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Mister Stopps und der Stier

Mister Stopps hatte auch lange geschlafen, und als er erwachte, stand Bob vor seinem Bett und flüsterte: »Leise, leise, wir müssen rasch das Kasperle retten.«

»Oh,« der gute Mister Stopps war gar flink dabei. Kasperle, was war mit seinem Kasperle geschehen? Er stand auf, Bob packte eins, zwei, drei, und Mister Stopps saß zu seiner eigenen Verwunderung plötzlich im Reisewagen. Dabei hatte er vier Wochen in Interlaken bleiben wollen. Aber kaum saß er drin, da fiel ihm etwas um den Hals. Das Kasperle war es, das dumme, kleine, unnütze Kasperle.

»Oh Kahs – pärle, uo uarst du?«

Da erzählte Kasperle, und dabei rollte der Wagen weiter und weiter. Einmal hielt er eine halbe Minute, Mister Stopps merkte es kaum, er hörte immer nur sein Kasperle erzählen: von dem langen, langen Weg, und dem Adler, den Sennen, und daß die Berge gar nicht aus Schlagsahne wären.

»Armes Kahs – pärle, ich uerde nie mehr machen Spaß.«

»Doch,« rief Kasperle, »Spaß ist fein. Wir haben auch Spaß gemacht.«

»Uas denn für Spaß?«

»Na, wir rissen doch aus.«

»Aus – reißen? Uarum?«

Und da erzählte Kasperle von Angelas Vormund, Tante Mitta, Herrn von Löwenzahn, die alle miteinander in Interlaken angekommen waren. Darum die schnelle Abreise mitten in der Nacht.

Erst wollte Mister Stopps bitterböse werden, doch das Kasperle bat und flehte. Ja, als Mister Stopps immer weiter schalt, fing Kasperle bitterlich zu weinen an.

Es klagte und schluchzte, und Mister Stopps merkte wieder einmal, es war ein gar zu schweres Ding, einem Kasperle böse zu sein. Darum rief er endlich: »Ich sein uieder gut,« und weg waren die Tränen, wie weggeblasen. Kasperle lachte und lachte, umarmte Mister Stopps, und der steife Herr fing schließlich auch an zu lachen. Das war eine vergnügliche Fahrt. Hell die Nacht, und lind die Luft. Bergbäche rauschten. Hoch ragten die weißen Schneeriesen empor, Sterne am Himmel und friedsame Stille ringsum. Florizel spielte und sang, und als es hell wurde, hielten sie vor einem Wirtshaus, ein blaues Rauchwölkchen stieg aus dem Schornstein zum Morgenhimmel empor, und Kasperle jauchzte: »Frühstück!«

Es gab Frühstück. Die Gäste ruhten sich aus, und weiter ging die Fahrt. Ein See blaute neben der Straße, und Florizel erzählte Kasperle, dies wäre der Vierwaldstättersee. Er erzählte von Tell und dem bösen Landvogt Geßler, aber dem Kasperle war der Tell ganz gleichgültig, er dachte nur an die nahe Mittagsrast.

Mittagsrast, Mittagessen, Ausruhezeit, – Kasperle schlief wie ein Rätzlein. Mister Stopps schlief, und der schlief auf der grünen Matte noch sanfter als das Kasperle. Dieses hörte auf einmal ein dumpfes Brüllen und sah plötzlich einen wilden Stier auf sich zukommen. Einen Augenblick dachte das Kasperle daran, auszureißen, aber da sah es Mister Stopps, und flink rüttelte es ihn, er möchte aufwachen. Mister Stopps wachte auch auf, sah den Stier auf sich zukommen und fing ein furchtbares Gebrüll an.

»Ausreißen!« schrie Kasperle.

Aber Mister Stopps war viel zu verdattert, um auszureißen, er brüllte nur. Aus dem Wirtshaus, aus den nahen Bauernhöfen kamen Leute angerannt. Alle schrien, schwenkten Heugabeln, aber so recht wagte sich keiner an den wütenden Stier heran. Es sah aus, als würde der den Mister Stopps aufspießen, denn er lief gerade auf ihn zu, und Mister Stopps saß im Grase und brüllte. Ja, wenn das Kasperle nicht gewesen wäre!

Kasperle dachte: »Ich purzelbaume ihm auf den Rücken, da wird er schön erschrecken!« Und bums, saß das Kasperle dem Stier auch auf dem Rücken und brüllte dazu, wie nur ein Kasperle brüllen kann. Der Stier blieb erschrocken stehen. Das brüllende Ding auf seinem Rücken war ihm doch unheimlich. Dazu stach ihn Kasperle noch mit einem Stock, den er in der Hand hatte, und der Stier wußte wirklich nicht, was er von der ganzen Geschichte denken sollte. Das Nachdenken wird so einem Stier ohnehin schwer. Ehe er jedoch damit fertig war, hatten ihm die Bauern eine Kette übergeworfen – er war gefangen. Da purzelbaumte Kasperle geschwind vom Stierrücken herab gerade Mister Stopps auf den Bauch. Der Herr lag nämlich lang ausgestreckt mitten auf der Wiese. »Oh!« rief Mister Stopps.

»Aaah!« rief Kasperle, und dann lachte Kasperle, und Mister Stopps weinte und nannte Kasperle seinen Lebensretter.

Das sagten Florizel und Bob und die Dorfleute auch, und Angela weinte, und ein paar Mägde lachten über den großen Buben, der gleich heulte.

»’s ist gar kein Büebli, ’s ist ein Maideli,« meinte eine. »Die Zöpfe stecken ja unter dem Käppeli.«

An diesem Abend reiste die Gesellschaft nicht weiter. Mister Stopps mußte sich ins Bett legen. Der Schreck und Kasperles Purzelbaum auf seinen Bauch, das war zu viel gewesen. Er wurde krank. Bob brachte ihm heißen Tee, und Kasperle bot ihm an, er wolle ihm etwas vorkaspern, aber Mister Stopps rief erschrocken: »Nein, nein!« Er dachte, nun purzelbaumt er mir wieder auf den Bauch. Danke schön! Da lief Kasperle hinaus, fand Florizel, der unter einem dicken Nußbaum vor dem Hause saß und sang:

»Möcht’ einer gern ein Maidli frei’n,
Nennt aber auf der Welt nichts sein
Als Himmel, Luft und Sonnenschein,
Wird dies genug dem Maidli sein?«

»Wer ist denn das?« fragte Kasperle verdutzt.

Aber da kam schon ein feines Singen vom Hause her, und Florizel und Kasperle hörten die Worte und leises Lachen dazu:

»Fehlt einem auch der Sack voll Geld,
Wer für die Schönheit dieser Welt
Hält beide Augen offen,
Der darf aufs Glück wohl hoffen.«

»Tralala,« jauchzte Florizel, Kasperle aber warf die Beine in die Luft, saß wieder einmal auf der Erde, statt auf dem Bänklein und schrie: »Heiho, das bin ich! Wer ist aber die Maid?«

Florizel lachte, strich über die Saiten und sang:

»Der Kasper ist ein Dummerlein,
Sonst wüßt’ er, wen ich mein’,
Die schöne Maid heißt Angela,
Lallallala, lallallala,
Und reist sie durch das Land,
Wird sie der Tom genannt.«

»Fein!« schrie Kasperle. Vom Hause her klang Lachen und dann wieder Singen:

»Morgen ist die Angela
Nimmer da, nimmer da,
Nur den Tom mit Locken braun
Könnt ihr morgen wieder schaun.«

»Reißt sie aus?« fragte Kasperle erschrocken.

»Ich denke nicht,« gab Florizel zur Antwort. »Aber nun geh ins Bett, kleines Kasperlein.«

Aber das kleine Kasperlein saß da und sah ganz tiefbetrübt aus. Da fragte ihn der Spielmann: »Was fehlt dir? Was hast du denn?«

»Nichts!« stöhnte Kasperle. »Ich mag sie nur nicht heiraten.«

»Wen denn, Kasperle?«

»Na, die Angela. Wenn ich heirate, muß es Marlenchen sein.«

»O du Dummkopf, du brauchst sie doch nicht zu heiraten.«

»Aber du hast es doch gesungen.«

»Ich meine eine andere.« Und Florizel flüsterte dem Kasperle ein Wörtchen zu. Da lachte der vergnügt und rannte flugs ins Haus. Er hätte sich am liebsten mit Höslein, Strümpfen und Schuhen in das Bett gelegt, aber das erlaubte Bob nicht, und das müde Kasperle mußte sich ausziehen lassen. Zuletzt schlief es darüber ein und schlief bis zum hellen Morgen. Siehe, da kam Angela, die nun wirklich Tom war, mit braunen Locken daher. Die Zöpfe hatte sie sich abgeschnitten und die Haare mit Nußblättern gefärbt. »Nun erkennt dich niemand,« sagte Florizel, er war aber doch über das Weiterreisen froh. Mittags ging die Fahrt weiter.

Wohin?

Mister Stopps wußte es selbst nicht. Er ließ den Wagen fahren, wie der Kutscher wollte, und der dachte: »Immer im Tal zu bleiben, ist nicht gut. Meine Pferde können auch einmal bergauf fahren.«

Es kamen schöne Wälder, wundervolle Wiesen, auf denen die herrlichsten Blumen blühten. Bäche rauschten, und Wasserfälle stürzten von den Bergen herab. Auf einmal standen die Reisenden oben und sahen den Wildbach ins Tal brausen.

»Fein!« sagte Kasperle.

»Geh nicht zu nah heran,« mahnte Mister Stopps. Aber da lag Kasperle schon im Bach und sauste talabwärts.

Heidi, hopsasa! Das ging schnell. Mister Stopps wäre vor Schreck dem kleinen Unnütz beinahe nachgesprungen, doch Bob und Florizel hielten ihn fest.

»Kahs – pärle, mein Kahs – pärle!« jammerte Mister Stopps.

Aber von Kasperle war nichts mehr zu erblicken, der war in einem dunklen Felsenloch verschwunden. Weg war er.

»Der wird wohl tot sein,« meinte der Kutscher.

»Tot? Mein Kasperle ist tot?« Mister Stopps rang die Hände. »Und zuei Millionen haben er gekostet.«

Ja, es war schon schlimm!

»Wir fahren abwärts, dorthin, wo der Bach in ein Wiesental einmündet.«

»Schnell, schnell,« schrie Mister Stopps.

Aber so schnell ging das nicht. Der Fahrweg machte einen weiten Bogen, Kasperle aber kam viel schneller unten an.


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