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Herrn Wippchen in Bernau.
Wir bedauern, daß Sie und wir durch Ihre Anfrage, ob Sie uns über die Ereignisse in Bulgarien berichten sollten, Zeit verloren haben. Natürlich sind uns Ihre Berichte überaus willkommen, aber weshalb fragten Sie erst an? Wir können doch unmöglich ohne bulgarische Berichte sein, wenn dort, wie jetzt eben, so Wichtiges sich begiebt. Wir bitten Sie also, sich zu beeilen, denn Alles entscheidet sich mit unheimlicher Geschwindigkeit, und wir müssen das Nachhinken sorgfältig vermeiden.
Daß Sie so wenig von Bulgarien wissen, bedauern wir sehr. Ein Zeitungsberichterstatter 129 sollte doch mit den politischen Verhältnissen der Staaten, aus denen er die Lesewelt belehren will, wenigstens oberflächlich vertraut sein. Wir senden Ihnen mit diesen Zeilen einige Zeitungsausschnitte, in denen Sie das Allernothwendigste finden werden. Denn, wenn Sie uns fragen: »Wo liegt denn dies Battenberg?« und »Was geht denn eigentlich den Fürsten von Battenberg das bulgarische Attentat an?« so sehen wir zu unserer Ueberraschung ein, daß Ihnen Bulgarien allerdings unverantwortlich fern liegt.
Wir erwarten Ihren Bericht
ergebenst
Die Redaktion.
* * *
Bernau, den 31. August 1886.
Ruhig Blut ist ein ganz besonderer Saft, mußte ich mit Mephistopheles ausrufen, als ich Ihre geschätzten Zeilen erbrach, in denen Sie es mir krumm wie einen Türkensäbel nahmen, daß ich Ihnen durch meine Anfrage Zeit verloren habe. Ich konnte ja doch nicht wissen, daß Sie das bulgarische Ereigniß für einen Punkt erster Schwärze am 130 politischen Horizont halten, und daß jedes Zögern der Berichterstattung Sie cause célèbre-leidend machen würde. Ich hatte allerdings in Bulgarien nicht die Saat, welche von einem alles übersteigenden Drachen gesäet worden war, erblickt, ich sah und sehe auch noch jetzt nichts weiter darin, als das Wasser, zu welchem den Russen eine ihrer Intriguen geworden ist, oder den Kuchen, welcher ihnen höhnend zugerufen wurde, als sie dachten, das bulgarische Volk würde ihnen ein Ohr leihen, um sich von ihnen über dasselbe hauen zu lassen. Ich aber hatte meine Feder bisher ausschließlich in große Blutbäder getaucht, und nur, wenn die Bomben ringender Armeen wie Geister aufeinanderplatzten und die eisernsten Würfel geschmiedet wurden, so lange sie glühten, mein Tintenfaß geöffnet. Nichts dergleichen hatte sich in Bulgarien ereignet. Verräther waren vorderrücks in das Palais gedrungen und zwangen den im Nachtpurpur aus dem Morpheus springenden Fürsten, den Thron vom Haupte zu nehmen und das Land zu verlassen. Eine Schurkerei, die einem die Gänsehaut zu Berge sträubt, und die um so größer ist, als die bulgarische Nation nur die Hände dieser Misseattenthäter aufzuweisen hat, auf denen der Fürst Alexander nicht getragen wurde. Alexander konnte sein Haupt wie Eberhard mitsammt dem Bart jedem seiner Unterthanen in den Schooß legen, und das ist doch gewiß, wie der Franzose sagt, une bonne chose. Aber geschehen war doch in Sofia eigentlich nichts, was meine Feder reizen konnte: kein 131 Schwert wurde – verzeihen Sie das harte Wort! – entblößt, kein einziger Sturm wurde geläutet, kein Schuß fiel in die Wagschale, keine Schaar mützelte, und kein Haufen wurde über denselben gerannt. Es vollzog sich alles so glatt wie ein Aal durch die Milch. Deshalb hielt ich es für meine Pflicht, erst bei Ihnen anzufragen, ob ich zur Feder greifen sollte, oder umgekehrt.
Einliegend das ganze Attentat.
Wenn von demselben die Rede ist, so höre ich immer von der Macht des Rubels sprechen, vor der in Rußland jedes Knie den Staub küsse. Man sagt, dem Rubel leisten Ehre, Eid, Treue und Ehrlichkeit nur Hin- und Widerstand, es gäbe kaum einen Kürzeren, den nicht Jeder vor dem Rubel zöge. Da bin ich doch so neugierig, daß ich Sie um einen Vorschuß von 25 Rubeln zum Course von 196,65 bitten muß. Ich will sehen, ob der Rubel wirklich eine solche Pfeffermünze ist.
* * *
Sofia, den 28. August 1886.
W. Ich hatte Glück. Die Sommerfrische in vollen Zügen der österreichischen Südbahnen einsaugend, auf allen Stationen nichts weiter als höchstens Halt machend und mein Wanderstabswerk mit reizenden Eindrücken füllend, aus dem mit ewigen Pic bedeckten Schnee der Bergriesen meine Zeit angeseilt lustmordend, oder in den lieblichen Thälern 132 das frische Heu einathmend, traf mich plötzlich wie aus heiteren Wolken der elektrische Funken von dem in Bulgarien wüthenden historischen Ereigniß. Ich besann mich nicht lange, das Dampfroß war gesattelt, und ich eilte in die Hauptstadt des Fürsten Alexander, der, eben noch Landesvater, jetzt kinderlos in der Welt umherirrte.
Noch war die provisorische Regierung an der Spitze: Zankoff, Radauloff, Katzenkoff, Klumpatschoff und Nuaberraußoff. Noch war den Betrügern nicht die eine Decke vom Gesicht gerissen, unter der sie mit Rußland spielten. Noch wirkte der Rubel, denn als ich auf der Straße den Metropoliten Hautihmoff fragte, was die Uhr sei, zählte er mir 10 Rubel 35 Kopeken in die Hand, wodurch er ausdrücken wollte, daß es 5 Minuten nach ½11 sei. Ich war außer meiner Wenigkeit und warf ihm entrüstet die Auskunft vor die Füße, worauf er das Weite ergriff Aber kaum zehn Schritte von mir entfernt, wurde er von einem Eingeborenen gefragt, wo Rempeloff, der russische Konsularverweser, wohne, und er gab dem Frager 69 Kopeken und sagte dazu: Dies ist die Nummer in dieser Straße, wo er wohnt. Der Andere dankte und sagte, nun wolle er auch treu zu Rußland halten.
Unter den Leitern der Emeute ist nicht ein einziger Hold, jeder ist durch und durch Unhold. Außer den Obigen nenne ich noch den Major Spektakuloff, den Chef der Milizen, Rüpeloff und den Kommandanten der Garnison Rebelloff.
133 Kaum aber vergoldete krähend der Hahn am dritten Morgen nach dem Attentat die Zinnen Sofias, so wendete sich das Blatt, in welchem sich die neue Regierung proklamirt hatte. Dem Volk ging das Licht auf, hinter welches es geführt worden war, es fühlte, daß dem Fürsten seiner Wahl – ich möchte denselben jetzt Wahlexander nennen – himmel- und höllenschreiendes Unrecht angethan, daß er unter den Hammer russischer Ränkeschmiede gerathen war. Sofia erhob sich wie Ein Mann und schleppte die elenden Zankoffiten nach Nummer Sicher. Aehnlich ging es in allen anderen Städten des wie aus einem bösen Morpheus erwachenden Landes. Ueberall zog das Volk durch die Straßen, rief »Niech zyje!« (sprich: Niech zyje!) und nirgends war ein Häuschen, aus welchem die Bevölkerung nicht gewesen und das Abends nicht illuminirt worden wäre. Hätte sich das Volk einige Tage früher so benommen, ich gebe meinen Kopf und Kragen zum Pfande, Niemand hätte gewagt, mit dem Fürsten anders als mit geschlossenem Munde zu sprechen, aus Furcht, in den Verdacht zu kommen, ihm die Zähne zeigen zu wollen. Aber die Schurken haben den Fürsten über- und überrumpelt und setzten ihm den rothen Hahn ihrer Pistolen auf die Brust. Sie sehen jetzt ihrer Nemesis entgegen.
Zu bedauern ist nur, daß der Fürst kein Nabobionär ist. Hätte er die Verschwörer mehr als Rußland verrubeln können, so hätten sie ihm die Hand geküßt, statt sie an ihn 134 zu legen, er konnte nicht concurriren, nicht so mit den Zard'ors um sich werfen, und so mußte er denn froh sein, mit dem blauen Leben davonzukommen.
Man sucht ihn überall – wie merkwürdig! Man sucht den Alexander mit der Diogeneslaterne. Noch fehlt jede Spur von seinen Erdentagen, welche nicht in Aeonen untergehen wird.
(Telegramm.)
Der Fürst hat sich wiedergefunden, eben hält er unter dem Geschrei des Volkes: »Er lebe hoch! Eins, zwei, drei, heureka!« und mit klingendem Spiel (oder wenn man will: mit klingendem Ernst) den Einzug in die Hauptstadt. Seine Heimkehr von Lemberg aus bildete einen Triumphzug, und so schlug nicht, wie es ihm zugedacht war, sein letztes, sondern eigentlich sein erstes Stündlein. Alle Stationen waren mit Ovationen bedeckt, überall fuhr sein mit der Menge bespannter Wagen über blumenbestreute Straßen, und wenig fehlte, so hätte man auch die Segel seiner Yacht, mit der er von Rustschuk nach Sistowo fuhr, künstlich gebläht. In dem Augenblick, wo er die Hauptstadt betrat, blieb keine Glocke ungeläutet, keine Trommel ungerührt, keine Kanone ungedonnert, keine Fanfare ungeschmettert. Wohl selten ist ein Herrscher so enthusiastisch bei offener Scene gerufen worden wie dieser, der von einer Bande Rubellen dem Untergang geweiht schien.
135 Der Jubel des Volkes ist ein so ununterbrochener, daß er kaum jeder Beschreibung zu spotten vermag. Der Fürst ist ernst. Er hat einen furchtbaren Gegner vor sich, und wer weiß, wie lange dieser Lust hat, an den Brüchen zu leiden, in welche seine Pläne gegangen sind!
(Telegramm.)
Wer nicht auf den Kopf gefallen ist, wird ihn sich vergeblich über das zerbrechen, was vorgefallen ist. Wer mir gestern gesagt hätte, was heute geschehen ist, den würde ich reif für das Irrenhaus abgeschüttelt haben, einen solchen Propheten hätte ich für würdig gehalten, in seinem Vaterlande nichts zu gelten. Der Wirth, ohne welchen wir Alle die Rechnung gemacht haben, ist einer der überraschendsten in der ganzen bulgarischen Affaire.
Ich komme vom Schloß. Es ist brechend leer. Der Fürst Alexander hat den Purpur niedergelegt und seinen Laren und Penaten in Jugenheim telegraphirt, daß er zu ihnen heimkehre. Um das Land vor einem Zwischenakt der Gewalt Rußlands zu bewahren, hat er nicht die Attentäter, sondern den Purpur an den Nagel gehängt und dem Thron den ungebeugten Rücken gekehrt.
In diesem Augenblick trägt ihn das Dampfroß in gestrecktem Lauf nach Deutschland, aber noch ist kein Auge 136 thränenleer, noch donnern die Abschiedssalven, noch schwören ihm die Bulgaren die ewigste Treue. Was die dankbaren Bewohner Sofia's ihrem tapferen Fürsten geben konnten, das gaben sie ihm: das Geleite.
Die Verschwörung hat gesiegt. Der russische Rubel triumphirt. Baar Geld lacht sich in's Fäustchen.
Ich bleibe noch hier. Jeder folgende Tag kann der Vorabend großer Ereignisse werden. Wählt die Sobranje den Fürsten wieder auf den Thron, so bedarf es nur eines Pulverfasses, und der Funken fällt hinein.
Warten wir das Weitere ab. Ich werde mich nicht auf's Ohr, wohl aber auf die Lauer legen und den Lesern getreulich über alle Loose, welche noch im Zeitenschooße ruhen, Bericht erstatten. Lassen Sie mich heute mit dem Wunsche schließen, daß dem edlen Fürsten von Bulgarien sein Jugenheim leicht werde.