Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

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115 IX.

Wenn jetzt von der Gründung eines Blattes die Rede ist, so hört man gleichzeitig von den Kapitalien, welche von der Munificenz oder der Unternehmungslust einer Anzahl Nabobs für das einem längstgefühlten Bedürfniß abhelfende Unternehmen zur Verfügung gestellt worden sind. Die Gerüchte melden von einer halben, gentile Berichterstatter berichten von einer ganzen Million. Die Erzählungen klingen dramatisch: Alles sieht mit Spannung dem neuen Blatte entgegen, im Hintergrund stehen noch etliche Millionäre, welche bereit sind, im Nothfall mit noch mehreren Unsummen einzuspringen, die hervorragendsten Journalisten sind für das Unternehmen gewonnen, es entsteht ein Weltblatt, und für eine eigene Druckerei ist schon ein Riesengrundstück in Aussicht genommen. Gewöhnlich kommt das Blatt gar nicht zu Stande, oder es erblickt das Licht des Abonnements in einer so schwachen Beschaffenheit, daß Kenner, die es näher 116 untersuchen, an seinem Aufkommen zweifeln, während die vertrauensseligen Millionäre schon das Wasser, in welches sie ihre Baareinzahlungen werfen, näher und näher rauschen hören. Namentlich in Berlin spielen solche Journalgründungsdramen jährlich mehrmals und stets mit derselben traurigen Schlußscene.

Bei der Gründung der Wespen ging es bedeutend einfacher her.

Als ich endlich, wie ich schon erwähnt habe, zu der Einsicht gekommen war, daß mein Handwerk nicht einmal einen hölzernen Boden hatte und von einem goldenen auch nicht andeutungsweise gesprochen werden konnte, und daß es kaum etwas mehr als die Kosten für die Schreibmaterialien, ganz abgesehen von der Abnutzung der Gehirnmaschine, aufbrachte, da entschloß ich mich in einem höchst leichtsinnigen Moment, mich selbständig zu machen und ein Witzblatt zu gründen. Daß das Widersprüche waren, sah ich erst später ein. Ein Verleger, der das hatte, was ich besaß, und der gleichzeitig auch das hatte, was ich nicht besaß, nämlich Muth und Geld, fand sich nicht, Jeder, dem ich meinen Plan vorlegte, überschüttete mich mit Complimenten und Aufmunterung, war aber »leider in diesem Augenblick derart mit Unternehmungen belastet, daß er mit unendlichem Bedauern verzichten mußte.« Darüber war ich nicht etwa trostlos, denn das hätte mein 117 Temperament unter keiner Bedingung gestattet, aber ich war außer mir darüber, daß es menschenähnliche Geschöpfe gab, denen ich von meinem Plan sagte und die von der Großartigkeit und dem glänzenden Gelingen nicht sofort mindestens annähernd so vollkommen wie ich überzeugt waren. Mein Unternehmen krachte schon in allen Fugen, als mir in der letzten Krachstunde zwei liebenswürdige reiche Freunde, die wohl meine völlige Hilflosigkeit jammerte, unverhofft 400 Thaler als erste Hypothek auf mein Luftschloß zur Verfügung stellten. Wer über eine reiche Phantasie gebietet, kann sich das glänzende, farbenprächtige Bild vorstellen, das mir nunmehr vorschwebte. Mein in die Zukunft gerichteter Blick war geblendet. Kaum vermochte ich die Schaar der herbeiströmenden Abonnenten zu übersehen. Die endlose Front abzuschreiten, war unmöglich. Und dabei betäubte mich der Lärm der Maschine, welche sich die erdenklichste Mühe gab, mit Hülfe der raffinirtesten Technik die Auflage des neuen Witzblattes herzustellen.

Endlich kam ich zu mir. Es war die höchste Zeit. Denn der Sommer ging zu Ende, und am 1. Oktober sollte die erste Nummer meines Blattes erscheinen. Mir fehlten Mitarbeiter, und ich eilte nach Berlin, sie dort zu gewinnen. Die Gewonnenen fragten aber in so unheimlichem Ton nach 118 den Honoraren, daß ich plötzlich das Unzulängliche der mir anvertrauten Summe Ereigniß werden sah und mir sagte, was ich mir eigentlich hätte vor der Entdeckungsfahrt sagen können: ich mußte mein Blatt selbst schreiben. Noch schwieriger war es, Zeichner zu finden. Keines Ansprüche waren so klein, daß ihnen mein Kapital gewachsen gewesen wäre. Nur Einer, mein Freund Julius Raymond de Baux, der Dichter und Maler zugleich war, nahm sich meines abenteuerlichen Unternehmens an und zeichnete mir den Titel des Blattes.

Bevor ich mich für den nicht sonderlich originellen Titel Wespen entschieden hatte, suchte ich David Kalisch auf, der uns Jüngeren als der unerreichte Witzmeister galt. Ich theilte ihm mit, was ich beabsichtigte, und bat ihn um seine Unterstützung, und er unterstützte mich auch sofort durch sein tiefgefühltes Mitleid. Dies that er halb aufrichtig, denn er kannte ja aus eigener Erfahrung die Vatersorgen, die ein neues Witzblatt bereitet, und halb ärgerlich, denn jede Concurrenz war ihm unbequem, und als ich ihm dann sagte, ich suchte noch nach einem passenden Titel für mein Blatt, nach einem recht populären, und ihn ersuchte, mir solchen vorzuschlagen, da schlug er mir einen vor, den ich nicht gebrauchen konnte. O, rief er, einen recht populären Titel suchen Sie? Da kann ich helfen! 119 Dann ging er im Zimmer auf und ab, als überlegte er noch, ob es nicht unvorsichtig sei, mir den werthvollen Titel zu überlassen. Dann sagte er: Die Eimerfrau.

Das war allerdings ein überaus populärer Titel. Damals wenigstens. Mit der Einführung der Canalisation hat er freilich seine Popularität gänzlich verloren.

Ich hatte endlich den schon genannten Verleger der »Reform«, J. F. Richter, zu bewegen gewußt, den Commissionsverlag der Wespen zu übernehmen. Da er nichts riskirte, so faßte er Muth, nachdem ich ihm den Gründungsschatz ausgeliefert hatte. Die Wespen erschienen achtseitig in einem handlichen Oktavformat, und ich hatte nun meine liebe Noth mit ihnen. Das Kapital war mit unglaublicher Geschwindigkeit von dem, was der Verleger Agitation nennt, aufgezehrt. Von solcher Agitation kann man sagen, was Mephistopheles von der Kirche sagt. Als die Probenummern, welche von den Colporteuren gewöhnlich als saubere Makulatur Verwendung finden, gedruckt waren, und einige Inserate, durch welche das neue Blatt sich ankündigte, in der Menge der anderen Inserate unbeachtet sich verkrochen hatten, verwies mich der Verleger auf den Ertrag meines Blattes, der eben hinreichte, die Herstellungskosten zu decken. Das aber verminderte meinen 120 Eifer durchaus nicht, ich schrieb mein Blatt mit einer Begeisterung, die es allein erklärlich machte, daß ich nicht bei jeder Nummer den Muth verlor. Es fehlte mir jede Aufmunterung, jede Aussicht auf Erfolg. Die Bewohner meiner schönen Vaterstadt waren entweder zu theilnahmlos, oder zu vornehm, das demokratische Witzblatt ihres Landsmanns zu beachten. Ich fand dies zwar begreiflich, da ihnen eine gegen die Hamburgische Regierung gerichtete Satire unbequem war, – sie nannten sie naseweis, – und weil sie sich um die außerhamburgischen politischen Fragen wenig bekümmerten, aber ermüdend war doch dieses fortwährende Arbeiten ohne eigentliche Fühlung mit dem Publikum, dieses sich allwöchentlich erneuernde Produciren für einen so ungemein niedlich kleinen Kreis von Lesern, abgesehen von der Trostlosigkeit einer brechend leeren Kasse, die mir immer die Thatsache entgegengähnte, daß ich lediglich für den Drucker und den Papierlieferanten arbeitete. Meinen geringen Lebensetat deckten die Honorare, die mir meine an andere Blätter gelieferten Beiträge brachten. Ich hatte mein Blatt lieb wie ein Vater sein krankes Kind, ich hätte ihm jedes Opfer gebracht. Damals habe ich es gewiß nicht gefühlt, daß ich ihm überhaupt Opfer brachte, daß ich meine Kraft in einer Sisyphosarbeit zersplitterte und aufrieb. Im Gegentheil, ich schien 121 diese unerquickliche Beschäftigung für einen höchst amüsanten und nützlichen Zeitvertreib zu halten. Ich veröffentlichte sogar in der dritten Nummer die folgende, mit einer den Hut höflich ziehenden Wespe geschmückte unverschämt prahlerische Anrede an das verehrte Publikum: »Die Redaction der Wespen sagt den Freunden und Gönnern derselben den herzlichsten Dank für die gegen Erwarten außerordentlich lebhafte Theilnahme, welche ihr Unternehmen als gesichert betrachten läßt. Das Gerücht indeß, als könnten keine Abonnenten mehr eintreten, ist in allen Theilen unbegründet. Die Wespen bitten den Leser deshalb, sich durchaus keinen Zwang anzuthun.«

Aber sie thaten sich Zwang an, und die aufmunternde Dementirung des von mir erdachten Gerüchts rief durchaus keinen Abonnenteneintritt hervor, trotzdem der Preis des Blattes ein so geringer war, daß mir dabei die Worte des Direktors des Harmonietheaters in St. Pauli einfallen, der an Sonntagnachmittagen im Rittercostüm vor seiner primitiven Kunstbude stand, uns gaffenden Jungens die zu erwartende Vorstellung laut schreiend anpries und also schloß: »Erster Platz: zwei, zweiter Platz, fast schäme ich mich, es zu sagen: einen Schilling!« Und ein Exemplar der von Christian Förster illustrirten Wespen kostete einen Schilling. Ein 122 Schilling war ein burleskes Geldstück, von dem vierzig auf einen preußischen Thaler gingen. Es hatte außer seinem geringen Werth allerlei Untugenden, es war schmutzig, es heuchelte Silber, es war so abgegriffen, daß man seine Schrift nicht lesen konnte, und es sah einer verbogenen Karpfenschuppe ähnlicher als einer Münze. Das heutige Zehnpfennigstück ist ein wahrer Aristokrat im Vergleich mit jenem verkommenen Subjekt, das man Schilling nannte. Und einen solchen Schilling hatten nur Wenige für ein Exemplar meines Blattes, welches nach meiner unumstößlichen Meinung so überaus lesenswerth war und selbst mit dem zehnfachen Preis nicht zu theuer bezahlt gewesen wäre. Die Presse Hamburgs nahm von der Existenz der Wespen noch weniger Notiz. Das fehlte noch, daß sie durch freundliche oder feindselige Erwähnung für ein neues Blatt Reklame machte und ihm gar einen Abonnenten zuführte, den sie besser brauchen konnte! Und Gelegenheit, sich mit meinem Blatte zu beschäftigen, gab ich der Presse oft genug. Im wunderschönen Monat Mai 1863 fand ich die erste Beachtung seitens der hochlöblichen Polizei, die mich durch eine Einladung zum Besuch des Criminal-Actuariats auszeichnete. Mit von stolzen Gefühlen beflügelten Schritten betrat ich das gefürchtete Stadthaus auf dem Neuenwall. Als ich den Fuß auf die erste Stufe der steinernen Treppe im Innern des 123 Gebäudes setzte, meinte ich, den Aufstieg zum höchsten Gipfel der journalistischen Macht zu beginnen. Der Untersuchungsrichter hatte keine Ahnung davon, daß ich ihn am liebsten dankbar umarmt hätte, während er mich sehr strenge ansah und ausforschte. Herr von Bismarck, der preußische Ministerpräsident, hatte aus Hamburg einen Brief, den die Berliner Blätter einen Schmäh- und Drohbrief nannten, erhalten, dem der natürlich anonyme Absender zwei Nummern meines Blattes beigelegt hatte. Nun sollte ich sagen, was ich von diesem respektlosen Attentat wüßte. Ich wußte nichts davon. Wirklich nichts. Das wurde nun zu Protokoll genommen, und das Protokoll mußte ich unterschreiben. Ich habe niemals wieder meinen Namen mit mehr Selbstbewußtsein geschrieben. Mir war, als vollzog ich meinen Eintritt in den großen Kampf der Zeit. Bismarck war seit einem halben Jahr Minister und ich also wohl der erste Journalist, den er mit einer preßpolizeilichen Maßregel beehrte. Der große Staatsmann hat ja später noch dann und wann etlichen demokratischen und liberalen Journalisten Gelegenheit gegeben, den Staatsanwalt persönlich kennen zu lernen, keinem aber hat er damit eine so große Freude wie damals mir bereitet. Ich bin ihm dankbar dafür. Als ich das Stadthaus verließ, hätte ich wie der Zwerg, dem man, während er badete, die Kleider enger genäht hatte, ausrufen 124 mögen: »Seht, seht, wie ich gewachsen bin!« Gedacht habe ich es mir ganz gewiß. Nun war ich etwas, oder ich bildete mir doch wenigstens ein, etwas zu bedeuten.

Ich habe später noch oft, häufiger, als mir lieb war, vor Gericht gestanden, aber niemals wieder mit so großem Vergnügen, wie dieses erste Mal.

Preßprozesse waren nicht zu vermeiden, auch nicht durch die größte Vorsicht, deren ich mich allerdings auch nicht befleißigt habe. Und Hamburg genirte ein oppositionelles Blatt nicht im geringsten, wenn es sich vorzugsweise mit außerhamburgischen Angelegenheiten beschäftigte. Da gab es denn im Anfang der sechsziger Jahre allerdings ein unermeßliches Feld für die Sense der Satire. Die Regierungen gaben fortwährend Arbeit, sie waren unpopulär und hatten auch nicht das Bestreben, liberal wenigstens zu scheinen. Preußen allen voran, das noch damit beschäftigt war, die Spuren des 1848er März auszumerzen. Dies änderte sich erst später, nach dem Krieg gegen Dänemark. Hamburg selbst war antipreußisch, und die Behörden kümmerten sich absolut nicht um das, was gegen die preußische Politik und deren Vertreter geschrieben wurde, sie hatten im Gegentheil ihre Freude daran. Heute weiß man kaum noch in wenigen Worten zu erklären, was damals Opposition hieß. Man schlug tapfer drein und wurde auch durch die 125 kleinlichsten Regierungsmaßregeln, durch das philisterhafteste Vorgehen in sämmtlichen deutschen Vaterländern gegen alles, was liberal war, dazu gereizt. Es war das goldene Zeitalter des Witzblattes, dem der Stoff von allen Seiten zuströmte.

Unter diesem Stoff befand sich freilich aus irgend einem entfernten Weltwinkel mancher, der heute kaum zu einer Notiz ausreicht, damals aber die öffentliche Meinung in die größte Aufregung versetzte. In deutschen Landen gab es noch keine großen Staatsaktionen, oder diese spielten sich lediglich in den offiziellen Kreisen ab, von denen das Volk ferngehalten wurde, das sich deshalb um so lebhafter mit den Kleinigkeiten abgab. In Eckernförde war ein Knabe auf Befehl des dänischen Bürgermeisters gezüchtigt worden, und mit dem Knaben schrie die gesammte Presse steinerweichend, und wenn sich in einem bis dahin in stiller Zurückgezogenheit existirenden Landstädtchen ein Polizeidiener einen Uebergriff erlaubt hatte, so trat gegen den unglückseligen Beamten ein Heer von Tages- und Wochenblättern auf, wie heute etwa gegen den Volksschulgesetzentwurf. Dazwischen bildeten der Bundestag und der Kaiser Napoleon unerschütterliche Zielscheiben für die Geschosse der Satire, und ihnen gegenüber bestand das ganze deutsche Volk aus mehr oder weniger unverbesserlichen Nörglern. Erst, als in Preußen der Kampf zwischen Regierung 126 und Volksvertretung entbrannte und sich im Reiche die ersten Wehen der großen Wiedergeburt Deutschlands einstellten, da vertiefte sich die Opposition, das mächtige Streben der Parteien nach der Herrschaft trat lärmend hervor, und die Spielerei des Nörgelns wurde von dem Ernst einer gewaltigen Agitation verdrängt.

Die Staatsanwälte waren rabiat. Sie verstanden keinen Spaß. Die Witzblätter wurden verwarnt, confiscirt und angeklagt. Zum 26. September 1863 lud mich das Königliche Kreisgericht in Perleberg ein. Da man mich in Hamburg nicht zwingen konnte, der Einladung Folge zu leisten, so lehnte ich höflich, aber unstatthaft lustig ab. In einem offenen Brief an das Königliche Kreisgericht, abgedruckt in den Wespen vom 11. September, heißt es u. A.: »Wir kommen nicht – dahinter, was wir in Perleberg machen sollen . . . . Daher erscheinen wir nicht – undankbar, wenn wir uns entschließen, lieber in Hamburg zu bleiben.« In diesem ungeziemenden Ton ging es weiter. Ich wurde verurtheilt. Andere Vorladungen trafen ein, denen ich ebensowenig, denen aber die Verurtheilung folgte, und so hatte ich mir bald fünf Monate Gefängniß gespart. Es war ein billiger Muth, mit dem ich die Urtheile empfing, die von Preußen nicht vollstreckt werden konnten und von Hamburg nicht vollstreckt wurden. Segen der deutschen Uneinigkeit!

127 Die Herren Flaminius, Beyrich und Baehr, welche die erste Perleberger Vorladung unterzeichnet haben, bitte ich nachträglich um Vergebung, wenn ich ihr Dokument so wenig ernst nahm. Es sind nun fast 30 Jahre seitdem verflossen, und die drei Herren haben mir gewiß längst verziehen, wie ich ihnen heute längst verziehen hätte, wenn ich fünf Monate – wahrscheinlich, ohne mich zu bessern – im Gefängniß zugebracht haben würde. Ein ganz kleines Sträfchen habe ich allerdings vier Jahre später als Folge der Perleberger Verurtheilungen einkassirt. Als ich, durch die 1866er Amnestie längst entlastet, im Dezember 1867 nach Berlin übersiedelte, trat gleich nach meiner Ankunft ein kolossaler Schutzmann bei mir ein, der mir zwar sehr freundlich einen guten Morgen wünschte, aber gleich hinzufügte, daß er komme, mich zu verhaften. »Sie haben fünf Monate abzumachen«, sagte er mit trockenem Amtston. »Aber ich bin doch amnestirt«, entgegnete ich. »Wo ist Ihr Amnestiedekret?« fragte er. Das hatte ich nicht mitgebracht. »Also sputen Sie sich«, ermunterte mich der Schutzmann. Während ich mich sputete, bot ich dem Abgeordneten des Molkenmarkts eine Cigarre an, die er mit der Bemerkung ablehnte, das sei ein Bestechungsversuch, woran ich sah, daß er meine Cigarre überschätzte, denn dieselbe hatte wirklich nichts Bestechendes.

128 Nun fuhren wir nach der Bastille auf dem Molkenmarkt. Unterwegs berechnete ich, wie viel von den fünf Monaten ich wohl absitzen würde, bis das Amnestiedekret aus Hamburg eingetroffen sein könne. Aber ich hatte meine Rechnung ohne den liebenswürdigen Polizeirichter gemacht, der mich nach etwa zweistündigem Warten zwischen den Passagieren des grünen Wagens mit der Frage empfing: »Was wollen denn Sie hier?« Ich erzählte ihm, wie ich nach dem Molkenmarkt gekommen sei. »Aber Sie müssen ja amnestirt sein« rief er, »machen Sie, daß Sie fortkommen.« Ich empfahl mich und verschwand, ganz befriedigt von dem »Tropfen Fegefeuer«. Dann ließ ich mir schleunigst das Amnestiedekret kommen. Man konnte doch nicht wissen.

Die verschiedenen Plackereien, welche mir mein Blatt einbrachte, waren nicht im Stande, mich zu entmuthigen. Sie entschädigten mich im Gegentheil für so viel erfolgloses Arbeiten und machten mich auch weit über Hamburg hinaus bekannt, obschon das meinem Blatt nicht viel nützte, da es fast überall wegen seiner demokratischen Haltung verboten war. Dadurch war jedes Flüggewerden der Wespen unmöglich geworden. Was aber jeden Andern wahrscheinlich zur Verzweiflung gebracht hätte, konnte meinem unzerstörbaren Optimismus nicht beikommen, und anstatt dem Rath wohlmeinender Freunde, das 129 aussichtslose Weiterarbeiten aufzugeben, zu folgen, vergrößerte ich mein Blatt, indem ich es, auf den größeren Theil seines ohnehin so kargen Ertrages verzichtend, vom Juli 1862 an zum Quartformat erweiterte und ihm noch eine Beilage anfügte. Das war Heroismus und Leichtsinn zugleich, nur meinen Berufsgenossen erklärlich, welche wissen, mit welcher Liebe und Zähigkeit der Journalist an einem Blatte hängt, das er geschaffen hat, oder schaffen half, an dessen Zukunft er glaubt und für das er schon aus diesem Grund jedes Opfer zu bringen und jede Entbehrung zu tragen freudig entschlossen ist. Was ein Journalist für ein literarisches Unternehmen zu thun vermag, das wird selbst der reichste Verleger nicht für ein solches thun. Diese Unverzagtheit, dieses Festhalten, dieses muthvolle Vorwärtsstreben und diese Anspruchslosigkeit könnten den Arbeitern aus allen Schaffensgebieten ein Vorbild ein. Aber wer kümmert sich um die Arbeit und die Lage des »Zeitungsschreibers«? Das Publikum weiß nichts davon und glaubt schon sehr viel zu thun, wenn es dann und wann ein Blatt kauft, oder es sich vom Kellner bringen läßt. Und er ist gegen »sein« Blatt ungemein anspruchsvoll und streng. Es soll ihm aus der Seele sprechen und ihm das Wort vom Munde nehmen, andernfalls taugt das Blatt nicht viel. Namentlich hat ein Witzblatt keine dankbare Aufgabe 130 zu lösen. Es will in einer gewissen Stimmung gelesen sein, und ist im Leser diese Stimmung zufällig nicht vorhanden, so macht der Leser es für das Fehlen dieser Stimmung verantwortlich. Dann heißt es, das Witzblatt sei matt und schon seit längerer Zeit nicht mehr das, was es gewesen. Zu dem Vorwurf, langweilig zu sein, kommt ein Witzblatt, es weiß nicht, wie. Der geehrte Leser ist ein Tyrann.

Als ich mit meinen fünf Jahre alten Wespen Hamburg verließ, hatte ich es auf ein wöchentliches Honorar von acht Thalern gebracht, für welches ich das Manuscript des Blattes zu liefern und auch die Redactionskosten zu bestreiten hatte.

Und ich war seit einiger Zeit glücklicher Gatte und Vater.

Aus Hamburg habe ich noch Manches zu erzählen.


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