Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Busekow

1913

 

Bei Anbruch des Tages Epiphanias hielt der Schutzmann im sechsten Revier, Christof Busekow, Posten am Schnittpunkt der Hauptstraßen seit vier Stunden. Anfangs hatte ihn das Bewußtsein, Ordnung und Sicherheit hingen von seiner einzigen Person ab, zu höchster Dienstbereitwilligkeit gestählt; allmählich, da alles sich schickte, verlor seine Aufmerksamkeit das Gespannte, schwang mit der Masse der Bewegenden und Bewegten.

Je näher Ablösung rückte, überwogen in ihm zwei Empfindungen. Es schien regnen zu wollen, er fühlte vor, wie er, mit eingezogenen Schultern auf dem Heimweg sacht auftretend, Pfützen auf den Steinen vermeiden würde; mehr als diese Vorstellung beglückte ihn des Kaffees Duft, der beim Eintritt in die Wohnung auf dem Tisch hergerichtet sein mußte. Nur von Zeit zu Zeit flog sein Wille in die Brille zurück, riß in flüchtiger Empörung Löcher in Gegenüberstehendes.

Dieser bewaffnete Blick packte nicht nur Passanten in Zivil; wie er aufflammend vorwärtsschoß, zwang er auch Busekows Kameraden zur Bewunderung, sie empfanden: der schaut durch Tuch und Haube; ist geborener Polizist.

Von einem tüchtigen Menschen war die Schlappe der Geburt, Kurzsichtigkeit, zu einem Vorteil für sich umgebogen worden, hatte er, seiner Nichteignung für eine Aufsichtsstellung im Urteil zuständiger Instanzen gewiß, alle gesunden Kräfte von andern Organen ins Auge hochziehend, diesem hinter Gläsern so schneidigen Ausdruck verliehen, daß die befugten Personen erklärten, sie erwarteten Besonderes von seinem scharfen Hinsehen. Er wiederum, besorgt, er möchte diese Hoffnung enttäuschen, wandelte, den Körper immer mehr vergewaltigend, im Lauf der Zeiten die gesamte Barschaft an praller Muskelkraft in Späh- und Spürvermögen um, bis seine Schenkel, die unter dem Sergeanten des fünfzigsten Infanterieregimentes gewaltige Tagmärsche zurückgelegt hatten, ihn saftlos und schlapp auf Posten kaum mehr hielten, die einst von Gewehrstrecken geschwellten Arme Lust leidenschaftlichen Zugreifens verloren. Da er aber für gewöhnlich unbewegt auf einer Steininsel zwischen zwei Fahrdämmen stand, an dieser vom Verkehr belebten Stelle außer dem Auge selten der Arm des Gesetzes gefordert wurde, blieb dieser leibliche Mißstand ihm verborgen.

Andererseits hatte er in letzter Zeit begonnen, Kapital der Sehkraft, das er ursprünglich im Bewußtsein reicher Mittel an umgebende Welt vergeudet hatte, sachgemäß anzulegen, lieh Vorübergehenden nur noch dann Kredit auf seine Aufmerksamkeit, wenn er den einzelnen nicht kannte. Denn da der Platz in nächster Nähe einiger Großkaufhäuser und Banken lag, war des Publikums größerer Teil tagaus, tagein der gleiche, und nachdem Busekow in jahrelanger, unwillkürlicher Anteilnahme an jedem einzelnen dessen Erscheinung in sich aufgenommen, erwogen und beurteilt hatte, prägte er sich wissentlich von ihm nur noch einen neuen Hut, Wechsel von Sommer- und Wintermode ein.

Er stand dabei zu seiner Kundschaft in umgekehrtem Verhältnis wie der Bankier schlechthin, als er dem Kunden, je länger er ihn kannte, je mehr Beweise unbedingter Zuverlässigkeit ihm der gegeben hatte, um so weniger vorschoß, während er an einen, der zum erstenmal in sein Gesichtsfeld trat, des Blickes ganze Barschaft wandte und, je zuverlässiger der Neuling sich darstellte, ihn um so bereitwilliger bediente.

Dank dieser Maßnahmen war es ihm einige Male gelungen, an Leuten, die andere Schutzmannsposten als harmlose Schlendriane passiert hatten, Merkmale versteckter Aufregung zu erkennen, sie patrouillierenden Kameraden zu bezeichnen und zu erleben, die Betroffenen stellten sich bei Prüfung als gesuchte Übeltäter heraus. Und so geschah es an diesem Morgen vor seiner Ablösung um sechs Uhr noch zweimal, daß scharf er zusehn mußte, erst als ein Omnibus gegen einen Milchwagen stieß – glücklicherweise konnte Busekows bloßer Wink die Lage entwirren – und dann, da in der Schar jener Frauen, die nächtlicherweise Brot auf demselben Straßenstrich suchen, deren jede ihm bis in den Saum des Unterrocks bekannt war, eine neue auftauchte: hochblond, aufgedonnert, mit einem Blutmal auf der linken Backe am Mundwinkel.

 

Wie sie zu unwahrscheinlicher Zeit mit der Morgenröte zum erstenmal vor ihn getreten war, beschäftigte sie den Heimkehrenden, der, das innere Auge auf sie gerichtet, nicht spürte, wie es zu regnen begonnen hatte, er stapfend Pfütze auf Pfütze trat. War es möglich, er hätte Zeichen, die das Eindringen einer Konkurrentin in den Ring der auf jener Straße Privilegierten ankündigten, übersehen, oder waren sie nicht gegeben worden? Und warum nicht? Galt sie ihren Schwestern wenig, schien zum Wettkampf nicht gerüstet, und durfte man sie mit Verachtung übersehen? Rief er sich ihre Erscheinung zurück, verneinte er die Annahme. Dem flüchtigen Blick – ein anderer würde ihr in ihrem Gewerbe kaum gegönnt werden – dünkte sie gefällig, wohlbereitet. Busekow, der sich über den Grund ihres lautlosen Auftretens auf seiner Weltbühne keine Rechenschaft geben konnte, ward befangen und kleinlaut vor sich selbst, betrat seine Wohnung mit dem peinlichen Gefühl, in dieser Nacht habe er dem Staat unzureichend gedient, den Platz, der ihm anvertraut war, nicht in völliger Ordnung verlassen. Irgend etwas treibe dort ein ungerechtfertigtes, den beschlossenen Gang der Dinge störendes Wesen.

Er schlürfte verdrießlich Kaffee, legte sich zu seiner Frau ins Bett. Zaghaft lüpfte er die Decke und nahm, sich hinstreckend, eine Rückenlage ein; denn da er, auf den Seiten liegend, zu röcheln und schnarchen begann, war ihm die anbefohlen worden. Wie in allen Dingen, die das Weib anordnete, suchte er den Befehl genau zu befolgen, und aus Furcht, er möchte im Schlaf Stellung wechseln, hatte er sich, beide Hände in die seitlichen Ritzen zwischen Bettlade und Matratze zu krallen, gewöhnt, durch welches Manöver tatsächlich erreicht wurde, daß er in gleicher Lage, wie er eingeschlafen war, aufwachte. Auf welche Weise die Frau bald nach Beginn ihrer zwölfjährigen Ehe seine Unterwerfung unter ihren Willen durchgesetzt hatte, darüber hatte er nie nachgedacht, wußte nur, die Abhängigkeit war bodenlos, ohne Trieb zum Widerstand. Selbst bei den ihm unliebsamen Geheißen schien sie ihm eine milde Gebieterin, da er die Neigung in sich ahnte, auch ihrem zügellosen Verlangen nachzugeben.

Doch nur sein bedingungsloser Gehorsam war es, der die Schüchterne fähig gemacht hatte, Wünsche ihm gegenüber zu äußern, später zu fordern. Und so entfernt blieb sie der Überzeugung wirklicher Macht, daß sie stündlich bei jedem Anlaß erwartete, er möchte es satt haben, kurzen Prozeß mit ihr machen. Denn sie war sich bewußt, das einzige wirkliche Guthaben, das sie bei ihm besaß – jene kleine Summe, die die Sechsundzwanzigjährige dem Vermögenslosen in die Ehe gebracht hatte –, mußte längst verzehrt sein, und weder geistig noch körperlich fühlte sie sich vor ihm begnadet.

Was den Leib anging, verbarg sie seit Jahren schwere Schäden. Ohne daß sie Mutter geworden war, hatte die Zeit ihr mitgespielt. Das einst volle Haar war zu winziger Schnecke auf dem Hinterkopf zusammengeschrumpft, ihr Gesicht, das straffe Haut wohltuend gegliedert, hatte durch deren Nachlassen Löcher und Vorsprünge bekommen; heftiger bewegten sich ihre Brüste, die, flache Teller, mit kaum noch gefärbten Warzen beim Auskleiden von bergenden Händen nicht mehr bedeckt werden konnten. Die zarte Scham, mit der abends und morgens Busekow über diesen Umstand hinwegsah, vergrößerte ihren Kummer, bewirkte, daß sie ihm harten Anruf zum Bett schickte: »Setz Wasser auf den Herd! Scher dich zum Kohlenholen!«

Bei solchen Aufforderungen hatte den Mann oft verlangt, sie möchte ihre Empörung über die Unbill der Natur durch furchtbare Forderung an ihn ausgleichen. Wie sie zur ärmsten Magd Gottes herabgesunken war, dichtete er königliche Befehle in ihren Mund, sah sich in hündischer Demut in Ecken stehen, Pfoten aufwartend gekrümmt. Fürchtete, er habe sie um Großes betrogen, meinte das Kind, das sie von ihm nicht hatte, seufzte und fand sich schuldig. Oft lagen sie mit nach oben gedrehten Gesichtern sprachlos beieinander, geschlossenen Lides, daß keiner dem anderen das Wachen anmerkte. Ihre Herzen klopften: Warum konnte ich sie nicht erfüllen? Was tönten meine Rippen nicht von ihm? Wehmütig griff sie ihre Brüste; er fuhr die mageren Lenden herab; beide fühlten sich dürftig.

Den Betten hing in Öldruck Martin Luther gegenüber. Hand auf ein Buch geballt, machte er eine ausladende Gebärde. Beide Gatten hatten anfangs großen Mut aus dieser Geste zu holen gesucht, wollten sich anreden, die Kluft überspringen. Doch es gab zwischen jenem und ihnen keine Zusammenhänge. Schon begann alles in hoffnungslose Gewohnheit beschlossen zu werden. Man sparte an Blick und Ton füreinander, rief sich, antwortete in Hauptworten, denen Verben und Partikel fehlten, um bei Begriffen, die man als bekannt und erwartet voraussetzen konnte, an den Endsilben zu sparen. Augen wichen sich aus, man sah an Wände; Berührung wurde gefürchtet. Streiften sich bei einer Begegnung die Kleider, schoß beiden panischer Schreck, als hätten sie Allerheiligstes betastet, ins Gebein. Die weibliche Seele war voll Vorwürfen für ihn, er so voll Angst vor ihr, daß sie wußten, ein wohlgebildeter Satz, Gleichnis freundlichen Lebens, hätte sie bis ins Mark erschüttert und vernichtet.

So scheuten sie Güte, erzogen Hartes, Kantiges in sich, schlossen auf Grund rauher Regeln einen letzten Frieden, er, der Hingeschmissene, Unwürdige, Besiegte; sie, die Beleidigte, mulier virgo.

Als er lag und ruhen wollte, schien Sonne ins Fenster, verwirrte seine Augen. Da er sich nicht wenden durfte, bedeckte er das Gesicht mit der Hand; doch schien Licht durchs Blut der Finger. Diese Wahrnehmung verwirrte ihn, als hätte er des Umstandes seines lebendigen Blutes vergessen. In einer Aufwallung streckte er das eine Bein zur Decke, daß über seinem Leib Wölbung entstand, und lächelte. Es schien ihm aber gleich darauf, als neben ihm im Schlaf sie stöhnte, Gebärde und Lachen infam, und er begann, in Strahlen blinzelnd, alle Züge stetiger, zunehmender Niedrigkeit aus seinem Leben zum Bild eines verworfenen, vergeblichen Geschöpfs zu dichten. Wie er in der Schule seines Dorfes schlecht gelernt hatte, zum Hofdienst untauglich gewesen war und einst am Reformationstag in der Kirche, als die Gemeinde im Lied »Ein feste Burg ist unser Gott« himmlische Andacht einte, den Zopf des vor ihm singenden Mädchens ergriffen, an seine Lippen geführt hatte. Die Kleine hatte aufgeschrien, Nachbarn den Frevel bemerkt, er war dem Pastor zur Bestrafung angezeigt. Der hatte ihn mit Wortschwall überwältigt, Mut der Jugend, Selbstbewußtsein für lange Zeit in Grund und Boden geschlagen. Eine Spur davon war erst nach langen Jahren wiedererstanden, als ihm, dem Unteroffizier, eine Dekade junger Burschen auf Gnade und Ungnade überantwortet wurde. Da hatte er den Schnurrbart gezwirbelt, sich einiger Flüche, die ihn vor sich selbst martialisch machten, bemächtigt. Doch gelang es über geringes Maß nicht, da Wichtigkeit vom Kasernenhof bei Instruktion und Unterricht verblich, merkte er, er blieb im Auffassen des Vorgetragenen hinter Kameraden zurück. Im Verlauf von zehn Jahren hatte der Hauptmann einige Male zu ihm gesagt: »Sie sind in Herz und Nieren königstreu, Busekow. Das ist Sache! Doch haben kein Verstehste.« So wurde Königstreue, die man ihm öffentlich zugestanden, seines Lebens Richtschnur. Und als er einsah, eine Feldwebelstelle war ihm nicht erreichbar, er nur im Staatsdienst Verwendung für seine positive Eigenschaft hatte, gab er sich als Schutzmann ein. Bedenken gegen seine zunehmende Kurzsichtigkeit zerstreute er auf die geschilderte Art.

Da seine Tugend ihm einfiel, wurde die Seele einen Augenblick freier; schnell erleuchtete ihn aber Erkenntnis, wie wenig offiziell sie in seinem heutigen Dasein sei. Im Gegensatz zu jenem Hauptmann hatte seine Frau sie nie erkannt, in ihren Reden war sie nicht erwähnt worden.

Ein elendes, nutzloses Schwein bin ich, dachte Busekow. Diese Frau weiht mir ihr junges Leben, ihren einst blühenden Leib, schöne Gaben. Alles vernichtete ich, unfähig, das mir Anvertraute zu pflegen. Was aber meine Königstreue anlangt (mit letztem Versuch, sich zu erheben, flüchtete er in diesen Gedanken), meine Hingabe an den Dienst – vor seinem Geist stand ein blondes, aufgedonnertes Frauenzimmer, ein Blutmal im befremdenden Gesicht. Da ergriff namenlose Trauer unseren Helden, einschlafend verstand er seines Weibes Größe, die es bei ihm auszuhalten vermochte, nicht mehr.

Er träumte, im leeren Raum ständen sie sich nackt gegenüber. Wie ihre Augen sich ihm sengend ins Gesicht bohrten, war er sie anzusehen gezwungen. Einen schauerlichen Leib erblickte er, Stöcke die Beine, von Hautrunzeln bedeckt. Erbärmlich das übrige. Nirgends war noch der leiseste hüllende Flaum, der Kopf glich einer polierten Kugel. Mit ausgestreckter Hand, die wie eine Kastagnette knackte, klopfte sie an sein gepolstertes Bäuchchen, den Schädel, krächzte Heuwanst, Heukopf! dazu. Und alsbald begann er, Stroh aus seinem Munde zu speien, bündelweis, ohne Aufhören meterweis. Sie lächelte giftig dazu, klopfte und knatterte: Heukopf, Heuwanst, Heukopf. In Schweiß gebadet erwachte er, war mit Ruck aus den Federn, und im Hemd ins Nebenzimmer stürzend, rief er ihr dröhnender, übernatürlicher Stimme zu: »Ja, ja, Elisa, ich bin ein Elender; wirklich ein Unfruchtbarer!« Sie war nicht im Raum. Bei Butterbroten, einer Flasche Bier lag ein Zettel auf dem Tisch mit den Worten: »Ich bin zum Kintopp. Wundre dich nicht. Geburtstag!«

Und nun stellte er sich, da er zu kauen begann, ihre Freude im Lichtspieltheater vor, spürte, tröstliche Stärkung, die er mit dem Zugeständnis seiner Wertlosigkeit hatte gewähren wollen, mußte ihr draußen durch Bilder aus der Menschenkomödie stärker zuteil werden, die sie mit Lachen und Weinen ergreifen würden.

Gegen sieben, seine Frau war nicht zurück, ging er zur Polizeiwache in den Dienst. Um Mitternacht bezog er Posten am Schnittpunkt der Hauptstraßen. Doch da es in Strömen regnete, gelang es ihm von Anfang nicht, die heroische Haltung, die er während erster Minuten seiner Wache vor einem vierarmigen Gaskandelaber sonst einnahm, zu markieren. Im Gummiumhang, Schultern eingezogen, Haupt gesenkt, sah er, da Wasser an ihm niedertroff, kläglich aus. Zudem verwirrten ihn hinter nassen Scheiben seiner Brille rote, grüne, weiße Lichter der Fahrzeuge. Sich bemerkbar zu machen, hob er von Zeit zu Zeit einen Arm, ließ ihn, ohne des Eindruckes innezuwerden, wieder sinken. Nur mit Mühe unterschied er den Aufmarsch bekannter Gestalten; Frauen der Kaffeekellner, die ihre Männer holten, Stammgäste der in der Nähe befindlichen Wirtschaften, den Mann mit dem fliegenden Streichholzhandel und, eine nach der anderen, die Nymphen der Straße. Dicht an die Häuser gedrängt, hüpften sie Schutz suchend an ihm vorbei, mit eingezogenen Flügeln Vögeln gleich, die, Land gewöhnt, ins Wasser gefallen sind und sich retten möchten. Sie schritten auf ihren bis zu Knien freien Ständern über den Fahrdamm, teilten Aufmerksamkeit zwischen Wassertiefen, die sie durchqueren, und dem Wild, das, diesen Abend spärlich genug, sie jagen mußten.

Beim Anblick ihres namenlosen Elends hob Busekow zum erstenmal am heutigen Tag den Kopf. Diesen war er, wie er den Maßstab anlegte, tausendmal überlegen. Er dachte an seinen Traum und meinte, produzierte er als letzte Formel von sich Heu und Stroh, sei das saubere Sache. Wie aber würde sich diesen das Gleichnis ihrer ausgespienen Eingeweide in Träumen darstellen? Und anderen, weniger verächtlichen, doch tief unter ihm stehenden Klassen, dem männlichen Gelichter, das an ihm vorüberstrich. Stand er hier nicht – Donner und Doria – für Kaiser und Reich, sah alle Welt nicht einen tüchtigen Beamten in ihm? Als es aber heftiger vom Himmel goß, er tiefer in sich hineinkroch, erschien der Leib seiner Frau, wie er ihn heute im Schlaf gesehen, wieder; Erde ward abermals wüst und leer.

Mit gedunsenem Auge stierte er in die Luft, einmal rechts, links einmal, geradeaus, als sich aus dem Gewissen die Frage nach dem Verbleib jenes Weibes hob, das er am Morgen zum erstenmal erblickt hatte. Gehörte sie von nun an zu den Figuren, die vor ihm spielen würden, oder war sie zu einem Gastspiel auf dieser Straße erschienen? Dafür sprach das Verhalten der Kolleginnen, die ein einmaliges Kommen und Gehen dulden durften, dauernde Etablierung aber, wie er es in anderen Fällen erlebt hatte, mit Hohn und Gewalttat zurückgewiesen hätten.

Es schlug zwei Uhr morgens, als sie hinter einem jungen Menschen in aufgeweichten Lackstiefeln auftauchte. Zugleich sah Busekow eine lange Schwarzhaarige sie bei den Schultern fassen, hörte, wie sie ihr zuzischte: »Nicht an meinen Kleinen heran!« und der Neuen Antwort: »Nur sacht!«

Schon sammelte ein Kreis erregter Frauenzimmer sich um die beiden, fiel mit schnatterndem Schwall im Chor ein. Man sah drohend gehobene Arme und Schirme. Da schleuderte Busekow Regen von sich, war mit zwei Schritten bei den Streitenden, und, Gewitter aus empörten Augen blitzend, herrschte er die Auseinanderstiebenden erzener Stimme an: »Keinen Streit, meine Damen. Weitergehen!«

Nur sie blieb ihm gegenüber. Sekundenlang sah er in ein erschrockenes Gesicht, trat an seinen Platz zurück. Eine Sehne straffte sich an ihm. Der Blick, den sie ihm von jetzt an bei ihrem allnächtlichen Erscheinen zuwarf, strahlte Dankbarkeit. Er entzog sich ihm nicht, empfing ihn als seines öden Lebens Zuckerbrot. Und als er Nacht- mit Tagdienst tauschte, war das Gefühl des Bedauerns, diesen Blick in Zukunft entbehren zu sollen, groß. Doch kam sie schon am zweiten Tag Straße herauf an ihm vorüber, und da geschah es, daß er, ihren Gruß erwidernd, das Haupt neigte.

Schnell spannen sich Fäden schlichter Vertraulichkeit zwischen ihnen. Mir geht es immer so, bin immer die gleiche, sagte ihr Blick. Stehe für Kaiser und Reich, rief er zurück. Monatelang. Bis er eines Tages, vom Dienst heimkehrend, sie streifte, die in einem Haustor stand.

»Keinen Auflauf bilden, Fräulein«, sagte er witzig, lächelte sie an. Sie senkte den Blick vor ihm. Meinte er, Samtenes schlage Flügel, und verwirrte sich bedeutend.

Ein andermal, da er an einem Urlaubstag gegen Abend spazierte, traf er sie, ging ihr nach. Sie trat in einen Flur, sah nicht um. Er folgte, stieg Treppen hinter ihr hoch, schlüpfte in einen Flur, den sie aufschloß, und im Dunkeln standen sie sich, ohne daß ein Wort fiel, gegenüber. Nur Atem blies, Auge glühte sich an. Berührung wurde nicht gewagt. Schließlich lehnte sie, Halt suchend, gegen die Wand; er, schräg an sie gebeugt, schlang in alle Öffnungen ihres Leibes Hauch. Beide wankten. Sie fiel zuerst. In schmerzlich süßer Lähmung blieb ein Knie erhoben, reckte den Schoß auf. Stürzender Felsblock senkte er sich ein.

Auch später war kein Wort gefallen; da er losgebunden von ihr schwand, blieb sie am Boden hingenagelt. Geschlossenen Auges lächelte sie; ihr Atem ging, feine Musik, aus ihr, in rhythmischen Abständen zitterte der Leib.

 

Acht Tage später wieder frei, begab er sich im Schutz der Dämmerung zu ihr. Da er an die Tür klopfte, öffnete sie, zog ihn in ein erleuchtetes Zimmer, in dessen Mitte, dem Klavier gegenüber, ein gedeckter Tisch stand. Busekow hörte des Wasserkessels Summen, roch eines Kuchens Duft, sah in weißen und gelben Farben Blumen gebunden.

Sie blieb aufrecht vor ihm, legte einen Arm um seinen Hals, strich ihm mit der anderen Hand Haar aus der Stirn. Dabei hing ihr Blick in seinem. Ein Wort wollte er sagen, vermochte nichts; lächelte sie und bewegte verneinend den Kopf. Plötzlich lief der Kessel über. Sie ließ den Mann, war mit zwei Schritten am Tisch, hob das kupferne Gefäß, schwang es gegen die Kanne, ließ heißes Wasser in sie stürzen. Verharrend folgte er der Bewegung. Wie sie goß, zuteilte, zurechtstrich, winkte. Da setzte er sich zu ihr ins Sofa.

Überstürzte Frage und Antwort schwirrte. Alles Wie und Was ihres heutigen Lebens saugten sie in sich hinein, verständigten sich stürmisch über Gelände und Grenzen ihres Glücks. Und als nirgends der Abgrund auftauchte, der augenblickliches Halt rief, war mit ihnen ein einziges Glück. Sie hatte beide Arme erhoben, saß mit aufgerissenen Augen stumm wie eine Schreiende. Er hieb die geballte Faust in den Tisch.

Da später Dunkelheit, des Bettes Decke auf ihnen ruhte, nahm sie seine Hände, faltete sie ihm auf die Brust, hauchte an sein Ohr: »Vater unser, der Du bist im Himmel!« und murmelte weiter. Er aber erschrak und schämte sich, weil heute und sonst Gebet ihm fremd war. Doch bewegte er Lippen, stellte sich, als folgte er in jeder Silbe. Trotz seiner Lüge wurde des Gebetes Sinn in ihm erfüllt, denn Ruhe war an die Stelle brennenden Verlangens getreten, als er seinen Arm sacht um sie legte, Glied an Glied fügte, reiner Atem aus seinem Mund auf sie wehte. Sie hielten sich schwebend, aus Erz gegossen. Noch spürte jeder den eigenen Umriß, die verhaltene fremde Person.

Da rief sie »Christof«, und zugleich sah er ihres Auges Blau sich verschleiern und schwinden; rund quoll Weißes über den ganzen Ball. Und zum andernmal erschrak er vor ihr, wußte nicht, wie sich in Einklang mit ihr bringen. Bebend stieg er in sein Innerstes, brachte Konfirmationstag, seiner Mutter Sterbestunde herauf. Doch auch so versehen, holte er die Seele der vor ihm Ausgebreiteten nicht ein, seine Anker griffen nicht in Mutterland der Hingegebenen.

Doch schmolz viel harte Schale an ihm. Schon wurde mancher Zelle Kern erweckt, goß sich in den Kreislauf der Säfte. Und jede Welle Leben, die er in sie schickte, kam, brausende Sturmflut, die Schutt und Asche fortriß, in sein Blut zurück, bis sie, an des Lebens Nerve donnernd, den Mund zu hellem Ruf aufspreizte. Da, während er an des Bettes andere Wand zurückwich, verklärte himmlischer Schein des Weibes Gesicht.

Er erfuhr von Gesine, Vater und Mutter habe sie früh verloren, Ernährerin jüngerer Geschwister sein müssen. Emsig verglichen sie ihr Kinderleben, freuten sich, dieselben Spiele gespielt zu haben, und als beide ihre Vorliebe für gleiche Speisen in jener Zeit entdeckten, waren sie noch glücklicher. An diesem Tag blieben sie närrisch ihrer Jugend hingegeben. Eltern, Brüder, Schwestern lernten sie kennen, Haus, Hof, Knecht und Vieh. Vom Getreide sprachen sie, von Saat und Frucht; wie Dung am besten in die Scholle gebracht würde, und was es der Freuden und Verlegenheiten bäurischen Volkes mehr gibt. Erst als sie auf ihren Glauben zu sprechen kamen, Gesine ihre katholische Religion bekannte, ergriff beide Scheu voreinander, Fremdes stieg zwischen ihnen auf. Der märkische Protestant brachte aus der Kindheit so feindseligen Begriff für diese Lehre, die er nicht kannte, mit, sie war ihm als ein so Götzendienerisches, deutschem Wesen Fremdes hingestellt worden, daß er die junge Frau mit der Neugier, die man an ein wildes Tier wendet, besah. In diesen Augenblicken war von dem fanatischen Haß seiner Mutter gegen andersgläubige Christen in ihm, seiner Mutter, die vor des Nachbarn katholischer Magd ausgespuckt, behauptet hatte, die verhexte dem Armen Familie und Gesinde.

Als Gesine nach ihm griff, wich er beiseite, trat ins Zimmer, schickte sich eilig zum Gehen. Und da ihr Antlitz mit weißen Augäpfeln wieder vor ihm erschien, manches Seltsame, das er nicht hatte deuten können, brachte er's mit ihrem verdächtigten Bekenntnis in Zusammenhang, entfloh mehr, als daß er ging.

Doch war ihres Leibes Eindruck schon zu bedeutend gewesen; von Stund an, wo er stand und ging, verließ ihn ihrer Liebkosung Glück nicht mehr.

Den nächsten Urlaubstag verlebte er mit seiner Frau. Schuldbewußtsein hielt ihn an ihrer Seite. Doch vergrößerte er es, kam ihm bei keiner ihrer Bewegungen die entsprechende seiner Geliebten aus dem Sinn. Da er sich abends legte, sie, sich entkleidend, ein Päckchen Wolle aus dem Haarknoten hervorzog und auf den Tisch legte, war Mitleid, das ihn um sie bewegt hatte, hin; er lächelte spöttisch. Ihr Körper, den er beim Schein der Lampe durchs Hemdtuch umrissen sah, erregte Lachlust in ihm. Wie sie mit mageren, nach innen gekrümmten Beinen von einer Tür zur anderen trat, er keine gefällige Linie an ihrem Leib sah, schlug stürmische Scham über sie ihm in die Stirn. Zum erstenmal stand Trotz in ihm auf, aus ihrer Dürftigkeit gewann er große Rechtfertigung für sich. So blieb ihr heute schon wiederholter Vorwurf, die Kameraden im Revier sprächen von einer Zunahme seiner Kurzsichtigkeit, sie aber glaube nur an gesteigerte Teilnahmslosigkeit und Faulheit, so gut wie ungehört. Im Gegenteil trat er am anderen Morgen wuchtiger als sonst beim Barbier ein, hatte unter der Serviette das Gefühl gesteigerter Bedeutung, empfand sein Bild, wie es im Sonnenglanz im Rock von Blau und Silber prangen würde, als körperliche Wohltat. Und wer ihn an dem Tag auf Posten sah, nahm das Gefühl mit, in dem Mann geht Veränderung vor sich. Unablässig trat er auf seiner Insel hin und her, ließ es nicht beim Ins-Auge-Fassen Vorübergehender, doch bewegte sich hilfebringend auf eine geängstigte Frau, ein verwirrtes Kind zu. Hob auch Stimme zum Kommandoton, schob die eingesunkene Brust in die Luft, rührte unablässig weisend, richtend beide Arme. Kurz, war ein froh zugreifender Schutzmann, gab dem Leben an dieser Stelle der Erde ein munter Bewegtes. Wäre es angegangen, hätte er für einen Bettler, der vorbeischlich, in die Tasche gegriffen. So mußte er sich begnügen, für den Hinkenden den gesamten Fahrverkehr zum Stehen zu bringen, ihm einen Übergang über den Straßendamm zu schaffen, wie ihn sonst nur höchste Personen genossen. Der Bettler grinste, winkte mit der Hand einen Gruß, Busekow lachte fröhlich auf. Als Gesine erschien, erhielt seine Haltung Heldisches. Er flog, wippte auf Draht, schlug mit der Linken mächtigen Bogen gegen nahendes Gefährt, der Platz hallte von seiner Stimme. Vor einem passierenden General riß er Hände stramm an die Hosennaht, rührte den Kopf so jugendlich auf, daß die Exzellenz wohlwollend nickte. Von ihr fort sandte er Gesine einen strahlenden Blick, der ihr kündete: Du mein geliebtes, angebetetes Leben!

Er kam wieder zu ihr, und von Mal zu Mal wurden sie mehr eins. Mit gelassenem Behagen gaben sich die Körper dem Gefallen aneinander hin, als sei ihnen gegenseitiges Begehren für alle Zukunft gewiß. Mit immer frischem Appetit setzten sie sich an den Tisch ihrer Sehnsucht, aßen, standen erst leicht gesättigt, das Herz von Dank für den Schöpfer gefüllt, auf. Auch in Gesprächen vermieden sie Grenzen des ihnen Faßbaren, gaben sich nur über tägliches Leben Rechenschaft. Insbesondere drang Gesine in das Wesen seines Dienstes ein. Bald war ihr Reglement und Praxis vertraut, sie erörterten manche Möglichkeiten an Hand eines älteren Rapportbuches, in das er Vorfälle und Schuldige aufgezeichnet, das er ihr zum Geschenk gemacht hatte. Mit scharfem Instinkt griff sie menschlich packende Dinge aus ihm heraus, führte sie, Herz und Überlegung an sie gegeben, aus dem Bereich des Zufälligen zum symbolisch Gültigen auf; füllte ihn mit der Überzeugung, er stehe an seinem Platz mit tausend Fäden ins innerste Menschentum verflochten, gab ihm von seines Amtes Wichtigkeit bedeutendes Bewußtsein. Darüber hinaus suchte sie ihn auf jede Weise von seiner besonderen Eignung für seine Stellung zu überzeugen. Wie ihre Schwestern auf der Straße niemandem Achtung wie ihm zollten, die Kameraden seiner Laufbahn gewiß seien. So daß er, erhoben, süß geschwellt, Säbel und Revolver mitzubringen, sämtliche Griffe und Manöver an ihnen zu zeigen, gelobte.

Er hielt das Versprechen. Unter dem Mantel brachte er beides, und da sie vom Sofa aus zusah, übte er mit so machtvollen Tritten und Ausfällen vor ihr, daß des Zimmers Boden dröhnte, Gläser klirrten, die Gardine flatterte. Ihr aber war der Blick verklärt, und als er mit glänzender Säbelparade zwei Angreifer in die Schrankecke geschlagen hatte, flog sie ihm hingegeben an den Hals. Da hatte Busekow zum erstenmal im Leben das Gefühl seiner Notwendigkeit zur Evidenz.

Das Bewußtsein äußerte sich im Dienst. Mit Sicherheit der Ereignisse Gang voraussehend, griff er auf der Straße in des Geschehens Speichen. Im Revierdienst begann er sachkundig Vorschläge zu machen. Zu wichtiger Frage gab er so einleuchtenden Rat, daß der Polizeileutnant »Dieser Busekow – fabelhaft!« rief.

Und man begann, ihn mit wichtigen Posten zu betrauen. Bei Fürstenbesuchen gehörte er zur Bahnhofsmannschaft. So sah er manch außerordentliche Szene, sein Leben wurde durch Anschauung reicher, er überlegen. Sie hörte, das von ihm Mitgeteilte sinngemäß in sein Dasein zu ordnen, nicht auf.

An Kaisers Geburtstag hatte einer für den anderen wichtige Mitteilung. Er war zum Wachtmeister ernannt. An sein Ohr sinkend, gestand sie Mutterschaft.

Von Erspartem lebend, war sie seit Wochen ihrem Beruf fremd. Da die Überraschungen an den Tag waren, faßten sie sich bei Händen, ließen Glück des Einverständnisses in Blicken sprechen. Dann, über gemeinsam Erlebtes hinausgehend, griff er in ihr Persönliches, forschte nach ihrer Innerlichkeit. Welche Hoffnungen, Entwürfe sie für das Zukünftige bewegten, ob sie es nur mit ihm oder Höherem verknüpft glaubte, wie das Göttliche ihr vorschwebte; kurz, Fragen stellte er, die sie, die Frau, einst angerührt, und da sie seiner Seele Zustand erkannte, schnell verlassen hatte.

Sie aber fröstelnd, leicht erhitzt, bebte in Gliedern über seine Fieber und schwieg. Tiefer drückten sich seine Finger in ihr Fleisch, dringender wurde seine Rede, leichter Schaum erschien auf Lippen. Doch während rote Sonnen in ihrer Stirnhöhle drehten, kam kein Laut Antwort von ihr. Sie ließ ihn sich erschöpfen, diesen Abend ohne Aufschluß gehen.

 

Nun klopfte ihm auf dem Heimweg stürmisch das Herz vor dem Wiedersehn mit seiner Frau. Da seine Manneskraft durch Gesines Eröffnung bewiesen stand, wurde dieses Weibes Hauptbuchseite ihm gegenüber zu einem Blatt der Schuld. Gelogen ihres Daseins Überlegenheit, ins Gegenteil verkehrt. Eine Handvoll Sand war sie; kein Gott machte sie trächtig; er aber, wohin er seinen Finger legte, mußte schaffend sich beweisen.

Prachtvoll großer Haß blies in dem Mann, ließ ihn ein schreitendes Denkmal sein. Wäre sie ihm gegenüber gewesen, wie Föhn hätte Hauch von ihm ihre Eingeweide bloßgefegt, seine zarteste Handlung sie zertrümmert.

Doch starb Erbitterung an ihrer eigenen Kraft und Überzeugung. Da nicht der geringste Einwand gegenüberstand, von seiten des Weibes kein Aber zu denken blieb, war Elisa aus Wirklichkeit, in der sie bis heute durch Kraft eines zu Unrecht vorgetäuschten Zornes gelebt hatte, gelöscht, nur noch Erinnerung von ihr begann zu leben. Je näher Busekow seinem Haus kam, wurden Gefühle der in ihm Hingeschiedenen gegenüber, wie für Tote überhaupt, weicher, und als er das Amen über ihr Leben sprach, erschien ihr Bild, wie sie im Hochzeitskleid, eine Rose auf der Brust, einmal jung in seinen Arm gekommen war, freundliche Erinnerung heischend vor ihm.

Er hob die Hand, winkte einen Abschiedsgruß. Trat bei sich ein, entkleidete sich halbgeschlossenen Auges, legte sich zu ihr, nahm ihrem in ihm vollendeten Abscheiden zu Ehren im Bett die gewohnte Rückenlage ein.

Sie aber empfand, in diesem Mann habe höhere Einsicht gegen sie entschieden, zog unter der Decke das Knie an die Brust und fürchtete sich sehr.

Und ob sie ihrer Schuld klares Bewußtsein verabscheute, mußte sie ihm in dieser Nacht schon in die Augen sehen, wie es kündete, was sie oft aus sich selbst empfunden hatte: In allem Wesentlichen, von Gott Gegebenen und Hinzuerrungenen ihm hintangestellt, wagtest du frecher Stirn eure Ansprüche aneinander derart zu fälschen, daß du betrügerischer Untreue aus seinen Mitteln zu deinen Gunsten schöpftest und es darzustellen wußtest, als bliebe er dir schuldig. Und in Zukunft ward ihr bewußt, wie ihr Verbrechen an ihm größer war, als daß es auf dieser Erde noch getilgt werden konnte.

Immerhin kann dies zu ihrer Entlastung berichtet werden, entschlossen zog sie jede Folge aus der Erkenntnis. Demütigte, unterwarf sich, hörte auf seinen Atemzug als einzigen Laut in der Welt; lag seinem Antlitz in bewundernder, gerührter Unterwürfigkeit nächtens zugewandt. Seine gekrallten Hände aus Bettritzen hochzuziehen, wagte sie ehrfürchtig nicht. Seufzer, Geständnisse, Versprechen, scheue Küsse hauchte sie gegen ihn, doch blieb ihm alles, Leid und Geste, verborgen.

Für ihn – und es kam die Nacht, in der es Elisa begriff war sie nur Kunde von sich selbst. Andenken, Leichenstein.

 

Gesine empfand alsbald, nun sei ihr mit Christof das letzte Heil gekommen. Da er wieder zu ihr trat, war menschlich Befangenes aus seiner Gebärde geschwunden, Gegenstände und sie griff er mit großer Machtvollkommenheit, wußte aus befreiter Natur Allerselbständigstes. Die Stimme fand aus Ecken größeren Widerhall, ihr schlug jedes Wort von ihm durchs Trommelfell an die Herzwand. Da zögerte sie nicht länger, legte sich frei. Entschleierte ihr Gewissen, ließ seinen Blick in innere Kanäle. Er las berauschte Frömmigkeit. Vom Schöpfungstag angefangen lag Gott mit allen Wundern in dieses Weibes Leib. Zu Bildern, die aus ihr strahlten, begannen die Lippen herrliche Gleichnisse zu stammeln. Alle Texte der Schrift hatte sie aufgefangen, mit Blut genährt, lebendig erhalten. Es stiegen Adam und Abraham aus ihr zu ergreifendem Licht. Als sie von Saul und David zu sprechen begann, begriff sie, von Gnade beweht, die männlichste Tragik, und da ihre Stimme pathetisch heulte, trieb es sie beide von der Matratze hoch. Auf Knien zum Fenster gewandt, parallel beieinander hochgerichtet, tranken sie jedes schallende Wort. Ihr waren die Brüste aufgestanden, auf seinen Schenkeln spreizte sich jedes Haar, Brille fiel ihm vom Ohr, hing quer über das lefzende Maul.

Nasse Wärme quoll aus den Körpern, eng hämmerten Atome aneinander, Glieder waren geballt. Gesines Scheitel schien feucht und hell beleuchtet.

Schon hub Christof mit Rede in ihre hinein. Glühende Stahltropfen fielen Silben auf ihre Satzenden. Gebell blieb es mehr, als daß Verständnis zustand kam; doch half es ihr zu voller Ekstase. Rasend schrie das Weib die biblischen Namen, befeuerte so des Geliebten Hingabe, daß ihre Glaubensmacht die Wände der Beschränkung brach, den letzten Sinn alles Geschriebenen bloßlegte.

Wie in starker Musik, im Spiel vermischter Themen der musikalische Leitgedanke nicht verlorengeht, übertönte Davids Name in ihrer Darstellung alle Harmonien des Alten Testaments. Und es gelang Gesine, das Vermächtnis hingegangener Judengenerationen in aufstehender Gestalt als Jesus in Marias Schoß zu pflanzen, daß Christof, von Davids heldischem Reiz befangen, ihr willig in den Kult folgte, den sie um den fleischlichen Leib der Mutter als Erhalterin und Wiedergebärerin erlauchten messianischen Samens exekutierte.

Ihre aufgesperrten Finger hatten sich verflochten. Schädel, Knochen an Knochen sanken gleiches Gebein in die Kissengrube.

In jenen Augenblicken, da sie Marias Begegnung mit Elisabeth erzählte, bei dem Satz: Und es begab sich, als Elisabeth Marias Gruß hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib! – als unter ihnen das Lager rollte, Sausen in Lüften war – brach sie die geflüsterte Rede ab, zog des Mannes Finger auf ihren Bauch, und beide fühlten, siehe – es hüpfte das Kind in ihrem Leib!

Und Blicke flogen auf über das rhythmische Spiel der Glieder, von Himmeln mit Stolz sich anstrahlend, beteuerte jedes und stellte fest das hocheigene Teil, sich selbst zu diesem Wunder. Dann warf es sie Rippe zu Rippe.

Moses, David, Jesus und alle Helden des Buches war Christof in dieser Nacht. Es strömte heroische Männlichkeit von Jahrtausenden aus ihm. Sie nahm hin und schmeichelte ihm hold, daß keine Kraft aus seinen Lenden wich, er hochgemut bis zum Morgen blieb, als sie in leichten Schlummer verzaubert sank. Da riß er sich von ihr, reckte die Brust in den Tag, fand sich ans Klavier. Hingezogen von Gefühlen, suchend, hochreißend aus Erinnerung, drückte er mit einem Finger in die Tasten: Heil dir im Siegerkranz! Und mit Stimme folgend, mächtiger anschwellend, variierte er über beiden Pedalen vom Baß bis in höchsten Diskant – da klang es ihm selig.

Heil dir im Siegerkranz!
Fühl in des Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Heil, Kaiser, dir.

Gesine spürte im Schlaf: So ist's recht, Christof. Wohl, recht – wohl.

Am Abend dieses Tages, man schrieb den fünfzehnten Februar, leitete Busekow vor dem königlichen Theater der Wagen Auffahrt. Aus seinem Glück war er nicht erwacht. Durch Netz von Klang- und Taktreizen, das aus letzter Nacht noch um ihn hing, drang Gegenwart nicht in sein Bewußtsein. Es schüttelte ihn eine liebliche Erinnerung um die andere; auf Fersen hob er sich, seines Körpers Ausmaß zu längern, stammelte vor sich hin. Dann, als Rufen in der Menge scholl, hob Begeisterung ihn zu Wolken. Er weitete, füllte sich, schwebte auf; wollte rechts und links mit sich nehmen, mußte aus einem Jauchzen heraus, das ihn mit Entzücken aufspannte, stürmisch vorwärtsschießen. Man sah, wie er die Arme mit herrlicher Gebärde gen Osten reckte, hörte aus seinem Mund einen siegreichen Schrei – und hob ihn unter dem Automobil herauf, das anfahrend ihn schnell getötet hatte.


 << zurück weiter >>