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VI.

Am Morgen nach dem Kampf fanden die Nonnen zu ihrem Entsetzen neun Leichen in ihrem Garten und in dem Gang, der vom äußeren Tor zu dem mit den Eisenriegeln führte; acht ihrer Bravi waren verwundet. Niemals hatte es eine solche Angst im Kloster gegeben; man hatte wohl öfters Flintenschüsse vom Platze her gehört, aber nie solche Menge von Schüssen, noch dazu im Garten, inmitten der Gebäude und unter den Fenstern der Nonnen. Das hatte gut anderthalb Stunden gedauert und während dieser Zeit herrschte die allergrößte Kopflosigkeit im Innern des Klosters. Wäre Giulio Branciforte nur ein wenig im Einverständnis mit einer der Nonnen oder der Pensionärinnen gewesen, wäre es ihm geglückt: es hätte genügt, daß man ihm eine der zahlreichen, in den Garten führenden Türen geöffnet hätte; aber ganz außer sich vor Entrüstung und voll Wut über das, was er den Meineid der jungen Helena nannte, wollte er alles durch eigne Kraft erreichen. Es ging gegen seinen Stolz, sein Vorhaben irgend jemandem anzuvertrauen. Indessen hätte ein einziges Wort an die kleine Marietta den Erfolg verbürgt: sie hätte eine der Türen, die zum Garten führten, geöffnet und – unterstützt durch die schreckliche Begleitung der Flintenschüsse von draußen – hätte auch ein einziger Mann der in den Schlafsälen erschien, sich unbedingten Gehorsam verschafft. Vom ersten Schuß an hatte Helena für das Leben ihres Geliebten gezittert und an nichts andres gedacht, als mit ihm zu fliehen.

Wie soll man ihre Verzweiflung schildern, als die kleine Marietta ihr die entsetzliche Verwundung beschrieb, die Giulio am Knie erhalten hatte und aus der sie das Blut hatte in Strömen fließen sehen? Helena verabscheute jetzt ihre Feigheit und Zaghaftigkeit: »Ich habe die Schwäche gehabt, meiner Mutter ein Wort zu sagen und Giulios Blut ist geflossen, er konnte bei diesem bewundernswerten Angriff, wo sein Mut vor nichts zurückschreckte, sein Leben lassen.«

Die Bravi wurden ins Sprechzimmer zugelassen und berichteten den lüstern zuhörenden Nonnen, daß sie nie in ihrem Leben Zeugen einer Tapferkeit gewesen seien, die sich mit der des jungen, als Kurier verkleideten Mannes, der die Angriffe der Briganten leitete, vergleichen ließe. Wenn diesen Erzählungen schon von allen mit dem größten Interesse zugehört wurde, kann man sich vorstellen, mit welch äußerster Leidenschaft Helena die Bravi nach Einzelheiten über den jungen Anführer der Briganten ausfragte. Nach den ausführlichen Schilderungen, die sie sich von ihnen und von den alten Gärtnern geben ließ, die ganz unparteiische Zeugen waren, schien es ihr, daß sie ihre Mutter nicht im geringsten mehr liebte. Es gab sogar eine erregte Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen, die sich am Vorabend des Kampfes so zärtlich geliebt hatten. Signora Campireali war gereizt durch die Blutflecken auf einem gewissen Blumenstrauß, von dem Helena sich nicht einen Augenblick mehr trennen wollte.

»Man soll diese blutbefleckten Blumen fortwerfen.«

»Ich war es, die dieses edle Blut vergossen hat und es ist geschehen, weil ich die Schwäche hatte, Euch ein Wort zu sagen.«

»Ihr liebt also noch den Mörder Eures Bruders?«

»Ich liebe meinen Gatten, der zu meinem ewigen Unheil von meinem Bruder angegriffen worden ist.«

Nach dieser Bemerkung wurde während der drei Tage, welche Signora von Campireali noch im Kloster zubrachte, kein einziges Wort mehr zwischen Mutter und Tochter gewechselt.

Am Morgen nach ihrer Abreise gelang es Helena, zu entkommen, indem sie die Verwirrung benützte, die an beiden Klostertoren durch die Anwesenheit zahlreicher Maurer herrschte, welche im Garten neue Befestigungen aufführen sollten. Die kleine Marietta und sie hatten sich als Arbeiter verkleidet. Aber die Bürger hielten an den Toren der Stadt strenge Wacht und Helene war in großer Verlegenheit, wie sie durchkommen solle. Endlich war der kleine Krämer, der ihr schon die Briefe Brancifortes übermittelt hatte, einverstanden, sie als seine Tochter auszugeben und bis Albano zu begleiten. Helena fand dort ein Versteck bei ihrer alten Amme, der es ihre Wohltaten ermöglicht hatten, einen kleinen Laden zu halten. Kaum angelangt, schrieb sie an Branciforte, und die Amme fand, nicht ohne Schwierigkeit, einen Mann, der es wagen wollte, in den Wald von La Faggiola einzudringen, ohne das Losungswort der Leute des Colonna zu wissen.

Nach drei Tagen kam der von Helena abgesandte Bote ganz verstört zurück; erst war es ihm unmöglich gewesen, Branciforte zu finden und seine unaufhörlichen Fragen nach dem jungen Hauptmann hatten ihn verdächtig gemacht, so daß er schließlich gezwungen war, zu flüchten.

›Man kann nicht zweifeln, der arme Giulio ist tot,‹ sagte sich Helena, ›und ich bin es, die ihn getötet hat! Das mußte die Folge meiner elenden Schwäche und meiner Zaghaftigkeit werden; er hätte eine starke Frau lieben sollen, die Tochter irgendeines Hauptmanns des Fürsten Colonna ...‹

Die Amme glaubte, daß Helena sterben würde. Sie stieg zum Kapuzinerkloster hinauf, das bei dem in die Felsen gehauenen Weg, wo einstens mitten in der Nacht Fabio und sein Vater den beiden Liebenden begegnet waren, lag. Die Amme sprach lange mit ihrem Beichtvater und unter dem Siegel der Beichte gestand sie ihm, daß die junge Helena von Campireali sich mit Giulio Branciforte, ihrem Gatten, vereinen wolle und daß sie geneigt wäre, dem Kloster eine silberne Lampe im Wert von hundert spanischen Piastern zu stiften.

»Hundert Piaster!« antwortete der Mönch gereizt. »Und was wird aus unsrem Kloster, wenn wir den Haß des Signor von Campireali auf uns ziehen? Es waren nicht hundert Piaster, sondern wohl tausend, ohne die Wachskerzen zu rechnen, die er uns gegeben hat, um den Leichnam seines Sohnes vom Schlachtfeld von Ciampi zurückzubringen.«

Man muß zur Ehre des Klosters berichten, wie zwei betagte Mönche, welche genau über die Lage der jungen Helena unterrichtet waren, nach Albano hinabstiegen, um sie durch Zureden oder mit Gewalt zu veranlassen, in den Palast ihrer Familie zurückzukehren; sie wußten, daß Signor von Campireali sie dafür reich belohnen würde. Ganz Albano war von Gerede über die Flucht Helenas und von der Erzählung der glänzenden Versprechungen erfüllt, die ihre Mutter denen ausgesetzt hatte, die ihr Nachrichten über den Aufenthalt der Tochter geben würden. Aber die beiden Mönche wurden von der Verzweiflung Helenas, die Giulio Branciforte tot glaubte, so gerührt, daß sie, weit davon entfernt, sie zu verraten und ihrer Mutter ihren Zufluchtsort anzuzeigen, sich sogar bereit erklärten, sie bis zur Festung La Petrella zu geleiten. Helena und Marietta begaben sich nachts, wieder als Arbeiter verkleidet, zu Fuß an eine bestimmte Quelle im Wald von La Faggiola, eine Stunde von Albano entfernt. Die Mönche hatten dorthin Maultiere bringen lassen, und als der Tag anbrach, machte man sich auf den Weg. Die Mönche, welche unter dem Schutz des Fürsten standen, wurden von den Soldaten, denen sie im Wald begegneten, mit Respekt gegrüßt, aber nicht so die beiden jungen Bürschchen, welche sie begleiteten: die Soldaten betrachteten sie zuerst mit strengen Blicken und kamen auf sie zu, dann brachen sie in Gelächter aus und machten den Mönchen Komplimente wegen der Reize ihrer Maultiertreiber.

»Schweigt, Gottlose! und wißt, daß alles auf Befehl des Fürsten Colonna geschieht«, antworteten die Mönche im Weiterschreiten.

Aber die arme Helena hatte Unglück; der Fürst war von La Petrella abwesend, und als er ihr drei Tage später, nach seiner Rückkehr, endlich eine Audienz gewährte, behandelte er sie sehr hart.

»Warum kommt Ihr hierher, Fräulein? Was bedeutet dieser unvorsichtige Schritt? Euer Weibergeschwätz hat sieben der tapfersten Männer Italiens ins Verderben gestürzt, und das wird Euch kein verständiger Mensch je vergeben. Auf dieser Welt muß man wollen oder nicht wollen. Ohne Zweifel ist es neuen Klatschereien zu danken, daß Giulio Branciforte der Kirchenschändung angeklagt und verurteilt werden soll, zwei Stunden mit glühenden Zangen gezwickt und dann wie ein Jude verbrannt zu werden, er, einer der besten Christen, die ich kenne! Wie hätte man ohne Euer schändliches Geschwätz diese schreckliche Lüge erfinden können, woher wissen sollen, daß Giulio Branciforte am Tage des Klosterüberfalls in Castro war? Alle meine Leute werden Euch sagen, daß man ihn gerade an diesem Tage hier in La Petrella gesehen hat und daß ich ihn gegen Abend nach Velletri schickte.«

»Aber er lebt?« rief die junge Helena zum zehnten Mal, indem sie in Tränen ausbrach. »Für Euch ist er tot,« versetzte der Fürst, »Ihr werdet ihn niemals wiedersehen. Ich rate Euch, in Euer Kloster in Castro zurückzukehren und hütet Euch, von neuem zu schwatzen; binnen einer Stunde werdet Ihr La Petrella verlassen haben. Vor allem erzählt niemandem, daß Ihr mich gesehen habt, oder ich werde Euch zu strafen wissen.«

Die arme Helena war tief betrübt über einen solchen Empfang von Seiten jenes berühmten Fürsten Colonna, den Giulio so verehrte und den sie liebte, weil er ihn liebte.

Was auch der Fürst Colonna daran auszusetzen fand, war dieser Schritt Helenas doch nicht unklug gewesen. Wäre sie drei Tage früher nach La Petrella gekommen, so hätte sie Giulio Branciforte hier gefunden; die Wunde am Knie setzte ihn außerstand, selbst zu gehen, und der Fürst ließ ihn nach dem großen Marktflecken Avezzano im Königreich Neapel transportieren. Bei der ersten Nachricht des schrecklichen durch Signor von Campireali erkauften Haftbefehls gegen Giulio Branciforte, der ihn als Kirchenschänder und Klosterräuber erklärte, hatte der Fürst eingesehen, daß er auf drei Viertel seiner Leute nicht würde zählen können, wenn es sich darum handeln sollte, Branciforte zu schützen. Das war eine Sünde gegen die Madonna, unter deren besonderem Schutz sich jeder der Briganten fühlte. Wenn einer der barigelli aus Rom kühn genug gewesen wäre, Giulio Branciforte mitten im Walde von La Faggiola zu verhaften, hätte es ihm gelingen können.

Bei seiner Ankunft in Avezzano nannte sich Giulio Fontana, und die Leute, die ihn trugen, waren verschwiegen. Nach La Petrella zurückgekehrt, verkündeten sie traurig, daß Giulio auf der Reise gestorben sei, und von diesem Augenblick an wußte jeder der Soldaten des Fürsten, daß ein Dolchstich ins Herz dem sicher sei, der den verhängnisvollen Namen aussprach.

Es war also vergeblich, daß Helena, nach Albano zurückgekehrt, Brief über Brief schrieb und, um Branciforte Nachricht zukommen zu lassen, ihre ganzen Zechinen ausgab. Die beiden alten Mönche, die ihre Freunde geworden waren – denn, sagt der florentinische Chronist, die wahre Schönheit ermangelt nicht, selbst auf durch niedrigsten Egoismus und Heuchelei verhärtete Herzen eine gewisse Herrschaft auszuüben –, die beiden Mönche, sagten wir, teilten dem armen jungen Mädchen mit, daß jeder Versuch, Branciforte auch nur ein Wort zukommen zu lassen, vergeblich sei: Colonna hatte erklärt, daß er tot wäre und sicher würde Giulio nicht wieder in dieser Welt erscheinen, ehe der Fürst es wollte. Die Amme Helenas kündigte ihr weinend an, daß ihre Mutter endlich ihren Zufluchtsort entdeckt habe und daß die strengsten Befehle ergangen seien, sie, und sei es mit Gewalt, in den Palast Campireali nach Albano zu bringen. Helena begriff, daß ihre Gefangenschaft, wenn sie einmal in diesem Palast war, grenzenlos streng durchgeführt werden könne und daß man ihr jeden Verkehr mit der Außenwelt untersagen würde; dagegen genoß sie im Kloster von Castro die gleiche Freiheit, Briefe zu empfangen und abzusenden, wie alle Nonnen. Überdies, und das entschied ihr Schwanken, war es der Garten dieses Klosters, wo Giulio sein Blut für sie vergossen hatte; sie konnte den hölzernen Sessel der Pförtnerin wiedersehen, auf den er sich einen Augenblick gesetzt hatte, um die Wunde an seinem Knie zu beschauen, es war dort, wo er Marietta die blutbefleckten Blumen gegeben hatte, die sie nicht mehr verließen. Also kehrte sie traurig in das Kloster von Castro zurück, und man könnte ihre Geschichte hier beenden: es wäre gut für sie und vielleicht auch für den Leser. Denn tatsächlich werden wir dem langsamen Sinken einer edlen und reichen Seele zuschauen. Kluge Maßnahmen und gesellschaftliche Lügen, die sie von nun an rings umgaben, verdrängten die aufrichtigen Regungen lebhafter und natürlicher Leidenschaft. Der römische Chronist schaltet hier eine Betrachtung ein, die voll Naivetät ist: Weil sich eine Frau die Mühe gibt, eine schöne Tochter zur Welt zu bringen, glaubt sie das Talent zu besitzen, ihr Leben zu lenken; und weil sie ihr im Alter von sechs Jahren mit Grund sagte: »Mein Fräulein, richtet Euren Kragen«, glaubt sie, wenn diese Tochter achtzehn und sie fünfzig Jahre alt ist, – und diese Tochter ebensoviel oder mehr Geist besitzt als die Mutter –, hingerissen von der Gewohnheit des Herrschens noch immer das Recht zu haben, ihr Leben zu lenken, sei es auch durch Betrug.

Wir werden sehen, daß Vittoria Carafa, die Mutter Helenas durch eine Reihe geschickter und überaus klug kombinierter Mittel den grausamen Tod ihrer so zärtlich geliebten Tochter herbeiführte, nachdem sie durch ihre traurige Herrschsucht zwölf Jahre hindurch ihr Unglück gewesen war.

Bevor er starb, hatte Signor von Campireali noch die Freude, in Rom den Richtspruch bekannt geben zu sehen, durch den Branciforte verurteilt ward, zwei Stunden lang an den Kreuzungen der Hauptstraßen Roms mit glühenden Zangen gezwickt und dann an langsamem Feuer verbrannt zu werden; seine Asche sollte man danach in den Tiber werfen. Die Fresken, des Klosters Santa Maria Novella in Florenz zeigen noch heute, wie man diese grausamen Urteile gegen die Kirchenschänder vollstreckte. Gewöhnlich war dabei ein großes Wachaufgebot nötig, um das empörte Volk zurückzuhalten, das sich an Stelle der Henker setzen wollte. Jeder gebärdete sich, als wäre er der vertraute Freund der Madonna. Signor Campireali hatte sich dieses Urteil noch wenige Minuten vor seinem Tode vorlesen lassen und schenkte dem Advokaten, welchem er es verdankte, seinen schönen, zwischen Albano und dem Meer gelegenen Landsitz dafür. Dieser Advokat war nicht ohne Verdienst, denn Branciforte war zu diesem gräßlichen Tod verurteilt worden, obwohl sich kein Zeuge fand, der ihn unter der Verkleidung des jungen, mit soviel Autorität die Bewegungen der Angreifer leitenden Kuriers erkannt haben wollte. Die unerhörte Größe dieser Schenkung brachte alle Intriganten Roms in Aufregung. Damals gab es bei Hof einen bekannten Fratone, einen undurchsichtigen und zu allem fähigen Menschen, – selbst dazu, den Papst zu zwingen, ihm den Hut zu verleihen; er besorgte die geschäftlichen Angelegenheiten des Fürsten Colonna und dieser gefährliche Klient verschaffte ihm großes Ansehen. Als Signora Campireali ihre Tochter nach Castro zurückgekehrt wußte, ließ sie diesen Fratone rufen.

»Euer Ehrwürden sollen glänzend belohnt werden, wenn Ihr einer höchst einfachen Sache, die ich Euch erklären werde, zum guten Ausgang verhelfet. In wenigen Tagen wird das Urteil, welches Giulio Branciforte zu einem schrecklichen Tod verdammt, auch im Königreich Neapel bekannt gemacht und vollstreckbar werden. Ich ersuche Euer Ehrwürden, diesen Brief des Vize-Königs zu lesen, der weitläufig mit mir verwandt ist und mir diese Neuigkeit zu melden geruht. In welchem Land kann Branciforte Zuflucht suchen? Ich werde dem Fürsten fünfzigtausend Piaster mit der Bitte übersenden, sie ganz oder zum Teil Giulio Branciforte unter der Bedingung zu geben, daß er beim König von Spanien, meinem Herrn, Dienst gegen die Rebellen von Flandern nimmt. Der Vize-König wird Branciforte ein Hauptmannsdiplom geben, und damit das Urteil wegen Gotteslästerung, welches wohl bald auch in Spanien vollstreckbar sein wird, ihn in seiner Laufbahn nicht hindert, wird er sich Baron Lizzara nennen, nach einem kleinen Gut, das mir in den Abruzzen gehört, dessen Besitz ich ihm durch einen Scheinkauf verschaffen werde. Ich glaube, daß Euer Ehrwürden noch nie eine Mutter so den Mörder ihres Sohns behandeln gesehen haben. Mit fünfhundert Piastern hätten wir uns längst dieses hassenswerten Menschen entledigen können: aber wir wollten uns nicht mit Colonna überwerfen. Habt also die Güte, den Fürsten wissen zu lassen, daß meine Achtung vor seinen Rechten mich sechzig- bis achtzigtausend Piaster kostet. Ich will nie wieder von diesem Branciforte sprechen hören – und vor allem versichert dem Fürsten meine Ehrerbietung.«

Der Fratone sagte, daß er in drei Tagen eine Wanderung in die Gegend von Ostia machen werde, und Signora Campireali übergab ihm einen Ring im Wert von tausend Piastern.

Einige Tage später erschien der Fratone wieder in Rom und sagte der Signora Campireali, daß er ihren Vorschlag dem Fürsten nicht zur Kenntnis gebracht hätte, aber daß der junge Branciforte sich binnen eines Monats nach Barcelona einschiffen würde, wo sie ihm bei einem der Bankiers dieser Stadt fünfzigtausend Piaster anweisen solle.

Giulio bereitete dem Fürsten große Schwierigkeit, denn trotz der Gefahr, die er von nun ab in Italien lief, mochte sich der junge Verliebte nicht entschließen, dieses Land zu verlassen. Vergebens ließ der Fürst durchblicken, daß Signora Campireali sterben könne, vergebens versprach er ihm, daß er in jedem Fall nach drei Jahren sein Vaterland wiedersehen solle; Giulio vergoß Tränen, aber er stimmte nicht zu. Der Fürst war genötigt, diese Abreise als persönlichen Dienst von ihm zu verlangen; Giulio konnte dem Freund seines Vaters nichts abschlagen; aber vor allem wollte er Helenas Wünsche wissen. Der Fürst geruhte, die Übermittlung eines langen Briefes auf sich zu nehmen; ja er erlaubte Giulio, ihm einmal im Monat aus Flandern zu schreiben. Endlich schiffte sich der verzweifelte Liebhaber nach Barcelona ein. Alle seine Briefe wurden vom Fürsten, der nicht wollte, daß Giulio jemals nach Italien zurückkehre, verbrannt. Wir haben vergessen, zu sagen, daß der Fürst, obgleich seinem Wesen nichts ferner lag als eitle Anmaßung, sich doch, um die Geldgeschichte glücklich zu ordnen, zu der Äußerung verpflichtet glaubte, daß er es gewesen sei, der es für angemessen hielt, dem einzigen Sohn eines der treuesten Diener des Hauses Colonna ein kleines Vermögen von fünfzigtausend Piastern zuzuwenden.

Die arme Helena wurde im Kloster von Castro als Fürstin behandelt. Der Tod ihres Vaters hatte sie in den Besitz eines beträchtlichen Vermögens gesetzt und ein unermeßliches Erbteil kam noch hinzu. Als ihr Vater starb, ließ sie jedem Einwohner von Castro und Umgebung, der erklärte, um Herrn von Campireali Trauer tragen zu wollen, fünf Ellen schwarzen Tuchs schenken. Es war noch in den ersten Tagen, als ihr von gänzlich unbekannter Hand ein Brief Giulios zugestellt wurde. Es wäre schwierig, die Entzückungen zu schildern, mit denen dieser Brief geöffnet wurde; und nicht minder die tiefe Traurigkeit, die über sie kam, nachdem sie ihn gelesen hatte. Und doch war es ohne Zweifel die Handschrift Giulios; sie wurde mit der größten Aufmerksamkeit geprüft, der Brief sprach von Liebe; aber welcher Liebe, großer Gott! Und doch hatte ihn Signora Campireali, die so viel Geist besaß, verfaßt. Ihr Plan war: die Korrespondenz mit sieben oder acht Briefen voll leidenschaftlicher Liebe einzuleiten; so wollte sie auf die späteren vorbereiten, in denen diese Liebe nach und nach erlöschen sollte.

Wir gehen rasch über zehn Jahre eines unglücklichen Lebens hinweg. Helena glaubte sich völlig vergessen; trotzdem wies sie mit Hochmut die Huldigungen der vornehmsten jungen Edelleute Roms zurück. Indessen, als man ihr von dem jungen Ottavio Colonna sprach, dem ältesten Sohn des berühmten Fabrizio, der sie einstens in La Petrella so schlecht empfangen hatte, war sie einen Augenblick unentschieden. Es erschien ihr, wenn sie nun einmal einen Gatten nehmen mußte, um ihrem Besitz im Kirchenstaat und im Königreich Neapel einen Beschützer zu geben, als Linderung, den Namen eines Mannes zu tragen, den Giulio einstmals geliebt hatte. Hätte sie dieser Heirat zugestimmt, dann hätte Helena sehr bald die Wahrheit über Giulio Branciforte erfahren. Der alte Fürst Fabrizio sprach oft und mit Entzücken von der übermenschlichen Tapferkeit des Obersten Lizzara, welcher sich gleich den Helden des alten Roms schlage, und gleich ihnen sich durch große Taten von der unglücklichen Liebe abzulenken versuchte, die ihn für jedes Vergnügen unempfindlich machte. Giulio glaubte, daß Helena längst verheiratet sei: Signora von Campireali hatte nicht nur ihre Tochter mit Lügen umgeben.

Helena hatte sich mit dieser so geschickten Mutter wieder halb versöhnt, deren größter Wunsch war, sie verheiratet zu wissen; die Mutter bat ihren Freund, den alten Kardinal Santi-Quatro, den Protektor der ›Heimsuchung‹, der nach Castro reiste, er möge den ältesten Nonnen des Klosters im Vertrauen erzählen, daß seine Reise durch einen Gnadenakt verzögert worden sei: der gute Papst Gregor XIII. habe aus Mitleid für die Seele eines Briganten, namens Giulio Branciforte, der es einst versuchte, ihr Kloster zu schänden, bei der Nachricht von dessen Tode das Urteil der Gotteslästerung aufheben wollen, überzeugt davon, daß er unter der Last einer solchen Verdammung niemals das Fegefeuer wieder verließe; falls Branciforte, der in Mexiko von den Wilden überrascht und niedergemacht worden sei, überhaupt das Glück gehabt habe, nur ins Fegefeuer zu kommen. Diese Neuigkeit versetzte das ganze Kloster von Castro in Aufregung; sie gelangte auch zu Helena, die sich damals allen Torheiten der Eitelkeit hingab, welche der Besitz eines großen Vermögens in einem aufs tiefste gelangweilten Menschen erwecken kann. Von diesem Augenblick an verließ sie nicht mehr ihr Zimmer. Man muß wissen, daß sie das halbe Kloster hatte umbauen lassen, um das kleine Zimmer der Pförtnerin, wo Giulio in jener Nacht einen Augenblick während des Kampfes ausgeruht hatte, bewohnen zu können. Nach unendlichen Mühen war es ihr geglückt, die drei noch lebenden Bravi zu entdecken, von den fünf aus Giulios Gefolge, die damals dem Gefecht in Castro entronnen waren, und sie hatte sie, trotz des schwer zu besänftigenden Skandals, in ihre Dienste genommen. Unter ihnen befand sich Ugone, jetzt alt und von Wunden bedeckt. Der Anblick dieser drei Männer hatte viel Murren erregt, aber schließlich war die Furcht, welche Helenas hochfahrender Charakter dem ganzen Kloster einflößte, größer, und man sah sie täglich in der Livree des Hauses Campireali Helenas Befehle am äußeren Gitter entgegennehmen, und oft weitläufig auf ihre Fragen antworten, die immer dem gleichen Gegenstand galten.

Nach den ersten sechs Monaten der Einschließung in sich selbst und der Abkehr von allen weltlichen Dingen, die der Nachricht von Giulios Tod gefolgt waren, ist das erste Gefühl, welches diese durch einen unheilbaren Schmerz und eine namenlose Langweile bereits gebrochene Seele wieder zum Leben weckte, ein Gefühl der Eitelkeit gewesen.

Vor kurzem war die Äbtissin gestorben. Dem Brauch gemäß, hatte der Kardinal Santi-Quatro, der trotz des hohen Alters von zweiundneunzig Jahren noch Protektor des Klosters zur ›Heimsuchung‹ war, die Liste der drei vornehmen Nonnen aufgestellt, aus welchen der Papst die Äbtissin wählen sollte. Es mußten sehr gewichtige Gründe im Spiel sein, wenn Seine Heiligkeit die beiden letzten Namen der Liste überhaupt las; gewöhnlich begnügte er sich damit, einen Strich mit der Feder durch diese Namen zu ziehen, und die Ernennung war geschehen.

Eines Tages stand Helena am Fenster des ehemaligen Pförtnergemachs, das jetzt den äußersten Flügel des neuen, auf ihren Befehl hergestellten Anbaus bildete. Dieses Fenster lag höchstens zwei Fuß über dem Gang, der ehemals mit Giulios Blut getränkt war und jetzt einen Teil des Gartens bildete. Helena hatte die Augen sinnend auf den Boden geheftet. Die drei Damen, welche man seit einigen Stunden auf der Liste des Kardinals zur Nachfolge der verstorbenen Äbtissin wußte, kamen am Fenster Helenas vorüber. Sie bemerkte sie nicht und konnte sie daher auch nicht grüßen. Eine der Damen wurde dadurch gereizt und sagte laut genug zu den andren:

»Das ist eine nette Art für eine Pensionärin, ihr Zimmer so den Augen aller zur Schau zu stellen.«

Durch diese Worte aufgestört, sah Helena auf und begegnete drei boshaften Augenpaaren.

›Nun wohl,‹ sagte sie sich, das Fenster ohne Gruß schließend, ›lange genug bin ich jetzt das Lamm in diesem Kloster gewesen, man muß Wolf sein, wäre es auch nur, um den Neugierigen in der Stadt etwas Abwechslung zu bieten!‹

Eine Stunde später brachte einer ihrer Leute folgenden Kurierbrief ihrer Mutter, welche seit zehn Jahren in Rom lebte und verstanden hatte, sich dort großen Einfluß zu verschaffen.

»Hochverehrte Mutter!

Jedes Jahr schenkst Du mir an meinem Namenstage dreihunderttausend Francs, und ich verwende dieses Geld, um hier Torheiten zu begehen; ehrenvolle allerdings, aber doch Torheiten. Obwohl du es mir schon seit langem nicht mehr zu verstehen gibst, weiß ich doch, daß zwei Dinge imstande sind, Dir meine Dankbarkeit für all Deine guten Absichten zu beweisen. Verheiraten werde ich mich nicht mehr, aber ich würde mit Vergnügen Äbtissin dieses Klosters; ich bin auf diesen Einfall gekommen, weil die drei Damen, welche unser Kardinal Santi-Quatro auf die Liste gesetzt hat, die er dem Heiligen Vater vorlegt, meine Feindinnen sind; und welche immer gewählt wird, muß ich Ärger aller Art erwarten. Spende meine Festgabe den Personen, die in Betracht kommen; schaffen wir erst eine Verzögerung von sechs Monaten für die Ernennung; das wird die Priorin des Klosters, die meine intime Freundin ist und gegenwärtig die Zügel der Regierung in Händen hat, vor Freude außer sich bringen. Schon dies wird eine Quelle des Glückes für mich sein und es ist so selten, daß ich dies Wort anwenden kann, wenn ich von Deiner Tochter spreche. Ich finde meinen Einfall toll, aber wenn Du irgendeine Möglichkeit des Erfolgs siehst, werde ich binnen drei Tagen den weißen Schleier nehmen; ich habe das Recht auf Erlaß von sechs Monaten, da ich seit acht Jahren ununterbrochen im Kloster wohne. Der Dispens kostet vierzig Taler und wird nicht verweigert.

Ich verbleibe respektvoll

meine ehrwürdige Mutter usw.«

Dieser Brief bereitete Signora von Campireali die größte Freude. Als sie ihn empfing, hatte sie schon lebhaft bereut, ihrer Tochter den Tod Brancifortes angekündigt zu haben; sie wußte nicht, wie diese tiefe Melancholie, die sie befallen hatte, enden würde; sie sah irgendeinen Gewaltstreich voraus; sie ging so weit, zu fürchten, ihre Tochter könnte nach Mexiko gehen, um den Ort zu suchen, wo, wie man behauptet hatte, Branciforte getötet worden war; in diesem Fall war es leicht möglich, daß sie in Madrid den wahren Namen des Oberst Lizzara erfuhr. Andrerseits war das, was ihre Tochter durch den Kurier verlangte, die schwierigste, und man kann wohl sagen, die absurdeste Sache von der Welt. Ein junges Mädchen, das nicht einmal Nonne war, und außerdem bloß durch die tolle Leidenschaft eines Briganten bekannt war, die sie vielleicht erwidert hatte, sollte an die Spitze eines Klosters gesetzt werden, in dem alle römischen Fürsten Verwandte hatten! ›Aber‹, dachte sich Signora von Campireali, ›man sagt, daß jeder Prozeß geführt und deshalb auch gewonnen werden kann.‹ In ihrer Antwort machte Vittoria Carafa ihrer Tochter etwas Hoffnung, die gewöhnlich keine andren als absonderliche Wünsche hatte, zum Ausgleich aber sehr leicht den Geschmack daran verlor. Noch im Lauf des Abends unterrichtete sie sich über alles, was in näherer oder weiterer Beziehung zum Kloster von Castro stehen könnte und erfuhr, daß ihr Freund, der Kardinal Santi-Quatro seit mehreren Monaten sehr schlechter Laune sei; er wollte seine Nichte mit Don Ottavio Colonna, dem ältesten Sohn des Fürsten Fabrizio, von dem in dieser Geschichte so oft die Rede war, vermählen. Der Fürst bot ihm seinen zweiten Sohn Don Lorenzo an, denn um seine Vermögensverhältnisse wieder in Ordnung zu bringen, die durch den Krieg äußerst zerrüttete waren, den der König von Neapel und der Papst – endlich einig – gegen die Briganten von La Faggiola geführt hatten, konnte er nicht davon abstehen, daß die Frau seines ältesten Sohnes eine Mitgift von sechshunderttausend Piastern dem Hause Colonna mitbringen müsse. Aber der Kardinal Santi-Quatro, wenn er selbst alle seine andren Verwandten in der anstößigsten Weise enterbte, vermochte höchstens ein Vermögen von dreihundertachtzigtausend oder vierhunderttausend Talern anzubieten.

Vittoria Carafa verbrachte den Abend und einen Teil der Nacht damit, sich diese Tatsachen von allen Freunden des alten Santi-Quatro bestätigen zu lassen. Am nächsten Morgen ließ sie sich schon um sieben Uhr bei dem alten Kardinal melden. »Eminenz,« sagte sie ihm, »wir sind alle beide recht alt, es ist unnötig, daß wir uns zu täuschen trachten, indem wir Dingen, die nicht schön sind, schöne Namen geben; ich werde Euch jetzt eine Tollheit vorschlagen: alles, was ich zu ihren Gunsten sagen kann, ist, daß sie nicht niedrig ist; aber ich muß selbst gestehen, daß ich sie über alle Maßen lächerlich finde. Als man wegen der Heirat meiner Tochter Helena mit Don Ottavio Colonna verhandelte, habe ich Freundschaft für diesen jungen Mann gewonnen und am Tage seiner Hochzeit werde ich Euch zweihunderttausend Piaster in Landbesitz oder in Silber geben, mit der Bitte, es ihm zuzuwenden. Aber damit eine arme Witwe wie ich ein so ungeheures Opfer bringen kann, muß meine Tochter Helena, die jetzt siebenundzwanzig Jahre zählt und seit dem Alter von neunzehn Jahren nicht einmal außerhalb des Klosters geschlafen hat, Äbtissin von Castro werden; man muß zu diesem Zweck die Wahl um sechs Monate verzögern; die Sache entspricht dem geltenden Recht.«

»Was sagt Ihr, Signora?« rief der alte Kardinal außer sich, »Seine Heiligkeit selbst vermöchte das nicht, was Ihr von einem alten unvermögenden Greise verlangt.«

»Ich habe Eurer Eminenz ja auch gesagt, daß die Sache lächerlich sei: die Toren werden sie toll finden, aber Leute, welche wohl über das unterrichtet sind, was bei Hof vor sich geht, werden denken, daß unser ausgezeichneter Fürst, der gute Papst Gregor XIII. die loyalen und langen Dienste Eurer Eminenz belohnen wollte, indem er eine Ehe erleichtert, von der ganz Rom weiß, daß Eure Eminenz sie wünscht. Im übrigen ist die Sache leicht möglich und entspricht vollkommen dem Recht, ich stehe dafür; meine Tochter wird schon morgen den weißen Schleier nehmen.«

»Aber die Simonie, Signora!« rief der alte Mann mit schrecklicher Stimme aus.

Signora von Campireali schickte sich an zu gehen.

»Was bedeutet das Papier, das Ihr hier laßt?«

»Das ist die Liste der Güter, die ich im Werte von zweihunderttausend Piastern anbieten würde, wenn man bares Geld nicht wünscht; der Wechsel des Eigentümers könnte lange Zeit geheimgehalten werden; zum Beispiel: das Haus Colonna würde mir Prozesse machen, die ich verlieren würde ...«

»Aber die Simonie, Signora, erschreckliche Simonie!«

»Vorerst muß man die Wahl um sechs Monate hinausschieben, ich werde morgen kommen, um die Anordnungen Eurer Eminenz entgegenzunehmen.«

Ich glaube, daß es notwendig ist, Lesern, die nördlich der Alpen geboren sind, den fast offiziellen Ton mehrerer Stellen dieser Unterredung zu erklären; ich erinnere daran, daß in streng katholischen Ländern die meisten Unterredungen über heikle Dinge schließlich zum Beichtstuhl gelangen, und dann ist es durchaus nicht gleichgültig, ob man ein respektvolles Wort gebraucht hat oder eine ironische Wendung.

Im Laufe des nächsten Tages erfuhr Vittoria Carafa, daß die Wahl, zufolge eines großen, sachlichen Irrtums, der in der Liste der drei zur Äbtissin vorgeschlagenen Damen entdeckt worden war, um sechs Monate verschoben wurde: die an zweiter Stelle der Liste angeführte Dame hatte einen Renegaten in der Familie, einer ihrer Großonkel war in Udine zum Protestantismus übergetreten.

Signora von Campireali glaubte einen besonderen Schritt beim Fürsten Fabrizio Colonna unternehmen zu sollen, dessen Hause sie einen so ansehnlichen Vermögenszuwachs angeboten hatte. Nach dreitägigen Anstrengungen gelang es ihr, eine Unterredung in einem Dorf nahe bei Rom zu erreichen; aber sie kehrte ganz erschreckt von dieser Audienz zurück; sie hatte den gewöhnlich so ruhigen Fürsten dermaßen benommen von dem Kriegsruhm des Obersten Lizzara gefunden, daß sie es für ganz zwecklos erachtete, ihn um Stillschweigen über diesen Fall zu ersuchen. Der Oberst war für ihn wie ein Sohn, ja noch mehr: wie ein geliebter Schüler. Der Fürst las gewisse Briefe, die aus Flandern kamen, wieder und immer wieder. Was würde aus dem Lieblingsplan, dem Signora von Campireali seit zehn Jahren schon so viel geopfert hatte, wenn ihre Tochter vom Leben und vom Ruhm des Oberst Lizarra erführe?

Ich glaube, daß es besser ist, viele Umstände stillschweigend zu übergehen, welche wohl die Sitten jener Zeit getreu spiegeln, aber trübselig zu erzählen sind. Der Autor des römischen Manuskripts hat sich unendliche Mühe gegeben, um den genauen Sachverhalt dieser Einzelheiten aufzufinden, die ich unterdrücke.

Zwei Jahre nach der Zusammenkunft der Signora von Campireali mit dem Fürsten Colonna war Helena Äbtissin von Castro, aber der alte Kardinal von Santi-Quatro war vor Gram über diesen argen Akt von Simonie gestorben. Zu dieser Zeit hatte Castro den schönsten Mann des päpstlichen Hofs zum Bischof, Monsignor Francesco Cittadini, aus Mailändischem Geschlecht. Dieser junge Mann, der durch seinen bescheidenen Anstand und seinen Ton voll Würde auffiel, hatte viele Dinge mit der Äbtissin der ›Heimsuchung‹ zu erledigen, besonders als sie einen neuen Kreuzgang zur Verschönerung des Klosters erbauen ließ. Dieser junge Bischof Cittadini, der damals neunundzwanzig Jahre alt war, verliebte sich grenzenlos in die schöne Äbtissin. In dem Prozeß, der ein Jahr später stattfand, berichteten viele Nonnen, daß der Bischof so oft wie möglich das Kloster aufsuchte und ihrer Äbtissin sagte: »An andren Orten befehle ich und wie ich zu meiner Schande gestehen muß, es bereitet mir ein gewisses Vergnügen. Euch gehorche ich wie ein Sklave, aber mit einem Genuß, der weit größer ist, als wenn ich anderswo befehle. Ich befinde mich unter dem Einfluß eines höheren Wesens; wenn ich es auch versuchen würde, könnte ich doch keinen andren Willen haben als den seinen und würde lieber in alle Ewigkeit der letzte seiner Sklaven sein, als fern von seinen Augen ein König.«

Die Zeugen berichten, daß die Äbtissin ihm oft inmitten solcher eleganter Phrasen befahl, zu schweigen und auf harte Weise, in Ausdrücken, die ihre Verachtung zeigten.

»Um die Wahrheit zu sagen,« fährt ein andrer Zeuge fort, »ihre Gnaden behandelte ihn oft wie einen Dienstboten; in solchen Fällen schlug der arme Bischof die Augen nieder und begann zu weinen, aber er ging nicht fort. Er fand jeden Tag neue Vorwände, um wieder im Kloster zu erscheinen, was die Beichtväter der Nonnen und die Feinde der Äbtissin sehr entrüstete. Aber die Frau Äbtissin wurde von der Priorin lebhaft verteidigt, ihrer intimen Freundin, welche unter ihrem unmittelbaren Befehl der inneren Leitung vorstand. »Ihr wißt, meine Schwestern,« sagte diese, »daß seit jener vergeblichen Leidenschaft, die unsre Äbtissin in ihrer ersten Jugend für einen Söldner des Glücks gehegt hat, ihr viel bizarre Einfälle zurückgeblieben sind; aber Ihr kennt alle diesen bemerkenswerten Zug ihres Charakters, daß niemals jemand für sie in Betracht kommt, den sie einmal verachtet hat. Nun hat sie vielleicht in ihrem ganzen Leben nicht so viele beleidigende Worte geäußert, wie in unsrer eigenen Gegenwart zu dem armen Monsignor Cittadini: tagtäglich sehen wir ihn eine Behandlung erdulden, die uns für seine hohe Würde erröten läßt.«

»Ja,« antworteten die aufgebrachten Nonnen, »aber er kommt alle Tage wieder, also wird er wohl im Grunde nicht so schlecht behandelt werden, und in jedem Falle schadet auch der Anschein dieses Abenteuers dem Ansehen des Heiligen Ordens der Heimsuchung.«

Der strengste Herr richtet an den ungeschicktesten Diener nicht ein Viertel der Beschimpfungen, mit denen die hochmütige Äbtissin den jungen Bischof samt seiner salbungsvollen Art überhäufte; aber er war verliebt und er hatte aus seiner Heimat den unerschütterlichen Grundsatz mitgebracht, daß man sich bei einer Unternehmung dieser Art, – wenn sie einmal begonnen ist –, nur um das Ziel kümmern darf.

»Am Schluß des Handels«, sagte der Bischof zu seinem Vertrauten, Cesare del Bene, »trifft die Verachtung den Liebhaber, der sich vom Angriff vorzeitig zurückzog, ohne durch Eingriffe höherer Gewalt dazu gezwungen worden zu sein.«

Jetzt muß sich meine traurige Aufgabe darauf beschränken, einen notgedrungen sehr trockenen Auszug des Prozesses zu geben, in dessen Folge Helena den Tod fand. Die Beschreibung dieses Gerichtsverfahrens, die ich in einer Bibliothek gelesen habe, deren Namen ich verschweigen muß, umfaßt nicht weniger als acht Foliobände. Das Verhör und die Beweisfassung sind in lateinischer Sprache gehalten, die Antworten italienisch. Ich lese darin, daß sich im Monat November 1572, gegen elf Uhr abends, der junge Bischof allein zum Tore der Kirche begab, wo während des Tags die Gläubigen Einlaß finden; die Äbtissin selbst öffnete ihm dieses Tor und erlaubte ihm, ihr zu folgen. Sie empfing ihn in einem Zimmer, wo sie sich oft aufhielt, das durch eine geheime Tür mit den Emporen in Verbindung stand, welche das Kirchenschiff beherrschen.

Eine Stunde mochte kaum verflossen sein, als der Bischof sehr erstaunt wieder nach Hause geschickt wurde; die Äbtissin selbst begleitete ihn zur Kirchentüre zurück und sagte ihm diese verbürgten Worte: »Kehrt in Euren Palast zurück, verlaßt mich schleunigst. Adieu Monsignore, Ihr erregt mir Abscheu; es ist mir, als hätte ich mich einem Lakaien hingegeben.«

Indessen kam drei Monate später der Karneval. Die Bewohner von Castro waren durch die Feste, die sie in dieser Zeit einander gaben, berühmt; die ganze Stadt widerhallte vom Lärm der Maskenscherze. Alles ging an einem kleinen Fenster vorüber, welches einer wohlbekannten Stallung des Klosters einen schwachen Lichtschein gab. Man weiß, daß schon drei Monate vor dem Karneval diese Stallung in einen Salon verwandelt worden war und zur Zeit der Maskeraden niemals leer wurde. Inmitten aller Narrheiten des Volks fuhr der Bischof in seiner Karosse vorüber; die Äbtissin gab ihm ein Zeichen und um ein Uhr der folgenden Nacht verfehlte er nicht, sich an der Kirchentür einzufinden. Er trat ein; aber nach weniger als dreiviertel Stunden wurde er im Zorn fortgeschickt. Seit dem ersten Stelldichein im Monat November kam er so etwa alle acht Tage ins Kloster. Man sah in seinem Gesicht einen leichten Ausdruck von Triumph und Dummheit, der niemandem entging und das Unglück hatte, den stolzen Charakter der jungen Äbtissin außerordentlich zu reizen. Besonders am Ostermontag behandelte sie ihn wie den letzten der Menschen und sagte ihm Worte, die sich der ärmste der Taglöhner des Klosters nicht hätte bieten lassen. Indessen gab sie ihm einige Tage später wieder das Zeichen, dem folgend der schöne Bischof nicht verfehlte, sich um Mitternacht an der Kirchentür einzufinden. Sie hatte ihn kommen lassen, um ihm mitzuteilen, daß sie schwanger sei. Bei dieser Ankündigung, heißt es in den Akten, erbleichte der schöne junge Mann vor Entsetzen und wurde ganz und gar blöde vor Angst. Die Äbtissin hatte Fieber, sie ließ den Arzt rufen und machte ihm gegenüber kein Geheimnis aus ihrem Zustand. Dieser Mann kannte den großmütigen Charakter der Kranken und sicherte ihr zu, ihr aus der Verlegenheit zu helfen. Er begann damit, daß er sie mit einer hübschen jungen Frau aus dem Volk in Verbindung brachte, die nicht den Titel einer Hebamme besaß, aber deren Kunst ausübte. Ihr Mann war Bäcker. Helena war unbefriedigt von der Unterredung mit dieser Frau, die ihr erklärte, daß sie zur Ausführung des Plans, mit dessen Hilfe sie auf Rettung hoffte, zwei Vertraute im Kloster benötige.

»Eine Frau euresgleichen, meinethalben; aber eine aus meinem Stande? Nein. Geht mir aus den Augen.«

Die Hebamme zog sich zurück. Aber einige Stunden darauf ließ sie Helena, die es nicht klug fand, sich dem Geschwätz dieser Frau auszusetzen, durch den Arzt ins Kloster zurückholen, wo sie freigebig beschenkt wurde. Diese Frau schwur, daß sie niemals, auch wenn sie nicht zurückgerufen worden wäre, das ihr anvertraute Geheimnis verraten hätte, aber sie erklärte nochmals, daß sie sich auf nichts einlassen könne, wenn sie nicht im Kloster zwei dem Interesse der Äbtissin ergebene Mitwisserinnen hätte. Ohne Zweifel fürchtete sie die Anklage wegen Kindesmord.

Nachdem sie viel darüber nachgedacht hatte, beschloß die Äbtissin, das schreckliche Geheimnis Schwester Vittoria anzuvertrauen, der Priorin des Klosters, aus der vornehmen Familie der Herzöge von C**, und Schwester Bernarda, der Tochter des Marchese P**. Sie ließ sie auf ihr Brevier schwören, niemals ein Wort von dem, was sie ihnen jetzt anvertrauen würde, verlauten zu lassen, nicht einmal vor dem hochnotpeinlichen Gericht. Diese Damen waren vor Schreck verstört. Sie gestanden später beim Verhör, daß sie sich unter dem Eindruck des hochfahrenden Charakters ihrer Äbtissin auf das Geständnis einer Mordtat gefaßt gemacht hätten. Die Äbtissin sagte ihnen einfach und kalt:

»Ich habe mich gegen alle meine Pflichten vergangen, ich bin schwanger.«

Schwester Vittoria, die Priorin, war tief bewegt und ganz verwirrt wegen der langjährigen Freundschaft, die sie mit Helena verband, und nicht bloß aus Neugierde rief sie mit Tränen in den Augen aus:

»Wer ist der Unvorsichtige, der dieses Verbrechen begangen hat!«

»Ich habe es selbst meinem Beichtvater nicht gesagt; urteilt also, ob ich es euch sagen werde.«

Diese beiden Damen beratschlagten sogleich über die Maßnahmen, um das verhängnisvolle Geheimnis dem übrigen Kloster zu verbergen. Sie entschieden vor allem, daß das Schlafzimmer der Äbtissin, das ganz im Mittelpunkt des Klosters lag, nach der Apotheke verlegt werden müsse, die man im entlegensten Teil des Klosters, im dritten Stock des großen, durch Helenas Freigebigkeit entstandenen Neubaus eingerichtet hatte. An diesem Ort war es, daß die Äbtissin einem Knaben das Leben schenkte. Seit drei Wochen war die Frau des Bäckers in den Gemächern der Priorin versteckt. Als diese Frau dann mit dem Kind schnell durch das Kloster eilte, begann es zu schreien, und die Frau flüchtete sich in ihrem Entsetzen in den Keller. Eine Stunde später gelang es Schwester Bernarda mit Hilfe des Arztes, eine kleine Gartentür zu öffnen, und die Frau des Bäckers verließ hastig das Kloster und bald darauf die Stadt. In die Campagna gelangt und von panischem Schrecken verfolgt, flüchtete sie sich in eine Grotte, die der Zufall sie in einem der Felsen entdecken ließ. Die Äbtissin schrieb an Cesare del Bene, den Vertrauten und ersten Kammerherrn des Bischofs, der zu der bezeichneten Grotte eilte; er war zu Pferde, er nahm das Kind in seine Arme und ritt im Galopp nach Montefiascone. Das Kind wurde in der Kirche Santa Margherita getauft und empfing den Namen Alessandro. Die Gastwirtin des Orts hatte eine Amme verschafft, der Cesare acht Taler zurückließ; viele Frauen, die sich während der Tauffeierlichkeit um die Kirche angesammelt hatten, hörten nicht auf, Signor Cesare nach dem Vater des Kindes zu fragen.

»Das ist ein großer Herr aus Rom«, sagte er ihnen, »der sich erlaubt hat, eine arme Bäuerin wie Ihr zu verführen.«

Und er verschwand.

VII.

Bis dahin ging alles gut, trotz dieses ungeheuren Klosters, das von mehr als dreihundert neugierigen Frauen bewohnt wurde; niemand hatte etwas gesehen, niemand etwas gehört. Aber die Äbtissin hatte dem Arzt einige Hände voll neuer in der Münze Roms geprägter Zechinen übergeben. Der Arzt gab mehrere dieser Goldstücke der Frau des Bäckers. Diese Frau war hübsch und ihr Mann eifersüchtig; er durchstöberte ihren Koffer und fand diese glänzenden Goldstücke darin; und da er sie für den Preis seiner Schande hielt, setzte er seiner Frau ein Messer an die Kehle und zwang sie zu sagen, woher die Goldstücke stammten. Nach einigen Ausflüchten gestand die Frau die Wahrheit und der Friede wurde geschlossen. Die Eheleute begannen nun über die Verwendung einer so großen Summe zu beratschlagen. Die Bäckerin wollte einige Schulden bezahlen; aber der Mann fand es schöner, ein Maultier zu kaufen, was auch geschah. Dieses Maultier erregte Aufsehen in dem Viertel, wo man die Armut des Ehepaars kannte. Alle Weiber der Stadt, Freundinnen und Feindinnen fragten eine nach der andern die Frau des Bäckers, wer der freigebige Liebhaber gewesen sei, der sie in Stand gesetzt habe, ein Maultier zu kaufen. Diese Frau wurde dadurch so gereizt, daß sie einige Male die Wahrheit antwortete. Eines Tages, als Cesare del Bene das Kind besucht hatte und zur Äbtissin zurückkehrte, um Bericht zu erstatten, schleppte sich diese, obgleich sie sehr unpäßlich war, bis zum Gitter und machte ihm wegen der Unzuverläßlichkeit der von ihm verwendeten Mittelspersonen Vorwürfe. Der Bischof seinerseits wurde krank vor Angst; er schrieb seinen Brüdern in Mailand, um ihnen die ungerechte Anklage, deren Ziel er war, zu erzählen; auch forderte er sie auf, ihm zu Hilfe zu kommen. Obwohl er sich schwer leidend fühlte, faßte er den Entschluß, Castro zu verlassen; aber bevor er es tat, schrieb er der Äbtissin:

»Ihr wißt bereits, daß alles, was vorgefallen ist, bekannt wurde. Wenn Euch deshalb daran liegt, nicht allein meinen Ruf, sondern vielleicht mein Leben zu retten, und um den Skandal zu verkleinern, könnt Ihr Giovanni Battista Doleri beschuldigen, der vor zwei Tagen gestorben ist. Wenn Ihr auf diese Weise auch nicht Eure Ehre wiederherstellen könnt, so läuft wenigstens die meine keine Gefahr mehr.«

Der Bischof ließ Don Luigi, den Beichtvater des Klosters von Castro, rufen:

»Gebt dies eigenhändig der Frau Äbtissin«, sagte er zu ihm.

Als diese das ehrlose Schreiben gelesen hatte, rief sie laut vor allen, die sich im Zimmer befanden:

»So verdienen die törichten Jungfrauen behandelt zu werden, welche die Schönheit des Leibes über die der Seele stellen!«

Das Gerücht von allem, was in Castro vor sich ging, kam rasch zu Ohren des schrecklichen Kardinals Farnese. Er hatte sich diese Bezeichnung seit einigen Jahren verdient, weil er hoffte, im nächsten Konklave die Unterstützung der Eiferer zu finden. Sogleich gab er der Obrigkeit von Castro den Auftrag, den Bischof Cittadini zu verhaften. Dessen ganze Dienerschaft ergriff aus Furcht vor der Folter die Flucht. Nur Cesare del Bene blieb seinem Herrn treu und schwur ihm, daß er eher auf der Folter sterben, als etwas gestehen würde, was ihm schaden könnte.

Cittadini, der seinen Palast von Wachen umringt sah, schrieb aufs neue seinen Brüdern, die in großer Eile von Mailand ankamen. Sie fanden ihn schon im Gefängnis von Ronciglione eingekerkert.

Ich entnehme aus dem ersten Verhör der Äbtissin, daß sie ihre Schuld offen zugestand, aber leugnete, in Beziehung zu dem Hochwürdigsten Bischof gestanden zu haben, ihr Mitschuldiger sei Gian-Battista Doleri, Advokat des Klosters, gewesen.

Am 9. September 1573 befahl Gregor XIII., daß der Prozeß in aller Strenge und Eile erledigt werde. Ein Kriminalrichter, ein Fiskal und ein Kommissär begaben sich nach Castro und nach Ronciglione. Cesare del Bene, der erste Kammerherr des Bischofs, gestand, bloß ein Kind zu einer Amme gebracht zu haben. Man verhört ihn in Gegenwart der ehrwürdigen Klosterschwestern Vittoria und Bernarda. Man unterwarf ihn zwei Tage hintereinander der Tortur; er litt gräßlich, aber seinem Wort getreu, gestand er nur das, was zu leugnen unmöglich war, und der Fiskal konnte nicht mehr aus ihm herausbringen.

Als die Reihe an die ehrwürdigen Damen Vittoria und Bernarda kam, die Zeugen der Folterung Cesares gewesen waren, gestanden sie alles, was sie getan hatten. Alle Nonnen wurden nach dem Urheber des Verbrechens gefragt, die meisten antworteten, daß es der Hochwürdigste Herr Bischof gewesen sei. Eine der Schließerinnen berichtet die beleidigenden Worte, welche die Äbtissin gebraucht hatte, als sie den Bischof aus der Kirche wies. Sie fügte hinzu: »Wenn man in diesem Ton zueinander spricht, zeigt es an, daß man schon lange ein Liebesverhältnis hat. Der Herr Bischof, der sonst durch übermäßige Selbstgefälligkeit auffiel, hatte ein ganz linkisches Aussehen, als er die Kirche verließ.«

Eine Nonne, im Anblick der Folterwerkzeuge verhört, antwortet, daß die Katze Urheber des Verbrechens sein müsse, weil die Äbtissin sie nie aus den Armen läßt und immerzu liebkost. Eine andre Nonne behauptet: der Urheber des Verbrechens müsse der Wind sein, weil die Äbtissin an Tagen, wo der Wind weht, glücklich und guter Laune sei; sie setze sich dem Wind auf einem Belvedere, das sie eigens hatte erbauen lassen, aus, und wenn man an diesem Ort eine Gnade erbitten kam, sei sie niemals verweigert worden. Die Frau des Bäckers, die Amme, die Weiber von Montefiascone bekannten aus Furcht vor den Folterqualen, die sie Cesare hatten erleiden sehen, die Wahrheit.

Der junge Bischof war krank oder spielte in Ronciglione den Kranken, was seinen Brüdern Anlaß gab, durch das Ansehen und den Einfluß der Signora von Campireali unterstützt, sich mehrmals dem Papst zu Füßen zu werfen und von ihm zu erbitten, daß das Verfahren aufgeschoben werde, bis der Bischof seine Gesundheit wiedererlangt habe. Auf dies hin vermehrte der schreckliche Kardinal Farnese die Zahl der Soldaten, die ihn in seinem Gefängnis bewachten. Da der Bischof nicht verhört werden konnte, begannen die Kommissäre in jeder ihrer Sitzungen immer wieder, die Äbtissin einem Verhör zu unterziehen. Eines Tages, als ihre Mutter ihr hatte sagen lassen, sie solle guten Mutes bleiben und fortfahren, alles zu leugnen, gestand sie alles.

»Warum habt Ihr zuerst Gian-Battista Doleri bezichtigt?«

»Aus Mitleid mit der Feigheit des Bischofs, und dann, wenn es ihm gelingt, sein teures Leben zu retten, damit er für meinen Sohn sorgen kann.«

Nach diesem Geständnis schloß man die Äbtissin in eine Zelle des Klosters von Castro ein, deren Wände und Deckenwölbung acht Fuß dick waren; die Nonnen sprachen nur mit Schaudern von diesem Verlies, das unter dem Namen Mönchszelle bekannt war. Die Äbtissin wurde hier ständig von drei Frauen überwacht.

Als sich die Gesundheit des Bischofs ein wenig gebessert hatte, kamen dreihundert Sbirren oder Soldaten, um ihn aus Ronciglione zu holen, und er wurde in einer Sänfte nach Rom geschafft. Dort brachte man ihn in einem Gefängnis unter, das Corte Savella hieß. Wenige Tage später wurden auch die Nonnen nach Rom eingeliefert; die Äbtissin wurde im Kloster Santa Marta, untergebracht. Vier Nonnen waren beschuldigt: die ehrwürdigen Schwestern Vittoria und Bernarda, die Schwester, welche an jenem Tage die Aufsicht führte, und die Pförtnerin, welche die beleidigenden Worte gehört hatte, die von der Äbtissin an den Bischof gerichtet wurden.

Der Bischof wurde vom Auditor der päpstlichen Kammer vernommen, einem der höchsten Vertreter des Richterstandes. Man spannte den armen Cesare del Bene von neuem auf die Folter; doch er gestand nichts, ja er sagte sogar Dinge aus, die dem Staatsanwalt peinlich waren, was ihm eine neue Folterung eintrug. Diese Einleitungsmarter mußten auch die ehrwürdigen Schwestern Vittoria und Bernarda erleiden. Der Bischof leugnete alles in dümmster Weise, aber mit einer gefälligen Hartnäckigkeit; er zählte mit den größten Einzelheiten alles auf, was er an den drei offenkundig bei der Äbtissin verbrachten Abenden vorgenommen haben wollte.

Schließlich stellte man die Äbtissin dem Bischof gegenüber, und obgleich sie beständig die Wahrheit gesagt hatte, wurde sie dennoch der Folterung unterworfen. Weil sie auf dem beharrte, was sie auf ihrem ersten Geständnis immer ausgesagt hatte, überhäufte sie der Bischof, seiner Rolle getreu, mit Beleidigungen.

Nach mehreren andren, im Grunde vernünftigen Maßnahmen, die aber von jenem Geist der Grausamkeit befleckt sind, der seit der Regierung Karls V. und Philipps II. zu sehr an den Tribunalen Italiens vorwiegt, wurde der Bischof zu lebenslänglicher Gefangenschaft in der Engelsburg verurteilt. Die Äbtissin wurde verurteilt, ihr ganzes Leben im Kloster von Santa Marta, wo sie sich aufhielt, eingekerkert zu werden. Aber schon hatte es Signora von Campireali unternommen, um ihre Tochter zu retten, einen unterirdischen Gang ausheben zu lassen. Dieser Gang begann bei einer der aus der Herrlichkeit des alten Rom zurückgebliebenen Kloaken und sollte bei dem tiefen Kellergewölbe enden, wo man die sterblichen Reste der Nonnen von Santa Marta beisetzte. Dieser Gang von zwei Fuß Breite hatte Bretterwände, um das Erdreich rechts und links zu stützen und als Deckenwölbung gab man ihm, im Maße man vorwärts kam, zwei wie die Schenkel eines großen A gestellte Bretter.

Man grub diesen unterirdischen Weg in einer Tiefe von etwa dreißig Fuß. Das schwierigste war, ihn in der rechten Richtung weiterzuführen; jeden Augenblick waren die Arbeiter durch antike Brunnen und Grundmauern gezwungen, eine Wendung zu machen. Eine andre große Schwierigkeit bereitete die weggeräumte Erde, mit der man nichts Rechtes anzufangen wußte; es sah aus, als ob man sie nachts in allen Straßen Roms aussäte. Man wunderte sich über diese Menge Erde, die sozusagen vom Himmel fiel.

Wie groß die Summen auch waren, welche Signora von Campireali ausgab, um ihre Tochter zu retten, wäre ihr unterirdischer Gang doch sicher entdeckt worden; aber der Papst Gregor XIII. starb 1585, und die Herrschaft der Unordnung zog mit der Vakanz des Heiligen Stuhls ein.

Helena ging es in Santa Marta sehr schlecht; man kann sich denken, wie sehr die einfachen und armen Nonnen wetteiferten, eine so reiche, eines solchen Verbrechens überführte Äbtissin zu quälen. Helena erwartete mit Ungeduld das Ergebnis der von ihrer Mutter unternommenen Arbeit. Aber plötzlich erfuhr ihr Herz seltsame Bewegung. Schon vor sechs Monaten hatte Fabrizio Colonna, der angesichts des schwankenden Gesundheitszustands Gregors XIII. große Pläne für die Zeit des Interregnums faßte, einen seiner Offiziere zu Giulio Branciforte geschickt, der jetzt in der spanischen Armee unter dem Namen Oberst Lizzara sehr bekannt geworden war. Er rief ihn nach Italien zurück. Giulio brannte darauf, seine Heimat wiederzusehen. Er landete unter einem angenommenen Namen in Pescara, einem kleinen Hafen des Adriatischen Meeres, der unterhalb Chieti in den Abruzzen lag, und kam über das Gebirge nach La Petrella. Die Freude des Fürsten setzte alle Welt in Erstaunen. Er teilte Giulio mit, daß er ihn zurückrufen ließ, um ihn zu seinem Nachfolger zu machen und ihm den Befehl über seine Soldaten zu übergeben. Worauf Branciforte antwortete, daß, militärisch gesprochen, das Unternehmen nichts mehr wert sei, was er leicht beweisen könne; wenn jemals Spanien ernstlich wollte, würde es in sechs Monaten mit geringen Auslagen sämtliche Briganten Italiens vernichten.

»Aber trotz allem,« fügte der junge Branciforte hinzu, »wenn Ihr es wollt, bin ich bereit zu marschieren, mein Fürst. Ihr werdet stets in mir den Nachfolger des tapferen, bei Ciampi gefallenen Ranuccio finden.«

Vor Giulios Ankunft hatte der Fürst befohlen, so wie er zu befehlen verstand, daß sich niemand in Petrella unterfangen solle, von Castro und von dem Prozeß der Äbtissin zu sprechen; Todesstrafe ohne Nachsicht war auf das geringste Geschwätz gesetzt. Mitten in den Freundschaftsergüssen, mit denen er Branciforte empfing, bat er ihn, niemals ohne ihn nach Albano zu gehen, und seine Art, diese Reise zu machen, bestand darin, daß er die Stadt durch tausend seiner Leute besetzen ließ, und eine Vorhut von zwölfhundert Mann auf der Straße nach Rom aufstellte. Man stelle sich vor, was der arme Giulio empfand, als der Fürst den alten Scotti, welcher noch lebte, in das Haus, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, holen ließ und ihn in das Zimmer rief, wo er sich mit Giulio aufhielt. Als die beiden Freunde einander umarmt hatten, rief er Giulio zu sich: »Jetzt, mein armer Oberst, mußt du dich auf das Schlimmste gefaßt machen.«

Darauf blies er das Licht aus und verließ das Zimmer, in dem er die beiden Freunde einschloß.

Am nächsten Morgen schickte Giulio, der sein Zimmer nicht verlassen wollte, die Bitte zum Fürsten, nach La Petrella gehen und sich dafür einige Tage beurlauben zu dürfen. Aber man brachte ihm die Meldung, daß der Fürst verschwunden sei samt seinen Truppen.

In der Nacht hatte er den Tod Gregors XIII. erfahren; er hatte seinen Freund Giulio vergessen und war über Land. Bei Giulio waren nur etwa dreißig Mann geblieben, die einst zur Kompanie Ranuccios gehörten. Es ist bekannt genug, daß in jenen Zeiten während der Vakanz des Heiligen Stuhls die Gesetze schwiegen; jeder dachte nur daran, seine Leidenschaften zu befriedigen und es galt nur die Kraft; darum hatte, noch vor dem Ende des Tags, Fürst Colonna schon mehr als fünfzig seiner Feinde aufhängen lassen. Giulio aber, obgleich er nicht vierzig Mann bei sich hatte, wagte es, nach Rom zu marschieren.

Die ganze Dienerschaft der Äbtissin von Castro war ihr treu geblieben; sie hatten sich in den ärmlichen Häusern um das Kloster Santa Marta herum eingemietet. Der Todeskampf Gregors XIII. hatte länger als eine Woche gedauert; Signora von Campireali erwartete ungeduldig die Tage der Verwirrung, die seinem Tod folgen würden, um die letzten fünfzig Schritt ihres unterirdischen Ganges in Angriff zu nehmen. Da man die Keller von mehreren bewohnten Häusern durchqueren mußte, fürchtete sie sehr, das Ziel ihrer Unternehmung nicht länger verbergen zu können.

Schon am übernächsten Tag nach der Ankunft Brancifortes in La Petrella, schienen die drei ehemaligen Bravi Giulios, welche Helena in ihre Dienste genommen hatte, närrisch geworden zu sein. Obgleich jedermann nur zu gut wußte, daß sie in strenger Geheimhaft gehalten und von Nonnen bewacht wurde, die sie haßten, kam doch Ugone, einer der Bravi, zum Klostertor und bat inständigst unter den seltsamsten Vorwänden, daß man ihm erlauben möge, seine Herrin zu sehen, und zwar auf der Stelle. Er wurde abgewiesen und zur Tür hinausgeworfen. In seiner Verzweiflung blieb der Mann aber hier stehn und fing an, jedem der Bediensteten des Hauses, mochte er ein- oder ausgehn, einen Bajocco zu geben, wobei er stets diese gleichen Worte sagte: »Freut Euch mit mir, Signor Giulio Branciforte ist angekommen, er lebt: sagt dies Euren Freunden.«

Die beiden Kameraden Ugones verbrachten den Tag damit, ihm Bajocchi zuzutragen, und sie fuhren Tag und Nacht darin fort, sie mit den immer gleichen Worten zu verteilen, bis ihnen nichts mehr blieb. Aber die drei Bravi fuhren, einander ablösend, trotzdem fort, die Wache an der Tür des Klosters Santa Marta zu beziehen und richteten mit tiefen Verbeugungen an alle Aus- und Eintretenden immer die gleichen Worte: »Signor Giulio ist angekommen ...«

Der Einfall dieser braven Leute hatte Erfolg: keine sechsunddreißig Stunden nach der Verteilung des ersten Bajocco wußte die arme Helena trotz ihrer Einzelhaft in der Tiefe ihres Kerkers, daß Giulio lebte; dieses Wort versetzte sie in Raserei:

»O meine Mutter,« rief sie aus, »habt Ihr mir genug Leid zugefügt?«

Einige Stunden später wurde ihr diese erstaunliche Neuigkeit durch die kleine Marietta bestätigt, die all ihren Goldschmuck für die Erlaubnis geopfert hatte, der Schwester Pförtnerin, die der Gefangenen die Mahlzeiten brachte, zu folgen. Helena warf sich in ihre Arme und weinte vor Freude.

»Das ist sehr schön,« sagte sie ihr, »aber ich werde kaum mehr bei dir bleiben.« »Gewiß!« sagte Marietta, »ich denke wohl, daß die Zeit des Konklaves nicht verstreichen wird, ohne daß sich Euer Gefängnis in eine einfache Verbannung verwandelt.«

»Ach, meine Teure, Giulio wiedersehen! Und ihn wiedersehen, und ich schuldig!«

In der Mitte der dritten Nacht, die dieser Unterredung folgte, stürzte ein Teil des Fußbodens der Kirche mit großem Getöse ein; die Nonnen von Santa Marta glaubten, daß das Kloster versinke. Äußerste Verwirrung herrschte, alle Welt glaubte an ein Erdbeben. Ungefähr eine Stunde nach dem Einsturz des Marmorfußbodens der Kirche drang Signora von Campireali, ihr voran die drei Bravi aus Helenas Diensten, durch den unterirdischen Gang in den Kerker.

»Sieg, Sieg, Herrin!« riefen die Bravi. Helena befiel Todesangst, sie glaubte, daß Giulio Branciforte mit ihnen käme. Sie beruhigte sich und ihre Züge nahmen den gewohnten strengen Ausdruck an, als sie ihr sagten, daß sie nur Signora von Campireali begleiteten und daß Giulio noch in Albano sei, welches er mit wenigen tausend Mann besetzt hielte.

Nach einigen Minuten Wartens erschien Signora von Campireali; sie ging mit großer Mühe und hatte den Arm ihres Haushofmeisters genommen, der in großem Staat war, mit dem Degen an der Seite; aber sein prächtiges Gewand war ganz mit Erde beschmutzt.

»O meine teure Helena! Ich komme, um dich zu retten!« rief Signora von Campireali.

»Und wer sagt Euch, daß ich gerettet sein will?«

Signora von Campireali war verblüfft; sie sah ihre Tochter mit großen Augen an, sie schien sehr aufgeregt.

»Nun wohl, meine teure Helena,« sagte sie endlich, »das Schicksal zwingt mich, dir eine Handlung einzugestehen, die nach dem Unglück, das ehemals unsrer Familie zustieß, vielleicht ganz natürlich war, die ich aber bereue und dich zu verzeihen bitte: Giulio Branciforte ... lebt.«

»Und weil er lebt, will ich nicht leben!«

Signora von Campireali verstand erst gar nicht, was ihre Tochter meinte, dann richtete sie die flehentlichsten, zärtlichsten Bitten an sie; aber sie erhielt keine Antwort: Helena hatte sich zu ihrem Kruzifix gewendet und betete, ohne sie zu hören. Es war vergeblich, daß Signora von Campireali eine Stunde lang die äußersten Anstrengungen machte, um ein Wort oder einen Blick zu erlangen. Endlich sagte ihre Tochter ungeduldig:

»Unter dem Marmor dieses Kruzifixes waren seine Briefe in meinem kleinen Zimmer in Albano verborgen; es wäre besser gewesen, mich von meinem Vater töten zu lassen! Geht ... und laßt mir Gold zurück.«

Als Signora von Campireali trotz der besorgten Zeichen ihres Haushofmeisters noch länger mit ihrer Tochter reden wollte, wurde Helena ärgerlich:

»Laßt mir wenigstens eine Stunde Freiheit. Ihr habt mein Leben vergiftet, wollt Ihr nun auch meinen Tod vergiften?«

»Wir werden über den unterirdischen Gang noch zwei oder drei Stunden verfügen können; ich wage zu hoffen, daß du dich noch eines Besseren besinnen wirst,« rief Signora von Campireali, in Tränen ausbrechend. Und sie nahm den Weg unter die Erde zurück.

»Ugone, bleibe bei mir«, sagte Helena zu einem ihrer Bravi, »und sei wohl bewaffnet, mein Bursche, denn vielleicht gilt es, mich zu verteidigen. Laß mich deinen Dolch, dein Schwert, dein Messer sehen!«

Der alte Soldat zeigte ihr seine beruhigend guten Waffen.

»Nun wohl, halte dich dort vor meinem Gefängnis auf, ich werde Giulio einen langen Brief schreiben, den du selbst ihm zustellen wirst; ich will nicht, daß er durch andre Hände als deine geht, da ich nichts habe, um ihn zu schließen. Du kannst alles lesen, was dieser Brief enthält. Nimm das ganze Gold, das meine Mutter hiergelassen hat, in deine Taschen; ich brauche nur noch fünfzig Zechinen für mich, lege sie auf mein Bett.«

Nach diesen Worten begann Helena zu schreiben:

»Ich zweifle nicht an Dir, mein teurer Giulio; ich gehe von hinnen, weil ich in Deinen Armen vor Schmerz sterben müßte; ich würde sehen, wie groß mein Glück gewesen wäre, wenn ich nicht einen Fehltritt begangen hätte. Glaub nicht, daß ich jemals nach Dir ein andres Wesen auf der Welt geliebt habe; weit entfernt davon, war mein Herz immer von der lebhaftesten Verachtung für den Mann erfüllt, den ich bei mir einließ. Mein Fehltritt geschah einzig aus Langweile und – wenn man will – aus Leichtfertigkeit. Bedenke, daß mein Geist, der durch den vergeblichen Versuch zu La Petrella so geschwächt war, wo der Fürst, den ich verehrte, weil Du ihn liebtest, mich so grausam empfing – bedenke, sage ich, daß mein so geschwächter Geist zwölf Jahre lang von Lügen umlagert war. Alles, was mich umgab, war falsch und verlogen, und ich wußte es. Ich erhielt anfangs etwa dreißig Briefe von Dir, urteile selbst, mit welchem Entzücken ich die ersten öffnete! Aber indem ich sie las, wurde mein Herz zu Eis. Ich prüfte diese Schrift, ich erkannte die Züge Deiner Hand wieder, aber nicht Dein Herz. Glaub mir, daß diese erste Lüge mein innerstes Leben so zerstört hat, daß ich soweit kam, einen Brief mit Deiner Handschrift ohne Freude zu öffnen! Die verabscheuungswürdige Ankündigung Deines Todes vernichtete vollends alles in mir, was noch aus den glücklichen Zeiten unsrer Jugend übriggeblieben war. Meine erste Absicht war, wie Du wohl verstehen wirst, die Küste Mexikos aufzusuchen und die Stelle mit meinen Händen zu berühren, wo die Wilden Dich, wie man mir sagte, getötet hatten. Wenn ich diesen Gedanken ausgeführt hätte ... würden wir jetzt glücklich sein, denn wie groß auch die Zahl und die Geschicklichkeit der von einer wachsamen Hand um mich gesäten Spione gewesen wäre, hätte ich doch in Madrid alle Seelen, in denen noch Mitleid und Güte lebte, mir günstig gestimmt, und wahrscheinlich hätte ich die Wahrheit erfahren; denn schon, mein Giulio, hatten Deine Heldentaten die Aufmerksamkeit der Welt auf Dich gelenkt und vielleicht wußte irgendwer in Madrid, daß Du Branciforte seist. Willst Du, daß ich Dir sage, was unser Glück verhinderte? Zuerst die Erinnerung an den grausamen und kränkenden Empfang, den mir der Fürst in La Petrella bereitet hatte: welche mächtigen Hindernisse gab es von Castro bis Mexiko zu überwinden! Du siehst, meine Seele hatte schon ihre Kraft verloren. Dann kam mir eine Eingebung der Eitelkeit. Ich hatte große Bauten im Kloster durchführen lassen, um die Loge der Pförtnerin, worin Du in der Kampfnacht Zuflucht fandest, als Zimmer zu nehmen. Eines Tages betrachtete ich den Boden, den Du ehemals für mich mit Deinem Blut getränkt hattest; da hörte ich ein verächtliches Wort; ich erhob die Augen und sah gehässige Gesichter; um mich zu rächen, wollte ich Äbtissin werden. Meine Mutter, die sehr wohl wußte, daß Du am Leben warst, leistete das Äußerste, um diese ungeheuerliche Ernennung zu erreichen. Diese Stellung war für mich nur eine Quelle von Langweile; durch sie wurde meine Seele vollends erniedrigt. Ich fand Vergnügen daran, meine Macht oft nur im Unglück der andren zu genießen; ich beging Ungerechtigkeiten. Ich sah mich mit dreißig Jahren in den Augen der Welt tugendhaft, reich, angesehen und trotzdem vollkommen unglücklich. Da zeigte sich dieser arme Mensch, der ja die Güte selbst war, aber die Unbedeutendheit in Person. Seine Unbedeutendheit machte, daß ich seine ersten Anträge ertrug. Meine Seele war so unglücklich durch alles, was mich seit Deiner Abreise umgab, daß sie nicht mehr die Kraft hatte, der kleinsten Versuchung zu widerstehen. Soll ich Dir etwas sehr Indezentes gestehen? Aber einer Toten ist alles erlaubt. Wenn Du diese Zeilen lesen wirst, werden die Würmer diese angeblichen Schönheiten verzehren, die nur Dir gehören durften. Endlich muß ich Dir das sagen, was mir schwer wird; ich sah nicht ein, warum ich nicht, wie alle unsre römischen Damen, die Liebe der Sinne versuchen sollte; ich hatte eine Anwandlung von Leichtfertigkeit; aber ich konnte mich nie jenem Menschen hingeben, ohne ein Gefühl des Abscheus und des Ekels zu empfinden, das jedes Vergnügen zerstörte. Ich sah immer Dich an meiner Seite, in unserm Garten in Albano, als die Madonna Dir den edlen Gedanken eingab, der aber dann durch meine Mutter zum Unglück unsres Lebens geworden ist. Du warst nicht drohend, sondern zärtlich und gut, wie Du immer warst; Du sahst mich an und dann empfand ich Wut gegen diesen andren Mann und ich ging soweit, ihn aus aller Kraft zu schlagen. Das ist die ganze Wahrheit, mein teurer Giulio, ich wollte nicht sterben, ohne sie Dir zu sagen – und ich dachte auch, daß diese Zwiesprache mit Dir vielleicht den Gedanken an den Tod von mir nehmen könnte. Ich ersehe aber nur klarer daraus, wie meine Freude gewesen wäre, wenn ich Deiner wert geblieben wäre. Ich befehle Dir zu leben und die militärische Karriere fortzusetzen, die mir solche Freude bereitet hat, als ich von Deinen Erfolgen hörte. Was wäre gewesen, großer Gott! wenn ich Deine Briefe erhalten hätte, besonders nach der Schlacht von Achenne! Lebe und rufe Dir oft Ranuccio ins Gedächtnis zurück, der bei Ciampi fiel, und Helena, die in Santa Marta starb, weil sie in Deinen Augen keinen Vorwurf lesen wollte.«

Nachdem sie den Brief beendet hatte, näherte sich Helena dem alten Soldaten, den sie schlafend fand; sie nahm seinen Dolch, ohne daß er es merkte, dann weckte sie ihn.

»Ich bin zu Ende,« sagte sie ihm, »ich fürchte, daß sich unsre Feinde des unterirdischen Zugangs bemächtigen. Nimm schnell meinen Brief, der auf dem Tisch liegt und bring ihn Giulio, du selbst bringst ihn, verstehst du? Und gib ihm noch mein Taschentuch, dieses hier; sag ihm, daß ich ihn auch in diesem Augenblick nicht mehr liebe, als ich ihn immer geliebt habe, immer, hörst du wohl!«

Ugone blieb stehen und ging nicht fort.

»Geh doch!«

»Signora, habt Ihr es wohl überlegt? Signor Giulio liebt Euch so sehr!«

»Ich auch, ich liebe ihn, nimm den Brief und übergib ihn selbst.«

»Nun wohl, möge Gott Eure Güte segnen!«

Ugone ging und kehrte schnell zurück. Er fand Helena tot: sie hatte den Dolch im Herzen.


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