztes Haar um seine Knochenfinger gewunden und 114 schleuderte sie mit schwerem Schwung hinaus; sie fiel vor sie hin wie ein bunter, entstellter Vogel, und das Metall erklirrte an ihren Gelenken. Das Gleiche tat er mit seinen beiden anderen Frauen. Als die drei Körper, übereinandergeworfen, vor dem Zuschauerkreis lagen, stand er wie einer, der von seiner Hände Werk befriedigt ist; und dann zeigte sich ein eiskaltes Lächeln an seinen Mundwinkeln. Er zog eine lange Flinte mit silberbeschlagenem Kolben aus seinem Burnus hervor, prüfte ihre Ladung und ihren Hahn und sprach dann: »Ihr habt mich gerufen. Ihr seid Hunde; drei Tage lang hörte ich euch vor meiner Hütte kläffen. Da habt ihr ja euren Heiligen –« und er wies mit der Flinte nach Eluâni. »Fragt doch diesen! – – Und nun entfernt euch, so schnell ihr könnt!«

Eluâni stieß ein sinnloses, beinahe schadenfrohes Gelächter aus. Und während die anderen stumm und geduckt vom Platze wichen – so entsetzlich war der Gesichtsausdruck Sadauis –, blieb Eluâni stehen. Sadaui riß die Flinte in den Anschlag, doch ehe der Schuß fiel, ließ er sie schwanken und zu Boden fallen.

Denn dort, wo Eluâni gestanden, stand jetzt ein anderer und sah ihn mit traurigen Augen an. Er hatte ein rundes Gesicht und trug einen blauen Burnus. Und jetzt hob sich seine Hand und schob den Saum beiseite, eine runde, kindliche Hand, und Sadaui sah seine hellen Brustmale und sah seine Seitenwunde wie einen 115 Rubin leuchten . . . Durch das jäh entfachte Sausen des Blutes in den Ohren hörte Sadaui, als er sich stöhnend in der Hütte verbarg, wie Eluâni draußen wiederum kicherte, sich langsam entfernte, und wie sein Gelächter sich grell und stoßweise hinter den Palmen verlor.

Tag um Tag verrann . . . Die Seuche forderte neue Opfer; an einen Aufbruch dachten die Leute nicht. Denn draußen, in der Wüste, lauerte der Tod so gewiß wie hier; die Hitze wuchs ins völlig Unerträgliche. So stieg fünfmal täglich ein verzweifelter Aufschrei aus allen Kehlen, jetzt vermengt mit dem schrillen Jammer der Weiber, zu Allah empor. Die Toten einzuscharren und Gedenksteine auf ihnen aufzutürmen war man zu schwach und zu planlos geworden; man schaffte sie vor die Oase, wehrte, solang man konnte, den Geiern und überließ sie dann ihrem Schicksal.

Sadaui saß stumm in seinem Zelt, als sei er ein abgestorbener Baum. Zuweilen wandte er sein graues Antlitz ruckweise im Kreise um, und ein Beben überlief ihn. Tief verhüllt saß er so, wie lang, wußte er nicht. Es herrschte eine dumpfe Dämmerung in dem festgeschlossenen Zelt; und zur Nacht – niemand sah es – überwand er eine lächerliche, insgeheime Angst vor dem »Draußen« und ging einige Schritte in die Wüste hinaus, mit allen Waffen versehen, die er besaß. Denn hier, wo er rings von dem hellen Sand 116 umgeben war, konnte ihn niemand hinterrücks anspringen.

Zuweilen, tagsüber, reckte er die Hand aus nach einer Dattel, einer Feige und erhielt sich. Das Wasser, das den anderen tödlich ward, stahl er sich aus der Quelle selbst, wo sie am reinsten sprudelte. Er trank es, ohne Beschwerden zu fühlen. Doch all seine Fibern zuckten. Denn draußen, so fühlte er, ging einer um, und diesem standzuhalten, war der letzte Sinn seiner Herrschaft.

Tagtäglich stieg das junge Kamel durch die Lücke im Damm. Es ging ihm unvermindert gut, das sah man. Es gab sich, da es nichts Besseres zu fressen fand, mit der neu geschaffenen Hecke ab und zerkaute die Dornen voller Wohlbehagen. Zuweilen wieherte es vor sich hin, als ob es mit einer Angelegenheit beschäftigt sei, die ihm Behagen verursache. Es trat die Lücke breiter, und der Sand stürzte hurtig nach. Mit einer gewissen tückischen Freude trat es jeweilig in die sinkenden Stellen; der ausgetrocknete Lehmkitt gab keinen Halt mehr und barst; und Strecke nach Strecke des Dammes verflachte sich und sank um. Da sich auch auf der Erhöhung nachträglich angesiedelte Schîjekräuter fanden, geriet das Kamel auf den Einfall, sich hinaus zu begeben, wodurch der Damm am gründlichsten zerstört ward. Nach einigen Tagen lag das ganze bebaute Kulturland der Wüste offen.

117 Sadaui sah das Kamel auch zuweilen in den hellen Mondnächten, wie der schlanke Hals sich als schwarzer Umriß dort auf den Trümmern des Dammes wand und senkte, und umging es in weitem Bogen. Und eines Nachts sah er es nicht, dafür aber etwas weit Furchtbareres: Der eben abnehmende Mond hatte eine rötliche Farbe. Zugleich fühlte er an den Händen und im Gesicht zum ersten Male seit sechs windlosen Wochen einen Widerstand der warmen Luft; und sein Burnus wallte träg. Der rötliche Mond scheuchte ihn zurück, er vergrub sich wieder in das nachtdunkle Zelt.

Das weiche, flaue Sausen wuchs. Sadaui, schwer atmend zwischen vier Kissen gepreßt, um sich auf allen Seiten gegen einen unvermuteten Überfall zu schützen, wartete. Das Sausen wurde nicht kühl, sondern blieb in gleicher Stärke bis zum Morgen. Und siehe da: Ein Knistern erwachte in ihm. Ein schleichendes Knistern: Millionen feiner Quarzkörnchen waren auf der Wanderschaft. Der nächste Tag zeigte das Erschreckende: Die Wüste wuchs. – – –

Sie schob sich tückisch und schier unhörbar herzu, durch die klaffende Dammlücke herein. Sie überrieselte und fraß, was sie bekam . . .

Da machte sich Sadaui ein erstes Mal am hellen Tage auf und ging in die Oase. Ein dumpfer Schrei entfuhr ihm. Halb in das stinkende Wasser vergraben, 118 lagen alle Leute, Weiber, Kinder und Männer, furchtbar verfärbt, als Leichen an einer flachen Stelle des Teiches – – – Ihre Gewänder bewegten sich zuweilen; da und dort hob sich ein Arm, rollte ein Kopf auf die andere Seite, zuckte ein Fuß. Dieser gespenstische Anschein des Lebens erlosch, als Sadaui einen Schuß löste und mehrere Füchse dadurch in die Flucht trieb. Er trat näher und suchte mit gierigen Augen die Gesichter ab. Aber das, was er suchte, fand er nicht; Eluâni war nicht darunter.

Außer sich vor Wut und Schrecken begann er zu suchen. Er streifte den ganzen Tag umher, doch vergebens. Der Fiki mußte sich in der Trümmerstätte verborgen halten.

Inzwischen wuchs die Wüste . . .

Auch tagsüber spürte Sadaui den flauen Anhauch und das leichte Prickeln an den Fußgelenken. Und während er keuchend durch die Oase eilte, die leeren Zelte zerfetzte, nach jedem Schatten schoß, umfing ihn plötzlich, inmitten grellsten Sonnenlichtes, die Angst. Sie umfing ihn wie eine lähmende Welle: Sie betäubte ihn wie ein Blutsturz; sie löschte alle Farben vor seinen Augen aus. Sie warf einen grauen Schatten, wie den des Zwielichts, auf den Umkreis; und jäh aufragend stand vor ihm die fürchterliche Erkenntnis: »Ich bin allein, und dieser Eluâni schleicht stündlich hinter mir her und sucht mich zu ermorden.« Doch 119 dann – mit zähneknirschendem Trotz: »Er soll mich bereit finden! – Wohlan, wenn er geblutet hat, sterbe ich gern. –« . . . Inmitten des tödlichen Schweigens fröstelte er. Es konnte ihm geschehen, daß er jäh herumfuhr, als habe ein Finger ihn an der Schulter berührt; und in der Nacht vergrub er sich ins Zelt und starrte in die schwelende Flamme eines kleinen Dochtes, während sein Gehörnerv, schmerzhaft gespannt, nichts als das unablässige, leise singende Wandern des Sandes vernahm.

Als er sah, wie die Wüste sich vorwärts schob und den Teich erreichte, jeden Augenblick drohend, die spärliche Lache, die die halberstickte Quelle noch erhielt, zu verschütten, – – – da kam ihm ein Gedanke, so einfach und erlösend, daß ihn die Heiterkeit übermannte und er sich vor unbändigem, fast erstickendem Vergnügen an die harten Schenkel schlug: wenn er die Quelle verstopfte, war der Feind ohne Wasser!! Er wird ohne weiteres Zutun verdursten; er wird sich heranschleichen wollen, ha, und Sadaui wird ihn mit seiner Flinte in Schach halten; er, Sadaui, wird zusehen, wie der Fiki aus seinem Versteck herauskommt, wie er sich windet, wie er bettelt, wie sein durststarrer Blick sich verschleiert, und wie der verfluchte Zauberer allen Höllenqualen langsamen Verkommens und Verschrumpfens ausgesetzt ist!! – – – So dachte Sadaui, und eine innige Freude erhielt ihn wach. Er 120 hockte sich nahe der Quelle nieder und tat schlaue Blicke nach rechts und links. Das tat er – – – und er wartete nicht umsonst.

Denn in der dritten Nacht, seit er den Entschluß gefaßt, kam etwas heran, was einem Menschen glich. Es lief auf allen vieren, war windschnell, emsig, näherte sich der Quelle und gab einen Ton von sich, ein röchelndes, verschmitztes Lachen, das der Lauscher zu kennen glaubte. Sadaui schoß zwei-, dreimal; dann tat das Ding einen Satz und lief auf zwei Füßen davon.

Es lief nicht schnell; es hinkte. Atemlos folgte Sadaui. Doch so rasch er auch rannte – –: die Entfernung zwischen ihm und dem flüchtenden Wesen ward nicht geringer. Sie gelangten in die Wüste, und eine fahle Dämmerung erwachte. Sadaui folgte schier besinnungslos und stolpernd seiner unentrinnbaren Beute. Er gab noch einen Schuß ab, der fehlging; dann warf er die Flinte hin und versicherte sich des Messers.

Auf einmal war das Ding vor ihm verschwunden, als habe der Boden es eingeschluckt. Gleichzeitig aber traten die Umrisse eines kleinen Hügels aus dem milchgrauen Zwielicht hervor. Sadaui hielt inne, als habe er einen Schlag erhalten. Er kannte diese halb verfallene Mauer und kannte diese Sanddüne, die sich hinter ihr staute. Er fiel der Länge nach auf den Boden, 121 und sein Herz schlug schwer und dumpf, als ob es versagen wolle . . .

Endlich erhob er sich, ging vorwärts und spähte hinter den Hügel.

Dort, mitten auf dem Grabe, saß Eluâni. Er saß mit gekreuzten Beinen dort, zum Gerippe abgemagert, das häßliche Gesicht feixend verschoben wie das eines Affen. Seine Augen loderten in haltlosem Wahnsinn. Als er Sadaui sah, begann er grell zu lachen; er bellte vor Lachen; er hielt seine Katzenfellbeutelchen umkrampft, und sein Zwerchfell bebte derart, daß er wie eine Puppe hin und her geschleudert wurde. Stets wiehernd, deutete er mit beiden Händen vor sich hin auf das Grab, als ob er etwas Köstliches in schalkhaftester Weise zu Sprache bringen wolle und als ob nur seine gräßliche, zügellose Heiterkeit ihn daran verhindere . . . und Sadaui stürzte sich auf ihn und stach ihn herab. Er stach zwei-, dreimal; und sah kein Blut. Die Haut platzte wie eine trockene Kamelstasche oder gedörrte Quitte. Und Eluâni sank herab, mitten in seiner unsinnigen Fröhlichkeit erreicht; doch wenn er auch verstummte, so lachten sein Mund und seine ganze Haltung weiter; geisterhafte, wiehernde Klänge erfüllten die Luft. Und Sadaui machte sich eilends daran, ihn zu verscharren, von Angst geschüttelt, der Zauberer möchte wieder auferstehen, denn offenbar hatte er das Leben von sieben Teufeln in dem ausgemergelten, 122 blutlosen Leib . . . Sadaui war keinen Augenblick sicher, ob nicht doch ein Afrîd in ihm stecke und ob dies nicht bloß der tote Leib Eluânis sei, in dem der Afrîd sein grauenhaftes Wesen treibe.

Deshalb mußte er gebändigt werden; der Weg der Rückkehr mußte ihm verrammelt werden. Sadaui schüttete Sand auf ihn, soviel er konnte; er faßte den Sand in sein Burnustuch und goß ihn herab, und dann, als Eluâni gänzlich verscharrt schien, schleppte er von dem Gemäuer Steine herzu, mit der Riesenkraft seiner Rache; er warf, während er Stein um Stein hob, eine doppelte, eine dreifache Zentnerlast auf den verscharrten Leib.

Da aber geschah Folgendes: Ein Windstoß brauste heran und umhüllte die ganze Stätte mit einer glitzernden grauen Wolke. Und als der plötzliche Windstoß sich gelegt hatte und die Wolke zerstreut war, kam der geöffnete, zum Lachen verzogene Mund Eluânis aus dem Sand hervor.

Er sah aus wie ein kleiner Krater. Er spie stumme, höhnische Worte aus. Entsetzt warf Sadaui neuen Sand auf ihn; doch ein neuer Windstoß raffte ihn wieder fort . . . Der offene Mund ließ sich nicht verdecken – – –!!!

Da tat der Schêsch einen heulenden Schrei und rannte nach der Oase zurück. Die Luft wurde finster von Sand. Sadaui, nach einer atemlosen Flucht, sah 123 hinter sich; von der Richtung des Hügels drang ein entsetzlicher, langgezogener, nicht endenwollender Ruf, den das Geräusch des anwachsenden Sturmes verschlang.

Sadaui erreichte die Oase und fiel, unweit der verschütteten Felder, besinnungslos zu Boden.

Die Geschehnisse schritten vor; Wolken auf Wolken glühheißen Sandes brüllten heran. Der Himmel ward dunkel, dann schwarz . . . Fahle Entladungen durchzuckten ihn; die Palmenwedel, schwarzgrün gefärbt, wogten knarrend hin und her . . . . . . . . . . . . . .

Da tat Sadaui die Augen auf . . .

Und siehe, vor sich sah er ein funkelndes Farbenspiel.

Der Acker Schuchâns grünte; ein Hain sproßte aus ihm empor –: Goldgelbe Orangenblüte prangte; doppelt mannshohes Zuckerrohr, mit zarten, zärtlichen Blättern, schmal gefiederten, nickte; Oliven, silbergrau, verbreiteten kühlen Schatten; und Rosen vermischten sich mit den blinkenden Sternen von Aprikosenranken.

Ein zeitloses, silbernes Quellsprudeln erhob sich, wie die Akkorde Israfels, des himmlischen Sängers, der ein klingendes Herz, durch die Sphären schallend, in der Brust trägt. Und während Sadaui noch auf das Wunder starrte, sah er mitten in dem Hain Schuchân auf seinem jungen Kamele sitzen.

Er saß still da, auf einem prunkenden, 124 golddurchwirkten Sattel, in seinem hellblauen Burnus. Er hob die eine Hand an ein Diadem an seiner Stirn, als ob er die dunklen Augen schützen oder etwas suchen wolle; die andere Hand, die von köstlichen Ringen funkelte, hielt das goldene Halfterband des Tieres umfaßt. Ein unirdischer Glanz umstrahlte ihn; und ein Duft ging von ihm aus, ein betäubender Wohlgeruch wie von einer Fülle von Blumen. . . .

Nun trafen seine Blicke unter schweren Wimpern hervor die Sadauis, und er nickte ihm freundlich zu.

Dann hob er den Arm und öffnete sein Gewand. Seine Seitenwunde glühte purpurn; und als er sie berührte, verschwand sie; und Schuchân hielt ein große, dunkle Rose in der Hand. Diese warf er, in weitem Bogen, zu Sadaui herüber. Sadaui wollt die Rose haschen und stürzte nach vorn. Die Rose entglitt ihm, und er fiel auf die Stirn; Nacht sank auf ihn herab, und das Farbenspiel erlosch – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Einige Beduinen, die sich verirrt hatten, fanden nach Ablauf vieler Jahre die Stätte der Trümmer wieder. Doch die Oase war vernichtet, ausgetilgt, spurlos von Sand verweht, von erbarmungslosem, glühendem, zähem, wanderndem Sand. Nicht einer Palme morscher Strunk erhob sich mehr: gleichmäßig glatt, bis ins Unendliche, lagerte und trotzte die Wüste. – –


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