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Paris. Saal im Palast des Königs.
Es treten auf der König von Frankreich, mehrere junge Edelleute, Bertram und Parolles. Trompeten und Zinken.
König. Lebt wohl, Herr; diese kriegrische Gesinnung
Haltet mir fest. Auch Ihr, Herr, lebet wohl!
Teilt unter euch den Rat; nimmt jeder alles,
Dehnt sich die Gabe den Empfängern aus
Und reicht für beide hin.
Erster Edelmann. Wir hoffen, Herr,
Als wohlversuchte Krieger heimzukehren
Und Eure Majestät gesund zu finden.
König. Nein, nein, das kann nicht sein. Doch will mein Herz
Sich nicht gestehn, daß es die Krankheit hegt,
Die meinem Leben droht. Geht, junge Ritter!
Leb ich nun oder sterbe, seid die Söhne
Würd'ger Franzosen. Zeigt dem obern Welschland,
Den Ausgearteten, die nur den Fall
Der letzten Monarchie geerbt, ihr kämet
Als Freier nicht – nein, als der Ehre Buhlen,
Und wo der Bravste zagt, erringt das Ziel,
Daß Fama laut von euch erschall'. Lebt wohl!
Zweiter Edelmann. Heil Euch, mein König! ganz nach Euerm Wunsch!
König. Die welschen Mädchen – seid auf eurer Hut!
Der Franke, sagt man, kann, was sie verlangen,
Nicht weigern. Werdet nicht Gefangene,
Bevor ihr dientet.
Beide. Dank für Eure Warnung!
König. Lebt wohl! – Kommt her zu mir.
(Der König legt sich auf ein Ruhebett.)
Erster Edelmann. O lieber Graf, daß Ihr nicht mit uns zieht!
Parolles. Schad' um den jungen Degen!
Zweiter Edelmann. Edler Krieg!
Parolles. Höchst glorreich. Schon erlebt' ich solchen Krieg.
Bertram. Man hält mich fest – und stets das alte Lied:
Zu jung; und künftig Jahr; und noch zu früh!
Parolles. Treibt dich das Herz, mein Sohn, so stiehl dich weg.
Bertram. Man will, ich soll den Weiberknecht agieren, Hier auf dem Estrich meine Schuh' vernutzend, Bis. Ehre weggekauft, kein Schwert getragen
Als nur zum Tanz! – Weiß Gott, ich stehl mich weg!
Erster Edelmann. Der Diebstahl brächt' Euch Ruhm.
Parolles. Begeht ihn, Graf.
Zweiter Edelmann. Ich mach Halbpart mit Euch; und so lebt wohl!
Bertram. Ich bin so sehr der Eure, daß unsre Trennung einem gefolterten Körper gleicht.
Erster Edelmann. Lebt wohl, Hauptmann.
Zweiter Edelmann. Teurer Monsieur Parolles ...
Parolles. Edle Paladine, mein Schwert und das eure sind Blutsfreunde, treffliche Degen und junge Recken. Ein Wort, meine Phönixe; im Regiment der Spini werdet ihr einen Hauptmann Spurio finden, mit einer Narbe, einem Kriegsemblem, hier auf seiner linken Wange, diese gute Klinge grub sie ein. Sagt ihm, ich lebe, und beachtet, was er von mir aussagen wird.
Zweiter Edelmann. Das wollen wir, edler Hauptmann.
(Die beiden Edelleute gehn ab.)
Parolles. Mars verschwende seine Gunst an euch, seine Novizen! – Nun, was wollt Ihr tun?
Bertram. Bleiben. – Der König …
Parolles. Ihr solltet gegen diese edeln Kavaliere ein ausdrucksvolleres Zeremoniell annehmen. Ihr aber beschränkt Euch in den Grenzen eines allzu kaltsinnigen Abschieds. Zeigt ihnen mehr Entgegenkommen; denn sie schwimmen obenauf in der Strömung der Zeit. Sie sind die vollkommenen Meister des echten Gehens, Essens und Redens und bewegen sich unter dem Einfluß des anerkanntesten Gestirns. Und wäre der Teufel ihr Vortänzer, man muß ihnen dennoch nachfolgen. Darum nach! und nehmt einen förmlicheren Abschied!
Bertram. Das will ich tun!
Parolles. Allerliebste Bursche! Und gewiß mit der Zeit recht herkulische Haudegen!
(Sie gehn ab.)
(Lafeu tritt auf.)
Lafeu (kniend).
Verzeihn, mein Fürst, für mich und meine Botschaft!
König. Dein Aufstehn sei die Zahlung!
Lafeu. Wohl! hier steh ich
Und kaufe mir Verzeihn. Ich wünschte, Sire,
Ihr hättet hier gekniet, um mich zu bitten,
Und könntet aufstehn, wenn ich's Euch geheißen.
König. Ich gleichfalls! dann zerschlug' ich dir den Kopf
Und bät' dich um Verzeihung.
Lafeu. Kreuzweis wohl gar? Doch, teurer Herr, erlaubt,
Wünscht Ihr geheilt zu sein von Eurer Krankheit?
König. Nein.
Lafeu. Wollt Ihr nicht die schönen Trauben essen,
Mein königlicher Fuchs? O ja, Ihr wollt;
Wenn nur mein königlicher Fuchs die Trauben
Erreichen könnt'! – Ich hab Arznei gesehn,
Die hauchte wohl den Steinen Leben ein,
Brächt' einen Fels in Gang und macht' Euch selbst
Gaillarden tanzen flink und leicht; berührt
Von ihrer Hand, erstände Fürst Pipin,
Ja, Carol Magnus nahm' zur Hand die Feder
Und schriebe Vers' an sie.
König. An welche Sie?
Lafeu. Ei, eine Ärztin, Sire, sie ist schon hier,
Wenn Ihr sie ansehn wollt. Auf Ehr' und Treu',
Wenn ich nach diesem leichten Vortrag ernstlich
Berichten darf – ich sprach mit einem Mädchen,
Das mich durch Absicht, Jugend und Geschlecht,
Verstand und festen Sinn so sehr entzückt,
Daß ich mich drum nicht tadle. Seht sie selbst
(Das ist ihr Wunsch) und hört, was sie Euch bringt;
Dann lacht mich aus nach Lust.
König. Nun, Freund Lafeu,
Zeig Uns dies Wunder, daß Wir ihm mit dir
Unser Erstaunen zollen oder deins
Vermindern durch Erstaunen, wie dir's kam.
Lafeu. Nun, ich will Euch bedienen, und sogleich.
(Lafeu geht.)
König. So hält er stets Prologe seinem Nichts.
(Lafeu kommt zurück mit Helena.)
Lafeu. Nun tretet vor!
König. Die Eil' hat wahrlich Flügel!
Lafeu. Nein, tretet vor!
Hier Seine Majestät. Sagt Euern Wunsch.
Eu'r Blick ist sehr verrätrisch, doch der König
Scheut selten solcherlei Verrat. Ich bin
Cressidas Oheim, der es wagen darf,
Zwei so allein zu lassen. Fahrt nun wohl! (Geht ab.)
König. Nun, schönes Kind, habt Ihr mit uns Geschäfte?
Helena. Ja, hoher König. Gerhard von Narbonne war
Mein Vater, wohlerprobt in seiner Kunst.
König. Ich kannt' ihn.
Helena. So eh'r erspar ich mir, ihn Euch zu rühmen;
Ihn kennen, ist genug. Auf seinem Todbett
Gab er mir manch Rezept; vor allen eins,
Das als die höchste Blume seiner Forschung,
Und vielerfahrnen Praxis liebstes Kleinod,
Er mich verwahren hieß als dreifach Auge,
Teurer als meine beiden. Also tat ich;
Und hörend, wie Eu'r Majestät verschmachtet
An jener bösen Krankheit, die den Ruhm
Von meines Vaters Kunst zumeist erhöht,
Kam ich mit Wünschen und mit Demut, Euch
Die Rettung anzubieten.
König. Dank Euch, Jungfrau.
Doch glaub ich nicht so leicht an Heilung mehr,
Wo so gelehrte Ärzt' Uns aufgegeben,
Und die vereinte Fakultät entschied,
Kunst könne nie aus unheilbarem Zustand
Natur erlösen. Drum soll Unser Urteil
Nicht so abirrn, noch Hoffnung Uns verleiten,
Ein rettungsloses Übel preiszugeben
Quacksalbern; Majestät und Zutraun so
Zu schmähn, sinnlosem Beistand nachzutrachten,
Wenn Wir als Unsinn allen Beistand achten.
Helena. So zahlt die treue Pflicht mir mein Bemühn,
Nicht weiter sei mein Dienst Euch aufgedrängt.
Und nur in Demut bitt ich Eure Hoheit
Bescheidentlich, mich gnädig zu entlassen.
König. Das ist das mindste, was ich muß gewähren;
Dein guter Wunsch ist meines Dankes wert,
Weil stets der Kranke gern von Beßrung hört;
Doch was du ganz verkennst, durchschau ich klar:
Wie fern dein Trost, wie nah mir die Gefahr.
Helena. Unschädlich wär's, wenn den Versuch Ihr wagt,
Weil Ihr der Heilung wie dem Trost entsagt.
Er, der die größten Taten läßt vollbringen,
Legt oft in schwache Hände das Gelingen.
So zeigt die Schrift in Kindern weisen Mut,
Wo Männer kindisch waren; große Flut
Entspringt aus kleinem Quell, und Meere schwinden,
Ob Weise auch die Wunder nicht ergründen.
Oft schlägt Erwartung fehl, und dann zumeist,
Wo sie gewissen Beistand uns verheißt;
Und wird erfüllt, wo Hoffnung längst erkaltet,
Wo Glaube schwand und die Verzweiflung waltet.
König. Genug, mein Kind! zu lange weilst du schon,
Und dein vergeblich Mühn trägt keinen Lohn
Als Dank für einen Dienst, den ich nicht brauche.
Helena. So weicht, was Gott mir eingab, einem Hauche.
Er ist nicht so, der alles mag durchschaun,
Wie wir, die stets dem leeren Schein vertraun,
Und stolzer Hochmut wär's, der Gottheit Trachten
Und Himmelswort für Menschenwerk zu achten.
O teurer Fürst, gebt meinen Wünschen nach,
Denkt nicht, daß ich, nein, daß der Himmel sprach.
Ich treibe nicht mit Euch ein trüglich Spiel,
Noch berg ich meiner Worte wahres Ziel.
Ich glaub es, Herr, und glaub auf festem Grunde,
Noch siegt die Kunst, nah ist der Rettung Stunde.
König. Das hoffst du so gewiß? in wieviel Zeit?
Helena. Wenn mir die höchste Gnade Gnade leiht,
Eh' zweimal noch das Lichtgespann durchschreitet
Die Bahn, auf der sein Lenker Glanz verbreitet,
Eh' zweimal in dem Tau der trüben Feuchte
Der Abendstern auslöscht die müde Leuchte,
Ja, eh' die Sanduhr vierundzwanzig Stunden
Dem Schiffer zeigt, die diebisch ihm verschwunden,
Seid Ihr genesen; Euer Schmerz entflieht,
Die Krankheit stirbt, und neue Kraft erblüht.
König. Bei so viel Selbstvertraun und Sicherheit,
Was wagst du?
Helena. Daß man mich der Frechheit zeiht;
Mich Metze schilt; der Pöbel mich verspottet,
Schimpflieder singt; und schmählich ausgerottet
Mein Jungfraunname sei; ja, daß mein Leben
Sich ende, schnöden Martern preisgegeben.
König. Mir scheint, es spricht aus dir ein sel'ger Geist,
Der sich in schwachem Werkzeug stark erweist,
Und was die Sinne sonst unmöglich nennen,
Muß ich in höherm Sinn jetzt anerkennen;
Dein Leben ist dir wert, denn dich beglückt
Noch alles, was das Dasein je geschmückt:
Schönheit und Anmut, Weisheit, hoher Mut,
Und was nur Frühling hofft als Lebensgut.
So viel zu wagen, solch Vertraun zu zeigen,
Ist nur der Kunst, wo nicht dem Wahnsinn eigen;
Drum, lieber Arzt, versuch an mir dein Heil,
Und sterb ich, wird dir selbst der Tod zuteil.
Helena. Fehl ich die Zeit, mißlingt ein Wort von allen,
Die ich verhieß – sei ich dem Tod verfallen,
Wie ich's verdient! Helf ich Euch nicht, so sterb ich.
Doch, wenn ich helfe, welchen Lohn erwerb ich?
König. Fordre, mein Kind.
Helena. Und wollt Ihr's wirklich geben?
König. Bei meinem Zepter, ja, beim ew'gen Leben!
Helena. Gib zum Gemahl mit königlicher Hand,
Wen ich mir fordern darf in deinem Land.
Doch ferne sei von mir der Übermut,
Daß ich ihn wähl aus Frankreichs Fürstenblut
Und ein Geschlecht, unwürdig wie das meine,
Mit deines Stamms erhabnem Zweig sich eine;
Nein, solchen Untertan, den ich in Ehren
Von dir verlangen darf und du gewähren.
König. Hier meine Hand. Kannst du dein Wort erfüllen,
So bürg ich dir, ich tu nach deinem Willen.
Nun wähl dir selbst die Zeit. Es ziemt dem Kranken,
Des Arztes Wort zu folgen ohne Wanken.
Zwar möcht ich viel noch fragen, viel noch hören
(Ob Zweifel auch den Glauben nimmer stören),
Woher du kamst, mit wem? doch sei's gewagt;
Vertraun und Liebe biet ich ungefragt. –
He! Kommt und helft mir auf! – Schaffst du mir
Rat, So lohn auch deine Taten meine Tat.
(Sie gehn ab.)
Roussillon. Zimmer im Schloß der Gräfin.
Es treten auf die Gräfin von Roussillon und der Narr.
Gräfin. Komm her, Freund, ich will einmal deine Ausbildung auf die höchste Probe stellen.
Narr. Ihr werdet bald sehn, ich sei besser genährt als gelehrt, und daraus folgt, für den Hof sei ich gut genug.
Gräfin. Gut genug! Nun, auf welche Stelle hast du's abgesehn, wenn du davon so verächtlich sprichst? Gut genug für den Hof!
Narr. Wahrhaftig, gnädige Frau, wem Gott einige gute Manieren mitgegeben hat, der wird sie leicht am Hof anbringen können. Wer keinen Kratzfuß machen, seine Mütze nicht abnehmen, seine Hand nicht küssen und nichts sagen kann, hat weder Fuß, Hand, Mund noch Mütze. Und ein solcher Mensch, um präzis zu reden, paßt sich nicht für den Hof. Was aber mich betrifft, so hab ich eine Antwort, die für jedermann taugt.
Gräfin. Nun, das ist eine ersprießliche Antwort, die zu allen Anreden paßt.
Narr. Sie ist wie ein Barbierstuhl, der für alle Hintern paßt, für die schmalen, die runden, die derben, kurz, für alle Hintern.
Gräfin. Deine Antwort ist also für alle Anreden passend?
Narr. So passend wie ein Taler für die Hand eines Advokaten; wie Eure französische Krone für die Hand Eurer taftnen Dirne; wie Hansens Messer für Gretens Scheide; wie ein Pfannkuchen für die Fastnacht; wie ein Mohrentanz für den Maitag; wie der Nagel für sein Loch; wie der Hahnrei für sein Horn; wie ein keifendes Weibsbild für einen zänkischen Mann; wie die Lippe der Nonne für den Mund des Mönchs; ja, wie die Wurst für ihre Haut.
Gräfin. Habt Ihr, frag ich noch einmal, eine Antwort, die ebenso passend ist für alle Anreden?
Narr. Herunter vom Herzog an bis unter den Konstabel hinab paßt sie auf alle Anreden.
Gräfin. Nun, das muß eine Antwort von ungeheuerm Kaliber sein, die auf alles eine Auskunft weiß.
Narr. Im Gegenteil, beim Licht besehn, nur eine Kleinigkeit, wenn die Gelehrten die Wahrheit davon sagen sollten. Hier ist sie mit allem Zubehör. Fragt mich einmal, ob ich ein Hofmann sei; es wird Euch nicht schaden, etwas zu lernen.
Gräfin. Wieder jung zu werden, wenn's möglich wäre. – Ich will so närrisch sein zu fragen, in der Hoffnung, desto weiser durch Eure Antwort zu werden. Sagt mir also, mein Herr, seid Ihr ein Hofkavalier?
Narr. Ach Gott, Herr! – Das war bald abgetan; nur immer weiter, noch hundert solche Fragen.
Gräfin. Herr, ich bin eine arme Freundin von Euch, die Euch gut ist.
Narr. Ach Gott, Herr! – Immerzu, schont mich nicht.
Gräfin. Ich glaube, mein Herr, Ihr werdet wohl nicht von solcher Hausmannskost essen?
Narr. Ach Gott, Herr! – Nein, nur drauf zu, ohne Umstände!
Gräfin. Ihr wurdet neulich gepeitscht, mein Herr, scheint mir?
Narr. Ach Gott, Herr – schont mich nicht!
Gräfin. Ruft Ihr »Ach Gott, Herr«, wenn Ihr gepeitscht werdet, und »schont mich nicht?« Euer »Ach Gott, Herr« paßte recht wohl zu Euern Schlägen; Ihr würdet gut dabei antworten, wenn's so weit käme.
Narr. So schlimm bin ich noch nie mit meinem »Ach Gott, Herr!« angekommen. Ich sehe, man kann etwas lange brauchen, aber nicht immer brauchen.
Gräfin. Ich bin eine recht verschwendrische Hausfrau mit meiner Zeit, daß ich sie so spaßhaft mit einem Narren verbringe.
Narr. Ach Gott, Herr! – Seht Ihr, da paßte es wieder.
Gräfin. Genug für jetzt! – Gebt dies an Helena
Und treibt sie, eine Antwort gleich zu senden;
Empfehlt mich meinem Sohn und meinen Vettern.
Das ist nicht viel.
Narr.. Nicht viel Empfehlung, meint Ihr?
Gräfin. Nicht viel zu tun für Euch; versteht Ihr mich?
Narr. Höchst lehrreich; ich bin da noch eh'r als meine Füße.
Gräfin. Kommt bald zurück.
(Beide gehn ab.)
Paris. Im Palast des Königs.
Bertram, Lafeu und Parolles treten auf.
Lafeu. Man sagt, es geschehn keine Wunder mehr, und unsre Philosophen sind dazu da, die übernatürlichen und unergründlichen Dinge alltäglich und trivial zu machen. Daher kommt es, daß wir mit Schrecknissen Scherz treiben und uns hinter unsre angebliche Wissenschaft verschanzen, wo wir uns vor einer unbekannten Gewalt fürchten sollten.
Parolles. In der Tat, es ist die allerseltsamste Wundergeschichte, die in unsern letzten Zeiten aufgetaucht ist.
Bertram. Das ist sie auch.
Lafeu Aufgegeben von den Kunstverständigen …
Parolles. Das sage ich eben; von Galenus und Paracelsus …
Lafeu. Von allen diesen gelehrten und weltberühmten Doktoren ...
Parolles. Nun eben!
Lafeu. Die ihn für unheilbar erklärten.
Parolles. Da liegt's; das sag ich auch.
Lafeu. Für rettungslos …
Parolles. Recht! für einen, der gleichsam gefaßt sein müsse ...
Lafeu. Auf ein ungewisses Leben und einen gewissen Tod …
Parolles. Richtig und wohl gesagt. Das wollte ich auch sagen.
Lafeu. Ich darf wohl behaupten, es ist etwas Unerhörtes in der Welt.
Parolles. Das ist es auch, wenn's einer im Schauspiel sehen wollte, müßte er's nachlesen in – nun, wie heißt es doch?
Lafeu. Im »Schauspiel von der Wirkung himmlischer Gnade in einem irdischen Gefäß«.
Parolles. Recht so, das meinte ich, eben das.
Lafeu. Wahrhaftig, ein Delphin ist nicht muntrer. Mein' Seel', ich rede mit aller Hochachtung.
Parolles. Nein, 's ist seltsam, sehr seltsam; das ist das Kurze und das Lange von der Sache; und der muß von höchst fasziniertem Geist sein, der nicht gestehn will, es sei die …
Lafeu. Unverkennbare Hand des Himmels.
Parolles. Ja, so sag ich.
Lafeu. In einem sehr schwachen …
Parolles. Und hinfälligen Werkzeug große Macht, große Energie, wovon allerdings noch anderweitiger Gebrauch stattfinden sollte, als nur zur Genesung des Königs; damit wir alle …
Lafeu. Dankbar sein möchten.
(Der König, Helena und Gefolge treten auf.)
Parolles. Das wollt' ich auch sagen; Ihr sagtet recht. Hier kommt der König.
Lafeu. Lustik, wie der Holländer spricht. Ich will allen Mädchen dafür noch einmal so gut sein, solange ich noch einen Zahn im Kopfe habe. Wahrhaftig, er ist imstande und fordert sie zu einer Courante auf.
Parolles. Mort du vinaigre!wörtlich: Tod des Weinessigs. Ist das nicht Helena?
Lafeu. Beim Himmel! das glaub ich auch.
König. Geht, ruft Uns alle Ritter meines Hofs. –
Du, sitz bei deinem Kranken, holder Arzt:
Und diese neugenesne Hand, durch dich
Begabt mit längst verbannter Kraft, bestät'ge
Nochmals dir jene zugesagte Gabe,
Dein, wie du sie nur nennst.
(Einige Hofleute treten auf.)
Nun, schönes Kind, schau um. Dies muntre Volk
Von wackern Jünglingen folgt meinem Willen,
Gehorsam meinem königlichen Spruch
Und Vaterwort; so nenne frei dir einen;
Du darfst dir wählen, jene nicht verneinen.
Helena. Ein fromm und schönes Fräulein send' euch allen
Der Liebe Gunst, euch allen – bis auf einen.
Lafeu. Ich gab' den braunen Bleß mitsamt dem Zeug,
Hätt' ich so frische Zähn' als diese Knaben,
Und auch von Bart nicht mehr.
König. Betrachte sie;
Nicht einer, der nicht stammt aus edlem Blut.
Helena. Geehrte Herrn,
Gott hat durch mich den König hergestellt.
Alle. Wir hörten's, und wir danken Gott für Euch.
Helena. Ich bin ein einfach Mädchen; all mein Reichtum
Ist, daß ich einfach mich ein Mädchen nenne. –
Mit Eurer Hoheit Gunst, ich bin zu Ende.
Die Wangen, schamgerötet, flüstern mir:
»Wir glühen, daß du wählst; wirst du verworfen,
Wird bleicher Tod für immer auf uns thronen,
Nie kehrt das Rot zurück.«
König. Dein Wahlrecht übe;
Wer dich verschmäht, verschmäht auch meine Liebe.
Helena. So flieh ich, Diana, deine Weihaltäre,
Und meine Seufzer richt ich an die hehre
Hochheil'ge Liebe. – Kennt ihr mein Gesuch?
Erster Edelmann. Ja, und gewähr's.
Helena. Habt Dank! Damit genug!
Lafeu. Ich möchte lieber hier zur Wahl stehn, als alle Ass' um mein Leben werfen.
Helena. Der Stolz, der Euch im edlen Auge flammt,
Hat mich, noch eh' ich sprach, zu streng verdammt.
Euch sei ein zehnfach höhres Glück beschert,
Das höhre Lieb' als meine Euch gewährt.
Zweiter Edelmann. Kein beßres wünsch ich.
Helena. Mög' Euch nimmer fehlen
Kupidos Gunst. So will ich mich empfehlen.
Lafeu. Schlagen alle sie aus? Wenn das meine Söhne wären, ich ließe sie peitschen oder schickte sie zu den Türken, um Verschnittne draus zu machen.
Helena. Sorgt nicht, ich lasse Eure Hand schon fahren;
Ich will Euch die Verlegenheit ersparen.
Heil Eurer Wahl! Eu'r Lieben zu beglücken,
Mög' eine schönre Braut Eu'r Lager schmücken.
Lafeu. Das junge Volk ist von Eis, keiner will sie. Ganz gewiß sind sie englische Bastarde; Franzosen haben sie nicht gezeugt.
Helena. Ihr seid zu jung, zu glücklich und zu gut,
Ich wünsch Euch keinen Sohn aus meinem Blut.
Vierter Edelmann. Schöne, so denk ich nicht.
Lafeu. Da ist noch eine Traube; ich weiß gewiß, dein Vater trank Wein. Wenn du aber nicht ein Esel bist, so bin ich ein Junge von vierzehn. Ich kenne dich schon.
Helena. Ich sage nicht, ich nehm Euch; doch ich gebe
Mich selbst und meine Pflicht, solang ich lebe,
In Eure edle Hand. Dies ist der Mann.
König. Nimm sie denn, junger Bertram, als Gemahlin.
Bertram. Gemahlin, gnäd'ger Herr? mein Fürst, vergönnt,
In solcherlei Geschäft laßt mich gebrauchen
Die eignen Augen.
König. Bertram, weißt du nicht,
Was sie für mich getan?
Bertram. Ja, großer König;
Doch folgt daraus, daß ich mich ihr vermähle?
König. Du weißt, sie half mir auf vom Krankenbett.
Bertram. Und soll ich deshalb selbst zum Tod erkranken,
Weil sie Euch hergestellt? Ich kenne sie,
Mein Vater ließ als Waise sie erziehn.
Des armen Arztes Kind mein Weib! – Weit lieber
Verzehre mich die Schmach.
König. Den Stand allein verachtest du, den ich
Erhöhn kann. Seltsam ist's, daß unser Blut –
Vermischte man's – an Farbe, Wärm' und Schwere
Den Unterschied verneint, und doch so mächtig
Sich trennt durch Vorurteil. Ist jene wirklich
Von reiner Tugend, und verschmähst du nur
Des armen Arztes Kind, so schmähst du Tugend
Um eines Namens willen. Das sei fern!
Wo Tugend wohnt, und wär's am niedern Herd,
Wird ihre Heimat durch die Tat verklärt.
Erhabner Rang bei sündlichem Gemüte
Gibt schwülstig hohle Ehre. Wahre Güte
Bleibt gut auch ohne Rang, das Schlechte schlecht;
Nach innerm Kern und Wesen fragt das Recht,
Nicht nach dem Stand. Jung, schön und ohne Tadel
Schenkt ihr Natur unmittelbaren Adel,
Die Ehre zeugt, wie Ehre den verdammt,
Der sich berühmt, er sei von ihr entstammt,
Und gleicht der Mutter nicht. Der Ehre Saat
Gedeiht weit minder durch der Ahnen Tat
Als eignen Wert. Das Wort frönt wie ein Sklav'
Jeglicher Gruft, auf jedem Epitaph
Lügt es Trophäen; oft schweigt's, und dem Gedächtnis
Ehrwürd'ger Namen läßt es als Vermächtnis
Vergessenheit und Staub. Folg meinem Ruf!
Liebst du dies Mädchen, wie Natur sie schuf,
Das andre schaff ich. Weisheit, Reiz und Zier
Hat sie von Gott; Reichtum und Rang von mir.
Bertram. Sie lieb ich nicht und streb auch nie danach.
König. Unglück dir selber, strebst du mir entgegen!
Helena. Mich freut, mein Fürst, daß Ihr genesen seid; Das andre laßt! –
König. Zum Pfand steht meine Ehre. Sie zu retten,
Mag denn der König sprechen. Nimm sie hin,
Hochmüt'ger Jüngling, unwert solchen Guts,
Der du in schnöder Mißachtung verkennst
So meine Gunst wie ihr Verdienst; nicht träumst,
Daß Wir, gelegt in ihre leichte Schale,
Dich schnellen bis zum Balken; nicht begreifst,
An mir sei's, deine Ehre da zu pflanzen,
Wo Uns ihr Wachsen frommt. Brich deinen Trotz!
Folg Unserm Willen, der dein Wohl bezweckt;
Mißtraue deinem Stolz, und augenblicks
Füg dich zu eignem Glück dem Lehnsgehorsam,
Den deine Pflicht und Unsre Macht erheischt,
Sonst schleudr' ich dich aus meiner Gunst für immer
In den ratlosen Absturz und den Schwindel
Der Jugend und der Torheit; Haß und Rache
Loslassend wider dich im Lauf des Rechts,
Taub jeglichem Erbarmen. Sprich! Gib Antwort!
Bertram. Verzeiht mir, gnäd'ger Herr, denn meine Neigung
Soll Euerm Wink sich fügen. Überleg ich,
Welch große Schöpfung, welches Maß von Ehre
Folgt Euerm Wort, so find ich sie, noch jüngst
Gering in meinem Wahne, jetzt gepriesen
Vom König selbst und so durch ihn geadelt,
Als wär' sie ebenbürtig.
König. Reich die Hand ihr,
Und nenne sie dein Weib, und ich verheiße
Vollwichtigen Ersatz, der deinen Reichtum
Noch überbieten soll.
Bertram. Gib mir die Hand.
König. Freundliches Glück und deines Königs Gunst Lächeln auf diesen Bund, des Heiligung,
Rasch folgend diesem plötzlichen Verlöbnis,
Vor Nacht vollzogen sei. Das Hochzeitmahl
Verschieben wir auf spätre Zeit, erwartend
Die fernen Freunde. Wenn dein Herz sie ehrt,
So ist's von echter Treu', sonst höchst verkehrt.
(Alle gehn ab, bis auf Lafeu und Parolles.)
Lafeu. Hört doch, Monsieur, ein Wort mit Euch!
Parolles. Was steht zu Dienst?
Lafeu. Euer Herr und Gebieter tat wohl, daß er sich zur Abbitte entschloß.
Parolles. Zur Abbitte? Mein Herr? Mein Gebieter?
Lafeu. Freilich. Ist das keine Sprache, die ich rede?
Parolles. Eine sehr herbe und kaum verständlich ohne blutige Explikation. Mein Herr?
Lafeu. Seid Ihr nicht der Begleiter des Grafen Roussillon?
Parolles. Jedes Grafen; aller Grafen; aller Leute.
Lafeu. Aller Leute des Grafen. Des Grafen Herr will schon mehr sagen.
Parolles. Ihr seid zu alt, Herr, laßt Euch genügen; Ihr seid zu alt!
Lafeu. Ich muß dir sagen, Bursch, ich heiße Mann; das ist ein Titel, zu dem das Alter dich nie bringen wird.
Parolles. Was ich allzu leicht wage, wag ich nicht.
Lafeu. Ich hielt dich nach zwei Mahlzeiten für einen leidlich vernünftigen Burschen; du machtest erträglichen Wind von deinen Reisen, das mochte hingehn. Aber die Wimpel und Fähnchen an dir brachten mich doch mehr als einmal davon ab, dich für ein Schiff von zu großer Ladung zu achten. Ich habe dich nun gefunden. Wenn ich dich wieder verliere, gilt mir's gleich; du bist doch des Aufhebens nicht wert.
Parolles. Trügst du nicht den Freibrief der Antiquität an dir …
Lafeu. Stürze dich nicht kopfüber in Ärger, du möchtest sonst deine Prüfung beschleunigen; und wenn … Gott schenke dir Gnade, du armes Huhn! Und so, mein gutes Gitterfenster, leb wohl! du brauchst mir deine Laden nicht zu öffnen, ich sehe dich durch und durch. Gib mir deine Hand.
Parolles. Gnädiger Herr, Ihr bietet mir das Sublimierte der Beleidigung!
Lafeu. Ja, von ganzem Herzen, und du bist ihrer wert.
Parolles. Ich habe das nicht verdient, gnädiger Herr!
Lafeu. Ja, weiß Gott, jeden Gran davon, und ich erlasse dir keinen Skrupel.
Parolles. Gut, ich will klüger werden.
Lafeu. Das tu, sobald du kannst, denn du schmeckst mir sehr nach dem Gegenteil. Wenn sie dich nächstens einmal mit deiner eignen Schärpe binden und prügeln, so sollst du sehn, was es heißt, auf seine Verbindungen stolz zu sein. Ich habe Lust, meine Bekanntschaft mit dir fortzusetzen, oder vielmehr meine Kenntnis von dir, damit ich im Notfall sagen könne, den Menschen kenne ich.
Parolles. Gnädiger Herr, Ihr molestiert mich auf eine höchst verwundende Art.
Lafeu. Ich wollte, ich könnte dir die ewige Höllenpein schaffen, obgleich die Zeit des Schaffens bei mir vorüber ist; doch so viel verschafft mir mein Alter noch, daß ich dich verlassen kann. (Lafeu geht ab.)
Parolles. Nun, du hast einen Sohn, der diesen Schimpf von mir abnehmen soll, schäbiger, alter, filziger, schäbiger Herr! – Wohl, ich muß Geduld haben; Ansehn läßt sich nicht in Fesseln legen. Ich will ihn prügeln, bei meinem Leben, wenn ich ihm auf irgendeine passende Art begegnen kann, und war' es doppelt und dreifach ein vornehmer Herr. Ich will nicht mehr Mitleid mit seinem Alter haben als mit … Ich will ihn prügeln, wenn ich ihm nur wieder begegnen kann.
(Lafeu kommt zurück.)
Lafeu. He, Freund! Euer Herr und Gebieter ist verheiratet. Da habt Ihr etwas Neues für Euch; Ihr habt eine neue Gebieterin.
Parolles. Ich ersuche Euer Gnaden höchst unumwunden, mit Euern Beleidigungen etwas an sich zu halten. Er ist mein guter Herr; der, dem ich dort oben diene, ist mein Gebieter.
Lafeu. Wer? Gott?
Parolles. Ja, Herr.
Lafeu. Der Satan ist's, der ist dein Gebieter. Was schürzest du deine Arme so auf? sollen deine Ärmel Hosen vorstellen? Tun das andre Bediente? Du solltest lieber dein Unterteil dahin setzen, wo dir die Nase sitzt. Bei meiner Ehre, wär' ich nur zwei Stunden jünger, ich prügelte dich; mir scheint, du bist ein allgemeines Ärgernis, und jedermann sollte dich prügeln. Ich glaube, du wurdest geschaffen, damit man sich an dir eine Motion machen könne.
Parolles. Das ist ein rauhes und unverdientes Verfahren, gnädiger Herr!
Lafeu. Geht doch, Freund! Ihr wurdet in Italien geprügelt, weil Ihr einen Kern aus einem Granatapfel stahlt; Ihr seid ein Landstreicher und kein echter Reisender. Ihr betragt Euch viel unverschämter mit Edelleuten und Vornehmen, als das Patent Eurer Geburt und Vorzüge Euch die Ahnenprobe gibt. Ihr verdient kein Wort mehr, sonst nennt' ich Euch noch Schurke. Ich verlasse Euch! (Er geht.)
(Bertram tritt auf.)
Parolles. Gut, sehr gut; mag's drum sein! Gut, sehr gut; es mag eine Zeitlang geheim bleiben!
Bertram. Verloren! Ew'gem Unmut preisgegeben!
Parolles. Was gibt es, lieber Schatz?
Bertram. Obgleich ich's feierlich dem Priester schwur,
Will ich die Ehe nicht vollziehn.
Parolles. Was gibt's?
Was gibt's, mein Kind?
Bertram. O mein Parolles, sie haben mich vermählt!
Ins Feld nach Florenz! Nie mit ihr zu Bett!
Parolles. Ein Loch für Hund' ist Frankreich, und verdient nicht,
Daß Helden es beschreiten. Auf, ins Feld!
Bertram. Hier schreibt mir meine Mutter. Was sie meldet,
Weiß ich noch nicht.
Parolles. Das zeigt sich schon. Ins Feld, mein Sohn, ins Feld!
Dem bleibt die Ehr' unsichtbar in der Tasche,
Der hier zu Hause herzt den Seelenschatz,
In dessen Arm sein männlich Mark vergeudend,
Das den Galopp und hohen Sprung von Mars'
Feurigem Roß aushalten soll. Hinaus!
In ferne Zonen! Frankreich ist ein Stall,
Und wir die Mähren drin. Drum fort ins Feld!
Bertram. So soll's geschehn. Ich sende sie nach Haus,
Der Mutter offenbar ich meinen Abscheu,
Und was mich trieb von hier; dem König schreib ich,
Was ich zu sagen fürchte. Seine Mitgift
Schafft mir die Mittel zum toskan'schen Krieg,
Wo Ritter kämpfen. Krieg wird Zeitvertreib
Bei solchem Hauskreuz und verhaßtem Weib.
Parolles. Und bleibt dir solch Capriccio auch gewiß?
Bertram. Geh mit mir auf mein Zimmer, rate mir.
Sie soll sogleich hinweg; ich gehe morgen
Ins Feld; sie laß ich einsam ihren Sorgen.
Parolles. Heißa, wie springt der Ball und lärmt! dein Ehstand,
Mein armer Knabe, ward dir früh zum Wehstand! Drum fort!
Verlaß sie, männlich dich zu zeigen.
Der König kränkt dich – still! wir müssen schweigen.
(Sie gehn ab.)
Ebendaselbst.
Helena und der Narr treten auf.
Helena. Meine Mutter grüßt mich freundlich; ist sie wohl?
Narr. Sie ist nicht wohl, und doch ist sie bei Gesundheit; sie ist recht munter, und doch ist sie nicht wohl; aber Gott sei Dank, sie ist sehr wohl, und ihr fehlt nichts in der Welt; und doch ist sie nicht wohl.
Helena. Wenn sie sehr wohl ist, was fehlt ihr denn, daß sie nicht wohl ist?
Narr. In Wahrheit, sie ist sehr wohl, ganz gewiß; bis auf zwei Dinge.
Helena. Was für zwei Dinge?
Narr. Einmal, daß sie nicht im Himmel ist, wohin Gott sie recht bald fördern wolle; zweitens, daß sie auf Erden ist, von wo Gott sie recht bald fördern wolle.
(Parolles tritt auf.)
Parolles. Gott segne Euch, meine höchstbeglückte Dame!
Helena. Ich hoffe, Herr, ich habe Eure Einwilligung zu meinem Glück?
Parolles. Ihr hattet mein Gebet, Euch dahin zu geleiten; und Euch dabei zu bewahren, sollt Ihr es behalten. – O mein wackrer Schelm! Was macht unsre alte Gräfin?
Narr. Hättet Ihr nur ihre Runzeln und ich ihr Geld, so möchte sie immer machen, was Ihr sagt.
Parolles. Ich sage ja nichts.
Narr. Meiner Seel', dann seid Ihr um so klüger; denn manches Dieners Zunge schwatzt nur seines Herrn Verderben herbei. Nichts sagen, nichts tun, nichts wissen und nichts haben, darin besteht ein großer Teil Eures Guts, das eigentlich ein Nichts ist.
Parolles. Fort mit dir, du bist ein Schelm.
Narr. Ihr hättet sagen sollen, Herr, vor einem Schelm bist du ein Schelm, das heißt, vor mir bist du ein Schelm: so wär's die Wahrheit gewesen.
Parolles. Geh mir, du bist ein witziger Narr, ich habe dich gefunden!
Narr. Habt Ihr Euch in mir gefunden, Herr? Oder hat man Euch gelehrt, mich zu finden? Das Suchen, Herr, war von gutem Erfolg; und mögt Ihr doch noch recht viel Narrheit in Euch finden, zu aller Welt Ergötzen und Fördrung des Lachens.
Parolles. Ein guter Schelm und trefflich aufgefüttert. –
Gräfin, mein gnäd'ger Herr verreist heut nacht,
Höchst wichtige Geschäfte rufen ihn.
Den großen Anspruch und der Liebe Vorrecht
Erkennt er gern als Pflicht, die Euch gebührt;
Doch muß er sie versäumen, notbedrängt.
Ihr Aufschub selbst und Zögern beut Euch Nektar;
Die finstre Zeit bereitet ihn als Trost,
Damit die Zukunft überfließ' in Wonne
Und Lust bis an den Rand.
Helena. Was wünscht er sonst?
Parolles. Daß Ihr sogleich vom König Abschied nehmt,
Ihm diese Hast als Eure Wahl bezeichnet
Und unterstützt mit Gründen, daß sie glaublich
Und dringend scheine.
Helena. Was noch mehr befiehlt er?
Parolles. Daß, wenn Ihr dies erreicht, Ihr alsogleich
Erwartet, was er ferner von Euch wünscht.
Helena. In allen Stücken harr ich seines Winks.
Parolles. Das werd ich melden.
Helena. Darum bitt ich Euch.
(Parolles geht.)
Komm, Freund.
(Helena und der Narr gehn ab.)
Ebendaselbst.
Lafeu und Bertram treten auf.
Lafeu. Ich hoffe doch, Euer Gnaden hält ihn nicht für einen Soldaten?
Bertram. Ja, edler Herr, und von sehr bewährter Tapferkeit.
Lafeu. Ihr habt's aus seiner eignen Überlieferung?
Bertram. Und von manchen andern verbürgten Zeugen.
Lafeu. So geht meine Sonnenuhr nicht richtig; ich hielt diese Lerche für einen Spatz.
Bertram. Ich versichre Euch, gnädiger Herr, er ist von tiefer Einsicht und ebenso vieler Tapferkeit.
Lafeu. So habe ich denn gegen seine Erfahrung gesündigt und mich gegen seine Tapferkeit vergangen, und mein Zustand erscheint um so gefährlicher, als ich noch zu keiner Reue in meinem Herzen gelangen kann. Hier kommt er. Ich bitte Euch, versöhnt uns wieder, ich will diese Freundschaft kultivieren.
(Parolles tritt auf.)
Parolles. Alles soll besorgt werden, Herr.
Lafeu. Ich bitt Euch, Herr, wer ist sein Schneider?
Parolles. Herr?
Lafeu. O ich kenne ihn schon. Ja, Herr, er ist ein guter Nadelführer, ein sehr guter Schneider.
Bertram (beiseit). Ist sie zum König gegangen?
Parolles. Soeben.
Bertram. Will sie heut abend fort?
Parolles. Wie Ihr's verlangt habt.
Bertram. Die Briefe sind bereit, mein Geld verpackt.
Bestellt die Pferde – und in dieser Nacht,
Anstatt Besitz zu nehmen von der Braut,
Und eh' ich noch begann – – –
Lafeu. Ein verständiger Reisender gilt etwas gegen das Ende der Mahlzeit. Aber einen, der drei Dritteile lügt und eine bekannte Wahrheit als Paß für tausend Windbeuteleien braucht, sollte man einmal anhören und dreimal abprügeln. Gott behüte Euch, Hauptmann.
Bertram. Gibt es irgendeine Mißhelligkeit zwischen diesem edlen Herrn und Euch, Monsieur?
Parolles. Ich weiß nicht, wie ich's verdient habe, in Seiner Gnaden Ungnade zu fallen.
Lafeu. Ihr seid Hals über Kopf mit Stiefeln und Sporen hineingerannt wie der Bursch, der in die Mehlpastete sprang, und Ihr werdet wohl eher wieder herauslaufen, als Rede stehn, warum Ihr drin verweilt.
Bertram. Ihr habt ihn wohl nicht recht gewürdigt, edler Herr.
Lafeu. Das wird auch nie geschehn, selbst wenn ich ihn beim Hochwürdigsten träfe. Lebt wohl, Herr Graf, und glaubt mir, in dieser tauben Nuß kann kein Kern stecken; die Seele dieses Menschen sitzt in seinen Kleidern. Traut ihm nicht in wichtigen Angelegenheiten; ich habe solches Volk zahm gemacht und kenne seine Art. Gott befohlen, Monsieur! ich habe besser von Euch gesprochen, als Ihr's um mich verdient habt oder verdienen werdet. Aber man soll Böses mit Gutem vergelten. (Ab.)
Parolles. Ein sehr müßiger Schwätzer, auf Ehre!
Bertram. Das scheint so.
Parolles. Wie, Ihr kennt ihn nicht?
Bertram. O ja, ich kenn ihn wohl. Und allgemein
Steht er in gutem Ruf. – Da kommt mein Kreuz!
(Helena tritt auf.)
Helena. Ich habe, Herr, wie Ihr mir's anbefahlt,
Den König schon gesehn und seinen Urlaub
Erhalten, gleich zu reisen. Nur verlangt er
Ein Wort mit Euch allein.
Bertram. Ich folge dem Gebot.
Nicht wundr' Euch dies Betragen, Helena,
Das nicht die Farbe trägt der Zeit, noch leistet,
Was mir nach Pflichtgefühl und Schuldigkeit
Zunächst obliegt. Ich war nicht vorbereitet
Auf diesen Fall; drum bin ich überrascht
Durch solch Verhältnis; deshalb bitt ich Euch,
Daß Ihr alsbald nach Haus Euch hinbegebt
Und lieber sinnt als fragt, warum ich's fordre.
Was mich bestimmt, ist besser, als es scheint,
Und mein Geschäft drängt mich mit ernsterm Zwang,
Als Euch beim ersten Blick bedünken mag,
Da Ihr's nicht überseht. – Dies meiner Mutter.
(Gibt ihr einen Brief.)
Zwei Tage noch, dann treff ich Euch – und so
Laß ich Euch Eurer Klugheit.
Helena. Ich kann nichts sagen, Herr,
Als daß ich Eure treuergebne Magd …
Bertram. O laßt! Nichts mehr davon!
Helena. Und stets bemüht,
Mit treuer Sorglichkeit Euch zu ersetzen,
Was mir ein niedriges Gestirn versagt,
Um wert zu sein so großen Glücks.
Bertram. Genug!
Denn meine Hast ist groß. Lebt wohl und eilt!
Helena. O lieber Herr! verzeiht …
Bertram. Nun sagt, was meint Ihr?
Helena. Ich bin nicht wert des Reichtums, der mir ward,
Noch darf ich mein ihn nennen, und doch ist er's;
Doch wie ein scheuer Dieb möcht' ich mir stehlen,
Was mir nach Recht gehört.
Bertram. Was wünscht Ihr noch?
Helena. Etwas – und kaum so viel – im Grunde nichts –
Ungern nenn ich den Wunsch – doch ja! so wißt,
Nur Fremd' und Feinde scheiden ungeküßt.
Bertram. Ich bitt Euch, säumt nicht, setzt Euch rasch zu Pferd.
Helena. Ich füge dem Befehl mich, teurer Herr.
(Helena ab.)
Bertram. Sind meine Leute da? – Leb wohl! Geh du
Nach Haus, wohin ich nimmermehr will kehren,
Solang ich fechten kann und Trommeln hören.
Nun fort, auf unsre Flucht!
Parolles. Bravo! Corraggio!
(Sie gehn ab.)