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Vor Leyden

Durch die Oktobernacht, die mit rauhem Westwind, vom deutschen Meere herüberwehend, kalt und unerfreulich begann, glänzten Reihen auf- und niedertauchender Lichter. Wer das Auge fest auf sie gerichtet hätte, würde Schiffslaternen vermutet und weiterhin trotz des Dunkels die schwarzen Rümpfe, die Masten von mehr als hundert Fahrzeugen erblickt haben, die auf der weiten Flut schaukelten. Gewiß eine seltsame Flut: unabsehbar wie das Meer und doch vom stärksten Winde nur leicht geschwellt, doch von Erdhügeln, von zahllosen Baumkronen, von Turmspitzen und Dächern überragt! Im Hintergrunde leuchtete ein mächtiger Feuerschein über dem Wasserspiegel und ließ auf einem Dutzend der ruhenden Schiffe die schlaff hängenden Segel, das Tauwerk und die Gestalten der Bemannung erkennen. Das Chaos schien hier angebrochen: mitten aus den Wogen erhoben sich Feuersäulen, den Nachthimmel rötend. Die Insassen des Bootes, das der ankernden Flotte zusteuerte, erstaunten nicht, sie wußten zu gut, daß die Dörfer Zoetermer und Benthuyzen mit Kirchen und Türmen emporflammten, während die Wasser schon durch ihre Gassen und Gärten rauschten. Es war die Nacht vom ersten zum zweiten Oktober 1574. Die schwarze Flut, über die das Boot dahinglitt, bedeckte die reichen Felder Hollands, war vom Meer durch freiwillig zerstörte Deiche hereingeströmt und sollte die Flotte der Niederländer vor das hartbedrängte Leyden tragen, das von den Spaniern umschlossen war. Jene Männer, welche, auf dem Deck der Schiffe lagernd, ein reiches Mahl hielten, konnten keinen Bissen und keinen Becher zum Munde führen, ohne daß ihnen die verschmachtenden Tausende in der nur stundenfernen Stadt vor Augen traten. Sie sahen auf die im Westwind höher und höher steigende Flut mit halber Befriedigung und hörten die Uhr des brennenden Turmes von Zoetermer die elfte Stunde verkünden. Diese Nacht noch mußte vergehen, ehe der Kampf mit den Spaniern beginnen konnte, die die letzten Dämme zwischen der Stadt und der Flotte besetzt hielten und mit wachsendem Grauen auf die heranschwellende Flut und die Schiffe der Niederländer blickten.

Die Barke hatte sich den Reihen der Schiffe genähert und fuhr zwischen den plumpen hoch über die Flut ragenden Rümpfen dahin. Eine hohe Männergestalt, in schützende Mäntel gehüllt, das Haupt vom dunklen breitkrämpigen Hute bedeckt, unter dem ein bleiches, krankes, aber ernst entschlossenes Gesicht hervorsah, stand aufrecht in ihr. Einige Begleiter saßen dem Stehenden zunächst und richteten ihre Worte lediglich an ihn, der mit dem Blick seiner Augen den fahrenden Schiffern die Richtung anwies. Die ersten Worte, die in der Barke erklangen, wurden in französischer Zunge gesprochen. »Ihr habt seltsame Anstalten getroffen, Monseigneur,« sagte ein kleiner Edelmann lächelnd zu dem Aufrechtstehenden. »Einer verhungernden Stadt Brot zu bringen, überschwemmt Ihr die Ernten einer Provinz und werft das Brot des ganzen Landes in die Flut. Nichts für ungut, mein Prinz, wir in Frankreich haben dergleichen nicht erlebt.«

»Ist es so unerhört, Herr de la Chaillerie,« fragte der Angeredete, »daß alle Kinder eines Hauses darben, um eine todkranke Schwester am Leben zu erhalten? Bei uns ist dies wohl in jeder Fischerhütte, jedem Weberhaus geschehen, warum soll's das Land seinen Leuten nicht nachtun? Wenn Gott uns Erfolg schenkt, werden die Felder zu trocknen, die Dämme wieder zu füllen sein – jetzt gilt's nur, Leyden zu retten!«

»Wenn Ihr noch des Erfolges gewiß wäret, Monseigneur,« entgegnete der Franzose. »Aber was ich zwischen Tag und Nacht von den Schanzen der Spanier unterscheiden konnte, flößt mir wenig Hoffnung ein.«

»Es wird alles und mehr geschehen, als in Menschenkräften steht,« sprach der Prinz mit ruhiger Festigkeit, indem er zugleich die Schiffer anwies, ihr Fahrzeug einem zunächst liegenden zweimaligen Fahrzeuge zuzuwenden. Ein Anruf von demselben, eine kurze Antwort aus der Barke – und von dem Schiffe, über das Schiff, entlang die dichtgedrängte Flotte, klang der Ruf: »Oranien! Oranien! der Statthalter!« Lautschallend, jubelvoll, auf allen Schiffen ein tosendes Leben weckend, ward die Ankunft des Prinzen verkündet. Von den nächsten Schanzen der Spanier blitzten zwei, drei Kanonenschüsse durch die Nacht. – »Sie salutieren!« sagten die Begleiter des Prinzen, indem sie sich erhoben. »Sie wollen zeigen, daß sie wach sind,« entgegnete Wilhelm von Oranien, und stieg an Bord der »Arche von Delft«, wo ihm Admiral Boisot, der trotzige Meergeuse und Führer der Flotte, entgegentrat. Ihn umgaben die wilden Gestalten seiner Seeländer, schlachtendunkle, wetterharte Gesichter, auf den Hüten den Halbmond mit der Umschrift: »Lieber türkisch, als papistisch«, am Gürtel die breiten Messer, die Enterbeile, die schon so viel blutige Arbeit getan hatten und der morgenden harrten. Dem Prinzen drängten sich die Männer mit heiteren Mienen entgegen und das Lachen nahm sich auf ihren struppigen, narbigen Gesichtern aus wie ein Sonnenstrahl im dunklen Geäst. Oranien richtete kurze Worte an sie und trat dann mit Boisot und anderen Schiffsführern zur Beratung zusammen, während der Jubel über seine Ankunft die Flotte noch erfüllte. In rascher, kurzer Weise frug er nach dem Stande der Dinge. – Boisot deutete nach den von den Spaniern besetzten Dämmen hinüber und sagte:

»Noch zwei Schanzen, bei Zoetervoude und Lammen, liegen zwischen uns und Leyden! Den Damm, auf dem die eine steht, greif ich morgen an. Aber die Durchfahrt ist schmal, und das erste Schiff, das ihn erzwingt, wird nasser vom Blut als vom Wasser sein!«

»Sucht Freiwillige, gebt ihnen einen Führer, der lieber sterben, als Leyden wieder den Rücken kehren will,« antwortete der Prinz.

»Das wollen wir alle!« rief der Geusenadmiral. »Kein Mann auf der Flotte, der anders dächte! Aber das ist's nicht, was ich brauche, Prinz; ich suche einen, der hieb- und kugelfest wenigstens für den Tag ist. Ihr versteht mich: einen, der nach Leyden kommen muß, und dem selbst der Teufel, der mit den Spaniern ficht, nichts anhaben kann!«

Wilhelm von Oranien lächelte unmerklich zum Aberglauben Boisots. Aber er schien dennoch das Wort desselben im Herzen zu bewegen. Sein Blick flog prüfend über die Gruppe der wilden Seehelden, die ihn umgab, und wendete sich dann nach den Schiffen, welche in langen Reihen auf der Flut lagen. Mit raschem Entschluß winkte er dem Admiral und seinen Begleitern: »Laßt uns den Mann suchen, der das erste Schiff gegen den Damm führt, laßt uns Umfahrt halten!« Dabei sprang er schon wieder in die Barke, die ihn zu Boisots Galeere herangetragen hatte und jetzt unter schnellen Ruderschlägen zwischen den Schiffen auf und ab schoß. Hier stieg der Prinz an Bord, dort begnügte er sich, die Mannschaft aus dem Boote zu grüßen, – überall aber brauste ihm der Jubel des Willkommens und vertrauender Zuversicht entgegen.

Nur auf dem mittleren der drei Schiffe, die seitab von den anderen dem brennenden Dorfe zunächst lagen, war der laute Ausbruch der Freude alsbald wieder verstummt. Hier erwartete man den Admiral und den Prinzen nicht, auf dem vorderen Deck zeigte sich die auf und ab schreitende Schiffswache und eine einzelne, fast regungslose Gestalt, ein Mann, der in die Nacht hinaus und unverwandt nach der Richtung hinblickte, wo hinter der Flut, hinter Dämmen und Schanzen die bedrängte Stadt lag. Des Mannes Gesicht war noch finsterer als das der Genossen und zudem von zwei breiten, kaum geheilten Hiebwunden entstellt. Die Genossen, die auf dem hinteren Deck um ein Kohlenbecken saßen und über diesem ihr Mahl bereiteten, riefen den einzelnen nicht herzu, aber behielten ihn fort und fort im Auge. Sie folgten seinen Bewegungen – wenigen Schritten, mit denen er nach halben Stunden den Platz wechselte – voller Teilnahme. Und ihre Aufmerksamkeit auf ihn hinderte sie, dauernd in den Jubel einzustimmen, mit dem die Flotte die Ankunft des Statthalters begrüßte. Sie hatten nicht acht auf das, was um sie her vorging, und sprachen, ihre Stimmen dämpfend, wenn auch noch rauh und vernehmlich genug, über jenen, der starr und unbeweglich nach den spanischen Schanzen hinübersah.

»Ich fürchte,« sagte Jan von der Goos, der Steuermann vom nächstliegenden Schiffe, »wenn Erich Engelbrecht noch eine Nacht vor Leyden statt drinnen verlebt, so ist's um seine arme Seele geschehen. Schaut er doch bereits aus, als könnte er jeden Augenblick von Sinnen kommen; die Augen funkeln so wild, daß er bald seine Leute nicht mehr von den Spaniern unterscheiden wird.«

Cornelis ter Decken, der den ›Egmont‹, eines der gefürchtetsten Geusenschiffe, befehligte, fiel ihm ins Wort: »Gott weiß, er ist wilder als selbst an dem Tage, wo er zu mir an Bord kam und meine Männer ihn in den ersten Stunden fast wieder ins Meer geworfen hätten, so raste und tobte er!«

»Das war in Spanien?« fragte der Steuermann.

»Zu San Ciprian an der galicischen Küste, wo ich mit dem ›Egmont‹ auf spanische Schiffe lauerte,« erwiderte ter Decken. »Ich war den Kanal hinabgegangen und unfern der Insel Dieu auf drei Galeeren von der spanischen Armada gestoßen. Drei waren selbst für den ›Egmont‹ zu viel und wir entgingen ihnen, indem wir südwärts hielten. An der spanischen Küste machten wir gute Beute, brannten wohl zehn papistische Kapellen aus und schreckten die Dörfer zwei Stunden landein. Vor San Ciprian ankerten wir, meine Burschen hatten vernommen, daß ein Schiff mit Wein im Städtchen erwartet werde. Am dritten Tage, wo wir dort lagen, kommt Klas Klafzoon, mein Steuermann, mit drei Männern und schwört, daß sie beim Wassereinnehmen am Strand einen Landsmann von Leyden, Erich Engelbrecht, gesehen, der vor ihrem Anblick nach der Stadt geflüchtet sei. Ich lachte des Märleins, denn wie kam' ein Holländer lebendig und freien Fußes nach Spanien! Aber am nächsten Tag, da ich an Bord lehne und seewärts spähe, ob sich das spanische Weinschiff nicht zeigen will, kommt vom Hafen der Stadt her ein Kahn auf den ›Egmont‹ zugeschossen, den ein Mann zugleich steuert und rudert. Hinter ihm drein ein wohlbesetztes Boot, um so eiliger, je näher de Kahn meinem Schiffe war. Und als er mit gewaltiger Stimme in unserer Sprache mir zurief: ›Nehmt einen bedrängten Landsmann an Bord!‹ mußte ich dem Klafzoon wohl glauben, daß es der leibhaftige Engelbrecht sei. Ich wendete ein paar Kugeln dran, ihm das verfolgende Boot vom Leibe zu halten – und er klomm an Bord, wo er niederstürzte wie eine geschlagene Robbe. Er vergalt zur Stelle meinen Dienst und teilte uns mit, daß die Galeeren von Corunna wider uns ausgelaufen wären. Wir lichteten flugs am selben Abend die Anker, suchten und fanden dann unsern Heimweg um Irland und die Orkneys, während die halbe spanische Armada auf den ›Egmont‹ im Kanal lauerte. Aber die ersten Tage war's mit dem Engelbrecht schier nicht zum Ertragen! Daß er nicht Trank noch Speise nahm, hätten ihm meine Männer wohl vergeben, aber daß er unaufhörlich tobte, wütete, lästerte, sich und die Welt verfluchte und jede Stunde frug, ob Holland in Sicht sei, ward ihnen unheimlich. Ein verwirrtes Gerede von einer Frau mit grauen Haaren, vom Vaterland, von Brot, dazwischen von Weibern und Teufeln, endete Tag und Nacht nicht; wir hielten ihn für besessen. Just hatte er ausgetobt, als das Schiff zum erstenmal wieder zum Kampfe mit Spaniern kam. Wir stehen, wenn's ein Feindesdeck gilt, allesamt nicht unter den schlechten Männern, aber mit Erich Engelbrecht nimmt es keiner von uns auf. Zehnmal, seit ich ihn zu San Ciprian an Bord nahm, habe ich an seiner Seite gefochten, und ich weiß, daß niemand wie er dem Tod in die Zähne lacht.«

»Er will sterben? Er hat schwere Schuld auf der Seele?« fragte Jan von der Goos zögernd und mit einem scheuen Blick nach dem Vorderdeck.

»Das letzte mag sein,« entgegnete der Kapitän des ›Egmont‹ leiser, »aber doch sucht er den Tod nicht. Als wir in Medemblick einliefen, war das erste, was wir vernahmen, daß Leyden belagert sei, daß der Statthalter das Land überschwemmen lasse und uns mit der Flotte zum Entsatz schicken werde. Da wandelte sich Erich Engelbrecht um, raste und lästerte nicht weiter, sondern ward stummer als die Flut. Im Kampfe vor Brill nahm er das Schiff, das er jetzt führt, taufte es ›Der verlorene Sohn‹, und harrt nun mit uns seit Wochen, daß uns das Wasser bis vor Leyden tragen soll. Mit Lebensmitteln ist kein Schiff wie dieses gefüllt, und der Engelbrecht wacht über ihnen, als wären es Schätze, für die er die Erde kaufen könnte. Gleich der Flut fällt und steigt seine Seele, jeder verlorene Tag macht ihn finsterer und wilder, bei jeder Kunde von der Not in Leyden wird er zorniger, jede Sturmflut, die uns vorwärts kommen läßt, hellt sein Gesicht auf! Seit gestern aber, wo uns die Dämme nochmals hemmen, wo die Brieftauben die Meldung bringen, daß in der Stadt kein Bissen Brotes mehr vorhanden ist, schaut er Tag und Nacht nach Leyden hinüber, wie ihr ihn dort seht.«

»Was ist's mit ihm? Wußte Klas Klafzoon, sein Landsmann, nichts davon zu sagen?« drangen einige Hörer in Cornelis ter Decken.

Der Führer des ›Egmont‹› war im Begriff, verneinend zu antworten, als plötzlich der Mann, dem all diese Fragen und Reden galten, seinen Platz auf dem vorderen Deck verließ und in den Kreis um das Kohlenbecken trat. Seine blauen Augen blitzten die Männer so herausfordernd an, daß die seines eigenen Schiffes betroffen zur Seite wichen; dann sagte er, sich neben ter Decken niederwerfend:

»Klafzoon weiß nichts, aber Erich Engelbrecht kann euch selbst sagen, was ihr gerne hören wollt. Es ziemt den Geusen wenig, wie alte Weiber einen Rocken abzuhaspeln; doch mögt ihr recht haben, daß ihr mir nicht traut und euch fragt, ob Gottes, ob Satans Geist mich treibe. Ihr alle sucht hinter den Dämmen dort nur die Stadt und die verschmachtenden Landsleute, die euch für Befreiung und Labung preisen werden. Ich sehe nicht Stadt noch Bürger, ich suche ein Weib mit weißen Haaren und Kummerfalten auf der Stirn, ein altes Weib, das hungert, und das letzte Brot, dessen sie vor dem Grabe bedarf, vielleicht aus meiner Hand nimmt, vielleicht, – obschon sie einmal geschworen hat, nie wieder einen Bissen mit ihrem verlorenen Sohne zu brechen.«

»Deine Mutter lebt in Leyden?« fragte der Steuermann.

»Gott geb' es, daß sie lebt!« rief Erich Engelbrecht. »Wir waren alle in Leyden angesessen, auch vor der Not, die über die Provinzen kam, wohlangesehen und nicht arm. Mein Vater Ludwig gehörte zum Rat der Stadt, unter den Augen des Trefflichen ward ich zwanzig Jahr alt. Da sandte er mich nach Deutschland, die Heilkunst zu lernen, und ich saß in Heidelberg und Erfurt zu den Füßen berühmter Lehrer, ich zechte und schwärmte mit frohen Genossen, während daheim Albas Heer das Land überzog und Freiheit und Leben der Provinzen unter seine Füße trat. Auch Ludwig Engelbrecht, mein Vater, mußte den schweren Gang vor den Blutrat tun, hinter dem es nur noch einen, den zum Galgen, gab. Er starb auf dem Markt von Brüssel, wie tausend Männer vor ihm, tausend nach ihm. Über ein Jahr hatte ich in Deutschland nichts von daheim vernommen, die Kunde von seinem Tode war die erste, die mir zuteil wurde.«

»Preise Gott, daß du nicht daheim warst,« fiel ihm finster der Führer des ›Egmont‹ in die Rede. »Es haben mehr Söhne in den Niederlanden auf Albas Befehl am Blocke ihres Vaters stehen müssen, und ich wenigstens weiß, warum kein Spanier am Leben bleibt, zwischen dem und diesem Messer nur mein Wille liegt.«

»Ich preise Gott nicht, – ich wollte, der Herzog hätte mich gezwungen, meines Vaters Tod zu schauen,« fuhr Erich Engelbrecht auf. »Weil ich nicht daheim war, weil ich mich in der Fremde ausweinte, erst kam, nachdem schon zwei Jahre vorüber waren, nur darum habe ich nicht zu den ersten gehört, die auf die Geusenschiffe stiegen. Wohl tobte ich, schwur Rache und wollte unter Ludwig Nassaus Fahnen treten, als er von Deutschland nach den Provinzen zog. Aber der rechte Zorn, der nur atmet, nur ißt und trinkt, weil er Zeit zur Vergeltung braucht, ward nicht lebendig in mir. Ich mußte friedlich heimkehren, Mutter und Schwestern saßen bettelarm zu Leyden, – natürlich hatte der Blutrat all unser Gut für den frommen König Philipp eingezogen und Ludwig Engelbrecht nur sterben müssen, weil sie einen Schrein mit harten Talern in seinem Besitz wußten. Jetzt war's an mir, für die Darbenden zu sorgen; ich übte meine Kunst und erwarb eben so viel, daß sie nicht bittre Not litten. Meine Schwestern wurden trotz des Elends der Zeit von denen heimgeführt, mit denen sie versprochen waren, bald lebte ich mit der Mutter allein. Sie war gebrochen seit des Vaters Tod, kaum setzte sie ihren Fuß aus dem verödeten Hause. Doch so finster sie auch vor sich hinblickte: jeden Abend, wenn ich heimkam, das frische Brot, das ich unter dem Mantel trug, hervorzog, in zwei Hälften brach und mit ihr teilte, – jeden Abend kehrte ein dankbares Lächeln auf ihr liebes Gesicht zurück. Werdet nicht ungeduldig, – wenn ihr erst einmal Nacht um euch habt, lernt ihr auch, wie die Kinder, vom letzten Sonnenstrahl reden. Unsere Tage in dem kleinen Hause am Ryn, vor dem Gras wuchs und das keines Menschen Fuß betrat, verflossen nicht heiter, doch wir waren so glücklich, als in dieser bösen Zeit irgendwer in Holland sein konnte. Hoffnung für das Land schien nirgends – und ich zwang mich, an nichts zu denken, als an meinen Beruf und die alte Frau, deren Stütze ich war.


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