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Was wird dieser Tag bringen?« fragte sich Cymbeline ängstlich, da sie wieder zum Tagesleben sich erhob: »Wie ist es nur möglich, so viel zu hoffen und zu fürchten zugleich, wie ich es thue?« Der Tag brachte auch wirklich das Seinige, da er kaum erwacht war. Cymbeline hörte auf einmal ein Geräusch vor der Hausthüre, welches sich vernehmen ließ, als wie Getöse von Waffen. Flintenkolben wurden aufgestampft, Säbel rasselten. »Was ist das?« rief Cymbeline halblaut, und guckte hinter'm Fenstervorhang hervor auf die Straße. Richtig stand da ein kleiner Trupp von Bewaffneten, der gleich darauf mit befehlshaberischer Gewalt an die Pforte pochte. »Was soll das geben? Was wollen diese Leute?« flüsterte Cymbeline erschreckt in sich hinein, und eilte dann, Katharinchen, ihre Nachbarin, zu wecken. – Indessen hatte die Magd des Hauses die Thüre aufgeschlossen, und erstaunt nach dem Begehr der Wehrmänner gefragt. Im Nu war [160] die Hausflur von den Bewaffneten angefüllt, und ihr Anführer fragte mit starker Stimme, ob nicht der Sekretär Wahlinger in dem Hause sey? Man solle denselben nur alsogleich ausliefern, oder die strengste Durchsuchung des Gebäudes gewärtigen. – Diese Frage wurde in dem obern Stockwerk ganz deutlich vernommen und vermochte Cymbeline zu dem Entschluß, selbst, obschon im Nachtgewand, den Verfolgern entgegenzutreten, während Kathrinchen ganz den Kopf verlor, und weinend und schreiend im ganzen Hause umherrannte. Die Magd, unterstützt von ihrer Genossin im Dienste, hatte sich mit ausgespreiteten Armen vor dem Treppenaufgang aufgestellt, läugnete das Vorhandenseyn des Sekretärs, und suchte der Bande das Vordringen zu wehren. Ueber ihre Schultern hinüber sprach nun auch Cymbelchen mit Hast und Energie auf die Eindringlinge los, und versicherte ihnen, daß sie ihre Zeit und Mühe ganz umsonst verschwendeten. Es war zum Bewundern, wie des schwachen Mädchens Stimme Kraft genug besaß, um ein Dutzend Wehrleute, die ziemlich aufgeregt schienen, zur Aufmerksamkeit zu bewegen. Man horchte ihr ziemlich ruhig zu; aber, obgleich ihre Betheuerungen das Gepräge der gediegensten Wahrheit trugen, und obgleich die Sprecherin sehr lebendig und geschickt die Frage stellte, wie man denn dazukomme, den Sekretär just in diesem Hause zu suchen, welches ihm seit geraumer Zeit an und für sich verboten – so möchte doch der Erfolg nicht dauernd gewesen seyn, und die Mannschaft mit der Haussuchung Ernst gemacht haben, wenn nicht zum Glück Hülfe von außen gekommen wäre. Zuvörderst war es die Tante, die, am frühen Morgen im Fenster liegend, während [161] ihr Gatte noch von Kryptogamen und Phanerogamen träumte, die Streifwache kommen gesehen, und mit den Augen bis an die Thüre ihres Schwagers verfolgt hatte. Ueberrascht von dem Gebahren dieser Leute, und eingedenk ihrer Pflichten als Oberverweserin des Hinterbein'schen Haushalts, in Abwesenheit des Schwagers, war sie ohne Säumen, ihren Nichten zum Beistand, herangeeilt. Zum Glück auch traf es sich, daß Einer von den Herren, welche dazumal die Stadt regierten, des Weges kam, angethan mit den Zeichen seiner Würde. Den kleinen Auflauf vor und in dem Hause bemerkend, trat der Herr zugleich mit der Tante ein, und fragte nach der Veranlassung dieses Eingriffs in das Hausrecht eines Bürgers. Der Führer dieser Truppe gab zur Antwort, daß er am vorigen Abend den Befehl erhalten, den als Volksfeind bekannten Sekretär mit dem frühesten Morgen in Verhaft zu nehmen. Mit dem Frühesten auch sei er an's Werk gegangen, habe jedoch den Vogel schon ausgeflogen gefunden – (»Gott, ich lobe und preise Dich!« seufzte mit dankbarem Jubel Cymbeline, selig überrascht, in ihr Busentuch, und hätte in der Freude ihres Herzens den Anführer der kleinen Schaar umarmen mögen) – und vertraulich die Weisung bekommen, in dem Hause des Hinterbein, mit welchem der Sekretär in genauester Verbindung gestanden, nachzuforschen. »Da ich von jener Verbindung schon früher unterrichtet war,« schloß der Häuptling seinen Bericht, »so schien mir die Weisung von Belang, und ich folgte ihr. Nun läugnen zwar diese Weiber; allein ihre Behauptungen können eventuell eben so gut ein dolus, als auch die Wahrheit seyn, und ich möchte auf Untersuchung und [162] Visitation um so beharrlicher antragen, als man deutlich hört, wie oben im zweiten Stock lamentirt und gewehklagt wird, welches Wehklagen ohne Zweifel motivirt ist durch die Anwesenheit des Mannes, auf den wir fahnden!«
Nun redeten und schrieen alle Frauen, die gegenwärtig, das wehklagende Katharinchen, welches just herunter kam, an der Spitze, in den Regierungsherrn hinein, und das Gemurre der Wehrmänner machte den Baß dazu. Auf einen Wink des Herrn mit der Schärpe wurde es aber still, und dieser Herr, wie seine Kollegen alle dazumal in Freiburg, eben nicht gewaltthätig von Natur, fragte den Anführer: »Wenn ich nicht irre, so sind Sie der Schriftverfasser Melchior? So sagen Sie mir denn, wer Ihnen den Befehl, auf den Sie sich beziehen, ertheilt hat?« – Das ist der Bürger Titus, vom Generalstab der Armee, der mir gestern vor seiner Abreise nach Karlsruhe den Auftrag gab, den ich jetzo mit einigen Männern meiner Legion vollziehe. – Das die Antwort des freisamen Melchior.
Nun kam an Laura und ihre Nichten die Reihe, den Stand der Sache darzulegen; und nach deren Erklärung gab der regierende Herr die Entscheidung ab: Melchior und Konsorten hätten sich wieder dahin zu begeben, woher sie gekommen, und fürder nicht zu gehorchen den Befehlen eines Jedweden, dem es gefiele, unbefugterweise die Zeichen einer Beamtung zu tragen, die ihm nicht zustehe, und mit einer Stellung zu prahlen, an der kein wahres Wort. Freie Bürger übrigens hätten die Rechte ihres freien Mitbürgers zu respektiren, und nicht in fein Haus einzubrechen, wie Frevler thun, sondern abzuwarten, bis ein Dekret [163] der vom Landesausschuß eingesetzten Behörde sie dazu ermächtigt. – Worauf Melchior und Konsorten unlustig abzogen. Die letzteren zerstreuten sich in die kaum geöffneten Kneipen, um den Aerger über die verunglückte Expedition zu vertrinken, und der Anführer ging, mit seiner Säbelscheide das Straßenpflaster wild bearbeitend, verdrießlich gerade aus.
Da begegnete er einem Soldaten, und rief ihn an, und fragte ihn: »He, Lenhard, auch noch hiesig? Wie steht's? Hast du noch keine Nachricht von daheim?« – Und Lenhard versetzte, verdrießlicher noch als der Frager: Ha, wie wird's geh'n? Es ist halt ein Durcheinander, woraus ich nicht klug werde. Von daheim weiß ich nichts, als daß mein Alter nimmer weit zum Betteln hat, und daß die Kunegund mit einem Landstreicher davongelaufen ist, und sich jetzt zu Heidelberg, oder so wo am Neckar, als eine Marketenderin bei'm Volksheer herumtreiben soll. Ich wollte, wir wären auch schon dort, und schlügen uns mit denen Preußen herum, die, wie ich gehört habe, anmarschiren und unsere Kameraden wüst abdecken wollen. – »Pah, glaub das Lügenspiel doch nicht. Wir werden sie klopfen, die Preußen, und würden die ganze Welt klopfen, wenn wir nur einig unter uns wären!« – Lenhard gab mißmuthig darauf: Ich wollt', ich wäre todt! Unsern Eid haben wir gebrochen, und rennen jetzt herum, wie verlorne Schafe. Heut marschiren wir aus, morgen sind wir schon wieder da, und so die Kreuz und Quer, und hetzen uns ab, und 's fehlt uns am Nöthigsten, und unsere neuen Offiziere sind just so grob wie die alten, und sorgen noch viel weniger für uns. Ich hab' die liebe Nothdurft, bin [164] alleweil hungrig und durstig genug, unzufrieden mit mir selber ... he, kannst du mir nicht eine Cigarre geben, Vetter Melchior? – »Wenn ich selber welche hätte!« entgegnete Melchior, und drehte sich rechts ab. – Du bist ein rechter Knicker, Kümmelspalter und Pfennigschaber! schrie ihm Lenhard nach und ging seine Straße links. In der Kaserne fand er Befehl zum Abmarsch in's Unterland. –
Mittlerweile war ein freundlicher Bote bei Hinterbein's eingetreten: Raphael, der wirklich, wie er's gestern versprochen, eben so lustig daher kam, als er gestern traurig gegangen. Cymbeline eilte ihm fröhlich entgegen; Katharinchen wußte nichts mehr von ihrem Groll, und erzählte geläufig, was sich so eben im Hause zugetragen, und empfahl sich dem Schutz des Geliebten, als ein verlassenes Mädchen, welches von Stund an kein Vergnügen mehr an den bunten Abenteurern der Revolution zu finden wußte. Zwischenhinein fragte Cymbeline hundertmal und unverholen nach dem Sekretär; aber der Strom der Rede, der von Katharinchens Lippe floß, ließ sie fast nicht zu Wort kommen. Endlich that die Erschöpfung das Ihrige, und Trinchens Zunge versagte ihr plötzlich den Dienst. So konnte denn auch endlich Raphael der fragenden Schwester Bescheid geben. »Seyn Sie ruhig;« sagte er fröhlich. »Ihr Zettel hat Wunder gewirkt, kräftiger als ein Ukas des Selbstherrschers aller Reußen. Kaum hatte er ihn gelesen, der schachmatte Fritze, und plötzlich stand er auf den Beinen kerzengerade, elastisch, wie ein aufgejagter Hase. Himmlische, Herrliche, Dein Wille geschehe! also rief er aus, und nahm sich nur noch Zeit, das Briefchen ein halbtausendmal zu küssen, und fort [165] war er, noch vor Mitternacht. – Die höchste Zeit, wie ich jetzt höre, ist's gewesen. Und ich wünsche ihm herzlich Glück zum fernern Verlauf seiner Flucht!« – Auf welche Weise ist er fort? Wohin ist er gegangen? fragten beide Schwestern, und Raphael versetzte: »Nach Frankreich ... zu Fuße ... auf dem kürzesten Wege. Er sagte mir nur kurz, daß er unterwegs bei einem Freunde, einem praktischen Arzt, wie ich glaube, einsprechen werde, um sich mit der nothwendigsten Wäsche zu versehen, da er kein Gepäck mit sich nehmen konnte. Ein mehreres weiß ich leider nicht, denn auf das dringendste Kommando folgte der pünktlichste Abmarsch ungesäumt.«
Noch einmal, und diesmal laut, dankte Cymbeline dem Herrn des Himmels und der Erde, und rief: Jetzt fehlt nur noch, daß auch wir Mädchen aus dieser Verwirrung herausgeführt würden! Mein Herz ist zwar im Augenblick froh, aber für die Zukunft wird mir bange! – Katharinchen pflichtete ihr bei: »Ja wohl, ja wohl; mir selber wird unheimlich in dieser Stadt, wo man nicht einmal im eigenen Hause sicher ist. Ich habe mich bis daher nicht gefürchtet, allein vom heutigen Morgengruß der Freischärler beben mir noch alle Pulse. So geht's, wenn Väterchen nicht zu Hause ist, wenn junge Frauenzimmer ohne männlichen Beistand sind!« Also sprechend warf Katharinchen einen vielsagenden Blick auf Raphael, der mit einem mehrsagenderen darauf diente, aber zugleich beifügte: »Die Schönheit ist eine Blume, die mit Erfolg nur von einer männlichen getreuen Hand gepflegt wird. Wie aber, schönstes Fräulein, wenn ich gerade heute gezwungen wäre, von Ihnen zu gehen, und zwar auf eine Ewig [166]keit von ungefähr acht Tagen?« – Katharinchen wurde vor Schrecken zur Bildsäule; dennoch fragte langsam ihr Purpurmund: »Das wird doch nicht seyn?« Worauf Raphael, ernstlich mit dem Kopf nickend, aber schelmisch dabei lächelnd, einen Brief aus der Tasche, und Katharinchen in die nächste Fensterecke zog. Während er, von je ein Mann der Briefe, leise mit seinem Liebchen verhandelte, hatte sich die Tante ihrer Nichte Cymbeline genähert, gefolgt von ihrem Gatten, der ebenfalls herübergekommen war, um zu forschen nach der Ursache, warum seine Gemahlin am frühen Morgen ohne Abschied und Lebewohl ihn im Stich gelassen? – »Ich gäbe auch etwas darum, wenn ich unter einem andern Himmelsstriche wäre!« sagte die Tante niedergeschlagen: »Der Auftritt von heute will mir gar nicht gefallen, die Einquartierung von fremden Freischärlern, deren wir genießen, noch viel weniger. Wenn mein Mann zu bereden wäre, auf der Stelle nähme ich mein Kind auf den Arm, und folgte dem Beispiel deiner Schwestern, Cymbel, und des Sekretärs.« – Gravitätisch aber legte sich der Doktor in das Gespräch hinein, und predigte Ruhe, Gelassenheit und Duldung. Was ist denn, sprach er, uns begegnet? Geht nicht alles seinen friedlichen Gang? Sind die Herren, die an der Spitze der Stadt stehen, nicht wackere Leute, mit denen sich reden läßt? Sie haben ja noch nicht einmal gesagt, daß wir eine Republik haben sollen. Darüber wird erst die constituirende Versammlung entscheiden. Und wenn auch Republik, werden meine Pflanzen und Gräser nicht wachsen nach Gottes Befehl, wie überall? Wird nicht auch unser Bastianchen in der Republik gedeihen, just als wie im Großherzogthum? Ich [167] sehe schon im Geiste, wie er in wenigen Jahren als ein vollkommener Republikaner dastehen wird, unser dicker Bastian! Schon jetzo schreit er, wenn man's ihm verbietet; hält er das Maul, wenn man ihm zu schreien befiehlt – trinkend und schluckend den ganzen Tag, und schlafend wie ein selbstständiges freies Männlein die Nacht hindurch! O, es wäre jetzo eine Tirade aus meinem unsterblichen Namensvetter von Altmeister Göthe sehr am Platz, wenn mir nicht meine Laura alles Citiren aus dem Buche strengstens untersagt hätte ...! –
Laura unterbrach ihn hastig mit einer drohenden Geberde der Zurechtweisung, und sagte zu Cymbeline: »Ich will mich nur geschwinde ankleiden, und wollen wir alsdann zur Kirche gehen, um dem Höchsten für seinen Schutz unser Gebet darzubringen und ihn zugleich anzuflehen, daß er sich auch der Vernunft dieses gelehrten Herrn Doktors in Gnaden erbarme!« – –
Der Tante Wille geschah. Nach einer Stunde kehrte Cymbeline aus dem Münster zurück. Sie war aufrichtig andächtig gewesen, aber dennoch war ihre Seele nicht fröhlich geblieben. Mit schwerem Herzen – sie konnte sich's selbst nicht erklären – suchte sie den Heimweg. Katharinchen hingegen wurde von ihr in einer so weichmüthigen Stimmung gefunden, wie noch gar nie. Ihre Augen schwammen, ihr Busen hob sich unruhig, und doch herrschte eine gewisse Heiterkeit über der Aufregung des Mädchens. Katharine gab ohne Zögern der forschenden Schwester den nöthigen Aufschluß: »Ich bin zu bedauern; Raphael hat von mir Abschied genommen. Ein dringender Brief hat ihn nach Hause beschieden, und ich werde ihn vielleicht acht bis zehn himmellange Tage nicht sehen. Demungeach [168]tet bin ich stillvergnügt, ja zu beneiden. Mein lieber guter Raphael wird nicht mehr nöthig haben, von der Laune seines Herzogs abzuhängen. Er hat in einer großen Staatslotterie einen bedeutenden Gewinnst gemacht, und geht, denselben einzuziehen. Ich mache mir nun freilich aus dem Gelde wenig; Papa dagegen um so mehr. Gebe Gott, daß jene Summe die Brücke sei, die uns zu dem ersehnten Ziele führt. So wunderlich meine Liebe mich angewandelt hat, so fest hat sie sich eingebissen in meine Seele, hat mich ordentlich dumm gemacht. Ich werde nicht eher wieder zu Verstand kommen, als bis ich die Frau meines lieben Lustigmachers bin, der jetzo wirklich im Begriff ist, im Ernst ein Rentner zu werden, wie er's vor'm Jahr im Spaß gewesen.«
Cymbeline umarmte den so sehr veränderten Kindskopf und wünschte ihm Glück. Ihrem eigenen dahingeschiedenen Glück weihte sie im Stillen eine Thräne. – – Am Nachmittag und in Begleitung Alfreds kommt Papa Hinterbein an, rührig, geschäftig, zufrieden. Seine Fahrt ist ihm geglückt, seine Töchter sind in Basel untergebracht, seine Schatulle ist in Sicherheit; – Alles in Ordnung. Nun erübrigt ihm noch, für die Schwestern der geretteten Dämchen zu sorgen, und was ihm von dem Vorfall, der sich heute in seinem Hause begeben, zu Ohren kommt, bestimmt ihn, die Sache rasch anzugreifen und durchzuführen. Die Töchter bieten gar gerne zur schnellsten Davonreise die Hände, Alfred macht wie gewöhnlich den Besorger und Besteller: die Tante übernimmt, wenn auch seufzend, das Regiment über Hinterbeins Haus, und nach einer kurzen unruhigen Nacht gehen Cymbeline und Katharine, [169] Papa und Alfred auf die Pilgerschaft. Einer der letzten Tage des Mai gab recht hübsches Wetter zu der Reise her. Die Familie fand vor dem Thore die bepackte Kutsche, den zuverläßigen Hauderer, der schon Mathilde und Cornelia entführt hatte, und dem Rhein entgegen ging's im flinken Trab. »Wohin?« fragten neugierig die Mädchen. »Nach Breisach und Frankreich;« antwortete Papa. Bemerkte außerdem, daß er, wenn auch glücklich auf dem Schienenweg nach Basel und zurückgekommen, viel zu vorsichtig sei, als daß er die zweite Fahrt, so rasch folgend der andern, mit Dampf hätte machen wollen. Sprach von verdächtigen Gesichtern, die er an der Gränze bemerkt haben wollte, und die ihm argwöhnisch unter die Augen geguckt haben sollten; führte an, daß besser bewahrt als beklagt, und lobte über den Schellenkönig hinaus den Eifer und die Bereitwilligkeit, womit ihm Alfred zur Seite stehe. Katharinchen, da Freiburg hinter ihr, war froh wie die Lerche in blauer Luft; Cymbeline war von Herzen beklommen, während ihr Mund lächelte. Sie fragte sich oft: »Warum bin ich nur so gedrückt? Ich sollte heiter seyn, und ein Fels liegt mir auf der Brust?«
Indessen fördert sich die Reise; die Kutsche langt in einem Dorfe an, auf halbem Wege zwischen Freiburg und Alt-Breisach. Der Kutscher fährt an einem Gasthause vor, wo er nach Brauch seiner Gewerbsgenossen den Pferden etwas Brod verabreicht. – Das Dorf ist lebendig, denn eine Kompagnie Soldaten, die vom Rheine und von einem der kuriosen Umherzüge kommen, welche dazumal an der Tagesordnung waren, hat sich eingestellt und hält im Dorfe eine Stunde Rast. In dem Wirthshause und auf der Gasse alles voll von [170] lärmenden Zechern; in Revolutionen spielt der Wein, auch das Bier, immerdar eine Hauptrolle. – Dieses Getümmel war den Reisenden unangenehm; was ist jedoch zu machen gegen die Oberherrlichkeit eines Lohnkutschers? Hinterbein und Gesellschaft blieben also ergeben im Wagen sitzen, und der Kutscher wartete seines Amts bei den Pferden. Bauern und Soldaten hatten sich unter der Thüre der Schenke aufgestellt, und musterten neugierig das Fuhrwerk. An den Mauern des gegenüberstehenden Gehöftes lehnten und tranken ebenfalls Soldaten und Landleute im brüderlichen Verein, Gewehr im Arm, mit der freien Hand den Becher schwingend. Auch diese Zecher beäugelten vorwitzig die Kutsche und deren Insassen. Der Eine sagte: »Schau da, was für ein verdammt nettes Mädchengesicht!« Er deutete auf Cymbeline, die sich aus dem Schlag geneigt hatte. Ein Anderer sagte dagegen: »Die Braune nebenan wär' mir bei Gott lieber!« Und ein Dritter, schon benebelt, sagte mürrisch »Ich will mein Leben wetten, daß die Sippschaft dort über'n Rhein ausreißen will! Wart', wart', wenn ich zu befehlen hätte, Ihr solltet mir schon im Land bleiben, Aristokratengesindel!« Der Mensch, der seine Flinte zur Hand, und die Kapsel schon aufgesetzt hatte, wurde einstweilen von seinen lachenden Nachbarn beschwichtigt. Papa, Katharinchen und Alfred sahen von diesem Zwischenauftritt nichts, weil zur selben Frist vor dem Gasthaus eine Balgerei zwischen Hunden und Menschen ausbrach, der sie lächelnd zuschauten; Cymbelinens Auge hingegen verweilte so beharrlich auf dem Fenster eines benachbarten niedlichen Häuschens, daß auch ihm die übermüthige Ausführung des trunkenen Soldaten [171] entging. Aus jenem Fenster nämlich lehnte sich eine Person, deren Blick dem Auge Cymbelchens begegnete, und die im nächsten Moment, wie aus der Erde gewachsen, am Kutschenschlag stand, und mit dem leidenschaftlichsten Gesichte, mit der überschwenglichsten Geberde das erschrockene Mädchen anredete: »Welch ein Glück ist das meinige! Heute Sie zu sehen, schon heute Ihnen meinen heißesten Dank aussprechen zu dürfen, davon hatte ich keine Ahnung! Tausend Millionen Dank für Ihr wundervolles Warnungsbriefchen! Es hat zwar auf's Neue mein Herz zerrissen, aber mich auf ewig wieder gestärkt, ermuthigt, Ihnen auf ewig zu eigen gemacht, so daß meine sehnlichste Begierde ist, für Sie und Ihr Glück zu sterben, und mit meinem Blute meine ungeheure Schuld zu sühnen!« – Der Mann hatte eine von Cymbelinens Händen ergriffen, und hielt diese so fest, als wollte er sie im Leben nicht mehr lassen; mit der Linken aber winkte ihm das Fräulein, dem kein armes Wörtchen zu Gebot stand, hinweg, damit er sich entferne, und der Scene ein Ende mache. Inzwischen aber hatte sich Alfred nach dem Redner umgesehen, und rief: »Fritze, was machst du hier, wie kommst du daher?« Und Katharinchen schrie auf: »Der Sekretär! Papa, der Sekretär!« Und Papa schaute den ungebetenen Ansprecher mit großer Verwunderung an, und fand, wie Cymbeline, kein Wörtchen, keine Silbe. – Indessen hatten sich drüben ein paar angetrunkene und muthwillige Bauernbursche des Soldaten angenommen, den seine Kameraden kaum zur Raison gebracht hatten. Unter Lachen und Schäkern nahmen die Burschen einigen Infanteristen die Gewehre aus der Hand, und schlugen mit dem Geschrei: »Der [172] Mann hat bei Gott recht; die Ausreißer sollten wie die Hunde todtgeschossen werden!« auf die Kutsche an. Dieses alles traf ineinander, wie der Blitz. Katharinchen wurde zuerst das verdächtige Anschlagen gewahr, und stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Papa und Alfred wurden unruhig; der Hausknecht, der so eben die Pferde tränkte, ließ die Gelte fallen, und rief den Kutscher an: »Fahr' zu, fahr' zu! dort ist was los!« Der »schöne Fritz«, nun selbst erschrocken, ließ Cymbelinens Hand frei, warf sich hastig den verwegenen Spaßmachern entgegen, und donnerte ihnen zu: »Wollt Ihr Ruhe geben, liederliche Kerle, und ruhige Reisende wohl in Frieden lassen!?« Mit dem letzten Wort aber des Unglücklichen fiel ein Schuß, und Friedrich knickte zusammen. Just war auch der Kutscher auf den Bock gesprungen, und jagte davon, unbekümmert um das Gezeter Kathrinchens, um Cymbelinens verzweifelndes Wehklagen. und um die Befehle der beiden Herren, die sehr widersprechend lauteten, da nämlich Alfred gehalten haben wollte, um seinem Freund beizustehen, und Papa hingegen zu noch größerer Eile anhetzte.