Willy Seidel
Das siebenköpfige Tier
Willy Seidel

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III

Der Pfarrherr Hilarius Degele kam den erlengesäumten Bach entlang geschritten. Seraphine erschrak, als sie die Soutane erkannte; schnell huschte sie die Speichertreppe hinauf, beugte sich übers Geländer und lauschte.

Der geistliche Herr betrat den Flur. Da niemand ihn zu hören schien, ging er zurück und riß am Klingelzug. Molk kam hervor, stotterte überrascht sein »Gelobt sei Jesus Christus« und nahm ein zerstreutes Kreuzeszeichen in Empfang.

»Ist der Meister da ?« fragte der Pfarrer.

Molk bat ihn unterwürfig in die Stube. Seraphine spitzte das Ohr. Die Tür schloß nicht dicht; so konnte sie vieles vom Gespräch verstehen. Sie hörte die Stimme des Sektierers, ihres Vaters; hörte, wie diese nach anfänglichem ehrerbietigem Murmeln zu schriller Fistel stieg.

»Es steht im Propheten Hesekiel, Hochwürden... Also spricht dort Jehova: ›Ich will die Ägypter zerstreuen unter die Heiden, und in die Länder will ich sie verjagen.‹« – Die Rede ging offenbar um die verstorbene Zara, seine Frau. – »Verjagt war sie von ihresgleichen, Hochwürden; doch ich hab' sie gerettet.«

»Sie ist keineswegs bei Gott. In der Hölle brennt sie, Eure Zara. Habt Ihr sie damals versehen lassen mit der kümmerlichsten Wegzehrung ? Nein, Ihr wart trotzig wie ein Maultier, Meister, betet für sie. Betet recht, wie es sich gehört. Ihr häuft Sünde auf Sünde. Warum habt Ihr das Kind neulich abgehalten, zur Kommunion zu kommen? Wollt Ihr vielleicht sagen, Eure ›Versieglung‹ sei besser als der Leib des HErrn? Es wird sich rächen. Die vier Apostel hängt Ihr in die Stube, aber der Gekreuzigte fehlt.«

Nun klang des Tischlers Singsang: »Wir dürfen uns kein Abbild machen von ihm. Im Geist hab' ich Ihn. An Seiner Brust hab' ich damals geruht und ruh' ich noch. Mir hat er den Verräter gewiesen, den Judas...«

Hier lachte der Pfarrer, aber es war ein zorniges Lachen. »Ha!« rief er, »ich vergaß. Ihr seid ja selbst der Apostel Johannes. Und unsere ganze Heilslehre, unsere ehrwürdige Kirche, ist auf dem Holzweg. – Ach, du Armseliger! Du pflückst dir ein Wort aus der Schrift und spielst damit wie ein unmündiges Kind!«

»Hochwürden, in allem Respekt, den ich schulde; aber meine Erkenntnis...«

»Was da Erkenntnis! Ich hab' mich mit Eurer Ketzerei befaßt. Anders kann ich's nicht nennen; so helf' mir Gott. Einer armen Näherin drüben in Amerika verdankt Ihr's; einer lungensüchtigen Geistesgestörten. Ja, Meister: da ist leicht in Zungen reden, wenn das Fieber rast im schwächlichen Körper. Das ist Satans Ohrenstuhl, und er macht sich's bequem. Seid Ihr blind? Das ist kein loderndes Pfingsten; eine rußende Kerze ist's! Wartet nur, daß Euch Sankt Peter den Schlüsselbund um die Ohren schlägt, wenn Euresgleichen sich anmaßt, als Apostel wiederzukehren und im Namen des HErrn Unfug zu treiben. Denn solche Wiederkehr gibt's nur einmal, und zwar zu Rom, und diesem Stellvertreter offenbart Er sich; nur diesem habt Ihr Euch zu fügen! – Ha! ›Geistesgaben der Urkirche.‹« – Seraphine hörte, wie der Pfarrer schallend auf den Tisch schlug. – »Wollt Ihr wissen, was die wahre Kirche ist ? Drüben in der Stadt steht sie. Bemüht Euch nur hinein. Man wird Euch allerfreundlichst den Weg weisen. Auf Eurer Hoffart läßt sich Holz hacken! Aber gebt acht, einmal fährt das Beil auch in den Hackklotz... Eh! Der Heilige Vater ein Usurpator!«

Er lachte laut auf. »Wer das ist, und ein kläglicher dazu, das seid Ihr; ein kleiner Dieb am Altar, wenn Ihr's schon wissen wollt.«

»Hochwürden! Laßt mich meinen Weg gehen; ich laß Euch den Euren.«

»Wie das ? Hör' ich recht ? Ihr verlangt noch Toleranz ? – Die faulende Frucht seid Ihr, die sich lösen wird vom Stengel. Und wenn Ihr mit unverdauten Brocken der Schrift um Euch werft wie ein Papagei – sind dann nur meine Ohren daran schuld, daß mich nichts rührt an Eurem falschen Latein? Daß ich Eure Sprache nicht verstehe ?«

Seraphine hörte schwere Schritte. Der geistliche Herr ging erbost auf und ab. Und dann hörte sie, wie ihr Vater etwas vom Wandbord holte und wie ein gewichtiges Argument dröhnend auf den Tisch warf.

»Meine Sprache müßtet Ihr eigentlich verstehen, Hochwürden«, sagte der Tischler leise, fast listig.

»'s ist kein zu großer Unterschied mit Eurer Sprache. ›Unverdaute Brocken‹, sagt Ihr, ›der Schrift?‹ Ha, verdaut, wunders gut verdaut! Bebrütet hab' ich sie« – der Meister schien sich an die Stirn zu tippen – »ein halbes Menschendasein lang, und der Wundervogel ist ausgekrochen: die Erleuchtung.«

»Wie will es sich wehren, das arme Heilige Buch, wenn Ihr's verdreht und verdeutelt?«

»Ah! Verdeutelt? Sagt, Hochwürden, ist nicht das, was der heilige Johannes sagt, klipp und klar? Seit er wiederkam in mir, fiel's mir von den Augen wie Schuppen. Sonnenklar, ja, ist meine Sendung!«

»Und die wäre?«

»Den Drachen zu bekämpfen. Den alten Feind. Doch der ist schwer zu fassen. Er versteckt sich – ›groß Macht und viel List ...‹ Er geht um heutigestags, fürchterlicher und gefährlicher denn je. Helft mit!« Er zischte. »Dann packen wir ihn.«

»Mann! Ihr redet ja von der Apokalypse! Den würdigsten Kirchenvätern hat der Kopf geraucht beim Versuch, sie zu deuten, und Ihr faselt davon, sie sei Euch sonnenklar!«

»Ja, Hochwürden, lest sie doch! Lest sie schlicht, wie sie geschrieben steht! Er gibt uns selbst den Fingerzeig, den Drachen zu packen. Seht doch, um Lebens und Sterbens willen, Kapitel dreizehn.« Seine Stimme wurde Singsang. »... ,und sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte sieben Häupter und zehn Hörner, und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern Namen der Lästerung.‹ Und hier weiter: ›Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht. Und ich sah seiner Häupter eines, als wäre es tödlich wund; und seine tödliche Wunde ward heil.‹ Wer Ohren hat, zu hören, der höre! Man schlug ihm ein Haupt in Trümmer, dem siebenköpfigen Tier, und es ward wieder heil. Man muß ihm wie der Schlange zu Lernäa mit einem Streich die Häupter insgesamt abtöten. Dann ist Friede auf Erden, und der Drache« – er lachte kreischend auf – »kann sich hinter den Ohren kratzen; der ist kaltgestellt.«

»Nun gut«, sagte der Pfarrer nach einer Pause erschöpft, »um auf Euer Gewäsch einzugehen ... Wie und wo wollt Ihr's denn finden, das Tier?«

»Suchet, dann werdet Ihr finden. – Es mag nicht fern sein. 's ist die Gabe und Eigenschaft solchen Tiers, daß es Verwirrung anstiftet unter Menschen. Wo Ihr also eine ausnehmende Verwirrung solltet gewahren, da nehmet – Gift darauf; da steckt das Tier in der Nähe.«

»Dann müßte es ja«, sprach der geistliche Herr mit schallender Folgerichtigkeit, »eben hier in diesem Hause ehestens zu finden sein!«

»Es war da. – Gewißlich war es da!« bestätigte der Tischler, anscheinend, ohne den Hohn zu bemerken. Er fügte heiser flüsternd hinzu: »Die Zara ... sie hat gewußt davon. Aber sie ist nun in der Seligkeit, wenn Ihr sie auch zehnmal der Hölle wollt überantworten. Und ich bin Gefäß St. Johannis ... Da ist kein Platz und keine Heimstatt für das Tier. Kein Seelenfutter. Hehe.«

Der Pfarrer schien nun genug zu haben von dem Thema.

»Wenn Ihr schon«, sagte er bündig, »dem armen Evangelisten keine Ruhe gönnen wollt, so nehmt ihn Euch vor in seinem Evangelio und nicht in der Offenbarung. Ihm war sie eine – Euch noch lange nicht. Ich für meine demütige Person kann nur beten zu Gott, daß sie mir halbwegs eine werde. – Nun aber: warum habt Ihr das Kind nicht geschickt zur heiligen Kommunion?«

»Das Kind ist mein.«

»Nicht nur Euer. Gott ruft es. Gott beansprucht es.«

»Man kann mich nicht zwingen.«

»Ihr werdet's zu spüren haben.«

»Sankt Josef war auch Zimmermann gleich mir und ward gesegnet.«

»Recht so. – Nehmt nur Sankt Josef noch als Kollegen hinzu. So wird's immer erbaulicher.«

Der Pfarrer schien stehenzubleiben, dann sagte er bedeutsam:

»Vergeßt nicht, was ich sagte von der Hoffart. – Und von der faulen Frucht.«

Man hörte ihn seufzen; er riß die Tür auf, und Seraphine sah von oben seine Tonsur schimmern, während er mit zornigen Schritten das Haus verließ.


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