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Eine Südsee-Hochzeit

Ich sah die Insel zuerst zwischen Nacht und Morgen. Der Mond stand im Westen, im Niedergehen begriffen, aber noch breit und hell. Im Osten zwischen unserm Schiff vor der Dämmerung, die ganz rosenrot war, funkelte der Morgenstern wie ein Diamant. Die Landbrise wehte in unsere Gesichter und roch kräftig nach wilden Linden und Vanille. Noch andere Dinge waren da zu bemerken, aber dies waren die einfachsten; und in der Kühle mußte ich niesen. Nun muß ich Ihnen wohl sagen, daß ich jahrelang auf einer der Niedrigen Inseln nahe am Äquator gelebt hatte, die meiste Zeit ganz einsam unter Eingeborenen. Hier stand mir nun eine frische Erfahrung bevor: Sogar die Sprache würde mir fremd sein; und der Anblick dieser Wälder und Berge erfrischte mir das Blut.

Der Kapitän blies die Lampe im Kompaßhaus aus und sagte:

»Da! Da, wo der feine Rauch hinter der Lücke im Riff aufsteigt, Herr Wiltshire – das ist Falesa, wo Ihre Station ist, das letzte Dorf nach Osten zu. Windwärts wohnt dann keiner mehr – ich weiß nicht, warum. Nehmen Sie mein Glas, und Sie können die Häuser unterscheiden.«

Ich nahm das Fernglas, und die Küste sprang näher heran, und ich sah das Baumdickicht der Wälder und die Lücke in der Brandung, und die braunen Dächer und die schwarzen Türöffnungen von Häusern lugten unter den Bäumen hervor.

»Sehen Sie das bißchen Weiß da vorn, da nach Osten zu?« fuhr der Kapitän fort. »Das ist Ihr Haus, aus Korallen erbaut, auf Pfosten hoch über dem Boden; eine Veranda so breit, daß drei Menschen nebeneinander gehen können; die beste Station im ganzen südlichen Pazifik. Als der alte Adams sie sah, kriegte er meine Hand zu fassen und schüttelte sie. ›Da hab' ich mal was Nettes erwischt‹, sagt er. – ›Das haben Sie‹, sage ich, ›und hohe Zeit war's!‹ Der arme Johnny! Hab' ihn nie wiedergesehen als bloß noch ein einziges Mal, und da sang er in einem anderen Ton – konnte nicht mit den Eingeborenen fertig werden oder mit den Weißen, oder was es sonst war; und als wir das nächste Mal vorbeikamen, da war er tot und begraben. Setzte ihm eine Tafel aufs Grab und schrieb darauf: ›John Adams, obiit 1868. Gehe hin und tue desgleichen‹ Tat mir leid um den Mann. Hatte niemals viel an Johnny auszusetzen.«

»Woran starb er?« fragte ich.

»Irgend so 'ne Krankheit«, sagte der Kapitän, »packte ihn, scheint's, ganz plötzlich. Scheint, er stand in der Nacht auf und füllte sich Schmerzstiller und Kennedys Wunderbalsam in den Leib. Nützte nichts: dem half kein Kennedy mehr. Dann hatte er versucht, eine Kiste mit Gin aufzumachen. Ging auch nicht: nicht stark genug. Dann mußte er hinausgelaufen sein auf die Veranda und über das Geländer gepurzelt sein. Als sie ihn am nächsten Morgen fanden, war er reinweg verrückt – quasselte die ganze Zeit von irgendeinem, der ihm seine Kopra wässerte. Armer John!«

»Glaubte man, die Insel sei dran schuld?« fragte ich.

»Hm – man dachte, es sei die Insel oder seine Sorgen oder sonst was. Nach allem, was ich sonst gehört hatte, war es immer ein gesunder Aufenthalt. Ihrem letzten Mann hier, Vigours, hatte niemals ein Haar weh getan. Der ging weg wegen dem Strand – sagte, er hätte Angst vorm Schwarzen Jack und vor Case und Pfeifer-Jimmie, der dazumal noch lebte, aber später versoff, als er besoffen war. Na, der alte Kapitän Randall, der ist ja seit achtzehnhundertvierzig-fünfundvierzig hier gewesen. Habe nie bemerkt, daß Billy viel fehlte, hat sich auch nicht viel geändert. Sieht aus, wie wenn er so alt werden könnte wie Methusalem. Nee – ich denke, gesund ist die Insel.«

»Da kommt ein Boot 'ran«, sagte ich, »scheint ein nettes Boot zu sein; so 'n Segelboot von sechzehn Fuß; auf der Steuerbank zwei Weiße.«

»Das ist das Boot, womit Pfeifer-Jimmie ersoff!« rief der Kapitän. »Geben Sie mal das Glas her! Jawohl, das ist Case und der Nigger. Sie haben einen galgenmäßig schlechten Ruf, aber Sie wissen ja, was am Strand geklatscht wird. Ich glaube, Pfeifer-Jimmie war der schlimmste von der Bande; na, und der ist nun auch im Himmel. Was wollen Sie wetten – die sind auf Gin aus? Ich wette fünf gegen zwei, sie nehmen sechs Kisten.«

Als die beiden Händler an Bord kamen, gefielen sie mir sofort alle beide, oder besser gesagt: gut aussehend fand ich sie beide und hören tat ich den einen gern. Ich war ganz krank vor Sehnsucht nach weißen Nachbarn, nachdem ich meine vier Jahre unter dem Äquator abgemacht hatte, die ich immer als Gefängnisjahre rechnete: immerzu unter Tabu kommen und dann nach dem Beratungshaus gehen und sehen, daß es wieder von mir abgenommen wurde; Gin kaufen und mich lustig machen und dann einen Katzenjammer haben und bereuen; nachts zu Hause sitzen und bloß meine Lampe, mit der ich mir was erzählen konnte; oder am Strand 'rumlaufen und mich über mich selbst wundern, was für ein Narr ich war, daß ich da blieb. Andere Weiße waren nicht auf meiner Insel, und wenn ich nach der nächsten hinübersegelte, war die Gesellschaft da eine rüde Bande. Na, da war's denn wirklich eine Lust, diese beiden zu sehen, als sie an Bord kamen. Der eine war ja allerdings ein Neger; aber sie waren beide höllisch flott angezogen, in gestreiften Pyjamas und Strohhüten, und Case hätte in einer Großstadt für ein Muster von Eleganz gegolten. Er war gelb im Gesicht und nur klein, hatte eine Habichtsnase, blaßgraue Augen, und den Bart hatte er mit der Schere gestutzt. Kein Mensch wußte, woher er war, bloß, daß er von Kind auf Englisch sprach, und soviel war klar: Er war aus guter Familie und glänzend erzogen. Auch sonst war er gebildet, spielte großartig Handharmonika, und gab man ihm ein Stück Bindfaden oder einen Pfropfen oder ein Spiel Karten, so konnte er Kunststücke machen wie ein gelernter Taschenspieler. Sprechen konnte er, wenn er wollte, wie im feinsten Salon. Und wenn er wollte, konnte er schlimmer fluchen als ein Yankee-Bootsmann; und plappern konnte er, daß einem Kanaken schlecht dabei werden konnte. Wie er dachte, daß es sich für den Augenblick gerade am besten paßte, so ging dem Case das Mundwerk, und dabei kam es immer ganz natürlich heraus und stand ihm, wie wenn's ihm angeboren wäre. Mut hatte er wie 'n Löwe und schlau war er wie 'ne Ratte; und wenn er heute nicht in der Hölle ist, dann gibt's keinen solchen Ort. Ich weiß bloß ein Gutes an dem Mann: Er hatte sein Weib lieb und war freundlich zu ihr. Sie war eine Samoanerin und färbte ihr Haar rot, wie es auf Samoa Mode ist; und als er zu sterben kam – wie ich zu erzählen haben werde –, da fanden sie etwas Merkwürdiges: nämlich, daß er ein Testament gemacht hatte wie 'n Christenmensch, und seine Witwe kriegte den ganzen Kram: alles, was sein war, sagte man, und alles, was dem Schwarzen Jack gehörte und das meiste von Billy Randalls Hab und Gut obendrein, denn Case hatte die Bücher geführt. So fuhr sie denn nach Hause in dem Schoner Manu'a und spielt die feine Dame m ihrem Dorf bis auf den heutigen Tag.

Aber von alledem wußte ich an diesem ersten Morgen nicht mehr als eine Fliege. Case behandelte mich als Gentleman und als Freund, hieß mich auf Falesa willkommen und stellte mir seine Dienste zur Verfügung, was mir um so mehr erwünscht war, da ich die Sprache auf der Insel nicht kannte. Den ganzen besseren Teil des Tages saßen wir in der Kajüte und tranken auf gute Bekanntschaft, und niemals hörte ich einen Mann verständiger sprechen. Es gab auf den ganzen Inseln keinen gerisseneren Händler und keinen größeren Schwindler. Mir deuchte, Falesa wäre gerade das Richtige für mich; und je mehr ich trank, desto leichter wurde mir ums Herz. Unser letzter Vertreter war plötzlich ausgerückt, war als Passagier auf ein Schiff gegangen, das zufällig von Westen her vorbeisegelte. Als unser Kapitän kam, fand er das Stationshaus verschlossen, die Schlüssel bei dem Kanakenpastor und dabei einen Brief von dem Durchbrenner, der schrieb, er hätte aus Angst um sein Leben nicht mehr aufhalten können. Seitdem war unsere Firma nicht mehr vertreten gewesen, und so gab es natürlich diesmal keine Ladung mitzunehmen. Übrigens war der Wind gut, der Kapitän hoffte, er könnte bis zur Morgendämmerung mit der Flut nach seiner nächsten Insel kommen, und mit dem Anlandschaffen meiner Waren ging es flott. Damit brauchte ich mich nicht abzuquälen, sagte Case; niemand würde meine Sachen anrühren, auf Falesa wären lauter ehrliche Leute, abgesehen davon, daß mal Hühner gestohlen würden oder ein Messer, das irgendwo herumläge, oder eine Rolle Tabak; und das Beste, was ich tun könnte, wäre ruhig sitzen zu bleiben, bis das Schiff absegelte, dann stracks mit ihm nach seinem Haus zu gehen, den alten Kapitän Randall zu begrüßen, den ›Strandvater‹, bei ihm einen Happen zu essen und dann nach Hause zu gehen und zu schlafen, wenn's dunkel würde. So war's voller Mittag, und der Schoner war schon wieder unter Segel, als ich meinen Fuß auf den Strand von Falesa setzte.

Ich hatte an Bord ein Glas getrunken oder auch ein paar; ich hatte eine lange Seefahrt hinter mir, und der Boden schwankte unter mir wie ein Schiffsdeck. Die Welt war mir, wie wenn sie frisch bemalt wäre; meine Füße tanzten wie nach Musik; Falesa kam mir vor wie Fiddlers Green, wenn es so einen Ort gibt – und wenn es keinen gäbe, so war's schade drum! Es tat gut, über das Gras zu gehen, nach den grünen Bergen hinaufzuschauen, die Männer zu sehen mit ihren grünen Kränzen und die Weiber in ihren bunten Kleidern, rot und blau. So gingen wir, in der heißen Sonne und im kühlen Schatten, und beide waren angenehm; und alle Kinder im Dorf trabten hinter uns her mit ihren glattgeschorenen Köpfen und ihren braunen Leibern und schrien ein dünnes Hurra hinter uns her wie krähende junge Hähnchen.

»Übrigens«, sagte Case, »wir müssen Ihnen eine Frau besorgen.«

»Richtig!« sagte ich. »Das hatte ich vergessen.«

Da war ein Haufen Mädchen um uns herum, und ich reckte mich auf und sah sie mir an wie ein Pascha. Sie waren alle fein herausgeputzt, weil das Schiff gekommen war; und die Weiber von Falesa sind eine hübsche Gesellschaft. Wenn sie einen Fehler haben, so ist es der, daß sie ein bißchen breit übers Hintergestell sind; darüber dachte ich gerade nach, da stieß Case mich an und sagte:

»Das ist was Hübsches.«

Ich sah eine, die ganz allein herankam. Sie war fischen gewesen; alles, was sie auf dem Leibe trug, war ein Hemd, und das war klatschnaß. Sie war jung und sehr schlank für eine Insulanerin, mit einem langen Gesicht, einer hohen Stirn und einem seltsamen, scheuen, blinzelnden Blick, der was von 'ner Katze und 'nem kleinen Kind hatte.

»Wer ist die?« fragte ich. »Die paßt mir.«

»Das ist Uma«, sagte Case, und er rief sie heran und sprach in der Mundart mit ihr. Ich verstand nicht, was er sagte; aber mitten in seiner Rede sah sie mich schnell und schüchtern an, wie ein Kind, das Angst hat, man werde es schlagen; dann sah sie wieder zu Boden, und plötzlich lächelte sie. Sie hatte einen schönen großen Mund; ihre Lippen und ihr Kinn waren wie gemeißelt, wie von der schönsten Statue; und das Lächeln zuckte bloß einen Augenblick auf und war wieder fort. Dann stand sie mit gesenktem Haupt und hörte Case an, bis er fertig war, antwortete ihm mit der hübschen Stimme der Polynesier, sah ihm voll ins Gesicht, hörte seine Antwort an, machte einen Knicks und lief davon. Ein bißchen von ihrer Verbeugung kriegte ich auch ab, aber keinen Blick mehr aus ihrem Auge, und von Lächeln war nicht mehr die Rede.

»Ich denke, 's ist alles in Ordnung«, sagte Case, »ich denke, Sie können sie haben. Ich will es mit der alten Dame in Richtigkeit bringen. Sie können sich ja eine aussuchen für eine Rolle Tabak!« setzte er mit einem Grinsen hinzu.

Ich vermute, das Lächeln des Mädchens war mir im Gedächtnis geblieben; denn ich antwortete ihm ziemlich scharf: »Sie sieht nicht so aus, wie wenn sie von der Sorte wäre.«

»Ich weiß auch nicht, ob sie's ist. Ich glaube, es ist gegen sie nichts zu sagen. Sie hält sich für sich allein, strolcht nicht mit den jungen Leuten herum und so. O nein – verstehen Sie mich nicht falsch – an Uma ist nicht zu tippen.«

Mir kam vor, wie wenn er eifrig würde, als er sprach, und das überraschte mich und gefiel mir.

»Ich wäre nämlich sonst nicht so sicher, daß Sie sie kriegen können«, fuhr er fort, »aber ich habe gemerkt, Ihr Gesicht hat ihr gefallen. Sie haben weiter gar nichts zu tun, als daß Sie sich zurückhalten und mich auf meine Art die Sache mit der Mutter abmachen lassen; ich bringe dann das Mädel mit zum Kapitän wegen der Heirat.«

Das Wort Heirat gefiel mir nicht, und ich sagte ihm das.

»Oh, an der Heirat brauchen Sie sich nicht zu stoßen. Der Schwarze Jack ist der Kaplan.«

Unterdessen waren wir bei dem Hause der drei Weißen angekommen; denn ein Neger wird als Weißer gerechnet, ein Chinese übrigens auch! Eine merkwürdige Auffassung, aber auf den Inseln überall im Schwange. Es war ein Holzhaus mit einer Veranda davor. Vorn war der Kaufladen mit einem Ladentisch, einer Waagschale und einem recht erbärmlichen Vorrat von Waren: eine Kiste Konservendosen oder zwei, ein Faß Schiffszwieback, ein paar Bolzen Kattun, der mit meinem gar nicht zu vergleichen war. Gut versehen war der Laden nur mit der Schmuggelware: Feuerwaffen und Schnaps.

»Wenn das meine ganze Konkurrenz ist«, dachte ich bei mir selber, »sollte ich in Falesa gute Geschäfte machen.«

Sie konnten mich nämlich bloß in einer Weise ausstechen: mit den Flinten und dem Schnaps.

Im Hinterzimmer saß der alte Kapitän Randall; wie ein Eingeborener hockte er mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, fett und blaß, bis zum Gürtel nackt, grau wie ein Dachs, und die Augen ganz geschwollen vom Trinken. Sein Leib war mit dichtem grauem Haar bedeckt, und unzählige Fliegen krabbelten auf ihm herum; eine saß im Winkel seines Auges – er kümmerte sich nicht um sie; und die Moskitos summten um den Mann herum wie Bienen. Jeder reinlichkeitsliebende Mensch hätte das Geschöpf sofort hinausbefördert und begraben. Wie ich ihn so sah und dran denken mußte, daß er siebzig Jahre alt war und früher ein Schiff befehligt hatte und in seinen feinen Kleidern an Land gekommen war und in Schenken und Konsulaten das große Wort geführt hatte und auf Klubhaus-Veranden gesessen hatte, da wurde mir ganz übel und ich war sofort nüchtern.

Er versuchte aufzustehen, als ich hineinkam, aber seine Bemühung war hoffnungslos; er reichte mir also bloß die Hand und stotterte irgendeine Begrüßung hervor.

»Papa ist heute morgen hübsch voll«, bemerkte Case. »Wir haben eine Epidemie hier gehabt, und Kapitän Randall nimmt Gin als Prophylaktikum – nicht wahr, Papa? So ist es doch?«

»Nie in meinem Leben hab' ich so was genommen!« rief der Kapitän entrüstet. »Gin nehme ich für meine Gesundheit, Herr Soundso – 's ist eine Vorsichtsmaßregel.«

»Schon gut, Papa!« sagte Case. »Aber du wirst dich zusammenrappeln müssen. Hier soll 'ne Hochzeit sein – Herr Wiltshire hier wird verheiratet.«

Der alte Mann fragte: »Mit wem?«

»Mit Uma.«

»Uma!« rief der Kapitän. »Wozu braucht er Uma? Ist er nicht seiner Gesundheit wegen hergekommen? Was zum Teufel braucht er Uma?«

»Man sachte, Papa!« sagte Case. »Du sollst sie ja nicht heiraten. Ich denke, du bist ja nicht ihr Pate und ihre Patin. Ich denke, Herr Wiltshire tut, wozu er Lust hat.«

Hierauf entschuldigte er sich bei mir, er müsse wegen der Heirat ausgehen, und ließ mich allein mit dem armen Kerl, der sein Teilhaber und – um die Wahrheit zu sagen – sein Opfer war. Geschäft und Haus gehörten Randall, Case und der Nigger waren Schmarotzer: Sie krabbelten auf ihm herum wie die Fliegen und mästeten sich an ihm; und er merkte nichts davon. Ich kann Billy Randall wirklich nichts nachsagen, als daß sein Anblick mir Übelkeit verursachte; aber die ganze Zeit, die ich an dem Tag in seiner Gesellschaft verbringen mußte, war mir schlecht zumute.

Im Zimmer war es zum Ersticken heiß; dazu die Fliegen! Das Haus war schmutzig, eng und niedrig und stand an einem üblen Platz, hinter dem Dorf, dicht am Busch, und der Seewind konnte nicht heran. Die Betten der drei Männer waren auf den Dielen gemacht, mitten in einem Haufen von Pfannen und Schüsseln. Möbel waren nicht vorhanden; denn wenn Randall seine Wutanfälle kriegte, schlug und riß er alles kurz und klein. Da saß ich nun und aß etwas, das uns von Cases Frau aufgetischt wurde, und den ganzen Tag unterhielt mich die Ruine von einem Mann mit abgedroschenen alten Witzen und endlosen alten Geschichten, zu denen er fortwährend selber lachte, bis mir ganz jämmerlich zumute wurde. Dabei nippte er in einem fort an seinem Gin. Ab und zu schlief er ein, und dann wachte er wieder auf, winselte und schlotterte an allen Gliedern, und immer wieder fragte er mich, warum ich denn die Uma heiraten wollte.

»Freundchen«, sagte ich den ganzen Tag zu mir selber, »so ein alter Herr wie der darfst du nicht werden.«

Es mochte etwa vier Uhr nachmittags sein, da ging die Hintertür langsam auf, und eine seltsame alte Eingeborene kroch beinahe auf dem Bauch ins Haus herein. Sie war in ein schwarzes Zeug eingewickelt, das beinahe bis auf die Füße ging; ihre grauen Haare hingen ihr in Zotteln um den Kopf; ihr Gesicht war tätowiert, was auf der Insel sonst nicht üblich war; ihre großen Augen funkelten und blickten irr. Sie heftete sie mit einem Ausdruck auf mich, dem ich anmerkte, daß sie Komödie spielte. Sie sprach keine deutlichen Worte, sondern murmelte und schmatzte mit den Lippen und summte laut vor sich hin wie ein Kind über seinem Weihnachtskuchen. Sie ging durch das Zimmer gerade auf mich zu, und sobald sie bei mir war, ergriff sie meine Hand und schnurrte und spann wie eine große Katze. Dann brach sie in eine Art von Gesang aus.

»Wer zum Teufel ist das?« rief ich; denn mir wurde sonderbar dabei zumute.

»'s ist Fa'avao«, sagte Randall, und ich sah, daß er auf dem Fußboden bis in die entfernteste Ecke gerutscht war.

»Sie haben doch keine Angst vor ihr?« rief ich.

»Ich, Angst!« schrie der Kapitän. »Mein lieber Freund, sie soll nur kommen! Ich lasse sie aber nicht zu mir hereinkommen; bloß heute, da wird es wohl was anderes sein – wegen der Heirat, 's ist Umas Mutter.«

»Na, meinetwegen soll sie's sein; was hat sie hier zu plappern?« fragte ich, ärgerlicher und vielleicht furchtsamer, als ich mir anmerken lassen wollte; und der Kapitän sagte mir, sie sänge einen Haufen Verse zu meinem Preis, weil ich Uma heiraten wollte.

»Na schön, alte Dame!« sagte ich mit einem ziemlich verunglückten Lachen. »Sehr verbunden! Aber wenn Sie meine Hand nicht mehr brauchen, können Sie's mir sagen.«

Sie tat, wie wenn sie mich verstände; der Gesang erhob sich zu einem lauten Schrei, und dann war's aus. Das Weib kroch zum Haus hinaus in derselben Weise, wie es hereingekommen war; und dann muß sie mit einem Satz in den Busch gesprungen sein, denn als ich ihr an die Tür nachging, war sie bereits verschwunden.

»Das sind ja närrische Manieren!« sagte ich.

»'s ist 'ne närrische Bande«, sagte der Kapitän und machte dabei zu meiner Überraschung das Zeichen des Kreuzes auf seine nackte Brust.

»Hallo!« rief ich. »Sind Sie Papist?«

Diesen Gedanken wies er mit Verachtung von sich: »Durch und durch Baptist! Aber, mein lieber Freund, die Papisten haben auch ein paar gute Ideen; und das ist eine davon. Lassen Sie sich von mir raten: Wenn Sie Uma begegnen oder Fa'avao oder Vigours oder sonst einem von der Bande, dann machen Sie's den Pfaffen nach, und tun Sie, was ich tu'. Verstanden?« sagte er, wiederholte das Zeichen und blinzelte mich mit seinen blöden Augen an.

»Nee, Herr!« brach er wieder los. »Nichts von Papisten hier!« Und dann unterhielt er mich lange mit seinen religiösen Ansichten.

Uma muß es mir von Anfang an angetan haben, sonst wäre ich sicherlich aus diesem Hause gelaufen und hätte die reine Luft und die reine See aufgesucht oder auch nur ein reines Bächlein – trotz meiner Verabredung mit Case. Übrigens hätte ich auf der Insel keinem Menschen mehr ins Gesicht sehen können, wenn ich am Hochzeitstage einem Mädchen davongelaufen wäre.

Die Sonne war untergegangen, der ganze Himmel stand in Feuer, und die Lampe brannte schon seit einiger Zeit, als Case mit Uma und dem Neger nach Hause kam. Sie war geputzt und mit duftenden Salben eingerieben; ihr Hüftenkleid war aus schöner Tapa, deren Falten wie die herrlichste Seide glänzten; ihre Brüste, die braun wie dunkler Honig waren, trug sie bloß, nur mit einem halben Dutzend Schnüren von bunten Bohnen und Blumen; hinter ihren Ohren und in ihrem Haar trug sie die scharlachroten Blüten des Hibiskus. Sie benahm sich ganz und gar wie eine Braut: ernst und still; und ich schämte mich, wie ich Hand in Hand mit ihr in dieser gemeinen Spelunke und vor dem grinsenden Neger stand. Ich schämte mich, sage ich, denn der Possenreißer hatte sich mit einem großen Papierkragen ausstaffiert; das Buch, aus dem er scheinbar seine Sprüche las, war ein Romanband, und seine geistlichen Worte waren so gemein, daß ich sie nicht wiederholen mag. Ich fühlte einen Stich in meinem Gewissen, als wir unsere Hände ineinander legten; und als sie ihren Trauschein bekam, hatte ich Lust, dem Handel ein Ende zu machen und ihr die Wahrheit zu gestehen. Hier ist das Dokument. Case schrieb es, mit Unterschriften und allem, auf ein Blatt, das er aus seinem Kassenbuch ausgerissen hatte:

Hiermit wird bescheinigt, daß Uma, Tochter der Fa'avao in Falesa, auf der Insel –, ungesetzlich verheiratet ist mit Herrn John Wiltshire, für eine Woche, und Herr John Wiltshire hat das Recht, sie zum Teufel zu schicken, sobald er Lust hat.

John Blackamoar, Schiffskaplan.

Aus dem Register ausgezogen von William T. Randall, Marinemeister.

Ein schöner Streich, ein solches Papier einem Mädchen in die Hand zu geben und zu sehen, wie sie es einsteckt, als ob es kostbares Gold sei! Ein Mann kann sich wohl wegen geringerer Dinge schämen! Aber es war in der Gegend so Sitte und – so sagte ich mir selber zur Entschuldigung – durchaus nicht die Schuld von uns Weißen, sondern von den Missionaren. Hätten sie die Eingeborenen in Ruhe gelassen, so würde ich solchen Betrug niemals nötig gehabt haben, sondern ich hätte mir so viele Weiber nehmen können, wie ich gewollt hätte und hätte sie fortgeschickt, sooft es mir beliebt hätte, und dabei ein reines Gewissen gehabt.

Je mehr ich mich schämte, desto eiliger hatte ich es, fortzukommen; und da die Händler denselben Wunsch hatten, so achtete ich nicht sehr auf eine Veränderung in ihrem Benehmen. Case war voll Eifers gewesen, mich in seinem Haus zu behalten; jetzt schien er ebenso eifrig zu sein, daß ich nur fortginge, wie wenn er einen Zweck erreicht hätte. Uma, sagte er, könnte mir den Weg nach meinem Hause zeigen, und die drei verabschiedeten sich von uns drinnen im Zimmer.

Die Nacht war beinahe schon angebrochen; das Dorf duftete von Bäumen und Blumen, man roch die salzige Seeluft und die Brotfrucht in den Kochtöpfen. Vom Riff her kam ein schönes Brausen der Brandung, und aus der Ferne, aus Wäldern und Häusern, erklangen angenehme Stimmen von Männern und Frauen und Kindern. Es tat mir wohl, freie Luft zu atmen; es tat mir wohl, mit dem Kapitän fertig zu sein und statt seiner das Geschöpf an meiner Seite zu sehen. Mir war zumute, als wäre sie ein Mädel daheim im alten Lande; ich vergaß mich einen Augenblick, nahm ihre Hand in die meinige und ging so weiter. Ihre Finger verschlangen sich mit den meinen, ich hörte sie tief und schnell atmen, und plötzlich führte sie meine Hand an ihr Gesicht empor und preßte es dagegen. »Ihr gut!« rief sie, und dann lief sie voraus und stand still und sah sich um und lächelte und lief dann wieder voraus; und so führte sie mich durch den Rand des Waldes auf einem stillen Pfad nach meinem Haus.

Der wahre Grund dafür war der, daß Case als Freiwerber für mich ganz großartig aufgetreten war – er hatte ihr gesagt, ich sei ganz verrückt nach ihr, und es käme mir gar nicht darauf an, was danach käme. Und das arme Ding, obwohl es wußte, was mir noch unbekannt war, glaubte daran, glaubte jedes Wort, und ihr war beinah der Kopf verdreht vor Eitelkeit und Dankbarkeit. Nun, von alledem hatte ich keine Ahnung. Gerade ich war ein Feind von all dem Unsinn, der wegen eingeborener Weiber gemacht wird; denn ich hatte gesehen, wie so mancher Weiße von den Verwandten seines Weibes aufgefressen wurde, ich meine sein Hab und Gut, und wie sie sich dabei noch über ihn lustig machten; und ich sagte zu mir selber: »Da muß ich ihr sofort zeigen, wer ich bin, und muß sie zur Vernunft bringen.« Aber sie sah so drollig und so hübsch aus, wie sie so voraus lief und dann auf mich wartete, und sie machte es so wie ein Kind oder wie ein spielender junger Hund, daß ich nichts Besseres tun konnte, als ihr einfach nachzugehen, auf die Tritte ihrer nackten Füße zu lauschen und durch die Dämmerung nach ihrer schönen Gestalt zu spähen. Und dann schoß mir noch ein anderer Gedanke durch den Kopf: Jetzt, da wir allein waren, spielte sie das Kätzchen mit mir; aber im Hause hatte sie eine Haltung gehabt, wie eine Gräfin sie nur haben könnte – so stolz und so bescheiden. Und dann ihr Anzug – so wenig sie auch anhatte und noch dazu kanakisch genug –, ihre schöne Tapa und die schönen Wohlgerüche und ihre roten Blumen und die Schmuckbohnen, die so glänzend waren wie Juwelen, nur viel größer –, ja, da war's mir so, als sei sie wirklich eine Art von Gräfin im Gesellschaftsanzug, um große Sänger in einem Konzert anzuhören, und keine Frau für einen armen Händler wie mich.

Sie war die erste im Hause; und als ich noch draußen war, sah ich ein Zündholz aufflammen, und Lampenlicht schien durch die Fensterscheiben. Das Stationsgebäude war ein wunderschönes Haus, aus Korallen erbaut, mit einer herrlichen, breiten Veranda, und der Hauptraum war hoch und geräumig. Meine Kisten und Kästen waren übereinander getürmt, kunterbunt durcheinander; und da, in all dem Wirrwarr, stand Uma am Tisch und wartete auf mich. Ihr Schatten ging bis zur Wölbung des Wellblechdachs hinauf; sie aber stand im Hellen, und das Lampenlicht glänzte auf ihrer Haut. Ich blieb in der Tür stehen, und sie sah mich an, ohne ein Wort zu sprechen, mit Augen, die lebhaft und doch sanft blickten. Dann berührte sie mit ihrem Finger ihre Brust und sagte:

»Ich Eure Frau.«

So hatte es mich noch niemals gepackt; das Verlangen nach ihr ergriff und schüttelte mich, wie der Wind ein Segel.

Ich konnte nicht sprechen, selbst wenn ich es gewollt hätte; und wenn ich's gekonnt hätte, so hätte ich nicht gewollt. Ich schämte mich, daß ich mich wegen einer Wilden so aufregte; ich schämte mich auch wegen der Heirat und wegen des Trauscheins, den sie wie einen Schatz in ihrem Leibschurz geborgen hatte; und ich drehte mich um und tat, wie wenn ich unter meinen Kisten herumkramte. Das erste, was mir in die Hand kam, war eine Kiste mit Gin – die einzige, die ich mitgebracht hatte; und zum Teil um des Mädchens willen, zum Teil aus Abscheu bei der Erinnerung an den alten Randall faßte ich plötzlich einen Entschluß. Ich schlug den Deckel zurück. Eine nach der ändern öffnete ich die Flaschen mit einem Taschenkorkzieher und schickte Uma hinaus, um das Zeug über das Verandageländer auszuschütten.

Nach der letzten kam sie wieder herein und sah mich an, wie wenn sie nicht wüßte, was sie denken sollte.

»Nicht gut!« sagte ich, denn ich hatte jetzt meine Sprache wiedergefunden. »Mensch trinkt, er nicht gut.«

Hierin gab sie mir recht, aber sie blieb nachdenklich, und plötzlich fragte sie:

»Warum Ihr bringen ihn? Wenn nicht brauchen trinken, Ihr nicht bringen ihn, ich denke.«

»Schon recht. Manchmal ich möchte zu viel trinken; jetzt nicht brauche. Siehst du, ich nicht wußte, ich kriege kleine Frau. Wenn ich trinke Gin, meine kleine Frau hat Angst.«

Daß ich so freundlich zu ihr sprach, war mehr, als ich eigentlich wollte; ich hatte mir geschworen, mich niemals auf eine Schwachheit mit einer Eingeborenen einzulassen; aber ich konnte nichts anderes machen, als überhaupt nichts mehr sagen.

Sie sah mit ernstem Blick auf mich nieder, während ich neben der leeren Kiste saß.

»Ich denke, Ihr gut Mann.« Und plötzlich war sie vor mir niedergefallen und rief:

»Ich Euer eigen wie Schwein!« Der Vergleich erscheint uns etwas seltsam; wir würden vielleicht erwarten: wie ein Hund. Da aber das Schwein das wertvollste Haustier der Polynesier ist, so ist Umas Gedankengang und Sprechweise ganz in der Ordnung.


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