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Drittes Kapitel.
Fortsetzung. Noch einmal der Volksmann. Die drei Freunde.


Der Auflauf war zu Ende gegangen, und zwar, auf die Art und Weise, wie bereits der »schöne Fritz« verbittert und schneidig vorhergesagt: den Sensenmännern war in Allem vollständig entsprochen worden. – Hierauf hatten sich, wie es in Deutschland zu gehen pflegt, die Straßen wiederum geleert, dagegen die Wirthshäuser gefüllt. Wein und Gerstensaft waren sehr begehrt, die Wirthe hatten guten Verdienst, und selbst die konservativsten Bürger unterhielten sich bei'm Schoppen so kordial und gemüthlich, als ob gar nichts vorgefallen wäre. War man doch der Zusammenläufe, Volksversammlungen, Sturmpetitionen und Nachtzüge mit und ohne Fackeln seit anderthalb Monden so sehr gewohnt worden!! Dachte man doch so ganz und gar nicht daran, daß aus dergestaltigen Bewegungen ein bittrer, wo nicht gar ein blutiger Ernst werden könne! Ein bischen Lärm und drum ein friedlich Verträgniß – so war es bis daher immer gehalten worden! Also [41] weg mit schwarzen Grillen und wohlgemuth in die Zukunft geschaut! Das Leben und das Eigenthum des Bürgers war allerdings bisher unangetastet geblieben; selbst die paar Katzenmusiken, die in Freiburg aufgeführt worden, waren ohne größern Skandal vorübergegangen, hatten höchstens ein paar Fensterscheiben gekostet; – der deutsche Volkscharakter – in der That ein nicht genug zu lobendes Element, wenn gut gepflegt, hatte sich bewährt. Munter also und des Lebens sich gefreut! das war der Wahlspruch aller Tage und aller Abende geblieben, und so auch an dem verhängnißvollen Gründonnerstag 1848, dem Vorläufer von noch viel verhängnißvollern Zeiten.

Der Zufall wollte, daß derselbe Civilist, und derselbe Soldat, von deren Gespräch Leuenwirths Annele eine Phrase vernommen, nach dem Auflauf, der sie getrennt, wieder zusammentrafen, und zwar ungefähr auf demselben Platze, wie früher. – Sieh' doch, Lenhard, schon wieder? hob der Vetter Melchior an: Jetzo darf's nicht ohne einen Trunk abgehen; wir beide werden müde und durstig seyn. Laß' uns in jenes Lokale eintreten, und da für heut die Arbeit gethan, ein Stündchen noch verplaudern nach Herzenslust! – Meinetwegen denn, versetzte der Soldat: bleiben wir ja doch nur bis Morgen zusammen! –

Während sie dem Gasthaus – demselben wo Gündermann und Tochter eingekehrt – zuschlenderten, fragte Melchior, der schon von Neustadt aus bekannt, neugierig: Nur bis Morgen? ei warum denn, Vetter Lenhard?

Hm! Drum muß ich Morgen mit meinem Detachement in St. Georgen einrücken; sagte der Lenhard. Wir werden abgelöst, und bleibt nur so viel Mann [42]schaft hier, als nöthig, um die Kaserne nothdürftig zu besetzen und die Zuchthauswache abzugeben.

So, so? machte Melchior, und sah sich, da sie in die Zechstube eintraten, nach einem stillen Plätzchen um. Im Hintergrunde des Gemachs waren auch richtig ein paar Tische, die noch nicht besetzt, oder doch wenigstens bereits verlassen worden. Der Advocat zog seinen Vetter dorthin. »Da können wir ungestört das Maul gehen lassen;« sagte er. – Was zur Labung der Durstigen gehörte, war schnell genug da, und nach dem ersten »Wohl bekomm's!« trat das Gespräch in seine Rechte ein, und handelte begreiflicherweise alsogleich von den Auftritten des Abends. –

Ha, das mundet! ha, das schmeckt! sprach Melchior, behaglich den Schnauzbart streichelnd: Hat auch Müh' und Hatz genug gekostet am heutigen Abend. Doch ist Gottlob das Volk in seine vollgewicht'gen Rechte wieder eingetreten, und Wehe dem, der ihm die Waffen wieder entreißen möchte!! – Warum schüttelst du den Kopf, Vetter?

Weil ich nicht einsehe, warum denn ein Jeder, der auf zwei Beinen lauft, und noch nicht sechzig Jahre alt ist, eine Waffe schleppen soll; entgegnete Lenhard: Das ist mir zu rund, das ist mir zu hoch. Haben wir denn Krieg? Und dann – wozu sind wir Soldaten da? Noch obendrein Waffen, wie diese Sensen und dergleichen. Damit kann ja nicht der erste Anlauf ausgehalten werden. Ein Dutzend Schützen aber blasen Euch die Sensenträger weg, ehe sie nur von denselben gesehen und bemerkt werden!

Darauf will ich dir dienen, mein Junge; hob Melchior feierlich an: Die Leute um uns her schreien [43] und lärmen bedeutend. Desto besser. Um so vertraulicher reden Wir zusammen, und braucht uns Niemand zu hören. Man weiß oft nicht, wer unser Nachbar ist, und der Teufel ist ein Schelm; um so größer und wilder und tückischer immerdar, wenn sich's just um die Freiheit handelt, die vom Himmel stammt, und nicht aus dem Abgrund.

Sapperlot, du redest ja wie ein Pfaff, der seine Prämiz hält, oder wie das Ding heißt; lächelte Lenhard: laß aber deine Weisheit einmal recht los, damit ich wisse, woran ich bin.

Wird eben aufgetragen ganz warm, Vetter Lenhard. Zuvörderst sag' ich dir, daß wir wirklich im Kriege sind: gegen die Feinde aller Vernunft, aller Tugend und aller Bürgerlichkeit. Den stillen Krieg haben wir schon längst geführt: mit der Zunge geführt, die ein scharfes Werkzeug. Wir haben längst gelehrt und gewiesen, längst offene Ohren und Herzen gewonnen. Heute ist's anders; was die Zunge gesäet, muß das Schwert, das eiserne Schwert ärnten, und da der Widersacher Viele und Mächtige, bedürfen wir auch der Schnitter viele und unverzagte. »Das ganze Deutschland soll es seyn:« heißt es im Patriotenliede; – und daher müssen's auch alle, alle Deutsche seyn, die für ihr Vaterland zu den Waffen greifen. Wir nicht im Krieg? sagst du? Ei ja was wäre denn die Bataille von Kandern, von der die Heuler jetzo so viel fabeln? Das ist der Bürgerkrieg, der schrecklichste von allen; – im Bürgerkrieg fließt das Blut der Brüder, des Vaterlands Herzblut! Verstehst du das, Söldner der Gewalt?

Hm, hm! brummte Lenhard, und rückte bewegt [44] das Glas hin und her, und schlug scheu die Augen nieder.

(Zu derselben Frist trat ganz in seiner Nähe aus einer Seitenthür der Leuenwirth von Hirzenbach, um in der Stube Platz zu nehmen. Alsobald jedoch gewahrte er des Soldaten, der seinerseits nichts von ihm verspürte, und zog sich ohne Verweilen wiederum zurück. Melchior hatte ebenfalls den Leuenwirth nicht bemerkt, weil demselben den Rücken kehrend, und sehr versunken in die Predigt, die er dem Vetter hielt, und worinnen er also fortfuhr:)

Nun thu' ich einen Schritt weiter, indem ich dir sage, daß die Soldaten ohne Zweifel zu dem Ende in der Welt sind, daß sie streiten für die Heimath gegen die Fremdlinge, gegen die Unterdrücker von Außen, gegen Franzosen, Russen, Dänen und Türken. Aber sie sollen auch das Schwert ziehen gegen die Unterdrücker im Lande, und schonen sollen sie dafür des Bluts ihrer Brüder und Landsleute! Wer aber sind die Unterdrücker im Lande? Das sind die Herren von Gottes Gnaden, man sollte sie eher »von Gottes Zorn« tituliren, wenn's überhaupt ... doch davon später. Gegen jene Herren kehret Eure Waffen, ihr mißbrauchte Söldner der Tyrannei! Das will ich sagen – und der Dank des Vaterlands ist Euch gewiß!

Wo denkst du hin, Vetter! sagte gleichsam schaudernd der Lenhard: Unsere Waffen gegen unsern Kriegsherrn?

Pah, pah, komm' mir nicht mit abgenützten, abgeschmackten Dingen, die schon in die Rumpelkammer der seligen Vergangenheit gehören! erwiederte Melchior giftig: Die Welt soll neugeboren werden, und du [45] kommst mir mit solchem Firlefanz? Euer Kriegsherr! Ja, vor Zeiten hatte das Wort eine Bedeutung; da zog er vor dem Heere, an der Spitze des Volks gegen den Feind, selbst ein Krieger, selber trotzend dem Tod in der Schlacht. Heutzutage – du armer Narr – bleibt der Kriegsherr in seinem warmen Neste sitzen, während seine Söldner draußen hungern und frieren; von seinem Blute gibt er nicht einen Tropfen her, während er den Blutschweiß des Volks unerbittlich verschlingt; während er ...

Du magst Recht haben, Vetter, unterbrach Lenhard eifrig ... aber: siehst du wohl ... der Eid, der Fahneneid ...

Laß' mich ungeschoren mit dem Eid; fiel nun Melchior ein: es gibt Eide und Eide, und selten sieht einer dem andern gleich. Man sollte zusehen, zuvor, wem man den Eid zu leisten hat. Doch konnte man bis daher Euch das nicht zumuthen, Euch Schlachtopfern der Tyrannei, da ihr ja gepreßt wurdet zum Waffendienst eines Sklaven, da man Euch gefangen hatte im Netz des Gesetzes, eines Gesetzes über Tod und Leben, so grausam, wie noch nie eins gegeben worden, so lang die Welt steht. Darum muß es auch fallen; die abscheuliche Konskription muß untergehen, und Bürger an Bürger sich freiwillig reihen zum Opferdienst für Herd und Vaterland!

Ei, ich auch bin freiwillig eingetreten; bemerkte Lenhard, dem ob den Reden des Vetters ganz duselig wurde.

Desto schlimmer, desto schlimmer! rief Melchior mit Hohn: hab' dir das schon dazumal zu Neustadt gesagt ... und hätt' ich gewußt warum, aus welchen Gründen [46] du deine Freiheit – deine Seligkeit, möcht' ich sagen, wenn was dahinter wäre, verpfändet, verhandelt, verschachert hast, ich hätte nicht geruht, bis der Kauf und Vertrag rückgängig gemacht worden wäre! Ein hübscher braver Kerl, wie du, der um eines Weibes willen, um einer Zänkerei willen mit einem schwachsinnigen Greisen, sein freies Leben für ein paar Heller hintansetzt ...

Du, Melchior, nur nicht wieder von dem Weibe anfangen! mahnte Lenhard, der bleich wurde und zu zittern anfing.

Aber Melchior ließ sich nicht irre machen, und fuhr fort: Wenn's doch wenigstens eine Schönheit wäre, das Weib, die Kunegund'! Wegen der schönen Helena ist Troja verbrannt worden; aber für die Kunegund möcht ich keinen Taubenschlag in Brand stecken ...!

Ich auch nicht, bei'm Donner! und soll ich dir noch einmal sagen, daß an dem Geschrei über mich kein wahres Wörtl' ist? fragte Lenhard grimmig in des Vetters Rede hinein. –

Geh', geh'! halt' mich nicht für einen Dummkopf! –

Wenn ich dir sage, daß die Kunegund selber ...

Geh', geh'! mach' das deinem alten Schatz, der Mariann' oder wie sie sich nennt ... mach' das Ihr weiß, doch nicht mir, bei Gott, nicht mir!

Was, bei Gott! Du willst mir noch von dem falschen ungetreuen Weibsbild schwätzen! stotterte voll von Haß und Zorn der Soldat, und erhob die geballte Faust gegen den Vetter.

Melchior drückte ihn ruhig auf seinen Sitz nieder und fuhr im früheren Texte fort: Ich will dir schwätzen von dem, was du gethan, da du Soldat wurdest. Du [47] hast dich verkauft; das steht fest. Nun aber kannst du dich noch lösen und frei machen, indem du zur großen Sache des Volks übertrittst. Vom Fahneneid hast du geredet? O, mein lieber Lenhard: Wenn alle Eide, so geschworen werden, gehalten werden müßten ...! Weißt du nicht, daß es heißt: Gezwungner Eid thut Gott leid!? Das heißt auf deutsch: Der Vernunft, der Billigkeit, dem Recht thut er leid. – Somit halte dich nicht an ihn. – Ja – wenn du der Verfassung die Treue geschworen hättest, das wär ein ander Ding. Die Verfassung ist die eigentliche Bibel, das Evangelium des Landes, unsers Volks. Darum auch ist sie heilig, wie man zu sagen pflegt; heilig ... bis das Andere kommt.

Welch' ein Anderes? Was meinst du?

Nun, das gehört einer spätern Zeit ... kann jedoch ebenfalls früh kommen. Die Freiheit kommt über Nacht ... wer weiß? Und – wenn du zum Volke übergingst, wie viele deiner Kameraden – wohl Alle thun werden ... es wird dir nicht schaden. Kannst's im Volksheer, welches da seyn wird, eh' man sich's versieht, alsogleich zum Feldwebel oder gar zum Leitmann bringen, mit flotter Gage, Zulage und Dekoration. Nicht zu verachten, Lenhard, da du in puncto Vermögens doch auf dich selber angewiesen seyn wirst, indem ... ich mag dir's nicht verbergen ... indem dein Vater abspinnt, statt zurückzulegen. Hab' ein paar Prozessle für ihn übernommen, und es wird aller Kunst bedürfen, so wir den Bankerott noch ein oder zwei Jahre aufhalten wollen.

Ist's möglich! fragte Lenhard wie verdonnert.

Melchior versetzte kalt: Wenn ich dir's sage, so [48] darfst du's glauben. Item also: Du mußt für dich sorgen, und für's wahre Vaterland einstehen. Damit zögre nicht lange! In wenigen Tagen dürfte es zu spät seyn, und Andere dir den Rang abgelaufen haben.

Hm, hm! brummte Lenhard, sich die Stirne heftig reibend: Wenn ich nur nicht geschworen hätte ...! Sappermost! aber ... so weiß ich nicht ...

Du bist der ewige Zweifelkrämer! schalt ihn Melchior aus, die Gläser füllend: Da trink' einmal, trink' ex pleno!

Was heißt das?

Aus, rein aus sollst du trinken und deine albernen Bedenklichkeiten im Glase lassen. Kein Wort mehr von dem dummen Eid; nur noch ein Gleichniß. Wenn du, zum Beispiel, dem Teufel geschworen und deine Seele, wie man sagt, verschrieben hättest ... (es ist nur ein Gleichniß, denn es gibt keinen Teufel, als nur im Kalbsgehirn einfältiger Menschen, eben so wenig, als es einen ... doch davon später, wenn dein Verstand mehr auf den Strumpf gekommen) – würdest du dir ein Bedenken machen, dem vulgo Satanas abzusagen, und ihm ein Schnippchen zu schlagen? Gewiß nicht, ... und um deinen jetzigen abgezwungenen Eid selbst aufzulösen, bedarf es nur des Muths, der persönlichen Ueberzeugung, und ... –

Hör' auf, hör' auf! mir wird ganz trümelig bei deinen Reden! sagte Lenhard schwach und ermüdet, ließ den Kopf sinken und schlug beide Hände vor'm Gesicht zusammen. –

Inzwischen war ein junger Mann in die Stube getreten: ein junger Mann, von oben bis unten in Steifleinwand gekleidet, geschmeidig, zuversichtlich, keck [49] aufgerichteten Hauptes – mit einem Wort: ein vollblütiger Turner. Er spähte scharf nach allen Seiten, gleich wie nach einem Bekannten; und da er bei dieser Umschau den Advokaten und dessen Kameradschaft nicht unbeachtet gelassen, näherte er sich vorsichtig dem Tische Melchior's. Mit den Augen dem Letztern zuwinkend und auf und nieder messend die Gestalt des, in gottverlassnem Zustande dasitzenden, Soldaten, richtete er mit einem Winke an Melchior eine Frage, stumm, und dennoch vielberedt. Sie lautete ungefähr, in Worte übersetzt: Wer ist der Bursche, Freund, und kann man wohl vor ihm reden nach Herzenslust?

Die Antwort Melchiors, wie die Frage mittelst Zeichen gegeben, hieß soviel als: Der Geselle da ist schon so gut als mein, und ohne Rückhalt darfst du sprechen!

So that denn der Turner seinen Mund auf, und redete frisch, frei und fröhlich heraus: Guten Abend, Bruder Grißler! S'ist alles wohl gegangen; die Freiheit hat gesiegt, das Volk steht in Waffen, und binnen. wenigen Stunden etwa wird das Loos der Stadt, des Landes entschieden seyn.

Woraus der Advokat in gleichem Schwung: So grüß' dich Gott, und sey willkommen, Bruder Titus! –(Es war derselbe Turner Titus, den Cornelia am selben Abend besprochen, und der, nach ihrem Bericht, auf der Diele schlief, und sich mit der Kammerthüre zudeckte.)

Titus pflanzte sich gravitätisch zwischen die beiden Vettern hinein, nickte dem, starr und verwundert in die Höhe sehenden, Lenhard mit Leutseligkeit zu, trank dem Advokaten ein Glas vor, und ließ sich folgender [50] Gestalt vernehmen: Was man nicht zu hoffen wagte, ist plötzlich eingetreten, und wird noch besser kommen: das herzliche Einverständniß zwischen Bürgern und Soldaten! Darum bring ich's auch dir zu, wackrer Wehrmann, dessen Gesinnung mir verbürgt wird durch die Gesellschaft, in welcher ich dich finde! Der heutige Tag hat große Ergebnisse für die Sache des Volks geliefert. Glück auf, und muthig vorwärts!

Lenhard, der sich nun zwischen zwei Feuern befand, erlaubte sich, stutzig zu fragen: Wollt Ihr mir nicht erklären, Ihr Männer, worinnen der Gewinnst des Volks besteht? Die Stafette von Kandern ... war sie denn für Euch eine willkommne Botschaft?

Titus entgegnete weise: Wenn wir die Kunde nehmen buchstäblich, wie sie uns gebracht wurde, so muß ich selber sagen: nein, sie ist nicht erwünscht. Aber der Teufel verheimlicht seine Niederlage so lang er kann. Ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß wir schon morgen anders berichtet sind. Hecker geschlagen? Struve in die Flucht getrieben? Unmöglich, nicht glaublich! Die Tirannei hat frech und trefflich gelogen wie immer; für heute hat sie sich begnügt, den Tod ihres Feldherrn einzugestehen: morgen wird sie sich schon noch auf andre Geständnisse einlassen müssen. Ich sage Euch: binnen dreimal vierundzwanzig Stunden wird sich alles geändert haben; was oben war, wird unten zu liegen, was unten gewesen, oben zu stehen kommen! Wir erhalten zu jeglicher Frist Kundschaft aus dem Gebirge; ich habe vor einigen Minuten eine solche entgegen genommen. Deßwegen bin ich im Begriff, unsern Obmann aufzusuchen. Dachte, ihn hier zu finden – traf dagegen liebe Freunde an, vor denen ich kein Geheimniß haben [51] mag. So mög't Ihr wissen, daß Sigel, Willich, Bruhn und wie sie Alle heißen, mit fünfzehntausend Mann in den Bergen streifen, und die Schaar der schwäbischen Söldner eben so gut im Netz gefangen haben, als sie mit offener Heeresmacht im Rheinthal die Hessen zurückweisen werden. Es ist keine Rede davon, daß die Badischen Krieger ihnen feindlich unter die Augen treten sollten; das wissen die Offiziere wohl, und halten Euch darum – zu Lenhard gewendet – vom Schlachtfeld möglichst weit entfernt. Und – sagt selbst, meine Brüder – was können sie wohl ausrichten, die fremden Soldatenpuppen, wenn auf einer Seite, vom Schwarzwalde her, das Volk in Waffen auf sie stürzt, und von der andern die Legionen Herwegh's über den Rhein herüber brechen? und wenn diese Stadt, dieses Freiburg, ihnen die Thore verschließt, und sie abwehrt mit fern treffenden Büchsen und scharfen Sensen?

Sie müssen untergehen; das ist keine Frage! bekräftigte Melchior kurz und gut. Lenhard hatte jedoch seine eignen Gedanken, kratzte sich wild auf dem Kopfe und hinter den Ohren, und sprach rauh heraus: Der Glaube macht selig; ich aber glaube noch nicht an diese Prophezeihungen, wenn sie schon in Euern Ohren lieblich wiederklingen. Wenn auch ein Zufall, der die Stadt von Truppen entblößte, dem Volke möglich gemacht hat, die Herausgabe der ihm abgenommenen Waffen zu erzwingen, so dürfte doch morgen der Kehraus ganz anders getanzt werden, und ...

Titus fiel ihm hitzig in die Rede: Ein Zufall, Freund? Wenn am Abend nach einer Schlacht, welche die Gewalt gewonnen haben will, ein dergestalt glänzendes Resultat erzielt worden, nennst du's einen Zufall? [52] Das ist seltsam, das ist kurios! Alle Truppen sind aus der Stadt gewichen, und lagern in stets weitern Kreisen in der Ferne; die hessische Compagnie, die in der Bürgerkaserne, nur etliche Schritte von dem Waffendepot, das wir heute mit Gewalt geöffnet, entfernt gelegen hatte – setzte sie sich zur Wehre? Hat sie gewagt, nur eine Gasse zu sperren? Ich sah sie wohl, die Herren von der Regierung, und die sogenannten Väter dieser Stadt, wie sie mit blassen Gesichtern und zitternd aufgehobenen Händen an dem Hauptmann herum baten und bettelten, daß er mit Schuß und Bajonett über das Volk herfalle, und es morde, wie die Tirannei im Brauch hat! Aber – nichts da! Im Gegentheil: antreten ließ der Söldnerhäuptling seine Mannschaft, und hinaus zum Schwabenthor, schimpflich, verspottet und verhöhnt, zog er, weil er sich fürchtete vor dem Kampfe der Verzweiflung, weil ihm graute vor der allgemeinen Erbitterung, weil er, tief erschrocken, floh vor dem Grimm des deutschen Löwen! Nein, nein! man rede mir da nicht von Zufall, wo eine höhere Fügung waltet, wo die Freiheit siegreich ihren Schild aus den Wolken streckt, und die Zwingherren sammt ihren Knechten entweder entrinnen in scheuer Ohnmacht, oder ihr Henkerantlitz verbergen in ihres Nichts durchbohrendem Gefühle!

Stürmisch umarmte Melchior den Turner, und rief dabei: Wie lieb' ich dich, mein Bruder Titus! Dich, der du in deinem Wesen vermählst den tapfern Krieger und den gottbegabten Barden!

Titus blieb nicht zurück; auch er umarmte den Nachbar, und rief, das Glas schwingend: Meiner Liebe zu dir entspricht gerade nur die deine!

Lenhard dagegen steckte wieder den Kopf tief zwischen [53] die Achseln und dachte bei sich: S'ist doch vielleicht etwas Wahres an dem, was der Turner da hervorgebracht? Ich bin froh, daß ich morgen die Stadt zu verlassen befehligt bin; es könnte mir in der Gesellschaft da ganz anders zu Muth werden, als wohl recht seyn möchte ...!

Während er also sann und diftelte, hatten seine beiden Genossen einander noch allerlei Schönes gesagt, sich noch ein paar Mal umarmt, waren ein Bruderherz und eine Bruderseele geworden. Poetisch, wie nur immer die blühende und ihrer Kraft sich bewußte Jugend reden mag, erging sich Titus in den Ahnungen einer schönen und baldigst eintretenden Zukunft. – Ha! rief er aus. Welch eine glückliche Aera wird diejenige des deutschen – was sage ich? des europäischen Freistaats sein! Alle frei, Alle gleich, Alle Brüder!

»Auch die Schwestern nicht zu vergessen!« ermahnte Melchior lächelnd und pfiffig.

Welche Saite schlägst du an? Welche Akkorde beschwörst du herauf aus meiner Männerbrust? hob nun Titus mit einer gewissen wehmüthigen Verklärung an: Neben der Freiheit geht die Liebe! und auf dem Liebesbanner, das ich, der freie Jüngling, schwinge, steht der Name »Cornelia«! Ich weiß nicht, kennst du sie oder nicht? Gleichviel jedoch; sie, die nicht umsonst den Namen der Gracchenmutter trägt, ist die vollendete deutsche, freie und souveräne Jungfrau. O, wenn die Republik einmal ausgerufen, wenn die alte Welt einmal aus ihren Angeln gehoben, und die junge gleichsam in künstlerischer Vollendung geschaffen sein wird, dann wird Cornelie mein, dann wird Cornelie keines Andern seyn!

[54] O weh! Schwätzt der auch von einem Weibsbild! murmelte Lenhard, und drehte sich halb von dem Redner ab. – Dafür wurde Melchior neugieriger, und fragte: Wer ist sie denn eigentlich, diese Cornelia?

Titus gab redselig die Antwort auf der Stelle zurück: Ein weitläufig Bäschen ist sie von mir, ein Bäschen, wie in der Schöpfung noch keines gewesen; schön, herrlich gesinnt, ein Gemüth voll reinster Weiblichkeit, ein Herz voll sanften Mitgefühls. Ich könnte tausend Bilder von ihr malen, und dennoch wären ihre Reize nicht getroffen; ich könnte tausend Bilder von ihr schreiben, und dennoch wären ihre Tugenden nicht zur Hälfte darinnen aufgezählt; ich könnte tausend Lieder von ihr singen, und dennoch würde meine Stimme verhallen im weiten Raum der Schöpfung, weil alle Musik der Menschen zu ring, zu schwach und erbärmlich, um Corneliens Lob zu hymnen! Leider – das Edle steht meistens verwaist und verkannt in den Kreisen dieser Welt – leider ist der Vater dieser Huldin ein Spieß erster Qualität! Seine Rohheit, seine Dummheit, seine Gesinnungslosigkeit haben mich vermocht, dem Hause und dem Zirkel zu entsagen, in denen ich so oft an Corneliens Seite, oder mich sonnend in ihrem Anblick, glücklich gewesen. Ich meine hier das Haus des Vaters Hinterbein, der noch mit mehreren Töchtern gesegnet, die mir alle gleichgültig, weil die Weihe der Zeit nicht über sie gekommen. In jüngsten Tagen ist noch obendrein vom Vater Plantageur in die Familie ein Element geschmuggelt worden, so mir feindlich, so mir unerträglich: ein Beamter; ich bitte dich! ein gewisser Sekretär, der sich für einen Alcibiades hält, ein Finster1ing, ein stets parater Scherge der Gewalt! So traure [55] ich, gleichsam verwiesen aus dem Paradiese, und nur getröstet, in einem Zeitabschnitt zu leben, der große Thaten gebären, und dem wahren Licht, dem wahren Völkerglück den Sieg bescheeren wird. Für diesen Zweck zu streiten, führ' auch ich das Schwert, welches mir zu gelegner Stunde wiederum die Pforte Hinterbein's eröffnen mag, um Cornelia heimzuführen als meine Braut, als meine Göttin!

Ueber dieser Deklamation war Lenhard glücklich entschlafen. Melchior hielt aber Stand und sagte: Wäre doch schon vor der Thüre die Stunde, von der du redest, der Tag der Auferstehung für die Menschheit. Auch ich kämpfe, auch ich streite für den hohen Zweck der allgemeinsten Völkerbeglückung; auch ich verlange nach dem Lohn ...

Titus flüsterte ihm geschwind in die Ohren: Wir sind weiter, als du glaubst; in allen Hauptstädten Deutschlands wird bald, bald der Streich geführt werden, der unsre Fesseln zermalmt. Wir in Baden sind die Vorläufer und Vorkämpfer des heiligsten Osterfestes, das je gefeiert worden. Uebermorgen, bei der großen Volksversammlung – eine Versammlung in Waffen, Freund – wird ohne Zweifel in die Luft gesprengt werden, was noch vom alten Rost und Mackel auf uns lastet, und Sieg wird seyn, wo Trauer war, und Verderben, wo der Uebermuth sich breit gemacht hat. Sie haben die Versammlung verbieten wollen; ein unterthänigster Knecht hat den Befehl von Karlsruh' anher gebracht. Doch werden sie sich zweimal besinnen, eh' sie das Verbot nur verkündigen, geschweige denn in Vollzug setzen. Genug: Strick ist entzwei und wir sind frei. Eine Welt, wie sie noch nicht dagewesen, steigt [56] aus der Tiefe empor: eine Welt ohne Könige, ohne Pfaffen, ohne Heere und Henker, ohne Rechtsverdreher, Richter und Prozesse ...!

Oho, oho! wär' mir nicht lieb! warf sich Melchior entschlossen in's Gespräch des Andern: Ohne Recht, Gerechtigkeit, respektive Advokaten mag kein Staat bestehen. Justicia regnorum fundamentum!

Was da! was da Justiz? Gerechtigkeit, aber keine einstudirte, keine andressirte bürokratische und Teufelsadvokatenjustiz! gab Titus, der immer krittlicher wurde, entgegen: Du willst dir mit einer lateinischen Sentenz helfen? Mit dem abgedroschnen, veralteten, mißbrauchten Latein? Wohl! ich stelle dir eine andre lateinische Sentenz entgegen: summum jus summa injuria! verstanden? Weg, sage ich, mit dem alten Brei! In einer neuen Welt, wie sie jetzt empor steigt, ist kein Platz für euern Schlendrian; wo die Bürger gleich begütert, wo die Bürger gleich an Ehren, wo nur Brüder neben Brüder wohnen, wird kein Streit, kein Unfriede seyn. Nieder also mit den Advokaten und all' ihrem Aktengeschlepp!

Dem Melchior wurde auf seinem Platze so unheimlich, daß er hin und her wetzte und seine Ungeduld kaum bemeistern mochte. Er schlug auf den Tisch, und sprach mit halb vom Zorn erstickter Stimme: So denn? Turnerchen predigt Communismus, Sozialismus? Haha, kommen solche Narrheiten bei Euch an die Reihe? Ihr, noch nicht trocken hinter den Ohren, wollt das Mährchen zur Wahrheit stempeln? Nun ja, Ihr seyd auf gutem Wege. Gleiche Brüder, gleiche Kappen? Du magst wissen, daß, wenn Euer Unsinn auch verkörpert in der Welt dastände, die erste Nuß, die vom Baume [57] fiele, zwischen Nachbarn zum Prozeßobjekt werden würde. Und so wiederhole ich: ohne Richter, ohne Gesetze und Anwälte kann ein civilisirter Staat nun und nimmermehr bestehen.

Titus; der ebenfalls auf den Tisch schlägt: Und ich sage: ich will den alten verrosteten Staat nicht mehr, ich will nur eine bürgerliche Gesellschaft, welche frei, welche verständig und brüderlich. Als die römischen Tirannen ihre maledeite Advokatenjustiz in Germanien einführten, da war Germanien erst in Sklavenfesseln geschlagen. Das Volk warf freilich diese Schandjustiz einmal über den Haufen, aber Wehe, dreimal Wehe denen, die den römischen Zopf wieder pflanzten und pflegten und somit der Rabulisterei, und somit der Entsittlichung den teuflischen Triumph bereiteten!

Melchior. Potz Wetter, halte das Maul! den Rabulisten verdankt Ihr Alles, was Ihr habt: Familienstand und bürgerliche Ehre, Hab' und Gut und Erbe!

Titus. Das ist, gelind gesagt, nicht wahr. Wir hätten Euch schon lang nicht mehr gebraucht, wie andere Völkerstämme es schon lang begriffen. Ich bin kein sonderlicher Freund der Schweizer, aber gesegnet seyen die Appenzeller, die weder Fürsprech noch Scharfrichter unter sich geduldet haben.

Melchior. Aha, da muß ich lachen! Wenn sie der unentbehrlichen Männer bedürften, so ließen sie dieselben aus andern Kantonen kommen. Fiat Justitia et pereat mundus!

Titus, sehr erbittert: Ja wohl, ja wohl, dieser grausame Wahlspruch war stets der Eurige, und durch ihn, und durch Eure Ränke ist Verderben, Armuth und Gesetzlosigkeit in die Welt gekommen. Weg, sage ich, [58] mit Euch und Eures Gleichen, so wie mit Pfaffen, Amtmännern und Professoren! Lernt ein Handwerk, werdet Bauern und dergleichen; Eure bisherigen Fratzen und Schwänke kann die neue Welt der Brüderlichkeit nicht brauchen.

Melchior, mit einem Tigergesicht: Donnerwetter! Ihr wollt uns über Bord werfen, die wir allein dem Volk den Weg zur Freiheit zeigten? Ihr, politisch unmündige Knaben, wollt über unsre Leiber den Weg zum Siege ziehen?

Titus, höhnisch frohlockend: Das wollen wir, ja, bei Gott! Den Weg zur Freiheit hätten wir auch ohne Euch gefunden, und die Straße zum Siege liegt offen vor uns. Habt Ihr nicht selbst gesagt, der Jugend gehöre die Welt? Sie gehört uns auch, wir nehmen sie hinweg mit kecker Hand, und mit stolzem Fuß treten wir Eure Kniffe, Eure Advokatenteufeleien nieder.

Melchior, aufspringend und die Hand in eine gefährliche Stellung werfend: Willst du schweigen, naseweiser Junge, oder ...?

Titus, sich in dieselbe Stellung werfend: Schweig du selbst, unverschämter Zungendrescher, oder bei Gott ...!

Ein Conflikt, wie man heutzutage zu sagen pflegt, war unvermeidlich. Dennoch glich sich die Sache aus, da inzwischen Lenhard aus seinem Schläfchen erwacht war, und zur rechten Zeit die beiden Streithähne bei der Brust packte und niederzusitzen zwang. »Was, bei'm Eid, was habt Ihr vor, liebe Brüder und Gesellen! Ist das die Eintracht und Herzlichkeit, die Euch verbindet? Was soll denn ich erst thun, wenn Ihr beide Euch an den Kragen geht?«

Lenhards Vermittlung war von Gewicht, und stellte [59] den Frieden plötzlich her; zur Beruhigung der Kämpen diente auch das Eintreffen von drei Herren, der gebildeten Gesellschaft angehörig, die so eben am benachbarten Tische sich niederließen. Die Ankömmlinge wurden betrachtet, nach allen Dimensionen abgeschätzt, und da sie einigermaßen bekannt schienen, und obendrein selber um die schon Anwesenden sich gar nicht bekümmerten, so hatte ihre Belauerung von Seiten Melchiors und des Turners den erwünschtesten Fortgang, gab den Gedanken eine andere Richtung und schloß wiederum fest den alten Bund.

Die drei Herren waren: der »schöne Fritz«, Alfred und der sommerlich angekleidete Raphael. Auch sie kamen von dem Abendspektakel zurück, hatten sich von dem stadtkundigen Sattlermeister beurlaubt, noch einen Gruß dem Hinterbeinischen Familienkreise gespendet, und wollten sich nun einigermaßen erlaben in dem Weinhause, das ihnen früher, zur akademischen Zeit, dann und wann schon manche Labung gereicht.

Sie vermeinten etwelche Erinnerungen, frohmüthiger Art, in sich zu erwecken; aber ihr Ziel erreichten sie nicht. Der Wein war freilich immer noch gut, der Wirth, die Wirthin waren noch dieselben wie vor Zeiten; aber nicht mehr fanden sie das alte gemüthliche, durchräucherte Lokal wieder, worinnen sie als Studenten sich so wohl befunden. Die neuen Tapeten, die unlängst angestrichnen Tische und Stühle, der unruhige Schwarm von unbekannten Gästen gefielen ihnen wenig. Kaum, daß Alfred, der, wie begreiflich, am meisten Sinn für die Verschönerung des Lebens besaß, der modernen Veränderung dieser Wirthschaft ein paar Worte des Beifalls schenkte.

[60] Raphael dagegen sagte, gleichsam schwermüthig: Ach, wie ist es hier doch so ganz anders geworden! Meine lieben, alten, schmutzigen Wände, wo seyd Ihr hingekommen? Meine lieben schmierigen Tische und Bänke, wo weilet ihr? Stolze Lampen brennen da, wo vorlängst ein paar Kreuzerlichter glimmten; eine Menge von ungeberdigen Zechern erfüllt den Raum, worinnen vordem nur ein paar Dutzend schweigsame Philister Maulaffen feil hatten, und, ohne es zu wissen, uns zu den wunderlieblichsten Conterfeien saßen! Gedenkst du noch, Poppele, des alten Gerbermeisters, der immer mit der Schlafmütze auf dem Kopfe in dieser Stube präsidirte, unbeweglich wie eine Memnonssäule, lautlos wie eine vernagelte Kanone, und dennoch selig, dreimalselig im, Genuß des geliebten Kaiserstühlers?

Das will ich meinen; lachte der »schöne Fritz«: und am andern Ende des Tisches der um so redseligere Kaminfeger, der sich aus dem Wälschen in's Deutsche übersetzt hatte, bis er endlich nicht mehr wälsch, aber auch nicht deutsch gekonnt!

Und Alfred fügte den Bemerkungen seiner Freunde vornehm bei: Ich muß gestehen, daß mir benannte Individuen sammt und sonders in Vergessenheit gerathen sind. Liegen wohl auch meistens schon auf dem Kirchhof; denn es ist einmal in der Welt nicht anders: die Einen kommen, und die Andern gehen. Das unerläßliche mathematische Gesetz, so die Erde regiert, erlaubt es einmal nicht anders. Und dennoch gibt es sich nicht trocken und verknöchernd kund, wie auf der schwarzen Tafel im Gymnasium: es putzt sich romantisch heraus, der blinden, unmathematischen Gesellschaft auf Erden zu Gefallen. Gibt es etwas Seltsameres als unser [61] Zusammentreffen am heutigen Tage? Wir hatten uns freilich zusammenberedet, aber 's ist eben doch ein Wunder, daß wir bei'm Stelldichein erschienen. Ich wenigstens, für meine Person, hatte nicht im mindesten daran gedacht, mich einzufinden. Es mußte, wie Euch bekannt, der alte Felsberg seine Steine schleudern, ganz Italien mußte im Aufruhr sich erheben, um mich wiederum der heimathlichen Grenze zuzuführen. Auch da noch schwankte ich, wo ich zu meiner Verwunderung, zu meinem Abscheu von dem Heckerzuge vernahm; und wie gerne hätte ich von Basel aus nach Frankreich mich geworfen, wäre nicht unglücklicher Weise Frankreich in diesem Jahre eine Republik! Die Republiken aber sind mir ein Gräuel; ich kann nicht dafür, das ist mir angeboren. Ich läugne nicht die Nothwendigkeit der Republiken, die einmal auf Erden, aber ich mag sie einmal nicht, – und da zugleich der Sieg des monarchischen Prinzips, der zu Kandern erfochten worden, mir gemeldet wurde, so besann ich mich nicht lange und eilte hieher, die Freunde zu umarmen. – –

»Du!« machte Titus zu seinem Melchior verstohlen: »nach seinen Reden scheint mir der Lange dort ein Aristokrat vom allerreinsten Wasser. Wie?« –

Worauf Melchior: Ich glaube, ihn zu kennen. Muß ihn zu Heidelberg, oder sonst wo, angetroffen haben. Ich könnte mich zwar irren ... seinen Nachbar hab' ich übrigens schon oft gesehen, dünkt mich.

»O, von dem da kann ich Zeugniß geben;« bemerkte Titus mit argem wildem Lächeln: »der Mensch ist eben jener Sekretär, der mich aus Hinterbein's Familie vertrieben. Cornelia heißt ihn den ›Fürstenknecht‹, und wenn ich damit einverstanden wäre, daß die junge Frei [62]heit sich mit einer Gräuelthat beflecken dürfte, so hätt' ich nichts dawider, wenn jener Bursche gleich am ersten Siegesmorgen am nächsten Baume zappelte.«

Lenhard sah nach der Uhr, gähnte und sprach:

Ei was, ihr schwätzt immer nur von Menschen und Dingen, die mir unbekannt. Ich will, denk' wohl, in die Kaserne gehen und mich auf's Ohr legen.

»Ei so bleib doch!« ermahnten die Andern; »mit dem Zapfenstreich und der Polizeistunde wird's heut' nicht so genau genommen werden.«

Wie schon lange nicht mehr; äußerte Lenhard mißmuthig: Darum geht auch aller Gehorsam und Subordination zu Grunde. Miran jedoch! Wollt Ihr noch eine Flasche trinken, die letzte, bin ich dabei, und dann gute Nacht und Adje wohl!

Der Vorschlag wurde beliebt und angenommen. »Müssen doch die Kerle noch etwas plaudern hören;« raunten sich die Freunde zu und tranken langsam und paßten wohl auf. –

So eben ließ sich Raphael hören: Wenn ich auch zufrieden bin, dich, lieber Poppele, an meiner Seite zu wissen, und auch dich, lieber Bruder Fröschlein ...

So laß doch den alten Studentenschnack; unterbrach ihn Alfred mit würdigem Tone: es gibt eine Zeit für solche Thorheit, aber diese Zeiten, Brüder, sind nicht mehr. Laßt darum die albernen Cerevis-Namen weg, und nenne mich, wie ich getauft bin: Alfred.

»Lederne Seele! schmälte Raphael: »doch, wie du willst. Alfred denn. Doktor Alfred oder was dergleichen?«

Diesen Namen hörend, spitzte Melchior beide Ohren und besah sich seinen Mann noch schärfer.

[63] Auch die Titulaturen will ich mir verbeten haben, versetzte Alfred, ruhig abweisend: mich dünkt, ihre Zeit werde auch vorüber seyn, und somit ...

Da unterbrach ihn der »schöne Fritz«, lebhaft äußernd: Die Frage ist, ob jene Zeit nicht baldigst wiederkehrt, und kräftiger als vordem. Die Reaktion wird, ich zweifle nicht, überall die Oberhand behalten, und dann ...

Und dann erst, fiel Alfred ein – wenn alle Deutsche durch die Bank Doktoren und Hofräthe seyn werden, möchte ich weder Doktor noch Hofrath heißen. Auf diese Weise opponire, revolutionire ich.

»Ihr zankt Euch um Larifari;« rief Raphael, der noch immer nicht lustig geworden: »bleibt bei der Stange, und redet mir von dem Brüderlein, welches ich absonderlich vermisse. Gott, Gott, wie viel Langeweile werde ich mit Euch vornehmen Herrn ausstehen müssen, wenn Jonathas, Moritz-Jonathas ausbleiben sollte!«

So eben stand der Advokat hinter Alfred, schaute ihm steif in's Gesicht, indem er sich breit über den Tisch lehnte und den Erstaunten zwang, sich nach ihm umzusehen; sagte dabei mit freundlichthuender Zuversicht: Kennen mich wohl nicht mehr?

»Wirklich nicht; in der That nicht!« entgegnete Alfred, kühl wie immer.

Der Advokat fuhr immer zuversichtlicher fort: Grißler – Melchior Grißler – studirte zu Heidelberg, mit Ihnen zur selben Zeit – begegneten uns oft – bin Schriftverfasser – freut mich recht sehr ...

»Das glaub ich recht gern;« versetzte Alfred äußerst gleichmüthig: »ich weiß indessen mich nicht zu erinnern ... habe total vergessen ...«

[64] Der Advokat war übel angelaufen; mißmuthiges Befremden lagerte sich auf seinem Antlitz. »So hätt' ich mich am Ende geirrt?« sagte er schneidend: »Wenn Sie derjenige wären – den ich gemeint – so hätte ich voraussetzen dürfen – indessen vergeben Sie ...?

Alfred, der mit eiserner Gleichgültigkeit dem Aufdringling in's Weiße des Auges schaute, nickte steif und ließ die Worte fallen: Hat gar nichts zu bedeuten ... hat auch mich recht sehr gefreut ... Wünsche gute Nacht und wohl zu schlafen! – drehte sich dann wieder zu seinen Gefährten und redete sie, als sei im mindesten nichts vorgefallen, an: Ei, mit dem Moritz ... wie steht es mit dem Moritz? Habt Ihr von ihm Kunde?

Während nun Raphael weitläufig erzählte, wie oft und mit welchen Worten sein Jonathas an ihn geschrieben, lachte der Turner seinen Freund und Bruder Melchior, der wie ein begossener Pudel von der Selbstvorstellung bei dem ehemaligen Commilitonen zurückgekommen, still, aber spöttisch, aus, und wisperte ihm zu: So muß es Euch ergehen, ihr Federfuchser; dergestalt müßt Ihr anrennen. Was gilt's, du hast in dem ehemaligen akademischen Bruder einen vornehmen Kuronen, einen ahnenstolzen Liefländer gewittert, der mit Geldern reich versehen und etwa hier zu Lande mit einem Prozeßlein belastet, oder mit etzlichen? Hast dich dem fürnehmen Herrn Bruder Studio zu advokatischen Diensten empfehlen wollen, um die Kuh des Prozesses zu melken statt seiner? Hast deinen Lohn gut und dürr erhalten. Sieh', ein nasenweiser Turner, ein unmündiger Knabe meines Schlags hätte die Sache auf sich beruhen lassen. Warum? Weil wir, was uns frommt, [65] und was uns belehrend, mit frischen, fröhlichen Augen schauen, im Gleichniß wenigstens, wo wir auch hinblicken. Thue dich einmal um in der Pflanzennatur. Nicht wahr, schon grünt der Wald, schon treiben alle Bäume des Feldes ihre Knospen, ihre Blätter –? Nur die Pappel allein, der lange, lange aristokratische Pappelbaum schaut dürr und grau und unfruchtbar über alle Vegetation hinaus? So auch der Aristokrat im Leben. Wenn Alles um ihn her sich vereint zum fröhlichen Gedeihen, wenn alle Wälder, alle Hecken zum Besten des Ganzen spenden, was in ihrem Vermögen, so bleibt der Pappelbaum so lang als möglich, bis ihn zum Grünen der Zwang der Umstände nöthigt, in seiner trostlosen Sprödigkeit gegen Himmel ragend, die Säfte der Muttererde zwar schluckend und verschlingend, als wären sie nur für ihn vorhanden, aber nur mit Unlust zurückgebend der Natur, was er ihr schuldig, nur gezwungen freigebig, steuernd nur, wenn er nicht anders kann.

Melchior staunte ob dieser naturgeschichtlichen Poesie des Turners; aber Lenhard, welcher dießmal eifrig zugehört, weil von Bäumen und Feldern die Rede, nickte sehr beifällig, lachte pfiffig und sagte halblaut: Das geht mir ein; das will ich mir merken. Das war gut gesagt, lieber Freund; bei'm Blitz! – wie die Schwaben schwätzen – Das war recht gut gesagt, und das versteht doch Unsereiner! –

»Gleich viel;« murmelte Melchior in seinen Bart: »ich will's dem Kerl dort schon gedenken, wenn's an der Zeit seyn wird.« – –

Am andern Tische war sofort der Stulpenstiefel-Raphael mit seinen Berichten über den Freund Moritz [66] fertig geworden, und hatte die Befürchtung geäußert, es möchte vielleicht dem armen Jonathas in den Bergen des Höhgau und in der Klemme des Heckerzugs übel genug ergangen seyn.

Bedauernd stimmte der »schöne Fritz« in Raphaels Klagen ein, und sah im Geiste den lieben Freund in irgend einem Verließe gefangen sitzen und mit Schmerzen auf das Lösegeld warten, das von den Rebellen für ihn verlangt worden seyn möchte.

Aber seiner Gewohnheit und Natur gemäß fand Alfred alle diese Besorgnisse nicht stichhaltig. »Ei, haltet doch nicht den Moritz für so dumm, daß er den Sturm erwartet haben sollte, träg sitzend auf dem Rittersitz zu Milzheim! Nein, nein, da kenn' ich unsern Moritz besser. Wo wird er sitzen? In der Höri bei seinen Eltern, bei seinem unwirschen Bruder, bei seinen maulenden Schwestern. Denn – worauf ich mich jetzo eben erinnere – auf dem Schlosse Milzheim ist keine Seele mehr zu finden. Auf einer Station, unfern von hier – ich wüßte sie nicht mehr zu nennen – hatte sich, da ich hieher reiste, an dem Bahngebäude eine Dame eingefunden, die, wie ich vernahm, ein Fräulein von Milzheim selber, und die mit heftiger Neugier nach ihrem Bruder forschte, der mit ihr zugleich das Schloß verlassen, wiewohl auf andern Wegen. Nein, nein, sage ich noch einmal: Freund Moritz ist gescheidt genug, um sich nicht dem Pöbel preiszugeben, und wird unter'm väterlichen Dache beschaulicher Ruhe pflegen, während wir von allerlei Gefahren umringt sind. Welch ein Auftritt an diesem Abend! Ich weiß wohl, daß der Unsinn nicht so leicht zu bewältigen, aber dennoch hätte ich in Freiburg mir andres erwartet. Es hatte sich [67] alles so schön angelassen; der Weg in's Haus des Plantageurs war so geschwind gefunden, die Freunde waren mir, so zu sagen, in die Hände gerannt ... ein wundervoll Zusammentreffen! – Und da ich jetzt eben wieder auf die Wunder des Tages zurückkomme, so laßt mich reden von dem Mirakel, laßt mich spüren nach dem Wunder, das sich mit dem Raphael da ergeben. Sey beglückwünscht, Freund. Als einen vagabundirenden Schauspieler hatt' ich dich verlassen, und finde dich als einen Rentner, als einen, so Gott will, schweren Kapitalisten in Hinterbein's Hause wieder? Was ist mit dir geschehen? Sind auch dir ein paar Vettern zu gelegener Zeit gestorben? Die Erbschaft oder der Börsengewinnst muß groß gewesen seyn, denn aus deinem Anzug, aus deiner Frisur und anderweitigen Symptomen deines Aeußern läßt sich schließen, daß du schon alle Launen und Wunderlichkeiten eines gewichtigen Geldherrn angenommen.

Raphael, der schon lange, im Einverständniß mit dem »schönen Fritz«, geschmunzelt und gekichert, brach nun in ein schallendes Gelächter aus, und in die Worte: O du weiser Daniel! Du mathematisches Gemüth, das Zoll für Zoll das Leben eines Menschen zu berechnen weiß, bist auch du endlich auf das Eis oder hinter's Licht – wie du willst – geführt worden? Mit dem Rentner, Amice, ist es eitel Trug und Abenteuerlichkeit. Meine Kapitalien – hier sind sie! (Er warf einen großen Thaler und ein Pfötchen voll kleiner Münze auf den Tisch) Mein Bürge und Gewährsmann – da sitzt er, der »schöne Fritz« in Lebensgröße. Er hat die Komödie verfaßt, die wir bei Hinterbein zum Besten gegeben, und ich war der gehorsame Komödiant, [68] der seine Rolle mit Eifer und Geschicklichkeit angelegt.

Das ging ein bischen über Alfreds kühlen Horizont. Sein Mund blieb geschlossen, um so lebhafter fragten seine Augen den Sekretär, was denn wohl des Schauspielers Gerede bedeute.

»Ei nun,« versetzte Fritz mit harmloser Offenherzigkeit, »man muß die Leute eben nehmen, wie sie sind. Seit ein paar Monden mit dem Plantageur bekannt, und eingeführt in seinem Hause, hab' ich ihn durch und durch kennen gelernt und weiß gar wohl, daß ich in seiner Familie mit einem Schauspieler, und wäre er der selige Seydelmann in Person, nicht aufziehen dürfte, ohne zu riskiren, sammt meinem Freunde hinausgeworfen zu werden. Da nun aber einmal beschlossen, daß wir Freunde die Töchter Hinterbein's und ihre reiche Aussteuer unter uns zu theilen haben – (hier lächelte der Redner etwas sehr verlegen und schluckte einen Seufzer rasch hinunter) so müssen auch die Prätendenten mit Würden und Ansehen auftreten. Es gilt aber vor dem Papa Hinterbein kein Ansehen mehr, als das eines reichen Mannes. Freund Raphael hat sich ja vermessen, wie einst Cäsar, zu kommen, zu sehen und zu siegen. Wohlan: er siege also, er erobere seines Mädchens Herz, und baldigst wird die kleine List und Lüge, mit der er sich seiner Huldin vorgestellt, verziehen, und der Papa zur gewöhnlichen Nachgiebigkeit eines Komödienvaters bearbeitet seyn.« – Der »schöne Fritz« hielt inne, und strich sich selber ein paar schwermüthige Falten von der Stirn.

Raphael beeilte sich, dem Alfred vertraulich zu Gemüth zu führen: Er hat dir nicht Alles gesagt, der [69] Poppele; dir nicht gesagt, daß ich wie ein junger Gott hier aufgezogen bin, bewaffnet und bewehrt, um für die Freiheit zu kämpfen und zu sterben ...

Du? machte Alfred, und über sein kaltes Gesicht flog's wie ein Lächeln.

He, warum denn nicht? Auch in mir lebt die große Idee! Und so kam ich denn mit Säbel, Band und Farbe, wie sich's ziemt – und hatte aber das Unglück, gleich in die Hände dieses Bürokraten zu verfallen, der mich tyrannisch und wider meinen Willen leider zu einem andern Menschen machte. Darum sitz' ich hier, glatt barbirt und mit gekräuselten Locken. Darum am zwanzigsten April im Sommerrock und in sehr lüftigen andern Gewändern. Ach, es war nicht meine Wahl!!

Nun brach bei Alfred das Gelächter durch, und der schöne Fritz hielt wacker mit, bis Raphael, halb lustig und halb im Ernst und Eifer, fortfuhr:

Lacht nur, lacht nur, falsche Brüder! Wär's nach meinem Kopf gegangen, wär' ich hingetreten in dem vollen Schmuck des Mannes, der die Freiheit liebt, vor mein Mädchen, vor die Braut, die mir eigentlich das Schicksal bestimmt, ganz im Gegensatz zu meiner eigenen frevelhaften Wahl in jenem Bädle auf'm Schwarzwald – schon läge ihre Hand in der meinen, schon weinte sie an meinem Halse ...

Die Freunde lachten um so stärker; auch Melchior und Titus freuten sich des drolligen Kauzes und seiner schwunghaften Rede, – bis Raphael mit den Worten schloß:

Ja, Cornelia weiß den Mann nach seinem Werth zu schätzen – Cornelia kann nur lieben Den, der sich opfert für des Volkes Rechte!

[70] Da murrte der Turner mit grimmigem Blick dem Melchior in die Ohren: Was hör' ich da? Es untersteht sich der Hanswurst, meine Cornelia zu verehren?

Und auch des Künstlers Freunde wurden ernsthafter, und, mit dem Finger drohend, sagte ihm der »schöne Fritz«:

Du! Geh' mir nicht aus dem Geleise! Deine Schöne heißt Katharine – bedenk' das wohl!

Und wenn des türkischen Großherrn stumme Henker mit der verhängnißvollen Schnur hinter mir ständen, nicht anders würd' ich reden, als wie jetzt! betheuerte Raphael äußerst leidenschaftlich: Ja! ich hatte Katharine gewählt, Katharine hat gelebt in meinem Herzen bis heute. Aber ... mich schmerzt es in der Seele, es sagen zu müssen: Katharine ist meiner nicht würdig; sie hat mir in's Gesicht gelacht ...

»Das glaub' ich wohl, Bravissimo!« spöttelte halblaut der Turner und rieb sich, teuflisch vergnügt, die Hände.

Raphael fuhr fort: Nicht wie eine Freundin den Freund, nicht wie eine Liebste den Geliebten, hat sie mich angelacht, sondern wie ein närrischer Kindskopf den Bajazzo! das konnt' ich ihr nicht vergeben ..., darauf waren wir geschieden, und plötzlich ging ein Wunder in mir vor: meine Augen begegneten Corneliens Blick, und alsobald hab' ich sie geliebt, von da an lieb' ich sie zum Rasendwerden, und glücklich bin ich, selig bin ich, denn ich fühle, daß sie mich wiederliebt!

»Wart', wart'! Dir will ich's eintreiben!« machte der Turner halblaut, und traf zugleich Anstalt, aufzustehen und ein klein wenig Skandal anzufangen. Mel [71]chiors Zureden hätte da nichts geholfen; allein zum Glück kam just ein anderer Turner dem Titus in die Quere und mahnte ihn barsch auf. »Zur Turnkneipe, Titus! Der Obmann verlangt nach dir. Es ist wichtig, es pressirt! Marsch fort mit mir!«

Gehorsam den Gesetzen des Vereins, über dem Pflichtgebot seines Verdrusses ganz vergessend, folgte Titus dem Boten. Lenhard schlenderte faul nach der Kaserne; Melchior suchte noch am späten Abend ein paar Freunde auf, die mit ihm zugleich thätig waren bei den Vorbereitungen zur Volksversammlung. – –

Die Nachbarn hatten nicht bemerkt, daß sie unter der besondern Aufsicht der drei Zecher neben ihnen gestanden waren. Das Kapitel, welches Raphael angeschlagen, war für Alle interessant genug geworden. Alfred, nachdem er eine Minute lang sich ernst besonnen, hob mit Salbung an: Ich weiß nicht, ob ich dir, mein Raphael, zu der Veränderung Glück wünschen soll. Du scheinst ein Flatterling zu seyn; jedoch wäre auch ein Wunder möglich. Auch den leichtsinnigen Künstler überkommt manchmal ein höherer Geist. Um jedoch unsre Geständnisse weiter auszuführen, so bekenne auch ich, wenn gleich Schamröthe meine Wangen färbt, daß ich seit meinem Eintritt in jenes Hinterbein'sche Haus in der That etwas empfinde, das sich anläßt wie Verliebniß und wie Zärtlichkeit. Ich fürchte, ja ich fürchte, daß der amorische Pfeil, dem ich bis jetzt mit Glück aus dem Weg gegangen, endlich mein Herz getroffen habe. Mathilde wiedersehen, und ganz eingenommen von ihr seyn ... ja, das ist mir passirt.

Sieh' da, sieh' da, Fröschlein wird lebendig! jubelte Raphael und trank ein Glas auf das Warmwer [72]den des Alfred'schen Bluts. – Weil Alfred mit einer gewissen schwärmerischen Heiterkeit den Raphael-Stulpenstiefel'schen Toast entgegennahm, hatte er nicht Zeit, nach dem »schönen Fritz« sich umzuschauen und bemerkte daher nicht dessen unbeschreiblich langes und fatales Gesicht. Dagegen fügte er noch seinem obigen Geständniß mit aller Entschiedenheit, die seinem eisernen Charakter innewohnte, bei: Ich werde darüber schlafen, ich werde Mathilde morgen wiedersehen, dann alsogleich mit mir im Reinen seyn. Und wenn es Liebe ist, was ich für sie empfinde, so will ich diesen mir vorgeschriebenen Pfad verfolgen, und Wehe dem, der mittelst einer albernen Leidenschaft für die Erwählte meines Herzens mich in meiner Liebe beeinträchtigen wollte!

Du bist allerdings in deinem Recht, hattest schon im Bädle jene aristokratische Mathilde dir auserwählt; bestätigte Raphael ganz aufgeräumt.

»Mathilde ist verlobt, an einen kaiserlichen Offizier, an einen Herrn von Wildian verlobt;« sagte der »schöne Fritz« sehr kleinlaut.

»Und wenn sie mit der gesammten österreichischen Armee versprochen wäre,« entgegnete Alfred unerschüttert, »so wird sie dennoch die Meine werden, wenn ich sie wirklich liebe, und Hand in Hand mit dem mathematischen Gesetz gehe, das unser Schicksal auf Erden bestimmt.« – Unmittelbar hierauf gähnte Alfred sehr, streckte und reckte sich und sagte: »Schlafen, ja schlafen wollen wir gehen! Ich bin müde von der Reise und von der Leidenschaft, die in meinem Herzen, fürcht' ich, Wurzel geschlagen. Der Weg zum ›Engel‹ ist noch weit; ich will hingehen, schlafen, und im ›Engel‹ [73] träumen von meinem Engel. Gut' Nacht, Ihr Brüder; morgen wieder!«

Und also trennten sie sich, und der sehr verstimmte Sekretär geleitete nicht einmal seinen Alfred bis zum Gasthause, sprach auch nicht einmal mit Raphael, den er in sein Quartier aufgenommen, ein Wörtchen mehr, und machte so zu sagen die ganze Nacht kein Auge zu. Alfred träumte wirklich von einer Frauengestalt, die der stolzen Mathilde nicht unähnlich; Raphael schlief wie ein Sack. – –

In dem Hause, welches die drei Freunde verlassen, schlief auch Annele schlecht beinahe die ganze Nacht hindurch. Mit dem frühesten Morgen war sie schon in den Kleidern und eilte nach dem Dome, ihre Andacht zu verrichten. Sodann frühstückte sie mit dem Vater, machte mit demselben bei dem Arzte einen Besuch, empfing dort die beruhigendsten Versicherungen und fuhr schon um die zehnte Vormittagsstunde mit dem Leuenwirth dem Kaiserstuhle zu. Eben zur selbigen Zeit marschirte Lenhard mit seinem Detachement nach St. Georgen aus und ahnte nichts von der Nähe der Geliebten, sowie auch ihrerseits Annele der Meinung war, sie habe sich am vorigen Abend arg getäuscht, und Lenhard sei, wer weiß wie viele Meilen von ihr entfernt, und habe sie vergessen ganz und gar.


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