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Die Flucht

Ja, Kasperle war ein Held.

Als er am nächsten Morgen erwachte, wußte er ganz genau, was er tun mußte, um Marlenchen zu retten.

Leicht war das nicht.

Und wie sich Kasperle so umschaute, wurde ihm sein Herzlein zentnerschwer. Da lag Valrosa, seine Heimat, und wie schön war sie. Blumen, wohin er sah, alles voll Blumen, und der Himmel blau wie Seide. Die Sonne schien heller, strahlender als selbst in Lugano auf das kleine Eiland hernieder. Und hier könnte nun Kasperle als König hausen, aber was geschah dann mit dem feinen Marlenchen? Das sah nie seine Heimat wieder, nie seinen Vater.

Kasperle dachte an alle Liebe, die das feine Marlenchen ihm erwiesen hatte, denn Kasperle war dankbar, was Menschen nicht immer sind. Er beschloß, Marlenchen zu retten, wenn er dann auch die Heimat für immer verlor.

Er fühlte auch, so schön es hier war, unter so vielen Kasperles würde er nie glücklich sein, dazu hatte er die Menschen zu lieb gewonnen.

»Kasperle,« sagte das Marlenchen aus der anderen Wiege, »was wird heute werden?«

»Ich helfe dir schon,« sagte Kasperle. Und dann nickte er Marlenchen zu, purzelbaumte aus seiner Wiege und schrie: »Holla, ho – holla, seid ihr aber Langschläfer!«

»Wir dürfen doch erst aufstehen, wenn der König ruft,« sagten die Kasperles.

»Nä, dann steht nur auf, ich bin der König.«

»König Bimlim,« klang es und drang zu dem König Tolu.

Der ärgerte sich, aber als Kasperle ihn ansah, nickte der ihm zu, als wollte er sagen: »Ärgere dich doch nicht, es wird alles gut.«

Dann gab es Frühstück.

Dies war wieder für die Kasperles eine große Verwunderung, denn Kasperle vergaß seinen Wettlauf und aß sich plumpsatt. Er kann nicht laufen, dachte der König, er will im Lande bleiben.

Aber er kannte Kasperle schlecht. Der konnte mehr vertragen als so ein bißchen Kasperle-Frühstück mit rosenroter Milch und himmelblauen Brötchen und grasgrünem Honig.

»Nun der Wettlauf!« riefen die Kasperles.

»Nä, erst die Erzählung,« antwortete Prinz Bimlim. »Erst müßt ihr wissen, was ich alles erlebt habe.«

»Ja,« schrien alle, »das ist fein,« und alle purzelbaumten, aber keiner konnte es so gut wie Prinz Bimlim, trotz des Frühstücks.

Kasperle sollte sich in die Königsschaukel setzen, aber das gefiel ihm nicht, er setzte sich auf einen goldenen Tisch, und dann erzählte er.

Marlenchen hörte auch zu und ihre Augen wurden größer und größer. Hilf, Himmel! konnte Kasperle aufschneiden! Sie kannte doch alles, von dem er erzählte, aber so riesengroß war ihr alles noch nie erschienen, wie es Kasperle darstellte. Da war der Herzog August Erasmus ein mächtiger König und Schloß Himmelhoch wirklich das größte und höchste Schloß in allen Landen. Und was hatte Kasperle alles getan! Jedes dumme Streichlein war eine Heldentat und jedes dumme Torburger Straßenbüble, mit dem Kasperle Freundschaft gehalten hatte, war ein mutiger Soldat.

So etwas! So ein kleiner Schwindelpeter!

Und von der Prinzessin Gundolfine erzählte Kasperle, und dabei schnitt er die allertollsten Gesichter. Die Kasperles verrenkten sich beinahe Mund und Nase, um diese Gesichter nachzumachen. Und komisch, alle schlimmen Dinge wie das In-die-Schlagsahne-Fallen und dergleichen, waren in Kasperles Erzählung der Prinzessin passiert, und die Kasperles lachten und lachten, sie drehten und wendeten sich vor Lachen und der König dachte, das wird schlimm. Es wurde auch was Schlimmes daraus, denn sie bekamen alle Leibschmerzen vor Lachen.

»Hör' auf!« gebot der König.

Aber Kasperle hörte nicht auf. Er erzählte gerade von seiner Reise in die Schweiz, wo nicht er, sondern die Prinzessin nach den Schneebergen um Schlagsahne gelaufen war und wo er, das Kasperle, sie aus den Klauen des Adlers gerettet und sie aus dem Käsebottich herausgezogen hatte.

»Aufhören!« gebot der König.

Aber Kasperle sagte ruhig: »Ich bin noch lange nicht fertig, ich habe noch sehr viel zu erzählen!«

»Wir haben schon Bauchschmerzen!« klagten die Kasperles.

»Dann eßt Obst und trinkt saure Milch dazu, das ist gut für Bauchschmerzen.«

Die armen Kasperles. Sie glaubten Bimlims dummer Rede wirklich, sie baten, er solle ein Weilchen warten, und liefen alle hinaus und wollten saure Milch trinken. Aber da rief Kasperle selbst, sie sollten es lieber lassen, es wäre nur ein Scherz gewesen. Und dabei machte er ein Gesicht wie Mister Stopps.

»Aufhören,« schrien die Kasperles, »wir können nicht mehr! Wir wollen jetzt Mittag essen.«

»Nä,« sagte Kasperle, »ich bin noch nicht fertig. Noch lange nicht. Jetzt sehe ich aus wie Mister Plumpudding.«

»Aufhören, uns tut alles weh!«

»Mir nicht,« rief Kasperle frech und sah aus wie Mister Plumpudding.

Er schwindelte, denn ihm tat schon etwas weh, sein Herz nämlich. Je näher die Stunde rückte, daß er von der Heimat weg mußte, je schwerer wurde ihm sein Herz. Da hatte er sich viele Jahre nach der Heimat gesehnt, und nun, da er sie gefunden hatte, mußte er am zweiten Tage fliehen!

Es war schon hart.

Aber Kasperle war doch ein Held, er dachte nur an Marlenchens Rettung, das war ihm selbstverständlich. Wie hätte er seine liebe, kleine Freundin im Stich lassen können!

Das ging nicht.

Aber Helden verlieren auch mal die Fassung. Das geht nun eben so. Als die Kasperles so furchtbar lachten und immer schrien »aufhören, aufhören,« da überkam Kasperle plötzlich die tiefste Traurigkeit, und er fing zu weinen an.

Das war nun dumm, denn gleich fingen die Kasperles auch zu weinen an und mit dem Lachen war es vorbei.

Kasperle aber merkte wohl, daß er eine Dummheit gemacht hatte, aber er konnte sich gar nicht helfen und in seiner großen Angst weinte er immer mehr. Die Kasperles weinen nicht gern und lassen es nicht gern vor andern sehen, wenn sie weinen. Sie steckten also die Köpfe zwischen die Füße und weinten laut und kläglich.

Kasperle war heute ein rechtes Gescheitle. Er sagte leise zu Marlenchen: »Reiße aus, sie sehen es nicht!«

»Allein?«

»Reiß aus!«

Da rannte Marlenchen wie der Wind davon in ihrem bunten Kasperlekleid, das man ihr gegeben hatte, und kein Kasperle sah das fliehende Marlenchen.

Würde Kasperle nachkommen?

Das heulte weiter und die Kasperles schrien: »Hör' auf, wir können nicht mehr!«

Aber Kasperle hörte noch lange nicht auf. Der heulte wie ein hungriger Wolf zur Winterszeit. Auf einmal aber schrie er: »Hurra, jetzt schießt König Bimlim einen Purzelbaum, damit ihm das Essen auch gut schmeckt.«

Und – wuppdiwupp purzelbaumte er über den König und viele Kasperles hinweg.

Wohin? Dem Marlenchen nach!

Kasperle fühlte, ohne Marlenchen war ihm die schöne Heimat öde und leer. Er mußte auch sehen, ob das feine Marlenchen aufs Schiff kam.

Bis sich die Kasperles besannen und zu weinen aufhörten, war Kasperle schon ein gut Stück in das Land hinausgepurzelbaumt.

Und dann dauerte es wieder eine Weile, bis ihnen einfiel, Kasperle, der Prinz Bimlim, könnte geflohen sein.

Wer sagte es zuerst?

Das blitzdumme Kasperle. Das legte auf einmal den Finger an die Nase und sagte mit dem dümmsten Gesicht, das es machen konnte: »Er ist vielleicht ausgerissen.«

Die andern lachten alle.

Ausreißen, wenn einer König vom Kasperland werden kann, hohoho, hihihi, so dumm ist keiner.

»Und er ist doch ausgerissen. Marlenchen fehlt auch,« rief der König.

Da schrien alle durcheinander. »Man muß sie fangen.«

»Ja, man muß sie fangen.«

»Man muß sie schnell fangen.«

»Ja, man muß sie schnell fangen.«

»Wir holen sie schon ein.«

»Nein, wir holen sie nicht mehr ein.«

»Man muß die Lachkanone nehmen.«

»Ja, die Lachkanone.«

Es dauerte lange, bis die Kasperles zur Verfolgung bereit waren. Gerade als sie aus dem Tor von Valrosa zogen, purzelbaumte Kasperle über Marlenchen hinweg, die am Ufer stand und nach dem Schiff hinüberwinkte.

»Helft, helft!«

Aber noch sah es niemand. Doch da war Kasperle.

»O Kasperle, du kommst mit mir?«

Kasperle nickte ernsthaft und sagte: »Du bist doch meine Freundin, Marlenchen!«

Da fiel das feine Marlenchen ihrem Kasperle um den Hals und weinte laut, und dies Weinen hörte drüben Mister Stopps.

»Marlenchen weint.«

»Ih wo!« sagte seine liebe Braut.

»Doch, und da drüben steht sie, und mein Kahspärle ist auch da. Hurra, mein Kahspärle!« rief Mister Stopps und fiel ins Wasser.

Da konnten die Matrosen gleich Kasperle und Marlenchen mit herüberholen, es war eine Arbeit.

»Mein Kahspärle, mein liebes Kahspärle, nun hab' ich dich uieder!« schrie Mister Stopps.

»Nä,« sagte Kasperle, »ich bin's nicht.«

»Du bist's nicht?«

»Nä, ich bin Prinz Bimlim, den haste nicht gekauft.«

Vielleicht hätte der gute Mister Stopps doch gesagt: »Du bist es,« wenn nicht Piet ein furchtbares Geschrei erhoben hätte: »Sie kommen, sie kommen und sie haben die Lachkanone mit!«

Die Kasperles kamen wirklich, und sie kamen schneller als es vorher den Anschein gehabt hatte. Die Lachkanone hatten sie auch mit, aber diesmal rannten alle Schiffsleute in die Kabinen und als die rosenrote Wolke kam, traf sie allein Mister Stopps, den traf sie aber gründlich.

Mister Stopps brach in ein riesengroßes Gelächter aus, er lachte und wackelte dabei so hin und her wie neulich der Mastbaum im Sturm.

»Hahaha, hohoho, huhuhu« – Mister Stopps lachte alle Tonarten durch. Er lachte und lachte und zuletzt fiel er um.

Die von drüben schrien immerzu: »Wir wollen unsern König Bimlim haben!«

Das hörte Mister Stopps trotz seines Gelächters. Er schrie: »N –n –nein – da – da – das geht n – n – nicht, er ha – ha – hat zw – zw – zwei Mimimimi –« da brach Mister Stopps ab, mehr brachte er nicht heraus.

Die Kasperles aber hatten ihn überhaupt nicht verstanden und sie schrien immer lauter: »Wir wollen unsern König Bimlim, unsern König Bimlim!«

Kasperle aber lag in der Kabine und – weinte.

Er hörte wohl das Schreien, und Marlenchen sah ihn ganz traurig an. Würde er gehen?

Herr Severin sagte: »Kasperle, willst du nicht? Es ist deine Heimat.«

Ach, das arme Kasperle, es wäre schon gerne nach Valrosa zurückgekehrt, aber der Abschied von seinen lieben Freunden wurde ihm zu schwer.

Mein Kasperle bleibt bei mich, dachte Mister Stopps, der schon halbtot vor Lachen war. Sagen konnte er nichts mehr.

»Wir schießen so lange, bis sich alle tot gelacht haben,« riefen die Kasperles, gerade als Piet auf Deck kam, um zu sehen, was nun los wäre.

»Wir lachen ja gar nicht, aber Kasperle wird gleich kommen und weinen und wir werden alle weinen, da müßt ihr euch totweinen.«

Da rissen die Kasperles aus, der König voran. Der war heilfroh, denn wenn einer einmal König vom Kasperland ist, dann will er es auch bleiben. Nur das Marlenchen hätte er gerne behalten. Sie rissen aus und waren auf einmal verschwunden.

Aber Mister Stopps lachte immerzu. Er war schon ganz schwach vor Lachen.

Da sagte seine liebe Braut: »Man muß ihn unter die Pumpe halten, das wird gut tun.«

Also hielt man ihn unter die Pumpe und plantschte ihn pudelnaß. Da hörte er auf zu lachen. Er tat einen tiefen Seufzer und sagte: »Das haben mich gut getan.«

»Die Pumpe, das glaube ich, das hilft,« meinte der Kapitän.

»O no, das Lachen, das hat mich gut getan, ich uollte, ich hätte eine Lachkanone und meine liebe Frau könnte mich schossen. O schade, sehr schade! Aber ich habe mein liebes Kahspärle uieder.«

»Nä, ich bin's nicht, ich bin Prinz Bimlim.«

Mister Stopps war damit gar nicht einverstanden, aber dem Kasperle kam Hilfe. Die Prinzessin sagte: »Er hat recht, als du ihn kauftest, war er Kasperle, jetzt ist er beinahe ein König. Er gehört dir nicht.«

»Er kommt zu uns,« rief Frau Liebetraut.

»Zu uns,« riefen Michele und Rosemarie.

»Zu mir,« rief das Prinzlein.

Marlenchen sagte gar nichts, sie sah Kasperle nur an. Da rief Kasperle: »Ich geh zu Marlenchen und zu den andern komme ich auf Besuch.«

»Zu mich auch?« rief Mister Stopps.

»Nä,« rief Kasperle, »du hast jetzt 'ne Frau.«

Das war Mister Stopps gar nicht recht, denn im Grunde war ihm das Kasperle lieber als die Prinzessin. Die aber sagte: »Ich bin dein Kasperle,« da war er schließlich zufrieden. Wenn er nur lachen konnte.


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