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In dem Stübchen des Winkelagenten Norder war es dunkel, matt glimmte im Ofen die spärlich wärmende Flamme, wobei sich der Winkelagent und seine Frau von der Kälte erholten; Eis deckte die verklebten Fenster, aber durch Eis und Glas und Papier strahlte eine helle Gluth ins Gemach, als ob gegenüber die Häuserreihe in Brand stände.
»Wir können heute schon die Lampe sparen«, sagte Norder mit bitterem Lachen, »die Illumination an dem Palast des Grafen erleuchtet auch unsere Hütte; leider nur macht sie nicht warm.«
»Was es nur wieder drüben geben mag?« fragte die Frau mit neidischer Heftigkeit. »Die Kutschen rollen unaufhörlich, Pechfackeln lodern und das Haus glitzert von Lampen auf und nieder.«
»Was wird es sein, Dorothea? Ein Geburtstag, ein Namensfest, eine Copulation vielleicht … wer weiß? Die vornehmen Herren führen alle Tage was Anderes im Schilde. Regnet es, so tanzen sie, schneit es, so fahren sie im Schlitten, ist es heiß, so geben sie Concerte, ist es kalt, so halten sie einen Schmaus. Wenn der Kanarienvogel stirbt, so verordnen sie große Trauer, wenn der Schooßhund genas, singen sie ein Tedeum. Wer berechnet alle diese Launen? Wenn's nur Geld kostet und die Pauken fröhlich wirbeln, während die dürftigen Nachbarn vielleicht verhungern.«
Dorothea versetzte mit tückischem Lächeln: »Wahrhaftig, Alter, Du triffst es auf ein Haar. Es möchte Einen die Galle verzehren, wenn nicht schon der Mangel es thäte. Könnten wir nicht auch reich seyn? Ist es denn schon von Ewigkeit ausgemacht gewesen, daß wir in Armuth verschmachten sollen? So lange man jung ist, tröstet uns die Hoffnung, in der Kraft der Jahre thut es der Glaube an die Vorsehung; aber unter weißen Haaren stirbt die Hoffnung, wie die Zuversicht. Ich glaube an nichts mehr, Alter!«
Mürrisch antwortete Norder, die halb erstarrten Hände reibend: »Meine Eltern hatten Vermögen, ich hatte Geld. Der Krieg nahm Jenen die Habe, unglückliche Spekulation raubte mir die meinige. Ich hab's mit Allem versucht, mit Klugheit, mit Ehrlichkeit, mit Raffinerie. Alles umsonst. Es ist so weit gekommen, daß nicht der einfältigste Bauer mehr nach meinen Diensten sich umsieht. Ich bin fertig; aus ist's. Der Dummheit gehört die Welt; der steinreiche Graf dort drüben verschleudert eine Million nach der andern in eitel Thorheiten, und wir haben kein Schwarzbrod.«
»Wo das hinaus will, lieber Alter?« sagte mit arglistiger Sanftmuth das Weib. »Gabrielens Verdienst wird auch von Tage zu Tage geringer. Eine Goldfabrik nach der andern geht ein, was nützt es, daß man das Mädchen in der ganzen Stadt die schöne und brave Polirerin nennt? deßwegen dingen ihr doch ihre Brodherren von Woche zu Woche ein paar Schillinge ab.«
Norder lachte wieder grimmig und murmelte störrisch: »Verzeihe mir's Gott, aber ich wollte schier, das Mädchen wäre bei ihrer Schönheit nicht so brav. Tugend und Christenthum gehen betteln und ein gefälliges Mädchen sammelt Schätze für das Alter. Höre nur, wie da drüben die Musikanten trompeten, wie die Gäste jauchzen! Man hört das Gläsergeklingel deutlich über die Straße. Wir könnten viele Jahre lang in Freuden von dem Gelde leben, das heute durch jene liederlichen Gurgeln fließt. Sieh, Dorothea: ich setze den Fall, daß Gabriele dem tollen lockern Grafen gefiele und hübsch vernünftig wäre … sie würde bei diesen Feten die Honneurs machen, Schätze sammeln, Güter erwerben, unser Haupt auf sanfte Polster betten …«
Dorothea nickte schweigend mit dem Kopfe und erwiederte halblaut: »Ja wohl, Nicolaus, ja wohl. Wie Viele sind auf solchem Wege reich geworden, und die Ehre bleibt dann auch nicht aus. Was wird aber das Ende vom Liede seyn? Einmal verliebt sich das Mädel doch, und im besten Fall wird sie dann die Frau irgend eines Goldschmiedgesellen. Dann hört ihre Unterstützung auf, und wir können uns nur nach dem Spital und dem Kirchhof umsehen.«
»Recht, Dorothea. Das haben wir alsdann von der Mühe und der Sorge, die wir auf das Mädel verwendeten. Vornehm Blut thut nicht gut. Da war freilich Jubel im Dach, als wir das Kind zu uns nahmen, und die ersten fünfzig Louisd'or, womit uns die Mutter köderte, die sie alljährlich zu schicken versprach. Ja, Prosit die Mahlzeit; die saubere Emigrantin schickte nicht mehr einen Heller, und wir hatten das fressende Kapital auf dem Halse. Verfluchtes Geld, das auch den Klügsten blendet! Was genießen wir nun davon, nachdem wir das Kind zur Schule und Christenlehre geschickt und ihm ein einträgliches Handwerk haben lernen lassen?«
»Einzig und allein, daß wir noch nicht verhungert sind, weil Gabriele uns ihre paar Groschen gibt«, meinte Dorothea.
»Das ist ihre vermaledeite Schuldigkeit.«
»Ganz gut, Alter. Sie sollte aber mehr für uns thun, und da wir auf diesem Kapitel sind, so will ich Dir geschwinde etwas vertrauen, ehe das Mädel heimkömmt.«
Das würdige Paar rückte zusammen und Dorothea erzählte mit geheimnißvoller Miene: »Da ist der Kammerdiener des Grafen, der alte liebe Herr Bonaventura, der manchmal mit mir redet, wenn ich drüben von dem Koch eine Suppe oder ein delikates Tafelüberbleibselchen hole. Der alte Herr hat Augen wie ein Falke und sah schon manchmal unsere Gabriele, und meinte denn auch, das Kind sey verzweifelt hübsch. Da kam er neulich auf den Reichthum seines Herrn zu reden, und wie derselbe vor Geld und Gut nicht wisse, wo aus und ein, und alle Liebhabereien befriedige, die nur das Herz begehrt, sich aber leider nicht allzu viel aus den Weibern mache. Nun ist es dem Herrn Bonaventura schon recht, daß der Graf nicht heirathet, weil ansonst die Frau im Hause commandiren würde, und nicht der Herr Kammerdiener, aber er möchte wohl den tollen jähzornigen Gebieter durch eine kleine Inclination ein Bischen kirre machen und warf verlorene Worte wegen unserer Gabriele hin. Er rechnete z. B. so: wenn es ihm gelänge, nach einem verjubelten Abend die liebe Unschuld in die Nähe des Grafen zu bringen, so möchte dieser wohl von so vielen Reizen gerührt und in dem angenehmen Netze gefangen werden. Wie Herr Bonaventura den Grafen kennt, so zählt er auf eine dauernde Verbindung, wenn derselbe einmal in den Angelhaken gebissen; wo nicht, so wäre doch bei der enormen Freigebigkeit des Cavaliers nicht zu zweifeln, daß er mit einem starken Jahrgehalt und kostbaren Geschenke diejenige belohnen würde, die ihm ihre erste Liebe zugewendet hätte.«
Dem alten heillosen Winkelagenten gingen die Augen groß auf, und mit begieriger Hast, leise flüsternd, als ob der Ofen selbst ihre niederträchtigen Plane verrathen könne, beredeten sich die beiden alten schlechten Leute über die geeigneten Mittel und Wege, die unbefangene Tugend in den Abgrund der Verführung zu stürzen. Unter diesem greulichen Zweisprach schlug es neun Uhr auf den Thürmen der Stadt, die Feierabendglocke von St. Johann läutete, die in den Fabriken beschäftigten Arbeiter wurden aus den gaserleuchteten Sälen entlassen, und auch die arme Gabriele kehrte, von Frost durchschauert, eiligst nach Hause zurück. Mit einem freundlichen Gruße trat sie in das finstere Gemach, zündete geschäftig die Lampe an, reichte den Alten die Hand, entledigte sich der Arbeitsärmel, der Handschuhe, und rieb erwärmend die feinen Finger. Dann packte sie den Arbeitsbeutel aus, verschloß sorgfältig in dem Schrank einige Kleinodien von Werth, die man ihr zum Poliren nach Hause gegeben, und breitete vor den Pflegeeltern auf einer reinlichen Serviette die Semmelbrode und das geräucherte Fleisch aus, das sie zum Nachtmahl mitgebracht. Zugleich schüttelte sie ihr kleines Geldbeutelchen, worinnen schweres Silber klang, und sagte vergnügt: »Mein wackerer Fabrikherr hat mir einen Vorschuß gegeben, zehn Kronenthaler, wohlgezählt, damit wir die Feiertage fröhlich begehen können und auf ein paar Wochen darüber hinaus versorgt sind. Einen Theil des Geldes kann ich schon während der Festtage abarbeiten, indem ich zu Hause die Ketten und Armbänder polire, die der amerikanische Consul für seine Nichte bestellt hat. Darum wollen wir uns traulich zusammensetzen, und der liebe Vater mag nur sagen, ob er heute zu dem Schmause Bier oder Wein zu trinken begehrt, damit ich es noch schnell aus der Nachbarschaft hole.«
Nach einigem Zaudern entschied sich der Alte für den Wein, und schmunzelnd erklärte sich Dorothea bereit, denselben statt des Mädchens zu holen.
»Nicht doch, liebe Mutter,« versetzte Gabriele: »es ist kalt und Du hast böse Füße. Ich bin in einem Augenblick zurück, denn die Straße ist spiegelhell von der Beleuchtung am Palais des Grafen.« Eiligst hatte sie die Flasche ergriffen und sprang wie ein Reh die Treppen hinab.
Stumm und beschämt saßen die alten Leute eine Weile einander gegenüber. Mit schüchterner Stimme begann endlich Nicolaus: »Die Gabriele ist doch ein gutes Schäflein und thut, was sie uns an den Augen absieht. Ich dächte … der Anschlag mit dem Grafen … wir könnten's verschieben … es müßte just nicht heute sein.« –
Da seufzte Dorothea mit schlimmer Heuchelei und entgegnete schneidend: »Wie Du willst, lieber Alter. Aber heute wäre passende Gelegenheit, und übermorgen, vielleicht morgen schon reist der Graf nach Italien. Wer weiß dann, ob und wann er wiederkömmt, und ob er nicht ein Liebchen in Welschland findet, während Gabriele, wenn wir die Sache klug angreifen, selbst Hahn im Korbe seyn und als eine große Dame mit nach Italien reisen, uns im Ueberflusse zurücklassen könnte.«
Hierauf zuckte Norder die Achseln, nickte unschlüssig und murrte vor sich hin: »Das ist freilich so eine Sache.«
Dorothea merkte, daß der Sieg auf ihrer Seite war, und freute sich dessen; die Wünschelruthe des Gewissens schlug seltener an ihr versteinertes Herz, als an die Brust des Mannes.
Nach wenigen Minuten kam Gabriele wieder, eine lächelnde Hebe, mit perlendem Purpurtrank, wogegen sie den Giftbecher eintauschen sollte.
»Du bist so lustig, mein Kind?« fragte Norder verlegen, und das Mädchen entgegnete, indem es die Speisen zerschnitt: »Ei, mir lachte das Herz, da ich im Vorübergehen bei unserem reichen Nachbar die glänzende Herrlichkeit schaute. Ach, wie schön ist der Palast aufgeputzt! Zwölf Pechfackeln brennen vor dem Hause, von Lampen strahlt die ganze Fronte, über dem Thore flattern Guirlanden von den schönsten künstlichen Blumen, in der Halle brennen hundert Kerzen, stehen Orangenbäume, Blumentöpfe garniren die Treppe, deren Stufen mit prächtigen Teppichen belegt sind, und zwei Mohren in goldenen Kleidern heben die Gäste aus den Kutschen, und ein Herr in gestickter Uniform, den Degen an der Seite, empfängt, die da kommen, geleitet, die da fortgehen. Geputzte Damen steigen die Treppe auf und nieder, ein Heer von Lakaien treibt sich umher und das Volk drängt sich so zahlreich hinzu, daß die Polizeireiter kaum Ordnung zu halten vermögen. Wie schön muß es nicht erst in dem Hause selbst seyn! Die Musik, die Tafel, die Beleuchtung, der Tanz … zum ersten Male in meinem Leben wünschte ich so recht von Herzen, die Pracht mit ansehen zu dürfen, nur von ferne aus einem Winkelchen, so etwa wie im Mährchen die arme Aschenbrödel.«
Ein unheimlicher Strahl fuhr in Dorotheens Augen auf, sie trat bedeutungsvoll auf die Zehen ihres Mannes und antwortete schlangenhaft: »Ei, liebe Gabriele, für so viel Freude, als Du uns heute machst, möchte ich Dir schon das Vergnügen gewähren, wenn es der Vater erlaubte. Wenn wir genug gegessen hätten, schlüpften wir in unsere Mäntelchen, huschten hinüber und bäten den guten Herrn Bonaventura, den ich ein Bischen kenne, um ein verstohlenes Plätzchen auf der Galerie, wo die Musikanten sitzen und die Weiber der Hausoffizianten dem Ball zusehen. Ein Stündchen ist ja keine Ewigkeit, und Väterchen würde sich mit seiner Flasche unterhalten, bis wir wiederkommen. Was meinst Du, Alterchen?«
Gabriele war freudig überrascht, klatschte in die Hände und betrachtete mit hoffnungsvollem Blick den Pflegevater, der nur wenige schüchterne Einwendungen wagte und endlich sein Jawort gab, als Dorothea schon ihre Saloppe umgeworfen hatte. Zitternd vor Neugier und Vergnügen that Gabriele ein Gleiches, hing sich fest in den Arm der Mutter und schlüpfte über die Straße nach dem verheißenen Paradiese. – Der Eintritt war nicht leicht; schnelle Räder, stampfende Rosseshufe, der Ungestüm des andrängenden Pöbels, die Grobheit der abwehrenden Thürsteher machten den Paß schwierig. Dorotheens spitzige Elnbogen verschafften sich indessen Platz und Raum bis zu einem der goldbeblechten Mohren, der mit grinsender Freundlichkeit das schöne Mädchen bei der Hand nahm und sammt der Begleiterin dem Kammerdiener überlieferte, welcher just unter dem gaffenden Gesinde seinem spanischen Rohr zu thun gab. Bonaventura's Heftigkeit wandelte sich schnell in zudringliche Galanterie, da er Gabrielens ansichtig wurde. Geschäftig wedelte der alte dicke Italiener eine Hintertreppe hinan, die Weiber folgten ihm und gelangten unter seinem Schutze auf die von Dorotheen erwähnte Tribüne. Mehrere privilegirte Zuschauer und Zuschauerinnen hatten bereits neben dem Orchester ihren Platz gefunden; dennoch brachte Bonaventura seine Gäste an eine vortheilhafte Ecke. Vor Gabrielens trunkenem Auge lag der herrliche Saal, von Marmorpfeilern getragen, zwischen denen eine reiche Fülle von Gold, Frescobildern und Spiegeln hervorquoll, beschimmert und umblitzt von unzähligen Wachsflammen, wie von einem Feuermeere. Eine Menge von Kronleuchtern schwebte an Purpurbändern von der Decke hernieder, goldene Leuchter starrten aus allen Wänden, von jedem Fries schwankten lebendiggrüne Festons, in jeder Ecke standen Rauchfässer auf japanischen Gestellen und spendeten balsamische Düfte. Die künstliche Wärme im Saale, erhöht von dem Gewühl der Gäste, dem Dampfe des Räucherwerks und dem Feuerathem der Beleuchtung, spottete des eisigen Winters so sehr, daß man mit Entzücken dem plätschernden Springbrunnen nahte, der mitten im Saale aufstrahlte, umgeben und überdeckt von einem hohen, aus Golddraht gefertigten Käfig, worinnen muntere Kanarienvögel auf- und abschwirrten und fröhlich sangen, halb verborgen hinter blühenden Sträuchern. Um die Strahlquelle drehte sich Tanz, hundert Paare walzten, während auf anderen dazu bezeichneten Flächen des ungeheuern Saals Contretanz und Monferine ihre Figuren schlangen, sobald das Orchester auf der Tribüne schwieg und die Musik im Saale selbst begann.
Als nun Gabriele den Wirbel von so vielen glänzend geputzten Leuten sah, die theils im Tanze hüpften, theils auf rothsammetnen Estraden saßen oder Erfrischungen verzehrten, herumgereicht von Bedienten, die wie Marschälle anzusehen waren, da wurde ihr eng ums Herz, ihr Auge feucht. Dorothea beobachtete lauernd ihr Gesicht und sagte mit heuchlerischem Mitleid: »Wohl magst Du seufzen bei so viel Prunk und Herrlichkeit, Du armes Kind. Das Nämliche war Dir in der Wiege beschieden, und wenn Deine Mutter Dich nicht verlassen hätte, so dürftest Du es mit einer jeden von den Damen aufnehmen, die sich da unten so hoffärtig benehmen, als gäbe es außer ihnen Niemand auf der Welt.«
»O, schweige doch, ich bitte«, antwortete das Mädchen kummervoll und leise, »ich bin ja zufrieden mit dem, was mir der Himmel bescherte, und mit meiner Mutter wird schon der liebe Gott abrechnen, wenn sie nicht schon längst bei ihm ist, wie ich beinahe fürchte.«
Schmerzlich beugte sie ihr Haupt und ermuthigte sich nur nach und nach wieder an den Accorden der Musik. Doch war der Widerhaken in ihrer Brust geblieben und sie gestand sich heimlich selbst, daß es doch nicht so verwerflich wäre, wenn das Schicksal sie in den Vortheilen belassen hätte, die es ihr an der Wiege zugesichert zu haben schien. – Dorothea störte ihre Gedanken nicht und zog sich nach der Thüre der Galerie zurück, wohin Bonaventura sie durch einen Wink beschieden und wo Beide in vertraulich heimliches Gespräch sich vertieften.
Graf Adhemar war vor nicht gar langer Zeit in der Stadt eingetroffen. In fernem Lande geboren, unermeßlich reich, in den besten Mannesjahren, auf der Grenze der Dreißig stehend, hatte er abenteuernd die Welt durchstürmt, bald da, bald dort gerastet und die Heimath nur in langen Zwischenräumen besucht, um auf seinen Gütern nach Ordnung und Bestand zu sehen. So hatte denn auch der wunderliche Zug seiner Launen ihn hieher geführt, und allenthalben war ihm der Ruf eines tollen Sonderlings vorausgegangen. Man erzählte sich von ihm die sonderbarsten Dinge, und alle hatten Grund und Alles war ihm zuzutrauen. Er schleppte das Gefolge eines Satrapen hinter sich her, einen Troß von Dienern, einen Marstall voll der schönsten Racepferde, Equipagen von allen Formen, zahlreiche Hausofficianten, endlich einen Schwarm von Künstlern, die nichts zu thun hatten, als seinen Launen zu fröhnen: einige Maler, die seine Pferde kopirten und seine verwegenen Reiterstückchen in genialen Skizzen verewigten, Musiker, die mit ihrer Virtuosität seine Tafel belustigten, die Serenaden brachten, welche er anordnete, die vertraulichen Orgien erheiterten, die er seinen zahlreichen Bekannten gab; ein Taschenspieler, ein Gaukler folgte seinem Zuge, ein erfahrener Waffenschmied besorgte seine Gewehrkammer, ein besoldeter Tapezier schmückte allenthalben wie mit Zauberschnelligkeit die Quartiere, die des Grafen Couriere wählten und sein Schatzmeister freigebig bezahlte. Was nur fantastisch war, wurde vom Grafen überschwenglich geliebt, er zog gerne die Blicke der Welt auf sich, sowohl durch den allzu üppigen Bartwuchs, womit er stolzirte, als auch durch den sonderbaren Schnitt seiner Kleider, durch seine Gewandtheit zu Pferde, worin er excellirte trotz einem Zögling des Franconi, und durch die beispiellose Geldverschwendung, deren er sich befleißigte. Stieg irgendwo ein Luftballon, so mußte Adhemar nothwendig mit hinauf, gab es irgend ein Duell, so secundirte er wenigstens, wenn ihm eine Hauptrolle dabei versagt war; bei jeder Wette hielt er mit, jeden Unfug half er mitbegehen, eine Reise von ein paar hundert Meilen war ihm eine Kleinigkeit, eine Ausgabe von eben so viel Dublonen gar nichts. Er trank das ganze Jahr hindurch Wasser, bis er sich einmal vornahm, beim Gelage sich zu berauschen; er liebte den Tabak nicht und rauchte doch um der prächtigen Pfeifensammlung willen, die er mit schwerem Gelde sich angelegt. Fiel es ihm ein, so schlief er wochenlang nicht eine Stunde und taumelte von Excessen zu Excessen; dann war er wieder für Monden der solideste Mann; dann gefiel es ihm plötzlich wieder, vierzehn Tage lang das Bett nicht zu verlassen. Ein Mal beschenkte er seine Leute mit vollen Händen; das andere Mal prügelte er sie mit der Hetzpeitsche ohne Erbarmen durch. Heute war er der wohlthätigste Almosengeber, morgen warf er den unverschämten Bettler und die verschämte Armuth zugleich aus dem Hause. Was erlaubt war, that er lässig, eifrig aber, was ans Unerlaubte grenzte oder verboten war. Wilde ungeregelte Lebenskraft pochte in seinen Adern, für die Sinne handelte er rasch, träge für den Geist. Er ging in die Komödie, um zu schlafen, er besuchte Kirchen und Hörsäle, um Spektakel zu machen, er liebte Gemälde – von Pferden und Hunden, er schätzte Musik, wenn sie ihm zum Tanze spielte oder ein Tafellied begleitete. Alles, was Reichthum schafft, versammelte er auf seinen Gütern, führte er in seinen Fourgons mit sich; nur zwei Dinge fand man nicht in seinem Hause, in seiner Nähe: Bücher und Weiber. Die ersteren hatte er so zu sagen nie gekannt, die letzteren nur in verächtlichen Exemplaren kennen gelernt und stets nach kurzem Umgang wieder weggeworfen. – Dieses rauhe Verkennen weiblichen Werths hatte ihm nichtsdestoweniger durch tausend Schlingen geholfen, die ihm von Koketterie und elterlicher Versorgungswuth gestellt worden waren. Er, das Ziel aller gefallsüchtigen Mädchen, aller berechnenden Mütter, aller spekulirenden Väter, wäre unausbleiblich in den Netzen dieser geschickten Jägerzunft gefangen worden, hätte er ein empfängliches Herz gehabt. Sein Rang, Name und Reichthum öffneten ihm jedes Haus, jedes Schloß; bei keinem Ball, bei keiner Gasterei durfte er fehlen, so wie auch kein Mädchenkopf am Fenster fehlte, wenn er wie toll auf rasenden Hengsten durch die Stadt sprengte, über Barrieren setzte, oder als kühner Wagenlenker die gefährlichen Höhen auf- und abfuhr, als gelte es den Hals zu brechen je eher, je lieber. – Adhemar's Galanterie und Lebenslust widerstand den Einladungen nicht, wenn auch sein Verstand süßere und gefährlichere Lockungen abwies. Um jedoch keine Verbindlichkeit irgend einer Art zu haben, machte er freigebig jeden Ball und Schmaus mit einem anderen wett, oder bewirthete seine zahlreichen Gastfreunde alle zusammen an einem Abend mit einem Feste, dessen sich ein Fürst nicht schämen durfte.
So war es auch heute. Seinen Dank für viele genossene Höflichkeiten des Adels in der großen Stadt verband er in einem prächtigen Abschiedsfeste, womit er seine nahe Reise nach Italien zu begehen vorgab. Er machte unermüdet den Wirth während der ersten Hälfte des Balls und bei der leckeren Tafel, woran zur elften Stunde die Damen sich niederließen, bedient von den aufrechtstehenden Herren. Doch war die Tafel kurz, geflissentlich abgekürzt durch den Wirth, der das Orchester heimlich beordern ließ, mit dem rauschendsten Walzer die plaudernden Gäste aufs Neue zu locken. Die Damen widerstanden nicht, Adhemar führte die Schönste zum Reihen und bemerkte bald mit behaglicher Schadenfreude, daß die geschmückte Tänzerin ohnmächtig zu werden drohte. Rasch entzog er die Unpäßliche dem Gewühl, übergab sie der Obhut ihrer Verwandten und verschwand selbst, wie ein Gespenst. In dem dunkeln Corridor, der nach dem Hintergebäude des Palastes führte, begegnete der Graf seinem Gesellschafter Helmsdorff, einem armen, aber fein gebildeten Edelmann, den er fütterte und bald als Sekretär, bald als Ceremonienmeister verwendete.
»Ist die Compagnie beisammen?« fragte er seinen Protégé: »ich hab' es auf dem Balle satt, mag mich nicht länger geniren und dürste nach freieren Athemzügen.«
»Die Intimen sind versammelt, die kleine Donzelli, die blasse Mimi fehlen nicht, der rothe Engländer, Graf Marco, der Domherr und die übrigen Eingeweihten erwarten den König des Festes.«
»Bravissimo, mein Freund. Vertritt meine Stelle auf dem Ball, halte die Leute hin, daß sie tanzen, bis der helle Tag in die Fenster scheint. Ich liebe das, man spricht davon. Ich will jedoch auf meine Weise fröhlich seyn, und es kitzelt mich, heute, nur ein paar Klafter von der besten Gesellschaft entfernt, ein Bacchanal mit lockeren Wüstlingen und Balletnymphen zu begehen. Eile, fliege, vertröste die Stiftsfähigen von Stunde zu Stunde auf meine Rückkehr. Der Verdruß, mich erwartet zu haben und am Ende mich doch nicht zu sehen, darf den armen Schluckern nicht geschenkt seyn.« –
Sie schieden. Der Graf gelangte bald zu der Thüre, die in das Heiligthum sybarithischer Freuden führte. Drei Gemächer in dem Hintergebäude waren dazu hergerichtet: ein Speisesaal, ein Spielzimmer und eine Zechstube; ein paar Kabinette und eine Küche waren die Beigabe zu diesem Tempel des Bacchus, und dieselbe Pforte schloß all' diese Gemächer von dem Hauptgebäude ab. Heitere Eleganz und Bequemlichkeit vereinigten sich in diesem Aufenthalt, zu dem man von der Straße ganz unbemerkt gelangen konnte, wenn man in dem Nebengäßchen anfuhr und in das Seitenthor des Palastes trat.
Die für diesen Abend geladene Gesellschaft war erst gegen die elfte Stunde eingetroffen. Die Herren hatten bis dahin sowohl im Schauspiel, als in Kaffeehäusern vollauf zu thun gehabt, die Damen kamen gerade aus der Scene des großen Ballets. Der verführerischste Negligéputz machte ihre Reize um so anziehender, wie die Begeisterung des Abends und der bereits genossene Wein die männlichen Gäste munterer und rühriger machte. Man kam schon reger und belebter zusammen, und die Hoffnung, des Abends Freuden durch Scherz und Tafellust zu steigern, entflammte jedes Auge. Die Bedienten, welche in diesem verschwiegenen Tempel die Wache hatten, waren schon besorgt gewesen, für die Gesellschaft ein feines Souper aufzutragen, und Ahdemar trat ein, als die ersten Champagnerflaschen entpfropft wurden.
»Ein feierlicher Empfang!« rief er lachend in die Versammlung: »die Artillerie, die ich am meisten liebe. Guten Abend, meine Damen, seyd gegrüßt, ihr Herren. Ich flüchte mich in Ihren Schooß, mich für die Langeweile zu entschädigen, die ich jenseits erdulden mußte.«
Ein lautes Vivat war die Antwort der Tischgenossen. Mimi winkte den Grafen neben sich, der englische Baronet schob ihm ernsthaft ein Glas hin, ein Schauspieler begrüßte ihn mit passenden Versen, die der karfunkelnasige Poet der Tafelrunde wohl zu machen, aber nicht zu recitiren verstand. Bald war das Gespräch in vollem Gang und die Zunge des Grafen geflügelt, weil er heute Wein trank. Den ersten Becher mußte ihm der Domherr, ein behaglicher Atheist, in aller Form segnen, Mimi kredenzte ihn, und nachdem der Graf den ersten Schaum abgetrunken, schlürfte die Neige vollends, halb verstohlen und mit komischer Hast, ein Doktor der Philosophie, einer von den unzähligen Doktoren Deutschlands, dessen Schmarotzerkunst und Pickelhäringsgeschick vollendet zu nennen waren. Er machte den lustigen Rath, vertrug jede Grobheit, so lange er nüchtern war, kannte das Zartgefühl kaum dem Namen nach, bebte vor keiner Schüssel zurück, betrank sich auf Kommando, wurde alsdann seinerseits grob, und ertrug zuletzt mit stoischer Fassung die Züchtigungen, die man über ihn verhängte.
Außer den schon genannten Personen waren noch einige Edelleute gewöhnlichen Schlages zugegen, dürstend nach Wein und Spaß, ein paar geistreiche Künstler, eifrig, zu genießen und Skizzen zu sammeln, ein Forstmeister, der auf verwegenen Ritten schon Arm und Bein gebrochen, folglich für den Grafen eine Respektsperson war, ein ehemaliger Offizier, der sich bereits im Dienste aller Potentaten geschlagen, und endlich der Graf Marco, ein seltsamer Mensch, von den Unschlüssigen, die bald rechts, bald links gehen, alle Augenblicke ihren Lauf ändern und kein festes Steuer führen. Marco war früher Wüstling von Profession gewesen; eine zärtliche Liebe hatte ihn davon abgebracht. Ein Knecht der neuen Leidenschaft, sprach er lange seinen früheren Hohn, konnte aber doch nicht hindern, daß er nicht manchmal in die alten Stricke zurückfiel. Adhemar's lustige Wirthschaft gefiel ihm dann und wann; dann und wann verließ er seine angenehme Häuslichkeit, um die Feste im Hause des Grafen mitzufeiern. Marco und Adhemar fanden Berührungspunkte unter sich, konnten sich gegenseitig wohl leiden, achteten einander jedoch nicht im Geringsten. Das hinderte sie indessen nicht, innige Freunde zu seyn, so lange Momus waltete.
Und heute waltete der lustige Gott vorzugsweise mächtig. Von allen Seiten der Tafel brach ein Feuerwerk des Witzes los, gepaart mit aufsprudelnden Quellen des gröberen Scherzes. Der Graf behauptete lachend, er werde nach Welschland ziehen, um dort Eremit zu werden, die braune Donzelli bat im Voraus um seine Fürbitte, der Capitular sprach ein frivoles Anathem über die Teufelskinder, die auf der öffentlichen Scene agiren, der Pickelhäring parodirte den Bannspruch auf seine Weise, und einer der lustigen Junker schlug dem fröhlichen Wirth vor, lieber im Lande zu bleiben und eine Frau zu nehmen.
»Sie werden mich gleich aus meinem Himmel reißen, wenn Sie auf diesen Punkt kommen,« versetzte Adhemar, und in der That wich der frohe Muth von seinem Gesichte: »bei den Geistern meiner Vorfahren und dieses Champagners schwöre ich, niemals zu freien.«
»Welch' glücklicher Vorsatz!« flüsterte die Donzelli, die in ihrer Ehe böse Erfahrungen gemacht haben mochte: »Ungebundenheit das höchste Glück!«
»Ja wohl,« bekräftigte der Canonikus: »schon Paulus hat gesagt …«
»Ei was, Paulus hat nichts gesagt«, fiel ihm der lustige Rath ins Wort und hielt ihm den Mund zu: »aber der Herr Graf will reden. Silentium also.«
»Ich passe nicht für eine Frau, und keine Frau für mich,« rief der Graf diktatorisch.
»Prächtig ausgedrückt!« jubilirte der Schauspieler: »Shakespeare hat die Rolle des Hamlet gerade nur für Sie geschrieben.«
»Wahrhaftig, dem Grafen ist unserer Damen Stand und Reichthum viel zu gering,« meinte der Forstmeister, und Adhemar entgegnete ihm: »Keineswegs, unsere Edeldamen sind mir zu hoch. Affektation und Weichlichkeit sind mir verhaßt, und ich zöge vielleicht eine Zigeunerin der reichsten Dame vor, wenn ich überhaupt der Narr wäre, ein Band zu knüpfen, an dessen Einförmigkeit ich ersticken müßte.«
»Gut gesagt, ich gratulire«, schaltete der Brite ein, ohne seine eisige Monotonie zu verlieren: »Abwechselung erhält, das Einerlei mißfällt.«
Die blasse Mimi schmiegte sich zutraulich an Adhemar und lispelte: »Sie scheiden vielleicht bald, und noch hatte ich nicht das Glück, Sie in meiner armen Wohnung zu empfangen?«
Der Graf klopfte sie schäkernd auf die Wangen, bedeckte mit seiner Hand ihr schmachtendes Auge und antwortete mit Schadenfreude: »Das wirst Du auch nie, kleine Prinzessin vom seidenen Flitterschuh. Ein Tete-a-tete ist nicht von meinem Geschmack. Ich liebe Euch nicht so sehr, verführerische Nymphen, und will Euch eher meine Börse aufthun, als mein Herz. Sucht Gold in meinen Taschen, aber nicht Küsse auf meinen Lippen.«
»Wie grausam und unartig!« sagte heimlich die sentimentale Rosaline zu ihrem Nachbar, dem vielgedienten Spadassino: »Neben diesem Manne hielte ich es nicht einen Tag lang aus. Nehmen Sie doch die Partei der edleren Weiblichkeit.« Spadassino drückte der Freundin zärtlich die Hand, klopfte aber bedeutend auf die leere Westentasche.
»Sie sind klug,« meinte nun auch Rosaline: »lassen Sie jedoch den Augenblick nicht vorübergehen. Der ungewohnte Wein steigt dem Grafen schon zu Kopfe. Seine Augen funkeln, schon streicht er den Schnurrbart zehn Male in einer Minute. Jetzt wäre Etwas von ihm zu erlangen.«
Spadassino besann sich schon auf eine passende Einleitung, aber Mimi hatte bereits, ihres Herzens Bitterkeit verleugnend, die Freigebigkeit des leicht berauschten Adhemar in Anspruch genommen.
»Ich könnte zum Carneval nach Venedig kommen,« flüsterte sie mit Flötentönen: »aber meine Garderobe bedürfte großer Erneuerung, und in meiner Kasse fehlen dazu gerade noch hundert Dukaten.«
»Ein wahrer Bettel. Hole Dir morgen bei meinem Cassier zweihundert Kremnitzer, von den nagelneuen, und bilde Dir ein, ich hätte Dich besucht.«
Mimi stammelte ihren Dank, als schon die Donzelli von der anderen Seite ein Klagelied anhob, daß sie wegen Geldmangels nicht im Stande sey, den Phaeton zu kaufen, der so wohlfeil zu haben wäre. –
»Kleinigkeit, liebe Donzelli, auf Ehre. Mein Kutscher soll morgen den Wagen vor Deine Thüre bringen und kein Trinkgeld nehmen; nur tanzest Du ihm die Gavotte vor, womit Du im neuesten Ballet die Zuschauer bezauberst. Der arme Mensch darf nicht von seinem Bocke und sehnt sich doch, Dir, kleines Wunderthier, und Deiner Kunst zu huldigen.«
Die Donzelli verhüllte sich mit affektirter Beschämung das Gesicht, die Gesellschaft lachte, und als dritter Bittsteller trat der Forstmeister in die Schranken mit den Worten: »Ein verdammter Streich, daß mein Ajax gestern das Bein brechen mußte. Mit zitternder Hand schoß ich das arme Thier zusammen, denn mit ihm verlor ich ein Kapital.«
»Pah, lieber Forstmeister. Mein Hector soll Ihren Ajax ersetzen. Er ist mir ohnehin viel zu zahm. Die Bestie springt nicht höher als fünf Fuß und kostet mich doch vierhundert Carolins, auf Ehre.«
Da nun der Graf so breit und behaglich in seinem Stuhle lag, nippte und wieder nippte, den Bart strich und mit den Fingern schnalzte, stürmten die Suppliken von allen Seiten auf ihn ein.
»Deine englischen Hunde, wie würde ich mich freuen, sie zu haben.«
»Meinetwegen, nimm sie hin.«
»Deine vortreffliche Jagdflinte … wollen wir nicht tauschen? Ich gebe alle die meinigen dafür.«
»Warum nicht gar! Was soll ich mit Deinen Musketen? Wenn Dir die Büchse gefällt, so behalte sie.«
»Ich muß das Tabakrauchen aufgeben, denn ich kann nur mehr aus Ihrem köstlichen Meerschaumkopf rauchen.«
»Schämen Sie sich; nehmen Sie in Gottesnamen die Pfeife, aber lassen Sie ums Himmelswillen das Rauchen nicht.«
Die Gesellschaft applaudirte in frohem Muthe. Der Graf warf sich helllachend zurück und sah den alten Bonaventura kerzengrade hinter seinem Sessel stehen.
»Willkommen, Alter!« rief Adhemar und zauste des Kammerdieners weißen Backenbart: »ich bin vergnügt, Du grauer Bruder Lüderlich. Der Muthwille juckt mir in den Fäusten. Was machen meine honorablen Ballgäste? Quieken noch die Flöten und schnarren die Geigen? Sind die Raufen noch voll und schäumt noch der Trog für die Krippenreiter?«
Die Gäste brachen in unmäßiges Gelächter aus.
»Es wird noch immer frisch getanzt,« antwortete der Kammerdiener. Adhemar fuhr fort: »Die Lahmen tanzen und die rüstigen Leute hier sitzen steif hinterm Tisch? Was verlangt Ihr, meine Freunde? Wollen wir spielen? Ich halte Bank.« Er warf ein paar Handvoll Dukaten vor sich hin auf den Tisch und redete immer lustiger weiter: »Soll ich Euch Künste vormachen? He, mein Pferd herauf; ich will einen Salto mortale über den Tisch zum Fenster hinaus probiren.« Die Tänzerinnen kreischten, die Männer lachten, und Adhemar fuhr fort: »Oder wollen wir Jagdstückchen aufführen? Alter, meine Flinte. Der Doktor soll ein Licht vor die Nase halten und ich will zwischendurch schießen, daß das Licht auslöscht, und weder Nase noch Kerze sollen verletzt seyn.«
Der Doktor kroch eiligst unter den Tisch und die Weiber zeterten lauter, und unauslöschlich wurde das Gelächter. Da zog Bonaventura den Gebieter auf die Seite und raunte ihm ins Ohr: »Ich habe Etwas für Sie!«
»Was?«
»Einen wahrhaft königlichen Bissen.«
»Narr!«
»Ein Mädchen.«
»Einfaltspinsel, was soll ich damit?«
»Eine reine Unschuld, tugendhaft, fleckenlos, Wunder der Schönheit.«
»Ein zweites Exemplar solcher Vollkommenheit finden Sie nicht mehr.«
»Pah, das wäre!«
»Meinen Kopf zum Pfande.«
»Ein schlechtes Pfand. Wo ist aber das Geschöpf?«
»Sie schmaust mit ihrer Mutter auf meiner Stube, die Alte ist einverstanden, die Junge …«
»Das gibt sich, bringe sie auf mein Zimmer.«
»Wann wollen Sie das Mädchen sehen?«
»In einer Stunde.«
»Lange Frist; wer weiß, ob ich das Vöglein so lange festhalten kann?«
»Fünfundzwanzig Prügel, wenn ich das Mädchen nicht sehe, und fünfzig, wenn es mir nicht gefällt.«
»Aber, Herr Graf …«
»Fort, störe mich nicht länger in meinem Vergnügen. Du hast Deinen Bescheid, richte Dich darnach.«
Mit neckischem Lachen trat der Graf wieder zu der Gesellschaft und sprach: »Es ist doch erstaunlich, wie man mir nachstellt. Da soll ich wieder zu einem Rendez-vous, in einer Stunde schon.« Während des erneuten Gelächters zog Adhemar die mit Brillanten besetzte Uhr; sie stand. »Wie viel Uhr?« fragte er den Schauspieler neben sich. Dieser erröthete, suchte vergebens nach einer Uhr in seiner Westentasche, und Adhemar versetzte: »Pfui doch, wie sollen Sie Zeit finden, Ihre Rollen zu lernen, wenn Ihnen der Zeitmesser abgeht?« Mit diesen Worten warf er dem Künstler seine Uhr zu.
»Bedenke, was Du thust, o Herr,« predigte der lustige Rath im Prophetenton: »der Geist ist über mich gekommen« – er hatte sich nämlich betrunken – »und sagt mir, daß alle diese Leute lose Waare sind, die ihr Schuldbuch alsobald vernichten.«
Der Graf sah ihn scheel an, gab ihm einen ziemlichen Schlag auf die Schulter und entgegnete: »Der Possenreißer schweigt und hält das Maul, wär' es auch mit Wahrheit vollgestopft. Wer will meiner Freigebigkeit Zaum und Gebiß anlegen? Ehrwürdiger Domherr, redet ohne Scheu. Was begehrt Ihr? Thut es, so lange diese liebenswürdigen Bettler noch etwas übrig lassen.«
»Ei, das schöne Porcellanservice dort in der Ecke wäre mir schon als ein Andenken lieb.«
»Amen. Euer Wille geschehe. Und Sie, mein Herr Maler?«
»Eine Reise nach Italien würde mich ausbilden.«
»Schön; auf meine Kosten mögen Sie morgen schon reisen. Verlegen Sie sich aber ja auf Pferde. Und Sie, Herr Lithograph?«
»Die Erlaubniß, Ihr Portrait kopiren und vervielfältigen zu dürfen.«
»Was thun Sie damit? Sie sind allzu bescheiden. Was liegt dem Publikum an meinem Kopf? Indessen, wenn Sie glauben, daß ein Sonderling sich verkauft …«
Der Doktor warf sich an des Grafen Brust und schrie: »Man wird sich reißen um unsere Köpfe, sage ich Dir. Aber nun schenke mir auch Etwas. Meine Narrheit soll doch nicht leer ausgehen?«
»Behüte Gott. Was verlangst Du?«
»Die Brosamen von Deinem Tische.«
»Ich verstehe, lustiger Rath.« Adhemar warf den Tisch um, daß die Dukaten weit in das Zimmer rollten. Der Doktor kroch ihnen behende nach, die Junker machten Jagd auf ihn, die Künstler silhouettirten ihn, die Tänzerinnen erstickten vor Lachen auf dem Sopha, die Lustigkeit wurde zum Geschrei, zum Gewieher, und der Graf jauchzte, dem Domherrn in die Arme sinkend: »Ich bin heute so vergnügt, so glücklich, so selig, daß ich, hole mich Der und Jener, mir vor Freuden eine Kugel vor den Kopf schießen möchte, um nur in Wonne und Saus und Braus zu sterben.«
»Das sagt nur ein Thor,« sprach hinter ihm eine ernsthafte Stimme; Adhemar drehte sich betroffen um, und Marco, der die vorigen Worte gesprochen hatte, wiederholte verächtlich: »Das sagt nur ein Thor,« und kehrte dem Grafen den Rücken zu.
Diese plötzliche Verletzung seines Ehrgefühls machte den Grafen alsobald spröde und scharf, wie eine Damascenerklinge, und er sagte schnell: »Sie denken ein Bischen laut, Graf Marco.«
»Das ist meine Gewohnheit.«
»Galt die Sottise mir?«
»Es war eine Kritik Ihrer Handlungsweise.«
»Also Beleidigung?«
»Meine Ueberzeugung.«
»Satisfaktion, mein Herr.«
»Gerne, mein Herr.«
»Bestimmen Sie die Waffen.«
»Pistolen, wenn's beliebt.«
»Die Zeit?«
»Das ist etwas Anderes. Noch nicht so bald.«
»Warum, wie so?«
»Die Partie ist nicht gleich.«
»Erklären Sie sich.«
Da dieser Wortwechsel mit lauter Stimme geführt wurde, war nach und nach Stille eingetreten. Die Frauenzimmer hatten sich schüchtern in eine Ecke zurückgezogen, die Männer standen im Kreise um die Duellkandidaten. Die Vernünftigeren wollten vermittelnd einschreiten, aber die Gegner verbaten sich jede Ausgleichung, und Marco forderte das Wort.
»Ihre Aeußerung, Graf Adhemar,« sprach er ruhig, »hat mich gestört, weil sie nicht den Gesetzen der Vernunft gemäß ist. Das Leben ist so schön, so erquicklich, daß man sich ärgern muß, wenn Einer, der im Schooße des Glücks sitzt, davon reden mag, sich um des Glücks willen zu erschießen. Nun mag die herbe Wahrheit, der ich Worte lieh, Sie allerdings beleidigt haben, weil oft für den Einen schwarz ist, was dem Andern weiß oder rosenfarbig erscheint. Daher natürlich die Herausforderung, der ich nicht ausweichen will, aber, wie gesagt, die Partie ist ungleich. Ich bin Gatte, selig in der Liebe meines Weibes, ich wurde vor wenigen Wochen Vater eines reizenden Kindes. Dieses Doppelglück, meine Herren, hat mir das Leben erst theuer gemacht, hat gewissermaßen das harte Urtheil veranlaßt, das ich fällte, das den Grafen verletzte. Wenn nun die Kugel die Schiedsrichterin des Zwistes werden soll, so muß vernünftiger Weise Einer so viel zu verlieren haben, als der Andere, und da würde ich zur Stunde im Nachtheil stehen, statt im Vortheil, wie es das Ehrengesetz für die Person des Geforderten haben will. Graf Adhemar hat leicht in den Kampf auf Tod und Leben zu gehen: ihn bindet keine Pflicht, keine Sorge fesselt ihn, kein Familienglück macht ihm das Leben werth, das er täglich auf einem kecken Ritte wagt, oder im Tanze, oder beim Becher aufs Spiel setzt. Darum schlage ich mich jetzt noch nicht mit ihm. Mein Muth hat schon oft Probe gehalten, wie Sie Alle wissen. Ich schieße nicht minder gut, als der Graf, und hätte den ersten Schuß. Von Furcht kann also nicht die Rede seyn, wohl aber vom strengen Recht, welches allein die Barbarei des Zweikampfs einigermaßen auszugleichen vermag. Graf Adhemar vermähle sich, und wenn er einen Sprößling seiner Ehe auf seinen Armen wiegt, dann mahne er mich aufs Neue an meine Schuldigkeit, ihm Genugthuung zu geben, und ich will der ehrloseste Mensch seyn, so ich ihm dieselbe länger weigere.«
Tiefes Schweigen herrschte nach Marco's Rede, und die Zuhörer wußten lange nicht, ob sie ihren Ohren zu trauen hätten. Die Gemäßigten nickten beifällig zu Marco's Philosophie, die Ultras verzogen höhnisch den Mund; doch redeten sie nicht, weil Marco als Fechter in der That gefürchtet war und dem Grafen Adhemar nothwendigerweise das erste Wort gebührte. Man erwartete von seiner Seite eine fürchterliche Explosion, aber dem war nicht also. So wie der Spiritus des Weins Marco's Begeisterung unendlich und seltsam gesteigert hatte, so verflog schnell in Adhemar's Haupt der leichte Champagnerrausch und machte einer seltenen Besonnenheit Platz. Der Graf verschränkte die Arme und versetzte ernsthaft: »Ihre Philosophie ist mir neu, mein Herr, doch kann ich im Grunde deren Richtigkeit nicht leugnen. Ich könnte zwar einwenden, daß Sie früher daran hätten denken, Ihre Beleidigung hätten unterdrücken sollen; aber das Ungewöhnliche findet an mir seinen Mann. Es sei, wie Sie es vorschlugen, und alle diese Herren sind Zeugen unseres Vertrags. Wir Beide genießen einer so vortrefflichen Gesundheit, daß wir uns sehr wohl allenfalls ein paar Jahre lang für unsere respektive Mordlust aufsparen können, und daß der Waffenstillstand nicht allzu lange währe, sei meine Sorge. Es gehörte gerade nur eine solche Sonderbarkeit dazu, um mich von meiner Heirathsscheu zurückzubringen, und bis zum festgesetzten Termin bin ich Ihnen für mein Leben verantwortlich, so wie Sie, mein edler Widersacher, mir das Ihrige garantiren wollen. Was der liebe Gott übrigens in höchster Instanz über uns beschließt, das ändert natürlich die Sache, und der Tod auf Befehl des Schicksals mag ohne Vorbehalt unsere gegenseitigen Pflichten lösen.«
Darauf gaben sich die beiden Gegner kaltblütig und beruhigt die Hände; es wurde ausgemacht, daß ein steter Briefwechsel beide Interessenten von ihren Lebensumständen in Kenntniß setzen solle, und daß, wenn alle Formalitäten erfüllt sein würden, das Rendez-vous nach Adhemar's Bestimmung stattzufinden hätte. – Nach Abschluß des Vertrags endigte der Graf mit den Worten: »Meine lieben Gäste! Ich empfehle Ihnen das Stillschweigen über diesen Auftritt nicht; erstens, weil Sie es doch nicht beobachten würden, zweitens, weil es mich freut, wenn die Stadt davon redet, und drittens, weil Graf Marco morgen mit seiner Gattin eine längere Reise antritt und der zarten Frau daher das Gerücht von dem vertagten Cartel nicht so bald zu Ohren kommen wird. Aber ich denke, daß wir jetzo von einander scheiden. Die Conversation würde nicht mehr schmecken, der Punsch vielleicht nicht mehr munden, und ich brauche doch einige Stunden Ruhe, um zu überlegen, wie ich es anfange, daß ich morgen eine Frau nehme.«
»Morgen schon?« fragten die Gäste wie aus einem Munde, und der Graf antwortete: »Halten Sie das für eine Unmöglichkeit? Ich kenne nichts Unmögliches.«
Da lispelte die blasse Mimi: »Wie unglücklich wäre das Weib, welches Sie gewönne und neben der Freude zugleich die Angst empfinden müßte, Sie vielleicht nur zu bald wieder zu verlieren.«
»Kleiner heuchlerischer Schelm, rechnest Du für nichts das reiche Testament im Hintergrunde?« spottete der Graf und bot der Tänzerin den Arm, sie wegzuführen, worauf die ganze Gesellschaft nach Hause eilte.
Der Kehraus verhallte im Ballsaale, als der Graf, gähnend zwar, jedoch ernsthafter, als sonst, sein Schlafzimmer aufsuchte. Bonaventura, der des Gebieters im Vorgemach harrte, nahm dem vorleuchtenden Diener das Flambeau ab, schloß sorglich die Thüre und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ach, wie spät kommen Sie, Herr Graf. Ich hatte meine liebe Noth mit dem armen kleinen Dinge und mußte es gewaltsam zurückhalten, damit es nicht Zeter schrie.«
»Wovon sprichst Du?« fragte der Graf zerstreut.
»Ei, von der schönen Gabriele, die ich in Ihr Kabinet einsperrte.«
»Die Pest auf den Kuppler! Das Rendez-vous war mir entfallen.«
Schluchzen und jämmerliches Weinen drang durch die Thüre des Kabinets, an dessen Schloß und Riegel eine schwache Hand zu rütteln sich bemühte.
»Welch' ein Spektakel!« schalt der Graf. »Wirst Du gleich öffnen, bocksfüßiger Haremswächter?«
Bonaventura sprang, was er konnte, und that, wie ihm befohlen. Die reizende Gabriele, aufgelöst in Thränen, mit zerrauften Locken, stürzte verzweifelnd zu des Grafen Füßen. »Barmherzigkeit, Herr Graf!« stammelte das Mädchen und rang die Hände. »Dieser alte Mann hat mich betrogen, hat meine Mutter getäuscht, die jetzt gewiß mit Thränen der Angst auf den Straßen irrt, mich zu suchen. Nachdem uns der falsche Mensch mit Leckerbissen bewirthet, lockte er mich hierher, hielt mich mit Arglist zurück, sperrte mich ein und behauptete, nach Ihrem Befehl zu handeln. Das kann ich aber nicht glauben, Herr Graf. Sie sind zu muthig, Ihr Auge ist so gut. Ein muthiger und edler Mann beschimpft die wehrlose Unschuld nicht. Sie werden mich der Mutter zurückgeben, Sie werden gerecht seyn, damit ich Ihr Andenken segne, wie ich dieses Sünders Arglist verfluche!«
Der Graf war verlegen, bestürzt, unfähig, zu reden, aber sein Auge betrachtete mit Wohlgefallen die schöne jugendliche Gestalt zu seinen Füßen. Nachdem er eine Minute im Stillschweigen verharrt, gerührt von dem Vertrauen, das ihm Gabriele bewies, hob er das Mädchen sanft auf und sagte treuherzig: »Machen Sie sich um Ihre Mutter keine Sorgen, mein werthes Kind. Ihre Mutter ist eine schlechte Person, mit deren Einwilligung Sie hieher gelockt wurden.« Gabriele erstarrte lautlos. Der Graf fuhr langsam fort: »Es ist keine Rede davon, daß ich die Niederträchtigkeit jenes Weibes benützen wolle. Aber, während Bonaventura noch mehrere Lichter anzündet und die Frau meines Haushofmeisters ruft, die Ihnen dann als Ehrenwache dienen mag, setzen Sie sich wohl einen Augenblick zu mir auf das Sopha und beantworten mir eine Frage.«
Zitternd wankte Gabriele an der Hand des Grafen zu dem Divan; mit satanischem Lächeln entzündete Bonaventura alle Wachskerzen. Mit der zunehmenden Helle im Gemach wuchs auch der Muth Gabrielens, und sie hörte ruhiger, obgleich sehr befremdet, dem Grafen zu, der also fortfuhr: »Sie sind schön, schöner, als ich mir gedacht. Sie scheinen zugleich brav und in gewissen Grundsätzen fester, als Ihre Jahre es oft mit sich bringen. Wo Ehrlichkeit, da ist auch Aufrichtigkeit. Sagen Sie mir offenherzig, sind Sie noch von Liebe frei? hat noch kein Mann Ihre Neigung gewonnen, eine Zusage von Ihnen erhalten?«
Gabriele schaute ihn mit großen Augen an und erröthete sehr. Bonaventura rief leichtfertig herüber: »So rede doch, mein Kind, so antworte doch herzhaft dem Herrn Grafen.«
Worauf sich Adhemar zornig gegen ihn wendete und barsch entgegnete: »Was ist das? Wer untersteht sich, dieses Mädchen zu dutzen? Ich verbitte mir solche Familiarität und rathe dem Herrn Kammerdiener, aufs Schnellste zu vollziehen, was ich befahl.«
Mit ängstlicher Geschmeidigkeit schob sich Bonaventura durch die Thüre, die hierauf der Graf sperrangelweit öffnete, wonach er seine vorherige Frage an das Mädchen wiederholte. Außer Stand, mit Worten zu entgegnen, schüttelte Gabriele den Kopf, und Adhemar versetzte zufrieden: »Brav, das wäre in der Ordnung. Ferner: könnten Sie mich leiden?« Er spazierte einige Male vor Gabriele auf und nieder, deutete dann auf sein wohlgetroffenes Portrait über dem Kamin, als wollte er das Mädchen einladen, seine Züge sorgfältig zu prüfen, und drehte ihr während dessen den Rücken zu. Gabriele war in der peinlichsten Verlegenheit, beinahe wäre sie durch die offene Thüre entflohen; Furcht, Verwunderung und Neugierde hielten sie jedoch wie in einem Zauberkreise zurück.
Nach einer Pause kam der Graf wieder auf sie zu, sah mit forschendem Blick in ihre Augen, die zuerst klar auf ihm verweilten, alsdann feucht und beschämt den Boden suchten, und mit unaussprechlichem Behagen errieth er, daß sein Urtheil nicht ungünstig ausgefallen. Die Pendule auf dem Kamin schlug drei Uhr, und der Graf sagte mit lauter Stimme, indem er auf das Zifferblatt deutete: »Ich habe mir selbst das Wort gegeben, das Mädchen zu heirathen, das mir heute zuerst begegnen würde. Sie sind es, mein angenehmes Kind. Nichts steht unserer Ehe im Wege, und wenn Sie keine Einwendungen zu machen haben, so schlagen Sie ein. Von diesem Augenblicke an sind Sie meine Braut, unter der Bedingung jedoch, daß noch heute Abend der Priester uns vereinige.«
Wie vom Blitz getroffen, sank Gabriele in die Kissen des Divans zurück, aber ihre Hand, die Adhemar erfaßte, entzog sie nicht dem seltsamen Werber. – Bonaventura und die Frau des Hofmeisters traten neugierig in das Zimmer und wurden zu Stein, als der Graf ihnen zurief: »Hier meine Braut, meine Gemahlin, ehe noch der Tag verstreicht. Erzeigt der Frau Gräfin Euren Respekt und bringt das ganze Haus auf die Beine, damit der Hochzeittag mir keine Schande mache.«
Bonaventura fiel aus allen Himmeln, die er sich geträumt, sein Ministerthron stürzte zusammen, wie ein Kartenhaus. Im tiefen Abgrunde seiner Brust verfluchte er den Augenblick, da er Gabriele in das Haus geführt, aber der Knecht hat nur feige Verwünschungen, und ihm mangelte die Zeit, durch die That seinem Sturze zu begegnen. Wie immer, so auch heute, ging der Graf seinen Weg schnell, wie der Sturmwind. Alles mußte seinem Dienste fröhnen. Am frühesten Morgen berannten seine Agenten die geistliche Behörde, sein Gold eroberte Dispens und Heirathserlaubniß, seine Boten schmückten die Kirche, trugen die Einladungskarten, schleppten aus allen Magazinen der Stadt das Schönste und Prächtigste zusammen, um die Braut zu schmücken. Ein Heer von Schneidern und Putzmacherinnen erfüllte den Palast; die theuersten Shawls, Spitzen und Diamanten, das feinste Linnenzeug, die reichsten Gewänder lagen in einem Nu ausgebreitet vor Gabrielens Auge, die unter allen diesen Herrlichkeiten wählen sollte und es nicht vermochte. Adhemar that es für sie, und sein Geschmack, wie seine Freigebigkeit, thaten Wunder. Indessen ging die Kunde wie ein Lauffeuer durch die Stadt; man lachte, man zweifelte, spottete, schimpfte. Der Adel verweigerte, wie natürlich, die Einladung, der Sturm der Neugierigen auf den Palast wurde kräftig zurückgewiesen. Der Graf lachte Alle aus. Dorothea bekam Krämpfe vor Freude und Aerger, als ihr Bonaventura wissen ließ, was geschehen war, und ihr auf Befehl des Grafen, wie auch dem Winkelagenten, den Eintritt in das Haus verbot. Gabriele wollte die entarteten Menschen nicht mehr sehen, und der Graf stimmte ihr bei. »Ein Jahrgehalt tröste die eigennützigen Seelen,« sagte er verächtlich: »Du hast Deinen kindlichen Pflichten, den Kupplern gegenüber, damit genug gethan.«
»Ach, sie sind ja nicht meine Eltern!« seufzte Gabriele mit erleichtertem Herzen und erzählte dem Bräutigam, was sie von ihrer Herkunft wußte. Adhemar's Gesicht verfinsterte sich und er antwortete trocken: »Wenn ich das früher gewußt hätte … das ist mir fatal. Sie werden nun sagen, ich hätte dennoch auf die Herkunft gesehen. Indessen … geschehen ist's einmal; außer dem Kirchenbuche werde der hochadelige Name nicht genannt, und die Rede sei fortan nicht mehr davon. Weine nicht, mein Täubchen, Du kannst ja nichts für meine Antipathie, und dazu bist Du so schön und, wie ich hoffe, so gut, daß ich allerdings den Geburtsfehler übersehen und recht verträglich mit Dir auskommen werde.« Diesem Troste folgte der erste Kuß, hierauf das wie durch Zauberei gefertigte Brautgewand, alsdann eine Mahlzeit, wovon kein Bissen genossen wurde, die Toilette der Braut, wobei nichts mangelte, und endlich die Vermählung, wobei die gesammte Aristokratie fehlte. Mit dem Schlage sechs Uhr besaß Adhemar eine liebenswürdige Frau und schickte sogleich eine Staffette an den reisenden Marco, um ihm das glückliche Ereigniß, zugleich den ersten Schritt zum Zweikampf zu melden.
Anderthalb Jahre waren verflossen, der Spätsommer war eingetreten. In lauer dämmeriger Abendstunde saß im Freihof zu Thun der Graf Adhemar und wiegte einen Säugling auf dem Schooße, während seine Gattin Gabriele den Thee bereitete. Der Vater trieb tausend Tollheiten mit dem Kinde, tausend Scherze mit der Mutter, war fröhlich und guter Dinge. Gabriele sah diesem Treiben mit schwärmerischem Auge zu, und Adhemar fragte endlich nach der Ursache ihres Ernstes. Gabriele antwortete: »Wenn ich doch nur die verwünschte Fabel von dem Duell aus dem Kopfe bringen könnte, die mich heute wieder ganz besonders ängstigt.«
»Närrchen!« lachte Adhemar mit heiterer Stirne: »das sind Nachwehen Deines Mutterstandes. Wie oft habe ich diese trüben Gedanken in Dir bekämpft! jagte ich nicht den Bonaventura davon, gab ich nicht der plaudersüchtigen Therese den Abschied, weil sie sich unterfingen, Dich mit solchen Hirngespinsten zu quälen? Wer hat aufs Neue die Abgeschmacktheit versucht? es ist nichts daran, sage ich Dir, aber der unberufene Schwätzer muß mir aus dem Hause.«.
Gabriele seufzte tief, und entgegnete: »Ich schlummerte diesen Nachmittag und träumte schwer. Ich sah aus einem Fenster unseres Hauses auf einen grünen Hügel, und dort standest Du und schlugst Dich heftig mit einem hagern Manne von schreckhaftem Aussehen, und Ihr fielet alle Beide zu Boden, ehe mein Geschrei Euch erreichte, und ein verwitterter Leichenstein stieg zwischen Euch in die Höhe. Ich wollte hinüber, Dir beizustehen, konnte jedoch nicht von der Stelle, ich wollte um Hilfe rufen, aber meine Kehle war zugeschnürt und vermochte nur zu ächzen. So erwachte ich voll Entsetzen.«
Adhemar lachte noch weit mehr, als zuvor, und meinte: »Der Traum ist zwar närrisch genug, aber ganz unrichtig in seiner Erfindung; Marco, den das alberne Gerücht als meinen Gegner bezeichnet, sieht keineswegs schreckhaft aus, ich für meine Person schlage mich nur mit Pistolen, unmöglich ist es, daß beide Duellanten zugleich fallen, und wenn der privilegirte Lügner, der Traum, uns mit einem Leichenstein beehren will, so mag er uns einen nagelneuen statt eines verwitterten spendiren. Schlage Dir das wunderliche Zeug aus dem Kopf.«
Gabriele lächelte nun selbst mit den Worten: »Du verkehrst das Traurige in Scherz. Für Dich gibt es keinen Ernst in der Welt.«
Adhemar schmiegte sich zärtlich an sie und antwortete: »Nur meine Liebe ist mir Ernst, und ich begreife selbst nicht, wie Du mir es angethan hast. Du solltest aber am besten wissen, wie ich mich änderte. Seit dem famosen Ritt, wo mich der Ali abwarf und ich den Arm brach, seit dem Krankenlager, welches mir Deine zärtliche Pflege versüßte, kenne ich mich selbst nicht mehr. Die wilden Rosse sind fort, und meine zahme Leda würde dem erbärmlichsten Podagristen gerecht sehn. Ich kutschire nicht mehr und überlasse die Pflicht dem bedächtigsten Kerl, der nur aufzutreiben war. Ein ökonomischer Cassier hält meine Gelder in verzweifelter Ordnung; wenn ich auf die Jagd gehe, schieße ich höchstens ein paar Lerchen. Den Tanz habe ich mir abgewöhnt, weil Du ihn nicht liebst, das Spiel, weil Du es mißbilligst; unser Gefolge ist auf acht Personen herabgeschmolzen, meine Leute werden, da ich sie nicht mehr strapazire, fett und steif, der gute Helmsdorff gähnt den ganzen Tag, und ich habe seit einem Jahre keinem Menschen eine Grobheit gesagt. Delila, was hast Du aus mir gemacht?« – Schäkernd legte er den Kopf in Gabrielens Schooß, der kleine Bube kroch auf ihm herum, die weißen Finger der Gattin spielten mit seinen Locken.
Da schob sich ein dickes rothes Gesicht in die Thüre, und der Canonikus stand in Lebensgröße vor dem Paare. Der Graf empfing ihn mit Freudengeschrei, die Gräfin entfernte sich bald mit dem Kinde.
»Auf meiner Alpenreise mochte ich nicht unterlassen, Sie zu besuchen, Herr Graf«, sagte der Domherr mit Freundlichkeit: »ich finde Sie glücklich, und freue mich dessen.«
»Unaussprechlich glücklich. Ich wundere mich selbst darüber, aber es ist einmal so. Vor zwei Monden hat mein Weib meiner Seligkeit die Krone aufgesetzt, indem sie mir einen Stammhalter gebar.«
»Ihre Lebensweise soll sich sehr geändert haben, sagt die plauderhafte Welt.«
»Von Grund aus: ich bin ein Patriarch geworden. Aus meiner lockern Zeit ist nur der Schnurrbart übrig geblieben, weil Gabriele diese Zierde wohl leiden mag. Wenn nicht, so hätte ich auch den Bart ihr zum Opfer gebracht.«
»Da komme ich vielleicht sehr ungelegen mit meiner Botschaft. Ich stieg im weißen Kreuz ab, einen Augenblick nach mir kam Marco mit seiner Gemahlin an. Marco sendet mich.«
»Ganz recht; ich habe vor ein paar Wochen meine Herausforderung wiederholt, da nun hoffentlich die Partie egal ist. Es freut mich, daß er beim Rendez-vous so pünktlich ist. Mein Testament ist fertig; wir wollen die Sache schnell abthun.«
»Auch Marco's Wunsch. Morgen früh um sechs Uhr.«
»Gut; der Platz?«
»Gänzlich unbekannt in dieser Gegend, überläßt Marco Ihnen die Wahl.«
»Auf dem Kirchhof also. Dort, wo man die entzückendste Aussicht genießt, schwelgte ich in der höchsten Wonne, als Gabriele mir den Sohn geboren hatte. Wo ich des Lebens höchstes Glück empfand, will ich dem Tod ins Auge schauen. Den Wächter des Kirchhofs habe ich bereits gewonnen, morgen wird ein regnerischer Tag seyn, neugierige Fremde werden uns nicht stören, und in ein paar Minuten ist Alles vorüber. Helmsdorff ist mein Secundant.«
»Der Forstmeister begleitet Ihren Gegner. Ich, der Diener des Friedens, biete meine Vermittlung an.«
»Sie wird fruchtlos seyn; Marco leistet keinen Widerruf. Die Kugel muß entscheiden.«
»Welche Kaltblütigkeit! Im Schooße des Glücks fühlen Sie keine Sehnsucht, es länger zu genießen?«
»Sind wir Knechte des Vorurtheils, müssen wir uns auch zu fassen wissen. Wenn ich morgen sterbe, nach achtzehn seligen Monaten, ist es dann nicht eben so gut, als ob ich noch ein Jahrzehend vom Glücke naschte? Auf Wiedersehen morgen.«
Der nächste Tag brach an, verschleiert von Nebelwolken. Des Kirchhofs Thor stand offen, und der Hüter ließ die Kämpfer ein, welche ernst und langsam über die Gräber schritten und die passendste Stelle suchten. Kalter Luftzug wehte über den Hügel, Stadt und Fluß und See lagen versunken in wolkigem Dunst. Adhemar war ruhig und heiter; Marco stand finster und in sich gekehrt. Worte der Sühne waren versucht worden, schweigend hatten die Gegner sie zurückgewiesen. Die Waffen waren geladen, sollten zur Hand genommen werden. Da näherten sich die Grafen unwillkürlich einander und reichten sich die Hände, wenn nicht zur Versöhnung, doch zum Abschiede. In Marco's finsteres Auge trat eine Thräne, sein Mund stammelte: »Wir waren einst so gute Freunde …«
Adhemar fiel ihm ins Wort: »Woher diese Stimmung, mein Herr? Die Partie ist nun gleich, hoffe ich, und ich zage nicht.«
»Die Partie ist nicht gleich. Sie sind glücklich, ich bin es nicht mehr. Mein Kind ist gestorben, ein unseliges Mißverständniß hat den Frieden meiner Ehe gestört. Soll ich mit dem ersten Schusse eine Seligkeit zertrümmern, ich, der Unglückliche?«
»Sparen Sie Ihr Mitleid. Schießen Sie, schießen Sie gut, meine Kugel fehlt nicht das Ziel.«
Schnell trat Marco auf seinen Posten, die Pistole krachte und die Kugel sauste an Adhemar's Kopf vorüber. Nun erhob dieser die Waffe, und der Schuß, absichtlich fehlend, schlug in die Zweige eines Baums, der sich über Marco's Haupte wölbte. Ast und Blätter fielen auf diesen nieder; den Trümmern auszuweichen, that Marco einen Schritt zurück, strauchelte über einen Grabhügel und fiel zu Boden. Die Zeugen sprangen hinzu; indem sie den Gefallenen aufrichteten, traf sein Blick einen alten Leichenstein, der zur Seite stand, und vom Zauber der Erinnerung ergriffen, den vorigen Auftritt ganz vergessend, faltete Marco die Hände und rief: »Welch' ein Name glänzt mir von diesem Grabmale entgegen! Meine Herren! welch' eine wunderbare Fügung! Hier ist die Grabstätte der Mutter meiner Gattin, nach deren Schicksal ich vergebens forschte, deren räthselhaftes Verschwinden schon seit langen Jahren an dem Herzen meines Weibes nagte, der Grund ihrer Schwermuth, die sich seit dem Tode unseres Kindes verdoppelte und mir als ein Verbrechen anrechnete, daß ich nicht Auskunft über das Loos der Mutter geben konnte, mit einem Wort, die Quelle des Unfriedens, der meine Häuslichkeit verzehrt.«
Der Hüter des Kirchhofs kam herbeigelaufen, von dem Doppelknall der Pistolen erschreckt, und machte seinen Gästen die heftigsten Vorwürfe über ihr Beginnen, von dem er nichts geahnt. Adhemar beschwichtigte ihn mit Gold, Marco faßte ihn bei den Schultern und deutete fragend auf den Grabstein. Der Mensch erzählte, daß hier eine polnische Dame liege, die als Emigrantin vor zehn oder elf Jahren zu Thun angekommen und durch einen schnellen Tod verhindert worden, ihre Reise nach Italien fortzusetzen, wo vielleicht Freunde oder Verwandte sie erwarteten. Marco umarmte den Hüter voll Freude, besann sich dann plötzlich und sprach zu Adhemar: »Beinahe hätte ich, bestrahlt vom Sonnenlichte des Entzückens, vergessen, daß mein Leben noch Ihnen gehört, wenn Sie Gefallen tragen sollten, das Pistolenspiel noch einmal zu beginnen.«
Adhemar sah die Zeugen fragend an, und diese führten die Gegner zusammen; mit Versöhnung und Widerruf auf den Lippen, umarmten sich die Streiter. Dann entwand sich Marco der Umarmung und rief: »Ich fliege zu meiner Gattin, die schmerzlich-süße Kunde ihr zu bringen. Wäre mir doch auch vergönnt, die verlorene Schwester an ihr Herz zurückzuführen, die mit der Mutter Polen verließ, während mein Weib unter der Pflege ihrer Tante zurückblieb!«
Der Kanonikus war zum Leichenstein getreten und las vor sich hin. »Die Starostin Wizewska …« Ueberrascht eilte auch Adhemar hinzu, umarmte dann aufs Neue den versöhnten Feind und rief mit überwallender Heftigkeit: »Freude, mein lieber Marco! Heute werden zwei Familien glücklich auf immerdar. Meine Gabriele ist die Schwester Ihrer Gattin!«