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An Heinrich Stieglitz
Kösen, den 16. Juli 1827. Abends.
Ich wurde am Mittwoch in meinen Erwartungen nicht getäuscht; dafür hattest Du, mein Heinrich, reichlich gesorgt. Ja, große, sehr große Freude hast Du mir wieder bereitet, und dafür meinen warmen Dank! Ein ungeheures Leben ist in Deinem letzten Briefe; aber auch so recht geeignet, mir von Deinen jetzigen Schöpfungen gar nicht wenig zu versprechen. Und es wird meinem Dichter wohl nicht bange dabei? – ich sehe wenigstens in Gedanken, wie Du eben mit leuchtenden Blicken noch einmal die ganze letzte Reihe durchfliegst und Dir sagst: »Lottchen wird im Stillen ihren Jubel haben!« – Ach, daß ich auch nur eine Seele hier hätte, die meine Freude zu teilen vermöchte! aber nein, niemand ist hier, gegen den ich mich auch nur auszusprechen wagte, wenn es mir so recht warm ums Herz ist. Höre, Heinrich, es ist etwas ganz Eigenes auf die Länge der Zeit, wenn man sich selbst so ganz verleugnen, so ganz aufgeben muß an Menschen, von denen man weder gekannt noch verstanden wird. Ich würde dies nie so drückend fühlen können, so lange mir Freiheit gegeben ist allein zu sein wenn ich will; da finde ich Ersatz, und habe ihn schon in frühen Jahren gefunden für die Stunden, in denen ich mich selbst ganz in den Hintergrund stellen muß, um denen erfreulich und angenehm zu sein, für die ich Liebe und Pflichten habe. Diese Freiheit fehlt mir eigentlich jetzt ganz; ich sehe, meine Schwester hat es gerne, wenn ich immerwährend um sie bin, keinen Augenblick ohne Not sie verlasse; und könnte ich nun, da ich sie doch so liebe und achte und sie wirklich in einem schwächlichen Zustand jetzt ist, wohl dagegen sein? – So lebe ich denn nun hin; oder nennt man das nicht leben? Genug, ich bin nicht traurig; nur ein Druck, den ich zwar nicht ewig tragen könnte, lastet auf mir, der aber auf eine kurze Zeit vielleicht sein Gutes hat, wie manches andere das ich schon tragen mußte. Das Vorhergehende erleichtert immer das Zukünftige. Das hast Du, mein Teuerster, wohl auch in vergangenen Monaten empfunden. Darum nur immer freudig und mutig vorwärts! So lange ich Dich habe, so lange Du mich liebst, soll nichts mich gänzlich niederbeugen können, mag auch künftig kommen was da will. Das verspreche ich Dir, Klagen sollst Du nicht viel hören. O es ist aber auch ein Himmel diese Liebe! Wie schön liegt jetzt das Leben vor mir! ich fühle eine Aufgabe, die ewig neuen Reiz für mich haben wird, nach der ich mich schon frühe, beinah zu frühe gesehnt! Ich bin mir jetzt eigentlich erst recht klar geworden, wovon ich in meinem vierzehnten und fünfzehnten Jahre schon oft in meiner Einsamkeit träumte; ich wollte eine Aufgabe im Leben lösen, und zwar keine geringe; sonst – das ist wahr – wollte ich lieber sterben, und konnte mich dann selbst glühend danach sehnen, aber auch nur dann. Ja, von großer hoher Liebe habe ich doch wohl schon damals geträumt; darum dieser zu frühe Ernst; denn wenn ich um mich her sah, konnte ich ja nicht an die Möglichkeit dieser Erfüllung glauben, und dennoch trug ich diesen Gedanken oft mit mir herum; ach, es war wohl ein Ahnen kommender Seligkeit! – Und was liegt nun alles dazwischen! Gott, Du hast alles wohl gemacht, alles war gewiß zu meinem Nutz und Frommen, darum Preis und Dank ewig ihm! – Heinrich, mein bester Heinrich, gewiß, Du sollst glücklich werden! – Gute Nacht, gute Nacht! –
Mittwoch den 18ten.
Ich habe doch einen Gruß gerade heute von Dir bekommen; und das würde mir schon genug sein, wenn ich mich nicht beunruhigte, daß Du vielleicht meinen Brief vom vorigen Mittwoch noch nicht erhalten, da mir die Ilgen nebst Deinem Gruß nur von dem Empfang des kleinen Zettelchens sagen ließ, und ich weiß, wie es unordentlich auf der Naumburger Post zugeht. Hoffentlich hast Du ihn nun erhalten und verzeihst mir wohl, daß ich Dich so lange wieder habe warten lassen. Siehst Du nun aber wohl den Grund ein? Das Schreiben wird mir zwar in jeder Lage schwer, aber es gibt doch noch Unterschiede. Einst wirst Du doch wohl ganz vergessen – nicht wahr, das darf ich hoffen? – wie unverzeihlich ich im Briefschreiben jetzt manchmal an Dir gehandelt habe.
Heute ist es nun also vier Jahre: »Schwesterchen, wenn uns der Himmel für einander geschaffen hat« – weißt Du es noch weiter? – Mir ist es, als hörte ich Dich noch. Eins weißt Du aber noch nicht! Denke Dir, heut morgen erfahre ich von Doris, daß heute meines Vaters Geburtstag ist. Noch immer kann ich's nicht ganz glauben, ehe ich die Mutter gesprochen; und dennoch scheint sie so ganz gewiß zu sein, erzählte mir noch, daß, als ich klein gewesen sei, wäre sein Geburtstag immer mit dem meinigen gefeiert, er hätte nie seinen Geburtstag recht bestimmt gesagt, bis sie zuletzt doch erraten hätten, daß es der 18te Juli sei. Ist das nicht wunderbar? Ich habe nun heute so viel an ihn denken müssen; ach, könnte er doch einmal nur herabschauen und sehen, was dieser Tag mir für Glück gebracht hat! Hätte er das früher ahnen können, er hätte nie um mich gesorgt.
Für heute sage ich Dir nun einen innigen guten Morgen; ich bin so stille froh und kann wenig sagen, obgleich das Herz recht voll ist; wir sind uns aber gewiß beide recht nah. Heut über ein Jahr!! – – –
Nachschrift. Doris grüßt Dich. Auch hat Mütterchen noch bei ihrer Abreise vorigen Freitag mir einen Gruß an ihren lieben Stieglitz aufgetragen. Eine von den beiden Devrients denkt diesen Sommer nach Berlin zu reisen; wenn ich genau erfahre, wann, und wo sie sich dort aufhalten, dann suchst Du sie wohl auf – nicht wahr, das tust Du mir wohl zuliebe? – Ist es die älteste, Clara, dann denk', es war ein gutes, liebes Mädchen, die mich lieb hat, und die ich auch recht schätze; wir kennen uns von klein auf; ist es aber Therese, die jüngere, dann sieh zu, ob Du nicht mit ihr in ein Gespräch allein kommen kannst; ich möchte gar so gern, daß Du den Wert dieses Mädchens ganz kennen lerntest; es gibt nämlich auf der Welt nicht viel solcher Theresen; ich verehre sie wirklich; aber sie ist auch eigentlich eine von den tiefern Naturen, die man erst länger kennen muß, um einzusehen, was sie eigentlich sind.
*
An Heinrich Stieglitz Zum 22. Februar
Leipzig, den 20. Februar 1828.
Guten Morgen, mein Heinrich!
Laß mich Dich erst anders wieder sehen, ehe Du viel von mir verlangst; ich fürchte, meine unbegrenzte Liebe könnte Dich diesmal schmerzlich verwunden. Es ist hart, sehr hart, zu sehen, daß der, den man über alles gern glücklich wissen möchte, sein eigner Feind ist, sich beständig selbst quält, damit der Traum von ewiger Jugend ja noch beizeiten vernichtet wird. Wehe Dir und mir, daß Du Dich zum Dichter berufen glaubtest, wenn Du in der Anwendung aller Deiner Kräfte nicht schon Befriedigung findest! – in Freudigkeit mußt Du schaffen; und was dawider, das ist von Übel. Stellst Du Dir aber eine Aufgabe über Deine Kräfte, so erscheint mir dies sündlich, denn nach Vollendung derselben wird der Geist wahrscheinlich krank zusammensinken und der Körper dazu. Lebewohl!
Deine Charlotte.
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An Heinrich Stieglitz
Leipzig, den 27. Februar 1828. Mittwochs.
Heute komme ich nun wieder ganz genesen zu meinem treuen Arzt, der eben so schnell heilen als verwunden kann. Wie gern möchte ich glauben, ich hätte diesmal Dein Vertraun nicht verdient wie ich sollte, wie freudig mir eingestehen, ich hätte die Sache nicht ruhig, nicht vom rechten Standpunkt angesehen; aber ich kenne meinen Heinrich den Dichter gar zu gut, weiß, wie unendlich oft er sich schon zur Lust hindurchgewunden, habe aber nicht die Grenze dieses Kampfes kennengelernt. O so lange du nur kämpfst, so lange ich echte Kraft und Widerstand sehe, so lange werde ich frohe Zuschauerin sein; aber, Heinrich, einen Punkt den fürchte ich; und kam es wirklich diesmal nicht so weit, so hast Du mir doch früher schon einigemal Ursache gegeben ihn zu fürchten. Weißt Du wie er heißt? ... Doch nein, ich will's Dir nicht verraten! Das sind auch längst verklungene Erinnerungen, die sich vielleicht im Leben nicht wieder erneuen; nicht wahr, Du mein starker Held? –
Wie ich nun Deinen frischen, erneuten Geistesflug so freudig fortgesetzt, kannst Du wohl denken; da tritt denn nun auch jeder andere Wunsch leicht beiseite, um so mehr der Gedanke an ein so baldiges Wiedersehen, da dieser eigentlich erst recht lebhaft erzeugt worden in den trüben Ahnungen und Besorgnissen um Dich.
Wie danke ich Dir so innig, mein Bester, für das schöne liebliche Geschenk, womit Du mich erfreut. Es hat doch noch ein ganz besonders wunderbares Interesse, das zu lesen, was Du erst eben mit Liebe durchdrungen, ja es ist gleichsam ein kleiner Ersatz für die Wonne des Zusammenlebens, wenn man sie entbehren muß.
Lebe wohl und sei recht heiter! Deine Charlotte.
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An Heinrich Stieglitz
Leipzig, den 15. März 1828. Sonnabend nachmittag.
Mein Heinrich!
Könnte doch mit diesem innigen Gruß, wie er sich eben so mächtig zu Dir hindrängt, auch die ganze Seele überströmen, sich einmal aus ihrem Kerker herausreißen, der sie nur um so mehr gefangen hält, je heißer die Sehnsucht ist, ihr Innerstes gegen Dich so recht zu ergießen! – Wie oft bringe ich Dir meinen stillen Dank, Du Geliebter, dafür, daß Dein Seelenleben stets so offen vor mir ausgebreitet liegt, während ich mir sagen muß, daß Du zuweilen keine Ahnung hast von dem, was mich so tief bewegte, und wie sich in einem kurzen Zeiträume so sonderbare Gedanken und Empfindungen durchkreuzten, die für Gegenwart und Zukunft nicht ohne Einfluß sind. Künftig aber, denke ich, wird sich das so nach und nach in Deiner Nähe alles lösen, mein geliebtester Freund, vor dem ich kein Geheimnis kenne. Ja, Heinrich! so recht innige Freunde werden wir wohl stets sein; es ist jetzt unsre Übereinstimmung zuweilen ganz wunderbar, selbst bis auf Kleinigkeiten. So mußte ich neulich beim Empfang Deines letzten lieben Briefes wirklich lächeln über die ganz gleiche Art, mit der wir uns zuweilen der Außenwelt hingeben. Ich dachte dabei an Thekla's Worte in Wallenstein:
»Dem
Spiel des Lebens sieht man heiter zu,
Wenn man den sichern Schatz im Herzen trägt.« –
So wirst Du mir auch wohl erlauben, daß ich jetzt wie künftig Dich ebenso gern einmal spielend sehe als tätigen Geistes, ja, mich jedesmal freue über die Erholung, und wenn es auch nur die des Körpers wäre. O, es ist eine Wonne, wenn man sich einmal so ganz durch und durch erkannt! Wie müßtest Du es anfangen, was könntest Du beginnen, woraus ich nicht Dein eigentliches Selbst hervorleuchten sähe? Heinrich, ja, wir sind vereint für Hier und alle Ewigkeit! Zuweilen kann ich mir wünschen, ich wäre nicht Deine Freund in, sondern Dein Freund (dann brauchtest Du Dich nicht mit Schülern und toten Büchern abzuquälen), wenn ich mir nicht doch dann sagte, daß ich als Deine Freundin, Deine Gattin, Dein Lottchen, noch weit mehr nur für Dich leben kann. Daß du übrigens die Bibliothek der Schule vorgezogen, ist mir nicht unlieb, da ich immer vermutet, es würde Dir auf die Länge doch letztere zuwider werden; es wunderte mich schon damals, als man Dir von einer Anstellung an der Bibliothek von Ostern an sagte, daß Du nicht Dein eignes Wohl dabei mehr im Auge hattest, und der Meinung, daß Du für die Schule brauchbarer seiest, nachgabst.
Sind wir nur erst vereint und Du bist an der Bibliothek fest angestellt, dann wollen wir schon sehen, daß es Dir nicht allzu lästig wird; schlägt das Feierstündchen, dann komm' ich Dir entgegen, und wir gehen dann hinaus frischen frohen Geistes, und kehren noch fröhlicher in unsern häuslichen Himmel zurück –
»Ew'ger Frühling unsre Liebe,
Ew'ge Blüte unsre Treu!«
nicht wahr, mein Heinrich?! – Und dazu noch die Erfüllung Deines andern Wortes:
»Schöpferdrang ihr starker Freier,
Jugendglut des Marks Erneuer!« –
Und hiermit nun zu Deiner erfreulichen Sendung, die mir Kind am Montag morgen (nachdem ich in die Stadt gegangen; wofür ich ihn aber ein andermal bitten lassen, wie er auch gewünscht) gebracht hatte. Ich bin wirklich recht überrascht durch dieses vielfältige Leben. Du hast recht, das ist es! Und weißt Du denn, daß Du in manchen Gedichten gar nicht leugnen kannst, daß Du früher große Anlage zu einem Räuberhauptmann gehabt haben mußt?
»Es möcht' ihr äugelnd Blinken
Blut trinken!«
Ist das nicht furchtbar schön? Dabei seh' ich meinen schwarzen wilden Dolchschwinger funkelnden Auges vor mir! Bist aber doch sanft, wenn ich Dich liebend anblicke – nicht wahr? – Ja, ja, ich hab's erfahren, Du kannst mir's nicht ableugnen, Wilder, Unbändiger, Gebändigter! –
Ich lese jetzt täglich immer so einzelne Gedichte heraus; ich habe bemerkt, man darf sie durchaus nicht eins nach dem andern im Fluge, wie ich zum ersten Male tat, durchlaufen, wenn man den Wert des einzelnen recht erkennen will. Daß Du aber das erreicht, was Du gewollt, das weißt Du diesmal wohl am besten selbst, da es so ganz außer Dir liegt; und so dürfte es wohl trotz der intervallierenden leeren Blätter als vollendet angesehen werden. Was die Karte von Asien betrifft, so möchte ich doch lieber damit warten, bis Du, Geliebter, mir das selbst zeigen kannst; ich spare bis dahin noch so manche Frage für Dich auf, gerade dies Völkerleben betreffend; das gehen wir dann wohl alles noch einmal zusammen durch. – So gern ich Dir noch manches sagte, muß ich doch jetzt schließen, wenn mein Brief abgehen soll. Ida's Gesundheit bessert sich jetzt zur allgemeinen Freude im Hause, muß aber noch ein ganzes Jahr auf alle Art und Weise geschont werden. Morgen wird in der Pauliner Kirche der Ostermorgen aufgeführt, wo ich eine Arie und ein Terzett übernommen, trotz der Mad. W. ihrer Sorge um mich. Den Montag abend wird im Musikverein Cosi fan tutte aufgeführt, wo ich die schönen Duetten, ein Quintett und eine Arie singe, in der Hoffnung, daß sich meine Angst vielleicht noch mit der Zeit verlieren könnte. Ich sprach neulich noch mit Madame Kunze darüber, der es auch immer so gegangen ist, wie sie mir sagte; die meinte, es rühre von den Nerven her, deshalb könne mancher es niemals ganz bezwingen bei dem besten Willen. – Sag' mir doch in Deinem nächsten Briefe etwas über C., sie sprach mit so großer Liebe von Dir und sagte, auch ihr Mann hätte Dich so lieb gewonnen, daß sie beide den Wunsch hätten, ich möchte sie zuweilen besuchen, und sie würden nächstens so frei sein, mich einmal einzuladen. – Ob das wohl wahr ist? sie meinte, sie hätte noch kein Paar kennen gelernt, wovon sie sich sagen könnte, daß sie so für einander paßten als wir beiden. – O, wir Glücklichen! Grüße auch alle Freunde von Deiner Dir ewig nahen
Charlotte Stie...?... Willhöfft.
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An Natalie Harder
Berlin, den 27. April 1829.
Gern hätt' ich, meine liebe gute Cousine, schon früher den in Ihrem mir so erfreulichen Briefe ausgespochnen Wunsch erfüllt, in den »letzten Flitterwochen« wieder einmal Nachricht von mir zu geben, und hätte hiermit zugleich der Aufforderung des eignen Herzens genügt, wenn ich bis jetzt nicht vergebens auf die »letzten Flitterwochen« geharrt, um Ihren Wunsch im buchstäblichen Sinne auszuführen. Und ich könnte wohl noch lange harren; denn aufrichtig gestanden, gute Natalie, mir ist es eigentlich noch ganz so wie in den ersten Tagen der Verbindung mit meinem Heinrich, nur daß ich täglich mir von neuem einbilde, die Liebe nehme immer zu; da ich nun auf diese Weise wohl niemals zum Schreiben an meine liebe Cousine kommen würde, so muß ich schon mir erlauben, vor der gewünschten Zeit mit einem Briefchen mich bei ihr einzufinden. Was mich hierzu noch ganz besonders auffordert, haben Sie wohl schon erraten. Ich möchte nicht gern die letzte sein, die zu der Freude Glück wünscht, welche der Himmel in dem kleinen Mädchen Ihnen beschert hat. Ja, so recht von Herzen haben wir über diese Nachricht uns gefreut und die innigsten Wünsche für das Gedeihn der Neugeborenen in Gedanken Ihnen zugesandt. Was Sie zu hören wünschen von der Art unsrer Verbindung und von der ersten Zeit unsres Zusammenlebens, das, teure Cousine, erzählt sich wohl schöner, wenn wir Sie einmal am eignen traulichen Herde begrüßen; und gern schmeichle ich mir, daß jetzt doch noch ein Grund mehr für Sie ist, das in jeder Beziehung sich immer mehr verschönernde Berlin wieder einmal zu besuchen. Wie mir es hier gefalle? fragen Sie – ich glaube, ohne idyllischer Schwärmerei beschuldigt zu werden, gegen Sie behaupten zu dürfen, daß es mit dem geliebten Gatten auch im kleinsten Orte mir gefallen würde; wie viel mehr hier, wo ich sehe, daß er sich auch geistig so durchaus befriedigt fühlt, und wo ich ihn im Verkehr sehe mit allem, was sein Streben fördern und erleichtern kann. Sie kennen ja selbst das vielfach Anregende einer großen Stadt; beglückt im nächsten Kreise, und bei allen Aufforderungen nach außen am befriedigtsten in diesem, wissen Sie dennoch sehr wohl was es heißt, umgeben zu sein von so vielen großen Eindrücken, die denn doch niemals ohne Einfluß auf das Innere bleiben; dies beglückt mich nun, zunächst zwar und vorzüglich in Beziehung auf den Geliebten, und dennoch fühle ich auch selbst in unserm friedlichen Stilleben den wohltätigen Einfluß dieser schönen, an Beträchtlichem so reichen Stadt.
Allein zuviel habe ich vielleicht schon über mich selbst gesprochen im Vertrauen auf Ihre liebevolle Teilnahme, teure Cousine. Möchte ich recht bald von Ihnen hören, daß Sie mit Ihrem lieben Mann und Ihren geehrten Eltern, denen ich recht herzlich empfohlen sein möchte, sich des Gedeihens Ihres kleinen Lieblings täglich mehr erfreuen. Das wünscht von ganzem Herzen Ihre treue Freundin und Cousine
Charlotte Stieglitz.
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An Heinrich Willhöfft
Februar 1830.
Mein teurer Bruder!
Sollte man es denken, daß bei so inniger Liebe sechs Monate verfließen konnten, ohne daß man irgend etwas Ausführliches voneinander hört! Diesmal, möchte ich behaupten, ist der fürchterliche Winter schuld, der Tinte und Gedanken gefrieren machte; wahrhaftig, wir haben in Stieglitzens kleinem einfenstrigen Studierstübchen zusammenkriechen müssen wie die Grönländer; drei Monate lang waren in unserm schloßfreiheitlichen Sommer-Palais in unserer drei Treppen hohen Vogelperspektive von allen Seiten die Fenster trotz alles Heizens fingerdick gefroren, und bei diesem spärlichen Dämmerlichte gehörte eben nicht viel Phantasie von meiner Seite dazu, den Tag über, wo Stieglitz im amtlichen Dienst war, zu glauben, ich wär' eine gefangene Prinzessin in einem Burgverließ, bis mein Ritter mich zu erlösen von seinem Kreuzzug auf den Bücherleitern heimkehrte. Dann gab es nach ziemlich langem Händefrottieren eine warme Suppe, und man fühlte sich wieder etwas aufgelöst und einigermaßen menschlich. Henriette seufzt und denkt: »ach, ist es mir denn besser gegangen?« – H. W.: »Ich bitte mir aus, sich nicht in unsre häuslichen Angelegenheiten zu mischen.« – Dagegen behauptet Charlotte: »Wo vierundzwanzig preußische Postmeilen dazwischen liegen, ist's schon erlaubt einmal in den Kochtopf zu sehen; hui, wie da die roten Krebspasteten steigen!«–
Doch nun ehrbar! Wie geht's Euch, meine Lieben? wie habt Ihr die Winterabende im traulichen Stübchen zugebracht? Ist es nicht herrlich, auf das innigste vereint alles hinzunehmen, was das Leben bringt? Und so freut Ihr Euch gewiß wie wir jetzt zum nahenden Frühling, und findet in dem schönen Sonnenschein schon wirklichen Ersatz für all den Winterfrost.
Von Mütterchen und Hannchen hab' ich kürzlich die erfreulichsten Nachrichten. Was sie mir über Deinen Bericht wegen Conrad geschrieben, hat mich eigen tief betrübt; ich habe alles, seinen Aufenthalt, seine Krankheit, aus ihrem Bericht nicht recht verstanden, und so würdest Du mich erfreuen, wenn Du mir selbst darüber das Nähere mitteilen wolltest. – Bei Staatsrat Kunths, wo, wie Du wohl weißt, er, der Staatsrat, und der Schwiegersohn, beide in kurzer Zeit gestorben sind, hörte ich neulich mit großer Freude erzählen, wie Coquerils doch Marien so sehr lieb hätten; es mußte doch wohl ein Verwandter von dort, der gerade hier war, sich darüber ausgesprochen haben; die Kunth meinte, beinahe sei sie zu beneiden – täglich in der schönsten Equipage fahre sie mit den Kindern aus, gehe des Abends viel ins Theater, da eine ganze Loge abonniert sei, u.s.w. – sie übe aber auch eine ganz besondre Tätigkeit aus; überall sei Mamsell Willhöfft unentbehrlich, überall sei sie zu Hause, mit einer Behendigkeit und Schnelligkeit, die zu bewundern wäre bei einem solchen Hausstand; und dabei die Kinder, alles ginge wie am Schnürchen.
Wenn Du an Fritz und Marie schreibst, grüße doch recht herzlich von uns beiden, lieber Bruder; hörst Du? – Die Nachricht über Fritz war mir auch so erfreulich. Wie geht es den Bekannten? Seht Ihr Euch zuweilen mit diesem und jenem? Wie geht es den guten Cnoblochs? Wir haben, nachdem die Kälte nachgelassen, immer geglaubt, er würde uns besuchen, weil er vor einiger Zeit schrieb, nur die Kälte habe ihn abgehalten nach Berlin zu kommen. Sag' doch an Cnobloch, Stieglitz wäre endlich dahin gekommen, nicht eher seinen Brief zu beantworten, als bis das ganze Manuskript des ersten Teils beiläge, was nun wohl in vierzehn Tagen erfolgen wird. – Alle Freunde sind ihm böse, daß er so lange zögert und sich immer noch nicht genügen kann, während sie es schon längst für vollendet erklärt und schon im Januar hoch erfreut bei Vorlesung desselben waren. In jedem Falle bitte ich im Namen aller, die es wohl mit Stieglitz meinen, daß doch ja das Buch im Ostermeßkatalog angezeigt werde, damit er dann auf keinen Fall mehr zögern kann, weil ich selbst jetzt fühle, es tut ihm einmal not aufzutauchen, und doch wohl am Ende nur, weil ich weiß, daß alle die feinen Fäden, die er noch bei letzter Bearbeitung hineinzuspinnen gesonnen war, auch wirklich hineingekommen sind.
Hast Du etwas von Pohlenzens häuslichem Glücke gehört? Wie geht es Hering, dem treuen Singkameraden? – Grüße herzlich, wenn Du sie siehst, auch Sonnenkalbs, u.s.w. – Was mögen wohl meine lieben Devrients machen, Clara und Therese? – Denke Dir, noch habe ich nicht an sie geschrieben. Deshalb schäme ich mich auch zu grüßen. Solltest Du ihnen aber zufällig auf der Straße begegnen, so sage ihnen, seit zwei Jahren wollte ich ihnen täglich schreiben und käme nicht dazu; und nun weiß ich auch beinah nicht wo ich anfangen soll. Wie geht es der jüngsten Schwester Deiner Henriette, die ich kennen gelernt? – Doch ich quäle Dich immer mehr mit allen Fragen, und Du freust Dich, wenn ich aufhöre.
So lebt Ihr Lieben denn beide wohl; wir denken oft an Euch und sehnen uns beide, von Dir, lieber Bruder, etwas Ausführliches zu hören, wie es Euch noch außer dem Wohlsein geht. Voll von den besten Wünschen Eure
Charlotte Stieglitz.
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An Heinrich Stieglitz
Leipzig, den 14. September 1830, dienstags.
Nicht auf Flügeln der Morgenröte komm' ich heute zu Dir, mein Heinrich; die sind gelähmt – warum? ich weiß es kaum. Das Wort »konsequent« muß in mancher Beziehung ein schauervolles Wort sein, denn es tönt mir wahrhaft erstarrend heute immer an das Ohr. Ich sehe zum Fenster hinaus, es regnet schon mehrere Tage fürchterlich, und ich denke: Wenn das Wetter sich konsequent durchführen wollte auf diese Weise, man hüllte sich zuletzt am liebsten mit den Raupen und Käfern ein, und schliefe einen langen guten Schlaf. Su, su, su, su, su, su. – Seit wann kann mein glühender Stieglitz die wechselnden Empfindungen einer liebenden Seele in der Ferne nicht begreifen? – Ich hatte mich getrennt von Dir, ich hatte Sehnsucht die Meinen einmal wiederzusehen; und nachdem ich sie alle gesehen und mich mit ihnen gefreut, da kam mir mit einem Male das Bewußtsein der Trennung von Dir, und ich hätte gleich wieder zu Dir eilen und hätte Dir danken mögen, daß Du mir einmal diese schönen Stunden gegönnt, aber auch zugleich Dich bitten mögen, mich nun auf lange lange Zeit nicht wieder von Dir fortzulassen. So sah es in meinem Herzen aus, als ich Dir den letzten Brief schrieb; kein Muß legte mir einen Dämpfer an, der Wunsch Dich hier zu sehen, war auch von mir ausgegangen; noch konnte ich nicht wissen ob es Dir genehm war, und mit der erwachten Sehnsucht nach Dir fing ich auch an plötzlich die Sache etwas getrübter anzusehen, zweifelte, ob es wirklich Dir und Deinem Freunde auch Freuden einbrächte, ob ich nicht in der glücklichen Stimmung zu aufgeregt geschrieben, und – o Gott, was kann man denn dafür, wenn es im Innern so flutet? – Dazu hatte die Reise und die vielfach neuen Eindrücke mich ein wenig angegriffen, und so – verzeihe es mir! – war ich vielleicht nicht ganz Herr meiner Gefühle. So wie ich den Brief abgesendet, beschloß ich in mir, nichts eher zu tun, als bis Du geantwortet. Gestern nachmittag bekam ich nun Deinen lieben langen inhaltvollen Brief, nebst dem unsres Parsen, und sah nun daraus, wie es schon zum festen freudigen Vorsatz geworden, hierher zu kommen, machte mir in dem Augenblick eine stillen Vorwurf abermals über meinen letzten Brief, nahm mir fest vor nun zu bleiben bis Anfang Oktober, meinem Herzen strenge zu gebieten, und wollte gleich antworten; aber ich las an Deinem Briefe bis abends sieben Uhr, wo die Post längst fort war, und freute mich sehr über Dein merkwürdiges Gedächtnis und die lebendige schöne Darstellung, daß mir unsre schöne Reise mit all ihren Lichtblicken und den schrecklichen Momenten gleichsam wie noch einmal gelebt durch die Seele zog. Dann las ich Deine Verwunderung über den so schnellen Wechsel meines Wunsches, und fühlte mich ein klein wenig verletzt, denn es war ja gar zu sehr aus liebendem Herzen gekommen. – – –
O Heinrich, laß uns zuweilen unkonsequent sein! hellauflodernd, himmelhochjauchzend, zum Tode betrübt! Nur um Gottes Willen nicht stumpf! Hörst Du, Dichter!? Ach, in diesem Worte liegt ja eben die Bewährung für ewiges frisches Leben der Seele. Glaube aber deshalb nicht, daß wenn Du heute seines Rates, seines tätigen Beistandes bedarfst, ** nicht gerne bereit wäre; aber – doch Du verstehst mich ja ganz – es tut mir leid noch mehr darüber zu sagen.
Das blaue Häuschen ist auch gebleicht, viel viel Unkraut gewachsen auf den schönen Blumenbeeten, das Pförtchen verwittert, kaum eine Ähnlichkeit mehr mit dem sorgfältig gepflegten kleinen Elysium. Nur der edle Wein macht sich ungepflegt Bahn, und rankt schön empor; ich machte dabei meine eigenen Betrachtungen. – Jetzt bin ich seit einigen Tagen zu Mütterchen und Hannchen gezogen; hier werd' ich wie ein Schoßkindchen gepflegt. Heinrichs Wohnung ist allerliebst; aber denke Dir, es fehlt Sonne – »Hu, Tom friert!« denkst Du wohl, und freust Dich unsres heitern Vogelbauers in Erinnrung unsres alten Kellers? – Heut morgen hatt' ich einen wahrhaft rührenden Anblick. Ich wachte früher als gewöhnlich auf – sie lassen mich ganz gehörig hier ausschlafen – und sah durch die Türe das fromme Hannchen, wie sie eben der Mutter andächtig ein Kapitel aus der Bibel vorlas; das pflegt sie nämlich jedesmal nach dem Aufstehn zu tun; ich hörte manches gute Wort, und fand diese alte gute Sitte, mit Beginn des Tages sich zu erbauen, doch gar schön. Diese letzte Zeit werde ich bei Doris zubringen; dann habe ich keinen gekränkt; dort, denke ich, werden wir auch die acht Tage zusammen sein, indem bei Bruder Heinrich dann Sickmann logiert und er für zwei Menschen wohl, nicht aber für drei Platz hat. Doris kommt mir noch bei weitem liebenswürdiger vor als früher; ihre liebste Freundin ist die Brockhaus-Wagner; mit der ist sie viel zusammen, und diese ist ein sehr gescheites angenehmes Wesen. Nun, mein Teuerster, leb wohl! Greif Dich nicht zu sehr an, vergiß nicht Dich recht zu pflegen, hübsch früh zu Bette zu gehen und recht froh zu sein. Bald höre ich wohl wieder von Dir?
Hier sind die Unruhen alle beseitigt; zur Vorsicht stehen nur noch immer die Bürger und Studenten, auch Militär in allen Toren Wache. In Dresden hat aber das Polizei-Gebäude wirklich gebrannt; alle Papiere sind verbrannt; aber auch da ist die Ruhe wieder hergestellt.
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An Heinrich Willhöfft
Im Winter 1831-1832.
Mein teurer Bruder!
Unverzeihlich erscheint in diesem Augenblicke mir selbst mein langes Schweigen, indem ich keinen anderen Grund anzugeben weiß als den, daß ich in all dieser Zeit nicht dazu aufgelegt war. Und ist dies am Ende nicht genug? Ich freute mich so sehr über Deinen lieben ausführlichen Brief vor zwei Monaten, über Hannchens und Bärbalks liebevolle Zeilen, – ich wollte gleich alle beantworten, aber, Gott weiß, eine innere und äußere gleich böse Zeit hieb mir mit scharfem Schwert die Flügel ab; ich schwieg, weil ich nicht fröhlich schreiben konnte. Auch die Nachrichten von Fritzens Häuslichkeit und manches aus Dorissens Brief betrübten mich. Du warst ja auch nicht recht gesund; o ein ganzes Zentner Heilpflaster schien mir nicht genug, um uns allen aus der Not zu helfen.
Jetzt, wo nun ein lange drohendes, schwüles Gewitter sich über uns entladet, erwacht man recht eigentlich aus seiner Trägheit, und nun gilts Gottvertrauen und guten Mut haben; und damit sind wir beide, mein Stieglitz so wie ich, gut versorgt. Dazu genießen wir schöne, freie Luft in unsrer Wohnung, tägliches Schrankbad, leben sehr diät, ärgern uns einander nicht, haben auf ein Vierteljahr Lebensmittel angeschafft, außer Fleisch und Brot, um das Mädchen nicht so viel herumzuschicken in die Läden, haben uns außerdem auch versehen mit einfachen aber notwendigen Mitteln für einen etwaigen eintretenden Fall, als da sind: Kamillen-, Pfefferminz-, Fliedertee, Senf, Essig, Spiritus, Wärmeflaschen, wollene Decken – dies alles, um sogleich Schweiß hervorzubringen, denn dann ist der Kranke gerettet. Außerdem räuchern wir mit guten Hoffnungen, sprengen die Stuben mit der Aussicht auf bessere Zeiten ein, und geben uns gegenseitig Pillen guten Trostes zu verschlucken. Da hast Du die Antwort auf Deinen lieben, ebensowohl erfreulichen als beruhigenden gestrigen Brief; denn als ich neulich von dem letzten Spektakel in Leipzig zufällig bei andern Leuten hörte, wurde ich beinahe ganz unwohl; das Blut, in Erinnerung jenes Abends, wo Du Wache standest, machte mir tüchtig zu tun; jedoch man wußte mich süß zu trösten, daß ein Mann, der Frau und Kinder habe, gewiß nicht voreilig handle. Aber siehe da, mein Bruder war dennoch ein siegreicher Held! Aber warte, was hätte daraus werden können? Die armen Füße wird die Frau pflegen, was mag sie und die andern doch für Sorgen gehabt haben!
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An Doris Willhöfft
Berlin, den 20. Juni 1832.
Vor allem innigen Gruß und Dank, meine liebe gute Doris, für Deinen wahrhaft reichen Brief, der erfreut, aufgeregt, beruhigt, beunruhigt, alles zu gleicher Zeit, wie es eben zu geschehen pflegt bei eben nicht allzu ruhigen Leuten wie die beiden Stieglitze sind, wenn ihnen irgend Aussichten eröffnet werden, die schön, nützlich, vortrefflich, aber nicht mit der bloßen Kraft des Willens erreichbar sind; dann mag die See bei Doberan stille heißen gegen solche Wogen in zwei Seelen, die zusammenschlagen in Wunsch und Willen – d. h. immer hinauszufliegen in die weite Welt, wenn Wunsches Flügel hinreichten. In Stieglitz ist übrigens wirklich etwas von einer Vogelnatur; sowie der erste Westwind bläst, regt sich die alte Leidenschaft des Reisens; dann heißt's in tausend Weisen: »Wenn die Bibliothek nicht wäre«, u.s.w.
Doch nun zur Antwort. Daß wir auf jeden Fall Dich, oder vielmehr Euch schon diesen Sommer sehn, ist köstlich; denn Hannchen wird doch wahrscheinlich mitkommen, wie es mir scheint. Daß für Euch beide Rat und Platz geschaffen wird, selbst wenn Ihr ein oder ein paar Tage hier zugebt, ist wieder natürlich, und dies alles mit dem größten Spaß. Die beiden Gäste schlafen in unserm lieblichen, gelben, theatralischen Schlafgemach, Stieglitz schläft in seiner Stube auf dem Sofa, und meine werte Person schlägt die Tür vom Badeschrank nieder und bereitet sich ein Badebett; denke Dir die Wonne, wo sonst mich kalte Eisestropfen empfingen, erwarten mich – Dunen –? – Federn; genug, ein höchst abenteuerliches Bett. Dein Wagen findet entweder in unserm Hof eine sichre Stelle oder in der Nachbarschaft; da es bei uns ziemlich wie auf dem Lande ist, macht das keine große Schwierigkeit. Überhaupt wollen wir die Tage des Zusammenseins recht vergnügt sein; denn dies ist eben sicher, das andere sehr abhängig. Mit ** sehen wir uns dann auch, wie Du es wünschest; nichts soll störend eintreten. Über den Reiseplan wäre nun aufrichtig also zu sagen: Bei meinem Stieglitz zündete zuerst der Gedanke, daß es gewiß für mich und meinen so oft wiederkehrenden Husten sehr heilbringend sein würde mitzubaden, daß aber bei genauer Einteilung für diesmal doch nicht mehr wie fünfzehn Friedrichsd'or zu erschwingen sein würden, daß aber Baderei, Wohnung und Essen, wenn Hannchen nun auch mitgeht, in drei Teile geteilt, für den einen Teil wohl nicht mehr machen kann als fünfzehn Friedrichsd'or. Außerdem würde dann Stieglitz uns gerne hinbringen und dann natürlich für sein eigen Geld zurückreisen, also diesen Zeitverlust Deinem guten Bärbalk abnehmen. Ob sich die Verhältnisse so gestalten, daß Stieglitz vielleicht auch, und wenn es nur auf vierzehn Tage wäre, das Seebad mitbraucht, müssen wir noch erwarten. Gewiß wär' es ihm sehr gut, da er von Zeit zu Zeit doch sehr an Nervenreizbarkeit, an heftigsten Blutwallungen fast immer leidet. Doch dies ist nun eben alles noch ungewiß. Das, worauf wir als Gewißheit eingehn können, ist jenes erstere. Es gibt bei uns schon Liebeszänke, wem es nötiger von uns beiden ist; aber Stieglitz kann eben nicht lange von der Bibliothek abkommen, sonst müßte er wahrhaftig einmal eine ernstliche Kur brauchen. Er sagt mir aber dagegen: »ich kann alle Tage im Flusse baden, und das ist doch auch schon etwas; Dir aber will ein gewöhnlich Flußbad doch nicht recht bekommen, Du bist immer nachher sehr erkältet und mußt es aufgeben; das Meer dagegen wird mit seinem mächtigen Umfangen wärmend und stärkend zugleich auf Dich wirken; werd' also ein Seefisch eine Zeitlang, und kehr' ein freudig genesenes Kind zu Deinem Freudigen zurück, der schon aus Deinem vollkommenen Wohlsein sattsame Stärkung trinkt!« – und so ähnliche Streitigkeiten. –
Die Geschichte mit den beiden [R**] hat uns interessiert wie ein Roman, der aber doch sehr tragisch endet. Das Leben spielt doch wunderbar, und der Mensch mit dem Leben; es tut mir doch recht wehe, weil sie wirklich, wie Du auch sagst, so viel in sich hat, um deswillen es so jammerschade ist. – Solltest Du unsern Freund, von dem es uns recht freut, daß er Dir gefällt, wiedersehen, so laß es doch mit unterfließen ganz leise, daß dieser Wechsel vorgegangen; ich habe ihm die Frau gar so sehr aus Herzensgrunde gerühmt; er muß mich nicht begreifen können, wenn er sie nun so sieht; oder es macht sich vielleicht besser, wenn Stieglitz einmal an ihn schreibt, denn ich fange an mich dessen zu schämen, was ich gesagt habe; obgleich die Sache bei ihr so ganz natürlich gekommen und sehr zu entschuldigen ist. –
Daß aber Dein guter B. noch immer mit so vielen Widerwärtigkeiten zu kämpfen hat, tut uns innig leid; sich am Gedeihen seiner Kinder freuen und Deiner Stärkung nach dem Seebade, und übrigens sich einen recht recht dicken Pelz anschaffen, scheint mir für ihn das beste. Übrigens, meine gute Doris, nach sieben mageren Jahren kommen sieben fette, wie Du weißt; und somit sei Du nur recht heiter und getrost; wird schon alles gut werden. Daß Ihr beide Euch hier in Berlin trefft, ist wunderhübsch.
Nun, meine Liebe, ich erhalte wohl bald Nachricht von Dir. Bis Mitte nächster Woche seid Ihr wohl auf jeden Fall hier. Den 14. Juli sind wir auch sicher wieder zurück. – Hannchen grüße und danke innig für ihre liebevollen Zeilen; ich hoffe, Ihr werdet zusammen kommen. Wo wird Mütterchen unterdessen sein? Grüße alle; Bruder Heinrich könnte auch einmal wieder von sich hören lassen. Grüßt auch unsern Freund Mundt herzlich, und die Wagner, und alle die sich meiner freundlich erinnern. Die Kinder drücke nach Noten von Deiner treuen
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An Heinrich Stieglitz
Aus Doberan.
Den 2. September 1832, Sonntag abends.
Im Försterhause unweit dem Meere.
So habe ich Dir denn wieder einmal für die alten Freuden aus der Ferne zu danken, mit denen Du mich immer, mein Heinrich Stieglitz, so reichlich erquickt nach allen Gegenden hin, so daß die Trennung jetzt, wo sie nur auf Tage sich ausstreckt, einen wunderbar schönen Reiz erhält durch diese jahrelang gewohnten, nunmehr ganz verjüngten Mitteilungen. Hoffentlich trifft Dich dieser Gruß in unsrer freundlichen Behausung, Du armer, aber doch höchst lustiger Abenteurer! – Auf dem Meere sich geschaukelt haben, ein Ulysses und Telemach, und darauf solche Mecklenburger-Kleinstädter-Bürgemeister- und Ratsdiener-Abenteuer zu erleben, durfte in der Tat nur einem Dichter passieren; er scheitert nicht daran, sondern sitzt, ein echter Dichtervogel, jetzt im Walde und träumt einen ernsten, luftigen, lustigen Traum über alles hinweg, weil er entweder zur Stunde nur lebt oder nur dichtet. Leben nenne ich hier einsaugen im alles umfassendsten Sinne beim Dichter, mehr oder weniger mit Bewußtsein, Dichten ausströmen mit Bewußtsein, Begeisterung höchstes Bewußtsein, und nimmermehr die Kraft die blindlings schafft. Ergänze dies alles, mein Heinrich; Du weißt, sobald ich mir etwas klar machen will, spreche ich zu Dir. Wir sind hier, seitdem wir den ganzen Tag am Meere streifen, ganz andere Personen; kaum wissen wir, ob das Försterhaus, dessen Besitzer magische Künste übt, Schmerzen bespricht, Blut stillt, Krankheiten vergräbt wo kein Mond und keine Sonne hinkommt, schon an und für sich zauberisch wirkt; genug, Doris hat seit der ersten Stunde Aufenthalt im Hause jede Spur von Zahnschmerzen verloren, und ich bin ganz wie neu geboren; so weich das Wasser, so wohltätig wirkend auf Körper und Geist, der Appetit so groß am großen Meere, ach und die Portionen so groß, daß selbst der hungrige Poet niemals gezwungen wäre, da wo es ihm doch so schwer wurde, Bescheidenheit so ainsi zu üben. Wahrlich, mein Lieber, jetzt würdest Du mit Frau und Schwägerinnen vollkommen zufrieden sein; wir gehen meist so lange am Strande, daß wir oft schon unterwegs wie Schafe schleifen; weite Wege machen wir des Nachmittags bis Sonnenuntergang. Da wo Du zuletzt Dich in die Fluten stürztest, führt ein wunderschöner Strandweg weit weithin dem Abendhimmel zu. Tausende von kleinen Muschelchen mit Regentropfen gefüllt blinken bei Sonnenschein im glatten Sande wie Sternchen; endlich gelangt man zu einer Schwefelquelle, über die sich die schönsten Blüten und Sträuche überbiegen, eine Fruchtbarkeit gedrängt an eine Stelle wie sie mir kaum vorgekommen. Ich ging vorgestern bei sehr heiterm Sonnenuntergange an der Quelle vorbei auf die Höhe in Deinem Geiste, und grüßte Dich mit tausend frohen Grüßen beim ewig neuen Anblick der Unendlichkeit oben und unten. Endlich konnten Hannchen und ich nicht mehr dem Drange widerstehen, auch einmal frei, wie Du gelehrt, hineinzustürzen. Ach, das nur heißt baden! Es ist ein himmlisches, ein Götterspiel! Das Wasser schien uns so warm, wir konnten nicht wieder hinausfinden; lachend, jubelnd tanzten wir, bis ich endlich rief: es muß geschieden sein! und Hannchen bei der Hand nahm und mit ihr hinauseilte. Die Sonne half trocknen; es ging alles und bekam vortrefflich, und ich hätte es Dir immer so gern zugerufen, denn ich war kindisch ausgelassen; während Du wie Saul mit den Philistern vor dem Mecklenburger Thimnath mit der Dummheit kämpftest, trieben wir mit den Wellen unser Spiel. Nun, wir wollen es erneuen einst mit unsern Strohhütchen? Nicht wahr, dabei bleibt es doch? – Jetzt ist nun die Luft zu stürmisch, und ohne Sonne zu kalt für ein freies Bad; desto stärkender aber auch wieder im Karren; ich glaube jetzt daran, daß diese Septemberbäder die stärkendsten sind, und wie ich mich jetzt befinde, wird es von dem unendlichsten Nutzen für mich sein; ich singe immer nachher und bin für die Schwestern ein wahrer Lustigmacher geworden. Verzeihe mir ja alle Trübheit! Ich sehe nunmehr ein, es ist rein körperlich bei mir, wenn es eintritt; alle künstlichen Mittel sind ärmliche Nachhilfe; Heiterkeit kann nur sein, wenn der Körper selbsttätig; Trägheit des Körpers schafft Geistesträgheit notwendig. Warum mußte es nun aber gerade bei Deinem Hiersein so kommen? Nun, dafür verspreche ich Dir zur Zeit ohne Meer, wo Du es mehr bedarfst, desto heitrere Stunden voll kräftiger Gesundheit. Dich wird es für das Schaffen merkwürdig erstarkt haben; ich verspreche mir viel Freudiges davon. Das Polenbuch, mit welchem ich immer nur langsam vorrücke, da wir bei jetziger Witterung meist gehen müssen, interessiert mich sehr, und ich danke Dir dafür. Bald fange ich das dritte Buch »bis Sobiesky« an, auf das ich unendlich begierig bin. Charakterlosigkeit habe ich viel gefunden; bis ins Unglaubliche geht es oft; ich hätte Dich oft fragen mögen, ob nur hauptsächlich die polnische Geschichte diese und jene Momente aufzuweisen habe, weil ich hier nicht so vergleichen kann. Der Trieb wird durch diese Geschichte so erhitzt bei mir, in das volle Meer der Geschichte einzutauchen, daß Du Deine Freude haben wirst. Es ist ein ungeheurer Roman, sehe ich jetzt, Tatsache auf Tatsache! Wie kommt's eigentlich nur, daß im allgemeinen mehr Romane gelesen werden als Geschichte? Ich begreife jetzt wohl Dein Zurückhalten gegen noch so interessante historische Romane; die Sache und die Charaktere werden meist in solchen Romanen behandelt, wie es eben zum Krame paßt.
Arbeite nur nicht gleich zu arg! Sei recht weise, und denke, was zu einer vollendeten Kur gehört; viel Luft – und Baden? – brauche ich Dir nicht ans Herz zu legen, mein allzeit luftdürstender Wellenfreund! – Bei jetziger Kälte bleibe ja nicht lange im Wasser. Laß Dir zum Abtrocknen ein Bettuch geben; es ist damit eine schöne Sache; man kann sich nicht so leicht erkälten. Das blaue Tüchelchen hab' ich vergessen, Deinen Sachen beizupacken; glaube also nicht, es sei verloren gegangen. Gewöhne Hanne, hübsch immer in den Grenzen zu bleiben, damit sie mir nicht unangenehm vorkommt; Du verstehst schon prächtig die Art; es ist nicht gut wenn die Frau nachher so viel zu hemmen hat; die Mädchen werden leicht nach der Freiheit übermütig, so gut wie wir Menschen alle, jeder in seiner Art. Du wirst auf der Bibliothek auch ziemlich keck, frei, und eigentlich doch liebenswürdig sein, und heiter bei allen Mucken und nachsichtig-milde – denn sie haben ja nicht alle sich Heiterkeit und Frische im Meere geholt. Die Schwestern lassen Dich herzlich grüßen. Deine Briefe teil' ich ehrlich mit; es war gestern nachmittag bei Vorlesung Deiner Abenteuer großer Spaß, Du warst mitten unter uns. Die neueste Begebenheit voller Humor und Witz, wie sie just zur Kur zu empfehlen. Die Bücher übrigens, die Du Deinen Schwägerinnen besorgt, sitzen voller Kotgeschichten; Du kennst schon die Manier. »Große Männer haben ebensogut ihre Schwächen« – das ist der mattherzige Refrain der ganzen Darstellung. – Genug, die Gemeinheit macht sich breit; es ist aber doch eine Unterhaltung und – das große Meer spült alles wieder ab. Ich mußte Dich aber doch mit den empfohlenen Büchern ein wenig bekannt machen; sie haben mir oft das Ärgste daraus mitgeteilt; da hab' ich Dich denn verteidigt, daß Du sie wirklich gar nicht gekannt und Dich wohl nur durch den interessanten Titel habest bestechen lassen. Ein interessanter Titel – oh, der besticht gar manchen, im Leben wie im Lesen! – Es ist eine Lust, sich davon frei zu fühlen! –
Nun für heute ein inniges Lebewohl von Deiner treuen
Charlotte.
Es ist keine Zeit mehr zum Durchlesen; ach, sei nicht böse mit der Interpunktion!
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An Heinrich Stieglitz
Aus Doberan.
Försterhaus am Meere,
den 7. September 1832.
Guten Tag, mein Teuerster!
Wenn jetzt ein Brief von Dir auf dem Wege ist, so freue Dich nur recht in meine Seele; denn nach all den Abenteuern möcht' ich Dich gern nun zu Hause wissen und bekomme auch sicher die erwünschte Kunde morgen, wo die Post von Berlin hier eintrifft. Ich sende Dir diesen Gruß, damit Du weißt, daß wir mittwochs von hier über Ludwigslust abreisen, also Freitag morgen oder mittag, wenn keine Hemmungen unterwegs kommen, in Berlin eintreffen, Du also mit dem Brief-Absenden Dich darnach richten kannst.
Ich habe heut das einunddreißigste Bad genommen, eine artige Zahl! und da wir all diese Tage furchtbare Wellen gehabt, so wie Du sie leider hier nie gesehn, so denke ich wird es eine vollendete Kur sein. Übrigens habe ich nun meinen Körper kennen gelernt, gerade an der Wirkung des Bades, und das ist mir unendlich viel wert. Die Brust wird mir ganz gestärkt, die Nerven ebenfalls; der Magen aber, oder vielmehr was darunter ist, wird vielleicht erst später gesund, als Folge, oder ich habe einsehen gelernt, daß ich künftiges Frühjahr, eh wir nach Petersburg gehn, eine kleine Kur brauchen muß, auf welche alsdann zur Stärkung die Neva-Bäder erfolgen. Das meint der alte Vogel auch. Gestern freue ich mich, daß meine Stimme wieder so klar ist nach dem Meerbade; ich singe ungefähr fünf Minuten, und kurz daraufbekomme ich jene alte wehe Empfindung; ich zeige den andern die Stelle, und alle kommen darin überein, daß das der Magen ist und gar nicht die Brust; und auch ich sehe nunmehr ein, daß der kurze Atem beim Bergsteigen, beim Baden, nimmermehr aus der Brust kommt. Der Husten früher kam vielleicht von Angegriffensein durch zu vieles und anhaltendes Singen (vornehmlich bei den Aufführungen in der Kirche und den dazu nötigen Vorbereitungen) aus der Brust; die letzte Zeit aber hing er wohl schon sehr mit dem Magen zusammen. Dies scheint durchaus meine schwache Partie zu sein. Nun, mein Teuerster, Du weißt warum ich nachspüre; weil ich von Dir gelernt habe dagegen zu tun, damit ich wieder freie und gleichmäßige Stimmung erlange, und dies ja hauptsächlich für Dich. – Wir haben köstlichen Sonnenuntergang einigemal gehabt; hast Du nicht recht dabei an uns gedacht? – Grüße alle, d. h. die Freunde.
Bald wieder bei Dir Deine gestärkte freudige
Charlotte.
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An Baron L. Stieglitz
Berlin, den 15. Dezember 1832.
Wenn ich Ihr innerstes Wesen richtig aufgefaßt und verstanden habe, so achten Sie den Menschen nur insofern, als er in seiner eigensten Richtung sich bewährt und betätigt, und gönnen gern jeglichem eine freie Entwicklung in seinem Berufe. Sie haben dies mit dem großsinnigen Monarchen gemein, welcher den Menschen nicht nach äußeren Vorteilen und engen Zwecken beurteilt, sondern, so weit sein Arm reicht, jeden in seiner wahren und wirklichen Stellung fördert, zunächst ganz unbekümmert um den etwaigen Vorteil, welcher ihm, dem Monarchen, aus dieser Stellung des einzelnen erwächst. Kommt doch die Entwicklung jeder Einzelkraft dem großen Ganzen zugute, in dessen Mittelpunkt der wahrhaft große Herrscher, wie jeder Mensch in seinem größern oder kleinern Wirkungskreise, als ein Statthalter Gottes auf Erden sich befindet. Wie selten diese schöne Vereinigung von Kraft und Willen sich in einem Individuum vereint, davon zeugen nur allzu sehr die mannigfachen Beispiele verkümmerter Talente und der betrübende Untergang früh gehegter edler Hoffnungen.
Allerdings kann an den einzelnen die Forderung gestellt werden, daß, sobald er mündig, er auch den unerläßlichen Bedingungen des Lebens sich unterwerfe, in und für seinen Kreis das herbeizuschaffen, was das Leben als nächsten und notwendigsten Bedarf erheischt. Glücklich, wenn in dem so leicht entstehenden Konflikt des Innern und Äußern, Beruf und Stellung sich zu einer wohltuenden Harmonie einander ausgleichend einigen. Vielleicht ist kein Beruf dem Eintreten jenes Konflikts auf eine gefahrvollere und zerstörendere Weise ausgesetzt, als der des Dichters. Jeder anderen Kunst bieten die Verhältnisse der bürgerlichen Ordnung reichliche Gelegenheit, durch die Ausübung ihrer selbst auch den kleinen Anforderungen des Bedürfnisses zu genügen. Nur der Dichter sieht sich gezwungen, nach einer anderen Beschäftigung noch, als die sein Innerstes ihm zur Bedingung macht, sich umzusehn. Daher die mannigfachen Klagen aus allen Zeiten und unter allen Völkern über diese Disharmonien, daher der freudige Jubel der wenigen begünstigten einzelnen, denen entweder durch eigne Glücksgüter oder durch Vermittlung eines edlen Gönners das geworden, was zur freien unverkümmerten Hervorbildung des innern Schatzes unerläßlich ist. Denn der Dichter bedarf vor allen anderen der Muße, einer freien heitern Muße in den Stunden des Schaffens und Bildens; es gibt genug Stürme und Schmerzen, die er seiner ganzen Organisation nach zu bestehen hat; ja, ich möchte den nicht glücklich preisen, der diese Schmerzen und diese Stürme entbehrt; ein solcher mag manches Hübsche und Erfreuende zutage fördern, der wahre Gehalt des Lebens wird seinen Gebilden ewig mangeln. Daß ich hier nur den wahrhaft Berufenen im Auge habe, nicht den, welchem eine rasche Feder den Tagesinteressen zu huldigen erlaubt und der daher mit dem flüchtigen Dank des Tages auch die äußerlichen Vorteile erntet und hierin sich befriedigt fühlt, versteht sich von selbst.
Was Ihnen Heinrich, was ich mit ihm Ihnen, mein verehrter Freund, bisher zu danken gehabt, ist zu tief und innig für das Wort. Unsere Liebe und, ich hoffe, Werke sollen das mehr und mehr bestätigen. Was aus H. geworden wäre ohne Sie, mag ich mir kaum vorstellen. Es heißt zwar im allgemeinen: Not bricht Eisen; aber dieses ließe für besondre Fälle sich auch furchtbar deuten, und ich halte gerade Heinrich für eine Natur, die ungeachtet ihres Reichtums – Ihnen darf ich das wohl aussprechen – und ihrer seltenen Entwicklungsfähigkeit, in engenden Verhältnissen unaufhaltsam müßte zugrunde gegangen sein. Es ist in ihm die Leidenschaftlichkeit der Spannung aller Kräfte auf einen Mittelpunkt mit einer Macht vorhanden, die zu gewissen Zeiten alles andere abschneidet und ausschließt; und eben in dem Unvermögen, den nach einem Ziele sich hindrängenden einseitigen Strom der Kräfte vor der Vollendung des einen zu hemmen und zu bändigen, kommt es oft zu einem unsäglichen Leiden, wenn Äußerliches, sich täglich wiederholend, zwischen ihn und seine Aufgabe tritt. Auf diese Weise wird die Stellung nach außen mit all ihren daran klebenden Bedingnissen zu gewissen Zeiten der böse Dämon, nicht allein für die vorliegende Aufgabe, sondern wirklich und sichtbar für die Gesundheit; es kann hiermit bisweilen ein Zurückwerfen eintreten, wie es bei einer sonst so kräftigen Konstitution kaum glaublich ist, ein Vernichtetsein geistig und körperlich, das zu meinem Schreck in der letzten Zeit sich häufiger wiederholt und immer länger anhält, und das, wenn es so fortgeht, am Ende Geistiges und Physisches zugleich untergraben muß.
Wie oft ist in solchen Perioden der heiße Wunsch in mir entstanden, daß es ihm vergönnt sein möchte, unbeschränkt durch eine äußere Stellung, einzig und allein seiner Aufgabe zu leben und mehr Erholung zu gewinnen, anstatt daß er jetzt die Hervorbildung alles dessen, was in ihm vorgeht, und die Studien, deren sein Geist zur Nahrung bedarf, fast einzig in die Früh- und Abendstunden zusammendrängen muß, oft sogar mit von der Tagesarbeit ermüdetem Körper. Daß ich bisweilen mir sogar Skrupel gemacht habe, selbst gegen meine Überzeugung, ob es in dieser Hinsicht nicht besser für ihn wäre allein zu stehen, um sich von allen Lebensverhältnissen losmachen zu können, werden Sie mir glauben. Da ich mich aber unterfange, wenn es gilt, mit dem möglichst Wenigen anständig hauszuhalten, so kann ich auch wieder mich selbst hierüber beruhigen. Und so geht denn an Sie, mein Verehrter, vertrauensvoll die Frage, ob Sie mit mir einstimmen in den Plan, H. frei zu machen von den äußren Hemmungen und somit seiner geistigen Entwicklung eine freiere und zugleich weniger aufreibende Tätigkeit zu gönnen? – Daß ich nicht etwa kindisch schwärme – was Sie wohl ohnedies von mir nicht glauben – möge Ihnen der beigefügte Überschlag unsrer häuslichen Bedürfnisse dartun. –
Was die meisten Menschen von notwendigem Ballast und dergleichen sprechen, damit das Lebensschiff einen sicheren Halt habe, mag im allgemeinen gelten und recht anwendbar sein, besonders auf solche Naturen, die sich leicht zersplittern und verflüchtigen; bei H. findet es keine Anwendung, wenn ich auch nur seinen Drang zu immer wachsender Fülle geistiger Erkenntnis und seine damit zusammenhängende Lust an ernsten Studien erwäge; ganz abgesehen davon, daß ein tiefer Ernst des Gestaltens schon an sich einen festen Haltpunkt gewährt. Auch hat er ja die vielleicht für einen jeden einmal notwendig durchzumachende Schule des Lebens in einer sechsjährigen Lehrzeit, früher sogar in dem doppelten Verhältnis zu Schule und Bibliothek, mit all den damit zusammenhängenden Erfahrungen bestanden.
So hätte ich denn, mein innigst verehrter Freund, den geheimsten Wunsch meines Lebens Ihnen auf eine Weise erschlossen, wie es nur bei dem Vertrauen möglich ist, wozu mich Ihr ganzes Wesen berechtigt, zugleich aber auch die Überzeugung der Würdigkeit dessen, für den ich spreche.
In unwandelbarer Freundschaft Ihre
Charlotte Stieglitz.
Wenn Sie vielleicht dennoch einer andern Ansicht wären, als der meinigen, so dürfte ich Sie in jedem Falle doch um eine Zeile Antwort bitten. Das an mich adressierte Blatt könnte ja nur mit einem Umschlage versehen sein an Mad. E., der ich in dieser Beziehung mich vertrauen werde. Und Sie werden mich nicht verkennen!
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An Baron L. Stieglitz
Den 18. Dezember 1832.
Es ist eine eigene Sache um ein in die Ferne gesendetes Blatt. Seit zwei Tagen fühle ich eine Unruhe wie sie mir sonst nicht eigen ist und ich kann nicht aufhören mich mit Ihnen, mein Teuerster, zu beschäftigen. Nicht etwa Reue, oder Zweifel über den Erfolg – ach nein, es ist ein ganz anderes Gefühl, welches gestern abend mir mit einem Male klar ward, so daß ich die letzte Nacht davor kein Auge zutun konnte. Ich möchte es Ihnen nur so recht lebhaft darstellen können, wie es tief mein Innerstes ergriff, als in einem Gesellschaftsgewühl beim ersten Wiedersehen eine mir befreundete junge Dame, die kurz vor Ihrer Ankunft Zeuge meiner gespannten Erwartung gewesen war, lebhaft die Frage an mich richtete: Nun, Sie haben Ihren Onkel gesehen?! – Gott weiß, ich mag in dem Augenblick wohl freudig geantwortet haben, aber ich mußte gleich darauf mich abwenden, um eine heiße Träne zu unterdrücken. Aufs lebendigste stand mir den ganzen Abend Ihr Hiersein vor der Seele; ich erinnerte mich unaufhörlich der Worte, die ich so oft mit meinem Stieglitz in Beziehung auf Sie wiederholte und die mir für unser Verhältnis zu Ihnen so bezeichnend schienen, daß ich sie auch an meinen Bruder schrieb: »Seitdem ich ihn gesehen und näher erkannt habe, könnte ich ordentlich wünschen, nicht in Beziehung des Danks zu ihm zu stehen, weil meine Liebe zu ihm freiwillig, der Dank aber pflichtmäßig ist.« Ja, ich hätte wünschen mögen, Sie wären ebenfalls arm an äußeren Glücksgütern – Sie verzeihen mir diesen Wunsch – und es hätte nie eine andere Beziehung zwischen uns als die der reinen Freundschaft bestanden. Doch man verrücke nur etwas in der Welt, und es bleibt nicht mehr dasselbe. Denn ist nicht unsere Verehrung für Sie gerade daraus erwachsen und so mächtig worden, ja gehört es nicht unzertrennlich zu Ihrem ganzen Wesen, daß Sie eben auf Ihrem Standpunkte, bei Ihrem Wirken sich die warme Empfänglichkeit, den echten frischen vollgültigen Menschen erhalten? – Und zu Ihnen mußte auch ich kommen mit einer Bitte, die mich unter die Zahl der vielen stellt, die Sie gewohnt sein werden – und das ist es, was mir nicht Ruhe läßt. Ach möchte doch die Intention Sie mit dem Schritte versöhnen und mich eben nicht als eine von jenen vielen erscheinen lassen! Ja, wenn meine wahrheitsgetreue Darstellung, die ich meinem Vertrauen zu Ihnen schuldig zu sein glaubte, Sie nicht selbst aus eigner Ansicht zur Erfüllung meines Wunsches veranlaßt, so mögen Sie ihn als nicht getan betrachten; nur so glaube ich meinen Schritt vor Ihnen, teurer Freund, nur so das Geheimnis vor meinem Stieglitz verantworten zu können, in dessen Nähe es ohne diese Erklärung mich allzusehr drücken würde. Nicht, Sie zu überzeugen, wohl aber noch zu meiner eignen Rechtfertigung füg' ich hinzu, daß, da gestern abend (als sollte alles zusammenkommen, um meine Unruhe zu steigern) von einem Gelehrten gerühmt wurde, der ohne Vermögen und ohne alle Unterstützung es in kurzer Zeit so weit gebracht, Frau und ich weiß nicht wie viel Kinder anständig zu ernähren, ich mir vorstellte, wie Sie wohl bei Empfang meines Briefes an viele ähnliche Beispiele denken möchten, wo talentvolle Menschen durch das ganze Leben sich durchgearbeitet, und somit Ihnen mein Wunsch notwendig als sehr unbescheiden erscheinen müsse. Aber ich weiß, wie gern auch Heinrich diese Doppelaufgabe des Lebens redlich durchführen möchte, weiß daß, wie er jetzt denkt, von ihm aus nie eine ähnliche Bitte für sich selbst auch in der schwersten Zeit würde ausgegangen sein, und hielt es um so mehr für meine Pflicht, bei den gefahrvollen Zuständen, welche der an sich, ungeachtet des frischen Aussehens, so unglaublich reizbare Körper bei dem Mißverhältnis der geistigen Lebendigkeit und den Anforderungen eines mächtigen Vorwärts mit der täglich wiederkehrenden Abspannung durch amtliche Beschäftigung so häufig hervorbringen, in dieser Beziehung für ihn zu sprechen.
Weiß ich es doch dem Himmel Dank, daß er uns keine Kinder gibt; ja ich sehe das Entbehren dieses von vielen so heiß ersehnten Glücks als einen Fingerzeig der einzigen Möglichkeit seiner geistigen Freistellung an.
Nun, so habe ich mich denn vor Ihnen, mein verehrter Freund, wieder ruhig gesprochen, und gewissermaßen vor mir selber gereinigt. Ich denke wieder freudiger an die schöne Zeit unseres Beisammenseins und scheide auch diesmal mit der festen Überzeugung, daß Sie mich in liebendem Andenken erhalten als Ihre treu ergebene Freundin
Charlotte Stieglitz.
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An Heinrich Stieglitz
Den 21. Januar 1833.
Mein Teuerster!
Nach einigen Jahren hast Du Orient und vielleicht zwei Tragödien gedichtet.
Soviel Natur als hier, ist im Norden auch. Freunde schreiben Briefe nach Nord und Süd. Reisen machen kann man überall, wenn man nur Geld dazu hat. Sobald der Orient beendet, studierst du Literatur ganz allmählich, machst Dich alsdann näher vertraut mit Literaturgeschichten, die es jetzt in Hülle und Fülle gibt, so daß es leicht ist nach einiger Zeit über Literatur lesen zu können. Wir suchen eine Anstellung im Norden; dort wird gut bezahlt. Die innern Rosen- und Myrtenhaine blühen frisch in unsrer Liebe. Die Anstellung muß so sein, daß wir in den Ferien eine Reise machen, groß oder klein, nach Deutschland oder nach Italien. Künftig, wenn Du im Norden, behandelst Du deutsche Stoffe in der Sehnsucht nach Deutschland. Die deutsche Geliebte sieht sie auch im Norden glühend mit Dir durch. Du machst alsdann den Deutschen oft Liebeserklärungen, weil sie die ferne Geliebte sind. Und so lebst Du frischer in Deutschlands Herzen fort – Du bleibt ein deutscher Dichter. Ziehst auch Deutsche nach Dir – wer weiß, wie es nach zehn Jahren? – am Ende ein deutscher Freundeskreis um uns! – In Petersburg braucht es nicht zu sein, sondern in jeder tüchtigen nordischen Universitätsstadt. Täglich eine Stunde müßtest Du lesen – mehr nicht. Was sperren wir uns? Laß im Frühjahr in Petersburg uns Probe machen! Der Brief vom Onkel hat dies alles in mir angeregt. Welch eine Welt, dort Deutsche Literatur zu lesen, den Gott in der Blütenwelt zu zeigen – köstliche Aufgabe! Missionar des menschlichen Geistes zu werden, und daneben selbst einen Blütengarten zu schaffen! – Mich faßt die Aufgabe in Dich hinein ganz merkwürdig. Du würdest ganz eigentümlich wirken.
Dies würde eine Stellung zugleich zur Welt, wie sie für einen solchen Menschen ziemt. Zur langsamen Vorbereitung kommt Dir sogar die Bibliothek zugute. Willst Du? – Ja! –
Gib Deinen Segen, guter Gott, und gib ihm Deinen Blütengeist auch in Deinem Norden! Wie sollte man sich nicht trennen können? Überall ist Er der Quell des Lebens und des Geistes, der unsterbliche Geber hier und in alle Ewigkeit! –
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An Heinrich Stieglitz
Den 3. Februar 1833.
Sonnabend abends.
Die unendliche Liebe zu Gott beruht im Christentum auf der Milde, der Vergebung; mit einem Male verstehe ich die Liebe Gottes, wenn ich mit freier Brust mich ihm gegenüberstelle; da sieh' mich wie ich bin mit all meinen Falten, meinen menschlichen Schwächen! – Dir ist nichts verborgen, und dennoch schüchterst Du mit Deinem Zorn mich nicht ein; ich fühle Deine Milde, und um dieser Milde willen liebe ich Dich, und sie stärkt mich nicht allein, sondern diese Liebe wird eine tätige.
»Irdische Liebe«, sprach Jesus, »ist nur Funken jener Liebe, die die Gottheit hegt, für den Sünder selbst, dem tief gesunken noch ein menschlich Herz im Busen schlägt!« –
Die Juden fürchteten Gott knechtisch; ihr Gott war der zürnende, und deshalb waren sie ihm nicht treu. Strenge flößt keine Liebe ein, weder in den Charakter, noch zum Objekt. Wer nicht kleine Fehler oder Schwächen verzeihen kann, kaum anhören, erbittert. Wir sind verwöhnte Kinder der unendlichen Liebe, an Wahrheit gewöhnt; aber nur in stummer Sprache soll es heilig bleiben, und so wird das Wort die Schuld.
Ist es denn so unverzeihlich, wenn die Frau, die keine Kinder zu erziehen, also gar keine Taten aufzuweisen hat, die irgend für sie zeugen, nicht gerne in die Reihe der Beischläferinnen gezählt sein will? Daher vielleicht die Empfindlichkeit und die Befangenheit gegen alle, die nicht das Individuum und sein Verhältnis, sondern nur das Geschlecht erkennen. – Wo ist die Schuld? – Ich sage nicht »ich will es nicht ertragen«, sondern: »ich bin befangen«. Wahrheit! – Glaubst Du aber, ich täusche mich, so fühle das Herz, wenn ein solcher in die Türe tritt; wie die Fühlhörner der Schnecke, so zieht sich alles in sich selbst zurück. –
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An Friederike Stieglitz
Den 5. Februar 1833.
Zuvor die innigsten Grüße, meine teure Mutter, und alsdann zu unsern Geschäften. Ich bin zu mehrern Färbern gegangen, und dies vorzüglich wegen der Kante, um die es doch schade wäre, wenn sie abgeschnitten würde. Sie haben nun davon nichts geschrieben; ich glaube auch, daß man es seit einiger Zeit zu der Kunst gebracht hat, das Tuch und den Grund der Kante zu färben, und die Kante selbst frisch zu erhalten; es kommt da lediglich auf den Stoff an, je nachdem es schön wird. Ein türkischer Shawl kostet auf diese Weise zwanzig Taler, aber er wird ganz wie neu; ein englischer kostet viel weniger; es kommt dabei auch auf die Größe an. Auf rote Farbe, als die allerechteste und deshalb schwierigste zum Färben, kann nur dunkelgrün oder dunkelbraun gesetzt werden, darin stimmen sie alle überein; zwischen diesen Farben also können Sie nun wählen. Schicken Sie das Tuch nur mit der Kante; die Leute können es doch am besten bestimmen, wenn sie es selbst sehen.
Daß Sie aber, mein Mütterchen, so bestimmt wissen, daß Sie Ihre Kinder nie in Berlin besuchen werden, glaube ich Ihnen nicht; Sie können gar nicht wissen, welch eine günstige Gelegenheit Sie noch plötzlich einmal uns zuführt. Sie sind noch viel zu jung als daß sich nicht unerwartet dies auf eine leichte Weise machen könnte; ich wenigstens bin gar nicht gesonnen diese Hoffnung aufzugeben. Auf Ihre Frage nach meiner Gesundheit kann ich doch wirklich sagen, daß bis diesen Augenblick, Gott sei gedankt und erhalte es! der arge Winterhusten, der mich immer stark angriff, durch das Bad verscheucht und es somit mir so wie Heinrich sehr nützlich geworden. Von Leipzig habe ich viele Grüße für Sie; sie sind alle ziemlich wohl. Vor kurzem war ich Patin bei dem zweiten Kinde, einem Töchterchen, meines Bruders; er ist sehr glücklich mit seinen Kindern; bis jetzt haben sie ihm noch nicht viel Sorge gemacht, was er um so mehr erkennt, da die beiden Schwestern so vielen Kummer und so vieles Leiden mit den Kindern gehabt, was ich ja auch so früh erfahren mußte, daß ich immer glaubte, Kinder und Krankheit und Kummer gehören zusammen. Gott sei gedankt, daß Schwesterchen Emilie, die liebe gute Frau Pastorin, auch das Glück mit den Kinderchen hat, daß sie gesund aufgewachsen; dies ist doch das Wichtigste, denn erzogen werden sie gewiß vortrefflich. Grüßen Sie, mein Mütterchen, die lieben guten Buhls auf das innigste, und erhalten Sie mir Ihrer aller Liebe.
*
An Baron L. Stieglitz
Berlin, den 9. Februar 1833.
Ihr Brief, mein innigst verehrter Freund, selbst wenn er nicht an mich gerichtet wäre, – und mußte nicht manches darin mich beschämen und mich höchstens ermutigen, es einstmals zu verdienen? – hätte, wäre dies möglich, meine Liebe und Verehrung für Sie noch erhöhen müssen.
Wenn ich nun gleich den Punkt berühre, der sich als Antwort auf meine Briefe stellt, so möcht' ich auch das hierüber von Ihnen als Lebensansicht Ausgesprochene mit Ihren eigensten Worten in das Wanderbuch eines jeden ins Leben tretenden jungen Mannes schreiben. Nur einer oder der andere würde vielleicht zu viele Kräfte zusetzen müssen, um diesen schweren Stein, ein fremdes Element, zu wälzen, und es möchte bei dem Kampfe manches zerrieben werden, und nicht etwa Schlacke, sondern edles Schrot und Korn.
Ich habe nach Empfang Ihres herrlichen Briefes, alle Ihre Gründe beherzigend, mir die Sache nochmals vielfach und wiederholt überlegt; und ich gestehe, daß ein sehr heftiger Zwiespalt des Für und Wider in mir entstanden ist. Denn über jeden Ihrer, an sich so triftigen Gründe, ließe sich aus dem besondern Falle hervor so vieles hin und her erwägen; manche daraus hervorgehende Wahrheit hat sich allerdings auch an H. unverkennbar bewährt, gehört aber meines Dafürhaltens in ihren Wirkungen bereits der Vergangenheit an; anderem stellt der stets von neuem angegriffene Gesundheitszustand so entscheidend sich gegenüber,– wie denn in dieser letzten Zeit der Arzt mir versicherte, es könne auf diese Weise nicht lange gut gehn – daß ich Ihnen, mein verehrter Freund, doch unendlich danken muß für das Vertrauen, daß Sie die Möglichkeit einstmaliger Erfüllung mir nicht abschneiden. Nicht als ob ich nun gleich die Ausführung dessen betreiben wollte, wovon ich noch nicht einmal weiß, wie Heinrich es von Seiten der Lebensverhältnisse ansehen wird, wenn ich ihm nun als wirklich darstelle, was allerdings seit einiger Zeit in ihm als innerstes Bedürfnis lebt, und zwar lediglich von der Ansicht ausgehend, daß, um beides durchzuführen, die Körperkraft nicht hinreiche.
Was Sie von jener Zukunft sagen, die ich in bezug auf Sie mir nicht denken kann und mag, so lassen Sie uns einmal zurückgehend betrachten, was H. ohne Sie wohl überhaupt geworden wäre, – ein wohlbestallter Professor, der ohne inneren Beruf zusammengetragene Hefte abliest (wie er denn deren gar manche unter seinen früher Mitstrebenden beklagt); ein Schulmann, der gegen alle Neigung lehrt, nicht wozu es ihn drängt, sondern was der Plan der Anstalt eben gut heißt; oder sonst etwas dergleichen. Worin H. fühlt, daß er sich nicht auszeichnen kann, das hält er lieber von sich ab und zieht die mechanische Beschäftigung auf der Bibliothek solch einer Halbheit der Lebensstellung vor. Daß aber, wenn in dieser Hinsicht das Äußerste erfordert würde, ein Mensch, der etwas Tüchtiges gelernt hat, äußerlich nie zugrunde gehen kann, das werden Sie, mein Teurer, mir gewiß zugeben. Kommt denn aber nicht alles redlich Erlernte am Ende mehr dem inneren Berufe als der äußern Stellung zugute? Die Studien, die H. mit der größten Energie treibt und niemals ernstlich zu verfolgen aufhören wird, werden immer für das jedesmalige Werk befruchtend, und das ist es, denke ich, wodurch er sich die Achtung der Welt erwerben und erhalten wird.
Was meine ökonomische Einteilung betrifft, so wird sich H. alsdann schon mehr literarisch etwas hinzu verdienen können; und dann, glauben Sie nur, es ist nicht möglich, sich in Ihren Verhältnissen einen Begriff davon zu machen, mit wie wenigem man anständig haushalten kann. Ach, nur Gesundheit und froher Sinn muß im Hause walten! Dann ist Rindfleisch mit Kartoffeln (Schwärmen ist verpönt; wir leben nicht allein von Lieb' und Sonnenschein) trotz Jagors wunderschönen Reisbirnen eine Götterspeise! Vielleicht aber erstarkt H. physisch schon an der Aussicht der Möglichkeit; denn daß die geistige Frische trotz manches Körperleidens dieser letzten Monate in ihm noch die alte ist, wird Ihnen wohl der vierte Band des Orients beweisen, den er in einigen Tagen zum Drucke abzuschicken gedenkt. Was mittlerweile unter uns besprochen, werde ich ihm erst dann mitteilen, wenn das Manuskript aus seinen Händen ist, um ihn bei der letzten Durcharbeitung mit nichts anderem aufzuregen. Seltsam wird Ihnen einiges in dem neuen Drama erscheinen, welches in China spielt, wegen des unwillkürlichen auf die Spitze Treibens jenes Wunsches. Ja ich glaube, wenn auch die Sache nie zur Ausführung käme (und zwar aus eigener Überlegung in ihm), so würde dennoch die Freistellung niemals aufhören als ein letztes Glück ihm vorzuschweben.
Auf die Reise zu Ihnen blicke ich mit doppelter Freude. Einesteils – doch darüber bedarf es wohl nicht erst der Versicherung – andernteils hoffe ich für H. außer dem innern Gewinn einer Fülle neuer Anschauung, auch wohltätige Erfrischung, ohne welche ich kaum wünschen darf, daß er zur Durchführung eines neuen Plans, der sich in ihm gebildet, schreiten möge.
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An Friederike Stieglitz
Berlin, den 13. Februar 1833.
Wenn ich auch, meine teure Mutter, von ganzem Herzen danke, so teile ich doch auch recht innig die Bitte Heinrichs in seinem letzten Briefe, uns nichts zu Weihnachten zu schenken. Sind wir doch Ihrer vollen mütterlichen Liebe – erlauben Sie uns dies wohl? – auch so auf das lebendigste überzeugt. Ja, wenn man nicht mit all diesen leidigen Anforderungen auf diesem Boden stände, ich hätte auch Heinrich längst überredet er möge das Bibliotheks-Gehalt einem andern gönnen und sich mehr Muße, mehr Möglichkeit zu kräftigender Erholung. Ausgeführt muß es auch einmal werden; ich habe schon manches dazu eingeleitet. Gesundheit und innere Frische ist das Höchste und Notwendigste im Leben, die Grundbedingung zu allem andern. Doch jene Erwähnung vorerst nur unter uns. – Unsern lieben Berndorfern, Emilie, Buhls, den Kindern, legen Sie uns ans Herz, und bleiben Sie uns in alter Liebe zugetan.
Ihre
Charlotte Stieglitz.
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An Friederike Stieglitz
April 1833.
Möchte Ihnen, liebe Mutter, meine Wahl gefallen; ich denke wenigstens sie ist ziemlich zweckmäßig. Das Kleid für Emilie kann rechts und links getragen werden und ist deshalb ein sehr beliebtes neumodisches Zeug. Für Ihre beiden Kleider würde ich zu dünnem Futter raten; vielleicht haben Sie alte Vorhänge die dünne genug sind; man tut es jetzt bei den dünnen seidnen Zeugen allgemein und hat dabei auch den Vorteil des Umwendens. Ich freute mich als ich das halbseidne graue Zeug fand, als das passendste was ich mir für den Zweck denken konnte; es sieht, wie mich dünkt, wie Seide aus, und Sie werden noch obendrein Staat in Pyrmont damit machen; auch ist es eine rechte Staubfarbe; Heinrich erinnert sich aus früherer Zeit eines solchen grauen Rocks bei Ihnen, und das sei sein Liebling gewesen.
Die Kleider übrigens haben noch ihren alten Schnitt, vorne nur ein Schneppchen; die Ärmel werden noch weit getragen. Einen Kragenschnitt lege ich aber bei, der ist verändert.
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An Heinrich Stieglitz
Petersburg. Auf Kamenoiostrow
Den 20. Juli 1833.
Vor allem innigsten Dank, mein Teurer, für Deine vier letzten Briefe, von denen ich drei an einem Tage, zwei des Morgens und einen am Abend erhielt, so daß Onkel Ludwig scherzend bemerkte, er wundere sich jetzt mit dem gesamten Comptoir-Personal über jeden Brief, der nicht an mich gerichtet sei. Ich habe eine doppelte Freude in der Mitteilung, die von ganzem Herzen hier ja alle Mitglieder interessiert. Entweder ich lese vor, oder verteile an die abwesend gewesenen Vetter, den ersten an diesen, den zweiten an den andern, und so lebst Du denn lebendig in unserm Kreise fort.
In Deinem letzten Schreiben sah ich übrigens schon viel Stimmung durchblicken, ein Beweis daß Du nun Moskau genug gesehen, d.h. für's Leben hinreichend als Erinnerung; Du kannst es nie wieder vergessen, Du bist zur Ruhe der Stimmung gekommen; dazu das Elias-Fest, das Gedicht, alles gelebt und höchst ansprechend. Nun aber ists genug, und Gott sei Dank, Ihr seid nun ja fort. Wenn es übrigens so fortgeht, zwölf Tage statt acht, wann wirst Du dann wiederkommen? – Doch stille! mir scheint's beinahe, Lottchen hat auch heute ein wenig Stimmung, und zwar Brunnenstimmung, und die ist manchmal ein wenig faible jetzt, aber verzeihlich – (»das Blümchen heißt Geduld!«).
Ein sehr erfreuliches Briefchen von Gustav Schwab ist an Dich gekommen. Außerdem eine Einladung von Professor Marx zu einer geistlichen Musik, die er am Johannistage in der Dreifaltigkeitskirche dirigiert. Plait-il? – Eine Einladungskarte auf soviel hundert Meilen ist in der Tat drollig! Aber schade doch daß wir's nicht hören können; es mag originell sein, – und dazu von einem Werdenden, ernstlich Wollenden – welcher Reiz! – hilft aber doch nichts, diesmal geht's nicht, selbst wenn Du gewaltiger Durchsetzer (»Gewaltsamer!« pflegte Große zu sagen) es coute qu'il coute durchsetzen und mich auf den Armen hinschleppen wolltest.
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An Heinrich Stieglitz
Kamenoiostrow bei St. Petersburg.
Abends den 22. Juli Deutschen Stils 1833.
In meiner jetzt einsamen Stube fühle ich mich so innig aufgefordert, meinem geflohenen Heinrich einen guten Abend zuzurufen, daß ich, ohne alles Erwarten von Deiner Seite, frisch zur Feder greife und Dich in Moskau, sage in Moskau! willkommen heiße. Alter Junge, wieviel magst Du auf diesen siebenhundert Werst geschlafen haben, gewiegt von gutem Winde, d.h. von Freund Stokes gefälligen Windkissen, oder Kissen-Winden, um, wie die Siebenschläfer, in einer neuen Welt erstaunt zu erwachen! Wie magst Du um Dich schauen, Orientale, nach all den Kuppeln grün und gelb! Ich sehe Dich lebhaft schwelgen, und zwar mit einer solchen Freude im Herzen, daß dies Gefühl mich ganz über unsre Trennung hinwegträgt; und, wahrhaftig in Wirklichkeit! reise ich nicht mit Dir in Gedanken? ja, komme ich nicht selbst schon im Geiste wieder mit Dir erfüllt und erfüllend zurück?! – – Wenn Deine Kaninchen-Freunde nicht mit Dir herumlaufen, so bin ich überzeugt sie lernen Dich nur als Wolf kennen, und Ihr feiert künftig Wolfserinnerungen – verstehst Du wohl, Du Heißhungriger, Unzähmbarer? – Laß dich auch in der Ferne immerhin ein wenig beglücken, und nimm meinen Rat, des Morgens für Taschenrinden zu sorgen, mit in den Orient hinüber, so lange wenigstens als man auf den Wegen keine Dattelbäume findet. –
Hier im Hause ist seit Deiner Abreise eine doppelte Veränderung vorgegangen, indem unsre geliebte Emilie (der Mittelpunkt des Hauses, wenn Ludwig nicht zu Hause ist) das Bettlein hüten muß. Ein tüchtiges Erkältungsfieber scheint es zu sein; und da nun an Ärzten kein Mangel, sorgfältige Pflege aber stets bereit, so denke ich, es soll sich bald wieder machen. Ludwig am Sonntag besorgt um sie zu sehen, war mir höchst rührend; sobald er gestern abend zu Hause kam, wich er nicht von ihrem Bette. Eine gewaltige Tiefe der Liebe besitzt dieser Mensch! Bei seinen Worten: »Wenn die Emilie krank ist, bin ich ein andrer Mensch« – (d. h. natürlich in dem Gedanken der Gefahr), dachte ich lebhaft an Deine Worte, und ich fühlte recht, daß Liebe doch eigentlich die Wurzel ist, die uns hier fesselt; man schlägt mit jeder neuen Liebe, wie wir sie nun hier empfinden, gleichsam neue Wurzeln; und bei Dir, weiß ich, werden sie ja sogar fruchtbar. – Ich lese viel in Deinen mir zurückgelassenen Tagebuch-Skizzen, und freue mich sehr daran; höchst interessant war mir die Bemerkung, daß zuerst Dich alles übernimmt, Du nach und nach mehr sichtest. Zuerst herrscht das Gefühl, nachher mehr Reflexionen; was bei letzteren bleibt, ist das Echte. Ich werde Ludwig eine Auswahl davon geben; ich habe unendliches Vertrauen zu ihm, und es macht mir zu großes Vergnügen, wenn er Dich so recht kennenlernt. – Aber was hast Du nur gelauscht, wo ich keine Ahnung davon hatte? Mitunter find' ich Stellen, vor denen steht: »Charlotte sagte eben«, – und dann Worte von mir, von denen ich kein Wort mehr weiß; unter andere hast Du gesetzt: »Bemerkung Charlottens« – Warte nur, Du Aufpasser, Du Aushorcher, Du Fliegenschnapper! Dir steckt der alte Philologe noch im Nacken, dessen graue Schlangenhaut ich längst schon von Dir abgestreift glaubte; ich werde mich wohl hüten, künftig unbefangen etwas hinzusagen, wenn ich solche Aufpasserei mir in der Nähe weiß. Ist mein Dichter Polizeispion? Doch nein! mein Dichter nehme immerhin im Einzelnen so wie im Ganzen, wie es ihm eben paßt und genehm ist, mich hin, und verbrauche mich wie er nur will; wenn's ihm nur nützt und frommt, ihn heiter macht und fördert; dann ist niemand glücklicher als die beglückte Dichtergattin. Ich freue mich schon zum voraus auf Deine Marie d'Arquien, auf Deine Kunigunde; ich höre beide manchmal schon in Deinem Geiste aus ihrem Sinne und Verhältnissen heraus sprechen. Glück auf, mein frischer, mutiger Poet! Leben und Schaffen in steter Wechselwirkung und im Einklang! So lange Du das festhältst, wird Dir's nie an Stoff, nie an der Kraft und Freudigkeit zur Ausführung fehlen. Ich freu' mich ordentlich daß Du jetzt eine Zeitlang ruhst (– denn Aufnehmen, auch noch so eifrig, nennst Du doch nur ruhen –) und nur Eindrücke, neue Gegenstände, neue Menschen lebst und fassest, daß Du – was selten bei Dir – freudig ruhst, Du allzu Eifriger, Du junges, in dieser Hinsicht noch blutjunges, ungezähmtes, allzu hitziges Roß! – ein bißchen mehr Zügel, ein leiser, unfühlbarer Kappzaum, wahrhaftig, mein Heinrich! glaub' es Deinem treuen Kriegskameraden, könnte Dir nicht schaden, hätte Dir bei frühester Erziehung etwas angezogener nicht schaden können, wäre später Dir für's ganze Leben trefflich zugute gekommen, zu größrer Ruh und Frieden, Takt und Maß. So muß das Leben nun Deine etwas zu früh dem elterlichen Hause ausgerissene Erziehung nachholen; das Leben und die Liebe hat schon vieles nachgeholt in Dir, ergänzt, gezähmt, wird es noch mehr und mehr, Du guter treuer Kamerad! – O, Dich glücklich wissen, glücklich und befriedigt im Streben und im Leben, das ist mein Glück, mein Frieden, das die Seelennahrung, an der ich zehre, in der ich gedeihe! –
Am Sonnabend abend war Emilie noch unten auf dem Sofa; Ludwig der Einzige aber, nicht ganz recht, zog ein grünseidnes Schlafröckchen an und spielte nun den Kranken, daß wir uns fast totlachen wollten. Ich fütterte ihn mit Zwieback und Tee; dazwischen rief er immer wie in Molière der malade imaginaire nach dem Bedienten; genug, es war eine Komödie, daß ich nur immer bedauerte daß Du es nicht mit ansehn konntest. – Am Sonntag war, wie natürlich, wieder große Gesellschaft; H. Romberg war auch zugegen; da hab' ich denn aus Titus und außerdem einige Lieder gesungen. Du weißt, wie trefflich er begleitet. Der treue Mensch! er liebt Dich wirklich wie ein Bruder; die alten Zeiten, die Ihr als Jungen in Gotha zusammen verlebt, sind ihm alle noch wie heute gegenwärtig. Aber warte nur, Du böser Mensch, was muß ich alles von Dir hören? Du Ball-Flatterherz! Du Cotillon-Aufführer! Du Hengstchen –abgesattelter Rittmeister! Du wilder Rapierjunge! Du Thüringer-Wald-Durchstreifer! Du Musikbanden-Anhängsel! Du Dorfschenken-Flötist! Du früh-vorkonzertierender Demagoge! Du Klosterjungfraun-Ständchenbringer! Du Maskeraden-besuchender Champagner-Pharao-Tisch-Ausgebeuteter! Warte nur, wenn ich Dein Schulmonarch gewesen wäre! Wassersuppe und Schwarzbrot hättest Du mir vierzehn Tage lang auf Latten knubbern müssen – Doch nein! ich kenne jemanden – kennst Du Deinen Lottus? – hätte der's gewußt, ein Reissüppchen hättest Du jeden Mittag wenigstens bekommen, und einen Wildknochen zum Zähmen Deiner Wut. Aber das hatte mein Stieglitzchen nicht nötig! Junge Dämchen schicken ihm aufs Karzer Apfelsinen, Blumensträußchen, wohl gar Locken? – oder war das in Göttingen? – O ich Ärmste, Betrogenste! Wart', böser Junge! darum miedest Du auf unsrer Reise 1828 dies verführerische Göttingen mit mir! fürchtetest Verrat Deiner alten losen Streiche? – du Suitier! – Aber ich sage Dir, aus Rache, aus toller Liebeswut und Racheliebe reis' ich einmal nach Göttingen auf eigne Hand, besteche dort, wie weiland mein (damals freilich noch mir unbekannter – doch aber traumgeahneter, das lass' ich mir nicht nehmen! –) Bräutigam, den Karzerwärter, und lasse mir von ihm erzählen; beichten soll er! und dann – nun, dann? – – dann lach' ich mich halbtot über all die tollen Streiche, die Du närrischer Kerl, warum nur? mir noch gar niemals erzählt. Hältst Du mich denn für so einen eingefleischten Philister? – Ja, ja, ich armes Kindlein! keinen Ball vor Deiner Ära mitgemacht, kein Stammbuchblättlein geschrieben, keine Locke abgeschnitten, keinen Kuß gegeben – wart, warte nur, den bösen Mund, den früh so küssedurstgen, will ich strafen, wenn er mir wieder unter die Augen kommt, strafen mit so heißen Küssen, daß er gar nicht zur Verteidigung kommen soll und ihm das Blut bis hoch an die dunkeln Rabenschwingen steigt. O wir armen Betrogenen! Mädchen, Mädchen, meine Schwestern, hört mich! eine Betrogene, gräßlich Betrogene, ruft's Euch warnend zu: sie ist die Glücklichste unter den Liebenden! –
Einladungen zum Theater hab' ich übrigens nicht angenommen, wegen unserer Emilie. Das Winterpalais (– wir sahen nicht, wie wir gehofft, die Zimmer des jetzigen Kaisers und der Kaiserin –) hat mich wegen des ungeheuren Brillants (ein ungeheures Ochsenauge – es kam mir vor wie ein Brillant-Ozean; ich dachte unwillkürlich an das Meer, als Eindruck nach den Flüssen die ich bis dahin gesehn –) besonders interessiert.
Einen höchst erfreulichen Brief habe ich, oder vielmehr Du (ist das nicht eins?) erhalten, von Deiner Mutter und Emilie; sie sind glücklich, uns hier so froh zu wissen, und machen deshalb gar keine Ansprüche für dies Jahr mit Hinkommen; ich habe den Brief an Onkel gegeben zu lesen.
Für heute sage ich Dir nun Lebewohl, mein Heinrich! Reise, wenn Du Dich in Moskau satt geschaut, mit Gott weiter nach Nischny zu dem großen Völkermarkt des Orients, und nach Kasan in die Tatarenstadt. Vergleiche nicht zuviel Handschriften auf den Bibliotheken! das macht blaß (Heinrich der Ex-Philologe, der dem Pacuv Entlaufene, der von den Schulmeistern und Altmeistern des Wortkramhandwerks längst mit wehmütigem Achselzucken aufgegebene Exilierte, lacht ironisch), und kehre frisch aus der Tatarenstadt zu Deiner okzidentalen, aber drum nicht minder glühenden Freundin zurück. Brief bekomme ich, das weiß ich, bald. Grüße Freund Stokes herzlich, so wie die andern Freunde in Moskau von Deiner treuen
Charlotte Feodorowna
(die Bedienten nennen mich nie anders).
Pfui, welch' ein garstiger Klecks! nimm's nicht übel. Was hast Du mir aber auch für Tinte hinterlassen! Diesmal bin ich höchst unschuldig an diesem wohlbeleibten dunkeln Reisegefährten. –
Abends den 11. Versäume doch ja nicht, die Zigeunerbande singen zu hören in Moskau; Ihr könnt Euch ja vereinen mit andern, da es 200 Rubel kostet. Oder spare es bis zur Zurückkunft, wenn Du diesmal keine Zeit hast; es soll etwas Merkwürdiges sein von Wildheit. Eine alte Frau und ein junges Mädchen, Tanjúscha, sollen sich besonders auszeichnen. Tanjúscha ist schön, und ich rühme sie Dir – ist das nicht genug? – –
*
An Heinrich Stieglitz
Auf dem Lande bei Petersburg.
Mittwoch, den 29ten Juli 1833.
Hoffentlich, mein Teuerster, hast Du mein Briefchen erhalten, und damit wenigstens (da es ja gegen meine Gewohnheit ist) einen kleinen Ersatz für das reiche Füllhorn von Nachrichten, das Du in Deinen zwei Briefen mir ergossen. Es mag wenige geben, die, wie Du, das zu Schauende so bis auf den Grund aussaugen, sich so auf den Grund und Boden mit Vergangenheit und Gegenwart versetzen, daß es ein völliges darin Aufgehn wird. Du hast nun noch beständige Erinnerung an ein fern und nahe liegendes – ich meine Deinen Orient, – so daß mir wieder der Freund von Stokes einfällt, der gewiß mit jedem Russen in seinem Rußland den Orient nicht erkennen will und gegen Deinen letzten Brief sich in mancher Beziehung ungeheuer auflehnen würde. Tut aber alles nichts! Das ist eben wieder die individuelle Anschauung, die Parteilichkeit. Was ist natürlicher, als daß Du den Orient suchst, nach ihm Dich sehnst?! – Dich interessiert das Russisch-Nationale noch nicht in dem Maße wie jenes; nur in der Annäherung an Dein erobertes Land hat es für Dich diesen Reiz. Ist es nicht so? Die geschichtlichen Erinnerungen, die Dein Schauen übrigens so reich machen, so vergeistigen, ließen mich an den Vorwurf denken, den man Goethen macht, und ich verstand ihn in dem Augenblick besser als sonst. – Dein erster Brief hat großes Vergnügen verursacht; ich habe ihn mehrere Male vorgelesen; der zweite ist ebenfalls sehr reich, und ich sehe mit Freuden, daß wirklich im Schreiben an Deinen alten Freund und Zeltgenossen es Dir beinahe am besten gelingt, die Sache darzustellen im ersten Erguß, wie es eben zum Druck mit einigem Gemisch, einigen Verkürzungen gerade fertig wäre. Du wirst von diesen Briefen also, wozu Du gewiß die Zeit recht stehlen mußt, etwas haben künftig und mit Vergnügen selbst wieder lesen. Um doch aber kein Urteil zurückzuhalten, so sage ich Dir, der lange Vetter bemerkte heute ganz naiv: »Der zweite Brief ist wieder wunderschön; man könnte ihn drucken lassen; aber eins gefiel mir am ersten besser; er sprach doch auch von sich selber und seinen Kameraden; in diesem Brief erwähnt er beinahe gar keinen außer Stokes; uns hat er, glaube ich, auch vergessen; und er ist doch ein so gemütvoller Mensch.« Ich habe aber darauf Dich sehr verteidigt, und Emilie ebenfalls, indem sie richtig bemerkte, daß Du ja eben den ganzen Tag Gegenständliches schautest und es dann eben festhieltest. Aber von den Leuten, wie sie Dich ansprechen, wie Du sie gefunden, hätte doch auch sie, glaube ich, gern etwas gehört. Also von Deiner Seele, von Deinem Gemüt, von Deinen Bekannten streue zuweilen ein wenig unter; Du wunderst Dich wohl, daß ich jetzt umgekehrt Dich ermahne, als in den ersten Wochen Deines Hierseins, wo Du über Deine eigene Verwunderung noch gar nicht zu der Sache selbst durchfinden konntest, noch nicht zum Objekt durchdringen; das hat freilich sich mächtig geändert, mein kühner Eroberer, der, wo er einmal das Richtige erkannt, nun auch mit Riesenschritten darauf eingeht. Aber hier gilt es zugleich, ein richtig empfundenes Herzensbedürfnis zu befriedigen; Du siehst übrigens daraus wie lieb man Dich hat; man will nebenbei etwas von Dir hören – und am Ende geht es Deinem Zeltgenossen nicht besser. Und dennoch laß Dich ganz gehen. Armer Junge, lieber Junge, Herzensjunge, wie quält man Dich! – Wo Du übrigens ein Blättchen abschicken kannst – Du brauchst nicht einmal so lange zu sammeln wie bei den letzten Sendungen – so weißt Du, es ist eine große Erquickung für mich. Ludwig interessiert sich auch auf das freudigste dafür; er forderte mich am vorigen Sonntag auf, Deinen ersten Brief dem Papa Klein vorzulesen, er würde ihn dann zugleich auch noch einmal hören; den zweiten kennt er erst stückweise, heute werde ich wahrscheinlich damit fortfahren. Mit Emilie komme ich mir in dieser Zeit unendlich nahe; alles, was uns Merkwürdiges im Leben vor und nach unsrer Verheiratung begegnet, hab' ich ihr auf das offenste, wie vielleicht nie einem anderen, erzählt. Sie ist doch eine herrliche Natur! Selbst was Dich gedrückt in Beziehung auf Krementschuk, habe ich mitgeteilt; genug, sie kennt uns wie irgend einer, und es tut mir nur wohl. Das ist die echte Teilnahme, die man dann wohltätig fühlt.
Der Brunnen bekommt mir vortrefflich; er wirkt begeisternd, lösend auf mein Inneres wie Champagner, und so wurde ich wohl auch vertrauensvoll. Diät in einem solchen Maße scheint auch auf den Geist merkwürdig zu wirken; oder ist es nur der Brunnen? Noch weiß ich es nicht; genug, die ganze Sache scheint wunderbaren Einfluß auf mich zu haben. Dies regelmäßige Gehen schon allein, vielleicht des Morgens gerade, mag so günstig sein. Vielleicht sind es auch Deine Briefe, denn seit dem ersten bin ich in einer stets erhöhten Stimmung; Du verstehst dies gewiß.
Häuslich haben wir bis jetzt sehr gelebt; und Du weißt, damit bin ich immer zufrieden, schon weil Emilie selten etwas anderer Art jetzt mitmacht, obgleich ihre Natur einen heftigen Anfall unglaublich schnell verarbeitet, so daß sie jetzt schon im Garten völlig den ganzen Tag luftgenießend zubringt. Es trifft oft die Tage, wo Ludwig zu Hause kommt, daß man etwas Gutes im Theater gibt; und dann bin ich lieber wie Du denken kannst, zu Hause; ich freue mich dann immer kindlich auf sein Kommen. Übrigens sind hier im Hause selbst Ein- und Ausgehende genug.
Von Cnobloch und von Bruder Heinrich sind herzliche Briefe gekommen; ersterer ist sehr dankbar und schreibt, er sende Dir den vierten Band nach drei Wochen; wenn das nun auch nicht möglich, so wird er doch eilen. Heinrich bemerkt, C. hätte sehr Deine Energie in seiner Angelegenheit gerühmt; die Sache aber wird nun wohl ruhn bis Du zurückkommst, Du eifriger Prozeßausfechter! Ich glaube, für Dich selbst könntest Du's nicht so nervig durchsetzen; oder Du würdest es wenigstens nicht wollen; mir aber ist die Sache auch für Dich lieb, sie zwingt Dich ein wenig zu den untern Lebensregionen herab; und das ist Dir zu Zeiten gut, und bleibt nicht ohne Nutzen selbst für's höhere Streben; Du mußt eben alles kennen lernen, das ganze Leben in seinen verschiedensten Richtungen; auch die Schmutzwinkel darfst Du nicht aus angeborenem Ekel allzusorglich meiden; Du bleibst dennoch rein dabei; aber Du gewinnst das volle Bild, den richtigen Blick bis ins Einzelnste. Nicht wahr, mein Dichter? Laß Dir immer solcherlei dann und wann aufbürden – Du selbst aus eignem Antrieb suchst dergleichen doch nicht auf – nach wackrer Durchführung schüttelst Du den Schmutz und Staub von Dir, bist kräftiger geworden wie der Magnet, und hast zugleich an Lebensklarheit sicherlich gewonnen. Sehn wir das nicht schlagend bei der Irländergeschichte, die ich darum tausendfältig segne für Dein Leben und Streben, wie fürchterliche Qualen und unzählige schlaflose Nächte sie uns auch bereitet, Du armer, Studentenleichtsinn schrecklich nachbüßender Lebensschüler! Aber wie unstreitig die Furchen des Schmerzes von höchster Fruchtbarkeit, – und Dir vor vielen andern notwendig zum Reifen und Erkennen Deiner selbst – so heiße nur auch jede kleinste Erfahrung, die das kleine Treiben Dir abgewinnen will, hoch willkommen! Jede fördert Dich mit Siebenmeilenstiefeln; das wirst Du erst später noch einmal recht einsehn. Verzeih dem kleinen Schulmeister sein Altklugtun! Er meint es aber gar so gut mit Dir, möchte Dich so gern zum klaren vollen Silberblick herausgeschält sehn, und glaubt in solchen Dingen, früher als Du auf Beobachtung und Insichgehen angewiesen, nicht zu irren. –
Ich lese manchmal etwas von Dir vor, und freue mich des lebendigen Anteils. Die glückliche Dichtersgattin! – Aber die rechte wahre Freude, wo die ganze Seele dabei ist, geht doch immer auf das Werdende. Glück zu, mein unermüdet Werdender! –
Mit dem Ball – dem großen nämlich, (ein kleines Tänzchen ereignet sich fast jeden Sonntag; ich ziehe währenddes die Unterhaltung, meist mit Onkel Ludwig, vor, und freue mich zugleich an der Tourenfröhlichkeit der andern) wird man warten bis Du kommst. Natasche, das liebe reine Herz, läßt Dich grüßen und engagiert Dich zum ersten Walzer. Alle lassen Dich herzlich grüßen! Der Bediente (der Estländer; keiner von den für mich Stummen, deren Sprache zu erlernen ich mich nie würde gedrungen fühlen, ich Antilinguistische, Unphilologische, und doch eines Exphilologen Gattin) hat neulich gemeint, warum Du nur nach Moskau gegangen? – es wäre doch gut leben hier. Siehst Du, mein Vagabund, der fühlt sich mit seinem Schnabel das ihm Adäquate heraus; so machen's alle, mit und ohne Stern und Schleife. – – Daß ich übrigens an keinem Ort auf der Welt die Trennung von Dir leichter tragen würde als hier, ist gewiß; und wenn ich auch manchmal recht innig gerne bei Dir sein möchte, so ist die Freude über Dein Reisen, Dein Schaun, Dein Ansaugen dennoch bei weitem überwiegend. Nicht wahr, das glaubst Du mir? –
Nun, so leb denn wohl, Geliebter, Freund meiner Seele! (ja, meiner Seele!) Gott sei ferner mit Dir und schütze Dich auf allen Wegen! In Gedanken aber ist Dir ewig nahe Deine treue Charlotte Feodorowna.
An Freund Stokes herzliche Grüße. Entschuldige ja meine Eile, und glaube nur, die Morgen nimmt der Brunnen ganz in Anspruch, da ich nicht allzu früh aufstehen darf, dann aber von den andern nicht gar zu lange mich fernhalten mag, des Abends aber, oder vielmehr nachts – nach hiesiger Einrichtung – auch nicht allzu lange aufbleiben darf, indem trotz der Champagner-Erregung die Kur doch nebenbei auch immer ein wenig angreift. –
*
An Heinrich Stieglitz
Den 3. August. Abends spät.
Guten Abend (oder Morgen) mein lieber Heinrich!
Die lange Pause vom 20. bis auf heute wird Dir ein Beweis sein, daß meine altbekannte Schreibunfähigkeit eine unheilbare Krankheit ist, die immer zu Zeiten wiederkehrt. Heut will ich Dir nur in aller Eile sagen, daß Onkel Ludwig auf keinen Fall an die Reise nach Moskau denken kann, dagegen aber gleich ein Plänchen mit dem guten Papa Klein gesponnen, der große Lust und zur Bestimmung nichts mehr nötig hat als einen Urlaub, den er in diesen Tagen vom Handelsgericht erwartet. Ich schreibe Dir heute nun, damit Dich der Brief sicher noch in Nischny trifft; in zwei Tagen schreibe ich bestimmt ja oder nein; mit dem Ja werden wir nächsten Mittwoch den 9. August von hier abreisen und uns wahrscheinlich ein paar Tage eher in Moskau umsehn als Du kommst; und das ist auch Dir gewiß lieb; mit dem Nein erwarte ich Dich fröhlich in unserm Kamenoiostrow, und Du mit Deinen Erzählungen zauberst mir ein Moskau mit seinem Kreml so lebhaft, daß ich es auf diese Weise auch sehe. Hier stehen übrigens die Astern schon im vollen Flor!!!!!!!!!
Die Frau *** hat ihrem Manne einen so sehnsüchtigen Brief geschrieben, daß er hier davon den Verstand auf Augenblicke ganz verloren; ich vermeide ängstlich jedes Wort, schreibe deshalb lieber gar nicht – aber die Astern, die Astern, bald welken sie ab! – Dein letzter Brief war ein wenig unruhig; Deinen Kampf vor der Abreise habe ich vollkommen nachgefühlt. Wie oft werden wir uns zu diesem Kamenoiostrow zusammen hersehnen! –
Der Brunnen bekommt mir noch immer ziemlich gut. Habe ich gar keine Gesellschaft beim Gehen, so nehme ich das Buch eines Menschen, den wir in Deutschland einst am Johannisberge in der Abenddämmerung fanden. Das Herz hat er sich verblutet, er hat keine Sprache mehr, und darum ist er gesund beim Brunnen. Kecker als ein Hofnarr, ist er der Narr der ganzen Zeit, nämlich der gegenwärtigen; er sagt ihr geistreich, blitzend, schonunglos, alles ins Gesicht. Ich schäme mich nicht auszusprechen, daß Börne sehr wohltätig auf mich gewirkt hat, wenn auch mancher darüber erschrecken würde. Es muß solche Käuze geben; sie zausen, und beißen und kratzen, und stacheln, und das alles mit Geist, daß es wieder nur kitzelt; genug, es darf nie etwas von ihm erscheinen, ohne daß man es liest; es hat unberechenbaren Nutzen. Die kleinen hemmenden Leidenschaften einer edlen Natur finden sich dort ausgesprochen, also beruhigt; auf der andern Seite aber weisen sie gerade den Edlen auf seinen echten Wirkungskreis hin. Großartige Reflexionen an der rechten Stelle in einem Kunstwerke, das mögen die Taten des Dichters sein; die mögen zeigen, daß er warm geworden an der Zeit; das Kunstwerk muß das Orakel sein, hinter dem der Dichter spricht; der Stoff, der rechte, zur Zeit kann auch laut sprechen; ich denke, es wird ein guter Winter, Heinrich! was meinst Du davon? – Von Veit haben wir einen Brief erhalten nebst einem Liedesgruß an Dich herumstreifenden Tataren, der Dich an deine periodische Wildheit bei Dichtung des Völkerlebens lebhaft mahnt, Du Unbändiger, jedesmal vom Stoff Beherrschter und ganz und gar so Hingenommener, daß selbst Dein Geist, als beherrschendes Prinzip in den Strudel verschlungen, fast bewußtlos mitschaffend wirkt und trotz seiner Selbstherrschaft ein zum Dienst gezwungener Revolutionär zu sein scheint! – Auch Deine Mutter und die kleine Frau Pfarrin auf Berndorf und Schwester Hannchen haben geschrieben; alle sind wohl und vergnügt und freuen sich herzlich unsrer Heiterkeit. – Unsrer Emilie hier bleibst Du wirklich zu lange aus; sie behauptet, Du seiest acht Tage zu früh abgereist, wegen der Messe zu Nischny, und drum der längere Aufenthalt in Moskau, und – ich freue mich darüber, denn sie hat Dich doch wohl sehr lieb; Onkel Ludwig behauptet dann aber, Kasan nehme doch mehr Zeit, und – es sind herrliche Menschen! ich freue mich schon, wenn wir beide von Moskau wieder zurückkommen. Lebewohl! Gott schütze Dich! Alle grüßen.
Deine treue Charlotte.
Grüße Freund Stokes.
Sollt' ich etwa nicht noch einmal schreiben, so bist Du es doch zufrieden, daß ich Dir die nächsten Nachrichten selbst in Moskau überliefere? – Auf Wiedersehn denn auf der Zinne des Kreml! Wir wollen uns auf unserm Eroberungszuge schon vom Winter nicht überraschen lassen und jedenfalls bei unserm Rückzuge den sichern Weg nach Norden der Straße nach Kaluga oder der über Smolensk vorziehn, es sei denn daß Du unersättlicher Abenteurer noch über Kiew und Taurien nach Konstantinopel ziehen wolltest. Dahin aber ginge ich doch nicht mit! Ich mag lieber Sultana in Deinem unumschränkten Reiche bleiben als mich in die Gefahr begeben, durch Kaperei zu einer Dame des großherrlichen Harem herabgesetzt zu werden! das gäbe doch nur eine blutige Tragödie zuletzt. Doch fort mit allem Tragischen! Die Freude des Wiedersehns pulst mir in allen Adern! –
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An Baron L. Stieglitz
Moskau, den 19. August 1833,
sonnabends.
Nach zwei schönen und reichen Tagen, an welchen uns trotz der Veränderlichkeit des Wetters unsre allgemeine Freundin doch immer in notwendigen Augenblicken, wenn auch manchmal sehr spärlich, ihr Licht lieh, scheint heute die Sonne in Moskau durchaus die jour zu haben; es ist in der Außenwelt bedeutend hell; auch Sie, meine Teuren, fahren gewiß heiter heute über die schönen Brücken der stolzen Newa; aber über uns zwei beide ist eine bedeutende Dämmerung plötzlich – wie ein Dieb in der Nacht, sagt man in Sachsen – und in der Tat mit dem Diebe der Nacht über uns gekommen.
Wir waren gestern mittag mit den Herren Parish, Chaufepié, Meyer, Anke und andern, beim Herrn Dr. Markus. Es war recht belebt; auch Ihrer wurde viel gedacht; Herr Dr. M. erinnert sich mit Vergnügen der Sonntage, die er bei Ihnen zugebracht, und so waren wir bei Bekannten; und das tut in der Ferne immer wohl. Nach Tische gingen wir alle zusammen zu dem gegenüberliegenden kaiserlichen Garten, der durch seine Höhen und Tiefen ganz überraschend schöne Aussichten bietet, teils großartig auf die Stadt, teils idyllisch auf die Sperlingsberge mit Kloster und Kirchlein, so daß ich erinnert wurde an die schönsten Gegenden, die ich überhaupt gesehn. Die jungen Leute sangen im kaiserlichen Garten Freiheitslieder, machten bei der Rückkehr Feuerwerke, und spielten auf den verschiedensten Kinderinstrumenten eine tolle Musik. Kaum war dies zu Ende, so sah man ein nahe liegendes Kloster mit zwei Türmen sich erhellen; zum heutigen Fest war die Vorweihe dort; gleich wurde beschlossen auch dorthin zu gehen (Herr Parish und Chaufepié gingen aber schon in den Englischen Club), da man es durch den Garten ohnedies so bequem wie möglich hatte. Es war ein wunderbarer Abend; Sie wissen davon, denn Sie kamen ja spät gestern (großer Posttag!) zu Hause. Als wir angelangt waren auf den Hügel, gab der strahlenlose stille Mond einen wunderbaren Kontrast zu dem schreienden, flimmernden Glanz, der, aus den offenstehenden Flügeltüren strömend, gleichsam dem Monde trotzen wollte; und zu dieser künstlichen Sonne und strotzendem Golde strömten die Menschen in Masse, und der Mond stand gleichsam wie verlassen da und ließ dennoch neidlos der ignorierenden Natur seinen ganzen Zauber angedeihen. Auch wir blieben ihm nicht treu und strömten dem Glänze zu – sollte er sich dafür vielleicht gerächt haben? – Der Gesang der Mönche war einzig; wir drangen immer kühner in die Kirche, wir standen zuletzt dicht neben dem Abt, der ja jedem einzelnen mit Weihwasser die Stirn strich, und jeder einzelne küßte ihm die Hand, und ich flüsterte Heinrich zu: »dieses Drängen zu dieser Weihe ist doch wohl ein tieferes Bedürfnis als sie selber wissen; Gott weiß, es hat mir etwas Ergreifendes.« – In diesem Moment wurde der Gedrang sehr stark, es schien als würden sie mit ihrer Weihe sich einer Kraft bewußt; genug, sie stießen mich gewaltsam; die Luft verdickte sich auch, ich konnte es nicht mehr ertragen, bat Heinrich mir durchzuhelfen; der Mantel wurde ihm zwar von der einen Schulter gedrängt, aber wir kamen glücklich durch; doch – ich sehe ihn leichenblaß werden, ich frage ihn: »Heinrich, was ist Dir? um Gottes Willen, wie siehst Du aus?!« – und er ruft mir zu: »Hilf mir suchen, hilf suchen! sie haben mir mein Taschenbuch gestohlen.« Um unsern Schreck zu begreifen, müssen Sie folgendes wissen: Er hatte nämlich vor der Abreise nach Nischny und Kasan 1500 Rubel aufgenommen, weil man auf dem Comptoir in Moskau ihm durchaus nicht weniger geben wollte, indem bei einer solche Reise sich irgend etwas Außerordentliches zutragen könne. Er hatte auf der Reise nichts Unnötiges ausgegeben, hatte daher 700 Rubel zurückgelegt, wollte damit meine und seine Rückreise bestreiten, splendide Geschenke nach Kamenoiostrow machen, hatte sogar schon für eine ausgesuchte aber noch nicht gekaufte Dose ein paar Verslein niedergeschrieben, und wollte nun von dem Übrigen als guter Wirt Rechenschaft ablegen, wobei er sich noch scherzend Friedrichs des Zweiten erinnerte, der nach dem siebenjährigen Kriege noch im Stande war, ohne Schulden das neue Palais bei Sanssouci zu bauen. Außerdem trug er teure Reliquien; auch Reiseskizzen von wenigstens vierzig eng geschriebnen Seiten aus der letzten Zeit; also vielseitiger Verlust für Geist und Gemüt. Es war ein sehr häßlicher Schluß dieses schönen Tages, und ich habe viel an Heinrich zu bearbeiten gehabt, um ihn zu beruhigen. Ich hatte zum Glück in meinem Strickbeutel-Etui soviel, um seine noch restierende Schuld an den Artelschik zu decken, so daß dem armen Jungen wenigstens die eine Beruhigung wird, nichts Bares mehr aufnehmen zu müssen, was ihm gewiß schrecklich gewesen wäre. Wir stecken uns nun einstweilen unter die deckenden Flügel des Herrn Klein und fühlen uns wie der Strauß, der sich nicht gesehen glaubt, weil er nichts sieht.
In diesem Augenblick ist Heinrich, um wenigstens seinerseits nichts zu versäumen, mit Dr. Brosse, einem Freunde von Markus, zum Polizeimeister gefahren – H. trägt jetzt eine stattliche Halsbinde, die ihm so solide steht, daß man ihm gewiß nichts Demagogisches ansieht – und so ist denn doch noch nicht alle Hoffnung aufzugeben.
Machen wir Ihnen nicht viel zu schaffen? Heut über acht Tage werden wir nun sehn, ob Sie uns böse sind. Grüßen Sie Ihre und unsre Lieben auf das herzlichste. Ihre – nun bald sich stark sehnende
Charlotte Stieglitz.
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An Baron L. Stieglitz
Den 17. September 1833, abends.
Auf dem Meere, unweit der Insel Gotland.
Wir haben am Morgen vor Anker gelegen wegen starken Nebels, und jetzt am Abend ist ebenfalls so dicke Luft, daß man kaum zehn Schritt weit sehen kann. Wir saßen eben teils lesend, ein anderer Teil Karte spielend, ruhig in unsrer allgemeinen Zelle; plötzlich wird geläutet, geschrieen; wir laufen hinauf auf das Verdeck, und ein Schiff, hart an uns herangenaht, scheinbar wie beschneit, geht eben noch glücklich und ohne zu streifen an uns vorüber. Allgemeine Stille der Passagiere; nur die Kapitäne von beiden Schiffen sprechen miteinander. Schneller Wechsel von Gefahr und Gefahrlosigkeit; mein Herz schlägt in diesem Augenblick laut auf; Sie meinen wohl, mein Teurer, wegen der jetzt eben gedrohten Gefahr? – Ach nein, der Kapitän sagte, das Schiff habe sich gedreht und stehe auf Petersburg zu; »auf Petersburg zu!« rief ich laut; und – jetzt schon Sehnsucht? o weh, o weh! Das ist bei weitem zu früh.
Guten Abend, Ihr Teuren, guten Abend! Bis nahe vor Kronstadt blickten wir unverwandt zurück; es gab für uns noch kein Vorwärts; wir sahn Sie immer noch am Strande stehn, Sie lieben, herzlichen, mehr als gastlichen Begleiter, und uns nachwinken. Mit einem Male hör' ich einen gutgemeinten kernigen Schlag auf Heinrichs Schulter; es war sein langer Moskau-Arolser Kaninchenfreund, der tröstend bemerkte, man müsse sich das hübsch aus dem Kopfe schlagen. – Es gibt nämlich so glückliche Menschen, die kennen nur Kopfweh, und das läßt sich ja bekanntlich wegraisonnieren; – ich sagte in dem Augenblick, vielleicht etwas auffahrend: »Ach, um Gottes Willen, lassen Sie uns!« – Von dem Augenblick an stehe ich mich gut mit ihm, d.h. ich habe wieder etwas gut zu machen. Madame J. ist ein niedliches Frauchen; das Kindchen macht ihr viel Not, ist sehr unartig; sie aber allemal: »Es hat Leibweh zuweilen«; da das Kind aber weint: »ich will zu Hause«, so habe ich gewaltige Nachsicht mit ihm, denn es hat ja Heimweh. –
Lübeck, den 3. Oktober Deutschen Stils.
Gott sei gedankt, daß bei so vielem Schwanken auf dieser Welt wir die Schwingung der lieben Mutter Erde nicht direkt gewahr werden! Ich muß einen tiefen Widerwillen gegen diese Dampfmaschinenerschütterung haben; ich würde auf dem Schiffe stumpf und gleichgültig gegen alle äußern Eindrücke. Dauerte die Sache sehr lange, ich könnte zuletzt wie ein Kobold nur darauf brüten, wie ich einmal die Feuersgluten lösche, um nur eine Stunde Stillstand zu erhaschen. Die lebhafteste Erinnerung, die ich von diesen letzten Tagen Schiffgesellschaftlebens habe, ist, daß mir oben auf dem Verdeck einmal einfiel, warum Herr B. nicht Madame E. geheiratet habe; gleiche Verständigkeit, gleiche Gutheit, gleiche Belesenheit, gleiche pausenhaft eingeteilte Lebendigkeit, und gleiches, langes pausenhaftes Phlegma. Die Fräulein sind sehr bescheidne wohlerzogene Mädelchen, aber ich kann noch heute mich nicht überreden, daß es nicht Kinderchen von dreizehn und vierzehn Jahren sind. Dazu waren noch kleinere Geschwister da und das niedliche Madame *chen mit ihrem etwas kleineren Kindchen; das puselte und wisperte auf der großen Alexandra herum! Nur Fräulein S., eine Gouvernante, ferner N's Gouvernante, und ich, Heinrich's Gouvernante, waren, wenn auch ziemlich mittlerer Statur, doch die ausgewachsensten. Mit Fräulein S. habe ich mich einigemal recht gut unterhalten; es ist dieselbe, die Professor L. so rühmte bei der Choleraperiode; sie selbst rühmt wieder L's. Uneigennützigkeit während jener Zeit; überhaupt stellt sie ihn sehr hoch als Menschen und glaubt ihn zu kennen. – Den interessantesten unter den Fremden mußte jener vielbesprochne unausstehliche Zeigefinger leider auf den zweiten Platz verweisen. –
Hier in Lübeck angekommen, bewillkommt vor dem Hôtel du Nord: »Kinder, seid Ihr da?« tut es einem wohl von – von der Heimat zu sprechen. Wir waren zusammen bei Schlözers, Kuhlenkamps, Platzmanns, Heinrich auch bei einigen Literaten. Da ich ** ( à la Mode de Bretagne) den heutigen Mittag nicht abschlagen konnte, – Nicole hat Recht: die lieben Leutchen sind sehr langweilig; man möchte Fliegen fangen – haben wir auf morgen erst bei Platzmanns, wo die ganze Familie versammelt sein wird, die Einladung annehmen können. Diese Menschen sind sehr herzlich, sind zum Teil in Petersburg bei Ihnen gewesen, und da geht einem gleich das Herz auf; mit Katabomben ists über Sie hergegangen. Ich möchte, Sie würden einmal angegriffen, und ich könnte mit Katabomben für Sie zu Felde ziehn; lieber verehrter Freund, Sie mögen wohl lächeln, aber Sie lachen doch nicht.
Mit Madame Schlözer hab' ich übrigens schon ein Duett gesungen: »O Du mein Einziger«, mir von alters her noch sehr lieb, und immer frisch und lebendigen Stroms der Liebe voll. –
Was sagen Sie dazu? Wir haben von Herrn v. H. einen Brief vorgefunden, in welchem er uns sehr freundlich für den Sonntag mittag in Hamburg einladet (– Gilt das Stieglitzens aus Berlin oder aus Petersburg? –). Von hier geht keine direkte Gelegenheit nach Berlin; wir reisen übermorgen nach Hamburg, werden sonntags den Mittag wirklich in Petersburg – ich wollte sagen bei Hallers sein, dann aber unverzüglich nach Berlin den Montag reisen. – Ich muß leider abbrechen, da es sehr spät ist – d. h. das leider gilt mir.
Ich sehe eben, daß ich kein einziges Wort des Dankes gesagt, wie es sonst doch Mode ist, wenn man eine schöne Zeit in einem Hause verlebt; aber wo sollte ich hier auch anfangen? und – die Liebe verschlingt den Dank, und die Liebe schweigt. Leben Sie wohl, und grüßen Sie alle von Ihrer Sie innigst hochschätzenden
Charlotte.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 7. November 1833.
Sie wissen, werter Freund, ein Buch, das ich einmal liebgewonnen, kommt nicht so bald unter Schloß und Riegel; um wie viel weniger ein solches, von dem sich die leidige Eitelkeit sogar den Titel gern ansieht! Ich überlese also heute morgen von neuem Ihre frische, jugendlich hoffende Vorrede, Zu den ihr gewidmeten »Kritischen Wäldern«. nach der man auf ein erstehendes Griechenland schließen könnte – man denke sich diese geistige Republik, dieses gänzliche Verschmolzensein von Leben, Kunst und Wissenschaft, und dazu eine dicke Monarchie, so gibt das mit der Zeit einen Konflikt, über den Mundt einen höchst geistreichen Aufsatz schreiben und irgendeinem absoluten Herrscher untertänigst widmen könnte! Doch wie gesagt, ich freute mich an Ihrer Vorrede, lese weiter, und ob die Sonne schuld gewesen, die mir just auf Ihre Lettern schien, genug, ich kombinierte klarer als sonst, verstand aus Ihrem Aufsatze über Steffens – eine schöne Kunst! – mit einem Male Steffens' Innerstes, vornehmlich seine Poesie und Ihre damals überschwengliche Liebe zu ihm. Ich glaube, man muß seine Novellen nach dem, was Sie Seite 9 von ihm sagen, als ein Ringen, einen Versuch eines solchen dem rein Abstrakten untreu gewordenen Geistes nach Gestaltung ansehen. Der philosophische Geist aber verfolgt ihn trotz des Ringens (er ist vielleicht nicht jung genug mehr für einen solchen Kampf!) und läßt ihn, statt Gestalten, Erscheinungen haben. Es ist in seinen Produkten nicht Gedanken leben, wie Sie ein andermal so gut sagen, sondern Gedanken erscheinung; daher das unheimliche Gefühl oft beim Lesen als wie in Grabgewölben. Er ist dem »steinernen Gaste« allerdings entronnen, aber nicht den – schon wieder Erscheinungen? Zu einem Don Juan (s. S. 13) könnte nur eine gestaltende Phantasie sich verirren, aber ich glaube, Steffens Phantasie ist ein Mittelding. Sie würden an meiner Stelle einen so guten Namen dafür finden, als der »spekulative Pietist« ist. Vielleicht mit S. 14 und 15 ließe sich das Rätsel lösen! Was hilft uns aber seine Erklärung S. 5? Ist die Form nicht gleichgültig, wenn man dabei doch, wie er, sagt: »ich habe diese gewählt!« Goethe hatte lange vor Dichtung und Wahrheit seinen Wilhelm Meister gegeben. Was mag in dieser Gestaltenfülle aus seinem Leben nicht alles hineingeflossen sein, ohne daß er es selbst verkündet; und sonderbar, solche Schleiererwähnung erinnert gleich wieder an doppelte und dreifache Schleier.
Warum aber gerade Sie ihn so liebten, abgesehen davon, daß er überhaupt liebender Verehrung so würdig ist, auch dazu gibt S. 9 oben den Schlüssel. Sie freuten sich, einen bedeutenden Geist in gleichem Kampfe zu sehen, Sie verbündeten sich auf das Innigste mit ihm, sogen Beruhigung aus ihm, wurden sich klarer in ihm, sahen sich angegriffen in ihm, und schrieben diesen Aufsatz über ihn. Sie haben also für jene Periode ihm sicher viel zu danken; wem aber dankt man sein Lebelang? – Ich glaube nicht dem, der auf dem Schlachtfelde seine eigne Wunde uns zeigt und dadurch den Schmerz für Augenblicke erleichtert, sondern dem, der mit kräftigem, vielleicht rauhem Arme der Gefahr uns entreißt, und, sollt' es auch mit Heu und Stroh sein, unsere Wunden stopft! – –
Leben Sie wohl; ich mußte dies sagen, wenn ich mich auch noch so sehr irre und Sie lächeln werden. Man ist rücksichtslos, wo man rücksichtsvoll ist. –
Ihre freundschaftlich ergebene
Charlotte Stieglitz.
Nun muß ich schnell auf, meinem Gemahl entgegen.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 8. November 1833.
– Lange bin ich bei Seite 11 verweilt. Das Gefühl, als Gefühl sich seiner bewußt, streitet hier mit merkwürdig siegender Macht; es bäumt sich auf für sein Recht, und nie habe ich schöner Begeisterung bezeichnen sehen, als in dem Satz: »so steht auch das konkrete Gefühl« u.s.w. u.s.w. Interessant ist, daß, während Sie schon im ersten Aufsatz gleich Ajax Oïleus hinter dem Schilde des Telamonischen Steffens hier und da gegen das Aufblühen der abstrakten Philosophie tüchtig angekämpft, Sie sich nun mit einem Male durch den neckenden Humor ganz von ihm ablösen, und dann in dem Aufsatz: »Philosophie und Musik« – unter klingendem Spiel also – einen vollkommenen Sieg erringen. Im Leßmannischen Humor habe ich recht den Gegensatz zu dem Ihrigen gefunden. Der Ihrige ist gleichsam ein Wetterleuchten am schwülen Sommerabend, es entladet die Luft, dagegen der seinige zuckende Blitze eines schweren Gewitters mit nächtigem Hintergrund. – Stieglitz liest in diesem Augenblick mit aufschlagender Freude die Fortsetzung von Tieck's Hexensabbath; er kann die treffliche Darstellung der Katharina nicht genug loben.–
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An Baron L. Stieglitz
Den 14. November 1833.
Gestern Abend war unsre liebe Professorin Hegel bei uns und bat, wir möchten ihr einmal unsere Reise auf der Karte zeigen. Ich steuerte mit dem Finger rasch durch den Finnischen Meerbusen auf Petersburg los, hielt ihn lange, lange darauf, daß die Hegel schelmisch bemerkte: »nun, Lottchen liegt hier sinnend vor Anker.« Ich dachte auch in dem Augenblick an das wunderbare Hinweisen des Magnets nach Norden, und daß mein Lehrer mir als Kind einmal erzählte von der Schiffersage eines Magnetgebirg's im Norden, in dessen Nähe die Nägel und Eisenbänder – des Herzens – des Schiffes lossprängen, das (wenn keine Schmiede oder kein trostsprechender in der Nähe) somit unrettbar auseinanderbersten müsse. Hau' ich aber damals als Kind wohl geglaubt, daß ich jemals in diese Ferne, diese gefährliche Nähe kommen würde? –
Bald darauf klingelte es fürchterlich. »Das müßte gerade ein Brief aus Petersburg sein!« rief Heinrich; »oder Feuer« sagte ich – und hätt' es nicht gebrannt in jedem Falle? – Und denken Sie sich, der Mensch hatte die Klingel abgerissen, und ich mußt' heute morgen drei preußische Silbergroschen für die Reparatur bezahlen, und es war kein Brief aus Petersburg, sondern der Postbote der Literatur des Auslandes.
Heute ist großer Courstag. Mit manchem Zettelchen in der Tasche gehn Sie heut über den breiten Strom, das nun erst verkocht und verbraut werden muß. Wie mögen die Herren Chamaut, Fehleisen, Ahmelang, Sie wieder umarmt und Ihnen süße Liebesdienste in die Ohren geflüstert haben! –
Ich sende Ihnen das mir geschenkte Exemplar – bin ich nicht sehr großmütig gegen Sie? – des neuesten Hof- und Staatskalenders, in dessen offiziellem Gehege auch unser Sangvogel einmal sein Nest gebaut; es ist diesmal meist aus schwarzen Federn zusammengetragen, doch die äußersten Spitzen haben für den Sinnigen dennoch ihre schmerzverklärende Helle.
Leben Sie wohl, Lieber, Teurer! Es grüßt Sie und Ihre Lieben
Ihre treu ergebene Charlotte.
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An Baron L. Stieglitz
Berlin, den 20. Dezember 1833.
Sie werden, mein Teurer, nach meinem letzten Briefe sich ohngefähr die Freude haben denken können, die wir bei Empfang des Ihrigen haben mußten. Ich rief: Land! Land! als Heinrich beim Eintreten Ihren Brief mir hoch entgegenhielt; und dem Weltsegler mag so zumute sein, wenn ihm nach langer Fahrt auf ungewissem Ozean (und die Trennung ist ein solcher Ozean) das erste grüne Blatt vom heimatlichen Ufer entgegenweht.
Freilich wurde es bei Lesung eine durch Tränen lächelnde Freude; und Sie wissen, warum. Aber in der Tat, so recht der vollste Abdruck Ihrer eigentlichen Seele ist dieser Brief!
Weshalb wir so lange geschwiegen hatten? warum Sie nichts von anderen gehört? Wir mußten erst wieder warm werden in unserem eigenen Hause. – Manche haben gefroren im Süden, warum sollte man nicht glühwarm im Norden geworden sein? – Erst also mußten wir uns versöhnen mit unsern vier Wänden, dann mit unsern Freunden, die wir auch im ersten Augenblick mit zu vielem Sprechen vom Verlorenen im Stillen gekränkt, dann mit Berlin, den übrigen Menschen, und vielen Dingen noch. Sagen Sie selbst, soll man solche Stimmungen, die man kaum sich selbst recht laut machen will, die man bearbeitet und unterdrückt, auf dem Papiere festhalten? Gottlob, wir haben uns durchgerungen und der Schmerz des Verlorenen ist, wie es am Ende immer sein muß, in die Freude der Erinnerung über- und untergegangen. Die Harmonie unsres Stillebens ist vielleicht herrlicher als je wieder zurückgekehrt. Heinrich ist ein andrer Mensch seit dieser Reise, er tut die Bibliotheksgeschäfte fröhlich ab, die böse Bücherluft übt keinen verderblichen Einfluß mehr auf seinen durch und durch gestärkten Körper, er ist voller Pläne, arbeitet kräftigen Geistes einzelnes aus, und so denk' ich soll es gut und tüchtig fortgehn. So würd' ich Ihnen denn schon allein für den Rat des Festhaltens der Bibliothek, trotz meiner damaligen heißen Wünsche, innigst im Stillen oft danken, wenn die ganze Umwandlung durch diesen herrlichen Sommer nicht eben von Ihnen, Trefflichster, käme. Ich danke Ihnen im Herzen so gern, weil ich Sie so lieb habe, weiß auch nicht welches Gefühl von beiden das stärkere ist; in diesem gerne liegt aber ein ganzer Himmel! – Steffens sprach sich neulich so tief wahr über das Verhältnis des Nehmens und der Seligkeit des Dankens aus, daß ich wünschte es für Sie festgehalten zu haben, so ganz war es aus unserm Innern gesprochen.
Könnte man nur zuweilen ein paar Stündchen sich sehen, des Sonnabend abends einen kleinen Abstecher nach Petersburg machen! Des Sonntag mittags läßt es uns gar keine Ruhe im Hause, wir nehmen da gewöhnlich alle Arten von Einladungen an. Bei gewissen Leuten werden wir unwillkürlich aufgefordert Vergleiche zu machen, und das fällt gewöhnlich recht bitterschlecht für die nächste Nähe aus. Nicht, als ob sie etwa geistreich sprechen sollten (das können sie sich nicht geben, und wahrhaftig man verlangt es nicht); aber sie könnten harmlos sein, sie brauchten nicht immer etwas vorstellen, scheinen, repräsentieren zu wollen, was ihnen unaussprechlich viel Mühe und wenig Freude macht. Eine solche farblose kalte Glacéehandschuh-Unterhaltung, die vornehm sein soll, eine solche aufgesteifte Puppenhaftigkeit ohne Saft und Blut, deren Atmosphäre, in Dunst aufgelöste Langeweile, alle echte Lebensregung schon im voraus erstickt, flieht man doch wohl weit lieber als daß man sie sucht! – Des Freitags aber (in Berlin weiß man nichts von so späten Posttagen) würden Sie gewiß zuweilen zu uns kommen, nicht wahr? Wir haben diesen Abend bestimmt, für unsre Freunde zu Hause zu sein, weil man durch diese Einheit Zeit gewinnt; auch Fremde die uns empfohlen werden, sehen wir gewöhnlich diesen Abend; es wird dann gelesen, gesprochen, musiziert. Kürzlich war Professor Lerminier aus Paris hier, ein interessanter Mann, der erst im Sinne hatte von hier nach Petersburg zu reisen, nun es aber auf später aufgeschoben; er wird Ihnen gefallen, und Sie werden ihn sich gern empfohlen sein lassen.
Ich glaube, wir lesen diesen Winter um die Wette. Daß Sie uns etwas angeraten, macht uns großes Vergnügen um des Austausches willen. Sobald es auf der Bibliothek sich blicken läßt, wird es von meinem Privatoberbibliothekar zu Hause gebracht. Den Pelham haben wir beendet, den Devereux angefangen. Zuerst wollte Pelham gar nicht munden, verwöhnt durch die tiefen Schöpfungen Tiecks aus seiner jüngsten Periode, Hexensabbath, Tod des Dichters, worin, vorzüglich im ersteren, auf wahrhaft Shakespearsche Weise, Gestaltung und Reflexion aufs innigste verschmolzen sind, in beiden aber die geheimsten Tiefen und manches Rätsel des Menschengeistes, des Lebens, und der jedesmaligen Zeit erschlossen; dagegen der Autor des Pelham seinen Helden bequem, gleichsam als Sprachorgan und Repräsentanten der verschiedensten Meinungen und Situationen gebraucht, daher denn auch die durch nichts motivierten Veränderungen in Charakter und Handlungsweise des Pelham. Der Mensch, der wohlgefällig durch einen ganzen breiten Salonband hindurch (spielt denn wirklich dieses Salonleben nicht etwas individuellere Farben?) sich die Locke bald links, bald rechts, kühn oder schmachtend zurecht dreht, der nur die Auszeichnung vor den anderen hat, daß er eben Gehäuse und Organ des Dichters ist, wird mit einem Male ein Held, der Opfer bringt – Unwahrheit und Spiel mit dem Höchsten! – nur um dem Roman zu einer interessanten Katastrophe zu verhelfen. Geistreich ist Bulwer, hat scharfe Auffassung des Lebens und der barsten Wirklichkeit, poetisch ist er im Grunde der Seele gewiß nicht; wo er Anstalt zum poetischen Konflikt macht, geht er so ins Grausige, daß alle Grenzen überschritten werden, wenigstens in diesem genannten Roman. Den Clifford, den Sie vorziehn, denk' ich, werden wir auch nächstens kennen lernen. Tiecks Hexensabbath aber lesen Sie ja; es ist ein wunderbares Gebilde; nächst dem »des Dichters (Camoens) Tod«.
Was Sie über Rahel sagen, ist sehr treffend und hat uns um so mehr erfreut, als sich jetzt eine entschiedene Gegenpartei gebildet, wahrscheinlich erzeugt durch das Lob der Enthusiasten, wie das gewöhnlich geht. Es möchte noch hingehn, wenn man hier nicht mehr als je den Neid sich ereifern sähe. Frauen, die sich freuen sollten, daß eben eine Frau ein so bedeutendes inneres Leben gelebt und so mächtig es zur Erscheinung bringt, können nicht begreifen, daß man so viel Lärm, wie sie sich ausdrücken, davon machen könne; Männer, die mit ihr im innigsten Freundschaftsverhältnis standen, die Herrn von Varnhagen die schönsten Sachen darüber gesagt, lästern sie geflissentlich in Gesellschaften, daß es zum Empören ist; andere, zu denen sie in ihrer Weise einmal »liebes Kind« sagt, fühlen sich in ihrer Eitelkeit verletzt und werfen ihr nun vor, sie habe immer den Mann spielen wollen. Enge Seelen hängen sich an den einen Brief, in welchem sie den Selbstmord rechtfertigt, und sind fromm außer sich darüber. Nur der Brief, wo sie über Gebet spricht, hat allgemeinen Beifall; sie freuen sich unendlich, daß Rahel sie über die etwaige Vernachlässigung des Gebets beruhigt und es ihnen auch für die Zukunft so süß bequem macht. Daß aber einige (ich glaube sogar unser Freund Mundt in seiner sonst so vortrefflichen Rezension) ein Welt-Werk daraus machen wollen, scheint mir die Sache zu verstellen; Weltwahrheiten müssen sich notwendig von der Person ablösen, so interessant und eigentümlich diese auch sein mag; und Ihr Urteil scheint mir dies auch zu bestätigen.
Das Neueste, was jetzt besprochen wird, ist der Goethe-Zeltersche Briefwechsel. Was bespricht man aber hauptsächlich? Die Familiengeschichten. Es kommt durch diesen, ohne alle Rücksicht gedruckten Briefwechsel ein wahrer Klatschgeist in die Literatur. Der Buchhändler wird nächstens das Honorar nach den mehr oder minder darin florierenden Persönlichkeiten zu bestimmen haben, weil dergleichen bald nur deshalb noch gekauft und gelesen wird. Auf eine unwürdige Weise scheint sich Zelter wirklich zuweilen geäußert zu haben, was einem um des Mannes selbst willen leid tun muß. Wir kennen nicht mehr als einige Briefe des ersten Bandes, die am letzten Freitag ausgewählt wurden, bei denen man sich allerdings wundern mußte, daß ein Zelter so schreiben konnte; ich meine eben, so abgeschliffen, durchbildet; ich suchte immer den originellen derben Zelter und fand ihn nicht; wahrscheinlich hat er sich in den Briefen an Goethe – ich will nicht sagen Mühe gegeben, sondern sich begeistert gefühlt, sein Inneres in geschliffenen Kristallen dem hohen Freunde darzulegen. – Am Sonntag wurde die Raupach'sche Fortsetzung des Goethe'schen Tasso gegeben. Dieses Wagestück mußte durchaus gesehen werden, coute qu'il coute. Wir hatten Angst, als wenn ein Seiltänzer aufgespanntem Strick von Turm zu Turm gehen will; aber ein solcher Mensch hat einen wahren Hokuspokus in seiner Geschicklichkeit. Jeden Augenblick glaubt man, er verliere das Gleichgewicht, er müsse stürzen; aber Gott bewahre! ehe er, stürzt der Adler im Fluge – er geht am Goethe'schen Seile so geschickt herunter, daß die Menge glaubt, ein Genius habe ihn geführt; man klatscht, man ruft lauten Beifall – unser Seiltänzer aber lacht ins Fäustchen, denn er wußte genau bis zur kleinen Zehe, was er zu beobachten und zu berechnen hatte, um sein Publikum in dieses Staunen zu versetzen. Ich denke, Goethe hätte auch lieber seine in der Brust warm getragenen Gestalten in Stein hauen lassen, als sie in unheimlich ähnlichen Wachsfiguren abgeformt zu sehn.
Veit, denke ich, wird Ihnen nächstens schreiben und Sie anregen, den höchst interessanten Plan bald auszuführen. Da es jetzt Mode ist, daß die Unkundigsten alles beurteilen was ihnen vorkommt, so schreibe ich in Gedanken schon eine anonyme Rezension und sende sie an Menzel, der sich mit dem Namen Stieglitz, wie es scheint, ganz und gar jetzt ausgesöhnt hat.
Frau ** sehen wir jetzt öfter; sie ist immer leidend und bedarf ein wenig der Aufmunterung. Rätselhaft genug, wir sitzen lieber an ihrem Bett und lesen ihr etwas vor, als an manchem langen Teetisch; muß doch also eine sonderbare Frau sein; einen geharnischten Witz hat sie, der oft merkwürdig treffend ist. Auf jeden Fall habe ich sie früher nicht ganz ihrem Wesen nach aufgefaßt. Nun aber tut mir die Hand weh vom Schreiben und Sie sind am Ende auch müde. Leben Sie heiter und wohl, mein teurer Freund, und was Ihnen lieb ist mit Ihnen!
Ihre getreue Charlotte.
Heinrich beklagt sich, daß ich ihm alles weggeschrieben habe; ich vertröste ihn auf ein ander Mal.
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An Baron L. Stieglitz
Berlin, den 25. Dezember 1833, abends.
Ich wende mich an Sie, Bester, gewiß am sichersten mit der Bitte, durch irgendeinen uns mit umgehender Post Nachricht zu senden. Wir haben verschiedene Nachrichten, die uns sehr beunruhigen. Gott gebe, daß Sie wieder ruhig sein können und ein düsteres Gewitter vorüber gegangen ist. Sie mögen mit Ihrem guten Genius, der trefflichen Emilie, wieder was durchgemacht haben! Ihre Gegenseitigkeit ist aber ordentlich eine Beruhigung in der Ferne; zwei Ruder halten ja das Gleichgewicht des Fahrzeuges, und Sie haben ja schon manches zusammen versucht.
Gestern abend habe ich Heinrich Ihr Bild beschert; es hat uns merkwürdig zusammen ergriffen. Der Maler hat Ihren ruhig freundlichen Sonnabend-Abend-Ausdruck sprechend erfaßt. Es ist eine Ähnlichkeit, wie man sie gern in der Ferne hat, so durchaus wohltuend. Leben Sie wohl und sein Sie alle auf das wärmste gegrüßt
Ihrer Charlotte und Heinrich Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 7. Januar 1834.
Sollten Sie, werter Freund, nicht vielleicht Ihre Rezension über Rahel wiedergefunden haben? Ich bäte alsdann, sie heut abend doch mitzubringen. Bedeutend bin ich in der Verinnigung mit Rahel vorgerückt, und wenn es in der Freundschaft nicht abzuleugnende Strömungen gibt, so muß in meinem Verhältnis zu ihr jetzt gerade volle Flut sein! Vor einigen Abenden war ich in einer Teegesellschaft. Eine auf dem Sofa sitzende Dame hatte Ähnlichkeit mit Rahel; ich wurde ergriffen von dem Gedanken: »daß sie es wäre, und ich sie so gekannt hätte wie jetzt!« Wahrhaftig, ich wäre ihr um den Hals geflogen oder ich hätte sie ewig belauscht, und mir vielleicht darüber mein schön russisch seidenes Kleid mit Tee begossen, und sie hätte mich obendrein ausgelacht. Die Verklärten aber lächeln sicher nur, und so möchte denn auch sie gelächelt haben, wenn sie gesehen, wie ich mit ihr gerungen.
Manche Kinder lieben keine neuen Puppen, manche Mütter ihre neugeborenen Kinder nicht; ich glaube, mir würde es auch so gehen – was ich aufgedrungen lieben soll, kann ich nicht lieben!
Was tut's? Gibt es nicht genug Leute, die das Neue lieben, eben weil es neu ist? – Die Liebe zu einem Buche, das mir ungewöhnlich angepriesen worden, reift viel langsamer, (wenn ich nicht gar schon im voraus dagegen opponiere) fast widerstrebend; sie will gleichsam ringend gegen alles Vorurteil selbst prüfen, selbst erkennen, selbst es verdienen, ihr eigen nennen – ja ich möchte sogar hinzufügen: vergessend, daß es allen angehört!
Warum aber diese Briefe, bei aller Bedeutendheit, im Anfang nicht wohltätig auf mich wirkten, hatte seinen Grund in dem so häufigen Aufwerfen großer Fragen, die nicht beantwortet werden – in dem Aufwühlen ohne wieder zu klären, so daß ich chaotisch aufgeregt wurde, ohne beruhigt zu werden. Da ich nun aber auch oft an Überfülle von Fragen leide, so tun mir Antworten bei weitem wohler – Sie verstehen wie ich das meine! Sei es jedoch nun, daß ich in diesem Bewußtwerden jetzt ruhiger lese oder überhaupt in einer empfänglicheren Stimmung dafür bin, oder daß sie selbst im letzten Teile ruhiger wird, genug ich bin auf das Brillanteste mit ihr ausgesöhnt und halte sie nun für's Leben!
Hierin also wären wir jetzt übereingekommen, Freund! In einer anderen Sache werden wir es wohl schwerlich jemals.
Doch nicht zu vergessen: bei Ihrem neulichen Aufsatz über Tieck fehlte mir durchaus der »Hexensabbath«, obgleich ich wohl weiß, daß Sie beim Zurückgehen auf die früheren Novellen gerade nur die Richtung seiner Künstlergestalten beleuchtet. Wie dem aber auch sei, es bleibt für mich die Zurücksetzung dieses Riesenkindes immer eine Lücke.
Stieglitz grüßt sie.
Ihre freundschaftlich ergebene
Charlotte Stieglitz.
*
An Theodor Mundt
Berlin, den 15ten Januar 1834.
Erst gestern abend, als ich Sie vergebens erwartete, konnte Stieglitz es über's Herz bringen, mir Ihre Zeilen einzuhändigen; er wußte nur allzu gut, wie unrecht Sie mir taten.
Ich glaube noch immer so schwer daran als an das Erstarrtsein eines eben noch frisch Geblühten; in der Erinnerung ist lauter Leben und vor den Augen der Tod.
Es ist mir, als wenn ich gestern zwanzig Jahre ernster und älter geworden. Man erzählt von Leuten, denen das Haar in einer Nacht gebleicht; wie manche Seele mag schon über Nacht ergraut sein!
Gott! Gott! so kann man also unwissend, so kann man wissend kränken!
Doch nun an's Werk! ich muß Ihnen ja versichern, (fast möchte ich lachen, wenn ich nicht bitter weinen müßte – so wenig soll ein Mensch vom andern wissen?) daß ich vom ersten Augenblick an, durch den Schleier durch Sie erkannt. (Sie sahen mich erst später, und jetzt bestätigt es sich.) Ich verstand außer dem für Ihre Jahre auffallend tiefen Ernst Ihres Geistes durchaus ein edles Wollen in jeder Hinsicht in Ihnen; es war jener erste Blick, von dem wir am vergangenen Freitag sprachen; ich reichte Ihnen gleich im Geiste innig die Hand. Bald lernten wir Sie näher kennen, und niemals hat Ihre Verschlossenheit auch nur im Allerleisesten mich irre gemacht, ich ahnte und dachte gern die Zeit, wo wir in gegenseitigem Vertrauen erstarkt, uns mehr und mehr erschließen würden. Befremdend aber waren Sie mir auch in jener ersten mehr schweigsamen Zeit nie; ich wußte, hinter diesem Vorhang ist eine tiefe Perspektive – Herrliches! Ich hatte es ruhig der Zeit überlassen, Sie zu lösen, aber ich hörte nicht gern aus anderm Munde, daß Sie verschlossen seien – Sie wurden es auch schon immer weniger gegen uns – und so glaube ich, erwähnte ich dessen einmal auf dem Spaziergange halb scherzend. Und nun gar wie widrig war mir jedes Verkennen persönlicher Verschwiegenheit, woran ich nie gedacht! Denn ich halte heilig, was ein edler Mensch für gut hält zu verschweigen; ja ich weiß sogar, daß ich Sie aus innerster Überzeugung in dieser Hinsicht einmal verteidigt und für alle dergleichen unmotivierte Anmutungen, die Sie leider vielleicht erfahren, sollte ich nun büßen müssen? – Gerade weil ich Sie niemals verkannt, weil ich wähnte, Sie wußten, wie hoch ich Sie schätze (auf dieser Sicherheit breitem Rücken!) konnte ich mutwillig sein. Wenn ich Ihnen auseinanderlegen könnte, mit wie vielen feinen Fädchen das Ignorieren des Hippeischen Aufsatzes zusammen hängt, Sie hätten mich nicht so gräßlich mißverstanden. Mit Ihnen selbst hätte ich den Aufsatz lesen müssen, um daß Sie gesehn, wie tief mich Einzelnes bewegt, ja gerührt hat; ich fühlte es wie aus eigener Seele nach, von diesen scheuen Einzelheiten bezog ich gerade wieder einiges auf Sie, noch ehe Sie jene Frage an mich gerichtet, und wahrhaftig im liebevollsten Sinne. Der Gesamtcharakter als solcher hat mir allerdings nicht wohlgetan und nur wie der Scherz mit dem Ernste selbst wohl einmal spielt (oft bin ich auch mehr als ernst und lache darüber weg, um nicht ganz stille zu sein und mir nachzugeben – also auch ein kleiner Hippel? – die wenigen Verschen im Almanach zeugen auch dafür) scherzte ich auch so harmlos wie nur immer möglich von Ignorieren des Aufsatzes wegen Ähnlichkeit. Wie oft fehlt mir auch noch gänzlich das entwickelnde Wort, wo ich innerlich doch so klar bin; unbeholfen reißt sich ein Wort los wie eine Schlacke, die nur das mit dem Inhalte gemein hat, daß sie eben damit zusammenhing.
Mundt! Mundt! so durften Sie mich doch nicht verkennen, so nicht wenn Sie mich je gekannt, so nicht den Glauben an mich verlieren! Was hatte Sie uns, unsern sonst so klaren Herzenskündiger, so getrübt? Waren es meine Zeilen, am Morgen in gutmütigster Heiterkeit hingeschrieben? Hatten Sie die Töne so bewegt? Ich sinne und sinne, aber die Götter mögen es wissen, durch welche Äußerung ich jemals vielleicht Ihnen Gelegenheit gab, so meine ganze Natur zu verrücken. Doch ich finde nichts, sobald ich mir Sie mit Ihrem Auf den Grundgehen der Seele denke.
Das Mädchen glaubt, ich habe eine Todesnachricht erhalten – es war ja aber nur eine Wunde, ein wenig tief zwar, – Flügelverkürzung zugleich – aber ich denke, es wird wohl auch mit der Zeit wie manches andere im Stillen verbluten und die Flügel werden wohl auch wieder wachsen und sich aufrichten. Ich will es als ein Duell ansehen; fühle ich mich doch nach dem Durchkämpfen wohltätig ermattet und erleichtert zugleich.
Mit unveränderlicher Freundschaft
Ihre
Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 24. Januar 1834.
– – Welch' Vertrauen muß ich wieder zu Ihnen gewonnen haben, daß ich Ihnen eine so gefährliche Waffe einhändige, als da ist: ein Billet zu einer Beethovenschen Symphonie! Lassen Sie sich gnädig finden, lassen Sie den Aufruhr Ihrem »Wirrwarr« entgelten, und nicht den friedlichen Genossen Ihrer musikalischen Leiden und Freuden!
Man hat es übrigens darauf abgesehen, Ihre Bekanntschaft morgen abend zu machen. Stieglitz sagte: das Kennzeichen sei, daß Sie vielleicht wieder neben uns zu meiner Linken säßen. Ich dachte gleich an die nähere Bezeichnung der Brille, und mit einem Male kam mir diese wie der böse Kobold unseres nach der letzten Beethovenschen Symphonie entstandenen Streites vor. Wie kann ein solches Glas nicht verzaubert sein! welche Geisterchen spuken nicht in einem solchen Reflexe! Spüren Sie nach dem Ursprünge dieses Unholds, ich bitte Sie um alles in der Welt! – Eine auf dem Tische liegende Brille hatte schon von Kindheit auf etwas Unheimliches für mich, und ich habe oft gedacht: welche Augen mögen schon durch diese Glasaugen gesehen haben! – Eine geerbte Brille eines Menschen, den man nicht gekannt, denken Sie sich, wie schauerlich! – –
Heute abend finden Sie Grimmer bei uns; ich denke, es wird ein wenig musiziert werden.
Anbei mit herzlichem Danke das Buch zurück. Ich habe die schönsten Lieder Rückerts, die ein wahres Herüber- und Hinüberleben des innern Menschen mit der Natur sind, ausgeschrieben. – –
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An Baron L. Stieglitz
Den 25. Januar 1834.
Sie mögen sich wohl gewundert haben, mein teurer Freund! daß ich vielleicht die letzte zu Ihnen nachgehinkt komme – und ich hinke in der Tat, wenn ich zu Ihnen allen und zu jedem einzelnen hindenke –; aber es ging nicht anders; Gott weiß, ich könnt' es nicht. Wäre das Undenkliche früher eingetreten, noch bei unserem Dortsein, vielleicht hätten wir Ihnen etwas sein können, und wer weiß, vielleicht doch nur mit gelitten. Ich habe ihn gekannt! und was hatte ich in den letzten Tagen nicht für innige Gespräche mit ihm, noch auf dem letzten Wege! – Aufrichtigkeit tat seinem wahrheitliebenden Herzen so wohl, und da erschloß er sich klar wie der Tag; wir hatten oft einen kleinen Krieg miteinander, denn er gehörte zu den seltenen Charakteren, an denen man um ihrer Kristallreinheit willen auch den leisesten Hauch nicht dulden mag; andere nimmt man mit Schrot und Korn, und liebt sie auch. So spielt das Leben, und so sehn wir es ja auch als Weltgerechtigkeit walten. Wissen Sie, außerdem daß wir in Ihnen allen fühlen, ist uns auch selbst noch nie in der vollsten Blüte der Lebensjugendkraft und des Glückes ein so Nahestehender entrissen; das ist ein ganz neuer Eindruck und einer fürs Leben. Da haben wir nun eine von den ewig rätselhaften Konsequenzen, – wer hat nicht Ähnliches erleben müssen? Nur das einsam stehende Schicksal scheint über menschliche Kräfte zu gehen; wo einer nur den Wahn gefaßt hat, geht er schon unter; und dennoch, lebt nicht jeder wieder im Weltschmerz den besonderen? und wie er sich da herauswinde, das ist dann auch seine Aufgabe und sein Werk. Wie wehe tut es überhaupt uns beiden, Sie voll Schmerz zu wissen – ich denke aber, es richtet Sie ungeheuer auf, daß Sie wissen, alle schauen auf Sie, und Sie wirken elektrisch. Die ganze Welt nimmt eigentlich Teil, wo ein junger Mensch von fünfundzwanzig Jahren plötzlich stirbt; der kälteste Zeitungsleser, denke ich, stutzt einen Augenblick; aber ich will doch einen der näheren Teilnehmer nennen, der sich uns auf das wärmste ausgesprochen und Grüße für Sie, Emilie, und die Ihrigen alle uns aufgetragen; und dies ist Stokes; der hat sich auch wahrhaft erschreckt, denn wie hat auch er ihn lieb gewonnen und immer Freude verbreitend nur gesehn. Dann will die Hofrätin Herz und Frau H. Mendelsohn Ihnen auf das teilnehmendste empfohlen sein. Heinrich grüßt Sie alle vielmals; er hat heute nach vierzehn Tagen zum ersten Male wieder auf die Bibliothek gehen können; es kam merkwürdig plötzlich durch eine Erkältung, wahrscheinlich ein Schnupfen der auf die Brust gefallen und ihm nun mit einem Male alle Luft benahm; doch Gott sei Dank, ein schnelles Wirken brach die Sache bald. Leben Sie wohl, Teuerster, Gott sei mit Ihnen allen! Ich denke wir hören bald etwas – wie es Ihnen allen geht.
Ihre treue Charlotte Stieglitz.
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An Natalie Harder
Den 26. Januar 1834.
Gott zum Gruß, meine Herzens-Natasche! Wie gern besuchte ich Dich selbst und überzeugte mich, daß Du wohl und seelenstark seiest, eine Heldin unter Deinen Kindern – nicht wahr, das bist Du? – Und es ist wahrhaftig darauf angelegt, daß wir alle noch zu recht durchprobten Helden hier werden.
Ja, ja, meine liebe Natasche, man hat was durchzufühlen; bei gänzlich flügelgelähmter Stimmung kommt mir der Mensch zuweilen wie ein recht riesenmäßiger Reisekoffer vor. Was für Erfahrungen von Schmerz, Freude, Liebe, Gleichgültigkeit, packt er in sich, bis er gefüllt, und nunmehr auch mit dem ewigen Schlüssel verschlossen wird, für die endliche Reise ins Himmelreich, so Gott will! – Ein groß Paquet Rätsel kommt auch hinein; sie sind mit Tränen gedruckt und eingebrannt, sie werden sicher bis zur Lösung sich leserlich halten. In Nicole's Charakter war kein Rätsel. Er war von Natur, was zu erringen ich für die höchste Aufgabe im Menschen halte, durchsichtig, rein von trübendem Egoismus, und auf dem Grunde lagen Perlen. Wie wohltuend ist die Erinnerung an ihn! –
Einliegendes kleine Buchzeichen, meine Liebe, möge, indem es Dich bei Deiner Lektüre begleitet, auch manchmal auf mich freundlich Dich hinweisen. Hat Miluschka wohl einmal wieder uns erwähnt? Was macht das kleine Patennönnchen? (nicht Männchen, wie die Frau mich korrigierte). Den kleinen Alexander würde ich in diesem Augenblick, wenn es die dicke Muhme erlaubte, fast erdrücken; ich sehe den Jungen mit seinen runden, schwimmenden, blauen Augelchen ganz lebhaft vor mir, daß ich ihn greifen möchte – und was macht das kleine, wild interessante, von Sorgen nichts wissende, fröhliche Bettelmädchen mit seinem weißen Tüchelchen um die Ohren? – Deinen Harder grüße und danke mir nochmals in Erinnerung an jene ersten Nachrichten, die er uns so bald über Dein Befinden sandte. – Wir wünschen Euch ein inniges Lebewohl, und ich bleibe Deine treue
Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 24. Februar 1834.
– Lassen Sie es immer in sich und aus sich heraustoben – wehe dem Schaffenden, in dem es aufhört zu toben! Ich glaube, jeden packt es und treibt es auf andere Weise, und jeder hat es auf seine eigene Weise zu bewältigen. Ich kostete oft in unserm Garten die ätzenden Frühlingstränen, diesen Überschwang des Weinstocks, der im Herbst die süßesten Früchte trieb. Nach Vollendung Ihrer »Lebenswirren« müssen Sie ohne vieles Säumen Ihre schöne Reise antreten, nachher wird Sie's schon wieder drängen zu Neuem, Ihnen Angemessenen!
Mit herzlichem Gruße
Ihre Charlotte Stieglitz.
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An Baron L. Stieglitz
Den 9. März 1834.
Mein teurer Freund! Ihr und der Ihrigen unbegreifliches Schweigen fängt wahrhaft an Epoche in meinem inneren Reflexionsleben zu machen, wenn überhaupt man etwas mit Recht Epoche nennen kann, was doch nur unterdrückend, lähmend, kühlend und erschlaffend auf den ganzen Menschen wirkt. Indes, ohne alles Resultat bleibt so leicht nichts innerlich Eingreifendes; und wenn sie in Leipzig und Arolsen sich verwundern, jetzt viel öfter Briefe von mir zu bekommen, so ist es wirklich der Druck auf der einen Seite, der die Feder auf der anderen losspringen läßt. Ich weiß jetzt was es heißt, bei den innigsten Beziehungen vergebens auf Nachrichten warten; ich weiß nun was Briefe in der Ferne bedeuten, was sie geben, was ihr Ausbleiben nehmen kann; und so ist mir das Schreiben an die Harrenden eine der heiligsten Pflichten fürs Leben geworden. Sehen Sie, auch das sollte ich Ihnen verdanken. Aber es ist hier gleichsam nichts mehr und nichts weniger als der lösende Schweiß eines Erkältungsschmerzes; nicht als hätten Sie mir einen milden Tee eingegeben – der Schmerz selbst hat ihn hervorgebracht. Und wissen Sie was ich am meisten fürchte? Daß wir uns nach und nach daran gewöhnen, von Ihnen allen nichts zu erfahren, daß unsre glühende Liebe mit einem Wort verkühlt. Und eine wahrhafte Angst kann ich da vor mir selber haben; so manch Teil heiliger Glutmasse mußte schon in den Kühlofen kommen und wurde zur Form gesteift, um ein zerbrechliches Geschirr zu werden. Wahrhaftig, in dieser im allgemeinen doch so gleichgültigen Welt sollte man das Feuer im menschlichen Herzen, wo es einmal brennt, nicht so mutwillig ausgehen lassen, – nur ein wenig angeblasen, einige Spänchen nachgelegt, einige Zeilen nur, ein Gruß zuweilen!
Heinrich hat sich diese letzte Zeit, Gott sei gedankt, frisch durchgeführt; vielleicht sendet er Ihnen eine Abschrift seines eben vollendeten lyrischen Drama; darin sieht man, denke ich, wie der Sommer ihn erfrischt; Kraft und Glut im Ebenmaß; es ist vortrefflich geworden, und ein ganz eigentümlicher Stoff. Professor Marx ist musikalisch ganz davon hingenommen, ist voll von Tönen dafür; und das ist der Grund, warum mit dem Druck noch gewartet wird. Nun wird sich Heinrich gleich an die Reise machen, und wie wird er Sie Ungetreuen alle mitnehmen! Doch ich sehe, ich verfalle wieder in das böse Thema – »Und Brutus auch Du?« fällt mir bei Emilie ein. Leben Sie wohl, Gott beschütze Sie!
Ihre Charlotte Stieglitz.
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An Baron L. Stieglitz
Den 19. April 1834.
Bei Empfang Ihres Briefes fielen mir die Zeilen Rückerts aus einem seiner weltbetrachtenden seelenvollen Gedichte ein:
»Als ich hassen wollte,
Fühlt' ich nur, es schmollte
Kind'scher Liebeszorn.« –
Wie kann man sich freuen! der Sand sogar, der noch auf Ihren Schriftzügen liegt, hat Reiz für mich; so frisch scheint der Brief dadurch, daß man die Hunderte von Meilen vergißt. Schicken Sie uns oft so ein Prieschen schwarz auf weiß; Sanduhren sollte man eigentlich auf solche Weise anlegen. Wie ist nun alles mit dem Frühlinge wieder so freudig geworden nach der langen Öde! Ihre Briefe, Lieschens Hiersein, oder besser unser Dortsein mit ihr, und nun die Erwartung Alexanders, Teil von Ihnen; das wird wieder ein Hinüber- und Herüber-Leben, und dabei – Hänschen ohne Sorgen! – – Lieschen habe ich wirklich erst kennen lernen, und allerdings das vortreffliche Wesen gefunden, daß Sie so treffend schildern. Ich muß gestehen, in Petersburg interessierte es mich wenig, über Ihren damaligen Kreis hinaus mehre Bekanntschaften anzuknüpfen; es war als hätte das Herz keine Zeit dazu. Die ganze Heimburgersche Familie hat sich mir jetzt in Lieschen gespiegelt, wir haben uns auch verabredet, einstmals in Petersburg uns öfter zu sehen, d. h. jedesmal, wenn Sie sehr starken Posttag haben. –
Die Tutti Frutti werden Sie ja nun bald kennenlernen, da Boissonnet es hier gekauft. Wir haben bis jetzt nur den ersten Teil kennengelernt. Über das Ganze wird im allgemeinen viel skandaliert. Wir haben jedoch unter viel allzuflüchtig Hingestreutem manches Goldkorn gefunden. Die Heine'sche verführerisch-liebenswürdige Frivolität geht auch bei ihm oft mit den besten Gefühlen durch, es kommt dabei eine Zwitterhaftigkeit heraus, der man nie recht zu trauen wagt. Am allerwenigsten ist er das unschuldige Kind, das Rahel einige Male aus ihm macht. Narrenkappe und Schelle muß sie nicht an ihm bemerkt haben. Merkwürdig ist übrigens die Art, wie er sich zur jetzigen Literatur stellt, die er achtet; – so hat er an Mundt auf die Aufforderung zur Teilnahme an dessen neu zu begründender Zeitschrift (NB in monatlichen Heften) seine Zusage auf eine höchst anspruchslose und sich gänzlich gleichstellende Weise gegeben.
Ein äußerst interessantes Buch aber haben wir zu erwarten von der bekannten Bettina (Frau von Arnim: Schwester Savignys), nämlich Briefwechsel zwischen ihr und Goethe. Als Heinrich sie neulich besuchte, las sie ihm Stunden lang daraus vor und gestand ganz naiv, daß sie zu der Zeit, wo diese Briefe geschrieben seien, als Zwanzigerin in den fast sechzigjährigen Goethe sterblich verliebt gewesen sei. Heinrich behauptet, es sei das Originellste was bis jetzt von Frauen gedruckt, der philosophischeren Rahel gegenüber durchaus mit Übergewicht an Poesie, und kecker im Zusammenwürfeln von Natur und Seelenleben, dagegen ihr die durch den Schmerz sich vertiefende Innigkeit abgehe, wodurch Rahel oft zur Seherin wird. Sie scheint mir der Beschreibung nach mehr die flatternde Psyche mit immer blühendem Farbenspiel der Schwingen, während Rahel mehr die im Geiste wühlende Kassandra.
Heute ist auch wieder ein Brief von Stokes gekommen, und zwar aus Madrid. Denken Sie, das vorsichtige Stökeschen schreibt vier Seiten Politica, von der wilden Aufführung der konstitutionellen Partei gegen die Carlisten, von verschiedenen politischen Räuberanfällen unweit Vittoria, bei denen er Glück gemacht mit Gesundheitausbringen eines ideellen Herrschertums in gutem Wein, – wahrscheinlich Xeres, ich kann mir wenigstens keinen anderen Räuberbändiger denken – hat sich aber doch nach diesem Privatabenteuer lieber in den sicheren Postwagen begeben. Er wird über Lissabon zurückreisen und, denke ich, wird sich gewiß mit echtem Portwein an der Quelle versehen, wenn etwaige Migueliten oder Pedroiten ihn zu portugiesischen Toasts auffordern sollten. Bedächtig aber, wie immer, hat er sein politisches Bulletin doch nur mit »Ihr Kasansky« unterzeichnet. An Petersburg denkt er noch immer viel und will sogar auf diesem großen Umwege empfohlen sein.
Nun, Teuerster, leben Sie wohl mit Ihren Lieben groß und klein!
Ihre Charlotte Stieglitz.
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An Baron L. Stieglitz
Berlin, den 6. Mai 1834.
Die schönen Tage in Aranjuez sind nun vorüber, Alexander über alle Berge, Heinrich ein eifriger Nachholer jeder versäumten Bibliotheksstunde, und ich plötzlich mäuschenstill und einsam zu Hause. Und so flüchte ich mich zu Ihnen, Teuerster. Es war ein höchst erfreuliches Zusammensein mit Alexander; wir verstanden uns gut und gegenseitig im Ernst wie in der Freude, und dazu immer blauer Himmel und immer mehr zunehmendes Grünen und Blühen der Bäume, ein echter Frühling! Fast glaube ich, Alexander ist uns noch lieber geworden als damals; wir fühlen es erst recht da er weg ist, er fehlt uns überall. Wie wir die Tage gelebt, denke ich, hat Ihnen Alexander geschrieben; es machte uns große Freude, daß er doch so ziemlich die bedeutendsten Männer Berlins kennenlernte, wozu außer unseren kleinen verschiedenen Kreisen noch eine große Gesellschaft bei Steffens, mit denen wir jetzt nahe befreundet, das ihrige beitrug. Ich glaube, dieser Ausflug wird von der entschiedensten Wirkung auf Alexanders ganzes Leben sein. Zusehends konnte man bemerken, wie er sich mehr und mehr löste im Gespräch mit den Verschiedenartigsten, wie er in seinen Bemerkungen immer freier und selbständiger wurde, wie er im Umtausche der Ansichten sich selbst mehr fühlen lernte; wie oft haben wir uns über treffende Einfälle gefreut, immer aber über ein edles Wollen, das seinen ganzen Menschen zu durchdringen scheint. – Interessant waren mir selbst seine Zweifel, die gewöhnlich bei bedeutendem Naturen in Erwägung einer großen Aufgabe innerlich zur Sprache kommen; wer nie gezittert vor seiner Aufgabe, nie gezweifelt an seiner Kraft, an den glaube wenigstens ich nicht. Daß wir die Reisenden nach Potsdam begleitet, auf der Pfaueninsel – denken Sie noch an das Palmenhaus? – in den Gärten und auf den Bergen einen wunderschönen Tag verlebt, und zuletzt am Fuß des Brauhausberges – auch im Staube des Weges – Abschied genommen, wissen Sie wohl nicht, da Alexander erst wieder von Hannover schreiben wird. Sie alle denken wir jetzt nun völlig draußen im ersten Grün; dort sind wir heimisch und kennen jedes Plätzchen, Baum und Blumen.
Amalie Iwanowna wird den Schweizer-Gebirgen gebieten, der Garten wird sich vergrößern, und Emilie Iwanowna braucht nicht mehr sechsmal, sondern nur viermal die Runde zu machen und ohngefähr so viel Briefzeit dadurch gewinnen als: »höre Lottchen, ich werde jetzt wirklich einmal an Dich schreiben«, oder: »Heinrich, laß mich jetzt ungestört, ich will nach Berlin schreiben.« Wo ist Nataschens Reich diesen Sommer? geht man nicht mehr die Birkenallee herunter zu ihr?
Erschienen ist in der letzten Zeit an Bemerkenswertem bei Veit: »Laienbrevier von Leopold Schefer.« Es ist uns erst heute morgen zugeschickt worden, und ich habe mich schon sehr daran erbaut. Es ist eine seltene Spruchweisheit eines viel erfahrenen milden Geistes; ich meine, das wäre zur Abwechslung etwas für Sie; in Petersburg würden wir dabei gegenseitig Bleistiftstriche machen. Von Willibald Alexis ein neuestes Buch: »Wiener Bilder« möchte ich Ihnen auch empfehlen; enthält es gleich nicht eben Bedeutendes, so liest es sich doch recht gut und gibt ein anschauliches Bild mit leise durchziehender Ironie. Vielleicht könnte Alexander beides mitbringen.
*
An Theodor Mundt
Berlin, den 15. Mai 1834.
– Ich werde zu Ihrem Plagegeist, lieber Mundt, indem ich nun auch das zweite Blatt kritisch von Ihnen gelesen wissen möchte. Lassen Sie sich nicht durch die saubere Abschrift stören, korrigieren Sie oder streichen Sie hinein, wo Ihnen irgend etwas unpassend scheint.
Stieglitz – oder vielmehr Nicht-Stieglitz, denn der Eigentliche ist jetzt eben nicht da – ist in dieser Periode seiner Krankheit wirklich fast ein Unmündiger; je länger Sie ihn kennen, desto mehr werden Sie diese merkwürdige Ebbe und Flut bei ihm gewahren; nach zeitweiser Dürre schwillt mit einem Male der Nil und befruchtend überschwemmt er den ganzen Stieglitz nach allen Seiten hin; dann dichtet er nicht allein, sondern dann schreibt er Briefe dutzendweise, die verschiedenartigsten mit Sicherheit, lebt, liebt, liest anders, sieht sich und andere klar, und hat alle zerstreuten Kräfte beisammen. Ich necke ihn oft, er müsse mit irgendeinem Kometen in Verbindung stehen, weil seine Ebbe und Flut so ungleichmäßig und so plötzlich eintritt; und wahrhaftig, bald glaube ich selbst daran; natürlich geht's nicht zu, die Sache wird immer spukhafter, je ruhiger ich selbst ihr zusehe.
Möge Ihnen ein gesegneter Tag innerlich wie draußen werden!
Ihre Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 28. Mai 1834.
Hier haben Sie, Lieber, den zweiten Teil von *** mit Dank zurück; Sie könnten ihn vielleicht heut abend noch brauchen.
Die zweite Hälfte dieses Bandes habe ich fast nur mit Verdruß gelesen; da fehlt mit einem Male der Genius mit dem Weltauge, der das Ganze überschaut und bewältigt; das notwendige Übel beim Kanonenkampfe, Massen gegen Massen, sieht man hier nirgends; Napoleon träumt oder macht Toilette; kein Feldherr regiert hier; blindes Schießen, Rauchwolken, Einhüllung, ein Pharaospiel unter dickem Qualm, wobei man nicht einmal die Würfel mehr erkennt. Wahrscheinlich ist die Darstellung oder Nichtdarstellung schuld, daß unsere jetzige Kriegsführung mir aufs höchste empörend erscheint; nein wahrhaftig, diesen Kanonenschlünden gegenüber ist der ewige Friede noch etwas wert; wir wollen nächstens auf sein Wohl trinken in einer mit Zucker versüßten, zarten, anmutigen kühlen Blonden!
Der Brand Moskaus ist nun aber in der Tat mit Schwefelhölzchen angelegt, und der ganze Effekt geht hier in der breiten Ausführung der Privatinteressen unter; die Weltgeschichte spielt hierbei nur die Kulissen-Dekoration; man sehnt sich nach dem Allgemeinen, kommt aber nicht von Hansen's Gretchen los. Doch was schwätz' ich da einem Kritiker vor? Der dritte dicke Freund, mit dem Stieglitz bald zu Ende ist, wird mich vielleicht wieder in die anmutigste Stimmung versetzen. St. abstrahiert von dem »historischen Roman« und läßt sich in der Sofaecke bequem etwas erzählen. Bis er den Teil vollendet, könnte ich doch vielleicht einige Blicke in die gestern mir versprochenen »deutschen Briefe« tun, darf ich wohl darum bitten? Mit inniger Freundschaft
Ihre Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 30. Mai 1834.
Haben Sie nicht selbst vor kurzem erklärt, daß wir doch eigentlich im Ganzen zu tugendhaft wären? Lassen Sie mich also immerhin gestern ein wenig querein ins Kohlfeld gesprungen sein, ein wenig zur Unzeit gepoltert haben, ich werde dafür wieder Monate lang alle herumhüpfenden Quecksilber-Kobolde hinter einem langen Tugendspiegel breit schlagen! –
Die Lesung Ihrer Zeilen machte mir einen brennenden Schmerz; neben unserer Tugendliebe haben wir doch alle noch zuviel Seelenzündstoff, und obgleich wir Stieglitze noch dazu an der Spree wohnen, sieht es mit den Löschanstalten immer noch zu dürftig aus, die Flamme schlägt hellauf und die Tausende der löschenden Tropfen kommen fast immer zu spät. Glauben Sie aber nur, mein innigst Geschätzter, daß zwischen den weitläufigen aufflackernden Zeilen meines Briefes ein ganzes Heer von enggeschichteten aber ungeschriebenen stand; ich suchte Ihnen in der Hast gleichsam nur die hervorstechenden Krebsschalen eines Ragouts aus, und warf sie Ihnen eiligst zu, während Ihnen doch im Herzen ein ganzes Gericht recht liebend bereitet war.
Wollen Sie mich froh machen, so kommen Sie heut abend; ich versah es, daß ich die Zeilen, die mich frappierten, nicht gleich mit Bleistift unterstrich, so hätten wir uns sogleich verständigen können. Helfen Sie mir das wieder gut machen, bringen Sie ihren Aufsatz selbst mit und die Sache wird gleich abgemacht sein.
So unendlich lieb mir Ihre Briefe immer sind, schon die Zeit durft' ich Ihnen nicht geraubt haben; halten Sie sich nur nie im Leben verpflichtet, mir jedesmal zu antworten; so eigen das klingt, es ist mein heiligster Ernst und Sie wissen, wie es gemeint ist. Nun aber kommt die Hauptsache nach. St. war wirklich gestern früh schon fort, um einem Kaiserlich Russischen Medizinalrat noch vor der Bibliothek seine Aufwartung zu machen. Er ging sehr unwohl weg, und der Gedanke, daß er auch noch einige Stunden mehr für einen kranken Custoden zu übernehmen hatte, machte mich sehr unruhig; da haben Sie den Grund meiner Aufregung. Heut morgen hat er es nur zwei Stunden aushalten können, es überfiel ihn immer Schwindel. Es wechselt jetzt sehr mit Aufgeregtheit. Heut abend, denke ich, wird es gut sein, etwas zu singen; etwa: »hier im irdschen Jammertal«, oder: »Warum sind der Tränen« etc.; nein, nein, kommen Sie nur, wir wollen die Seele lösen in guten Klängen.
Auf Wiedersehn in Frieden!
Ihre Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 1. Juni 1834.
– Meine Mutter pflegte Vorjahren oft zu sagen: »die artigen Kinder sind immer froh«; ich bin nicht ruhig und nicht froh, folglich muß ich nicht artig gewesen sein. Dann hatte uns der Lehrer für Weihnachten ein allerliebstes Liedchen gemacht, worin folgendes Ströphchen eine große Rolle spielte:
»Und tat ich auch mit leichtem Sinn
Nicht immer, was ich sollte,
So nehmt den guten Willen hin,
Der nie Euch kränken wollte.«
Das rührte nun meine guten Eltern bis zu Tränen; es blieb immer im Angedenken, und meine selige Schwester machte diese unscheinbaren Zeilchen unvergeßlich, indem sie im Sterben lächelnd uns damit erschütterte. Heut morgen beim Erwachen fielen sie mir wieder ein; nehmen Sie sich daraus, was Sie wollen.
Dürfen wir Sie morgen, Montag abend, von sechs Uhr an für die versprochene Mitteilung zu einem Spaziergang nach Schöneberg erwarten?
Mit Ihrem Aufsatz haben Sie aber doch gewiß außer einigen Zeilen keine Veränderung vorgenommen? Lieber, Teurer, lassen Sie mir die Beruhigung! –
Charlotte Stieglitz.
*
An den Obermedizinalrat Stieglitz
Berlin, den 30. Juni 1834.
Hochgeehrter Freund!
Möge ein innigstes Vertrauen rechtfertigen, wenn ich mich auch einmal unter die vielen mische, die Ihres Rates und Trostes bedürftig sind, und im eigentlichen Sinne meinem Herzen dadurch widerspreche, das Ihnen gerade nichts als Angenehmes und Erfreuliches melden möchte!
Mich tröstet aber eben dabei, daß es kein neues Ungemach ist, von dem ich sprechen will, sondern die alte Hydra, Heinrichs immer wiederkehrendes Nerven-, oder vielmehr Blut- und Unterleibsleiden, an dessen Vielköpfigkeit wir von Zeit zu Zeit arg laborieren, und von dem Sie ja längst durch ihn selbst wissen. Es greift aber zu störend in seinen ganzen innern Menschen ein, als daß ich nicht noch einmal den Versuch wenigstens machen sollte, Ihnen, innigst Verehrter, den krankhaften Zustand, soviel es eben aus der Ferne möglich, vorzuführen. Wir wenigstens bauen auf Ihren fern gegebenen Rat mehr, als auf den der allernächsten Nähe. Daß H. zeitweise ganz gesund sein kann, davon haben Sie ja Resultate. Vorigen Sommer wurde er in Petersburg (mit der Seekrankheit fing die Veränderung an) ein durch und durch gesunder und erstarkter Mensch, nachdem wir vorher eine sehr schlimme Zeit verlebt. Diese wohltätige Wirkung der Reise und des Aufenthalts dort, meist im Freien, hat den ganzen Winter, einige Wochen ausgenommen, angehalten, bis zum Frühling, wo ich die letzten Tage von Alexanders Hiersein schon bemerkte, daß er anfing nur noch mit einigen Gläsern Wein bei Tisch sich gewaltsam aufzuregen, um durch seine plötzliche Hinfälligkeit kein Vergnügen des lieben Gastes zu stören. Nach Alexanders Abreise, wo er noch dazu mehrere Stunden auf der Bibliothek nachzuholen hatte, trat eine gänzliche geistige und körperliche Abspannung ein; die Bibliotheksgeschäfte griffen ihn fürchterlich an; er schleppte sich mühsam nach Hause, wachte unerquickt vom Schlaf des Morgens auf, hatte immerwährend am Tage Neigung zum Schlafe; hatte oft Hunger, sogar Heißhunger, und des Mittags doch eigentlich keinen Reiz zum Essen; ein Gefühl der Erschlaffung im ganzen Körper, und ebenso im Geiste, daß er kaum die leichteste Lektüre aufzunehmen im Stande war; dazu Angst vor dem Sprechen mit Menschen, selbst mit den genauesten Freunden. Dieser passive, nur schlaffe Zustand, von dem in solchen Zeiten sogar seine Haltung etwas annimmt, mochte wohl vier Wochen dauern; dann wechselte er mit großer Aufgeregtheit ab. Beklommenheit, Verwirrung, tödliche Unruhe steigerten sich nun vorzüglich in geschlossener Luft bis zum Entsetzlichsten; H. klagte dann bald, das Blut quäle sich durch die Brust und presse ihm fast das Herz ab, bald trat Schwindel ein, bald eine Art brennendes Gefühl im Unterleibe, immer aber Verdumpfung des Geistes. Völliger Lebensüberdruß mitten durch das Anerkennen, wie glücklich er sei könnte. So traf ihn auf der Bibliothek Hr. Dr. Strahl, von dem H. gehört daß er mehrere Unterleibsleidende glücklich kuriert. Dieser gab ihm (voraussetzend, es sei die tägliche Forderung der Natur bei H., obgleich regelmäßig, dennoch für seinen Organismus nicht hinlänglich) auf acht Tage täglich zu nehmende Aloepillen, und hat ihm nach diesem Erdbeeren mit einem Löffel Rotwein für Abend und Morgen, und nur des Mittags kräftiges Fleisch und ein Glas Rotwein empfohlen. Obgleich nun H. wirklich seitdem erleichtert vom Andrang zu Kopf und Brust und geistig und körperlich doch wieder etwas sich ermunterter fühlt, so macht mich dieses gerade so recht aufmerksam auf die mutmaßliche Quelle seines Nevenleidens, auf den Unterleib. Wird dieses Obstgenießen, obgleich es ihm Erleichterung schafft und er des Abends jetzt kaum etwas anderes vertragen kann als Erdbeeren und ein wenig Semmel, des Mittags aber nicht einmal junges Gemüse, sondern nur Fleisch und Kartoffeln sehr mäßig, wird dieses Obst, meine ich, nicht auf die Dauer die Verdauungsorgane noch mehr schwächen? (das Gefühl der Erschlaffung verläßt ihn wenigstens noch nicht) oder sind Sie mit diesem Gange zufrieden? Da H. nämlich noch niemals Brunnen getrunken, oder sonst eine ernstliche Kur gebraucht, so geht eben meine Frage dahin, ob es Ihnen nicht doch nötig scheine, etwas Ernstlicheres noch vor dem Winter zu tun, vor dem ich mich unter diesen Umständen wahrhaft fürchte, weil da immer noch zu den anderen Plagen die abgestorbenen kalten Füße hinzukommen, die durch gar nichts Äußerliches zu erwärmen sind, und wobei der Blutandrang nach den oberen Teilen nur immer mehr sich steigert. Das tägliche kalte Bad (im Winter im Schneiderschen Schrank, im Sommer im Fluß) erfrischt zwar so, daß H. meint, er könne es nicht leicht entbehren, aber es hält in seiner Wirkung nicht mehr so vor als früher. An Entzündung der Augenlider litt er vorigen Winter viel. Seine Gesichtsfarbe, obgleich immer blühend, scheint mir zuweilen etwas gelblicher, die Züge sind oft erschlafft, und das innere Auge scheint mir auch dann und wann verschleierter und weniger klar und hell. Vor anderthalb oder zwei Jahren zeigten sich fast monatlich Hämorrhoidalblutungen, die seitdem verschwunden zu sein scheinen; leise Rückenschmerzen haben sich jedoch von Zeit zu Zeit immer noch eingefunden.
Was Heinrich an geistiger Tätigkeit dabei verliert, ist unberechenbar und um so wehmütiger, da er so gerne schafft und vorwärts strebt. Dieser Schmerz beugt ihn so tief, daß ich alles aufbieten muß, um ihn nur wenigstens bessere Zeiten hoffen zu lassen. Es ist dies ja auch der eigentliche Grund, warum es mit dem Schulunterricht nicht fortging und warum er sich noch weniger an der Universität habilitieren konnte. Zwei Monate hätte er vielleicht vortrefflich gewirkt, und den dritten oder vierten wäre er vielleicht seines Geistes nicht mehr mächtig gewesen; ich erinnere mich schrecklicher Stunden damals bei der Heimkehr vom Gynmasium, an die ich nicht ohne Grausen zurückdenken mag; denn es schien diese gezwungene Aufgeregtheit in solchen leidenden Perioden ihn dem Wahnsinn nahe zu bringen, während dagegen in Zeiten, wo er energisch dichtet, das größte Wohlsein seinen ganzen Menschen durchdringt. Für diesen Sommer war er voller Pläne; nun ist alles vernichtet und eine tiefe Melancholie bis zur Menschenscheu an die Stelle des sonst so freudig Schaffenden und klar ins Leben Blickenden getreten. Da haben Sie, innigst Verehrter, die Nachtseite unseres Lebens, in die seit kurzem nur eben erst ein mattes Lämpchen wieder glimmt. Ich lebe des festen Vertrauens, es läßt sich auf diesen von Natur so starken und unverdorbenen Körper, wie er sich immer periodisch zeigt, noch so recht lebhaft wirken; und auf wessen Rat dürfte ich da vertrauensvoller bauen, als auf den Ihrigen?
Ich grüße Sie mit der wärmsten Verehrung und bin mit den besten Wünschen für Ihr und Ihrer Lieben Wohl Ihre von Herzen treu ergebene
Charlotte Stieglitz.
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An Natalie Harder
Berlin, den 13. Juli 1834.
Meine liebe gute Natasche!
Je weniger ich Ahnung hatte von der Verspätung meines Briefes, desto rührender war mir der Empfang Deiner rasch entgegnenden lieben Zeilen. Wie freut es mich, daß es Dir wieder gut geht, und ich denke, dies wäre recht ein Sommer für's Erholen auf dem Lande! – Uns schien trotz aller Veränderlichkeit des Wetters vorigen Sommer doch die Sonne meist; es war die Sonne der Freude und Gesundheit! Heute ist Sonntag, kein Comptoir, und wunderschönes Wetter! Und auch bei uns ist Sonntag, schönes Wetter, und Heinrich liegt zu Bette! Und dennoch, meine Liebe, ist mir heute ein wenig leichter zu Mute, als diese ganze Zeit her, wo ich wohl nicht umsonst eine tiefe Besorgnis um Heinrich haben mußte. Die guten Folgen des vorigen schönen Sommers hatten sich mit einem Male im Frühling, wie es schien, erschöpft; schon die letzten Tage von Alexanders Hiersein merkte ich die Anstrengung, mit der er sich aufrecht erhielt, um kein Vergnügen zu stören; die Begleitung nach Potsdam frischte ihn wieder ein wenig auf; dann aber trat ein fürchterlicher Zustand, bald von den größten Aufregungen, bald von den schwersten Ermattungen und geistiger Unklarheit ein. Das was der Arzt ihm verschrieb, dämpfte die Aufregungen und erleichterte einigermaßen das Blut; aber eine ängstigende Spannung seines ganzen Wesens ließ doch immer noch nicht nach, verbunden mit einer tiefen Melancholie. Vor einigen Tagen überfiel ihn nun in diesem reizbaren Zustand eine Art gastrische Ruhr, wie es der Arzt nennt, die ihn zwar sehr mitnimmt, jedoch für den Augenblick seinen gespannten Zustand so erleichtert, daß ich wenigstens seit Wochen einmal wieder frei aufatme, und mich doch eben gestimmt fühle, ein paar Zeilen für Dich zur Antwort, Du Liebe, niederzuschreiben. Du hast recht, dies Frühjahr brachte uns viel Liebes; und allerdings, Dein Lieschen habe ich erst recht in seiner Echtheit kennen und lieben lernen. Von Spandau kündigte sie uns noch schriftlich die freudige Nachricht von Alexanders Ankunft an, mit dem wir unvergeßliche Stunden gelebt. Daraufkam Dein treuer Doktor Rauch, dem ich – werde nicht rot! – Deine Liebe verraten; dann Madame Klein, und während ihres Hierseins Anningka. Letztere habe ich eigentlich nicht so genießen können wie ich wollte, und zwar wegen Heinrichs Unwohlsein; jedoch sie hat eine so prononcierte Natur wie manches Buch, von dem man schon nach einigen aufgeschlagnen Seiten mit Sicherheit den Charakter des Ganzen beurteilen kann. Es ist ein wahrhaft antiker Stil, scharf aus kernigem Marmor gehauen! Ihr mußtet als Kinder ein gutes Pärchen abgeben, wahrhaftig! Warum habt Ihr Euch nicht geheiratet? – Übrigens sehe ich ihr gerne in ihr kluges Auge. – An Madame K., dem wandelnden schönen Planeten, habe ich mich diesmal wieder mehr erwärmt. Ihr Söhnchen war erkrankt, und sie litt einige Tage um ihn, und das stand ihr herrlich; sie wurde hingebend, mitempfindend; die poetisch schöne Frau stand im Vorgrunde, und die Dame hatte sich in die Perspektive einer tieferen Innerlichkeit zurückgezogen. Möchte sie letzterer lebenslängliche Pension geben! – Ich verstand nun mit einem Male den Wechsel des Eindrucks, den sie (zwar immer nur bei flüchtigem Zusammensein) von jeher auf mich gemacht; diesmal hatte sie wieder etwas Hinreißendes; Minerva jedoch faßte mich leise beim Schopf, daß ich eiligst meine Herzflügelchen wieder zusammenschlug wie ein Taschenmesser.
Alles was Du mir von Deinen Kindern geschrieben, hat sie mir lebhaft vorgestellt; ich sehe die lieben Bälge kriechen, springen, laufen; daß Miluschka mich aber um meiner Locken willen nicht liebt, ist ebenso pikant als tragisch. Was soll ich Arme tun? Heinrich liebt diese Locken, Miluschka haßt sie; auch hier wird die Zeit als endliche Ausgleicherin eintreten; die Locken werden bleichen, und Heinrich wird sie sehr gern unter den Schnee einer Haube versteckt sehn.
Nun, meine Liebe, grüße Deinen Harder, grüße den unvergeßlichen Ludwig Stieglitz, dem ich nur in freudigen Stimmungen schreiben mag, und die übrigen Lieben von Deiner von Herzen getreuen
Charlotte Stieglitz.
Hast Du vielleicht erfahren, ob ein Päckchen, das ich im Dezember an Vater und Emilie geschickt, angekommen? Die Verspätung meines Briefes an Dich läßt mich glauben, daß vielleicht einige Briefe an beide, mit Gelegenheit gesandt, dort nicht angekommen. Mundt hat auch einmal ein Buch an Vater geschickt; ist das vielleicht auch unterwegs geblieben? –
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An Obermedizinalrat Stieglitz
Berlin, den 21. Juli 1834.
Ihr Brief, mein innigst Verehrter, traf nach den letztverwichenen Wochen gestern abend ein lieber, lieber Gast bei uns ein. Heinrichs Auge glänzte wieder einmal lebendig auf; ja, er fing sogar an die Scherben zerfallener Hoffnungen hastig wieder zusammenzuraffen, daß es mir wahrhaft rührend war. Er ist in der Tat tief krank, und wenn man ihn so genau kennt wie ich, so muß man sogar fürchten, daß er es weit mehr noch psychisch als physisch ist, wenn ich nicht doch glauben müßte, es sei nur der Reflex körperlicher Leiden. Nach einem plötzlichen Anfall von Ruhr, die ihn neun Tage bettlägerig machte und bei der vorzüglich Galle immerwährend, wohl fünfzigmal des Tags, sich abschied, ist an die Stelle der beängstigenden Spannung (umsomehr, da doch immer noch eine nicht unbedeutende Absonderung stattfindet – vielleicht auch wegen der großen Hitze – die der Wirkung des Carlsbader Brunnens nicht nachstehn mag) eine Schwäche des Geistes und ein Heruntergestimmtsein eingetreten, das, wenn der Kissinger Brunnen und die ganze Veränderung der Luft und Umgebung nicht Wunder tut, Sie in Heinrich freilich einen ganz andern Menschen wird finden lassen als Sie vielleicht erwartet; sein Gedächtnis fängt sogar an zu leiden; genug, er ist nicht er selbst mehr. Und dennoch meinte er neulich in einem ganz ohnmächtigen Zustande, er fühle sich in Vergleich zu den frühern Spannungen wie im Himmel. Schade nur, daß er sich bei der Rekonvaleszenz nicht gehörig abwarten konnte, sondern im eigentlichsten Sinne aus dem Bette in die Bibliothek gezogen wurde, weil man ihm bei der Masse sich anhäufender Geschäfte, die bei der großen immer wachsenden Konkurrenz vornehmlich in dieser Hitze seinen Kollegen unerträglich wurde, Aufforderung über Aufforderung zukommen ließ, doch seinen Posten baldmöglichst wieder einzunehmen – wahre Schlachtaufforderungen! – bis man ihn so bleich und invalidenhaft ankommen sah, daß man ihm widerwillig Erlassung des kurrenten Geschäfts und ein Schutzgeleit anbieten mußte.
Wenn ich aber an voriges Jahr zurückdenke und an den merkwürdigen Umschlag von Heinrichs ebenfalls nicht unbedenklichem Zustande durch die Reise, so mögen Sie erwägen, wie auch ich gestern abend durch Ihren lieben, teilnehmenden Brief erfrischt wurde und im eigentlichsten Sinne wieder einmal frei aufatmete. Schade nur, daß Krankheit uns die Freude bereiten muß, Sie und Ihre Lieben wieder einmal zu sehen, und zwar länger als es damals möglich war. Indes denk' ich, Sie sollen nach der vierwöchentlichen Kur und der belebenden Reise schon einen ganz andern Heinrich wiederfinden, den alten, frischen Menschen, der er immer bei längerm Aufenthalt im Freien wird. –
Den ersten August. Mitten im Schreiben sandte mir Heinrich gestern von der Bibliothek einen Brief Ihres herrlichen Bruders, worin er uns denn auch unbedingt auf Ihren Rat hinweist und meint, wir sollten nur alles sorgenlos tun, was Sie, Teurer, vorschlügen, sei es nun Bad oder sonst eine längere Reise, selbst wenn die Stelle dabei auf dem Spiele stände. » Setze sie aufs Spiel, auf meine Verantwortung, was die Zukunft betrifft!« fügt er noch hinzu. Nun weiß es Gott, wie ich in mancher schlaflosen Nacht mich mit dem Gedanken herumgewürgt, ob es denn keinen Ausweg gebe, Heinrich von dieser mit der Zeit so verzehrenden Stellung loszubringen. Alle nähern Freunde, die ihn oft bald in ganz ohnmächtigen, bald in ängstlich gespannten Zuständen auf der Bibliothek getroffen, haben es immer gewünscht; kürzlich noch Professor Steffens, der, wie seine Frau in diesen Tagen mir sagte, selbst einmal nach Petersburg deshalb habe schreiben wollen, weil er fest überzeugt sei, daß H. sich in dieser Doppelanstrengung bei seiner Konstitution notwendig aufreibe. Ich habe es freilich nun schon mehrmals erlebt, daß selbst nach der entschiedensten Erholung, wobei er ganz und gar genesen und die alte, frische Jünglingsnatur wiedergewonnen zu haben schien, doch nach kürzerer oder längerer Zeit (vor zwei Jahren nach dem Seebade schon nach fünf bis sechs Wochen, im vorigen Winter doch nach ebensoviel Monaten) wieder in den alten, bösen Zustand zurückfiel. Mein Wunsch und Plan war längst, da ich ihn so unrettbar sich aufreiben sah, die Stellung mit ihren äußern Vorteilen zu opfern, und mit dem Wenigsten, wenn es auch noch so schwer halten sollte, uns begnügend mit Heinrich an einem kleinen Universitätsort zu leben, wo die Mittel geistigen Fortschreitens sowie gebildeter Umgang ihm nicht fehlen und eine heitere, seinem Wesen angemessene Bergnatur bei besserer Muße ihn besser gedeihen ließen. Er aber, so neubelebend und aufrichtend ihm dies manche Augenblicke auch einleuchtete, wollte doch nie entschieden in den Plan eingehn, obgleich er sehr wohl einsah, daß nur auf diesem Wege völlige Rettung, nur auf diesem Erhaltung seiner bessern Kräfte seinem eigensten Berufe möglich wäre. Es war diese Erwägung oft der Gegenstand heftiger Schwankungen und lebhafter Diskussionen unter uns. Und allerdings ist es immer ein schwerer Kampf, wenn die Individualität aus physischem oder psychischem Bedürfnis gegen die Anforderungen des Allgemeinen ankämpfen muß. Wie manche edle Individualität hat sich aber schon daran zerrieben, weil ihr nicht der gute Genius zur rechten Zeit kam! – Gerade über diesen Punkt möcht' ich ausführlich mit Ihnen, verehrtester Freund, sprechen; ich möchte Sie sogar bitten ihn selber dazu zu bestimmen, wenigstens zum Versuch vorläufig einen längeren Urlaub zu nehmen von ein oder zwei Jahren, wobei er dann mit Beibehaltung der Hälfte seines Gehalts (wie es auch gegenwärtig geschieht) einen Stellvertreter stellen würde und einmal prüfen könnte, wie seine Gesundheit und sein Schaffen sich in dieser Lage verhielte. Man wird auf diese Weise klar darüber werden, ob die Meinung richtig ist, daß dies die Hauptursach seines immer wiederkehrenden Übels sei, ohne daß darum schon die Brücken abgebrochen wären. Auf diesen Gedanken eines vorläufigen längern Urlaubs, der den hiesigen Staatsgesetzen gar nicht unangemessen sein soll – natürlich, wenn es der Arzt für gut hält – hat mich gestern Dr. Strahl gebracht, als ich nach Empfang des Briefs aus Petersburg durchaus schon jetzt abbrechen zu müssen glaubte, um den verderblichen Hintergrund gleich zu zerstören; er sagte mir auch, daß er deshalb an Sie geschrieben und, so wie er die Sache sähe, nicht an Ihrer Einwilligung zweifle. Sie werden mich, Verehrtester, um jenes raschen Entschlusses willen nicht für zu stürmisch und übereilt halten, wenn Sie erwägen, daß dies nicht etwa die Eingebung eines flüchtigen Augenblicks, sondern das Resultat langer Kämpfe und vielfach wiederkehrender Schmerzen ist. –
Doch schon allzusehr habe ich Ihre Geduld geprüft; verzeihen Sie, Verehrter. – Vom Hofe herauf tönt eben ein rührender Leierkasten und erinnert mich zur rechten Zeit, wie leicht der Mensch in Leiden leiert; ich möchte Ihnen jetzt gleich ein andres Ständchen unter klingendem Spiel bringen können, wie es für einen Badegast zuträglicher ist. Möchten Sie doch recht gesund zu Ihren Lieben heimkehren!–
– – Mit Seite 254, Teil I der Rahel'schen Briefe freuten wir uns wahrhaft kindisch. Ich dachte lebhaft an den Eindruck, den er gerade dreißig Jahre später – im Frühling 1832 – beim Hereintreten auf uns machte. Wir sind nach Ihren Bemerkungen nun noch begieriger auf die neu hinzugekommenen Briefe geworden. Es ist in dieser Rahel eine solche spontane Lebendigkeit des Geistes, daß man sich ihr nicht anders als einem Lebenden in Zustimmung und Widerspruch gegenüberfühlt. So könnte ich eine wahre Geschichte meiner wachsenden Freundschaft zu ihr nachweisen, wie sie sich aus Abstoßen und Anziehung immer mehr und mehr verinnigt hat.
Und nun sage ich Ihnen für heut ein inniges Lebewohl und den wärmsten Dank für Ihre liebende Teilnahme. Wir werden, da die Folgen jener Gallenruhr doch nun erst gänzlich beseitigt sein müssen und auch manches einzelne noch zu besorgen ist, nicht vor dem 15ten dieses von hier nach Kissingen abreisen. – Ich beeile mich diesen Brief zur Post zu senden, ehe Heinrich von der Bibliothek zurückkommt, da ihm alles seinen Zustand Betreffende in diesem Augenblick, wo er sehr geschwächt, nicht zuträglich ist. Sie verzeihn ihm auch wohl diesmal sein Schweigen, da ihm das kleinste Blättchen Mühe macht. Ich denke, er soll Ihnen in gesunden Tagen dafür erfreulichere Briefe schreiben.
Mit der innigsten Verehrung und Liebe Ihre ergebene
Charlotte Stieglitz.
P. S. Da mir voriges Jahr in Petersburg der Kissinger Ragozi wohltätige Erleichterung verschaffte und einen bessern Winter bereiten half, jedoch gegen das Frühjahr hin seine Wirkung verlor, so hab' ich seit etwa vierzehn Tagen wieder angefangen, in einem nahe liegenden Gärtchen künstlichen, eine halbe Flasche des Morgens, zu trinken. Da wir doch nun einmal an die Quelle kommen, so hoff ich auch für mich noch eine wirksamere Hilfe von dem dortigen Gebrauch. Wie unbedeutend kommt einem doch aber eignes Körperleiden vor – und die einseitige Tätigkeit der Verdauung scheint bei mir gestörter als bei Heinrich – wenn man neben sich ein tiefes Seelenleiden sieht! – Auch müssen bei H. die Grundursachen viel versteckter liegen und komplizierter sein, da der Zustand ohne eigentlich merkbare organische Störungen so heftig und andauernd eintreten kann. In den letzten Monaten wurd' es ordentlich zur fixen Idee bei ihm, in einem Klostergarten seine Tage hinzubringen, wo keine Glocke ihn von dem Verfolgen seines eigensten, innersten Berufs abriefe; manchmal meint er sogar – er, dem Freiheit Lebensluft ist! – Gefangenschaft sei beneidenswert; da könnte man doch ungestört vollbringen, wozu es einen dränge. Und allerdings sind bei seiner Konstitution die Stunden der Freiheit nach dem Geschäft nur Stunden der Ermattung, was denn freilich seinem nur im Fortschreiten befriedigten Geiste Stoff und Nahrung genug zur Melancholie gibt. –
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An Baron L. Stieglitz
Den 23. Juli 1834.
Rahel an Veit in Hamburg 1802 (Ir Thl. S. 254.):
»Nie hat mir ein Mann besser gefallen als Stieglitz. Wie er ins Zimmer trat, liebt' ich ihn. Dem vertraut' ich mich ohne Verabredung; und die bedarfs auch bei ihm nicht. Dieser Ernst, diese Sanftmut, dies schöne Gesicht. Ich bin recht glücklich daß ich ihn kenne. Er sah mich in der größten turpitude, so häßlich! Nein solch schönes Gemüte! Ich halte es für ein Unglück daß er nach Taurien ging; doch ist es gut, denn ein verheirateter Mensch sollte wenigstens die Fakultät seines ganzen Herzens veräußert haben, und alle übrigen dazu anwenden, und in diesem Fall müßte er denn doch wenigstens ein schlechtes Gewissen haben. Ich will nicht hoffen, daß Sie, auch Sie, diese Strenge überrascht; plump wie es die meisten Menschen meinen die ich hasse, wenn sie von Pflicht, Gewissen, Recht u.s.w. sprechen, kann ich es nicht meinen u.s.w.«
Und hätt' ich Ihnen weiter gar nichts heute mitzuteilen, dies mußte hin zu Ihnen, und zwar gleich. Am liebsten wäre ich in meiner freudigen Überraschung mit dem grünen Buche selbst zu Ihnen aufs Comptoir gelaufen an Ihr Pultchen. Hierzu hätten Sie mir doch gewiß selbst im ärgsten Trouble des Geschäfts in Ihrer Comptoirperspektive einige Minuten Ihr Ohr geliehen. Uns hat es wenigstens unbeschreibliches Vergnügen gemacht! Ich will Ihnen nur gestehen, daß ich, nach einer früheren Äußerung Varnhagens so etwas erwartend, gleich auf die mutmaßliche Jahreszahl losgesteuert bin; denn ich habe nicht etwa die dicken drei Bände schon ausgelesen, von denen ich mir jedoch wieder Reiches und Herrliches verspreche. Die jener Stelle noch nachgeschickte Äußerung: »Also ist Stieglitz verloren!« ist übrigens wieder ein Beweis, wie merkwürdig Rahel über die Ehe denkt, die sie ohne Ausnahme entschieden als Hemmschuh eines freien Geistes ansieht. Und hat sie in den meisten Fällen nicht recht? – Interessante Vergleiche mit ihrer Ansicht bietet der Briefwechsel der Huber und Frau von Woltmann in den jüngst herausgekommenen »deutschen Briefen«, die Ihnen gewiß schon vorgekommen sind.
Ach, Sie Lieber, denken Sie denn auch wirklich bei Ihren Cigarren-Spaziergängen früh im Garten noch manchmal ein wenig an mich? Warum müssen Sie doch so hingenommen sein durch Ihr ungeheures Geschäft, daß man nicht miteinander fortsprechen kann in der Ferne?! – Zu Ihnen würde ich mich wahrhaft herausleben, ich würde im eigentlichsten Sinne eine Schreibseligkeit haben! Ohne einen lebhaften Umtauscher wird aus einer Schreibseligen eine Armselige; die Vollblütigkeit gerät in Stockungen und das gibt die chronische Krankheit der Schreibunlust.
Unser Freund Mundt hat jetzt ein höchst interessantes und eigentümliches Buch geschrieben: »Moderne Lebenswirren.« An die Stelle der früheren metaphysischen Mephistophele hat er einen politischen eingeführt. Vermöge einer fein angelegten und geschickt durchgeführten Gruppierung läßt er in ihm, dem Mittelpunkte, die verschiedenen Zeitparteien und Zeitbewegungen als geistvolle Kontroversen sich begegnen; wie es sich denn, wunderbar genug, wirklich in den letzten Jahren oft an einem Individuum wechselnd dargetan. Unscheinbar hebt es an; aber eine geniale Skepsis zieht sich schwellend durch das Ganze, Hand in Hand mit einem tiefen Humor, und bedeutsame Gestalten steigen hier und da aus dem krausen arabeskenartigen Gewinde. – Jetzt ist Mundt im südlichen Deutschland, nachdem er einige Wochen in Jena zugebracht, wo er im Auftrage des Ministeriums die Herausgabe des Knebelschen Nachlasses vorbereitete.
Mit Heinrichs plötzlich eingetretener positiver Krankheit geht es seit einigen Tagen besser, aber im ganzen ist es gar nicht mit ihm wie es sein sollte. Ich habe jetzt trotz dem blauen Himmel oft recht graue Lebenstinten in mir; so kommt es über jeden einmal bei allem Mut, den er auch entgegengesetzt. Es fehlt H. gar nicht an manchen äußeren Freuden und Aufmunterungen. Doch was sind so kleine Freuden ohne Gesundheit? Er wird durch den Körper gelähmt an Ausführung schöner lebendiger Pläne, und das ist's was ihn noch tiefer beugt. – Aber ich wollte ja nicht klagen. So leben Sie denn wohl, Teuerster, mit den Ihren, und behalten in gutem Andenken Ihre getreuesten
Ch. und H. Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 12. August 1834.
(Kurz vor der Abreise nach Kissingen.) – Ich hätte Ihnen manches mitzuteilen gehabt, was ich in der letzten Zeit kennen gelernt; indes mir fehlt der rechte temper. Möge die Reise, auf der Sie jetzt begriffen, Ihnen herrlich resultieren! Ich sende mit innigem Dank Ihr Tagebuch Ihnen wieder zurück; die Fortsetzung bekomme ich nach unserer Rückkehr am Ende doch noch?! – Auch Hamann erhalten Sie mit Dank zurück. Dieser ist uns doch schon ein recht fremdes Element; vorzüglich sein Verhältnis zum lieben Gott, diese fast materielle beständige Gegenwart, dies den Gott zu sich Herunterziehn bis in Kot und Schmutz (namentlich in H's Lebensbeschreibung) ist oft widerwärtig; im ganzen aber war er mir doch interessant. – Anmutig geschwelgt habe ich in den »Briefen eines Verstorbenen«; da ist er doch ganz der liebenswürdige Mensch, von dem Rahel zu meiner frühern Verwunderung spricht; denn in den Tutti Frutti scheint er zuweilen aus seiner Haut herauszufahren.
Was sagen Sie zu Lamennais? Mir scheint es ein Stück Bibel mit Anwendung auf die neueren Verhältnisse ins Französische übertragen. Die Franzosen, die keine Bibel kennen, sind davon elektrisiert, das steckt die deutschen Schöngeister an, oder ihnen schmeckt der Bibelton auf gut Französisch auch wie ein neues Gericht.
– Sein Herz dürfte man eigentlich nie verteidigen wollen; es ist der Hohepriester, der sich mit der Waffe gleich entheiligt. Ich kann es auch nie wieder, es hat einen zu niederschlagenden Eindruck hinterlassen, und so müßte ich Sie, geliebter Freund, schon ein anderes Mal bei Ihrer Meinung lassen, so schmerzlich es mir auch sein würde!
Unveränderlich
Ihre Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Kissingen, den 7. September 1834.
Sowie ich hörte, ein Brunnengast reise nach Berlin, klopfte auch gleich ein Gedankengruß an Ihre Tür, denn ich fühle mich ja schon längst wieder so ausgesöhnt mit Ihnen, als hätten Sie mir bogenlange Briefe geschrieben, und ich habe doch noch keine Zeile – das besorgen alles die guten Geister, die hin und her schwirren und für die es weder Ferne noch Meilenweiser gibt.
Man muß reisen, um etwas zu erleben, Sie haben recht, was für reiche vierzehn Tage haben wir gelebt! Gleich in Dresden, welche Eindrücke! Es gab dort manches wiederzusehn, eine herangewachsene Nichte, ein bildhübsches Mädchen, einst ein seelenvolles Kind; dann eine mütterliche, aber ewig jugendliche Freundin, von der ich Ihnen aber gewiß einmal erzählt, die zwar acht Jahre älter, aber wie mich dünkt, noch viel liebenswürdiger geworden; oder vielmehr ich fühlte jetzt noch lebendiger als früher ihr ganz eigentümliches Leben heraus; sie gehört zu meinen Frauensternen. Wir sahen sie bei unserer Eil nur eine Stunde, aber es war eine wahrhaft poetische Stunde; der Abend lag wunderbar schön auf der ganzen Gegend, und dazu jeder Baum und Busch und Teich ein Denkmal früherer Zeiten; eine solche Stunde dehnt sich schon zur Erinnerung durch manches Jahr hindurch. Auf der reichen Bildergalerie, die Sie, Freund, freilich viel länger genossen, hat mich diesmal vor allen Tizians Christus gefesselt. Sie erinnern sich gewiß dessen, es ist kein großes Bild, nur Portraitgröße ist die ganze Bedeutsamkeit in den Köpfen, höchstens noch in der Hand. Ich habe schon zu oft mich mit tiefem Widerwillen abwenden müssen von diesen immer wiederholt dargestellten Körperleiden, worin nun schon seit Jahrhunderten die Künstler wetteifern (auch unser Museum ist ja so voll von diesen schwächsten Augenblicken: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«) um mich an dieser Auffassung nicht wahrhaft zu erheben und zu erbauen. Hier ist der Moment Ruhe und Milde, aber in seinen Zügen lebt ein abgetaner tief innerlicher geistiger Schmerz; die vierzig Tage des Kampfes in der Wüste schimmern durch diese verklärte Ruhe hindurch. Sein Leiden ist jetzt abgeschlossen, er steht über sich selbst, daneben der braune materielle Kopf des Pharisäers mit dem Zinsgroschen, gleichsam nur der dunkle Hintergrund, aus dem es sich licht hervorhebt. Doch Sie haben sicher länger bei Rafaels Madonna verweilt, diesem, wie er sie dargestellt, bedeutsamen Weibe der katholischen Kirche, während Holbeins innigere, bescheidenere, jungfräulichere Maria sich mehr für die Hauskapelle zu eignen scheint; diese ist Gemüt, jene Geist! – Von Dresden fuhren wir zur Bastei; wenn ich den ganzen Weg dorthin, an einem der schönsten Nachmittage, mit St. nicht aus dem Entzücken kam, so war ich wiederum bei diesen grotesken Steinmassen, die sich in der Dämmerung wahrhaft geisterartig gruppierten, selbst wie versteinert. Wie es einem bei solchen überraschenden Anschauungen immer zu gehen pflegt, alle Wunden der Welt fiebern wie von neuem hier auf. Abends wurde Stieglitz, der einen argen Rückfall bekam, wieder heftiger krank, und wir konnten erst sehr spät zurück. An diese Nacht werde ich noch manchmal denken; St. lag fast ohnmächtig, nachdem er 48 Stunden nur von Kamillentee gelebt, in der Wagenecke; der Kutscher, ein fürchterlicher Kerl, sah die günstigste Gelegenheit, die ihm vielleicht jemals vorgekommen, zwei Leben auf diesem Nicht-Chausseewege im Walde aus dem Wege zu schaffen, um sich ihrer Effekten zu bemächtigen. Wieso ich noch zur rechten Zeit hinter seine Absichten kam und gewahr wurde, daß er mit einem baumstarken Menschen, einem Führer, im Einverständnis war, ich weiß es kaum – nur so viel weiß ich, daß dem Menschen in gefahrvollen Augenblicken eine unglaubliche Besonnenheit zu Gebote stehen kann. In einer fürchterlichen halben Stunde bis zum nächsten Dorfe hatte ich diesen Menschen, ohne daß er Absicht merken durfte, ganz umzuarbeiten und umzustimmen, ihn zu überzeugen, daß mein Mann ein Gelehrter sei in dürftigen Umständen, ich hatte zu erzählen daß er als Student die Waffen gut geführt habe und daß ich im Falle der Not, etwa eines Angriffs bei Nacht im Walde, immer einen guten Schutz an ihm habe, um so mehr, da er einige Pistolen unter dem Mantel trage, mit denen er gut Bescheid wisse; denken Sie sich nun dazu, daß ich, indem ich etwas weiter vorrückte und mich erhob, eine spitzige Waffe neben ihm gewahr wurde, so mögen Sie begreifen, was es für ein furchtbarer Moment war. Mühsam verstand Stieglitz, der sich zu krank fühlte, mein Zeichen, richtete sich aber dann gewaltsam auf mit der Versicherung: der Glühwein, den er genossen, habe ihn zum gesunden Mann gemacht, er fühle sich plötzlich ganz umgeändert. In diesem furchtbar gespannten Zustande erreichten wir endlich das Dorf; das erste Licht war uns ein Himmelsstern der Rettung; wir machten hier natürlich gleich Halt, und obgleich ich fieberhaft erregt die ganze Nacht war und Stieglitz aufs höchste elend, so war ich kindisch froh und dankbar gegen den Himmel, – warum? um dieses lieben bösen Lebens willen, mit dem wir es so gern noch von einer Zeit zur andern immer versuchen wollen, versuchen, ob man sich denn wirklich mit seinen teuersten Freunden nicht am Ende noch verstehen wird?!
Nun hätte ich Ihnen noch zu sagen, wie mich die reiche Gegend von Teplitz entzückt, wie in Prag, – das übrigens dem alten herrlichen Moskau noch nicht die Schuhriemen auflösen kann – weder bei Egon Ebert noch bei dem Maler Führich irgendwie von Ihnen eine Kunde zu erlangen war, Sie folglich nicht da gewesen sein müssen. Führich ist mitten im Vorwärts; wir haben in Berlin Skizzen von ihm gesehen, die uns entzückt; leider waren seine Schätze in Kisten und Kasten gepackt, da er nach Wien geht. Seine Frau vergeß ich nie, – solche Einfachheit bei solcher tiefen Einsicht und Verständigkeit! wie eine Nürnberger mittelalterige Künstler-Gattin lebt sie als Bild in mir. Wir trafen sie das erste Mal allein; Sie hätten diese Art von Freude sehen müssen, mit der sie uns empfing, weil wir kamen, um ihres Mannes Bilder zu sehen; mit einer Art Verklärung sprach sie von seinem Schaffen, genug, es war der Mühe wert, da alles eingepackt war, dieses Bild wenigstens gesehen zu haben.
In Bayreuth haben wir aber eine Cousine gefunden, von der ich Ihnen noch einiges sagen muß. Ganz das Gegenstück der Gattin Führichs, durchaus romantisch, elektrisch, mehr egoistisch selbständig, voller Geistesleben, und ebensoviel Schmelz. Wie schnell wird man doch auf Reisen bekannt, wie Wolken fliegt man zusammen, und es donnert und blitzt gleich, man ist ewig lebendiger Zündstoff! Da ich aber weiß, solcher Wesen gibt es doch im ganzen nicht viele, so halte ich es eben für einen Zauber, daß man von solchen Naturen magnetisch angezogen wird, sobald man nur in die Nähe kommt. Denn ich behaupte, ein solches Mädchen gibt es in einem Umkreis von so und so vielen Meilen doch nur ein einziges Mal. Es kann doch einmal noch einen wunderschönen Kreis für uns geben, wo die verschiedensten Individualitäten, die alle ein roter Faden bindet, ein wahres Götterleben führen können; was meinen Sie dazu?
Doch wo komme ich hin? man soll bei diesem Kissinger Brunnen hübsch prosaisch sein, sich auch weder betrüben noch sich freuen. Die Gegend ist recht hübsch, aber es ist eine langweilige hübsche – dabei bleibe ich, soviel man auch dagegen streitet. Stieglitz ist hier zum Bewußtsein gekommen, daß er viele Jahre schon körperlich leidet, aber nicht eher daran geglaubt hat, bis es ihn geistig störte. Der Arzt, ein sehr gebildeter Mann, meinte gestern, er hätte schon vor acht Jahren eine ernstliche Kur vornehmen müssen. Die ersten Tage hier wechselte Ermattung und Aufgeregtheit halbestundenweise immerfort ab; jetzt geht es viel besser; schreiben ist ihm eigentlich gänzlich untersagt, lesen darf er nur ganz leichte Sachen; wir hatten Rahel mitgenommen, dürfen und können aber beide keinen Gebrauch davon machen, da der Kopf bis zum Schwindel von diesen Bädern und diesem Trinken eingenommen ist. Unser Leben ist mit den dreißig bis vierzig Personen, die noch hier sind, ganz familiär. Des Mittags sitze ich gewöhnlich bei ***, der hier einen seltnen Humor zum Besten gibt. Minister von D. mit seiner Frau sind interessante Leute, außerdem eine lebendige Polin, ein vortrefflicher Klavierspieler, der mich des Abends zum Singen begleitet, einige wirklich leidliche Geheimräte, so vergeht die Zeit so ziemlich gut; Gedankenfreiheit dabei, gutes Wetter, ein herrlicher Brunnen aus der lieben Mutter Erde, der uns mit Hoffnungen tränkt, denn man kann sagen, Stieglitz fühlt sich, je gequälter für den Augenblick, desto reicher an Hoffnungen für die Zukunft, die ihn oft jetzt ganz ausgelassen machen, und in der Tat, Sie werden sehen, der gesunde Stieglitz ist ein ganz anderer Mensch. Doch schon zu lange habe ich mich für eine Brunnengastin schriftlich mit Ihnen unterhalten. Ich frage täglich den Postboten, ob kein Brief aus Berlin gekommen, und er schüttelt immer den Kopf, der böse Mann.
Leben Sie wohl, teurer Freund! Von ganzem Herzen grüßt Sie
Ihre Charlotte Stieglitz.
*
An Theodor Mundt
Den 9. September.
Wie freue ich mich nun, daß der Abreisende einige Tage zugegeben, und ich Ihnen nun doch danken kann für die große Freude, die Sie, lieber Freund, uns heut bereitet. Fast haben wir uns zu sehr gefreut, denn der Arzt fand uns beide ungewöhnlich erregt, und wir sollten keine Zeile schreiben, hat er uns zur Pflicht gemacht; ich kann es nun auch in der Tat nicht, und meine Freude ist Ihnen gewiß heut genug, ein andermal hoffe ich mehr geben zu können. Dank, tausend Dank! –
Nachmittags.
– – – – – – Daß auch ich nicht wie ein Blümchen im Sonnenschein aufgewachsen, mögen Sie mir, Teurer, immerhin glauben. Ich bin sogar überzeugt, wenn wir unsere Schatten gegenseitig vergleichen wollten (ungefähr von meinem siebenten Jahre an) ich würde Sie überschatten. Das Überschatten können Sie mir schon gönnen, das Überstrahlen gehört Ihnen. Und dennoch stelle ich den innern Konflikt, in welchen der tiefere Mensch früher oder später zur Welt gerät, nach seiner Individualität jeder anders, viel höher, und auch darin werden wir übereinstimmen. Ich habe leider ein sehr gefährliches Verhältnis zur Welt; denke ich mir ein paar Menschen weg, so scheitere ich im eigentlichsten Sinne an ihr, denn ich lebe dann nicht mehr in ihr. Mit diesen wenigen Menschen aber kann ich eine ganze Million um mich herum nicht allein ertragen, sondern lieben, ich kann kindlich froh bis zum Übermut, genug ich kann glücklich sein und deshalb auch vielleicht beglücken. Die Welt hält mich nun für eins ihrer dankbarsten Glieder, und, o Gott, wie sehr bedingt ist doch meine Liebe zu ihr! wie wenig scheinbar und wieder wie viel habe ich nötig, um ihr treu zu bleiben – da sehen Sie, welch ein gefährliches Glück das meine ist! Mein Frohsinn ist eben jene Selbstvergessenheit, entsprossen aus vorangegangenem Bewußtsein, von der Sie in bezug auf Schaffen in dem herrlichen Briefe an Stieglitz sprechen; erzwingen läßt sie sich nur nicht, sie überrascht ebenso wie das wunderbare Freiwerden im Schaffen; die Wurzel mögen wir tränken, was herauswächst, müssen wir erwarten. Ein gut Stück von der glücklichen Selbstironisierung, wie Sie dieselbe verstehn, mischt sich auch in meinen Frohsinn; ich habe mich selbst daran wieder mehr verstehen lernen. Hievon aber, meine ich, ist der Grund mehr Kraft, als Demut; nicht so? Man muß einmal sich oder etwas außer uns aufgegeben haben, und sich oder etwas außer uns besser wiedergewonnen haben, dann werden wir schon fertig mit der Welt.
Wie unrecht haben Sie doch, Lieber, zu behaupten, ich könne schreiben; träumen kann ich, aber nicht schreiben; wieviel habe ich in Gedanken mit Ihnen gesprochen, aber das Wort fehlt mir noch sehr, auch die Klarheit es herauszuprägen. So lasse ich vieles ganz unberührt, was in mir aufkommt. Vielleicht kann ich es mit der Zeit mehr, und dann schreibe ich Ihnen einen bessern Brief, d.h. einen der mich noch freier macht, mich noch mehr löst. Zu entschuldigen brauche ich mich nicht bei Ihnen, selbst wegen der Schrift nicht; ich kann mich ganz geben, immer ohne Rückhalt, scherzend und ernsthaft, Sie haben immer Ihre Freundin herausgefunden, Sie böser Mensch! werden Sie denn nicht ein wenig rot?
– Wie freue ich mich, daß es nach Ihrer Reise aus Ihnen herausblühen, wachsen und reifen wird!!! Meine »Kindermemoiren« sind in den verwichenen Monaten wahrhaft erstickt. Welcher Ernst liegt zwischen jenem schönen Morgen in Pankow und dem heutigen! Ob ich je wieder so froh werden kann, ich weiß es nicht, es war eine berauschende Sonnenhöhe, von der ich bald, ich weiß nicht, wieviel Schuh, herunterglitt; aber wie man vorsichtig und weise mit der Zeit werden wird! wie man sich vor seinem eigenen Schwindeln mit der Zeit fürchtet, die Gipfel vermeidet, weil man zu sehr erhitzt und bergab abgekühlt werde, es ist doch wahrhaft rührend!!
*
An Theodor Mundt
Den 16. September.
– Werden Sie glauben, Freund, daß seit einigen Tagen die Professorin Z., der Professor Sch., und noch ein anderer Freund, hier sind? Wir haben uns schon in Beziehung auf Sie, wie Sie wohl denken können, sehr mit diesen Leuten gefreut! Wie liebenswert und durchbildet und tüchtig an Geist und Gemüt nun auch sie als Frau und er, der deutsche Mann, sein mag, wegen J. sind in uns beiden, und vorzüglich in Stieglitz, manche Bedenklichkeiten aufgestiegen. Freier von jeder Einseitigkeit und Befangenheit erhalten wir uns doch in Berlin; das Weltauge bleibt ungetrübter in diesem großen Mittelpunkt; man bringt ein Opfer, das ist wahr, und dennoch an wie vielen sind wir selbst schuld! Warum hatten wir Sie nie mit unserer Doktorin Detmold bekannt gemacht? da war auch Leben, Verstand, Bildung, Gemüt; nun ist's zu spät mit ihr; indes müssen Sie die Herz kennen lernen und sie soll Ihnen gefallen. Ich fühle, ich war nur zu ungerecht; was ist die Hegel für eine Frau! und es werden sich auch jüngere Freundinnen finden, lassen Sie uns dafür Sorge tragen, ich will auf geniale Bekanntschaften ordentlich Jagd machen! Dazu Stieglitz von der Bibliothek frei gedacht, so können wir kleine Reisen mit und ohne Anhang in alle Welt machen. Hätten wir Sie nur hier, es gibt so vieles durchzusprechen, es sind so viele neue Anregungen gekommen, innerliche und äußerliche. Dazu hat auch mich in den letzten Tagen diese Kur auf eine ungewöhnliche Weise angegriffen, sogar alte Brustleiden aufgerührt, so daß ich mich aufs äußerste ruhig halten muß. Ich denke es soll eine Krise sein auch für mich, aus der ich gesünder hervorgehen werde.
Nun Addio! Schonen Sie ja Ihre Gesundheit, und vergeuden Sie nicht Ihre Reisefrische zu sehr in Stubenluft! Alle guten Geister mit Ihnen! Von Herzen
Ihre Charlotte Stieglitz.
Die Bekanntschaft von Uhland und seiner Frau haben wir auch in einem elenden Gasthof in Haßfurt ganz zufällig und abenteuerlich gemacht; die Hegel fanden wir unerwarteter Weise in Schweinfurt.
Mein Brief sieht wirklich wie ein Brunnenbrief aus; ordentliche Federn weder im Kopf noch in der Hand hat man hier. Dazu hat man eine neue Sprache lernen müssen, nämlich die Fingersprache (mit Scheidler); alles macht noch mehr konfus. – –
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An Natalie Harder
Berndorf, den 18. Oktober 1834.
Die Variationen auf das Thema di tanti palpiti, deren es schon so viele gibt, will ich bei Dir, meine teure Natalie, nicht noch vermehren; hast auch schon manchmal diese Weise getrillert, und solange die Welt solchen Text komponiert, findet sie auch ihre Sänger dazu – wer weiß, ob Lerche und Nachtigall nach langem Winter nicht ein ähnliches Thema behandeln? Jetzt sitzen wir beiden Stieglitze auf dem obersten Stöckchen oder Stengel des lieblichen Pfarrhäuschens; ich, nachdem ich aus den Federn mich eben wieder herausgemausert, sehe doch, wie ich noch einen Gruß an Dich beischließen kann, nachdem Heinrich gestern an Vater und Alexander mir in der Tat alles weggeschrieben hat; Du weißt von Eurer Tafel her, er stibitzt gar zu gerne.
Liebe, Gute, Du sitzest doch gewiß auch schon in Deinem Winterquartier, und wir flattern noch immer herum; und es stürmt draußen, und es fängt an leise zu wintern, und zwischen unserm warmen Neste und Dir und mir und Coblenz – wie die kleine Pfarrin Buhl sagt – liegt noch ein weiter Weg; doch »dem Schnee, dem Regen, dem Wind entgegen« Liebe, Liebe führest Du! – Wieviel denk' ich an Euch! wieviel leb' ich in Euch! vergegenwärtige mir jeden einzeln und dann ihn wieder im Zusammenhang. Das Zusammensein auf Kamenoiostrow macht doch eine eigne Epoche in unserm innern Leben aus; es ist gleichsam das Herz unsres Lebens geworden, mit dem innerlich die feinsten Fäden in Berührung und Beziehung gekommen; ich muß das überall fühlen, wo ich auch bin. Oh, ich muß mich sogar oft zügeln, damit mein Gefühl nicht mit mir durchgeht! Was lernt man aber nicht alles? Zuletzt steht man noch ganz naseweis über sich selber, und wenn man einmal unschuldig sein innerstes Gefühl hat schwelgen lassen, so hat man eben nur einmal Mitleid mit sich gehabt. –
Was machen Deine herrlichen Kinder? Laß sie nur nicht so grausam früh viel lernen, daß die eigne Entwicklung des kleinen Geist- und Gemütchens nur nicht erstickt wird. Ich sehe in Berlin oft rund um uns herum so betrübende Beispiele, wie den Würmerchen zugesetzt wird, damit sie nur recht bald ihr Röllchen in der großen Komödie spielen können. Das Beste oft, wie sehr wird es verdumpft durch den Ballast des zu frühe Angelernten und beschnitten durch Weltklugheit, oder wie das Zeugs alles heißt! Nach den meisten der Berliner Kinder erquick' ich mich hier wahrhaft wieder an echten Kindergeistern, denen ihre kleine Gedankenfreiheit nicht verkümmert wird; und wie kommt das ihrem spätem Menschen zugute! – Auf Anregen und Wecken, wo es nicht von selbst schon da ist, scheint mir am allermeisten anzukommen. Die Welt wird ihnen dann später um das Doppelte reicher. – So träumt man wenigstens von Kindererziehung, wenn man selbst keine hat. –
In Kissingen trafen wir bei der späten Jahreszeit (was mir um Heinrichs willen, für den der Tumult gewiß nicht gut gewesen wäre, sehr lieb war) nur noch sehr wenige, aber zufällig darunter einige recht interessante Menschen; man war also weniger geniert und trat den einzelnen näher als wohl bei einer großen Kur der Fall sein kann; genug, es wurde eine Art Familienkreis. Wahrhaft befreundet wurde Heinrich mit einem Herrn von ***, *** Minister-Residenten in ***, der durch seine Ruhe bei reicher Umsicht und großer Tiefe des Geistes und Gemüts gleich vornherein sichtbar wohltätig auf sein durch das lange Leiden unstet gewordnes Wesen wirkte. Auch Fürst *** aus ** störte unsern behaglichen Kreis nicht im geringsten; besonders wirkte, wenn ich abermals ein wenig egoistisch urteilen soll, der Schatz von Hofanekdoten, die ich diesem alten Hofkavalier nie zugetraut hätte und die er in der liebenswürdigsten Weise zum besten gab, auch bei Tische recht erheiternd auf Heinrich. Mein ebenbürtig Duschegrehkchen mit dem Zobelpelzbesatz und das silbergraue Mäntelchen, nebst Ohrgehänge, Schnalle, Gürteln, Ringen, machten mich vielleicht auch etwas kurfähiger; der Schelm in mir mußte wenigstens oft darüber lächeln und machte seine stillen Bemerkungen – o die liebe Welt, was ist sie schwach! – Eine recht interessante Polin hat mich (– oder meinen Seelenwärmer? weiß ich's selber jetzt? –) so lieb gewonnen, daß sie mich gebeten mit ihr in Briefwechsel zu treten. O Emilie, geliebte Emilie Iwanowna, warum treten Sie nicht in Briefwechsel mit mir?– – – – –
Lebewohl, gute liebe Natalie! Grüße Deinen Harder, die Mutter, herzlich von mir und behalte lieb
Deine Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 3. Dezember 1834.
– – Nicht nur ich habe nichts Gescheites über *** sagen können, sondern in der Tat kein Mensch! Eine siegende Satisfaktion, eine blühende Schadenfreude für mich! Gönnen Sie mir diese, ich war in den verwichenen Monaten wirklich zu fromm, ich war krank, ich gefiel mir nicht. Siegend und gesund muß selbst der Schmerz sein, auch in Ihren Lebenswirren triumphiert er und in allem Höchsten. Wie krank schreiben die jetzigen Komponisten doch außer einigen wenigen; wenn ich jemals wieder singen darf, so will ich fürchterlich einseitig werden; gestern abend sang ich innerlich immer die Mozart'schen Töne: »O welche Seligkeit« etc. dies hebt und trägt uns, ein wahrhaft götterseliger Schmerz in den Tönen!
– ** gibt eine geistreiche obligate Begleitung zu Ihrem Thema, er variiert melodramatisch Ihren Grundtext, ein ganz musikalischer Aufsatz ohne Punkt und Komma – merkwürdig! Es kommt mir aber überhaupt vor, als wenn beim Aufgehen eines Kunstwerks ein Memnonsklang in ihm erweckt wird, den er unruhevoll und hastig ausklingt. Als Mensch mag ** Energie haben, das weiß ich nicht; sein eigenster Geist aber ist mehr ein Frauengeist, ganz flüssig ohne alle Knorpel und feste Bestandteile. Diesmal hat er sich süß bacchantisch an seinem Gegenstande berauscht, er träumt darüber süßen Weines voll, dieser weichliche, genußsüchtige Geist; er saugt wie eine Biene und gibt Honig wieder; indes solche Kunsttrunkenbolde sind in unsrer nüchternen Zeit auch von Wert.
Mit großer Freude haben wir die ersten Partien der »Kronenwächter« gelesen; ein tiefpoetischer Mensch, eine echt mystische Natur, dieser Arnim! –
– – Habe ich nicht recht? Ihre Menschenkenntnis wird sich bei der Redaktion Ihrer Zeitschrift nur immer noch mehr vermehren; gut nur, wenn man doch einige auf der Welt hat, mit denen man ganz ungekünstelt leben kann und wo der Plunder von Weltklugheit und Erfahrung in Staub zusammenfällt! Bis auf Wiedersehn, lieber hochgeschätzter Freund! –
Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Ohne Datum.
– Noch ehe Sie mir die kleine Anweisung zu meiner Lektüre geben, möchte ich Ihnen wie einem guten Arzte ein früheres Rezept von Sch. schicken, und dabei fragen, ob etwas Philosophisches immer untermengt, wobei ich mich recht zusammenzufassen hätte, mir jetzt nicht besser wäre? Zu viel gezwungen gewesen, nach außen und mit Menschen zu leben, ist mein Geist so zerstreut und unruhig geworden, daß ich der Vertiefung und der Konzentrierung vor allem bedarf! Die herrlichen Gestalten des Homers, den Stieglitz liest, haben mich gestern morgen nicht fesseln können, ich fühlte, es war nicht das, was mir in diesem Augenblick so dringend not tut. Geben Sie mir Ihre Vorschrift, und ich mache mich gleich ans Einnehmen mit gutem Vertrauen; ich habe eine Ahnung, als wenn ich davon wieder recht gesund und gestärkt würde. – –
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An Theodor Mundt
Berlin, den 13. Dezember 1834.
– Daß Sie vielleicht nicht heiter an uns denken könnten, drängt mich Ihnen zu sagen, daß die ganze Unruhe in Stieglitz doch mehr, wie sich jetzt zeigt, durch eine Erkältung, einen Schnupfen erregt, der bei der noch immer obwaltenden Reizbarkeit ihm gleich das Blut zum Kopf drängt und augenblicklich, wie ein unvorhergesehener Wirbelwind, uns außer Fassung bringt. Ziehen Sie aber aus meinen Stimmungen ja keine Schlüsse! Alte längst vernarbte Wunden stechen wieder, wenn das Wetter umschlägt; auch in meinem Nervenleben ist seit einiger Zeit wechselndes Wetter und die alten niedergerungenen Dämonen erstehen wieder, mich mit glühenden Feueraugen doch nur zur tiefsten Ruhe zu verlocken! Sonderbarer Widerspruch in der Natur, daß man so glühend nach Ruhe verlangen kann! Die Luft wird sich wieder reinigen, es wird wieder klarer Tag werden, und was mir die Hauptsache ist: ich werde wieder gleichmäßig tapfer allen Stürmen trotzen können! Und muß ich es nicht? bin ich denn nicht am Ende doch tief glücklich? –
Gestern war ein guter Tag, unser vorgestriger Lichtabend schien noch hell hinein. Stieglitz mußte auf mein Kommando turnen á l'Anglaise und das bekam ihm vortrefflich; täglich soll er das nun fortsetzen unter meiner Inspektion. Ich meine, auch Sie wären gestern sehr vertieft gewesen, es bestätigte sich mir, als St. Sie nicht bei Ranke gefunden. Heut geht's auch wieder gut; trotz etwas heißem Blut hat er eine glatte Stirn, ich gebe ihm diese gute Zensur, um ihn damit anzuspornen.
Immer und durch alle Nebel hindurch
Ihre beiden Stieglitze.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 15. Dezember 1834.
Wie Heine einmal in Beziehung auf Tiecks frühere Periode meint, er habe einen zu starken Schluck vom Verjüngungstrank getrunken und sei darüber kindisch geworden, so möchte ich fast fürchten, Ihr Brief, lieber Freund, sei eine zu starke Dosis kräftigender, aufregender Arznei für mich gewesen, so daß mir leicht ein kleiner Schnurrbart danach wachsen könnte. Den ganzen gestrigen Tag habe ich wenigstens mitten unter Menschen immer in Gedanken meine altgewohnten Waffen wieder blank geputzt, sie waren nämlich etwas verrostet; Gott sei gedankt, daß ich sie noch habe! O Ihre frühere Freundin hatte sich ein gutes undurchdringliches Schild geschmiedet, ein ehern Panzerhemdchen angetan. Ein seliger Friedens- und Frühlingstraum hieß mich die schwere Kleidung einmal ablegen, und ein schwüler Sommer und Herbst, der mich krank machte, nahm mir im eigentlichsten Sinne die Kraft, sie von neuem umzuhängen; das war die Rache!
Dank, Dank Ihnen, Freund, daß Sie mich wieder im Winter daran gemahnt und aufgerüttelt. Es ist wahr, die Zeit hat keine Zeit zu Träumen, und wenn es die süßesten gewesen wären! Nun wohlan, Lottchen! so stehe von heut an wieder Schildwache und trotze der Hitze und der Kälte nach wie vor! – –
Für die übersandten Blätter meinen Dank! Lassen Sie Ihrer neuen Freundin ja gütigst alles Ähnliche zukommen, wie der verblichenen! Sie kennen sie ja übrigens von alters her, so bös ist sie auch nicht; aber, aber das Schnurrbärtchen, wie gesagt, will seine Mutwilligkeiten haben, und die müssen Sie nun schon im voraus alle verzeihn. Wie wunderbar aber doch, daß Sie mich wieder mit meinen wenigen Zeilen hier und da mißverstehen mußten; ich weiß nun, es liegt lediglich an mir in der Abgebrochenheit und Unbeholfenheit meines Ausdrucks. Wie ganz anders habe ich das tief glücklich gemeint, als Sie in Ihrer Antwort es nehmen; ein in der Form steifgewordenes Glück kann ich nie gewollt haben, das liegt ganz außer meiner Wesenheit. –
Und nun noch eins! selbst in meinen krankhaften Stimmungen, in denen das Nervenleiden überreizt und das Gefühl mit mir davonläuft, sollen Sie nicht glauben, daß ich keinen Gott in und über mir hätte! Vor einiger Zeit schrieb ich in mein Tagebuch ungefähr so:
»Zu große Fülle übersinnlicher Liebe ist es, welche die engenden Banden dann und wann sprengen möchte! Ich wußte es nie, und weiß es noch nicht, wo ich mit meiner Liebe hin soll; die Welt braucht sie nicht, kein Mensch bedarf sie in dem Maße, als ich sie zu geben habe, daher denn die gesteigerte Sehnsucht des Überfließens meiner Liebe in Gott in das Unbegrenzte, Maßlose! Ich bin müde zuweilen des ewigen Zurückdrängens meines Heiligsten; der Verstand soll hier herrschen, die Klugheit regieren, und die Liebe darf nicht Liebe sein! Der Mensch muß seine Krone niederlegen und muß zum Bettler werden, sein Heiligstes muß er zu Grabe läuten und Sparpfennige weiser Erziehung mit sich herumschleppen, die er auch noch haushälterisch auszugeben gelernt. Die Münze versteht jeder, sie klappert und klimpert von Hand zu Hand, gibt man etwas anderes aus, so ist man ein Narr!« –
Ihre gesunde Freundin aber wird die Zeitung lesen, und am Bette der chronischen Zeitkrankheit auch wohl manchmal recht herzlich gähnen, und begierig den Puls zuweilen fühlen, ob es denn niemals zur Krise kommen wird?
Sie haben einen glücklichen Standpunkt (glückliche Bewegung vielmehr) erreicht. Gott gebe doch auch dem Stieglitz und allen tief Leidenden Kraft und Gesundheit, aus diesem Rauch herauszubrennen!
Nun, Gott befohlen!
Ihre Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 20. Dezember 1834.
– Bitte, bitte, Teurer, vergessen oder besser zerreißen Sie alle Briefe seit dem letzten Sommer, die eine krankhafte Aufgeregtheit haben! Seien Sie im Innersten davon überzeugt, daß es eine körperliche Verstimmung war und noch ist, da das doppelte Brunnentrinken erst hier und dann in Kissingen wahrhaft wie Gift auf meine ganze Organisation gewirkt. Ich werde es ja wieder los werden, und Sie werden sehen, meine Reizbarkeit wird aufhören, ich werde wieder einen kräftigen Geist bekommen, wie einer Frau auch ganz gut steht (denn zu große Zartheit und zu vieles Rücksichtnehmen darauf erschreckt mich ordentlich) und es wird sich bequemer und besser mit mir leben; wenn ich vielleicht einmal müde werde oder stille wie am letzten Abend, so halten Sie es nicht für Seelenstimmung (ich war innigst froh jenen Abend) sondern nur für körperliche Ermattung, die durch Kleinigkeiten: ruhig hinsetzen, ein Butterbrot essen u. dgl. gleich wieder gehoben ist. Manche Tage muß ich mir im eigentlichsten Sinne erst gewinnen durch ruhiges Liegen auf dem Sofa, gegen Mittag fange ich gewöhnlich erst an aufzuleben, das wird sich alles wieder geben, denn ich hatte schon in früheren Jahren einmal ähnliche Zustände, und wurde danach auch wieder ganz gesund und stark. Ziehen Sie daher aus der augenblicklichen Wirkung Ihres aus rüstiger Seele gegebenen Rates ja keine resultierende Folgerung; es schreckte mich in meiner jetzigen Passivität gerade so auf, als wenn mit einem Male jemand mit einem Helmbusch vor einen hintrete, man fährt zusammen, und nach und nach kräftigt der kriegerische Anblick. Ich hoffe Sie noch manchmal im Leben um Rat zu fragen, und warum sollten Sie mir nicht auch manchmal noch einen gutgemeinten Rat aus eignem Antrieb geben? Man kann mit seinen resoluten Vorsätzen am Ende auch ein wenig ins Extreme kommen! –
Und nun meinen herzinnigen Dank für Ihren lieben Gruß mit den Noten!
Den heiligen Abend, den Mittwoch, werden Sie uns da nicht zu einem Ausflug abholen? Heinrich grüßt Sie auf's wärmste. Wir freuen uns auf den heiligen Abend.
Charlotte Stieglitz.
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An Obermedizinalrat Stieglitz
Berlin, den 20. Dezember 1834.
Teurer, verehrter Freund!
In diesem Augenblicke kommt Ihr lieber Brief und ich beeile mich, da Heinrich nicht zu Hause, ihn gleich zu beantworten. Es hat uns schon die Besorgnis, mit der Ihre verehrte Frau an Ihre Schwägerin geschrieben, tief wehe getan; ich schlief vor Unruhe die ganze Nacht nicht; wir glaubten Sie jedoch nun längst im Besitz unsrer Briefe, und nun sehe ich aus dem Ihrigen heute, Sie haben noch keine Zeile. Es war unvorsichtig, sehr unvorsichtig von uns, die ersten Nachrichten mit Gelegenheit gehen zu lassen; jedoch trieb der Mensch, der die Beförderung versprach, Heinrich (der Ihnen gern einige gewünschte Blätter beischicken wollte) noch recht an, ihm ja den anderen Tag den Brief zu schicken, und so hatten wir gar keinen Zweifel, daß der Brief, der nicht weniger als acht Seiten lang war, in einigen Tagen bei Ihnen sein würde.
Werden Sie das verzeihen, Teurer, daß wir unnötiger Weise Sie vielleicht in Unruhe gesetzt? – Wenn wir aber nicht gleich in den ersten Tagen schrieben, so unterblieb es eigentlich aus einer gewissen Vollblütigkeit des Gefühls, und das Gefühl ist oft ein gar unpraktisches Ding – Cordelia liebt und schweigt – wir waren noch ganz in Gedanken bei Ihnen und waren doch losgerissen, wir mußten uns erst wieder gewöhnen, sammeln, finden; hatten wir doch selbst bei Ihrer lieben guten Schwester in Celle keine Ruhe, weil wir eben noch bei Ihnen waren; das mußte sich erst in einem tätigen, ernsten, zurückgezogenen Leben wieder lösen und aussöhnen.
Ich glaube, Heinrich ist auf einem guten Wege jetzt. Das Besuchmachen griff ihn sehr an und vor allem das Wiedersehen einiger Freunde regte ihn in der lebhaften Erinnerung an seine Krankheit bei den ersten Malen sehr auf. Auch das Ordnen von Briefen aus jener Zeit (es kamen ihm da viele wesentliche Sachen vor, von denen er keine Spur der Erinnerung hatte, was ich Ihnen in Beziehung auf jenen Zustand noch besonders erwähnen möchte.) Das hat sich natürlich jetzt alles beruhigt, wir haben sehr stille angefangen zu leben, und auch das war gewiß gut; eine wechselnde Tätigkeit, viel frische Luft und dann und wann einmal ein einzelner Freund tat ihm in den letzten vierzehn Tagen äußerst wohl; er liest viel, sehr viel jetzt, und das scheint ihm zu großer Satisfaktion zu gereichen; in diesen Tagen meinte er, er fühle sich innerlich ordentlich wachsen; dazwischen schreibt er manches nieder, und weil er darnach stundenlang in die Luft kann, so geht alles gut. Auf letzteres dring' ich besonders, weil ihm dies Sichvertiefenkönnen fast zu gut schmeckt und er sich beinahe übernahm. Doch wie gesagt, die Freiheit, zu jeder Stunde in die freie Luft zu können, scheint gerade für seine Natur unschätzbar. Einige Male, als ihn eine innere Beklommenheit und Unruhe anwandelte und ich ihm zureden durfte abzubrechen und aufs Feld zu gehen, und er nun frei und fröhlich zurückkehrte, da fühlte ich recht, was es für Modifikationen von Glück geben kann.
Nach Petersburg werden wir nun nächstens schreiben. Wie unsäglich danken wir Ihnen und Ihrem herrlichen Bruder!
Leben Sie wohl und bleiben Sie uns gut. Hoffentlich wird doch nun endlich jene frühere Sendung in Ihren Händen sein. Sie ging, wenn ich mich nicht irre, durch die Hahnsche Buchhandlung in den ersten Tagen des Dezembers.
Aus innigstem Herzen
Charlotte Stieglitz.
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An Theodor Mundt
Berlin, den 26. Dezember 1834.
Nehmen Sie, teurer Freund, mit einem innigsten Festgruß beiliegendes kleines Andenken freundlich auf; es sollte schon am heiligen Abend zu Ihnen hin, aber so einfach es auch ist, und eben nur einen guten Willen darlegen möchte, ich konnte dennoch wegen meines Unwohlseins vorgestern nicht damit fertig werden. Gönnen Sie dieser Lyra an Ihrer lichtgrauen Wand irgendwo ein Plätzchen, oben und unten mit einem Nägelchen befestigt; tun Sie Ihre Uhr, wenn Sie sie ablegen, hinein, und so fehlt auch die Zeitbewegung nicht darin.
Wie vieles ist Moment im Leben, und wie gut, daß sich durch alle die Momente doch ein roter Faden hindurchzieht. Vergessen Sie meine Momente und halten Sie sich an den Grundfaden!
Aus innigstem Herzen
Ihre Freundin
Charlotte Stieglitz.
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An Heinrich Stieglitz
29. Dezember 1834.
Unglücklicher konntest Du nicht werden, Vielgeliebter! Wohl aber glücklicher im wahrhaften Unglück! In dem unglücklich sein liegt oft ein wunderbarer Segen, er wird sicher über Dich kommen!!! Wir litten beide ein Leiden, Du weißt es, wie ich in mir selber litt; nie komme ein Vorwurf über Dich, Du hast mich viel geliebt! Es wird besser mit Dir werden, viel besser jetzt, warum? ich fühle es, ohne Worte dafür zu haben. Wir werden uns einst wieder begegnen, freier, gelöster! Du aber wirst noch hier Dich herausleben und mußt Dich noch tüchtig in der Welt herumtummeln.
Grüße alle, die ich liebte und die mich wieder liebten!
Bis in alle Ewigkeit!
Deine Charlotte.
Zeige Dich nicht schwach, sei ruhig und stark und groß!