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Herrn Wippchen in Bernau.
Wir kommen soeben in Besitz Ihrer freundlichen Zuschrift, in welcher Sie einige Fragen an uns richten, nach deren Beantwortung Sie sich sofort an einen erschöpfenden Bericht machen wollen. Indem wir uns beeilen, Ihrem Wunsche zu entsprechen, ersuchen wir Sie zugleich, von der Absicht, uns einen Bericht von den Karolinen zu schicken, vorläufig abzusehen, dagegen uns einen solchen aus der spanischen Hauptstadt zu senden. Vorläufig interessirt sich das deutsche Publikum doch mehr für die Ereignisse in Madrid, als für das Schicksal der genannten Inselgruppe, an deren Besitz, wenigstens vorläufig, Deutschland noch wenig gelegen scheint. Das Treiben der 2 Madrider dagegen ist ein sehr lustiges und wird Ihnen einen dankbaren Stoff darbieten.
Ihre Fragen sind rasch beantwortet.
1. Die Karolinen sind Inseln. Wir nehmen Ihre Frage für ernst, weil Sie fortwährend von den Damen sprechen, welche Fürst Bismarck den Spaniern abspenstig zu machen suche. Das wäre jedenfalls eine höchst komische politische Aktion.
2. Die Nachricht, Spanien habe die Durchbohrung der Pyrenäen begonnen, um seine Armee hindurchzuführen und Deutschland anzugreifen, hat Ihnen unbedingt Jemand zum Scherz aufgebunden. Deutschland grenzt bekanntlich nicht an Spanien, und der Bau eines Tunnels würde viele Jahre dauern.
3. Don Quixote ist ein Phantasiegebilde, und sein Dichter hat auch nicht erzählt, daß der Herr Ritter einen preußischen Orden besessen hat. Sie können also unmöglich erzählen, daß Don Quixote einen Orden an Preußen zurückschickte.
4. Das Nachtlager von Granada ist bekanntlich der Titel einer Oper, und Sie können 3 dasselbe also nicht als Bivouak einer spanischen Heeresabtheilung auffassen wollen.
In Erwartung Ihres Berichts grüßt Sie
ergebenst
Die Redaktion.
* * *
Bernau, den 24. September 1885.
Recht sehr bedaure ich, daß Sie keinen Bericht von den Karolinen haben wollen, besonders jetzt, wo ich weiß, daß sie keine Damen, sondern Inseln sind. Ich ahnte dergleichen schon, als ich las, daß unsere Schiffe an eine der Karolinen herangefahren waren und eine drohende Haltung angenommen hatten. Da ging mir sofort eine Lunte auf. Wie gesagt, es thut mir in der tiefsten Feder leid, denn von diesen fernen Inseln aus, welche diesen Augenblick als ebensoviele Zankäpfel nördlich vom Aequator aus dem Meere tauchten, konnte ich schreiben, was mir die Zügel, die ich meiner Phantasie überließ, eingaben. Wer konnte mich eines X zeihen, welches ich dem Leser für ein U vorgemacht haben würde, wer konnte mir eine Ente auf den Kopf zusagen, oder den Fingern, aus denen ich mir was gesogen, hinter die Schliche kommen? Irgend ein anderer Berichterstatter gewiß nicht, denn eine Krähe schneidet der anderen die Augen nicht aus, das ist eine 4 oft bewährte Wahrheit, und das Publikum weiß meines Wissens von den Karolinen nicht mehr, als der Hund auf einem hohlen Zahn davonträgt. Weder die Deutschen, noch die Spanier ließen sich um die Karolinen ein graues Härchen krümmen, kaum wußte Jemand, wo diese Eiländchen lagen, und Mancher mußte erst dem Atlas in die Karten kucken, um das Meer festzustellen, dessen Wellen diese allgemein unbekannte Inselgruppe umrauschten. Das spanische Volk konnte nicht einmal sagen, wer denn eigentlich die Beati waren, welche auf das Possidentes der Karolinen einen Anspruch erheben durften. Erst als das Tapet, auf welches diese Inseln gebracht waren, in die Oeffentlichkeit drang, da behaupteten sie plötzlich, Bismarck habe den rothen Hahn gespannt, um ihnen das Dach in Brand zu schießen, und sanken vor Schreck von einer Gänsehaut in die andere, ohne zu bedenken, daß sie sich den Wagehals brechen konnten. Von den Karolinen also durfte mir das Blaue vom Himmel einfallen, Niemand hätte es gemerkt. Anders ist es mit Madrid. Madrid ist uns durch hundert Drähte nahgerückt, täglich speit das Dampfroß tausende von Briefen in unser Publikum, und schon am Abend wird die am Morgen verbreitete falsche Nachricht von dem Widerruf eingeholt, da nach einem bekannten Spruch Enten kurze Beine haben. Wirklich glaubwürdige Nachrichten lassen sich also nur mit Hängen und Würgen aus dem Aermel schütteln. Kurz, ein Brief aus Madrid ist – verzeihen Sie das harte Wort – kein Spaß.
5 Doch sende ich Ihnen einen solchen, weil Sie in Verlegenheit sind. Aber die Noblesse oblige verlangt, Ihnen mit derselben Offenheit zu gestehen, daß ich gleichfalls, wenn auch nicht in tausend, so doch in fünfhundert – in Ziffern: 500 – Aengsten bin. Soll ich höchstens in 200 Aengsten sein, so senden Sie mir einen Vorschuß von 50 Mark. Jedes Markstück bedeutet nach meiner Berechnung 6 Aengste.
* * *
Madrid, den 25. September 1885.
W. Wie hat sich das schöne gemüthliche Madrid verändert! Seine Bewohner, die so tapfer die Castagnetten zu schlagen verstehen, bilden sich plötzlich ein, daß sie auch die deutschen Armeen schlagen können. Welch ein Lärm in den sonst so belebten Straßen! Die ältesten Militärs, welche seit ihrer frühesten Jugend sich keines Feindes erinnern, den sie in wilde Flucht auflösten, reißen die ihnen dafür aus Deutschland verliehenen Orden von der gepreßten Brust und senden sie unfrankirt zurück. In gewissen Stadttheilen verlangt das Volk nach Waffen und schwört, wenn man sie ihm nähme, bis zum letzten Zahn beißen oder mit den Hinterbeinen stoßen zu wollen. Umsonst sieht man sich nach den schönen Tagen selbst in dem reizenden Aranjuez (sprich: Aranjuez) um. Sogar die reizenden Damen sind Torquemädchen geworden und schleppen die deutschen Consulatsschilder und Fahnen auf die Autodafés, zünden dieselben an und übergeben sie dem 6 Aschentode. Unaufhörlich hört man die Wacht am Manzanares ertönen. Aus den Provinzialstädten treffen die bedenklichsten Nachrichten ein: eben verlautet aus Sevilla, der dortige bekannte Barbier habe erklärt, nicht um Millionen Pesos den deutschen Hofraseurtitel annehmen zu wollen. Aus Zalamea meldet man, der dort amtirende Richter wolle sich pensioniren lassen, wenn der König nicht seine preußische Ulanenuniform in eine spanische umarbeiten lasse. Und Preciosa zigeunert in den Dörfern umher und sammelt mit ihrem Tambourin Beiträge für ein Panzerschiff, während Don Pedro ein Donnerwetter über den anderen Parapluie flucht und dadurch die dumme Landbevölkerung zu Ausschreitungen der schlimmsten Art aufreizt.
Schlaflos erwachte ich diesen Morgen. Während der ganzen Nacht schien Madrid kein Stündchen Morpheus gesucht zu haben, fortwährend zogen Volksmassen mit Guitarren, Zithern und Zagen durch die Straßen und schwuren Rache. Vor den Häusern der Generäle, welche ihre preußischen Orden zurückgeschickt hatten, machten sie Halt oder ähnlichen Lärm und sangen das Lied Leporello's: »Keine Ruh' bei Tag und Nacht«, oder das Ständchen Don Juan's: »Horch auf den Klang der Zither und öffne mir das Gitter«! Dann zogen sie weiter, wie der Hirsch nach Berlin schreiend. Und wahrlich nicht nur der Pöbel. Auch die Dons aus den besten Familien streckten alle quatre épingles von sich und betheiligten sich an dem wüsten Halloh. Erst als die Hähne die Kuppeln 7 des Escurial mit goldenen Strahlen übergossen, entstand eine kurze Pause. Um 9 Uhr aber zogen wieder Haufen von spanischen Pfeffer-, Reiter-, Wände-, Rohr-, Fliegen- und Bittern-Händlern durch die Gassen und verlangten, in den Krieg gegen Deutschland geführt zu werden. Fragt man sie aber, wo Deutschland liegt, so wissen sie es nicht und zucken mit den ignoranten Achseln.
Gestern Abend fand im Hoftheater eine große Demonstration statt. Man gab den Egmont, und als dieser zu Klärchen die Worte sagte: »Ich versprach Dir einmal spanisch vorzukommen«, da brach das Haus in donnernde Appläuse aus, die Stierfechter schwenkten ihre rothen Mäntel, die Donnen schlugen mit ihren Castagnetten um sich, Egmont mußte seine Worte wohl zehnmal oder noch seltener wiederholen, und das Orchester stimmte die neue National-Hymne an:
»Sie sollen sie nicht haben,
Die Karolinen, nein,
Ob sie wie gier'ge Raben
Sich heiser danach schrein.«
Man sieht, das Volk befindet sich halb im Delirium, halb im Tremens. Ich bin aber überzeugt, daß dieser Zustand nicht lange dauert. Der Charakter der Spanier ist wie das Aprilwetter, der Phoebus folgt der Post nubila auf dem Fuße, oder umgekehrt.
Nächstens nichtsdestoweniger mehr.