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Paula hatte angeordnet, daß man sie am frühen Morgen wecken sollte. Wenn der Geißbub käme, wollte sie selbst mit ihm verhandeln. Am Abend hatte sie noch eine lange Unterredung mit dem Wirt gehabt und war dann sehr befriedigt aus seiner Stube herausgekommen. Sie mußte etwas Erfreuliches mit ihm ausgemacht haben.
Als der Geißbub am Morgen mit seiner Herde herankam, stand Paula schon vor dem Haus und rief: »Moni, kannst du denn immer noch nicht singen?«
Er schüttelte den Kopf: »Nein, ich kann's nicht, ich muß jetzt immer an das Mäggerli denken, wie lange es noch mit mir geht. Ich kann nicht mehr singen, solange ich lebe, und hier ist das Kreuz.« Damit übergab er ein kleines Päckchen, denn die Großmutter hatte es ihm sorgfältig in drei oder vier Papiere gewickelt.
Paula schälte das Kreuz aus den Hüllen heraus und betrachtete es genau. Es war wirklich ihr schönes Kreuz mit den funkelnden Steinen und völlig unversehrt.
»So, Moni«, sagte sie nun freundlich, »du hast mir eine große Freude gemacht, denn ohne dich hätte ich wohl mein Kreuz nie mehr gesehen. Nun will ich dir auch eine Freude machen. Geh, hol das Mäggerli dort aus dem Stall, es gehört jetzt dir!«
Moni starrte das Fräulein mit einem Erstaunen an, als sei es unmöglich, ihre Worte zu verstehen. Endlich stotterte er: »Aber wie – wie könnte das Mäggerli mein sein?«
»Wie?« wiederholte Paula lächelnd, »sieh, gestern abend hab ich es dem Wirt abgekauft und heute morgen schenke ich es dir. Kannst du jetzt wieder singen?«
»Oh!« stieß Moni hervor und rannte wie ein Unsinniger auf den Stall zu, zog das Geißlein heraus und nahm es auf den Arm. Dann kam er zurückgesprungen und streckte dem Fräulein seine Hand entgegen und sagte immer wieder: »Ich danke tausendmal! Vergelt's Gott! Und wenn ich Ihnen nur einen Gefallen tun könnte!«
»Dann sing mir dein Lied«, sagte Paula.
Da stimmte Moni sein Lied an und zog nun den Berg hinauf mit den Geißen, und seine Jubeltöne schmetterten so ins Tal hinab, daß im ganzen Badehaus keiner war, der sie nicht hörte. Und mancher drehte sich auf seinem Kissen um und sagte: »Der Geißbub hat wieder gute Laune.« Es freute aber alle, daß er wieder sang, denn sie hatten sich alle an den fröhlichen Wecker gewöhnt, die einen zum Aufstehen, die anderen zum Weiterschlafen. Als Moni oben von der ersten Höhe das Fräulein immer noch unten vor dem Haus stehen sah, trat er extra weit hinaus und sang hinunter, so laut er konnte:
»Und so blau ist der Himmel,
Und ich freu mich fast zu Tod!«
Den ganzen Tag über sang der Moni und alle Geißen wurden angesteckt von seiner Fröhlichkeit und hüpften und sprangen umher. Es war, als ob ein großes Fest gefeiert würde. Die Sonne schien fröhlich vom blauen Himmel herunter. Und nach dem großen Regen waren auch alle Kräutlein frisch und die gelben und roten Blümlein glänzten. Moni glaubte, Berg und Tal und die ganze Welt noch nie so schön gesehen zu haben. Sein Zicklein ließ er den ganzen Tag nicht aus den Augen. Er zog ihm die besten Kräutlein aus und fütterte es und sagte immer wieder: »Mäggerli, du gutes Mäggerli, du mußt nicht sterben, du bist jetzt mein und kommst mit mir auf die Weide hinauf, solange wir leben.« Und mit schallendem Singen und Jodeln kam Moni auch am Abend wieder hinunter. Nachdem er die Schwarze zu ihrem Stall geführt hatte, nahm er das Zicklein auf den Arm, es kam ja nun mit ihm nach Haus. Das Mäggerli machte auch gar keine Anstalten, als wollte es lieber dableiben, sondern schmiegte sich an den Moni. Bei ihm fühlte es sich geborgen, denn Moni hatte es ja schon lange besser und zärtlicher behandelt als die eigene Mutter.
Als aber Moni zu der Großmutter kam, sein Mäggerli auf der Schulter, da wußte diese gar nicht, was geschehen war. Denn Monis Rufen: »Es gehört mir, Großmutter, es gehört mir!« erklärte ihr die Sache noch lange nicht. Aber Moni konnte noch nicht erzählen. Erst lief er zu dem Stall und dort, hart neben der Braunen, damit es sich nicht fürchte, machte er dem Mäggerli ein schönes, weiches Lager aus frischem Stroh. Er legte es darauf und sagte: »So Mäggerli, nun schlaf gut in der neuen Heimat. So sollst du's immer haben, alle Tage mache ich dir ein neues Bettlein.«
Erst jetzt kam Moni zu der verwunderten Großmutter zurück, und wie sie nun zusammen bei ihrem Abendessen saßen, erzählte er ihr die ganze Geschichte von Anfang an. Er berichtete von seinen drei kummervollen Tagen und dem heutigen beglückenden Schluß. Die Großmutter hörte ganz still und aufmerksam zu, und als er zu Ende war, sagte sie ernsthaft: »Moni, wie es dir jetzt gegangen ist, daran sollst du immer denken. Während du dir Sorgen um das Geißlein machtest, hatte der liebe Gott ihm schon lange geholfen und dir zur Freude einen Weg gefunden. Er hat dir geholfen, weil du dein Unrecht eingesehen hast. Hättest du sofort recht getan und auf Gott vertraut, so wäre gleich alles gut gegangen. Jetzt hat der liebe Gott dir so sehr geholfen, daß du es dein Leben lang nicht vergessen darfst.«
»Nein, ich will es auch nie vergessen«, sagte Moni mit eifriger Zustimmung, »und gewiß immer gleich denken: Ich muß nur tun, was vor dem lieben Gott recht ist, das andere bringt er schon in Ordnung.«
Bevor aber Moni sich schlafen legen konnte, mußte er noch einmal in den Stall und sein Geißlein anschauen, ob es auch wirklich möglich sei, daß es draußen liege und ihm gehöre.
Der Jörgli bekam seine zehn Franken, aber so leicht sollte er denn doch nicht von der Sache loskommen.
Als er wieder ins Badehaus kam, wurde er vor den Wirt geführt. Er nahm den Buben beim Kragen, schüttelte ihn tüchtig und sagte bedrohlich: »Jörgli! Jörgli! Versuch du kein zweitesmal mehr, mein ganzes Haus in Mißkredit zu bringen! Kommt noch ein einziges Mal so etwas vor, so kommst du auf eine Art aus meinem Haus hinaus, die dir nicht gefällt! Sieh, dort oben steckt ein ganz kräftiges Weidenrütchen für solche Fälle. Jetzt geh und denk dran!«
Aber noch eine Folge hatte der Vorgang für den Buben: Wenn von nun an irgend etwas im Badehaus verloren gegangen war, rief die ganze Dienerschaft sofort: »Das hat der Jörgli von Küblis!« Und kam dieser nachher ins Haus, so drangen sie alle miteinander auf ihn ein und riefen: »Gib's her, Jörgli! Gib's heraus!« Und wie sehr er auch versicherte, er habe nichts und wisse nichts, sie schrien ihn alle an: »Dich kennt man schon! Uns betrügst du nicht!«
So hatte der Jörgli immer die bedrohlichsten Angriffe zu bestehen und hatte fast keinen ruhigen Augenblick mehr. Denn wenn er jetzt nur jemand auf sich zukommen sah, so glaubte er schon, der komme, um ihn zu fragen: »Hast du nicht dies oder das gefunden?« So war es dem Jörgli nie mehr recht wohl zumut, und hundertmal dachte er: »Hätte ich doch jenes Kreuz auf der Stelle zurückgegeben, in meinem ganzen Leben behalte ich nichts mehr, das mir nicht gehört.«
Der Moni aber hörte den ganzen Sommer nicht auf zu singen und zu jodeln, denn er fühlte sich so wohl da oben bei seinen Geißen, wie kaum ein anderer Mensch auf der Welt. Aber oft, wenn er so in seiner Zufriedenheit ausgestreckt auf der Felsenkanzel lag und in das sonnige Tal hinabschaute, mußte er daran denken, wie er damals mit seinem schlechten Gewissen unter dem Regenfelsen saß. Und er sagte jedesmal laut vor sich hin: »Ich weiß schon, wie ich's mache, daß es nie mehr so kommt. Ich tue nichts mehr, wenn ich dabei nicht fröhlich in den Himmel aufsehen kann, weil es dem lieben Gott so recht ist.«
Geschah es aber, daß der Moni sich zu lange in seine Betrachtungen vertiefte, so kam die eine oder die andere der Geißen heran. Sie schaute verwundert nach ihm aus und versuchte ihn zur Gesellschaft zurückzumeckern, was er aber manchmal ziemlich lange nicht hörte. Nur wenn sein Mäggerli kam und mit Verlangen nach ihm rief, dann hörte er es gleich. Er lief ihm auch sofort entgegen, denn sein anhängliches Geißlein war und blieb Monis liebstes Gut.