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Buhlerischer Liebeszauber


1.

Der kleine Weiler Donchy, in dem Departement des Loiret, zählt einige recht glückliche Familien in seinem Umkreise; die glücklichste Haushaltung von allen jedoch war die des wohlhabenden Landmanns Jacob Alary, der mit den Beschäftigungen des Ackerbaues auch noch den Betrieb des Wagnerhandwerks vereinigte. Alary hatte auf der weiten Erde nichts zu wünschen: in der rüstigsten Kraft des besten Mannesalters, geliebt von seinen Nachbarn, verehrt von seinem Gesinde, und mit zeitlichen Gütern gesegnet. Ein schönes, liebevolles Weib war ihm nicht minder geworden. Er hatte – kaum waren seither drei Jahre verflossen – das Kleinod der Gemeinde als seine Hausfrau gewonnen. Julie, in der vertraulichen Sprache ihrer Familie und Nachbarn gemeinhin Solette genannt, war stets das Muster ihrer Gespielinnen gewesen, sowohl was den äußern Reiz als die Tugenden des Herzens und die Innigkeit des Gefühls betraf. Ihre Eltern nannten sie den Stolz ihres Lebens, und dankten inbrünstig dem Himmel, der ihnen vergönnte, ihr achtzehnjäriges Kind an die Brust eines Mannes legen zu dürfen, der von dem Mädchen heiß geliebt wurde, und seine Gattin auf den Händen trug. – Dieser Ehebund hatte nicht im Mindesten das freundliche Band zerrissen, das die beiden Familien schon lange vereinigte. Ihre Wohnungen standen nahe beisammen; die Schwiegereltern arbeiteten und speisten gewöhnlich mit dem Eidam und der geliebten Tochter, und trennten sich nur zu Nachtzeit.

Es war in der letzten Hälfte des Jahrs 1830. Alary sah sich mit Arbeit überladen, und entschloß sich, einen Gesellen in's Haus zu nehmen. Der Zufall, ein böser Geist vielmehr, führte einen solchen wandernden Burschen nach Donchy: einen gewissen Franz Lefebre, der in dem Findelhause von Paris erzogen worden, nie seine Eltern gekannt, und von der Natur ein beinahe abschreckendes Antlitz als Erbtheil empfangen hatte. Lefebre bot in Alary's Hause seine Dienste an, und er wurde aufgenommen. – Anfänglich war ihm Niemand sehr gewogen, und Solette sprach am Abend seines Einstandes mit einer Nachbarin von Lefebre, beklagend, daß ihr Mann diesen Gesellen in Arbeit genommen, der ihr Widerwillen und Abscheu einflößte. – Da schüttelte die Nachbarin bedenklich den Kopf und antwortete leise und vertraulich: »Der Mensch ist in der That häßlicher als schön, und man sollte nicht glauben, daß hinter seiner traurigen Miene etwas Gefährliches stecke. Aber dennoch, liebe Solette, dennoch geht diesem Menschen im Umkreise von mehr als zwanzig Stunden der Ruf voraus, daß ihm kein Weib und kein Mädchen zu widerstehen vermag. Er soll in vielen Haushaltungen Unfrieden und Trennung gestiftet haben, und manche leichtgläubige Dirne beweint noch heute den Kranz, den ihr der Hexenmeister entriß.«

Solette sah der Nachbarin staunend und ungläubig in das Gesicht, aber diese verblieb bei ihrer Behauptung, berief sich auf das Zeugniß aller Weiber im Dorfe und in den benachbarten Gemeinden, und nannte eine ziemliche Menge von Frauen, die dem unseligen Lefebre Schmach und Noth verdankten, weil er zu zaubern wisse, und durch die bloße Berührung mit seinen Fingerspitzen, so wie durch den Blick seines finstern Auges jedes weibliche Geschöpf sich zu eigen zu machen wisse. In später Abenddämmerung schlich Solette nachdenkend und von besonderer Bangigkeit erfüllt, nach Hause.

 

2.

Ungefähr ein Monat später war es zur Mittagszeit, und Alary verließ gerade den Tisch, um nach dem Stalle zu sehen. Solette räumte das Eßzeug weg, grüßte die fortgehenden Eltern mit verlegenen Blicken, und wendete sich endlich zu Lefebre, der noch immer an der Ecke des Tisches stand, und seine Augen starr auf das Gesicht der reizenden Frau heftete.

»Sagt mir doch,« fragte sie, »warum Ihr mich immer so anstarrt? Euer Blick geht ja durch Mark und Bein, und ich werde endlich meinen Mann bitten müssen, Euch vom Tische zu entfernen.«

»Das würde Euch nicht viel helfen,« versetzte Lefebre mit geheimnißvollem Lächeln, und verdoppelte den leichtfertigen Ausdruck seiner Augen: »Ihr gefallt mir, liebe Frau, und werdet die meinige werden müssen, wenn schon der Meister mich aus dem Hause jagte.«

»Schweigt doch mit diesen frevelhaften Reden, Franz. Ihr solltet Euch schämen. Macht ja nicht, daß Alary dergleichen aus Eurem Munde höre! Die ganze Herrlichkeit wäre aus.«

»So? In einem Augenblick droht Ihr, mich wegzuschicken, und im nächsten warnt Ihr mich, dieses Wegschicken nicht zu veranlassen? Seht Ihr wohl, daß Ihr auf dem besten Wege seyd? Mehr als hundert Weiber konnten meinem Zauber nicht widerstehen, und Ihr sollt keine Ausnahme machen.«

Solette erröthete, und suchte sich schnell zu entfernen, um ihre Verlegenheit den durchdringenden Blicken Lefebres zu entziehen. Der Gesell hielt sie aber zurück, berührte mit seinem Zeigefinger dreimal die Herzgrube des zitternden Weibes, und sagte langsam: »Der Zauber wirkt noch nicht vollständig, aber das wird sich schon geben, mein kleines Herz. Wir werden uns bald vereinigen, um uns nie wieder zu trennen.«

Mit diesen Worten entließ er sein Opfer, und Solette eilte zu ihren Kindern. Diese glichen in Aussehen und Geberden den reinen himmlischen Engeln, aber nicht aus ihren Augen, nicht aus ihrem Munde strömte Himmelsfriede in Juliens stürmisch wogende Brust. Sie konnte es in der Engel Nähe nicht aushalten, und flüchtete sich auf die Wiese, wo eine junge Bauerndirne, die Tochter des alten Lorris, ihre kleine Heerde hütete.

Schon seit mehreren Tagen hatte Alary's Weib ihre kindliche Vertraulichkeit gegen die Eltern verläugnet, sich kalt von dem Gatten abgezogen, und jenes Mädchen, eine unpassende Gesellschaft, sowohl um der Jahre als um der Herkunft willen, zu ihrer Vertrauten gemacht. – Anna bemerkte, daß ihre Freundin am heutigen Tage mehr noch auf dem Herzen trage, als früherhin, und rief ihr gleich entgegen: »Wie seht Ihr so roth aus, liebe Frau! Gewiß hat der böse Franz wieder sein Stückchen bei Euch gemacht? Kommt doch, erzählt mir, was vorgefallen, erleichtert Eure Brust; hier auf diesem einsamen Platze hört uns Niemand, und ich schweige wie das Grab.«

Da warf sich Solette weinend an die Seite der Lorris und schluchzte: »Ach, ich weiß nicht, wie mir zu Muthe ist! Ich fürchte, daß der Böse schon Gewalt über mich habe. Ich ängstige mich, wenn ich ihm gegenüberstehe, und seufze doch nach seiner Gegenwart. Was wird das werden, Anna? Ich kann's nicht läugnen, ich bete ihn an!«

»Was wird es werden?« fragte die Lorris mit leichtfertiger Verwunderung entgegen: »Eine Liebschaft, gute Frau; nicht mehr und nicht weniger, als sich tagtäglich in tausend Ehen begibt. Sorgt nicht: in der Liebschaft stirbt der Hexenzauber ab.«

»Absterben, Anna? meine Liebe stirbt nie. Wenn ich meine Pflicht vergäße, wenn mich der Zauberer zu seinem Willen brächte, und mich dann verließe ... das größte Unglück würde daraus entstehen!«

In diesem Augenblicke rief Alary seinem Weibe. Solette fuhr zusammen, wie eine Verbrecherin, und folgte mit schwer besiegtem Widerwillen der sonst so geliebten Stimme.

 

3.

Wieder ein Monat war verflossen. Die Arbeiten des Herbstes hielten Alary auf seinen Feldern, und daheim webte und handthierte der Geselle. Solette, obschon nicht minder im Felde beschäftigt, benützte jeden Augenblick, wo sie sich wegschleichen konnte, um nach Hause zurückzukehren, und mit Lefebre einige Worte zu wechseln. – Schon wieder trat sie hastig in die Stube, und fragte mit zerstreuten Mienen und brennenden Blicken nach einem Werkzeuge, nach einem Handmesser, welches in der Werkstätte verschleudert seyn sollte.

Statt ihr zu antworten, zog sie Lefebre vertraulich auf seine Knie, und versetzte spöttisch lächelnd: »Gestehe nur, meine kleine Katze, daß Du eigentlich kommst, um Dir ein paar herzhafte Küsse zu holen. Sey aber vernünftig, mein Herz. Es ist heute schon das fünftemal, daß Du vom Felde davon läufst. Der Meister könnte argwöhnisch werden. Bezwinge Dich am hellen Tage, da ohnehin die Nacht unser ist. Du weißt, daß Dein Mann einen gesunden Schlaf genießt und meine Kammer Dir offen steht.«

Mit einem schweren Seufzer und glühender Röthe auf der Stirne entzog sich die schöne Sünderin den brünstigen Küssen ihres Verführers, deutete nach ihrem Schlafgemache, und sagte dumpf: »Ich bin ein recht schlechtes Weib geworden. Sage mir aber, um Gotteswillen, wie das möglich wurde? Ich kenne mich selbst nicht mehr, ich weiß nicht, was Du mit mir angefangen hast; ich fühle mich nur wohl, wenn ich bei Dir bin.«

»Sagte ich Dir nicht, daß der Zauber schon wirken sollte? Tröste Dich, es ging Dir, wie vielen Andern.«

»Aber durch welche Mittel? Ich fürchte mich vor Dir, und dennoch ... Du mußt mir einen Liebestrank gegeben haben; Du mußt mich noch jetzt bei jeder Mahlzeit verzaubern, denn jedesmal nach dem Essen möchte ich mich vor Aller Augen in Deine Arme stürzen, an Deiner Brust sterben.«

Lefebre lächelte mit arger Tücke, und antwortete: »Du bist mein Eigenthum, das ist gewiß. Doch wünschte ich, andere Tränke brauen zu dürfen, als Zaubertränke der Liebe. Wenn Dein Gefühl so heiß und ewig dauernd ist, als Du mir vorspiegelst, so bethätige es. Dein Mann ist uns ein beständiges Hinderniß. An seinem Tode hängt unser Glück; wenn ich Dir die Mittel verschaffe, ihn aus dem Wege zu räumen, – wirst Du zögern, sie ihm zu reichen? Es ist dabei keine Gefahr für uns. Er soll langsam absterben. Seine Todesart sey ein Geheimniß, wie es noch jetzt unsere Liebe ist. Wirst Du einschlagen?«

»Um der Dreifaltigkeit willen! fordere das nicht von mir. Das kann ich nicht, Franz! Das werde ich nimmer können.«

»Gut; so sey der ganze Handel zu Ende. Ich habe meinen Zweck erreicht, schnüre morgen mein Bündel, und gehe, mein Glück weiter zu versuchen!«

»Ich folge Dir.«

»Warum nicht gar? Ich jage Dich zurück.«

»Das sollst Du nicht; eher tödtest Du mich.«

»Nicht doch, eitle Närrin. Ich überliefere Dich den Gensdarmen, Dich zur Pflicht zurück zu führen.«

»Weh mir! dann sterbe ich, verzehrt von Scham und Sehnsucht.«

»Meinethalben; stirb, weil Du nicht für mich zu leben den Muth hast; stirb, während ich in andern schönen Armen Ersatz für Deine Schwäche finde.«

»In den Armen einer Andern? Grausamer, das könnte ich nicht ertragen. Sage noch einmal, was soll ich thun?«

»Schweige jetzt; ich höre Deine Eltern kommen. Willst Du Näheres von mir erfahren, so besuche mich heute Nacht.«

Die Eltern kamen, der Tag verging. Alary kehrte spät und müde von der Arbeit heim. Nach kurzer Frist suchte er das Lager, und entschlief an der Seite seines Weibes. Sollette wachte, wachte in namenlosen Foltern. Alles um sie her war stille, nur die leisen Athemzüge ihres Mannes und ihrer Kinder umwebten sie, aber jeder dieser Athemzüge schien ihr ein Posaunenruf zu seyn, der ihr zudonnerte: »O kehr' zurück, o bleibe, wende Dich ab vom Bösen!« – Dennoch siegte der häßliche Zauber; Solette glaubte über ihrem Haupt Lefebre's Schritte zu vernehmen, gräulicher Taumel bemächtigte sich ihrer Sinne, und sie verließ rasch das Lager, und schlich zur verbotenen That und lauschte den Lehren des Lasters

 

4.

Es war im Februar 1831. Der friedliche Heerd in Alarys Hause war der Schauplatz der Trauer geworden. Alary selbst lag auf schmerzhaftem Siechbette, zerrissen von glühender Pein, die das Leben des kerngesunden Mannes an den innersten Grundfesten erschütterte. Nie geahnte Qualen zerfleischten seine Eingeweide, und bald packte ihn ein rasendes Fieber, bald streckte ihn die hoffnungsloseste Schwäche wie einen Todten auf das Lager hin. Seit vierzig Tagen dauerte dieser schreckliche Zustand, und die ganze Gemeinde erschöpfte sich in Klagen, in Bedauern, in bedenklichen Vermuthungen. Nur Solette war scheinbar ruhig, und Lefebre theilte diese gräßliche Ruhe. Sobald diese Unseligen an das Bett des Leidenden traten, sobald ihm die Hand der Ungetreuen einen Trunk für die heißlechzende Zunge, eine Arznei für die Schmerzen des Leibes reichte, vermehrte sich im gräßlichsten Grade die Folter, der er zur Beute geworden war. Noch immer täuschte er sich, noch immer empfing er ohne Sträuben von Solette sowohl als von der Tochter des alten Lorris, was diese ihm heuchlerisch reichten; doch eines Abends, als er, wie vom Starrkrampf befallen, sprach- und bewegungslos da lag, wie im letzten Schlummer, da ging ihm vor dem klaren Bewußtseyn eine furchtbare Gewißheit auf, wie ein blutiger Stern in schwarzer Wetternacht. Er hörte, wie Lefebre zu Julie hereinschlich, als jeder andere Zeuge sich entfernt hatte, und wie der Bösewicht die Worte sprach:

»Wie ist es nun? noch athmet er, noch schlummert er einem Erwachen entgegen, das uns vielleicht gefährlich wird? Die Natur dieses Menschen ist die eines Riesen, oder Du thust Deine Schuldigkeit schlecht. Du täuschest mich; wenn Du ihm so viel gäbst, als Du mir vorlügst, er müßte schon längst des Todes seyn.«

Ein leises Gewimmer aus Juliens Munde war die Antwort auf Lefebres freche Rede: »Ach, beim Blute des Heilands!« seufzte die Verführte: »Ich habe schon genug gethan, um den ewigen Fluch zu verdienen, und Du schiltst mich noch?«

Lefebre änderte nun den Ton, und sagte leichthin: »Der alte Lorris hat wieder neuen Vorrath gebracht, den gibst Du ihm morgen, und er müßte der lebendige Teufel seyn, wenn er da noch widerstände. Sey wieder gut, Närrchen; die Stunde ist traulich, und wir wollen uns einbilden, als ob wir schon auf seinem Grabe säßen.«

»Was thust Du, unseliger Mensch?« – seufzte wieder Julie mit erstickter Stimme, und Alary, mit der letzten Kraft sein Auge öffnend, sah mit Schaudern, wie an seiner Seite der schändliche Bube das Weib umarmte ..., wie die Lampe verlosch.

 

5.

Am folgenden Morgen scheute sich die Sünderin nicht, auf's Neue vor den Gatten hinzutreten, und ihm zu sagen: »Nimm diese Tisane, sie wird Dir gut thun.«

Alary wendete den Kopf weg, und die treulose Gattin entwich, wie von banger Ahnung gefoltert. In der Brust des Gemarterten war aber die Liebe stärker geblieben, als in seinen Gliedern die Kraft. Er überlegte nicht lange, ob er das Schwert gegen das sündige Weib kehren sollte, ob nicht, er wollte nicht ihren Tod, er begehrte zu verzeihen, wenn ihm der Himmel Leben und Gesundheit wieder schenken würde. Mit hoffender Seele und gläubigem Vertrauen wendete er sich zu seinen alten braven Schwiegereltern, die gleich Friedensengeln an sein Bett traten, und nur aus ihren Händen nahm er die Labung, den kühlenden Trank, den sie ihm ohne Tücke bereiteten. In seinem Innersten blieb jedoch das Geheimniß verschlossen, und noch ahnte weder der gute Monnet noch dessen würdige Frau, welche Schuld ihr geliebtes Kind auf sich geladen.

Aber die Vergeltung hatte begonnen, mit ihren Geißeln Solettens Gewissen zu zerfleischen. Blaß vor Entsetzen, dennoch unwiderstehlich hingezogen zu dem Verführer, sprach sie zu Lefebre: »Ich kann nicht länger eine Zuschauerin dieses Todeskampfes bleiben. Bringe mich weg von hier.«

Der Teufel erwiederte: »Du wirst uns noch alle verderben; es wird gut seyn, Dich zu entfernen. Dein Vetter hält im nächsten Dorfe Hochzeit. Laß uns hingehen. Bei Musik und Tanz magst Du Dich zerstreuen.«

»Während mein Mann stirbt?«

Lefebre lachte bitter und versetzte: »Der kömmt davon. Dem thut sogar Scheidewasser nichts, wie ich glaube. Feiere seine Genesung auf jener Hochzeit, und überlasse es mir, ihm dann fortzuhelfen. Lorris soll uns beistehen. Ein Kissen auf den Mund des Kranken ... Ihr haltet ihn an Händen und Füßen ... und ich ersticke ihn. Wenn Du willst, so mag dieses heute Abend geschehen.«

»O nein, um's Himmels willen nein! Laß uns gehen, ich folge Dir ja, wohin Du willst.«

Das verbrecherische Paar eilte nach der Schwelle des Hauses. Die Lorris begegnete ihnen. »Wohin?« fragte die Dirne verwundert.

»Auf des Vetters Hochzeit, zu Musik und Tanz!« erwiederte Solette wie außer sich, und wollte eiligst fort.

»Jetzt? Solette, denke doch an Deinen Ruf!«

»Der gilt mir gleich, wenn ich nur bei Lefebre bin!« Solette zog den Verführer mit sich fort, und ging, wohin die Lust und der Taumel sie trieb.

 

6.

Es war an einem Sonntag, den dreizehnten Februar 1831, als Solette, nach einer Abwesenheit von zwei Tagen, wieder in das Haus ihres Gatten trat. Ihr Blick war der einer Wahnsinnigen, ihr Thun zerstreut und regellos. Nicht den Gatten, der sich seit ihrer Abwesenheit bedeutend erholt hatte, nicht die unschuldigen Kinder würdigte sie der geringsten Aufmerksamkeit. Obgleich in später Abendstunde, raffte sie ihre Kleidungsstücke zusammen und machte daraus einen Bündel.

»Was thust Du da, thörichtes Weib?« fragte mit männlicher Entrüstung der greise Vater, sie zur Rede stellend; und sie erwiederte, als ob gewaltsam ein Geheimniß sich über ihre Lippen drängen wollte: »Ich will nicht mehr mit meinem Manne leben, ich kann es nicht mehr. Lefebre ist mein Herr, ich gehöre ihm allein, und morgen aufs Späteste gehe ich mit ihm in die Welt, und folge ihm, wohin er auch seine Schritte lenkt.«

So sprach sie vor ihren Eltern, in Alarys Gegenwart selbst, der, mit der bittersten Wehmuth kämpfend, von seinem Schmerzenslager aus die Schwiegereltern besänftigte, und mit schwacher Stimme ihnen zuredete: »Laßt sie nur, die Verblendete; verlaßt nur Ihr mich nicht, thut aber der Unglücklichen nichts zu leid.«

Von der Sanftmuth des Kranken tief bewegt, überließen die Eltern ihre Tochter dem bösen Geiste, und wichen nicht von dem Lager des Schwiegersohnes, dessen Zustand ihnen von Minute zu Minute mehr als das Ergebniß einer scheußlichen Verschwörung gegen sein Leben vorkam. Sie äußerten ihre Ahnungen; aber Alary, mit der schrecklichsten Gewißheit vertraut, bewahrte noch immer sein Geheimniß. Als die Nacht vergangen war und der Morgen herankam, fragte er zu wiederholten Malen: »Ist sie schon fort? Hat mich Solette schon verlassen? Hat Levebre seine Beute bereits hinweg geführt? Will sie immer noch in ihrem Zustande, mit einem armen Kinde unterm Herzen, das Haus der Ehre fliehen?«

Noch war Solette im Hause, wie eingebannt in einem Zauberkreis, obschon von außen der schlimmste Hexenmeister sie unaufhörlich lockte. Wie eine Mücke um das Licht schwirrt, worinnen sie ihren Tod finden soll, so umgarnte sich Julie selbst mit den Netzen ihrer Gewissensangst, lief vom Speicher zur Küche, vom Keller zur Scheune, und endlich in den Garten, wo sie dem Vater begegnete, dessen strenger Ernst ihre Verstocktheit entwaffnete, vor dessen Ehrwürdigkeit ihr Mund von den gräulichsten Geständnissen überfloß. Es bedurfte keiner Frage mehr; sie bekannte in der schrecklichsten Zerrüttung ihrer Seele, daß Alary's Krankheit von ihr und Lefebre erzeugt worden sey, daß er mehr als zwanzigmal Gift von jeder Gattung aus ihren Händen empfangen, daß der alte Lorris und dessen Tochter getreulich dabei mitgeholfen und alle Ingredienzen herbeigeschafft, aus strafbarer Willfährigkeit, ohne die mindeste Ursache, die sie hätte bestimmen können, gegen Alary so grausam zu verfahren. Der alte Vater schauderte, als er vernahm, welche Mittel man gebraucht. Jedes Gift, welches Lefebre kannte, Canthariden, nux vomica, Grünspan, Arsenik, Spinnen, zerstoßene Kröten, Opium, wurden in Anwendung gebracht. Der gräuliche Mörder hatte seine ganze Einbildungskraft aufgeboten, um Giftstoffe zu erfinden, die zu dem gräßlichen Zweck führen konnte.

»Wir haben ihm so viel beigebracht,« sagte das unsinnige Weib am Schluß seiner Geständnisse, »daß zehn Personen daran zu Grunde hätten gehen müssen. Ich weiß nicht, wie er es anfing, all diesem Gift zu widerstehen. Nun wißt Ihr Alles, Vater. Wenn Ihr das, was ich Euch gestand, wieder aussagt, so ist mir's gleichviel; Niemand wird mich von Lefebre trennen, ich werde ihn nie und nirgends verlassen, eher mit ihm sterben.«

Es male sich die Lage des unglücklichen Vaters, wer da kann. Er sieht vor seinen Augen die Tochter in der Gewalt ihres Buhlen, im Begriff zu entfliehen; aber wie leicht ist nicht Alary's Leben gefährdet? Wie leicht kann es dem mörderischen Paare einfallen; seinem Leben noch durch eine verzweifelte That ein Ende zu machen? Der unschuldige, herzensgute Schwiegersohn verdient die Hülfe des Vaters in höherem Grade, als die verdorbene Tochter. Der wackere alte Mann bedenkt sich nicht lange, faßt einen raschen Entschluß, und zeigt dem Maire das Verbrechen und die Thäter an.

 

7.

Schnell verbreitete sich das schreckensvolle Gerücht. Alle Nachbarn waren im Aufruhr, hundert Arme boten sich der Obrigkeit dar, die Verbrecher zu fangen. In der kürzesten Zeit waren Lefebre und Solette, Lorris und seine Tochter verhaftet. Die nächste Gensdarmerie-Brigade erschien, um die Gefangenen nach dem Arresthause von Montargis zu bringen. Lefebre bot seine Hände mit finsterm verächtlichen Blicke den Fesseln dar; Solette jedoch, im gesteigerten Wahnsinn, rief mit durchdringender Stimme: »Trennt mich nicht von ihm, ihr grausamen Schergen! Ich bin die Seinige, ich muß ihn auf's Schaffot begleiten, muß mit ihm sterben!« Kein Wort ihren Kindern, kein Gedanke für ihren Mann. Mit wilder Freude in den Augen, wiederholte sie noch hundertmal die Worte: »Ich sterbe mit ihm, ich bin zufrieden und überglücklich, mit ihm zu Grunde zu gehen.«

Diese Stimmung erhielt sich während des Zugs nach Montargis. Jedoch auf der Schwelle des Gefängnisses zerschnitt ein Blitzstrahl den Schleier, den unbegreifliche Verblendung um das Auge des unglücklichen Weibes gewoben hatte. Dieser Blitzstrahl ging von dem Munde Lefebres aus. Solette hörte, wie ein Gensdarme ihn fragte, ob er durch die verabscheuungswürdige That die Hand des Weibes hätte gewinnen wollen; sie mußte hören, wie Lefebre hierauf verächtlich antwortete: »Ich bin unschuldig, sie hat Alles gethan. Ich sie heirathen? Ein Weib mit drei Kindern, ein Weib ohne Vermögen?«

Diese Worte waren hinreichend, Solettens Wahnsinn zu dämpfen, mehr als der kräftigste Zuspruch vermocht hätte, und an die Stelle der zügellosen Leidenschaft trat nun Verachtung und Haß gegen denjenigen, der das Werkzeug seiner gräßlichen Plane, das verführte Opfer seiner Niederträchtigkeit allein der Schande Preis geben, und in einen Abgrund voll Blut und Schmach versenken wollte.

Mit dem kalten Verbrecher confrontirt, konnte Solette ihrer Bewegung nicht mehr Meister werden. Vor den Augen des Richters schleuderte sie einen Ring, den sie von Lefebre erhalten, zu dessen Füßen nieder, nicht minder ihre Ohrgehänge, ebenfalls ein Geschenk des Elenden. Der Ring war ihr lange Zeit theurer gewesen, als ihr Trauring. Mit gränzenloser Verachtung sprach sie hiebei die Worte: »Du bist ein feiger Mensch, Franz, Du hast niemals Muth besessen. Du wagst nicht jetzt, im entscheidenden Augenblicke die Wahrheit zu sagen. Du fürchtest für Dein erbärmliches Leben!« Voll Abscheu wendete sie sich von ihm, und rief dem Verhörrichter mit aufgehobenen Händen zu: »Lassen Sie ihn fortbringen, mein Herr, ich kann ihn nicht mehr vor meinen Augen sehen. Wie sehr ich ihn auch liebte, so muß ich ihn jetzt unaussprechlich hassen. Er ist ein Ungeheuer, das mich verzauberte, dem ich blindlings in die Schlingen lief, worinnen es mich jetzt allein verderben lassen will. Wie gerne folgte ich ihm in das Gefängniß, wie fest hielt ich auf dem Wege dahin seinen Arm in dem meinigen! ich hätte mit Stolz sein Schicksal getheilt, ich wäre ihm auf das Schaffot gefolgt, ohne zu schaudern – aber ich sehe nun zu wohl ein, wie verblendet ich war. Er ist nur ein feiger Bösewicht, und ist es immer gewesen.«

Wenn man die Thränen, die Reue, alle Seelenleiden des unglücklichen verführten Weibes vor Augen hatte, so überlief es den Zuschauer mit Schauder, wenn er aus dem Munde des Lefebre hörte, wie dieser kalt und gefühllos jede Mitwissenschaft an dem Verbrechen, ja die Verführung des Weibes selbst läugnete.

»Ich hatte nichts mit ihr zu schaffen,« sagte er mit verächtlicher Miene, »ich suchte sie nicht, sie schlich sich auf meine Kammer, ich widerstand ihr lange. Was sollte ich auch mit ihrer Liebe anfangen? Ich bin nicht ihr erster Buhle gewesen. Ich wollte sie nie heirathen. Wie hätte mir das einfallen können? Eine Frau, mit Kindern belastet, ohne eigenes Vermögen? Ich bringe mich leichter allein durch.«

Diese Haltung beobachtete der Elende auch an dem Tage, wo der schauderhafte Prozeß vor den Assienhof in Orleans gebracht wurde; am 22. und 23. Juli 1831. Die Theilnahme des Gerichts wie der Zuhörer richtete sich auf Alarys Gattin, die durch ihre Schönheit und Jugend allein schon, wie durch ihr Schicksal interessirte. Mit Abscheu kehrte man sich von den gemeinen und widerlichen Zügen des Lefebre ab. Anna Lorris, deren Vater im Gefängnisse gestorben war, erwartete unter unaufhörlichen Thränen die Entscheidung ihres Looses. – Hätte das rauhe Gesetz allein vor den französischen Richterstühlen seine unbeugsame Macht zu üben, so würden drei Köpfe dem blutigen Beile anheim gefallen seyn. Aber die Geschwornen sind auch zugleich die Organe der Menschlichkeit. Sie erklären in ihrem Verdict: » Julie Alary des ihr zur Last gelegten Verbrechens schuldig, aber zugleich von einer unwiderstehlichen Macht, die ihre Vernunft betäubte, dazu hingerissen,« somit wurde Julie freigesprochen, mit ihr Anna Lorris, und nur das Haupt des elenden Lefebre verfiel dem schmählichen Tode.


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