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Das Jahr 1862 bedeutete, wie in Heyses Leben, so in seinem Schaffen, einen tiefen Einschnitt und eröffnete in jedem Betracht einen neuen Abschnitt. »Mit dem Weibe meiner Jugend hatte ich meine eigene Jugend zu Grabe getragen« – mit diesen schwermütigen Worten schließt Heyse selbst die Schilderung jener Jahre ab.
Die Werke der Jugend eröffnete im Jahre 1849 das Märchenbuch »Der Jungbrunnen«; es waren Geschichten, die der junge Student den halbwüchsigen Kuglerschen Kindern im Dämmerschein zur Rüste gehender Abende oben in den Mansarden des Hauses erzählt hatte, und die er nun schwarz auf weiß noch einmal zusammentrug. Unter allen Schöpfungen Heyses ist diese wohl die am meisten im spezifischen Sinn, und nicht im besten, berlinische. Die wundersamen Elemente des Volksmärchens werden mit allerlei geistreichen Ideen, soweit selbst begabte Jugend deren eben fähig ist, vermischt, es wird zwischen holden Wundern mit ironischer Kälte gescherzt, und man meint herauszuspüren, daß Heinrich Heine in jenen Jahren zur Lieblingslektüre des Primaners und Studenten, wie der damaligen Primaner und Studenten überhaupt, gehörte. Rein erklang zwischen die oft sehr seltsam gemischten Tonwellen hier und da ein zartes, jugendlich frisches Lied, das denn auch rasch seine Vertonung fand. Im ganzen hat 18 der Dichter selbst schon nach ganz kurzer Zeit an keinem seiner Werke weniger Freude empfunden, als an diesem, und bei einer dringend verlangten neuen Ausgabe seinem Unbehagen an diesen Märchen und Nichtmärchen eines Großstadtkindes, das zur Großstadt noch keine Distanz gewonnen hatte, lebhaften Ausdruck gegeben. Selbst die spätere Umarbeitung hat diesem Erstling kein dauerhafteres Gerüst geben können, mit Ausnahme eines reizenden kleinen Stücks »Der Veilchenprinz«, das mit einer sehr keuschen Schlichtheit und Zartheit in Blume und Falter ein rasch vergehendes Liebesleben von unerfüllter Sehnsucht verbildlicht – freilich hat hier die Hand des Reifgewordenen wohl später mehr getan, als nur die Geschichte neu »untermalt«.
Im Jahre 1854 sammelte Heyse dann unter dem Titel »Hermen« eine Anzahl Versdichtungen, die seit dem Jahre 1849 entstanden waren. Die ersten zwei bringen knappe, romanzenhafte Stoffe in epischer Formung, »Margherita Spoletina« (1849) den tragischen Tod einer Schwester der Spoletini, die Ragusa beherrschen. Es ist das alte Heromotiv, nur gewandelt: das Mädchen durchschwimmt das Meer zur Insel des niedern Geliebten und geht in den Wogen zugrunde, da die wegweisende Leuchte von den stolzen Brüdern, die den Mann erschlagen haben, auf einem Kahn irrlichtgleich weitab ins Meer geführt wird. Die Knappheit, mit der hier alles gezeichnet ist, ist zu bewundern, wenn sich auch hier und in der gleichfalls tragisch aushauchenden »Urica« (1851) der Vers noch nicht so schmiegt, noch nicht so viel gebändigten Rhythmus hat, wie in den wiederum drei Jahre jüngeren »Idyllen von Sorrent«. Sie sind ganz und gar den frischen Eindrücken des einzigen Fleckchens Erde entquollen. Nun wird 19 das Beiwort weit charakteristischer, der Dichter fragt, wie er in die »tödliche Ferne« hinaus ein lebendiges Wort senden soll, und er weiß in Ernst und Scherz das leichte Völkchen seiner Gastfreunde in seine Distichen zu bannen.
Dir, dir will ich es sagen, Geliebteste, will ich es klagen,
Was wie des Meerwinds Hauch leise das Blut mir empört.
Solche gleich einer Perlenschnur abrollende Meisterverse stehen hier, wie sie sich finden in der schönsten dieser kleinen Dichtungen »Die Furie«. Sie ist 1853 in Rom entstanden und zeigt im Aufbau deutlich den Einfluß der bildenden Künste, in denen Heyse, wie so viele große Epiker, auch selbst als sehr begabter Dilettant zeichnend diente. Hinter einem Flüchtling stiebt durch Wetter und Graus ein Häuflein Furien. Einer jungen löst sich das Schuhband, sie bleibt zurück, sucht, findet den verlorenen Schuh nicht und will bei einem Sandalenmacher einen neuen erstehen. Sie tritt ins Haus und verlangt von dem Meister, daß er, der sie bis zum anderen Tage warten lassen will, sogleich den Schuh anfertige. Er tut es, und während er das Maß nimmt, tritt seine Braut ein, deren Eifersucht eine beklommene Stimmung hervorruft. Nach dem Nachtmahl geht das junge Mädchen, und der Meister erzählt der kleinen Furie, die ihre Schlangengeißel wohlweislich verbirgt, von der Braut und den Träumen seiner Zukunft.
Da lauschte das Hexchen begierig,
Und das verwilderte Herz wurde gezähmt und gerührt.
Selber verstand sie es kaum. Denn es hatte die grimmige Mutter
Von klein auf sie gewöhnt an die entsetzliche Jagd
Hinter dem sündigen Fuß. Nun hörte sie Worte der Liebe, 20
Ach, und die Rinde sogleich schmolz von dem Herzchen gelind.
Sacht vom Schemel erhob sich die Liebende, schlich zu dem seinen,
Und ihr schüchterner Mund küßte die Wange des Manns
Nur wie ein Hauch. Schon wollt' er erzürnt sich gebärden und schelten –
Zürnt auch ernstlich ein Mann, welchen ein Mädchen geküßt?
In diesem Augenblick tritt die Braut wieder ein, und in emporlodernder Eifersucht hebt sie die Schlangengeißel, die ihr gerade in die Augen fällt, und schlägt auf die verschüchterte Furie los, die hilfeflehend des Mannes Knie umschlingt. Er aber schilt heftig auf die Schlagende ein, und in dem Augenblick, da er ihr die Geißel entwinden will, stürmt das grauenvolle Rudel der Furien ins Haus, die vermißte Schwester zu suchen. Sie reißen die mit sich, in deren Hand sie die Geißel sehen, und die kleine Hexe ist nun mit dem Manne allein. Ihre Bitte, sie zu behalten, wird nicht umsonst getan sein.
Die Erfindung dieses kleinen Stücks ist im Grunde schlicht, aber reizvoll sind die wenigen Motive miteinander in knappster Form zu einem eng verflochtenen Ganzen verbunden. Während etwa in der letzten Dichtung der »Hermen«, der Puppentragödie »Perseus«, das ernsthaft Tragische mit dem gewollt Ironischen der Puppentragödie in einem ungelösten Konflikt liegt, ist hier unter all diesen Jugendpoesien am reinsten Form und Gehalt sich gleich geworden.
Die Kunstform, zu der Heyses epischer Vers nun vordrang, war die Novelle in Versen, die er, immer wieder zur alten Jugendliebe zurückkehrend, auch in 21 späteren Jahrzehnten gern meisterte. Aber er war freilich weit entfernt von der überquellenden Versseligkeit, mit der andere Münchener Dichter jeden Stoff, unbeirrt durch seine fordernde Eigenart, in das Gewand leicht hinfließender Reime bannten. Im Verhältnis zu den Prosanovellen bleibt die Zahl der Heysischen Verserzählungen klein, und immer nur da, wo ein farbiger Stoff sich wie von selbst dem Rhythmus des Hexameters oder, in späteren Jahren besonders gern, der Terzine anzuschmiegen schien, gab ihm Heyse sein Recht. Nur einmal im Grunde tat er einen Fehlschlag, als er (1856) in allzu breiter Weise und nicht ohne etwas gezwungenen Humor das lange Gedicht von der »Braut von Cypern« sang. Dafür entschädigte er (1858) durch die leichten, wiegenden Ottaverime der »Hochzeitsreise an den Walchensee«. Man wird überhaupt die Einbürgerung dieses schönen italienischen Strophenmaßes in Deutschland auf die Münchener zurückführen dürfen. Bis dahin klang dem deutschen Ohr der feierlich ernste Tonfall von Goethes Zueignungen, seines Epilogs zur Glocke, seiner »Geheimnisse« als der im Grunde einzige, dieser Versform gehörige Glockenton, wenn nicht die Zauberromantik Ernst Schulzes, immer noch feierlich genug, ihr Horn erschallen ließ. Die rechte Biegsamkeit, die tragisch zu schreiten und humoristisch zu gleiten weiß, erlangte die herrliche welsche Strophe erst jetzt, vor allem durch Heyse und nach ihm durch Hopfen, bis sie, so schmeidig geworden, in unseren Tagen durch Liliencron fähig ward, auch das Instrument des neudeutschen, durch den Impressionismus gegangenen Seelenlebens zu werden.
Ernster als die »Hochzeitsreise« ist die metrische Dichtung »Thekla« (1858). In neun Gesängen gibt Heyse das Geschick einer Griechin, die zur Christin wird und 22 ihr Christentum nach mannigfachen schweren Schickungen in jenem Augenblick zuerst bewährt und zugleich als tiefsten Herzenshalt empfindet, da sie, um für den Heiland zu wirken, einer rasch emporkeimenden Liebe zu dem entsagt, der sie dem neuen, beseligenden Glauben zugeführt hat. Trotz aufregenden Schicksalen ist auch in diesem Gedicht wieder die Einfachheit zu vermerken, mit der Heyse die Handlung einführt, über Höhen und Tiefen weiterleitet, fast im Wortsinn, denn sie beginnt draußen auf der Höhe vor der Stadt, führt durch sie und ihr Leben hindurch und endet wieder draußen unter Gottes freiem Himmel im Rückblick auf das Gewesene, im Ausblick in eine glaubensfrohe und werktreue Zukunft.
Der Hexameter Paul Heyses ist ebenso lebendig wie seine Ottaverime, so lebendig, daß er schulweiser Anfechtung nicht entgangen ist. Denn Paul Heyse empfand, daß auch dies Maß, um dem deutschen Dichter zu dienen, sich dem deutschen Lautgesetz einzufügen habe, weil es nur dann natürlich herauskommt. Als ein Gymnasialprofessor, dem durch Nennung des Namens zu unverdientem Ruhme zu verhelfen der Dichter vermieden hat, ihn tadelte, hat er ihm in klarer Auseinandersetzung Grund und Berechtigung seiner Freiheit dargelegt.
Meine Hexameter tadelst du mir und schüttelst bedenklich
Dein skandierendes Haupt, so oft ein schnöder Trochäus
Oder ein Daktulus dir, ein schwerhinwandelnder, aufstößt.
Der Dichter fühlt sich in der Tat schuldig, aber im anderen Sinn:
Mit meinen Hexametern wär' ich
Selbst wohl besser zufrieden, – dafern sie schlechter gerieten.
Hab' ich doch einst mit saurem Bemühn die geduldige Thekla 23
Sanft zu befreien versucht vom lähmenden Zwang der Korrektheit,
Froh um jeden bequemern Fuß, auf welchem die Rede
Mit treuherzig behaglichem Gang hinschlenderte, nicht mehr
Künstlich die Zehen gespreizt und die römischen Pas nachzirkelnd.
Er schilt, daß den Knaben die Platensche Zucht auf der Schulbank fest in die Ohren geschmiedet worden sei, und, ohne den Toten schmähen zu wollen, empfindet er dessen unfruchtbares Mühen um den fremden Verstakt als eine leise Entfremdung von der Heimat.
Nicht goldwägerisch mißt nach Gran und Skrupel den Lautwert
Unser germanisches Ohr, den Sinnwert wägt es vor allem.
Wo sich der Verstakt feindlich entgegenstemmet dem Wortton,
Gönnen wir diesem den Sieg, es soll statt ruhigen Aufbaus
Kein Aufbau uns begegnen und nicht Freiheit statt der Freiheit. –
Heyses Verleger war von Anbeginn der Besitzer der früheren Besserschen Buchhandlung in Berlin, Wilhelm HertzIm Jahre 1901 sind Heyses Werke mit dem gesamten Hertz'schen Verlage an die Cotta'sche Buchhandlung übergegangen.. Bei einem späteren Anlaß hat der Dichter einmal launig die erste Anknüpfung mit dem Geschäftsmann geschildert:
Den Tag vergess' ich nie, ihr heil'gen Musen,
Da ich zum erstenmal als junger Fant,
Ein unmoralisch Trauerspiel im Busen,
Voll Scheu an des Verlegers Schwelle stand.
Unheimlich schien mir nie in solchem Maße
Das Eckhaus: Behren- und Charlottenstraße. 24
Dies »unmoralische Trauerspiel« hatte Paul Heyse aus Bonn mitgebracht, es hieß »Francesca von Rimini«. Es war die Frucht der starken Umwälzung, die sein ganzes Wesen, seine Anschauung von der Kunst und vom Dichter erfahren hatte. Das, was seiner Natur in den Berliner Dichterkreisen, denen er angehörte, in Wahrheit nicht entgegenkam, hatte er mit Bewußtsein abgelegt, und vollends von der frühreifen, etwas spielerischen Ironie der Märchen des »Jungbrunnens« mochte er nun so wenig wissen, daß er die Eltern und Freunde daheim beschwor, das Pseudonym des »fahrenden Schülers«, der auf dem Titelblatt stand, nicht zu lüften. »Aus der Gärung aber,« schreibt er selbst, »in der mein dichterisches Gemüt sich befand, rang sich dann ein Trauerspiel ›Francesca von Rimini‹ hervor, ganz im Banne der Shakespeareschen Kunst befangen, doch bei aller jugendlichen Unreife wenigstens von einem starken, leidenschaftlichen Hauch durchweht und mit einer so ernst gemeinten Rücksichtslosigkeit zu Ende geführt, daß, der es geschrieben, darin eine feierliche Absage gegen die ästhetische Kleinmeisterei des Tunnels und seiner eigenen ›Jungbrunnen‹-Poesie getan zu haben schien.«
Man vermag in der Tat dies fünfaktige Jugenddrama nicht besser zu charakterisieren, als der Dichter selbst es hier im Altersrückblick getan hat. Vielleicht noch, daß man mit Adolf Sterns Worten hinzufügen darf, wie in dem unreifen Werk Heyse »ein lebendiges Gefühl für die Wurzeln der süßen Sünde an den Tag legte«, ganz unbekümmert um die ästhetischen Doktrinen, sozusagen um den literarischen Anstandston seiner Zeit. Mitten zwischen die langsam heranreifenden Versepen gestellt, wirkt das Stück in der Unbekümmertheit, mit 25 der die Leidenschaften sich aussprechen, neu und stark, wenn es auch, ganz unbefangen und unhistorisch heute für sich vereinzelt aufgenommen, nicht mehr so wirken kann. Jugend verleugnet sich ja nie, und auf der holden Francesca, ihrem Gatten und ihrem unglücklichen Freiwerber ruht noch ein Duft jener rüstig rücksichtslosen Schaffenskraft. Und noch Heyses nächste Tragödie »Meleager« (1854), der von ihm innig verehrten, großen Schauspielerin Julie Rettich gewidmet, zeigt deutlich die Linie, die in jener Francesca begann. Die Gestalten stehen in freier Luft, nicht durch Zwischenspieler verbunden, heben sich mit einer finsteren Deutlichkeit vom Hintergrunde ab, aber auch ihr Zusammenspiel ergibt noch kein volles Leben, so wenig wie das der »Pfälzer in Irland« (1854), eines Stückes, mit dem Wildenbruchs »Mennonit« in naher Verwandtschaft steht. Und Heyse empfand selbst, daß erst am Ende dieser seiner ersten Schaffenszeit ihm langsam auch im Drama der innere Erfolg zuwuchs, den die preisgekrönten »Sabinerinnen« (1858) mit der leidenschaftlichen Gestalt der Hersilia noch nicht gewährten. Im Jahre 1859 erschien »Elisabeth Charlotte«, 1861 »Ludwig der Bayer«. Es war nicht nur die Rückkehr aus der Renaissance und der antiken Sage zu Gestalten von unserem Fleisch und Blut, die Heyse hier dem Siege näher brachte, sondern die reisende Kraft, die mit den Elementen des Dramas und nun auch der Bühne besser fertig zu werden wußte. In dem ersten Stück ist es im besonderen die Gestalt der Herzogin selbst, die von allen Seiten gesehen, auch mit allen ihren Lebenskräften handelt und duldet. Wir schauen selbst, was ihre Feindin Maintenon von ihr bekennen muß: 26
Sie hat das Handwerk der Wahrhaftigkeit
Zu lang betrieben, um auf einmal jetzt
In Künsten der Verstellung groß zu sein.
Diesem Stück ward denn auch zum erstenmal ein unbestrittener Erfolg auf der Bühne, der den »Pfälzern« versagt blieb. Bescheiden führt Heyse einen Teil dieses günstigen Eindrucks darauf zurück, daß die Heldin des Stückes eben die in allen Anfechtungen deutsch gebliebene pfälzische Prinzessin Liselotte war.
Den Stoff zu dem Schauspiel »Ludwig der Bayer« (das Emanuel Geibel in alter Freundschaft zugeeignet wurde) fand Heyse ja nicht nur in der gemeindeutschen Geschichte, sondern vor allem auch in den stolzesten Erinnerungen seiner neuen Heimat; wie wenig das Werk in seinem wahrhaftigen Aufbau freilich dem Hause Wittelsbach zu seinem höheren Ruhm geschrieben schien, lehrt die Geschichte der Vorlesung im königlichen Kreise, dessen erlauchtes Haupt bei aller seinen Herzensgüte eine Mißstimmung über die unhöfische Charakteristik des Helden nicht unterdrücken konnte – zum Hofmann, das fühlte der Dichter bei diesem Anlaß mehr als je, war er eben verdorben. Und dabei lebt doch dieser Ludwig, der so kräftig und schlicht durch die Welt geht, daß wir in ihm Züge des jetzigen schlichten Verwesers des Königreichs Bayern familienhaft zu finden meinen, so ganz deutsch, so menschlich vornehm, wie wenige Helden unseres neueren geschichtlichen Dramas. Dreifach ist das Gegenspiel, das hier die Helden gegeneinander führt: Ludwig, der ruhige, sachliche, kaum ehrgeizige, aber deutsche Bayer, steht, beharrlich in der Ausübung ihm zugewachsener Rechte, einmal gegen den Jugendfreund Friedrich den Schönen von Österreich; seine Liebe zu dem schmächtigeren Freunde trägt die 27 Züge einer männlichen, auch durch Enttäuschung nicht aus ihrer Bahn verrückbaren Zuneigung. Friedrichs Liebe zu ihm – wie fein fügt sich das schon zu dem überkommenen Beiwort des »Schönen« – ist die eines eifersüchtigen, weiblichen, mehr südlich und mehr katholisch empfindenden jüngeren Mannes, der erst durch den Kampf mit dem einst so heiß Geliebten und dann mit dem Haß enttäuschter Liebe Verfolgten zum Manne wird; er lernt erst seine Gefühle sparen für den großen und rechten Augenblick im Streit mit Ludwig. Und zu diesen beiden tritt neben der nicht ganz herausgekommenen, völlig romanisch glühenden Isabella, Friedrichs Gemahlin, die interessanteste Gestalt des Stückes, Leopold, Friedrichs Bruder. Man kann nicht sagen, daß er des Schwächeren böser Dämon ist, er ist nur ein guter Hasser und ein maßlos ehrgeiziger Habsburger, der in seiner Hausmacht und im Streben nach ihr für den Bruder zugleich sein einziges Recht sieht. Wie der Schwerkranke zusammenbricht, als Friedrich, durch einen neuen Eid freiwillig an Ludwig gebunden, aus der Gefangenschaft zurückkehrt, das ist der größte Auftritt des knappen, ebenso dramaturgisch durchdachten wie dichterisch durchempfundenen Schauspiels. Friedrich beschwört ihn, den er doch nie ganz verstanden hat, »das Neidgefühl zu bändigen«:
Doch am jüngsten Tage,
Wo uns der König aller Könige
Vor seinen Reichstag fordert, Leopold,
Da würd' ich dieses Bluts nicht schuldig sein,
Ich nicht, der sich gesühnt. Du aber, Bruder,
Wie willst du vor des Richters Blick bestehn,
Wie ihn versöhnen, der du lebenslang
Von Sühne nichts gewußt? 28
Leopold
Ich will ihm sagen:
Du schufst ein Herz mir in den Busen, Herr,
Zu wahrhaft, seine Lieb' und seinen Haß,
Solang es zuckte, jemals zu verleugnen.
Du wirst dem Strom es nicht zur Sünde rechnen,
Daß er zu Tal fließt und am Berge staut,
Ingleichen mir nicht, daß ich Friedrich liebt'
Und Ludwig haßte. Hassest du nicht auch
Den Luzifer, der wider deine Macht
Sich aufgelehnt? So haßt' ich diesen Bayern,
Dieweil er Habsburg nach der Krone stand.
Sühne mit ihm, o Herr? Eh' nicht dein Sohn
Dem Satanas den Mund zum Kusse reicht,
Reißt mir die Zunge aus, die Wittelsbach
Ein gutes Wort gönnt, einen andern je
Als König grüßt, denn diesen meinen Herrn.
Und wenn du darum mich von deinem Thron
Verwirfst, o Herr, so ist dein ew'ges Reich
Nicht besser als dies irdische, ein blind
Verworrner Knäul von krausen Widersprüchen,
Den nur der Haß mit seinem Schwert zerhaut.
Um solch gewaltige Aussprache heißer Leidenschaften lebt in eisernen Zeiten das Volk, vor allem das Volk Münchens, und die Lanzknechtschaft, vor allem der Ritter Schweppermann, ein unpathetisches Leben, nirgends ohne Humor, den besonders die Bürger Münchens in diesem Bayernstück zu vertreten haben, das in seiner deutschen Kraft leider unseren Bühnen viel zu fremd geworden ist.
Berühmter als dies alles freilich machte Heyse eine Novelle in Prosa, die, gleichfalls noch eine Frucht des ersten italienischen Aufenthaltes, in seinem ersten Novellenbuch im Jahre 1855 erschien: »L'Arrabbiata«. 29 Und wenn es für uns, die wir späterer Früchte des Dichters froh sind, vielleicht nicht den vollen, überraschenden Schlag mehr besitzt, wie für die Zeitgenossen, so ist in der Tat dies leidenschaftliche Gegenstück zu den »Idyllen von Sorrent« ein überaus reizvolles und noch heute in Jugendfrische strahlendes dichterisches Erlebnis. Ganz einfach wieder fängt die Handlung an: ein Morgen vor Sonnenaufgang am Sorrentiner Felsenufer, ein kleines Gespräch über den Pater, der nach Capri hinüberfährt, der Pater selbst mit dem rudernden Antonino, und nun Laurella, die gleich bei ihrem Spottnamen L'Arrabbiata gerufen wird und noch in der letzten Minute ins Boot springt. Und dann die Rückfahrt in der Mittagshitze, die ungestüme Werbung, bis schließlich der Bursche in seinem Paroxysmus nach dem ihn kalt abweisenden Mädchen greift. Sie beißt ihn in die Rechte und springt ins Wasser. Erst da er sie an ihre einsame Mutter erinnert, schwingt sie sich wieder ins Boot. Aber da der helle Mond den in Schmerzen daliegenden Burschen in der stillen Kammer aus halbem Schlaf weckt, tritt Laurella ein, ihm Heilkräuter zu bringen, und nun ist ihr Trotz gebrochen, der sich unverständig gegen die längst aufgekeimte Liebe gewehrt hat, und sie verläßt ihn für heut mit den wundervoll zwischen Liebe, Trotz und Schalkhaftigkeit einherfliegenden Worten: »Gute Nacht, mein Liebster! Geh nun schlafen und heile deine Hand. Und geh nicht mit mir, denn ich fürchte mich nicht, vor keinem, als nur vor dir.« In ein paar Zeilen spricht der Padre das Schlußwort, wie Unbeteiligte die Eingangsworte sprachen.
In den gleichen Duft von Heiterkeit und Schmerz und in die gleichen, jedes Gewölk durchdringenden Sonnenstrahlen blühender Jugend ist die etwas ältere 30 Novelle »Marion« getaucht, und es sei gleich dabei bemerkt, daß wir keinen deutschen Erzähler haben, der die Namen seiner Helden und Heldinnen so klangvoll, so einschmeichelnd und dabei doch so wie selbstverständlich wählt, daß sie niemals gesucht erscheinen: Marion, Jorinde, Judith, Abigail, Lottka, Victoire, Garzinde, und wie sie alle heißen. Marion stammt aus den Studien des romanischen Philologen, sie ist die Gattin eines der Poeten der guten Stadt Arras unter Ludwig dem Heiligen und singt sich mit des Dichters eigenen Versen dem ungetreuen Gatten wieder ins Herz.
Vertiefter erscheinen die Herzenskämpfe in anderen Novellen dieser Jahre. In »Helene Morten« (1857) zieht freilich die schön eingestimmte Umgebung, in der Helene Mortens Gatte seine und ihre Geschichte erzählt, mehr an als diese Geschichte selbst, aus der der Charakter der seltenen Frau doch nicht ganz deutlich wird. Aber in den »Blinden« erleben wir das Wachsen einer früh geborenen und durch Schmerzen gekrönten Liebe mit leidenschaftlicher Stärke. Von zwei blinden Nachbarskindern ist das Mädchen nicht geheilt worden, weil es, um den geliebten Knaben endlich zu sehen, zu früh den schützenden Verband von dem des Lichtes ungewohnten Auge nahm. Als Erwachsene finden sie sich fürs Leben, erkennt der Mann, wo seines Herzens Heimat ist. Und nur das bringt einen unreinen Klang in die Novelle, daß theologische Zwistigkeiten zwischen dem Helden, einem jungen Pfarrer, und seinem Vater und Amtsgenossen hineinspielen, die wir hier als ganz unmotiviert empfinden. Es mochte den jungen Dichter drängen, schon hier etwas von dem eigenen religiösen Bekenntnis niederzulegen, aber es hat noch lange gedauert, bis er dafür die Form gefunden hat. Und auch 31 die römische Novelle »Am Tiberufer« (1853) leidet in der Reinheit ihres Konturs durch das Hineinschlagen von persönlichen Glaubenskämpfen, zu deren wirklicher Überwindung und Durchfechtung doch nicht der Raum bleibt, während sie uns die Geschichte der menschlichen Herzen ein wenig verstellen, die der Erzählung eigentlicher Kern ist. Wenn über den in den letzten Jahren dieses Zeitraums entstandenen »Meraner Novellen« (1862 bis 1863) (»Unheilbar«, »Der Kinder Sünde, der Väter Fluch«, »Der Weinhüter«) etwas wie eine leise Unfreiheit liegt, so gewann Paul Heyse in der Novelle »Im Grafenschloß« die volle Höhe der Künstlerschaft als Novellist.
»Im Grafenschloß« (1861) ist eine doppelte Ich-Novelle. Aus Universitätserinnerungen von Bonn her, wie sie in dem Spätband »Menschen und Schicksale« ohne Verschleierung der Namen emportauchen, spinnt Heyse hier einen Faden, an dem er sich auf einer Wanderung zu einem in tiefen Waldgründen einsam gelegenen Grafenschloß findet. Auf schlecht gehaltenen und verwachsenen Wegen gelangt er mühsam an das plötzlich erwählte Ziel. »Ich klomm eine alte, breitästige Buche hinan und überblickte nun erst die Gegend. Ein tiefer und sehr regelmäßig ausgerundeter Talkessel lag mir zu Füßen, den in prachtvollen dunkelgrünen Wogen die dichteste Buchenwaldung wie ein tiefer See ausfüllte. Unten ganz in der Mitte erhoben sich einige Zinnen und Schornsteine des Schlosses, über dessen Dächern die Wildnis zusammenschlug. Es hatte etwas Märchenhaftes, in der klaren Herbstabendsonne die Wetterhähne auf den kleinen Türmchen blitzen zu sehen, wie man von versunkenen Zauberpalästen erzählt, deren letzte Zinnen bei klarer Luft aus dem Meeresgrunde 32 auftauchen. Dazu erscholl nirgends ein Laut des Menschenlebens, die Spechte scheiteten eintönig im Wald, ein sorgloses Reh lief an mir vorüber und sah mich mehr verwundert als erschrocken an, und in allen Ästen wimmelte es von dreisten Eichhörnchen, die mit den Hülsen der Bucheckern nach dem Eindringling zielten.«
Aufs sorgsamste ist so die Stimmung vorbereitet, in der wir mit dem Dichter, den es nach Kunde von dem alten Jugendfreunde verlangt, das Schloß betreten. Und hier setzt nun, nachdem wir in die wenig zahlreiche Hüterschaft des Besitzes einen nicht eben erfreulichen Einblick getan haben, die zweite Ich-Erzählung ein: die alte Flor, die Beschließerin und einst die Wärterin des jungen Grafen, erzählt, warum der einst so stolze Sitz verlassen liegt. Der junge Graf hat nach der Rückkehr von einer großen Bildungsreise eine immer noch im Herzen getragene Jugendgeliebte, die er ganz aus der Ferne angebetet hat, in dienender Stellung im Hause gefunden; da er ihr sein Geständnis macht, entdeckt er, daß sie seinen Vater, dessen zügelloses Leben plötzlich auf dem Schloß zur Ruhe gekommen ist, im Herzen trägt. Nur Flor hat aus dem Munde Gabrieles auch erfahren, daß sie dem älteren Grafen, nachdem er sie gegen eine pöbelhafte Beschimpfung mit seinem Blute verteidigt hat, schon längst im stillen angehört. Und nun nimmt der Sohn vom Vater Abschied, und in einer Szene, die Flor belauscht, bittet er ihn, Gabriele, deren Neigung er ja erkannt hat, zu seiner Gattin zu machen. Um des Vaters Widerstand zu brechen, verzichtet er förmlich auf dies Schloß und seine Gründe zugunsten der Stiefmutter und ihrer etwaigen Nachkommen. Aber erst, da beide erfahren, daß sie, um nicht zwischen Vater und Sohn zu stehen, zerrissenen Herzens entflohen ist, 33 gewinnt in dem Älteren die Liebe dem Stolze das Letzte ab, und Gabriele wird eingeholt und lebt Jahre des Glücks an der Seite des geliebten Mannes, dessen jähen Tod sie nicht lange überdauert. Der junge Studienfreund des Dichters aber hat fern in Schweden ein neues, stilles Glück gefunden und mag die alten Stätten verwirrter Tage nicht wieder sehen.
Das nackte Geripp, herausgeschält aus dem blühenden Leben dieser Geschichte, zeigt wiederum eins: die Schlichtheit, mit der Heyse seine Linien führt. Was an fortreißenden oder aufhaltenden Elementen mitspielt, gehört immer ganz organisch zum Gang der Handlung, und wenn Überraschungen hineinschlagen, so sind es die, die uns das Leben selbst immer wieder bietet, und deren im Grunde gesetzmäßigen Eintritt wir rückblickend wohl empfinden. Sehr zu bewundern ist an dieser Novelle die künstlerische Durchführung der doppelten Rahmenerzählung. Was Heyse, der Wanderer, selbst berichtet, ist anders getönt, als was die alte Flor bringt, und ihre Erzählung ist nicht etwa Notbehelf, sondern sie bringt erst die Knappheit des Ganzen heraus; dadurch, daß wir nur erfahren, was ihre beiden Augen sahen und ihre beiden Ohren hörten, gewinnt diese sich über viele Jahre erstreckende Erzählung eine außerordentliche Einheitlichkeit, wird sie völlig zur Novelle, obwohl einleuchtet, daß der Stoff, weiter gebreitet, auch ohne Zwang einen Roman ergeben hätte. Heyses klare Einsicht in die Formen der Kunst offenbart sich hier aufs stärkste. Die Lauschszene ist so natürlich begründet, so ungezwungen herangeführt, daß nicht einen Augenblick der Gedanke kommen könnte, den wir bei Schwächeren so oft haben: hier hat die Verlegenheit einer unsicheren Kunst Gelegenheit gemacht. Und in allem, was diese 34 alte Seele mit der einfachen Bildung und der feinen Empfindung, der tiefen Anhänglichkeit erzählt, erzählt sie, nicht eine beliebige dritte Person, der aus Bequemlichkeit in den Mund gelegt wird, was in direktem Widerspiel zu schaffen der Erzähler zu schwach war. Und immer bleibt, ganz im Sinne der Überschrift, das Schloß, sein Hof, sein Wald, seine Bäume, seine Berge, selbst seine Dienerschaft und sein Getier etwas wie der historische Held, dessen Schicksal, wie es bei jenem ersten Anblick den herannahenden Fußgänger seltsam berührte, über dem Schicksal des einzelnen steht und, da er es verläßt, immer wieder als die Bühne dieser Begebenheiten ihm und nun uns vor Augen bleiben wird. 35