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Es hat zu allen Zeiten in der guten Stadt Hamburg Straßenjungen gegeben, die ehrsamer Bürgerschaft zum Verdruß gereichten, allein niemals, weder vorher oder nachher, war es ärger damit bestellt, als in der letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Die Winkeljungen, wie man sie nannte, weil sie in allen Ecken und Winkeln hausten, trieben es arg in jenen Zeiten. Von Geschlecht zu Geschlecht erbten ihre Unarten fort und steigerten sich bis in das Unglaubliche, weshalb ein hochedler Rat sich darüber in hellem Zorn erging und viele scharfe Mandate erließ, um dem Unfug zu steuern und die Uebeltäter zu bestrafen. Allein nichts vermochten die Väter der Stadt gegen die wilde Meute, die sich unversehens in Masse zusammenfand und eben so unversehens wieder verschwand.
Mehrere Schlupfwinkel gab es, die sich zu diesem Ende darboten. Da waren die dunklen Gänge des Sankt Marien-Magdalenen-Klosters, oder die schmale Twiete auf dem Plan, die um das Johanneum herumführte. Am gelegensten aber kam ihnen die Fußpassage zustatten, die durch das Englische Haus in der alten Gröninger Straße nach dem Sankt Katharinen-Kirchhofe führte. Alle diese Schlupfwinkel sind in der neuern Zeit verschwunden und die Winkeljungen mit ihnen.
Mancherlei waren die Waffen, womit ›die jungen Ritter der Straße‹ gegen die ehrsame Bürgerschaft zu Felde zogen. Da hatten sie lange, hölzerne Röhren, Pustrohr genannt, mittels welcher sie hartgedrehte Lehmkugeln auf die Nasen der Vorübergehenden abschossen. Oder sie warfen ihre Kreisel so schlau auf das Pflaster, daß die Frauen und Mägde laut schreiend zurückwichen, wenn ihnen ein sogenannter Brummkreisel zwischen die Beine fuhr, nicht zu gedenken der rasselnden Tonnenbänder, die mit Blechstücken, dem sogenannten Klöterkram, beschlagen, drei bis vier in einer Reihe dahinrasend, einen Höllenlärm machten. Daneben erschallten die sogenannten Schnurrdinger, wie man die Knarren der Nachtwächter nannte, und als die ersten Straßenlaternen aufkamen, war keine Glasscheibe derselben vor den Steinen der werflustigen Jugend sicher. Ein edler Rat war daher im guten Rechte, wenn er sich ereiferte und strenge ›die Vergadderungen‹ verbat, welche von den losen Knaben und Dienstjungen ›zur Verunglimpfung fremder Nationen‹ ausgeführt wurden, die mit Hohngeschrei hinter allen Fremden herliefen und sie mit Steinen oder Schneebällen bombardierten.
Am ärgsten aber wurde es, als von fremden Seefahrern die in Hamburg bisher unbekannten Raketen und Schwärmer eingeführt wurden und die Hamburger Knaben die Vorzüge derselben kennenlernten. Sie warfen die funkensprühenden Ungeheuer in die dichtesten Haufen und erhoben einen ohrenzerreißenden Gesang, wenn die Erschreckten, absonderlich die Dirnen, mit ängstlichem Kreischen auseinanderfuhren wie eine Schar von Tauben, auf welche der Habicht jählings herabfährt.
In einen Schrecken aber, woran man hätte Todes verfahren mögen, wurde die Christliche Gemeinde versetzt, wenn es eine ›Abendleiche‹ gab. Wollten die Alt-Hamburger ihre Toten recht ehren, wurden solche gegen Abend in die Kirche getragen und eingesegnet. Wenn dann die Andächtigen in tiefer Trauer umhersaßen und die Kerzen ein ungewisses, zitterndes Licht verbreiteten; wenn die Orgel erklang und das Sterbelied gesungen wurde; wenn der Pastor erschien, um zu trösten und zu segnen, dann entstand plötzlich ein dumpfes Geheul in den dunkel gebliebenen Teilen der Kirche, von dem Chor herunter und hinter den Gestühlen, worüber sich alle entsetzten und die Kirchendiener eine Jagd anstellten, die stets nutzlos ausfiel, denn die kleinen Taugenichtse entkamen ihnen unter den Händen.
Zu den Tummelplätzen, wo diese Scharen ihr Wesen am liebsten trieben, gehört auch die Altstädter Fuhlentwiete, eine sehr krumme und in jenen Tagen holperige, halbwüste Straße. Ungefähr in der Mitte derselben lag das Gasthaus »zum Bremer Schlüssel«, und diesem gegenüber befand sich »das holländische Oxhoft«. Auf dem Hofe dieses weitläufigen Gebäudes, worin sich eine besuchte Schenke befand, war eine große Bude aufgebaut, welche den umherziehenden Prinzipalen zum Schauplatz ihrer theatralischen Wunder diente. Die Wirtin, im Aeußeren dem Wappen ihres Hauses, dem holländischen Oxhoft, nicht ganz unähnlich, wußte mit solchem Volke prächtig umzugehen. Sie hielt unter Umständen Kost und Wohnung für dasselbe bereit und beaufsichtigte das Kassenwesen mit einer Konsequenz, die einer bedeutungsvolleren Sache würdig gewesen wäre.
Der Zettel, welcher an den Torweg geklebt war, verkündete, daß selbigen Abends eine unvergleichliche, ganz neue, wohl sehenswürdige Haupt- und Staats-Aktion, betitelt: »Die um den Jungfernkranz selbst streitende Prinzessin«, gegeben werden solle, wozu ein hochzuverehrendes Publikum ganz untertänigst eingeladen werde. Darüber standen die Verse:
»Hier in der Fuhlentwiet' dem Bremer Schlüssel über,
Da gibt man sechszehn, acht, vier Schilling und nichts drüber.
Es wird präzis fünf Uhr bei uns gefangen an.
Dies ist allzeit gewiß und hiermit kundgetan.«
Diesem Hause schritt ein Mann zu, der mehr als gewöhnliche Eile zeigte. Trotz des sommerlichen Wetters war er in einen Mantel gehüllt und hatte den breitkrempigen Hut tief in die Stirn gedrückt; ein Zeichen, daß er nicht gern erkannt sein wollte. Aber was bleibt einem Hamburger Winkeljungen verborgen, der seine Finger in alles stecken muß, und am liebsten zwischen etwas Verwirrtes und Verworrenes, um es noch verwirrter und verworrener zu machen. Bereits lagen sie hinter den Kellerhälsen und Beischlägen auf der Lauer. Der Mantelträger, von der Wärme übermannt und in der Meinung, seinen täglichen Verfolgern glücklich entkommen zu sein, ließ den Zipfel des Mantels fallen und lüftete den Hut, um sich den Schweiß von der Stirn zu trocknen. Aber kaum war es geschehen, als die wilde Meute von allen Seiten heranstürmte. Sie umringte ihn und schrie mit steigender Lust:
»Bajazzo! Bajazzo! Du bist unser Gefangener!«
»Wollt ihr aus dem Wege, ihr Teufelsbraten!« schalt der Mann, welcher sich der Buben, die sich an ihn hängten, zu erwehren suchte. Es war Stranitzki, der erste und zugleich zweite Komiker der Pandsenschen Truppe, die um diese Zeit in dem holländischen Oxhoft das Regiment führte.
Lautes Gelächter schallte ihm entgegen, welches mit dem allgemeinen Rufe endete:
»Bajazzo! Bajazzo! Du bist gefangen und mußt dich lösen.«
Stranitzki, welcher sah, daß hier nichts mit Gewalt auszurichten war und dem die Blicke der Vorübergehenden lästig wurden, fragte:
»Womit muß ich mich lösen?«
»Bajazzo soll auf dem Kopf stehen!« rief eine Stimme und alsbald wiederholte es der ganze Chor mit lautem Gebrüll.
»Nun, so gebt acht, ihr Kanaillen!« sagte Stranitzki, indem er den Mantel zusammenrollte und auf die Erde warf. In einem Moment machte er einen Luftsprung, stand mit dem Kopfe auf dem Mantel, schlug die in der Luft schwebenden Füße wie im Takt zusammen, und stand in dem nächsten Augenblick wieder kerzengrade da, den Mantel über dem Arm. Die Jungen wollten eben losbrechen und die Wiederholung einer Szene verlangen, die ihnen zu schnell vorübergegangen war, aber er kam ihnen zuvor, indem er schrie:
»Eine Taube! Eine Taube!«
»Wo? Wo?« fragten die Buben und warfen die Augen umher.
»Da! Dort!« antwortete Stranitzki, mit den Händen nach zwei verschiedenen Richtungen deutend. Die allgemeine Verwirrung benutzend, durchbrach er den Kreis und verschwand in dem Torweg des holländischen Oxhoftes.
Hier befanden sich in einem nahe bei der Bühne gelegenen Zimmer zwei Männer, welche im Begriff waren, eine längere Zeit geführte Unterhaltung zu beenden. Der eine war ein dürrer, langaufgeschossener Mann, mit einer spitzen Nase und kleinen grauen Augen. Sein Name war Pandsen und sein Geschäft bestand darin, den Thespiskarren zu lenken, so gut es in der holprigen Fuhlentwiete gehen wollte.
Der Zweite, mit einem langen, schwarzen Nock bekleidet, und mit einem ernsten, bleichen Gesicht, schien an diesem Ort nicht besonders heimisch zu sein. Er sah sich ab und zu um, ob auch niemand Zeuge der Unterhaltung sei und sagte aufbrechend:
»So sind wir nun am Ende und es soll mich freuen, wenn ich durch diese Arbeit etwas zur Veredlung der Kunst beigetragen habe.«
Pandsen deutete auf die Handschrift, die auf dem Tische lag, und sagte:
»Das Werk, welches Ehrwürden ...«
Der Mann im schwarzen Rocke sah den Prinzipal ernst an. Dieser unterbrach sich und fuhr fort:
»Das Werk, welches der Herr geschrieben und welches der Herr mir anvertraut hat, damit ich es ausführen lasse, wird dem Herrn viel Ehre bringen. Der Herr kann sich darauf verlassen, daß wir es mit allem Fleiße einüben werden. ›Die männerfeindliche Fürstin, die doch gedemütigt wird,‹ haben der Herr das Stück benannt, welches ... woher kommt es doch, wenn es dem Herrn beliebt?«
»Es ist dem Spanischen entnommen!« entgegnete der ernste Mann, »in welcher Sprache noch viele Schätze verborgen sind. Es ist eigentlich nicht meines Amtes, ein Feld wie dieses zu beackern, dieweil mir ein anderer Wirkungskreis angewiesen ist. Allein ich tue es, indem ich hoffe, dadurch dem blöden Possenspiel und Zotenkram den Todesstoß zu versetzen.«
»Das ist ein löbliches Vornehmen, von dem Gesichtspunkte aus, wie es ein Herr, wie der Herr zu sein das Glück hat, betrachtet. Uns armen Prinzipalen aber würde die Schwindsucht nicht aus dem Geldbeutel weichen, wenn wir der Jactancia für alle Zeit entsagen wollten. Was nun dies köstliche Opus betrifft, so soll es mit allem Fleiß dargestellt werden. Für den Prinzen habe ich einen prächtigen Burschen. Er ist blutjung und heißt eigentlich Eberhard Lohse. Weil er aber ein überaus schöner Mann ist und ebenso schwarze Augen, als schwarze Haare hat, nennen wir ihn Dunkelschön. Für den Bedienten, den der Herr Perinus zu nennen beliebt hat, gibt es keinen besseren Darsteller als unsern Stranitzki, ein Kurtisan, der eine Versammlung von Melancholikern in einer halben Stunde zum Lachen zwingt. Auch mit der Prinzessin dürfte es erträglich gehen und nur mit der kecken Zofe wird es einige Schwierigkeiten haben, indem selbiger ein kaum zu bezwingender Part zugemutet ist.«
Das Gespräch wurde hier durch ein lautes Gelächter unterbrochen, welches von der Seite her erklang, wo die Bühne lag. Der Prinzipal schloß die dahin führende Tür und sagte:
»Mein Volk versammelt sich zur Probe und der Stranitzki wird seine Späße mit den albernen Gänsen, den Dirnen haben, was ihm streng verboten ist. Euer ... ich wollte sagen, der Herr nimmt es wohl nicht ungütig ...«
»So will ich denn gehen,« sagte der Mann mit dem ernsten Gesicht. »Ich habe mich überdies länger aufgehalten, als ich sollte, und man wird mich daheim mit Ungeduld erwarten. Nehmt es zu Herzen, was ich Euch sagte. Es wird der Kunst und somit uns allen zugute kommen.«
Mit diesen Worten entfernte er sich, die Begleitung ablehnend. Der Theaterprinzipal sah ihm achselzuckend nach und sagte:
»Was so ein Pastor sich denkt! Moral und Philosophie, und wie die schönen Redensarten alle heißen, auf dem Theater zur Schau stellen. Seine Wohlehrwürden, der Herr Johannes Koch, mag ein sehr gelehrter Herr sein, aber von dem Heidideldei und Heidideldum, welches unser Publikum zu sehen begehrt, versteht er nichts. Geben will ich die männerfeindliche Fürstin, aber der Stranitzki soll mir in die Bedientenrolle noch ein paar tüchtige Lazzi einlegen und wenn ich ihn verleiten kann, daß er vor der Prinzessin einen Purzelbaum schlägt, wälzen sie sich auf dem Vierschillingsplatz vor Lachen. Nun wollen wir aber sehen, was es auf dem Theater gibt. Das Volk scheint dort alles auf den Kopf zu stellen.«
Er ging der Tür zu, die nach dem Theater führte, und betrat dasselbe.
Hier herrschte das Chaos. Von allem, was zu einer ordentlichen Probe gehört, war nicht das geringste zu sehen und die ganze Gesellschaft tobte in wilder Ausgelassenheit durcheinander. Stranitzki hatte sich einer Geige bemächtigt und spielte einen wilden Tanz, der die ganze Gesellschaft unwillkürlich in den bacchantischen Wirbel hineinzog. Der Prinzipal suchte umsonst, sich Gehör zu verschaffen und geriet in augenscheinliche Gefahr, selbst in den Kreis der wilden Tänzer gerissen zu werden, als er von jemandem bei der Hand ergriffen und zur Seite gezogen wurde.
»Was wollt Ihr, Dunkelschön?« fragte der Prinzipal und blickte erstaunt auf den jungen Mann, noch mehr aber auf eine gefüllte Weinflasche, die dieser unter dem Arm trug. Er folgte dem erhaltenen Wink und beide kehrten in die Stube des Prinzipals zurück. Dunkelschön holte Gläser herbei und indem er mit dem Prinzipal anstieß, sagte er:
»Die Wirtin zum holländischen Oxhoft ist nicht so unbarmherzig, als sie verschrien wird, und läßt sich einen Gang nach dem Keller nicht verdrießen, auch wenn der Durstende gerade keinen Schilling in der Tasche hat.«
»Wie kommt Ihr dazu, so spendabel zu sein?« fragte der Prinzipal, indem er das leere Glas niedersetzte, welches neu gefüllt wurde, und erhielt zur Antwort:
»Weil ich etwas von Euch haben will und weil ich weiß, daß Ihr um den Finger zu wickeln seid, wenn Ihr ein Glas über den Durst getan habt.«
»Ihr könntet Euch verrechnet haben!« entgegnete Pandsen und machte Miene, das Glas zurückzuschieben. »Ich spiele die Tyrannen, wie Ihr wißt.«
»Aber die zärtlichen Väter gelingen Euch weit besser,« schmeichelte Dunkelschön. »Ganz Hamburg weint, wenn es Euch als Valér im bekümmerten Vater sieht. Zudem gebietet es die Notwendigkeit, mir meinen Wunsch zu erfüllen und Ihr kommt nicht davon los. Gehorchen müßt Ihr und Ihr sollt gehorchen!«
Die letzten Worte sprach er mit dem strengen Tone eines Gebieters. Pandsen fuhr zurück:
»Schreit mich nur nicht so an! Woher habt Ihr denn das martialische Wesen?«
»Das macht das Soldatenblut, das in meinen Adern rollt!« lachte Dunkelschön. »Mein Vater war ein brandenburgischer Küraßreiter und meine Mutter eine lustige Marketenderin. Als ich in einer einsamen Köhlerhütte geboren wurde, raste eine halbe Stunde entfernt davon die Schlacht. Hatte selbst Lust, das Handwerk meines Vaters fortzusetzen und habe eine Zeitlang die Muskete getragen. Allein die schönen Augen einer Luftspringerin hatten es mir angetan. Die Muskete flog in den Winkel und ich stand neben meiner Schönen auf dem Seil, ich wußte nicht wie. Nachher ging sie mit einem nichtsnutzigen Taschenspieler davon und nahm meine sämtlichen Habseligkeiten mit sich.«
Dunkelschön schwatzte noch manches durcheinander von seinen Abenteuern, die er bestanden, bevor er sich hier im holländischen Oxhoft häuslich niederließ. Pandsen hatte unterdessen den Rest der Flasche geleert und sagte leutselig:
»Schließt mir Euer Herz auf und vertraut Euch mir an. Was ein Vater für seine Kinder tun kann, das tue ich für meine Leute, ohne mir zu nahe zu treten. Was kann ich Euch zu Gefallen tun, mein schöner Bursch?«
»Etwas, das Euch am meisten frommt! Ich bringe Euch ein junges Mädchen voll Feuer und Leben, die vor Begierde brennt, auf das Theater zu kommen und die für die schlauen Zofen wie geschaffen ist.«
»Herein mit ihr!« rief der Direktor in Extase. »Ich will sie mit offenen Armen empfangen. Jetzt ist das Lustspiel des Pastors gesichert. Wo habt Ihr sie, Dunkelschön, und wie heißt sie?«
»Ihren rechten Namen sage ich Euch nicht! Ihr müßt Euch schon mit dem zärtlichen Beinamen begnügen, den ich ihr gegeben habe. Maienblüte rufe ich sie und sie ist in der Tat frisch und lieblich wie eine solche.«
»Dunkelschön und Maienblüte!« sprach der Direktor. »Es klingt gut zusammen. Wo ist sie aber?«
»Nur Geduld! Meine Schöne ist die Muhme eines ehrsamen Bürgers allhier. Wir kennen uns schon längere Zeit und ich dachte, mich in das Haus des Oheims einzuschleichen und in die wackere Kundschaft zu setzen, was unstreitig eine dankbarere Rolle wäre, als die beste, die Ihr mir jemals zuteilen könnt.«
»Eine Bürgerstochter!« rief Pandsen zurückfahrend. »Komödiante! Komödiante! Nehmt Euch in acht. Ueber solche Steine ist schon mancher gestolpert und hat sich ein Loch in den Kopf geschlagen.«
»Darum muß ein entscheidender Schritt geschehen, den man nicht zurücktun kann!« entschied Dunkelschön. »Ich werde die Dirne entführen und hier bei Euch halten wir sie verborgen, bis wir einen gutmütigen Priester finden, der uns zusammengibt.«
Pandsen wehrte den jungen Mann mit beiden Händen von sich ab und sagte:
»Das glaubt Ihr durchzusetzen? Ihr vermeint, einen Priester dieser Stadt ...?«
»Wenn auch nicht aus der Stadt, so doch von irgend einem Dorfe. Vater Pandsen, der Wein umnebelt Eure Sinne, sonst müßtet Ihr klar sehen. Dort steht ein Pastor, der Komödien schreibt und sie spielen lassen will, ohne daß das Volk den Verfasser errät. Und hier stehen Schauspieler, die das Geheimnis verraten können, wenn nicht der Pastor willfährig genug ist, an das Sprichwort zu denken: Eine Liebe ist der andern wert. Nun, wie ist Euch, zärtlichster aller Väter und galantester aller Direktoren?«
»Butterweich!« rief dieser. »Sohn Dunkelschön, komme an mein Herz! Du sollst deine Geliebte haben und mein Beistand wird dir nicht entgehen. Sie komme und halte ihren Einzug in das holländische Oxhoft. Unsere Wirtin soll Mutterstelle bei ihr vertreten und das lose Gesindel auf dem Theater, welches der Stranitzki immer verrückter macht, soll ihr nicht zu nahe kommen! – Hört, wie sie kreischen! Dunkelschön! Geht hin und sagt ihnen, ich triebe sie mit der Karbatsche auseinander, wenn sie nicht gutwillig gingen! – Wo ist die Maienblüte? –«
Prinzipal Pandsen, der den strengen Direktor und den zärtlichen Vater auf eine bewundernswerte Weise in sich vereinigte, erhob sich langsam und nicht ohne Schwierigkeit. Der starke Wein hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Dunkelschön eilte fort, seine Maienblüte auszusuchen. Die Probe kam nicht zustande und das nach drei Stunden sich versammelnde Publikum mußte sich entschließen, mit einer extemporierten Komödie vorlieb zu nehmen, worin alles vorkam, nur nicht die auf dem Anschlagzettel prangende, »um den Jungfernkranz selbst streitende Prinzessin.«
In dem Hause des Groß-Böttchermeisters Lorenz Ramke auf dem Rödingsmarkte ging es lebhaft zu. Ein Mann dieses Handwerks hat stets vollauf zu tun, zumal in Hamburg und zu einer Zeit, wo das Brauwesen eine solche Ausdehnung erhalten hatte. In der Werkstatt selbst saß ein Gesell neben dem anderen. Tonne auf Tonne wurde zusammengestellt und das fertige Gut auf der großen Hausdiele übereinander geschichtet, bis es an den Ort seiner Bestimmung abging. Ein tüchtiger Altgeselle führte die Aufsicht, denn Meister Lorenz Ramke war kränklich und konnte nur selten in das Treiben des Tages tätig eingreifen. Ein Gichtanfall hielt ihn im Lehnstuhl fest und er schalt weidlich mit seiner Nichte Christine, die dem verwitweten kinderlosen Herrn die Wirtschaft führte. Geduldig, ohne ein Wort zu entgegnen, hörte sie das Poltern des Kranken an, wich behende der Mütze aus, welche er im Zorn nach ihr warf und entfernte sich, um, wie sie dem Oheim zurief, in der Küche nachzusehen, damit die Mägde nicht in ihrer Abwesenheit das Unterste zu oberst kehrten.
Christine war das Kind eines jüngeren Vetters, dem es in der Vaterstadt nicht glücken wollte und der deshalb in die weite Welt ging, wo er verstorben und verdorben sein mochte, denn man hörte niemals etwas von ihm. Christinens Mutter starb darüber aus Gram und die verlassene Waise blieb bei dem Oheim, der sie hielt, wie sein Eigen, außer wenn die Gicht über ihn kam, und er seinen Grimm an der Aermsten ausließ, um den Schmerz zu betäuben, der wie Feuer brannte.
»Das kleine Ding ist gut,« stöhnte der alte Mann vor sich hin, »und sie kann nicht für das einstehen, was ihr Vater verschuldete. Es soll ihr auch nicht abgehen bei mir. Allein merken darf sie es nicht, und strenge muß sie gehalten werden, damit sie nicht über die Stränge schlägt ... Au! Au! Heute ist es ärger als jemals und zwickt mich mit glühenden Zangen! Ich muß etwas haben, woran ich meinen Schmerz und meine Wut auslasse. Christine! Christine!«
Statt der Gerufenen erschien die Witwe Straußin. Sie besaß auf dem Brauerknechts-Graben ein großes Brauerbe als Eigentum und war die resolute Schwester des verzagten Böttchermeisters. Im Hereinrauschen warf sie ein paar Stühle um, daß es dem Kranken durch Mark und Bein fuhr, stellte sich vor ihn mit eingestemmten Armen hin und sagte:
»Nun, was habe ich gesagt?«
»Ich habe nichts gehört!« stöhnte Meister Lorenz Ramke.
»Schimpf und Schande erleben wir an der Christine, habe ich gesagt!« fuhr die Straußin fort. »Schimpf und Schande erleben wir, wiederholte ich Tag für Tag, ohne daß auf mich gehört wurde, und nun haben wir die Bescherung!«
»Schwester Janna, was sagst du!« fuhr der Meister auf; sank aber alsbald in den Stuhl zurück.
»Verdacht hatte ich lange,« sagte die Straußin, den kranken Beinen des Bruders immer näher rückend. »Nun habe ich leider auch die Gewißheit. Da ist meine Nähfrau, die alte Petersen; eine kluge, umsichtige Person. Sie beobachtete die Christine, ohne daß diese es merkte, und hat es haarklein herausbekommen. Hat sie nicht oft zu dir gesagt, sie müsse zu mir gehen, weil ich sie notwendig brauche? Und ist sie zu mir gekommen? Ja Prosit die Mahlzeit! In die Schenkstube, die im Brauhause liegt, ist sie gegangen und hat schön getan mit dem ledig-losen Volke und verliebte Redensarten angehört, bei denen der guten Petersen brühsiedend heiß geworden ist.«
»Das ist nicht wahr!« stöhnte der Alte.
»Es ist doch wahr!« eiferte die Straußin. »Du wirst dein blaues Wunder erleben, wenn alles an den Tag kommt. Es ist unter den jungen Gesellen, die in dem Brauhause verkehren, einer, den sie sich zum Liebsten ausersehen hat, und dieser ... O Schande, daß ich es sagen muß ...«
»Nun? dieser Eine? – Au! Au! Das sind Stiche, wie mit glühenden Nadeln! – Wer ist es?«
»Die Petersen hat es herausgebracht, wer es ist! Ein Taugenichts! Ein Lumpenkerl ist es! Ein Seiltänzer, ein Komödiant, oder was sonst für ein liederlicher Bursche, der nicht ehrlich begraben werden darf!«
»Janna! Wenn du mich belügst!«
»Du kannst die Petersen fragen, die nimmt das Abendmahl darauf. Auf ihre Aussage hin habe ich dem Kerl die Tür weisen lassen und die Brauerknechte haben ein Wort von ihren Lungerhölzern fallen lassen, womit sie ihn gerben wollten, wenn er sich in der Brauerei sehen lasse. Hat es aber geholfen? Jetzt finden sie sich anderswo zusammen und gestern haben sie sich am hellen Tage auf offener Straße gesprochen und zusammen gelacht, allen ehrbaren Leuten zum Aerger.«
»Das ist ein schweres Wort, Janna!« stöhnte Herr Lorenz Ramke. »Ich kann es nicht geduldig hinnehmen und will wissen, woran ich bin. Christine! Christine!«
»Ja, rufe du nur!« lachte höhnisch die Straußin. »Wer weiß, in welchem Schlupfwinkel diese ihren Liebsten erwartet.«
»Jetzt gleich soll es an den Tag!« rief Meister Lorenz, gewaltsam den Schmerz bezwingend und von dem Stuhl aufstehend. »Christine! Christine!«
Christine war hart an der Tür. Sie hatte sich dort hingestellt und jedes Wort gehört, was die eifernde Brauerwitwe sagte. Verdruß, Unmut und Spott wechselten auf ihrem Angesicht, dann aber eilte sie zurück in die Küche und als Meister Lorenz zum dritten Male ihren Namen rief, trat sie mit Tellern, Löffeln und Messern beladen ein und fragte ganz unbefangen:
»Ihr habt gerufen, Ohm? Verübelt es nicht, aber ich stand vor dem Kessel und legte die Klöße ein, da habe ich es überhört. Die Annemarie sagte es mir eben. Womit kann ich Euch zu Willen sein? Es ist Zeit zum Tischdecken.«
»Da siehst du es, daß deine Anklage eine falsche ist und daß die alte Petersen dich belogen hat!« sagte Meister Lorenz, augenscheinlich froh, daß die letzte Anschuldigung eine falsche war. Ebenso gut konnten es auch die übrigen sein. Er nahm es für gewiß an und setzte hinzu:
»Ich will von solchem Geschwätz ein für allemal nichts mehr hören und du sollst mir damit vom Halse bleiben. Was hast du nur mit der Dirne, die dich doch keinen Schilling kostet?«
Christine hatte bislang mit der größten Unbefangenheit das Tischdecken besorgt und wandte sich jetzt zu dem alten Herrn:
»Wenn es Euch recht ist, können die Leute aufgeschüsselt bekommen. Was habt Ihr nur mit der Muhme Straußin, Ohm?«
Diese war vor Staunen keines Wortes mächtig. Sie sah die junge Dirne mit dem unbefangenen Gesicht vor sich stehen und murmelte vor sich hin:
»Derlei Frechheit setzt allem die Krone auf. Ich weiß mich vor Grimm und Zorn nicht zu fassen! Aber was ich ihr nicht sagen kann, das will ich ihr zu fühlen geben ...«
Sie hob bedrohlich beide Arme und näherte sich Christinen. Meister Lorenz humpelte herbei und sagte:
»Du sollst ihr nichts tun. Der Schlag, den du ihr gibst, hat mich getroffen. Sieh dich vor, Janna!«
Bei dieser ernsten Wendung wurde Christine leichenblaß und fragte händeringend:
»Sei Gott uns gnädig, was soll das bedeuten? Was habt Ihr mit der Muhme und was will sie von mir?«
»Sie will dich schimpfieren, Kind!« sagte Meister Lorenz. »Sie beschuldigt dich eines unordentlichen Lebenswandels und will mich zwingen, es zu glauben und dich deshalb abzustrafen!«
»Ach Gott! Ach Gott! Womit habe ich das verdient?« jammerte Christine laut. Frau Janna Straußin ermannte sich und sagte:
»Womit du es verdient hast? Damit, daß du dir einen liederlichen Komödiantenkerl zum Liebsten ausersehen hast. Einen von den Vagabunden, die in dem holländischen Oxhoft ihr Wesen treiben, denen jeder ehrliche Mann zehn Schritte aus dem Wege geht und die der Herr Pastor aus der Kirche verweisen kann, wenn sie sich darin blicken lassen. Einer ...«
Aber weiter brachte es Frau Janna Straußin nicht. Christine brach in ein so krampfhaftes Schluchzen aus, daß es beunruhigend wurde. Ihr Zorn und ihr Unwillen trugen so sehr den Stempel der Wahrheit und die gekränkte Unschuld sprach sich mit solcher Würde aus, daß Meister Lorenz vor Rührung an zu weinen fing und die Straußin, die das geeignete Wort nicht finden konnte, sich zum Abschied rüstend sagte:
»Es ist gut! Ich kann ja gehen. Was geht es mich im Grunde an? Meinetwegen mag die Geschichte nicht wahr sein. Ich stand nicht dabei. Aber die alte Petersen schwört darauf ...«
»Sprich den Namen des alten Weibes nicht aus, der ich alle meine Gicht in den Leib wünsche und das böse Zeug und die Pestilenz dazu! – Christine! Beruhige dich, mein Püppchen! Ich glaube von all dem Zeuge nichts und die dich jetzt so schwer kränken, sollen es dir auf den Knien abbitten. Sieh mich nicht so ingrimmig an, Schwester Janna! Deine Klatschereien machen keinen Eindruck. Ich weiß wohl, daß du darauf ausgehst, die Christine aus dem Hause zu vertreiben und einer andern das warme Nest zu bereiten; aber du hast dich verrechnet; die Christine sitzt fester darin, als je.«
Seine Rede ging zu Ende. Sie mußte zu Ende gehen, denn die, welche davon betroffen werden sollte, war auf und davon. Er wandte sich jetzt zu seiner Nichte, die sich schon völlig gefaßt hatte und schmeichelnd entgegnete:
»Macht Euch um mich keine Sorgen. Die Muhme wird es einmal bereuen, was sie Unrechtes tut, und damit bin ich zufrieden. Aber nun muß ich hinaus, denn es ist über Mittag und die Leute warten.«
Rasch entfernte sie sich und bald darauf saßen Knechte und Mägde um den wohlversehenen Tisch. Christine brachte dem Kranken seine besondere Schüssel, legte ihm schmeichelnd den Löffel in die Hand und sprach ihm tröstend zu. Als sie ihn darauf in seine Schlafkammer geleitet hatte und allein in der Stube war, sagte sie mit einem tiefen Atemzuge:
»Das ging einmal wieder vorüber. Aber lange halte ich es nicht mehr aus. Wenn der Eberhard nicht ernstlich darauf bestände, daß ich ausdauern soll, wäre ich längst mit ihm davon gegangen. Aber auf das Theater will ich. Und wenn es mir gelingt, gut Komödie zu spielen, frage ich nach allem andern nichts. Vater und Mutter habe ich nicht. Für das bißchen Essen und Kleidung, was mir die hochmütigen Verwandten geben, muß ich genug Schelte einstecken und nach der ganzen übrigen Welt frage ich nichts.«
Und als am Abend das Haus und die Werkstatt geschlossen wurden, als die Gesellen und Lehrburschen in die Bodenkammern gingen und die Mägde in die Kellerstube krochen, öffnete sich ein Dielenfenster, und Christine steckte den Kopf heraus.
»Allerschönste Jungfer,« flüsterte es von unten herauf. »Tue Sie mir die Barmherzigkeit an und öffne Sie ein weniges die Tür. Das Fenster ist zu hoch, um es mit einem Sprunge von hier aus zu erreichen.«
»Ich kann nicht,« entgegnete sie in gleicher Weise. »Der Schlüssel liegt drinnen beim Ohm und er ist noch nicht eingeschlafen. Aber morgen finde ich mich an der bewußten Stelle ein. Ich habe alles mit mir überlegt und will meinen Peinigern entfliehen. Ich bin ganz und gar die Eurige.«
»Juchhe!« erschallte es von unten herauf und eine Gestalt verschwand in dem Dunkel der Nacht. Das Fenster ward geschlossen.
*
Im holländischen Oxhoft ging es lustig her. Nicht nur die Schenkstube ward fleißig besucht; auch die letzten Vorstellungen fanden großen Zulauf und Vater Pandsen rieb sich fröhlich die Hände.
Aber die Freude über das Vorhandene war nicht so bedeutend als die Hoffnung auf das Künftige. Mancherlei Gerüchte waren in das Publikum gedrungen und wurden vergrößert von Mund zu Mund getragen. Da hieß es, Ehrwürden Johann Koch in Geesthacht hat wieder ein Stück geschrieben, welches im holländischen Oxhoft zur Aufführung kommen soll. Ein moralisches Stück, hieß es auf der Zollenbrücke, ein albernes Hanswurstspiel lautete es weiterhin auf dem Katharinen-Kirchhofe und die frommen Gemüter bekreuzigten und segneten sich. Sie hielten sich die Ohren zu, um nicht noch mehr von diesen Greueln zu hören, und fanden es unbegreiflich, daß auf den heidnischen Pastor nicht Pech und Schwefel herabregne.
Und noch ein anderes Gerücht lief neben dem ersten her, das brachte besonders die jungen ledigen Herren in Bewegung und auch die alten, verheirateten fühlten einige Unruhe im Gemüt. Der Pandsen sollte eine junge, schöne Schauspielerin ausgewittert haben, die mit Nächstem eintreffen und zuerst in dem neuen Stücke des Pastor Koch spielen solle. Es ward viel von diesem Ausbunde von Schönheit, den noch keiner sah, gesprochen und die Frau Wirtin zum holländischen Oxhoft hatte noch niemals so vornehme Kunden in ihrer Schenke gesehen, die eine Flasche Wein nach der andern bezahlten, ohne sie zu trinken und ihr dabei das rätselhafte Geheimnis abzuschwatzen suchten. Sie aber strich wohlgefällig die dargereichten Doppelmarkstücke ein, vergaß regelmäßig, das Kleingeld herauszugeben, und versicherte hoch und teuer, nicht mehr zu wissen als jeder andere; demnach sollte es einmal eine Senatorstochter aus Lübeck, ein anderes Mal eine junge Kaufmannsfrau aus Bremen sein. Sie aber halte beides für eine Lüge und wolle eher der dritten Nachricht glauben, daß die junge Dirne ein richtiges Hamburger Kind sei. Zu welchem Hause sie aber gehöre, das könne sie nicht sagen. Wer sich überzeugen wolle, möge warten und die Augen öffnen, denn die Probe müsse bald beginnen und die Schauspieler gingen allesamt durch die Schenkstube.«
Das ließen sich die Herren gesagt sein und drängten sich der Tür so nahe, daß kaum ein Mensch durch dieselbe gelangen konnte. Die Schauspieler kamen auch verkündetermaßen, Damen wie Herren, nur nicht die Ersehnte und verdrießlich gingen endlich die Neugierigen ihres Weges, um am folgenden Tage wiederzukommen.
»Die können lange warten!« kicherte die Wirtin in sich hinein, als sie das eingenommene Geld durchzählte. Eine alte, hektische Person, die hier ein Gläschen fürs Nüchterne zu nehmen pflegte, legte ihren Schilling auf die Tafel, indem sie sagte:
»Am Ende hält Sie alle die lieben schönen Herren am Narrenseil und es ist gar keine solche Komödiantin da.«
»Freilich ist sie da!« entgegnete die Wirtin mit aufgeworfenen Lippen. »Aber ihr Liebster ist eifersüchtig und geht mit ihr über den Hof.«
»Hm! Hm!« hüstelte die Alte, trank den letzten Tropfen und ging aus der Stube, um einen passenden Schlupfwinkel auszufinden, wo sie ihre Neugier befriedigen konnte.
Endlich brach der Tag an, da das vielbesprochene Schauspiel: »Die männerfeindliche Fürstin, die doch gedemütigt wird,« gegeben werden sollte. Die letzte Probe war beendet und der Verfasser, welcher dabei gegenwärtig war, gab seine Zufriedenheit darüber zu erkennen. Am meisten stellte ihn die junge Schauspielerin zufrieden, welche die Dirne gab, und er sagte ihr vieles Angenehme.
»Wie heißt Sie, liebes Kind,« fragte er und Dunkelschön, ihr zuvorkommend, entgegnete rasch: »Maienblüte, Herr.«
»Das ist ein seltsamer, in christlichen Landen eben nicht gebräuchlicher Name,« entgegnete der Pastor pikiert, da er glaubte, man wolle sich über ihn lustig machen. »Muß im Uebrigen bemerken, daß man nur dann zu einer Antwort berechtigt ist, wenn man vorher gefragt wurde. Aber den Prinzen Cesario hat der Herr Dunkelschön vortrefflich agiert und ich sage dem Herrn meinen Dank dafür.«
Der Schauspieler verneigte sich vor dem Pfarrer. Dieser betrachtete beide einen Augenblick und sagte daraus:
»Dunkelschön und Maienblüte, zwei sonderlich poetische Namen. Nun, Herr, ich hofft, man wird wissen, daß die Maienblüte ein zartes und leicht verletzliches Gewächs ist, das nur unter der liebreichsten Pflege und der treuesten Obhut zu gedeihen vermag. Ein kalter Nachthauch ist hinreichend, sie zu töten.«
»Sie soll leben, Herr, und lange und fröhlich leben!« entgegnete Dunkelschön rasch, die Maienblüte an sich drückend, und diese sah mit inniger Zärtlichkeit zu ihm auf.
»Das walte ...« sagte der Pastor und stockte dann errötend, indem er sich entfernte. Der Name Gottes wollte auf dem Theater nicht über seine Lippen.
»Nun wollen wir auch gehen,« sagte Maienblüte zu ihrem Begleiter. »Die andern sind schon alle fort und mir wird hier so beklommen.«
»Das macht die Angst vor dem Abend,« entgegnete er. »Aber nur guten Mut; es wird alles nach Wunsch gehen.«
»Wenn nur die zu Hause nichts merken,« sagte sie besorgt. »Es fällt mir mit einem Male schwer auf das Herz.«
»Einmal müssen sie es jedenfalls erfahren und darum je eher, je besser. Was kann denn Großes geschehen? Bist du doch meiner Treue gewiß, du kleine Maienblüte.«
Sie betraten den Hof. Maienblüte fuhr zusammen.
»Was ist dir?« fragte Dunkelschön.
»Das alte Weib dort! Sieh nur, wie sie humpelt.«
»Was geht dich die Alte an?«
»Ich glaube, sie zu kennen; allein ich kann mich auch wohl geirrt haben. Laß uns schneller gehen. Mich friert.«
Das junge Paar beeilte sich. Die humpelnde Alte, welche in der Schenkstube seit mehreren Tagen als Spionin sich umhertrieb, kam hinter einem Haufen Brennholz, wo sie sich bisher verbarg, hervor:
»Jetzt habe ich sie gewiß und wahrhaftig erkannt, und lasse mich nicht irre machen. Schnell zu der Straußin und meine Ware so vorteilhaft als möglich angebracht. Meine Kundinnen müssen sagen, daß sie nirgend so gut bedient werden, als von mir.«
Eine Stunde später war es, als die Gesellen des Meisters Lorenz Ramke vom Mittagessen aufstanden und in die Werkstatt gingen, uni die Arbeit wieder aufzunehmen. Der Meister, von seiner Gicht notdürftig hergestellt, war ihnen gefolgt. Er ging von dem einen zum andern, tadelte hier mürrisch, lobte dort mit einem freundlichen Wort und beschied den Altgesellen zu einer vertraulichen Besprechung. Alle tummelten sich fröhlich durch- und nebeneinander, als die Frau Straußin in die Werkstatt trat, und ohne die übliche Begrüßung ihrem Bruder mit den rasch herausgestoßenen Worten entgegentrat:
»Wo ist die Christine?«
»Was weiß ich?« war die Antwort. Der Meister fühlte sich unangenehm berührt. Früh am Morgen, als die Christine ihm das Würzbier brachte, hatte sie über Kopfweh geklagt und war deshalb, wie die Magd ihm meldete, nicht zum Essen heruntergekommen. Die Triene hatte dazu ein eigenes Gesicht gemacht. Das fiel ihm jetzt erst auf.
»Warum fragst du das?« wandte er sich zu seiner Schwester. »Sie ist oben in ihrer Kammer und hat Kopfweh.«
»Das ist nicht wahr!« entschied die Straußin.
»Die Triene hat es gesagt! He, Triene! Aber laß uns doch in die Stube gehen.«
Es geschah. Die Magd, von einem Lehrburschen herbeigerufen, folgte ihnen auf dem Fuße. Der Meister wandte sich zu ihr und fragte:
»Wo ist Christine?«
»Die Jungfer klagt über Kopfweh und hat sich niedergelegt,« antwortete die Magd, aber sie machte kein so seltsames Gesicht, als vorhin, da der Meister zum ersten Male fragte. Die Straußin sah sie so bitterböse an, daß sie den Blick derselben nicht ertragen konnte.
»So holen Sie die Jungfer, wir wollen mit ihr sprechen!« befahl die Straußin. »Rühre Sie sich! Ich habe keine Zeit.«
Die Magd entfernte sich, so rasch, als es ihr möglich war. Das Beisammensein der Geschwister war peinlich. Sie rauschte auf und nieder. Er saß brummend im Lehnstuhl. Minute auf Minute verstrich. Christine erschien nicht; auch die Triene ließ sich nicht blicken.
Endlich öffnete sich die Tür und die Magd steckte den Kopf durch dieselbe:
»Ich kann sie nicht finden!«
Sie wollte ebenso schnell wieder fort, als sie gekommen war, allein die Straußin ergriff sie beim Arm und zog sie in die Stube:
»Bekenne Sie, was Sie weiß, oder ich schicke nach der Polizei und lasse Sie nach der Roggenkiste bringen.«
»Ach Gott! Ach Gott!« schrie die Triene. »Das Unglück! Die Jungfer ist seit heute Morgen fort; aber ich weiß nicht, wohin. Und wie der Mann heißt, der draußen auf sie wartete, weiß ich auch nicht. Lasse die Frau mich los! Ich bin nicht Ihre Magd und Sie hat mir nichts zu befehlen!«
Die kräftige Dirne riß sich los und lief davon, indem sie aufschrie:
»Sie hat mir den Arm braun und blau gekniffen! Dafür soll Sie mit mir vor Gericht.«
Meister Lorenz stöhnte: »Was will mir das bedeuten? Christine! Dirne! Wohin kann sie sein?«
»Ich will es Dir sagen, wo sie ist!« rief Frau Straußin. »Zu den Komödianten in der Fuhlentwiete ist sie gelaufen. Die Petersen hat es gesagt.«
»Komme mir nicht wieder mit der alten Hexe!« eiferte der Meister. »Ich breche ihr den Hals, wenn sie mir in die Hände fällt.«
»Und doch hat dies alte Weib uns so gut bedient, daß wir verhindern können, öffentlich an den Schandpfahl gestellt zu werden. Sie soll heute Abend vor allem Volke auf dem Theater stehen und ihre Kunststücke machen. Gott erbarme sich! Ich hätte den Tod davon. Darum müssen wir es verhindern. Du so gut, als ich! Es ist unsere Schuldigkeit, sie vor dem zeitigen und ewigen Verderben zu erretten. Eile nur, denn wir müssen von Herodes zu Pilatus und Himmel und Erde in Bewegung setzen.
Dem Meister leuchtete es ein. Er warf seine Jahre und seine Gicht hinter sich, fuhr in den Sonntagsrock und stülpte den Dreimaster auf. Am Arm der Schwester verließ er das Haus und beide gingen zum Polizeiherrn.
Die Zeit verstrich, ohne daß sie sonderlich etwas ausrichteten. Hindernisse boten sich auf Hindernisse dar. Das Einzige, was geschah, bestand darin, daß der Prinzipal Pandsen befragt ward, ob sich unter seiner Bande eine Jungfer Christine Ramke befinde, welche er kürzlich angeworben, und die ein hiesiges Stadtkind sei. Die Antwort lautete, daß ein Frauenzimmer solches Namens nicht bei ihm weile. Alle Damen seines Theaters seien mit ihm von Bremen hierher gekommen und die einzige, welche in Hamburg zu der Gesellschaft getreten, sei ohne allen Anhang und heiße Jungfer Maienblüte.
Ein weiteres war für diesen Augenblick nicht zu erkunden. Die Schauspieler waren bereits in den Garderoben mit dem Ankleiden beschäftigt. Die Stunde der Aufführung rückte heran und das Publikum strömte in Massen herbei. Ein neues Stück, welches einen Pastor zum Verfasser haben sollte und eine neue Schauspielerin von unbekannter Herkunft und von ausgesuchter Schönheit: das sind zwei Eigenschaften, welche ein Publikum der Gegenwart, wie der Vergangenheit in einen gelinden Taumel versetzen.
»Geduld, meine Herren, Geduld!« sprach die Frau Wirtin vom holländischen Oxhoft, welche an der Kasse saß, mit flehender Stimme. »Hier sind drei Billets zum ersten Platz. Achtundvierzig Schilling, wenn die Herren so gut sein wollen! – Vierschillings-Plätze sind nicht mehr!«
»Billets! Billets!« rief es durcheinander. Das Publikum vor der Kasse geriet in einige Kollision mit sich selbst. Es war ein bewegliches, inhaltreiches Vorspiel, welches sich hier entwickelte.
»Greife in die Tasche, Bruder!« entschied Frau Straußin. »Wir wollen mit eigenen Augen uns von der Schande überzeugen, die über uns ausgegossen wird.«
»Das wollen wir!« sagte Meister Lorenz desperat und steuerte mit seinen schweren Beinen der Kasse zu, die noch immer umlagert wurde.
Die Frau Wirtin fürchtete, dem Sturm zu erliegen und sagte mit versetztem Atem:
»Die Achtschillings-Plätze sind auch alle. Nur noch ein Paar Billets zum ersten Platz.«
»Die gehören mir!« schrie Meister Lorenz, der glücklich alle Schwierigkeiten überwunden hatte. »Her mit den Dingern! Hier ist das Geld.«
Die Straußin war ihm auf dem Fuße gefolgt. Beide verschwanden unter der Menge, die in das Parterre drang.
Das Innere des Zuschauerraumes war wenig einladend. Der nicht allzugroße Raum wurde mit Talglichtern notdürftig erhellt. Die Wände zeigten ein schmutziges Grau. Von der Decke herab hing eine aus Tonnenreifen und welkem Laube zusammengefügte Krone, an welcher einige farbige Lampen, wie verlöschende Lichtfunken glühten. Das sogenannte Parterre war mit hölzernen Bänken besetzt; die vordersten Reihen hatten Lehnen und bildeten den ersten, die übrigen waren ohne Lehnen und bildeten den zweiten Platz. Im Hintergrunde drängten sich auf einer roh zusammengezimmerten Estrade die Inhaber der Vierschillings-Billets.
Rechts und links vom Souffleurkasten standen je sechs Lichter. Der Arbeitsmann, welcher sie anzündete, wurde mit lautem Applause von dem Publikum begrüßt. Er schwenkte zum Dank seine Mütze und schwatzte gemütlich mit den sechs Musikanten, welche das Orchester vorstellten. Der Vorhang zeigte einen großen Apfelbaum, um dessen Stamm sich eine Schlange wand. Unter dem Baume stand Eva und ließ sich einen rotbäckigen Apfel schmecken, während Adam sie trübselig anblickte. Neben ihm graste ein Schaf.
Hinter diesem Vorhange herrschte ein ebenso bewegtes Leben. Prinzipal Pandsen schritt gravitätisch auf und ab, blickte durch das in den Vorhang geschnittene Loch in das Parterre hinab und freute sich des ausverkauften Hauses. Die Schauspieler, welche in dem Stücke beschäftigt waren, begannen sich zu versammeln. Da erschien, mit geschmacklosem Flitter überladen, die männerfeindliche Fürstin, an der Hand ihres Vaters, eines vornehmen hispanischen Grafen, der sich in einen roten Friesmantel, bordiert mit goldpapiernen Tressen, gar stattlich ausnahm. Ihnen folgte Dunkelschön als Prinz Cesario, dessen Grazie die Dürftigkeit seiner Toilette vergessen ließ, und Arm in Arm mit ihm die Maienblüte, deren Schönheit so groß war, daß niemand ein Auge für die geringen Mittel hatte, welche ihr zu Gebote standen, dieser Schönheit einen höheren Reiz zu verleihen.
»Sind wir beisammen?« rief Vater Pandsen, indem er seine Schäfchen musterte.
Ein lautes Ja erscholl zur Antwort und die männerfeindliche Fürstin flüsterte mit einem Blick auf die Maienblüte ihrem gräflichen Vater zu:
»Wie sich der Affe ziert! Als wenn es mit ihr etwas Besonderes wäre!«
»Sie wird ausgepfiffen!« versicherten seine gräfliche Gnaden. »Meine Freunde drüben im Bremer Schlüssel haben es mir versprochen.«
Hinter den Kulissen, in dem dunkelsten Winkel der Bühne, saß der Verfasser des Lustspiels. Er hielt die Hand an die Stirn, als sinne er einem Gedanken nach, in Wahrheit aber drängte sich ihm das Blut zum Herzen und er war eines Gedankens nicht fähig.
Da streifte in bunter Narrentracht der Courtisan Stranitzki an ihm vorüber. Der Dichter, durch das Geräusch aufgeschreckt, sprang auf und blieb mit offenem Munde stehen:
»Wie sieht man aus? Ist das die Tracht, die dem Diener eines vornehmen spanischen Prinzen gebührt?«
»Was versteht der Herr von der Garderobe?« fuhr Stranitzki auf. »Hanswurst ist Hanswurst, er mag nun Perinus oder Jocus heißen.«
»Nennt man den Perinus einen Hanswurst?« sagte der Verfasser erschrocken.
»Wie denn sonst? Danke der Herr seinem Gott, daß ich ihn so auffasse. Und auch dafür bedanke der Herr sich bei mir, daß ich dem Perinus einige angenehme Scherze von meiner Fabrik in den Mund lege, denn sagte ich nichts als die langweiligen Dinge, die der Herr mir vorschreibt, pfiffen sie mich schon im ersten Akte aus.«
Lachend sprang er davon. Im Parterre wurde es unruhig. Das verehrungswürdige Publikum stampfte mit Füßen und Stöcken.
»Was ist dir, Liebchen?« fragte Dunkelschön, die Geliebte zärtlich an sich drückend.
»Mir klopft das Herz, als wollte es zerspringen. Ich weiß nicht, was es ist.«
»Lampenfieber, Liebchen. Das geht vorüber, wenn der Vorhang in die Höhe rollt.«
»Nein, nein! Es ist etwas anderes. Mir steht es vor Augen, als müsse mir heute Abend noch ein großes Unglück begegnen.«
»Ja, denn sie wird ausgepfiffen!« sprach pathetisch die männerfeindliche Fürstin, welche hinter ihr stand.
»Alle Mann vom Theater! Es wird aufgezogen!« rief Vater Pandsen, in die Hände klatschend.
Zwei schlechtgestimmte Geigen und eine schwindsüchtige Flöte bemühten sich, den dumpfen Wirbel einer großen Trommel zu begleiten und das Ihrige zu dem Gelingen einer Ouvertüre beizutragen, welches endlich zur Genugtuung des Publikums ein vergeblicher Versuch blieb. Da machte die in dem Winkel schwankende Baßgeige eine letzte verzweifelte Anstrengung. Unter der Wucht des riesigen Bogens seufzte die mittlere Saite. Sie setzte dem Druck des Tyrannen lebhaften Widerstand entgegen und zersprang mit gellendem Mißton. Inmitten dieser Katastrophe rauschte der Vorhang in die Höhe.
»Nun geht es los!« sagte Meister Lorenz zu seiner Schwester. »Mir ist ordentlich angst und bange.«
»Meinst du, daß ich auf einem Daunenkissen sitze?« gab ihm die Straußin zurück. »Aber gnade Gott der Dirne, wenn ich sie erst in meiner Gewalt habe. Zu dir in's Haus kommt sie nicht wieder.«
»Ich will sie nach der Schande gar nicht wieder haben,« entgegnete der Meister. »Aber ich bilde mir noch immer ein, daß die alte Petersen gelogen hat, und dann will ich dich recht auslachen.«
Das künftige Gelächter wurde von dem hellen Lachen der Gegenwart überboten. Es galt dem Perinus, der mit dem Cesario das Theater betrat, an diesem vorüber mit einem halben Purzelbaum bis an den Souffleurkasten sprang und das Publikum angrinste. Stranitzki war der erklärte Liebling der lachlustigen Hamburger jener Tage. Jedes Wort, das er sprach, wurde bejubelt. Die Reden des Prinzen gingen spurlos vorüber. Lorenz und seine Schwester sahen sich an. Sie fanden sich in einer fremden Welt.
Die Szene wechselte und die männerfeindliche Fürstin erschien mit ihren Damen. Bei dem Anblick der Frauengestalten fuhren beide rasch in die Höhe.
»Sitzen bleiben! Sitzen bleiben!« erschallte es hinter ihnen und beide, von kräftigen Händen dazu ermuntert, fielen auf ihre Bank zurück.
»Sie ist nicht dabei!« sagte die Straußin.
»Die Petersen ist ein verlogenes Mensch!« brummte Meister Lorenz.
Aber in demselben Augenblick flog ein allgemeines Ach! durch die Versammlung. Dorine, das lustige, übermütige Kammermädchen, hüpfte herein und erregte durch ihre Schönheit einen allgemeinen Aufstand. Die ersten Worte verrieten einige Befangenheit; aber eben dieses unwillkürliche Zögern der Zunge verlieh ihr einen neuen Reiz und bald flossen die Worte wie Perlen aus ihrem Munde. Um die Lippen schwebte ein schelmisches Lächeln und ein reizender Mutwille blickte aus ihren Augen.
»Da ist sie!« riefen die Geschwister wie aus einem Munde.
»Versteht sich!« sagte ihr Nachbar. »Wer sollte es sonst sein?«
»Es ist das Unglückskind!« schrie die Straußin. »Welche Schande für unser Haus!«
»Herunter da, du Teufelskind!« rief Meister Lorenz aufspringend und die drohende Faust erhebend. »Gott sei dir gnädig, wenn du dich unterstehst, noch ein Wort zu sprechen.«
Vergeblich suchten die Zunächstsitzenden die Lärmenden zu beschwichtigen. Die Geschwister wehrten sich aus Leibeskräften. Das Publikum, welches weiter zurücksaß, gebot Ruhe. Man sprang von den Bänken und aus dieselben, um besser zu sehen, was vorne vorging. Die muntern Burschen und Winkeljungen auf dem Vierschillings-Platz lachten, kreischten und pfiffen. Es entstand ein Höllenlärm.
Auf der Bühne war die Verwirrung nicht geringer, als vor derselben. Der Graf im purpurgetränkten Friesmantel rieb sich die Hände und sagte: »das sind meine Freunde aus dem Bremer Schlüssel!« Die männerfeindliche Gräfin lachte die Maienblüte höhnisch an, welche sie für immer vernichtet glaubte, und drehte ihr verächtlich den Rücken, als Dunkelschön aus der Kulisse hervorstürzte und die Geliebte, die sich nicht auf den Füßen halten konnte, mit seinen Armen auffing und fest an sich drückte.
Scheinbar hatten sich die Geschwister der stürmischen Mehrheit gefügt und geschwiegen. Allein bei diesem Anblick begann der Lärm aufs neue und Frau Straußin rief:
»Bruder Lorenz, das ist der Kerl!«
Ich will hinauf und ihn durchwamsen!« entgegnete Meister Lorenz.
»Hinaus! Hinaus!« rief es wie im Donnersturm und von allen Seiten geschah der Angriff zur gleichen Zeit. Meister Lorenz wehrte sich aus allen Kräften, aber als nun der Flötenbläser und der Trommelschläger vom Orchester aus das Angriffskorps verstärkten, mußte er der Uebermacht weichen. Dem Ausgange nahe, riß er sich nochmals los und gegen das Theater gewendet, rief er mit kreischender Stimme:
»Christine! Du Unglückskind! Ich verstoße und verfluche dich! Fahre in Jammer und Not dahin und verende am Wege!«
»Das ist meines Oheims Stimme!« schrie die Maienblüte entsetzt. »Er hat mich verflucht und vermaledeiet.«
Sie schloß die Augen. Die ganze Gesellschaft umringte die Ohnmächtige.
»Bringt mich hinauf zu ihr!« rief die Straußin, die noch immer tapfer Widerstand leistete, als ihr Bruder schon hinausgeschafft war. »Ich will sie bei den Haaren hinter mir herschleppen!«
Prinzipal Pandsen war in Verzweiflung. Er sann auf hundert Mittel, versuchte aber keines, um den steigenden Tumult zu wehren. Jetzt stürzte er auf das Theater und schrie:
»Den Vorhang herunter! Den Vorhang herunter!« Die Gardine rauschte nieder. Die männerfeindliche Gräfin, die kaum das Licht der Lampen erblickte, war vor dem Schlusse des ersten Aktes Todes verblichen.
Die Wirtin zum holländischen Oxhoft, welche mit Argusaugen ihr Eigentum bewachte, hatte in Folge einer Meldung des gegenüberliegenden Bremer Schlüssels einige Vorkehrungen getroffen, ohne an den stattgehabten Zwischenfall im geringsten zu denken. Ein Piket Stadtsoldaten erschien in dem Parterre des Theaters, besetzte den Zugang zur Bühne, welche niemand verlassen durfte, bis das Publikum aus demselben entfernt wurde. Tumultuarisch entfernte sich dasselbe mit Pfeifen und Schreien.
Der Verfasser des verunglückten Lustspiels war in Verzweiflung. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und wußte sich vor Betrübnis nicht zu lassen. Stranitzki, in der gepufften Hanswurstjacke, stand vor ihm, schnitt eines seiner tollsten Gesichter und sagte so gutmütig, als es ihm möglich war:
»Tröste sich der Herr. Es wäre ohnehin mit dem Stücke nicht gegangen, und ob es nun ein bissel früher begraben ist, als sonst geschehen wäre, das muß den Herrn nicht kümmern.«
»Es ist meine verdiente Strafe!« murmelte er vor sich hin. »Mein Herz hat seinen Stachel für das Leben!«
»Mir ist's nur leid, daß ich nicht Zeit hatte, meinen Witz von dem spanischen Wind anzubringen,« sagte Stranitzki. »Der hätte uns wieder auf die Beine geholfen.«
»Wie sie toben und wüten!« sagte der Dichter mit leisem Zittern.
»Ja, wenn die einmal anfangen, kriegt sie keiner so bald still!«
In ihrer Nähe stampfte es auf, daß der Boden erdröhnte.
»Weh uns! Was ist das?«
»Das sind die Soldaten, welche die Gewehre absetzen. Das Theater ist vom Zuschauerraum abgesperrt, allein es sollte mich nicht wundern, wenn einige tolle Burschen dennoch den Weg hierher fänden.«
»Und was würde aus mir? ...« Er vollendete die Rede nicht, denn der Courtisan unterbrach ihn:
»Ja, es wäre allerdings schlimm, wenn sie einen Herrn, wie der Herr ist, hier fänden. Das würde ein großes Gerede geben. Nun, ich kenne die Schlupfwinkel, und wenn der Herr sich nicht scheut, hier und dort durchzukriechen, bringe ich den Herrn ungesehen in das Vorderhaus, von wo der Herr dann ohne Hindernis gehen kann, wohin es beliebt. Gebe der Herr mir getrost die Hand. Es ist dunkel.«
Und der Hanswurst ergriff die Hand des Pfarrers und zog ihn hinter sich her.
Auf der Bühne lief der Direktor lamentierend auf und ab. Er fuhr alle an, die sich ihm näherten und wünschte dem Dunkelschön alle sieben Landplagen an den Hals. Durch die unsinnige Liebschaft, die er mit einem Bürgerkinde angezettelt, habe er sein Theater ruiniert; denn da die ganze Stadt sich gegen ihn erheben werde, müsse er mit einem weißen Stock in der Hand davongehen.
Dunkelschön hatte nicht Zeit, auf die Vorwürfe des Direktors zu antworten. Maienblüte war aus der Ohnmacht erwacht. Das Entsetzliche ihrer Lage ergriff sie mit voller Gewalt. Flehend bat sie den Geliebten mit überströmenden Augen, sie vor der ihr drohenden Mißhandlung zu schützen. Umsonst versuchte Dunkelschön, sie zu beruhigen, und verzweifelte bereits am Gelingen, als die Wirtin erschien und sich in's Mittel legte:
»Komme die Jungfer zu mir. Ich nehme Sie in mein Oxhoft auf und weder Rat noch Bürgerschaft soll Ihr den Aufenthalt darin streitig machen. Schäme Er sich, Monsieur Dunkelschön, daß Er so verzagt tut, einem armen Mädchen gegenüber, die keine andere Stütze hat, als Ihn. Komme Sie, Jungfer, ich will Ihr eine Herberge anweisen.«
Die Wirtin führte Christine fort. Da die Ruhe überall hergestellt war, zogen die Stadtsoldaten ab und ließen zur Sicherheit einen Posten zurück. Ueberall sprach man bis in die Nacht hinein von der nicht gesehenen Komödie des Pfarrers.
*
Seine Ehrwürden Herr Johannes Koch war in nicht besonders heiterer Stimmung zu Geesthacht angelangt. Das Los eines ausgepfiffenen Theaterdichters ist ein herbes. Dreifach herber ist es, dulden zu müssen, daß ein Schauspiel verurteilt wird, bevor es noch die Bretter beschritt. Mit bekümmerter Miene ging er in dem Garten der Pfarre auf und ab, ein Buch in der Hand, welches er leise in die Tasche gleiten ließ, als die Frau Pastorin erschien. Sie hatte vorhin mit einigen Nachbarinnen gesprochen und war nicht gesonnen, ihren Eheherrn so bald zu verlassen.
Das Gerücht von den Ereignissen in der Fuhlentwiete war auch bis nach dem stillen Dorfe gelangt, das fern von der großen Heerstraße träumerisch an der Elbe liegt. Die von dem Markte heimkehrenden Männer und Frauen hatten die Glocken läuten hören, doch wußten sie nicht den Ort anzugeben, wo sie hingen. Ihnen war nur bekannt, daß ihr Pastor dabei beteiligt, und da sie den Herrn, der in der Gemeinde sehr beliebt war, hoch in Ehren hielten, traten sie zu der Frau Pastorin mit der Bitte, Ehrwürden zu raten, sich vor dem bösen Volke in acht zu nehmen, das ihm eins anhängen wolle. Er möge lieber von Hamburg wegbleiben, oder zu seinem Schutze ein paar kräftige Männer aus der Gemeinde mitnehmen, denn der Herr Pastor wisse wohl, daß er sich auf seine Geesthachter verlassen könne.
»Ich bitte dich, Ilsabe,« entgegnete Johannes Koch, als seine Frau sich notgedrungen eine Pause gönnte, »lasse es endlich genug sein. Ich habe dir alles haarklein erzählt und du warst ruhig. Nun haben dir einige furchtsame Weiber wieder etwas in den Kopf gesetzt und der beigelegte Kampf beginnt auf's neue. Ich habe die Komödie von der männerfeindlichen Fürstin geschrieben, wie so manche andere. Daß es damit ein klägliches Ende nahm, ist ein Unglück, aber keineswegs ein von mir verschuldetes. Noch weniger ist es ein Verbrechen, wie du es dir gern in deinem Kopfe zurechtlegen möchtest. Ehe ich die Arbeit begann, erzählte ich dir den Inhalt und nachher habe ich dir Szene um Szene vorgelesen. Wie kommt es, daß eine Sache, die damals deinen Beifall fand, jetzt die entgegengesetzte Wirkung macht?«
Die Frau antwortete hierauf nichts und der Pastor fuhr fort:
»Der Augustin Moreto war ein frommer Mann und der Liebling seines Königs. Die hohe spanische Geistlichkeit, zu welcher er gehörte, hatte nichts gegen seine Komödien einzuwenden und hielt ihn hoch in Ehren. Welches verdammenswerte Tun kann also begangen werden, wenn man solche Komödie aus dem Spanischen in unsere Muttersprache übersetzt, damit auch wir des Genusses teilhaftig werden?«
»Ich kann dir darauf keine Antwort geben,« sagte Frau Ilsabe, »allein ich vermag den Gedanken nicht los zu werden, daß es eine Sünde ist, für die Komödianten zu schreiben, die doch alle miteinander Vagabunden sind. Außerdem sind die Spanier und also auch dein Don Augustin Katholische, mit denen ein rechter lutherischer Pastor keinerlei Gemeinschaft haben soll.«
»O Frau! Frau!« entgegnete der Pastor mit erhöhter Stimme. »Wie lebst du nun schon so lange mit mir unter einem Dache, hörst täglich und stündlich meine Stimme, die niemals ein unrechtes Wort zu dir sprach, und stehst mir doch so fern, daß ich dich kaum abzureichen vermag. Aber ich danke Gott, daß er mir bei aller Weichheit des Herzens einen festen Sinn gegeben hat und daß ich nicht von dem weiche, was ich einmal für gut und recht erkannt habe.«
»Was meinst du damit?« fragte die Pastorin rasch.
»Du denkst in deinem Sinn, ich müsse nicht nur alle meine früheren Theaterstücke verleugnen und mich nie wieder herbeilassen, eine solche Arbeit zu beginnen.«
»Das wäre gewiß ein gottgefälliges Werk und eines Seelenhirten würdig!« sprach Frau Ilsabe.
»Ich aber sage dir, daß es nicht geschehen wird. Meine dramatischen Gedichte sind, wie meine Predigten, die Kinder meines Geistes und ich werde nicht verleugnen, was meinem Geiste entsprungen ist. Ebensowenig werde ich meine Feder ruhen lassen, sondern denke vielmehr, sie binnen kurzem mit einem wichtigen Gegenstand zu beschäftigen.«
»Nein, daran denkst du nicht!« sprach sie lebhaft und klammerte sich unwillkürlich an ihn. Er zog das Buch, welches er vorhin verbarg, wieder aus der Tasche und sprach:
»Don Pedro de la Barca Calderon war ein kastilianischer Edelmann von hoher Abkunft und einer der großen geistlichen Würdenträger. Er herrschte wie ein Fürst der Kirche und schrieb zugleich für das Theater seines Volkes Werke des unvergänglichen Ruhmes.«
»Du verspottest das Luthertum, indem du es mit den Katholischen hältst!« eiferte die Pastorin. »Mann, gehe in dich, so lange es noch Zeit ist.«
Johannes Koch war von seinem Gegenstande so sehr erfüllt, daß er auf die Worte der Frau nicht weiter achtete, sondern das Buch aufschlagend, fortfuhr:
»Dies ist eines der schönsten seiner Geistesblüten: »Der weise König Basileus, oder der traumhafte Prinz.« Dieses wunderbare Gedicht, welches mich schon seit langer Zeit beschäftigt, müßte eine großartige Wirkung tun, wenn es vergönnt wäre, die Melodie der Sprache mit demselben Wohlklange in der Uebersetzung ...«
Der Pastor wurde in seiner Begeisterung auf eine nicht angenehme Weise dadurch unterbrochen, daß seine Frau ihm das Buch wegriß und es mit beiden Händen festhielt:
»Du sollst dergleichen katholische Bücher nicht lesen; nun und nimmer nicht. Ich sorge schon dafür, daß sie dir nicht wieder vor Augen kommen. Ich will auch nicht müde werden im Ermahnen und im Warnen, wozu mir Gott helfen möge, damit du endlich loslassest von diesem Lebenswandel, der dich nur in Unehre bringt und dich in Gemeinschaft setzt mit allerlei bösem Volke, das dir fern bleiben sollte in Ewigkeit. Lässest du nicht in Zeiten von ihnen, so werden sie sich immer fester an dich klammern und dich erst loslassen, nachdem sie dich verderbten.«
Die Pastorin ahnte nicht, wie nahe es daran war, daß ein Teil dieser Worte sich erfüllen sollte. Die Magd kam in aller Hast gelaufen und meldete, daß zwei Fremde, ein Mann und eine Frau, angekommen wären und auf den Herrn Pastor warteten.
Die Pastorin begleitete ihren Mann in das Haus, indem sie sagte:
»Der Besuch wird dich aus andere Gedanken bringen. Vielleicht eine Gutsherrschaft aus der Nachbarschaft, die irgend ein Anliegen hat.«
Die Pastorin sagte es, allein sie schrie vor Schrecken laut auf, als bei ihrem Eintritt in die Wohnstube ein junges Mädchen mit aufgelöstem Haar sich dem Pastor zu Füßen warf und ausrief:
»Rettet mich, ehrwürdiger Herr, und bringt mich zu Ehren, sonst bin ich verloren und muß jämmerlich umkommen.«
Johannes Koch war in der äußersten Verlegenheit. Er vermochte kein Wort zu sagen und suchte vergeblich, sich von dem Frauenzimmer loszumachen. Da kam ihm der junge Mann zu Hilfe, der das Mädchen vom Boden aufhub und dazu sagte:
»Du sollst nicht vor ihm knieen, wenn er auch ein Geistlicher ist. Durch sein Lustspiel sind wir in dieses Trauerspiel geraten und es ist seine Schuldigkeit, uns daraus zu erlösen.«
»Wehe! Wehe! Die Werke des Satans tragen ihre Früchte!« klagte die Pastorin.
Der Pastor hatte sich auf einen Stuhl niedergelassen. Er sammelte mühsam seine Gedanken und sagte zögernd:
»Dunkelschön und Maienblüte! Ihr seid es?«
»Namen, die in keinem christlichen Kalender stehen!« jammerte die Pastorin.
»Wir sind es,« sagte Dunkelschön. »Mir zur Liebe ist die Maienblüte auf das Theater gegangen. Wie es damit ablief, ist dem ehrwürdigen Herrn bekannt. Zu ihren Verwandten darf sie nicht zurück. Tagelang wandern wir auf und ab im Lande, von Dorf zu Dorf. Jetzt können wir nicht weiter. Maienblüte ist von der ungewöhnlichen Anstrengung erkrankt. Unsere Barschaft ist aufgezehrt. So stehen wir vor Euch und fordern von Euch, daß Ihr uns christlich zusammengebt, damit wir als Mann und Frau nach Hamburg zurückkehren und Maienblüte sich vor den Leuten mit mir zeigen kann.«
Maienblüte streckte flehend die Arme nach der Pastorin aus und sagte:
»Ihr habt Mitleid! Ich sehe es, daß Ihr mit einer Unglücklichen und Verlassenen Mitleid fühlt. Bittet Euern Mann, daß er tut, was wir von ihm erflehen, damit ich vor der Welt zu Ehren gebracht werde.«
»Es ist doch ein Funken von Scham in diesen Dienern des Baals!« sagte die Pastorin. »Man darf nicht säumen, denselben zur hellen Flamme anzufachen.«
Sie richtete einen minder strengen Blick auf das zerknirschte Mädchen und sprach zu ihrem Eheherrn:
»Willst du sie im Elend verkommen lassen und sie dem Teufel vollends in die Arme werfen? Oder willst du ihnen eine barmherzige Hand reichen und sie auf den Pfad der Tugend zurückführen? In deiner Macht steht es jetzt, zwei Verlorene für den Himmel wieder zu gewinnen, oder sie noch tiefer hinab zu stoßen und für immer zu verlieren.«
Johannes Koch hatte mancherlei Bedenken, allein Frau Ilsabe wußte sie in ihrem heiligen Eifer so siegreich zu bekämpfen, daß er endlich seufzend sagte:
»Sei es denn! Begehe ich eine Sünde, daß ich ein junges Geschöpf mit einem Manne unauflöslich verbinde, ohne daß die Verwandten derselben dazu ihre Einwilligung geben, will ich es büßen und diese Buße als eine wohlverdiente Strafe in Demut hinnehmen. Man gönne mir Zeit, mich zu sammeln; in einer Stunde soll euer Wille geschehen.«
Der Abend dämmerte herein. Zwei jugendliche Gestalten schritten durch den Garten des Pastorates, von dem Geistlichen und dessen Frau geleitet. Sie entfernten sich mit vielen Danksagungen, und als Koch dem jungen Manne den Trauschein einhändigte, sagte er zu diesem:
»Bewahret dieses Dokument wohl. Ich habe es in aller Form ausgefertigt und werde es vertreten vor der Welt. Wandelt nun eure Straße in Frieden.«
Die Beiden gingen. Als der Geistliche mit seiner Frau in das Haus zurückkehrte, sagte die Letztere:
»Ich danke dir, Johannes, daß du gut gemacht hast, was noch gut zu machen war. Du sprachst von einem traumhaften Prinzen, der am Ende einer langen Nacht zum bewußtvollen Leben aufersteht. Gleiche diesem Prinzen und laß diesen Abend den letzten traumhaften gewesen sein, der sich in einen hellen Morgen verwandelt, der keine Irrung zuläßt.«
Der Pastor erwiderte hierauf nichts, aber er drückte seinem Weibe die Hand und ging in seine Kammer.
*
Der Böttchermeister Lorenz Ramke hatte wieder einen seiner bösen Anfälle. Dies steigerte seinen Zorn und er verwünschte die Christine einmal über das andere. Er hatte alles aufgeboten, die Flüchtigen aufzufinden, allein bis jetzt war jede Anstrengung vergeblich, wodurch seine Unruhe sich fortdauernd steigerte.
Lorenz Ramke stand mit seinem Zorne nicht allein. Die ehrsamen Bürger und Meister, die mit ihm auf einer Stufe standen, fühlten sich in seiner Person gekränkt. Was ihn, geschah, das konnte unter Umständen auch ihnen geschehen und sie würden alle ihre Genossen aufbieten, gemeinsam diesen Affront zu rächen. Darum traten sie sämtlich auf seine Seite und verlangten mit steigendem Trotz, daß sich das Gesetz des Beleidigten annehme und ihm die gebührende Genugtuung schaffe.
Prinzipal Pandsen stand unter der Anklage, ein ehrsames Bürgerkind aus dem Hause ihrer Verwandten und auf sein Theater verlockt zu haben. Dringend wies er die Anklage zurück und erklärte den Tatbestand. Nun sollte er den Eberhard Lohse, genannt Dunkelschön, der des Verbrechens bezichtigt ward, zur Stelle schaffen, oder die Strafe, die jenen betroffen haben würde, selbst erleiden. Die Aussichten trübten sich. Der unselige Lenker des Thespiskarren verwünschte das holländische Oxhoft, dessen schwankende Bretter unter ihm zusammenzubrechen drohten.
Während der Zeit näherten sich die beiden Neuvermählten der Stadt. Sie befanden sich, infolge ihrer längeren Wanderung, in einem Zustande, der ihr Erscheinen am hellen Tage bedenklich machte. Man überlegte, ob es nicht geraten sei, während der langen Sommernacht im Freien zu verweilen, und bei dem ersten Morgengrauen das Asyl in der Fuhlentwiete aufzusuchen.
Dunkelschön war nicht in der besten Laune. Er widersprach seinem Weibe entschieden und wollte stets das Gegenteil von dem, was sie vorschlug. Widerspruch erweckt Widerspruch. Er zog es vor, nach einem entfernt gelegenen Orte zu wandern, und von dort aus seine Rechte geltend zu machen. Sie wollte nach Hamburg zurück, um durch beharrliches Bitten den Zorn des Oheims zu bezwingen und seine Verzeihung zu erhalten. Als Dunkelschön diesen Vorschlag von sich wies, ward sie bitter und sagte:
»Wohl mit Unrecht begehrst du stets Könige und Feldherrn zu spielen. Auf dem Theater ist es nicht schwer, groß zu tun vor den Leuten, denn da ist keiner, der dir etwas anhaben kann. Aber in der Wirklichkeit wird dir bange und du willst nur darum nicht hinein, weil du fürchtest, es könne dir jemand mit der geballten Faust entgegentreten, bevor du einen Winkel fändest, in welchen du dich verkriechen könntest. Du gebärdest dich wie ein furchtsamer Knabe statt wie ein Mann zu handeln, der sein schwaches Weib verteidigen soll.«
Das war zuviel für Dunkelschön, in dessen Adern Soldatenblut rollte und der selbst einst die Muskete getragen hatte. Er blitzte die Maienblüte mit seinen dunklen Augen an, daß es ihr fast wehe tat und sprach zu ihr:
»Für das Wort sollst du mir Buße tun, aber erst will ich dir beweisen, daß ich nicht feige bin, sondern dem Feinde wohl die Stirn zu zeigen vermag. Jetzt gehen wir stehenden Fußes nach Hamburg und geradeswegs in das Haus deines Oheims. Ich bin gefaßt auf alles.«
Beide erhoben sich und beschritten den Weg, der zur Stadt führte, um daselbst in dem Hause des Meisters Lorenz Ramke zu erscheinen.
Bei diesem befand sich ein Gewerbsgenosse, der Großböttchermeister Werkenthien, der zugleich Bürgerkapitän in der Kolonelschaft von Sankt Nikolai war. Er hatte unter den Seefahrern, für die er arbeitete, vielerlei Bekannte und wußte Auswege zu finden, die nicht jeder finden konnte oder mochte. Werkenthien hatte sich seines Gewerbsgenossen lebhaft angenommen, weil er den Affront, welcher demselben ward, tief empfand, und sagte:
»Es ist nicht ratsam, den Zweig vom Baume zu schneiden, denn er wächst von neuem und wird kräftiger als zuvor. Besser ist es, man rottet den Baum mit Stumpf und Stiel aus und wirft ihn ins Feuer, dann verweht der Wind die Asche und es ist nichts übrig, was von seinem früheren Dasein Zeugnis gibt. Was Ihr mit der Theaterjungfer im Sinne habt, weiß ich nicht und denke, daß Ihr am besten tut, diese Sorge Eurer Schwester, der Frau Straußin, zu überlassen. Dem Burschen aber, der Euch so schwer kränkte, und damit der ganzen Bürgerschaft in das Gesicht schlug, wollen wir eine Rolle zuteilen, die ihm bis an sein Lebensende zu schaffen machen soll.
»Was meint Ihr damit? Es ist ein neumodisches Wort dabei, was ich nicht verstehe.«
»Ich meine damit die holländischen Werber,« entgegnete der Bürgerkapitän. »Euer Lehrbursche, der Gottfried, ist einer der schlauesten Gesellen, die wir bei unserm Gewerbe haben. Vor einer Stunde kam er zu mir und meldete, daß er die Spur der Flüchtlinge, die Geesthacht schon vor mehreren Tagen verlassen haben, gefunden hat. Sie sind auf dem Wege zur Stadt, und sobald sie dieselbe betreten, wird dafür gesorgt, daß sie nur die Straße einschlagen, welche wir sie führen.«
Der Bürgerkapitän hatte recht. Kaum waren Maienblüte und Dunkelschön durch das gewölbte Tor geschritten, als ein ohrenbetäubendes Geschrei sich erhob. Von allen Seiten her stürmten die Winkeljungen herbei und schlossen das Paar so dicht ein, daß es nicht von der Stelle konnte. Maienblüte zitterte und klammerte sich fest an ihren Mann. Diesen übermannte der Zorn, und den Knittel aufhebend, der ihm zum Wanderstabe diente, machte er Miene, sich seiner Haut zu wehren. Dreifach ärger als vorhin tobten die wüsten Schreier. Die Buben sprangen an ihm empor und hingen sich an seine Arme. Sie krochen ihm zwischen den Beinen durch und hielten sie umschlungen. Sie packten ihn am Gurt, daß er sich nicht zu rühren vermochte und vor Wut mit den Zähnen knirschte.
Lehrbursche Gottfried, der schweigsame Lenker der tobenden Schar, der seine Myrmidonen am Schnürchen hatte, trat vor Dunkelschön hin und sagte:
»Ergebt Euch im Guten, sonst geht es Euch an den Hals. In der Komödie, welche Ihr jetzt spielen sollt, kommen keine Frauensleute vor und darum müßt Ihr Euch schon entschließen, Euern Weg allein fortzusehen. Vorwärts, Ihr da!«
Dunkelschön machte eine letzte vergebliche Anstrengung. Maienblüte ward von Gottfried festgehalten. Die Winkeljungen schlossen einen engen Kreis um den tobenden Schauspieler, der ein dumpfes Geheul ausstieß. Von der Steinstraße her erschienen mehrere bewaffnete Bürger. An ihrer Spitze marschierte der Bürgerkapitän, welcher Lorenz Namkes Freund und Gewerbsgenosse war. Hinter den bewaffneten Männern gingen ein paar Kerle, die eine richtige Galgenphysiognomie zur Schau trugen. Es waren zwei Handlanger der holländischen Werber.
Je näher die Bewaffneten kamen, je mehr erweiterte sich der Kreis, den die Straßenjungen um den Schauspieler gezogen hatten. Der Bürgerkapitän trat auf diesen zu und sagte:
»Ihr folgt mir!«
»Was wollt Ihr von mir?« fragte Dunkelschön, schwer aufatmend. Die Stimme versagte ihm und jener fuhr fort:
»Eure ganze Bande ist ausgewiesen, wegen frecher Ruhestörung und bei schwerer Pön ist ihnen untersagt, einzeln oder in Gemeinschaft hierher zurückzukehren. Euch aber, als dem Haupträdelsführer, zeigt mal den Weg, den Ihr zu gehen habt und wird für eine tüchtige Geleitschaft sorgen.«
Der Bürgerkapitän trat zurück und an seiner Stelle erschienen die beiden Männer mit den abschreckenden Physiognomien rechts und links von dem Schauspieler. Sie schlossen sich fest an ihn an und auf einzelne, unzusammenhängende Worte, die er ausstieß, sagte einer:
»Spart Euch die Fragen, auf welche keine Antwort erfolgt. Ihr erfahrt alles früh genug, wenn Ihr erst an Bord seid ...«
»Am Bord!« stöhnte Dunkelschön.
Es war sein letztes Wort in Hamburg. Man brachte ihn in eine Spelunke nahe am Hafen, im Angesicht eines Schiffes unter holländischer Flagge, welches bereit war, nach dem Texel zu versegeln.
Als Dunkelschön von seinem Weibe getrennt war. sagte der Bürgerkapitän zu dieser:
»Jungfer Christine Ramke ...«
Christine bezwang die Furcht, welche sich ihrer bemächtigte und entgegnete:
»Christine Lohse ist mein Name.«
»Von Eurer Heirat wird keine Notiz genommen,« war die gleichgültige Antwort. »Ihr seid eine verlaufene Dirne und werdet als solche behandelt. Bei Eurer Muhme, der Frau Straußin, ist schon Quartier für Euch bestellt. Gottfried, tue deine Schuldigkeit.«
»Die tue ich, darauf kann sich der Meister verlassen!« sagte dieser und nahm Christinens Arm, indem er sagte:
»Seid so gut und geht geduldig mit mir, sonst haben wir alle Jungens auf der Ferse und ich bin nicht stark genug, sie von mir abzuschütteln.«
Langsam ging es dem Brauhause der Frau Straußin zu.
Dorthin hatte sich auch Meister Lorenz Ramke begeben und trat zu ihr in die Wohnstube.
»Warum bist du gekommen?« fragte die Straußin barsch. »War es nicht ausgemacht, daß ich allein sie empfangen sollte?«
»Schwester Janna,« sagte der Meister. »Schilt nicht mit mir, weil ich das gegebene Wort nicht halten kann. Ich habe die Christine so lieb gehabt, daß ich sie noch einmal sehen muß. Es ist mir schwer genug geworden, dir deinen Willen zu tun, also tue mir nun auch den meinigen.«
»Es kommt nichts Gutes dabei heraus,« grollte die Braumeisterin. »Sie wird schreien und heulen und du wirst dich von ihr beschwatzen lassen.«
»Fürchte das nicht!« sagte Meister Lorenz Ramke ernst. »Sie hat mich so sehr beleidigt, daß ich es nie vergessen kann und sie nicht mehr um mich haben will. Aber ich bin Manns genug, ihr das selbst zu sagen, und darum bin ich hierher gekommen.«
Das wüste Schreien, welches von außen hereindrang, verkündigte, was nahe bevorstand.
Da trat Christine ein. Ihr erster Blick fiel auf ihre Muhme, die mit zornglühenden Augen vor ihr stand. Vor diesem Anblick erstarrte das Blut in den Adern zu Eis und so mitleidswürdig war das arme junge Weib, daß Meister Lorenz Ramke, der sich etwas zurückgezogen hatte, einen bangen Seufzer nicht unterdrücken konnte.
Christine schaute auf. Sie erkannte den Ohm und warf sich ihm zu Füßen:
»Ihr seid hier? Ihr!«
»Ja, du Unglückskind!« sprach er leise. »Ich bin hier, um deine Schande zu sehen.«
»Und mich in Gnaden aufzunehmen.«
»Nein!« entgegnete er fest. »Ich bin gekommen, dir zu sagen, daß du mir einen Kummer bereitetest, der an meinem Leben nagt und bald genug ein Ende mit mir machen wird. Du sollst deine Strafe dafür empfangen und in Demut büßen, was du im Uebermut sündigtest. Dies ist dein Urteil und dort steht die Vollstreckerin desselben.«
Er deutete auf seine Schwester Janna und diese murmelte vor sich hin:
»Es soll ihr kein Tüttelchen davon geschenkt werden!«
Christine bebte bei dem Laut dieser Stimme zusammen und sagte:
»Sie schickt mich in den Tod!«
»Du sollst nicht sterben, du sollst büßen!« entgegnete Frau Janna Straußin.
»Gnade! Gnade!« wimmerte Christine, indem sie die Knie des Oheims umklammerte. Dieser machte sich von ihr los und sagte:
»Ich bin ein kranker, kinderloser Greis, der sich auf dich stützte, wie auf ein eigenes Kind. Die Stütze ist gebrochen und ich tat einen Fall, von dem ich mich nicht wieder erheben werde. Keine Gemeinschaft ist mehr zwischen uns beiden. Aber ich sage dir, daß ich als ein guter Christ dir das Herzeleid vergebe, welches du mir antatest und daß ich den Fluch, den ich auf dein schuldbeladenes Haupt herabschleuderte, zurücknehme. Ich vergebe dir aufrichtig und will Gott bitten, daß er dich zur Erkenntnis kommen lasse und die Reue in deiner Brust erwecke. Fahre hin, unglückliches Kind und trage die Strafe, die dein Vergehen verdient, in Demut.«
Meister Lorenz Ramke entfernte sich, taub für das Flehen der Aermsten. Als die Tür hinter ihm zufiel, brach Christine aufkreischend zusammen. Frau Janna Straußin schaute sie einige Momente mit einem vieldeutigen Blicke an. Es schien fast, als bemächtige sich ihrer ein Gefühl, welches sie bei dem Bruder verdammte. Aber diese Empfindung war nur vorübergehend. Mit einem gewaltigen Ruck riß die starke Frau die Christine bei dem Arm empor:
»Fort mit dir!«
»In den Tod?« schrie diese.
»Du sollst nicht sterben, du sollst büßen, hat mein Bruder dir gesagt!« entgegnete die Straußin. »Und ich, als die Vollstreckerin seines Willens habe für das Kämmerlein der Büßerin gesorgt.«
Sie führte Christine hinaus auf die Diele und stieg mit ihr in den Keller hinab. Draußen war niemand zu sehen. Knechte und Mägde waren im voraus sorgfältig entfernt. Frau Janna Straußin wollte keine Zeugen. Eine halbe Stunde später kehrte sie allein aus dem Keller zurück.
Selbigen Tages war ein Schiff unter holländischer Flagge, welches unterhalb Altona auf dem Strome lag, mit vollen Segeln an Cuxhaven vorübergesteuert. Als es die Kugelbaak passierte, durfte eine Anzahl von Passagieren, die bislang im Raume saßen, das Verdeck betreten. Es war einer darunter, der die Arme sehnsüchtig nach dem Ufer ausstreckte.
Das war die letzte Szene der Komödie des Pfarrers. Wenn der Vorhang wieder aufrollt, entwickelt sich aus derselben die erste Szene des Jan Blaufink.