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Sechstes Kapitel.
Deutsche Republikaner zu Basel. Ein Rapetizle-Sänger auf'm Walde.

Rapetizle: ein Lied mit Wiederholungen; wahrscheinlich vom »Repetiren« also benannt.


Die große Brücke, die sich zu Basel über den Rhein spannt, ist zur guten Jahreszeit in den Nachmittagsstunden eine äußerst angenehme Wandelbahn für den müßigen Spaziergänger, und nicht selten eine » Salle de conversation vor die quatre nations« – wie der Herr Hansdennel sagen würde. – In der That treiben sich dort in buntem Gemengsel Franzosen und Deutsche, Italiener und Engländer herum, entweder selbst beschäftigt, oder in behaglicher Muße zusehend dem Drängen und Stürmen der rührigen Geschäftsleute, Bauern, und Arbeiter aller Art, die über den ganzen Tag »sich dort von der größern Stadt in die mindere, und umgekehrt von der mindern in die größere bewegen. Daß es da zuweilen an unverhofften Begegnungen nicht fehlt, kann man sich leicht denken. Wie [160] mancher böse Schuldner ist nicht da seinem Gläubiger in die Hände gelaufen! Wie viele Freunde und Feinde, von ganz entgegengesetzten Weltrevieren kommend, haben nicht da, zu ihrem Schrecken oder zu ihrer Freude, einander plötzlich wiedergesehen!

Hier mag nur von einem Paar von Freunden die Rede seyn, welches am einundzwanzigsten September des Jahrs 1848 auf jener Brücke zusammengetroffen war, sich umarmt und eine Bank aus einem der Brückenpfeiler eingenommen hatte, um in wehmüthiger Erinnerung seine Erlebnisse auszutauschen. – Die beiden jungen Männer, von denen der eine sehr elegant gekleidet, der andere hingegen in der bestaubten Tracht eines Fußwanderers, sprachen und horchten sehr eifrig. So eben hatte der Wandersmann seine Erzählung ungefähr beendet, und zu ihm sagte der Elegante: Du bist ein Liebling des Himmels, mein lieber Moritz und doch zugleich einer der frechsten Gesellen, die auf Erden leben. Mir wäre nicht im Traum eingefallen, die Nase geradezu in die eroberte Stadt zu stecken, und meine Rettung da zu suchen, wo tausend Musketen dem Freischärler mit dem Tode drohten. Glück auf jedoch! ein Jeder hilft sich nach Belieben, und wie er kann. Ich, zum Beispiel, habe es an jenem Tage mit dem Davonlaufen gehalten. Meine Leute rissen unaufhaltsam aus ... was konnte ich thun? Mein Leben ruhmlos opfern? Das wäre eine Thorheit gewesen, weil schon alles verloren war. Ich folgte daher den Ausreißern durch den Wald über das Gebirge, manchmal in kleinerer und in größerer Gesellschaft, Hunger und Durst leidend, oder wohl verpflegt, je nachdem wir den Feind zu fürchten, oder der Gastfreundschaft uns zu [161] erfreuen hatten. Immer und immer hofften wir, auf Hülfsmannschaften zu stoßen, einem Heckerheer zu begegnen, oder eine Kolonne der Legion des Herwegh anzutreffen. Eitle Hoffnung!i Wir waren aufgegeben, unsre Führer hatten uns verlassen. Dennoch kam ich mit Mehreren, ohne mir die Haut zu ritzen, nach der Schweiz herüber. Die Uebrigen entliefen nach ihren Gemeinden, und sitzen wohl alle jetzo ganz unschuldig und gemächlich daheim, wie du es in Freiburg unter'm Schutz deiner fürstlich gesinnten Freunde gemacht hast. Dem Junker Gallus unter anderm soll es, wie ich gehört habe, in Waldshut dazumal nicht gut ergangen seyn? Während unserer Hin- und Herzüge gen Freiburg hat der Satan von Wurstinger einen Haufen seiner Trabanten aufgewiegelt, daß sie nach Waldshut zurückliefen, und richtig den Junker, der noch keine Gelegenheit gefunden, sich davon zu machen, bei'm Flügel nahmen. Er hatte wenig Geld bei sich, mußte es jedoch hergeben, und eine Handschrift obendrein, worinnen er versprach, aus seiner Rentenkasse zu Milzheim tausend Gulden auf den Altar des Vaterlandes zu opfern. Ist es so, lieber Moritz?

»Freilich, lieber Spiegler,« versetzte Moritz: »aber jene Summe wurde nicht bezahlt, weil die Zeit drängte, und die Sache des Volks verloren ging. Mittlerweile rettete sich Gallus über Schaffhausen nach Donaueschingen, wo die Württemberger und die Baiern standen, und kam von dort gen Freiburg, wo ich mich zu ihm gesellte. Was ist denn aber aus dem Wurstinger geworden – weil wir doch eben von der gemeinen Seele sprechen?«

Worauf Spiegler: Hm, der Bursch ist gleich mir [162] mit ganzem Fell durchgekommen, und läuft an der Schweizergränze hin und her, streicht den Schweizern den Kutzen, lügt die Flüchtlinge mit allerhand falschen Nachrichten an, und betrügt seine Landsleute wie seine schweizerischen Wohlthäter um ihr Geld. Solche Leute bringen unserer Sache den Fluch. Ich kenne deren Mehrere, die um solcher Niederträchtigkeiten willen eine Kugel vor den Kopf verdienten, wenn sie nur den Schuß Pulver werth wären. Doch will ich jetzt von diesen Lumpen schweigen, und dir nur in Kürze noch melden, daß ich seit Ende April auf dem Birsfeld wohne und verhältnißmäßig recht anständig lebe, weil sich meine gute liebe Mutter um mich annimmt. Weißt du noch, bester Moritz, wie ich an jenem Abend zu Engen die edle Frau behandelt, welch ein bitteres Herzeleid ich ihr gemacht habe? O, ich möchte mich selbst umbringen, wenn ich an mein abscheuliches Betragen denke! Ich konnte ja meinem guten Recht und meiner guten Sache fest anhängen, ohne das treue Mutterherz zu mißhandeln! Mutterliebe geht jedoch über alles. Die arme Frau kam dazumal durch und durch zerschmettert nach Hause, und verfiel in eine Krankheit, die zwar kurz, aber um so gefährlicher war, woraus unser Herrgott sie gnädig errettete, mir zum Troste, mir zur Hülfe. Denn kaum hatte die Genesende erfahren, daß ich von allem entblößt, in Basel herumsaß, so war auch ihre Unterstützung schon da, und allmonatlich erscheint die gute Mutter selbst bei mir, und bringt dem verlorenen Sohn ihr Scherflein. Mein Vater will nichts mehr von mir wissen. Nur die Mutter, nur die beleidigte Mutter bleibt mir treu. O, daß ich sie glücklich machen könnte, glücklich, durch den Zurücktritt von [163] der Sache der Freiheit! Aber das geht über meine Kräfte. Selbst die Bitten der edelsten Mutter vermögen in diesem Punkte nichts über mich. Auf Ehre, lieber Moritz, ich gehe noch einmal mit, wenn wieder losgeschlagen wird. Die jetzige faule Ruhe schläfert mich nicht ein; die Verbannung macht mich nicht mürbe. Das Vaterland rufe, und ich bin bereit. – Du hängst den Kopf, Freund Moritz? Sag' mir doch, woher du jetzo kommst, in dieser schönen Stunde des Nachmittags? Woher? Wohin?

Moritz erwiederte mit wehmüthiger Bereitwilligkeit: »Ich sagte dir schon, daß ich mit dem Junker auf sein Schloß zurückgegangen bin, und mein Herz in Freiburg zurückgelassen habe. Der Abschied war schmerzlich; doch sagten wir uns zu, mein Mädchen und ich, daß wir einander schreiben wollten, und daß auf alle Weise eine bessere Zukunft uns beglücken solle. Wie ich das anzustellen hätte, sollte mir in der Einsamkeit des Schlosses Milzheim klar werden. Ich wartete auf eine Begeisterung von Oben. Sie kam nicht; dagegen wurde mir das Leben auf Milzheim immer unerträglicher. Ich liebe meinen Freund Gallus von Herzen, aber ich konnte nicht bei ihm bleiben, weil ich nicht andere politische Gesinnungen heucheln wollte, als ich in der Seele trage, und weil ich doch meinen Freund und dessen Schwester nicht durch meine republikanische Aufrichtigkeit kränken mochte. Ein anderer noch gewichtigerer Umstand kam hinzu. Mit Kummer mußte ich erfahren, daß der Freiherr selbst, der in Cornelia's Familie eingeführt worden, eine innige Leidenschaft für mein Mädchen gefaßt habe. Bezaubert, wie er war, verbarg er mir diese Neigung nicht, und hatte nicht eine Ahnung davon, [164] daß ich selbst auf's Neue für Cornelia entbrannt worden sey. Meine früheren Declamationen zu Gunsten und Ehren Cornelia's, hält Gallus für verschollen, die ganze Sache für eine abgemachte Kinderei. Nun hatte ich Cornelien geloben müssen, dem Freiherrn nichts von unserer stillen Verbindung zu verrathen ... aber seiner Liebe gegenüber konnte ich doch nicht auf die Länge schweigen, und mag überhaupt nicht ferner wie ein treuloser Schmarotzer an dem Tisch des Mannes sitzen, dessen Liebe die meinige, dessen politisches System dagegen nicht das meinige ist. So hab' ich mich denn kurz und gut entschlossen, nach Freiburg überzusiedeln, und dort mir Arbeit und eine Stellung zu gewinnen, die mir ermögliche, ohne fremden Beistand mein Leben durchzuschlagen, und in der Nähe der Geliebten zu verweilen. Bevor ich jedoch diesen Vorsatz ausführte, wollte ich erproben, welche Aussichten und Hoffnungen für die Sache der Völkerfreiheit noch etwa vorhanden wären. Darum bin ich gestern nach Muttenz gepilgert, um den trefflichen Hecker zu sehen, zu begrüßen, und von ihm zu erfahren, ob wir unheilbar zu Boden liegen, oder ob wir einer Auferstehung entgegensehen. – Welch ein Mann, welch ein Mann, lieber Spiegler! Eine Größe des Alterthums, gefaßt in die Lebendigkeit unserer Zeit und in die vom Schöpfer begabteste Natur. Ich hätte vor dem Mann niederknieen mögen und lauschte mit Begeisterung jedem seiner Worte. Er war nachsichtig gegen mich wie ein Vater mit dem Sohne seyn kann; ebenso zutraulich war er. Aber was er sprach, war ein Todesurtheil. Er gibt die deutsche Freiheit verloren. Er will nichts mehr von dem badischen Volke wissen, das seine Erwartungen getäuscht hat. [165] Und in einem andern Welttheil, dort ein Freier unter Freien, will er zehn Jahre seines Lebens, die er im Ringen für die Freiheit und Deutschlands Größe vergeudete, zu vergessen suchen.«

Spiegler versetzte hierauf mit unzufriedenem Gesicht: Ja, so spricht Hecker; das habe ich mir sagen lassen. Nach kurzem Fluge läßt er die Flügel hängen. Er hat unsere Erwartungen nicht gerechtfertigt; die Heckerlinge selbst lassen ab von ihm. Die Hoffnungen der Volksfreunde sind nun einzig auf Struve und seine Genossen gestellt. Wer weiß, was bald geschieht? In Frankfurt, wie wir hören, ist es bereits zum Kampf gekommen: das Blut von mehreren Vaterlandsverräthern ist geflossen. In Oesterreich und in Preußen gährt es drohend und lebendig. Wir dürften vielleicht in Bälde losschlagen. Dann wirst du doch mithalten, lieber Moritz?

»Ach, laß mich doch mit solchen Träumereien,« bat Moritz niedergeschlagen: »ich gebe nichts mehr auf die Prahlereien. Ohne Hecker ist ohnehin nichts zu hoffen. Was gilt Struve bei'm Volke? Heckers Bild dagegen ist in jeder Bauernhütte zu finden, sein Name ist auf den Lippen von Jung und Alt. Sein Wort könnte allein noch die Massen in's Gefecht führen ... aber er schweigt ... er wendet sein Angesicht ab, er wird gehen, um niemals wiederzukehren! Ich glaube nicht mehr, ich werde nicht mehr handeln. Meine ganze Seele hängt nur noch an der Geliebten. Zu ihren Füßen will ich leben, will ich sterben.«

Ei, so möcht ich doch die Wunderdame kennen, die einen jungen Mann von deiner Willenskraft dergestalt zu unterjochen wußte, daß er der Mutter alles Lebens, [166] der goldnen Freiheit, Eid und Pflicht und Treue aufzusagen sich vermißt! sprach Spiegler mit spöttischem und etwas aufgebrachtem Ton.

In derselben Weise entgegnete ihm Moritz schnell: »Das steht ja in deiner Macht, du Weltenstürmer! So komm' doch an der Spitze des Volks in Wehr und Waffen, erobre Freiburg und sieh' mit deinen Augen die herrliche Cornelia, die selbst eine Priesterin der Freiheit, und beneide mich.« – Lächelnd fügte er hinzu: »Könnt Ihr mich dann noch brauchen, so macht mich zu einem Regierungsdirektor, oder zu einem Minister, oder gar zu einem General. Mir ist's dann all eins.«

Spiegler klopfte ihm vertraulich auf die Achsel, und redete geheimnißvoll zu ihm: Mach' keinen Trödel, Jonathas! Was seyn soll, schickt sich wohl! Ich sage dir: 's ist etwas im Werke. Eher als wir es glauben ...

Dem Spiegler blieb das Wort im Munde stecken, denn er gewahrte auf der andern Seite der Brücke, just ihm gegenüber, einen Mann, der ihm bedeutsam und angelegentlich winkte. Mit einem Satz war er drüben bei dem Zeichengeber, und Moritz sah, wie der Letztere eilfertig und dringend irgend eine Kunde meldete, die seinem Freunde das brennendste Roth auf das Antlitz trieb. Nach einer Minute setzte der Fremde mit Kurierschritten seinen Weg in die größere Stadt fort, und Spiegler kam, erregt und ergriffen, daß er an allen Gliedern zitterte, zu seinem Moritz zurück. Mit bebender Stimme raunte er ihm in's Ohr: Nun, wenn ich dir sagte ...? Jener Mensch berichtete mir. daß so eben, in dieser Stunde, Struve und seine Freunde nach Lörrach ausbrechen, um dort die deutsche Republik [167] zu proklamiren. Das ganze badische Oberland steht auf, der Erfolg ist sicher. Alle Freunde der guten Sache sind aufgeboten. Ich bleibe nicht zurück; ich ziehe aus, wie ich gehe und stehe. In Lörrach sind Waffen, und ein ganzes Heer sammelt sich dort. Und Du, mein Moritz, und Du?

Moritz, auf dessen Gesicht dieselbe brennende Röthe, wie auf Spieglers, aufgestiegen, sprang wild empor, schlug kräftig in Spieglers Hand und rief: »Wenn es denn so ist, so hat das Schicksal mich nicht umsonst hieher geführt. Freiheit oder Tod! ich gehe mit, und wenn die Welt in Trümmern zusammenbräche!« – Und mit Spiegler Arm in Arm lief er eiligst nach Kleinbasel hinein, um die Spur der deutschen Republikaner zu verfolgen. – –

– – Um dieselbe Zeit ungefähr, und manche Meile von der reichen Baselstadt entfernt, besprachen sich zwei Männer in einer Hütte des Schwarzwalds in friedlichster Ruhe und Einsamkeit. Von Politik war eigentlich zwischen ihnen nicht die Rede, wenn schon der Eine die Uniform eines badischen Soldaten trug und ein kriegerisches Abenteuer zum Besten gab. Es handelte sich von der Erstürmung Freiburgs, und der Soldat erzählte also: »So sind wir eben auf fünfzig Schritte am Predigerthor gewesen, und die Freischärler haben immer noch mit ihren Büchsen und mit einer Kanone, die sie hin und her schleiften, aus den Reben und hinter den Häusern hervorgeschossen, was Zeug hielt. Wir Soldaten waren ganz wüthig, und unser Hauptmann sagte: Jetzt noch einen Anlauf, und die Kerle sind den Ratten! – Da haben wir noch Alle einen Schuß gethan, und sind mit dem Bajonnet über [168] die Hallunken her und haben das Thor und die Speise genommen, und hat es keinen Mann mehr von unsern Leuten gekostet. Ich war aber, bei'm Donner, nah daran, und mein Leben war nicht theuer. Denn, stell' Dir vor, Landolin, daß so ein Freischärler, just da sie vor uns dahinliefen, und nur manchmal im Umsehen noch ihr Gewehr losbrannten – daß so ein Hund, sage ich, mir einen Schuß grade in den Tschako hineinthat, der mir elendiglich den Kopf zerknallt hätte, wenn ich nicht in selben Tschako mein Sacktuch und meinen Tabaksbeutel gesteckt hätte. In dem Beutel ist aber die Kugel dann gefunden worden, und in dem Tschako da kannst Du noch das Loch sehen; das lass' ich drinnen zum ewigen Angedenken. Schon vor dem gefährlichen Schuß hatte ich einen Schmiß von einer Sense in den linken Backen bekommen, und das Blut lief nur so dran hinunter. Kannst Dir einbilden, Landolin, daß ich fuchswild war, und hätte gern alles massakrirt, was mir vorgekommen wäre; aber es kam mir leider nichts vor das Eisen, die Hunde liefen, als wie besessen und der Spaß war bald am Ende. Nun, da ich im Quartier war, habe ich mir meine Blessur verbunden, und Gott im Stillen gedankt, daß ich noch so busper davon gekommen war. Es hat noch einen kleinen blinden Lärm gegeben und ich bin noch einmal mit der Compagnie vor's Thor marschirt – aber da war vom Feind auch nicht die Spur. Wir also wieder in die Stadt hinein, und so konnt' ich mich am Abend noch recht pflegen, und hab' bei guter Zeit mein Bett gesucht. Was fallt mir aber ein, da ich aus dem Schlaf erwache, und mir wiederum einfallt, was ich am Tag durchgemacht habe? Da fallt mir ein, daß der Tabaksbeutel, in dem [169] sich die Kugel verschlagen, ein Präsent von meinem alten Schatz ist, und, bei Gott, das Sacktuch ebenfalls. Das Annele aus dem »Leuen« hat mir das Tüchle gesäumt und gezeichnet, den Tabaksbeutel – da ist er, ich führ' ihn immer nach, und er ist jetzt sauber geflickt – den Beutel hat mir das Annele aus der schönsten Schweinsblase zurecht gemacht, mit grünen Seidenbändeln eingefaßt, und eine grüne Schnur dazu gethan. Ja, selbigmal war auch noch eine grüne Zeit. Item: das Präsent von dem Annele hat mir eigentlich das Leben erhalten, und seither hab' ich an das Mädel immer wieder denken müssen, noch viel brünstiger als zuvor. Es geht mir eben nicht aus dem Kopf, und wo ich nur die Augen hindrehe, seh' ich in Gedanken nichts als das Annele. Es war mir ein paar Wochen lang, als müßt' ich desertiren, und heimlaufen, und dem Annele um den Hals fallen, und wenn mich der alte böse Leuenwirth halb todt geschlagen hätte! Zwar will Annele nichts mehr von mir wissen, weil sie allen Lug und Trug geglaubt hat, den die schlechte Kunegund von mir in der ganzen Gemeinde und in der Nachbarschaft erzählt. Und ich hab' doch das Annele so lieb, so lieb! Und es ist doch alles erlogen, was die Leute Böses von mir schwätzen! Gelt, Landolin, Du hast selber niemals dran geglaubt?«

Der Angeredete, der zweite Mann in der Hütte, zugleich deren Besitzer und Einwohner, ein langer hagerer, noch leidlich junger Mensch, in dessen Zügen eine stille Krankheit, und mancher Schmerz, so über ihn gekommen, ausgeprägt lag, nickte mit dem Haupte, und sagte mit einer tiefen klangvollen Stimme, die man hinter dem schwindsüchtigen Menschengebäude nicht ge [170]sucht hätte: Ja wohl, ja wohl hab ich's nicht geglaubt, und hab' mich deiner Sach' an allen Orten angenommen. Aber der schlimmen Red' steh'n die Ohren der Menschen immerdar mehr offen, als der guten; und was der Teufel an Unkraut in einer Viertelstunde auf den Acker säet, das jätet der stärkste Engel in einem Jahr nicht aus. Zudem: was der arme Landolin vorbringt, das ist all in den Wind geredet. Die reichen Bauern sehen mich überzwerch an, weil ich eben ein armer Schelm bin; die jungen Burschen und das junge Weibervolk schätzen mich nicht hoch, weil ich ihnen für Geld bei'm Tanz aufmache, und die alten Lästerzungen ruhen eben nicht vom Morgen bis in die späte Nacht hinein. Ach, du mein lieber Lenhard, es muß halt ein jeder Mensch seine Last und Kummer tragen! Du hast es immer noch gut, und besser als andere; wenn erst ich das Maul aufthun wollte ... mir ist auch nicht in den Windeln schon gesagt worden, daß ich mit meiner Geige mir das saure Brod verdienen würde. –

Lenhard unterbrach ihn schnell: »Ich weiß schon, Landolin, hast mir's schon manchmal erzählt ... will lieber bei meinem Bericht bleiben. Weil es mit dem Desertiren nicht wohl anging, so hab' ich mich als ein guter Soldat geduldet, und meinen Hauptmann von Zeit zu Zeit um Urlaub geplagt. 's ist aber auch aus dem nichts geworden. Und doch wär' ich so gern für ein paar Tage da heraus gerutscht, weil mir ein Kamerad einen guten Anschlag gegeben hat. Der Kerle heißt Zweier, ist Gemeiner in meiner Kompagnie, und ein verstickter Student. Wenn er nicht im Dienst ist, und auch nicht im Bierhaus sitzt, so macht er allerhand [171] Verse und Reimlein, und das Revolutzen und die Liebschaften hat er los wie der lebendige Teufel. Ich halt' es nicht mit dem Revolutzen, aber die Lieb' hat sich mir in's Herz gefressen, und ich hab' das gegen den Zweier nicht verheben mögen, und derselbige hat mir gesagt: Lenhard, hat er gesagt, du bist ein Kalb, wenn du's anstellst, wie du's im Kopf hast. Meinst du denn, daß deine Stiefmutter, wenn du so mir nichts dir nichts auf den Wald kommst, nicht Mordio schreien wird? Die ganze Gemeinde wird sie wieder auf dich hetzen, und deinen Alten wiederum toll machen, und so wie der Leuenwirth hört, daß du wieder im Land bist, so sperrt er das Annele ein, daß du kein Zeichen von ihr zu sehen kriegst, und wenn sie dich noch so lieb hätte, so wird sie dir's nicht sagen können, und du wirst es nicht erfahren. Kannst dann wieder unverrichteter Sach' nach Haus gehen, und bist so gescheidt wie zuvor. Mach's dagegen so, wie ich dir's rathe, und wenn du auf den Urlaub gehst – wiewohl es dürfte schwer werden, daß du einen kriegst, denn unsere Menschenschinder halten uns jetzt fest am Bein – so laß dich in Heurlingen gar nicht seh'n, und im Hirzenbach nur zur Nacht. Du mußt ganz heimlich an das Annele zu kommen suchen, und um vor's Erste ihr Herz zu visitiren, ob nicht ein anderer darinnen im Neste sitzt, so schick' einen Spielmann voraus, der im Leuen ganz unverdächtig was auskratzt, und dazu ein verfänglich Lied singt, wie's zu der Sach' gehört. Du stehst derweilen im Finstern draußen, und wenn du spürst, daß der Gesang einschlagt und das Mädel weich gibt, so soll der Musikant ihr heimlich sagen, daß du ihr auf dem Weg stehst und so weiter. – Wie der Zweier so mit mir redet, so bist [172] du mir wie der Blitz eingefallen, Landolin, und auch ein Lied, das ich mehreremal von dir gehört habe, und ich hab' mir gedacht: Bei'm Eid, wenn ich nur Urlaub hätte, so wär's nicht ungeschickt! Aber wo war da ein Urlaub? Da will der liebe Gott, daß unserm Hauptmann oder dem Oberst der Gedanke kommt, daß er mit uns auf den Marsch geht, um ein paar Tage herumzustreifen. Sie haben's so im Brauch, seit dem Hecker, und wir marschiren eben mit, als wie die Schafe, ohne zu wissen, wohin es geht. Es ging aber nach Waldkirch, und über den Kilpen aus Furtwangen, und von Furtwangen aus Böhrenbach und von Böhrenbach über den Hammer. Und wie ich inne werde, daß wir über's Bädle von Eisenbach und über's Höchst auf die Neustadt marschiren, so geh' ich noch einmal an meinen Hauptmann, und bitt' ihn um Erlaubniß auf ein paar Stunden, um meine Eltern hinter'm Sommerberg heimzusuchen. Der Alte war gut aufgelegt, und sagt Ja, und bis morgen um sechs Uhr am Morgen soll ich wieder bei der Kompagnie sein, und auf Freiburg abmarschiren, sonst geht mir's nicht gut. Der Zweier hat mein Gewehr versorgt, und so bin ich über'n Sommerberg gelaufen. Aber mein Sinn steht nicht nach Heurlingen, wohl aber nach dem Hirzenbach, und drum bin ich bei dir angekehrt, und will's mich gern was kosten lassen, wenn du so zwischen Licht und Dunkel mit mir hinüber geh'n wolltest. Bis zum »Leuen« sind's ja nur zwei Büchsenschuß. Dann mußt du eben so gut seyn und dem Annele das Lied vom »Hüttle« singen. Weißt du? Das schöne Lied, das du so brav singst ...? Ich will dann draußen stehn, in die Stube hineinlugen, und meine Augen sind scharf, [173] ich kann mich drauf verlassen. Es müßte mit dem Kreuzdrachen zugeh'n, wenn ich's nicht herausbrächte, ob und wie das Annele noch an mich denkt, und ich will dann schon mit ihr reden, und müßt' ich bis um Zwölfe unter ihrem Fenster warten. Gelt, Landolin, du bist ein braver Bursch, und thust mir den Gefallen?«

Um seiner Rede einen bessern Eingang zu verschaffen, rappelte Lenhard mit dem Gelde in seiner Tasche. Der arme Schelm Landolin horchte begierig auf den Klang der groben Silbermünze, der ihn nicht oft erquickte, und antwortete mit einem unterdrückten Seufzer: Was kann man da sagen? Werd' dir schon die Freud machen müssen. Mußt aber nicht geizig seyn, Lenhard; du bist ja schön bei Gelde?

Lenhard erwiederte gleichgültig: »Ich hab' gestern einen Böhrenbacher im Hopsen stark herumgelegt; auch hat mir vor acht Tagen mein Alter durch den Boten aus der Neustadt ein paar Thaler geschickt. Er thut das zuweilen, aber heimlich thut er's, daß die Kunegund nichts davon merkt, und wenn er so ein paar Batzen auf die Seit' bringen kann. Du sollst zufrieden seyn, Landolin. Was mach' ich mir aus allem Geld, wenn mich das Annele noch lieb hat? Es wird aber schon dämmerig, Landolin; zieh dich an und nimm deine Geige und den Fidelbogen, wir wollen abmarschiren. Haben keine Zeit zu verlieren, denn ich muß morgen mit Tagsanbruch in Reih und Glied steh'n.«

Landolin, der den guten Verdienst nicht einbüßen wollte, machte sich fertig, sagte aber mit Zweifel und Achselzucken: Es wird nur schwer seyn, in dem »Leuen« [174] anzukommen, nämlich recht anzukommen. Seit du fort bist, bin ich nur höchstens zweimal dort gewesen. Der Leuenwirth laßt nicht tanzen und kann die ganze Musik nicht recht leiden. Wenn nicht ein paar Gäste da sind, die es verlangen, so laßt er kein Rapetizle singen, macht dem armen Landolin seine Thür vor'm Schmecker zu.

Dessen aber lachte Lenhard, und versetzte: »Du bist ein Narr, Landolin. Da, nimm Geld, und kneipe alsdann herzhaft wie ein anderer Gast in dem »Leuen« ein. Alsdann wird sich schon Gelegenheit finden, deine Fidel zu streichen, und das Lied vom »Hüttle« loszulassen. Wenn es dem Annele Freud' macht – so eine wehmüthige Freud', wo man lacht und weint zugleich – dann hab' ich gewonnen, und du bekommst noch ein fürnehm Trinkgeld obendrein.«

Landolin, seine Geige umhängend, rief: Nun meinetwegen, in Gottes Namen denn! Das Annele mag wohl ein Liedlein zur Unterhaltung nöthig haben. So oft ich sie in letzter Zeit gesehen habe, war sie verdrießlich und hing das Maul. –

»Sie denkt an mich, sie hat mich noch lieb!« jubelte in bester Hoffnung der Soldat und trieb den Spielmann aus seiner Hütte in's Freie. Es dunkelte schon mächtig, und beinahe ohne ein Wort zu reden machten die beiden Gefährten ihren Weg durch den Wald. –

Der Abend war ganz hübsch, die Sterne zogen in Masse empor, der Mond äugelte durch dünne Wolken. Im Hirzenbach war es schon so lautlos, wie in der tiefsten Nachtruhe. Die Gaststube im Leuenwirthshause war matt erleuchtet. Ein einziger Gast hatte sich dort eingefunden zugleich mit der Dämmerung. Den Mann [175] im grauen bis zu dem Halse zugeknöpften Rocke, das unvermeidliche Portfolio unter'm Arm, die eben so unvermeidliche Pflanzenbüchse auf dem Rücken, den Mann kannten die Wälder und Fluren des Hirzenbachs schon recht gut. Vor ihm stand darum auch der Leuenwirth mit abgezogener Hausmütze, und fragte freundlichst nach des Herrn Doktors Befinden und wie es denn wohl etwa der Familie Hinterbein zu Freiburg ergehe? Wo der Herr Doktor eben jetzt herzukommen beliebten, und ob der Herr Doktor nicht geruhen würden, dem »Leuen« die Ehre zu schenken, bei ihm über Nacht zu bleiben, waren die Fragen, die unmittelbar der ersten Bewillkommnung folgten. – Worauf Herr Doktor gefälligst erwiederte, daß er, um von dem schönen Spätsommer zu profitiren, seit einigen Tagen das Bädle im Eisenbach zu seinem Hauptquartier erwählt habe, und von dannen größere Streifzüge auf die Berge und in die Thäler mache, um Gras und Kräuter zu sammeln, die in der Ebene draußen nicht zu finden. Die fragliche Familie Hinterbein befinde sich wohl und würde bald ihren Kreis durch zwei Heirathen verherrlichen. Fräulein Cymbeline werde zu Ende Oktobers sich mit dem Herrn Sekretär verehelichen, und Fräulein Mathilde ihrem Beispiel nachfolgen, sobald ihr Verlobter, der bei der Einnahme von Mailand verwundet worden, von dieser Blessur hergestellt und mit Urlaub in Freiburg angekommen sey.

Mittlerweile hatte Annele dem Herrn Doktor eine Erfrischung gebracht, und sich etwas langsam und eintönig nach der Gesundheit der werthen Frau Doktorin erkundigt. Herr Doktor wußten davon nur das Beste zu berichten, waren aber innerlich sehr betroffen von [176] dem gar sehr veränderten Aussehen der lieblichen Wirthstochter. Annele war aus einer rothen Rose eine weiße geworden: ihre vordem so klaren Augen strahlten verdüstert in die Welt hinaus. Ihre Züge insgesammt waren erschöpft, ermattet; um ihren Mund hatte sich eine gewisse Verbitterung gelagert, die traurig und geheimnißvoll anzusehen. – Nachdem das Mädchen die Antwort des Doktors entgegengenommen, ging es schwerfällig zu seinem Stuhl zurück und setzte sich gleichsam müde wieder an seine Arbeit. Die Mutter war draußen in der Küche mit der Bereitung des Nachtessens beschäftigt, kanzelte die Mägde ab, die ihrerseits viel Geräusch mit Kochlöffeln und Kupfergeschirr machten, und dergestalt konnte wohl geschehen, daß der Doktor, welcher ziemlich entfernt von Annele saß, dem Leuenwirth, ohne von der Tochter vernommen zu werden. die sorgliche Frage stellte: »Ei, was fehlt denn Eurer Tochter? Mir kommt das gute Kind so sehr verändert vor. So blühend noch im Mai dieses Jahres, und jetzt so blaß, so verkümmert möcht' ich sagen? Ist sie denn krank und wo fehlt's ihr?«

Der Leuenwirth verstellte während der Anfrage sein lächelndes Gesicht in ein tiefbetrübtes, warf einen schnellen Blick nach der Tochter, und flüsterte, da sie in sich selbst vertieft war, dem Doktor hinter der vorgehaltenen Hand zu: Ach, es ist die reine Wahrheit, was Sie sagen. Sie sieht sich nicht mehr gleich, ist nur mehr ein Schatten von ihr selbst. Sie redet schier nicht mehr, fällt aus den Kleidern, und wenn nur ein Glas zerbricht, oder an der Thür geklopft wird, schrickt sie zusammen wie das böse Gewissen, und kriegt Zustände, frei wie Gichter. Sie macht uns großes Herzeleid, [177] der Mutter und mir, und sagt und sagt nicht wo's ihr fehlt, und weiß vielleicht es selber nicht. Ich hätte gern den Doktor aus dem Hammer mit ihr zusammen gebracht, aber da wird sie furios und sagt, sie sey nicht krank, und kein Doktor werde ihr helfen können. Die Mutter hat gemeint, es wäre dasele ein Rest von der alten Lieb zu dem Strolch von Heurlingen zurückgeblieben, und ich bin dem Annele in dem Betreff stark zu Leib gestiegen. Aber da ist sie noch mehr furios geworden, und hat gesagt, ich solle nicht ein Wort mehr von dem Lenhard schwätzen, oder sie würde auf und davon gehen in die weite Welt; sie könne ihn nicht leiden und nicht mehr ausstehen; es steige ihr die bittre Galle auf, wenn sie nur den Namen des ungetreuen Kerle höre, und sie wolle nicht an die Zeit erinnert seyn, da sie noch etwas auf den Bösewicht gehalten habe. So bin ich freilich über den Punkt in's Klare gekommen, aber doch wissen wir alle noch nicht, wasele in dem Meidele steckt. Wie sie heut wieder da sitzt! Als käme sie von meiner Leich', so sitzt sie da. Bei'm Eid, ich gäbe gleich heute ein Dutzend Dublonen und die schönste Kuh aus meinem Stall, wenn ich das lieb' Kindele mit einem Späßle aufheitern oder mit einer Medizin wieder zuweg bringen könnte, und wenn's auch nur für einen halben Tag, ja nur für ein Stündle gelten würde!

Indem ging die Thüre auf, und an einem langen Stecken erschien ein langer hagerer Wandersmann mit einem tiefklingenden »Guten Abend beisammen!« in der Stube. Der Leuenwirth, nachdem er den Gruß zurückgegeben, sagte noch geschwinde und heimlich zum Doktor: Schaut der Mensch nicht aus wie der leibhaftige [178] Tod von Ypern? und wendete sich dann zudem neuen Gast mit der Frage: »Ho, bist du's, Landolin? Woher des Lands und was willst du hier? S'ist kein Mensch da, wie du siehst, als dieser Herr aus Freiburg, der schon bessere Musik gehört hat, als du zu machen verstehst. Geh' mit Gott, im ›Leuen‹ ist nichts für dich zu thun.«

Der Geiger, während er, die Ausweisung nicht beachtend, sein musikalisches Handwerkszeug auf den Tisch legte und sich hinsetzte, sagte mit Sanftmuth: Nehmt's nicht krumm, Leuenwirth. Vom Geigen ist gar nicht die Rede, aber wohl vom Hunger. Ich hab' mich müd gelaufen und könnte ein Stück Speck, oder ein Schweinsknöchle, oder etwas vom Bug recht gut vertragen. Für Geld, Leuenwirth, für Geld; es fehlt mir heute nicht an Geld. »Und wenn du's umsonst willst,« lachte der Leuenwirth gutmüthig, »so sollst du haben, was du verlangst. So viel ich weiß, ist noch nie ein Hungriger aus meinem Hause ungesättigt weggegangen.« Gab auch alsobald dem Annele Befehl, für den Spielmann Wurst und dergleichen aufzutragen, und dazu ein Schöpplein, daß er damit die Kehle netze. – Annele erhob sich maßleidig, und fragte den Doktor gleichsam mechanisch, ob auch Er zu speisen verlange? »Einen Bissen möcht' ich mir wohl ausbitten;« versetzte der Doktor freundlich: »ich will etwas auf die Reise nehmen, denn ich warte nur, bis der Mond vollends klar wird, um alsdann noch in's Bädle hinüber zu pilgern. Gern blieb ich hier über Nacht, allein ich erwarte meinen Schwager Hinterbein, der, wie ich denke, heute aus der Schweiz und über Donaueschingen von seiner ge [179]wöhnlichen Geschäftstour im Eisenbach eintreffen dürfte.« – Annele verschwand, ohne ein Wort zu erwiedern, in die Speisekammer, und der Leuenwirth, bedauernd, daß ihm der Doktor nicht die Ehre für die Nacht schenken wolle, erbot sich, denselben auf seinem Wägele in's Bädle hinüberführen zu lassen, was auch der Doktor nach einigem Sträuben mit Dank annahm.« –

Der Leuenwirth rief dienstfertig aus der »Thür: »Heda, Kaspar! Kaspar, hört Ihr nicht? Das Wägele einspannen, das Bräunel heraus!« – Gleich, gleich! wurde aus der Ferne geantwortet und der Leuenwirth fügte geschäftig hinzu: »Will gleich nachsehen. Mein Kaspar soll Sie hinüberführen; der Mensch fährt zuverlässig und wie am Schnürchen, obgleich das sein eigentliches Handwerk nicht ist!« Ging dann eiligst auf den Hof, um recht bald wieder zu kommen.

Die beiden eßlustigen Gäste waren schon bedient, ihr Tisch bestellt. Frau Gertraud hatte rüstig aufgetragen; Annele saß wieder traurig oder verdrossen bei ihrer Arbeit, und gab kein Zeichen. Der Leuenwirth, nachdem er bei seiner Rückkehr in die Stube dem Doktor einen guten Appetit gewünscht, stieß den Herrn vertraulich an, auf den Geiger deutend, der in seine Speise hinein arbeitete, als sey ihm schon acht Tage lang kein Bissen zwischen dies Zähne gekommen, und sagte scherzhaft, auch eben nicht heimlich: »Schauen Sie einmal den Musikanten an! Der kommt von Villingen!« – Worauf Landolin, den Spaß gemüthlich verstehend, erwiederte: Recht, Leuenwirth; so komm ich auch. Aber man redet immer viel vom Hunger und vom Durst, ohne zu fragen, woher es den Mann hungert und dürstet. Drum bin ich heut über den ganzen Nach [180]mittag drüben bei'm Scheuerhaldenbauer gewesen, und hab' gemusizirt und gesungen, daß mir die Hände und das Maul weh' thun. Drum ist des Scheuerhaldenbauern Weib bedenklich krank gewesen, und ich hab' sie wieder mit meiner Fiedel zurecht gebracht. Sie wollte nicht essen, nicht trinken, nicht schaffen, nicht schwätzen; sie konnte nicht schlafen, nicht beten, nicht leben, nicht sterben. Sie war, wie der Doktor aus dem Hammer sagt, ganz melinkonisch geworden. Da war guter Rath theuer. Der arme Landolin hat jedoch das Weib kurirt, und nicht eher geruht, als bis das Weib mitgelacht, mitgemacht, mitgesungen, mitgesprungen hat. Das greift einem aber Lung und Leber an und da will der Magen auch was han. –

Der Geiger schwieg und verschlang seinen letzten Brocken. Aber schon stand der Leuenwirth, von der lockenden Erzählung angeregt. mit seiner Alten zusammen, murmelte mit ihr hin und her, zeigte sorgenvoll auf das kopfhängerische Annele, und bald nickte Frau Gertrud mitleidig und freundselig, und der Wirth bat den Doktor verstohlen um die Erlaubniß, den Musikanten etwas aufspielen zu machen, um die Gewalt der Kunst an dem trübsinnigen Mädchen zu erproben. »Kann schon seyn –« nickte der Doktor: »Hab' die Musik selber gern zuweilen.« – Und zum Spielmann sprach der Leuenwirth: »Wenn du nicht gar so müde wärst, Landolin, so wollt' ich dich gebeten haben, ein's aufzustreichen. Es sollte dein Schaden nicht seyn, wenn du das Meidele dasele munter machtest!« Und zu der Tochter sprach der Vater: »Geh, Annele, und rück' heran zu uns. Die Musik ist oftmals ein gutes Ding und, frischt das Herz auf, wie die Augen!« – Annele [181] antwortete kalt: Meintwegen, wenn's Euch Freud' macht, liebster Vater! – Sie kam auch wirklich, sich dem Landolin halb gegenüber, an die Seite des Leuenwirths und des Doktors zu setzen. Dem Fenster kehrte sie den Rücken zu, und ungefähr auch dem Gesindetisch, den eben die Hausmutter hergerichtet und mit den üblichen Schüsseln besetzt hatte.

Der Geiger zog den Bogen aus, und schwang ihn gegen das Fenster. zum willkommnen Signal für Einen, der Außen stand, und schon recht ungeduldig geworden war. Dann machte Landolin einen herzhaften Strich über seine Saiten, und scharrte einen tanzmäßigen Eingang herunter, welcher durch's ganze Haus dröhnte, und fröhlich erklang in den Ohren der Knechte und Mägde, die sich zum Abendessen herbeidrängten, wie zum lustigsten Walzer. Der Leuenwirth studirte in dem Antlitz seiner Tochter; die Mutter, die neben dem Doktor Platz genommen, machte es ebenso. Annele verzog keine Miene, wie sehr auch Landolin sich anstrengte, und mit seinen Tönen hüpfte und schmetterte, und auf und ab orgelte, wie kaum an der schönsten Kirchweih. Da machte er auf einmal eine Umkehr, und hob zu singen an, ein altes Lied, ein tolles schnackisches Lied, welches dem Gesinde lange bekannt, und so angenehm bekannt, daß sowohl die Bursche als die Dirnen des Hauses fast darüber des Essens vergaßen, und manche von ihnen die Melodie leise mitsummten, oder mitpfiffen. Der Leuenwirth nickte den Takt, Mutter Gertraud trat den Takt mit den Füßen, der Doktor schlug ihn mit dem Messer – Annele saß dabei wie ein Leichnam.

Landolin war fertig mit jenem Liede, und sagte [182] unter'm Geräusch des Beifalls, der von den Dienstboten ausging, mit geheimnisvoller Beziehung und mit auffallender heimlicher Eile der Haustochter in's Ohr: »Das war ein altes Lied, für die Leute gut genug, doch zu dumm für Euch. Jetzt kommt ein anderes, eben nur für Euch, und wenn Ihr lacht, und wenn's Euch fröhlich macht, so hab' ich meinen besten Lohn dahin, und ein Anderer, als ich, wird dann wissen, wie er mit Euch d'ran ist!« – Annele schaute den Geiger mit großen Augen an, denn jedes seiner Worte, obgleich im Fluge geredet, war in ihrem Gedächtniß zurückgeblieben. Aber noch eh' sie mit den großen Augen nach der Bedeutung fragen konnte, hatte Landolin einen lebendigen Strich auf seinem Instrument gethan, verirrte sich in ein schwermüthiges Vorspiel, setzte dann plötzlich ab, um die Saiten mit den Fingern zu kneipen, und sang mit seiner ergreifenden Baßstimme recht weich und anschmachtend, und so von Vers zu Vers immer zärtlicher, immer schmachtender:

Wo e klein's Hüttle stoht, isch a klein's Gütle,
Wo e klein's Hüttle stoht, isch e klein's Guet:
Und wo viel Buebe sind, Maidle sind, Buebe sind,
Do isch's halt liebli, do isch's halt guet,
Do isch'e halt liebli, do isch's halt guet.
Liebli isch's überall, liebli auf Erde
Liebli isch's überall, lustig im Mai'n,
Wenn es nur mögli wär, z'mache wär, mögli wär,
Mein müßt Du werde, mein müßt Du seyn!
Mein müßt Du werde, mein müßt Du seyn!

Der Sänger machte seine Sache gut. Alle Eßwerkzeuge ruhten, Alt und Jung lauschten still dem [183] schwermüthigen und doch so angenehmen »Rapetizle«. Dass kleinste Mäuschen hätte nicht über die Diele huschen können, ohne gehört zu werden, so lautlos war die Stube, so erwartungsvoll jeder Zuhörer, da der Geiger nach dem zweiten »Gsetzle« inne hielt. Annele hatte ihre Augen niedergeschlagen, ein leiser Anflug von wehmüthigem Lächeln verrieth auf ihrem Gesichte den Wunsch, die Fortsetzung des Liedes zu vernehmen. Der Sänger kam dem Wunsche nach, und fuhr fort, indem er sich geradezu an das Mädchen wendete, und gleichsam ernstlich ermahnend den dritten Vers anhob:

Maidle, trau nit so wohl, Du bisch betroge,
Maidle, trau nit so wohl, Du bisch in G'fohr.
Daß i di gar nit mag, nimme mag, gar nit mag,
Sell isch verloge, sell isch nit wohr,
Sell isch verloge, sell isch nit wohr!

Annele's Augen gingen wieder auf und suchten in dem Gesicht des Sängers herum, mit einem Ausdruck der unbeschreiblich war, und in dem alle mögliche peinliche Empfindungen zu verfließen schienen. Die Knechte, die Dirnen, als hätten sie gemerkt, daß hier nicht ein Alltagsgesang vorgetragen werde, hatten sich ohne Geräusch von ihren Bänken erhoben, und in einem Kreise hinter Annele aufgestellt. Auch der Leuenwirth war aufgestanden, seine Stirne ernsthaft; seine Blicke schienen sich mit denen seines Weibes zu berathen. Nur der Doktor saß völlig gleichmüthig da, und harrte des Endes. Landolin aber sagte geschwinde, wie in einem Rezitativ: »Hier muß man sich die Sach' so vorstellen, als sollte Einer Boten laufen, geschickt von der Lieb' an die Lieb'!« Nach einem lebhaften Akkord fuhr der [184] Sänger mit lustiger Laune, und in schnellerm Takt fort, daß den meisten Zuhörern das Herz im Leibe lachte:

Wenn zu mei'm Schätzli kommsch, thue mers schön grüße,
Wenn zu mei'm Schätzli kommsch, sag' em viel Grüß.
Wenn es frogt, wie es goht, wie es stoht, wie es goht,
Sag' uf zwei Füßli, sag' uf zwei Füß',
Sag' uf zwei Füßli, sag' uf zwei Füß.

Unwillkührlich, hingerissen von der frohmüthigen Weise, mit welcher der Geiger seinen Vers herausgesungen, wiederholte der horchende Chor, plötzlich in die Handlung mit eintretend, die letzte Zeile ein paarmal. –

Des Leuenwirths Stirne entrunzelte sich, Mutter Gertraud athmete leichter – aber dafür hob sich mühseliger der Busen des armen Annele; ihre Augen kämpften mit Nebel und Thränen; zu ihren Lippen, an ihre Zunge drängte sich ein unnennbares Bedürfniß, zu reden, zu schluchzen, zu schreien ... aber noch wehrte der drohenden Aufwallung ein Rest von Muth, von peinlich errungener Fassung. Aber grausam, weil bemerkend, daß sein Gesang nicht ohne Wirkung geblieben, schickte der Sänger ohne längere Unterbrechung seinen letzten Vers in die Welt hinaus, und bildete sich gar nicht ein, wie unbarmherzig eine schwer geprüfte Seele von seinem Liede mißhandelt wurde.

Und wenn es freundli ischt, sag' i sei g'storbe;
Und wenn es lache thuet, sag' i hätt g'freit.
Wenn's aber weine thuet, traurig ischt, klagt thuet,
Sag' i komm' morge, sag' i komm' heut'.
Sag' i komm' morge, sag' i komm' heut'.

[185] Wäre diese fünfte Strophe nicht an und für sich die letzte des Liedes gewesen, das Lied hätte doch ein Ende gehabt. Noch ehe Landolin die letzte Zeile gehörig wiederholen konnte, fuhr Annele, als wie von einer finstern Macht gelupft, in die Höhe ... ihren Thränen, ihrem Stöhnen ließ sie überströmende Freiheit, und, die Hände vor die Augen pressend, und mit Gewalt durch die Umstehenden sich Bahn brechend, stürzte sie, das lebendige Bild urplötzlichen Wahnsinns, in die Küche hinaus, woselbst sie nach einigen Schritten bewußtlos niederfiel. Wehklagend war ihr Mutter Gertraud gefolgt, jammernd sank sie neben der Ohnmächtigen auf die Kniee. Des Leuenwirths Schmerz und Ueberraschung waren nicht minder. Der Sturm des Augenblicks hätte ihn beinahe verleitet, die gutmüthige Menschlichkeit, die ihn belebte, zu verläugnen; denn mit einem Zorn, den noch Niemand an dem wackern Mann gesehen, polterte er dem Geiger zu: »O du böser Hund von einem Musikanten, ist das die Freude, die ich von dir gehofft habe? Warte, daß ich dich todt schlage, wie du mein armes Annele zu Tod gesungen hast!« Dabei schwang er sehr gefährlich die starken Fäuste über'm Haupte des armen Landolin, der in seiner Schwäche zusammenknickte wie ein Taschenmesser, und hätte vielleicht den schwindsüchtigen Geiger grob abgestraft, wenn nicht das Geschrei der Mutter: »Sie stirbt, sie stirbt, ach, sie ist schon gestorben!« ihn wieder an die unglückliche Tochter erinnert hätte. »Annele, o mein Annele, o du lieb's, du arm's Annele!« rief er aus, ließ von dem armen Sünder ab und rannte, wohin seine Pflicht, seine unbegränzte Vaterliebe ihn entbot.

[186] Während Gündermann obige Strafpredigt hielt, hatte Doktor Faust das bessere Theil erwählt, und als praktischer Mann gehandelt, indem er in die Küche gelaufen, und schnell besonnen war, Annele aus ihrem elenden Zustand zu erwecken. Das beste Mittel, frisches Wasser, war zunächst zur Hand. und seine Wirkung, wie immer, unfehlbar gewesen; der Schmerz der Mutter hatte dieselbe zum Beistand der Kranken unfähig gemacht, und mit dem Gesinde war nichts anzufangen, da es, wie die Dienstboten heutzutage einmal sind, ohne Theilnahme für das Wohl und Weh' ihrer Herrschaft, als ein müßiger Zuschauer des ganzen Auftritts Zeuge war. – Aber kaum hatte der Doktor seine Pflicht gethan, so schälte er sich von dem weitern Verlauf der Dinge los, und ging in die Stube zurück, Tasche und Büchse umzuhängen, und sich auf den Weg zu machen. »Bin zur unrechten Stunde gekommen;«, brummte er vor sich hin, da er seinen Wanderstab suchte: »Ist mir doch, als wäre eine üble Vorbedeutung über mich gekommen! Sollte meiner Laura vielleicht eine Fatalität passirt seyn? Nur Muth indessen. Quamquam stupefactus will ich auf Gott vertrauen und nicht muthlos sehn. Mit dem Annele, scheint mir so, wird's ein Unglück abgeben, welches unter andern Verhältnissen ein Glück wäre ...« Bei diesen Worten sah sich der Doktor plötzlich um, in der Furcht, belauscht zu werden. Der Geiger war freilich nicht mehr da; er hatte vorgezogen, nicht zu warten, bis ihn der Leuenwirth todtschlagen würde. Aber, hinter'm Tisch der Diensten saß noch immer der Theilnahmsloseste seiner Gesellen und Genossinnen, der Metzger Kaspar Flamm, auf seine Ellenbogen gestützt, und schaute vor [187] sich hin, und in die Flamme des Lichts hinein, als ob auch gar nichts Besonderes hier vorgegangen wäre. Diese unempfindliche Feierabendruhe gab auch dem Doktor Beruhigung: »Der Kerl da,« sagte er sich zum Trost, »hat nicht gehört, und noch viel weniger verstanden, was ich, in unmaßgeblicher Vermuthung, hingeplaudert habe.« – Jedoch der Leuenwirth, da er wieder eintrat, nahm des Metzgers Muße nicht so ruhig auf, sondern fuhr ihn an: »Ei ja, sitzt ihr nicht dasele wie ein Bild von Stein? Wer wird denn den Herrn Doktor da in's Bädle hinüberführen, wenn ihr's nicht thut? Das Bräunel wird schon ungeduldig, und der Herr da möcht' auch schon daheim seyn. Marsch, sag' ich, und fahrt gleich auf der Stelle vor!« –

Nun, nun, 's ist noch lang bis Morgen, und kann noch viel gethan werden! knurrte der Knecht etwas unverschämt, und begab sich hinaus. Die Aufmahnung des Leuenwirths hatte ihm indessen flinke Hände, und Beine gemacht, denn Gündermann hatte noch nicht gehörig viele Worte gefunden, um dem Doktor seinen Dank für den geleisteten Liebesdienst auszusprechen, und schon rollte das Wägele vor die Thüre, und der Gast beeilte sich, aufzusteigen. – »Gib wohl Acht auf den Herrn, und glückliche Reise, Herr Doktor,« rief noch der Leuenwirth, und Kaspar schmitzte mit der Peitsche, und das Bräunel in gestrecktem Trab durch die mondscheinhelle Nacht auf und davon.

Schon eine gute Weile vor dieser Abfahrt waren zwei Männer aus demselben Wege vorausgelaufen: der Geiger und sein Freund Lenhard, welcher Letztere sich vergebens angestrengt hatte, durch die Fensterscheiben der Stube im »Leuen« irgend etwas von dem, was sich [188] darinnen begab, zu erliggern. Der Geiger, der, sobald er des Leuenwirths ledig geworden, in's Freie gesprungen war– hatte ihm durch einander, wie es eben ging, den Unfall erzählt, der das Annele betroffen, und Lenhard hatte mit verstockter Freude gesagt: Bei'm Eid, so hat's gewirkt! 's thut mir leid um's Annele, aber 's geschieht ihm schon recht. Warum hat es der bösen Kunegund, warum hat es all' den bösen Zungen geglaubt! Jetzt hat sie's, jetzt hat sie sich verrathen, und der Alte wird wohl böse mit ihr umspringen, aber das schadt nichts. Weiß ich doch jetzt, daß mich das Annele noch von Herz und Seele lieb hat, und lebe für die Zukunft in der besten Hoffnung. Unser Herrgott wird das alles fügen, mich von den Soldaten losmachen, und das Annele und ich werden uns heirathen, und wenn sich der Leuenwirth sammt der Kunegund auf den Kopf stellt. – »Ganz gut, schon recht;« machte dagegen Landolin mit bedenklicher Angst: »Ich darf mich aber nicht mehr im ›Leuen‹ sehen lassen, wenn ich nicht wie ein Hund durchgeprügelt seyn will, und wer weiß denn, ob nicht der Alte in seiner Bosheit mich massakriren läßt, auch wenn ich ihm nicht mehr unter die Augen komme?«

Der Soldat wußte recht gut, auf welche Art die Schrecknisse des Musikanten am geschwindesten zu beseitigen waren, fügte der bedungenen Löhnung eine anständige Zulage bei, und trennte sich, da just der Seitenpfad zu Landolins Hütte sich aufthat, von dem Rapetizle-Sänger mit dem Versprechen, im nächsten Urlaub bei ihm anzukehren. und ihn alsdann gleich zur Hochzeitmusik aufzudingen. – Seinen Weg allein fortsetzend sagte Lenhard mehreremal vor sich hin: Ach, [189] wenn mein Annele nur nicht krank geworden wäre, und wenn ich nur nicht Morgen bei der Kompagnie seyn müßte, so hätten wir wohl zusammen ein glückliches Stündchen gefeiert! Aber es hat nicht seyn sollen, und mir ist doch um's Brusttuch herum verzweifelt wohl, weil ich nun einmal weiß, daß Annele, mich noch immer lieb hat, und vielleicht heut' noch mehr, als wie vor einem Jahr!

Indem er also vor sich hinlief, hörte er, daß ein leichtes Fuhrwerk ihm nachkam, und hielt seinen Schritt an, um zu hören, ob nicht vielleicht ein Plätzchen für ihn auf dem Wagen wäre. Es konnte nicht fehlen, daß er bei'm hellen Mondenschein das Wägele des Leuenwirths erkannte, und wer da fuhr und gefahren wurde, war ihm völlig gleich, wenn nur er nicht erkannt wurde. Er rief herzhaft den nächtlichen Reisenden ein Halt zu. Der Doktor, der eben von Straßenräubern geträumt hatte, wachte mit einem Schrei des Schreckens aus. Kaspar drehte sich mit geschwungener Peitsche nach dem Anrufer um, der schon den Wagentritt besetzt hatte ... doch verscheuchte die militärische Kopfbedeckung des fahrlustigen Wanderers jeden Verdacht, und nach kurzer Unterhandlung wurde zugestanden, daß der Soldat bis zum Bädle mitfahren dürfe, von wannen er kaum mehr anderthalb Stunden bis in die Neustadt zu gehen hatte. Lenhard nahm also seinen Platz neben dem Doktor ein, und hatte an demselben einen ruhigen Gesellschafter und stillen Mann. Herr Doktor schliefen nämlich alsobald wieder ein und setzten diese Uebung beharrlich fort, bis das Bräunel vor dem Badhause anhielt. Aber auch mit dem Kutscher Kaspar war nicht viel anzufangen. Der durchtriebene Bursche hatte schon [190] bei'm zweiten Wort des Lenhard denselben als den Sohn des Metzger-Thoma erkannt, und sich entschlossen, so kurz als nur möglich angebunden zu seyn, um seines verschollenen Nebenbuhlers Schliche und Ränke recht zu durchschauen, da ihm plötzlich schwante, daß Lenhards Gegenwart in diesem Bezirk dem wunderlichen Gesangvergnügen des Landolin nicht fremd seyn möchte. Immer drauf los fahrend, wie ein rechter Spitzbube, der mit gestohlenem Gute ausreißt, gab Kaspar auf die mannigfaltigsten Anfragen, welche Lenhard anscheinend gleichgültig und dennoch ziemlich schlau an ihn stellte, nur ein »Ja« oder ein »Nein« oder ein »Weiß nicht« zur Antwort. Verstellte auch dabei seine Stimme dergestalt, daß dem Lenhard nicht von weitem einfiel, sich zu besinnen, daß er diese Stimme vorlängst – während Kaspars kurzen Dienstes bei dem Metzger-Thoma – schon gehört habe. Eben diese Kürze und dieses Fremdthun machte den Lenhard zutraulicher, als er einem Bekannten gegenüber jemals gewesen seyn würde. Und nachdem das Ziel der kurzen Reise erreicht worden, nachdem der Badwirth im Eisenbächle seinen Herrn Doktor, mit dem Licht in der Hand, in Empfang genommen, spendirte Lenhard dem Kutscher ein reiches Trinkgeld, und gab ihm vertraulich auf, sein Annele tausendmal zu grüßen, und der Geliebten zu melden; daß er von ihren wahren Gefühlen unterrichtet und ihr noch zugethan sei, wie zuvor. »Sage ihr,« fügte Lenhard bei – »sage ihr ... wie heißest du denn, mein lieber Freund?« – Michel Blutzer; antwortete Kaspar kurz und gut. –»Sage ihr also, lieber Michel, daß ich bald, recht bald kommen würde, um mit ihr alles heimlich abzumachen. Sage ihr, der Lenhard halte Wort, [191] und sie müsse die Seinige werden, und wenn wir mit einander davon laufen sollten. Willst du das thun, Michel?« – Ho, warum nicht? – »So paß' brav auf, wenn ich einmal um den Hirzenbach herumstreiche, und hilf mir, wo du kannst. Du sollst noch ein herrliches Trinkgeld haben, das versprech' ich dir. Wenn aber du den Lenhard verrathen thust, wenn du mich an den Leuenwirth verkaufen wolltest, so ginge es dir schlecht. Dieses Faschinenmesser würd' ich dir durch den Leib rennen, und du müßtest elend kaput gehen, und wenn Galgen und Rad drauf stehen sollte!« – Nix kaput; Geld ist mir lieber! –

Da diese geheimnißvolle Unterredung im dunkeln Stall vor sich ging, wohin Kaspar das Bräunel geleitet hatte, konnte Lenhard nicht sehen, welch ein grimmig teuflisches Gesicht der Metzger zu seiner letzten Rede schnitt, und ging mit der Ueberzeugung, einen wackern Freund und Vermittler gefunden zu haben, seines Weges weiter fort, vom Badwirth unbegrüßt, unerkannt. – Der Badwirth hatte nämlich mit seinem Doktor vollauf zu thun, um demselben haarklein zu erzählen, daß Schwager Hinterbein bereits vor einer Stunde angekommen, und nach vielem Raisonniren über des Doktors unziemliche Abwesenheit zu Bett gegangen sei, auch bereits schlafe und schnarche, wie es einem weitgereisten Manne zukomme. – Kaspar schnitt indessen noch einmal eine bitterböse Fratze dem abgehenden Soldaten nach, und verhöhnte ihn, in den Bart brummend: Mit deinem erbärmlichen Faschinenmesser wollte ich schon fertig werden, du Fürstenknecht in zweierlei Tuch! Aber mein Plaisir wird noch einmal so groß seyn, wenn du wie ein verschämter Schulbube vor mir steh'n und zusehen [192] wirst, wie ich dir das schöne und reiche Annele vor der Nase wegführe. Das Mädel ist mir gewiß, die Eltern müssen mir's geben, müssen froh sehn, wenn ich es nur will, und für Schand' und Spott darfst du dann nicht sorgen, du erbärmlicher Tropf von einem Liebhaber und von einem Soldaten!


[193]


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