Adalbert Stifter
Die Mappe meines Urgroßvaters
Adalbert Stifter

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»O verzeiht ihr mir nur,« antwortete sie, »daß ich so gewesen bin – einziger, lieber Freund meiner Jugend – o ich weiß es schon und der Vater hat es gesagt, was ihr für ein herrlicher Mann geworden seid.«

»Nein, Margarita,« sagte ich, »euer Vater ist gut, er weiß es schon, welche Fehler ich habe – und ihr seid ein Engel!«

Ich vergaß mich, und schlang meine Arme um ihren Nacken, wie man eine Schwester nach langem Entferntsein begrüßet. Sie that ihre Arme auch um meinen Hals, drückte ihr Angesicht an das meinige, und fing so heftig zu weinen an, daß ich es gar nicht fassen konnte. Ich empfand das Naß ihrer Thränen auf meinen Wangen. Ich beugte nur einen Augenblick zurück, und wir drückten dann mit einem Male unsere Lippen an einander. Ich hielt sie fest an mein Herz gepreßt, wie eine verlorene und wiedergefundene Braut.

Es war hier das erste Mal in unserm Leben gewesen, daß wir uns geküßt hatten.

Als sich die Arme wieder gelöset hatten, und ich ihre liebe Hand hielt, sagte ich: »Margarita, darf ich morgen euren Vater um euch bitten?«

»O bittet,« antwortete sie, »es ist gut für uns beide.«

Dann wandte sie sich zu den Frauen, die im Wagen saßen und sagte: »Nehmet es mir nicht übel, was ich that; er ist mein Bräutigam.«

»Steiget jetzt ein, Margarita,« sagte ich, »morgen komme ich sehr, sehr bald zu euch hinauf. Gute Nacht.«

»Gute Nacht,« antwortete sie, und wir drückten uns sehr innig die Hände.

»Steige nur ein,« sprach plötzlich der Obrist, der neben uns stand, »ihr werdet recht glückliche Menschen mit einander sein.«

Margarita warf sich an sein Herz, er hielt sie einen Augenblick sanft, und half ihr dann in den Wagen. Ich nahm ihn bei der Hand, drückte sie und konnte nichts sagen, weil meine Augen voll Wasser standen.

»So ist es also offenkundig geworden, daß diese zwei Brautleute sind, und ihr dürft es unten bei dem Feste verkünden. Ich wollte es noch ein wenig geheim halten, aber sie haben sich selber verrathen,« sagte der Obrist zu dem oberen Wirthe, der ein wenig weiter zurück stand, weil er von dem Tanzsaale herauf gegangen war, um den Obrist zu dem Wagen zu geleiten.

»Das ist ein erfreuliches Ereigniß,« sagte der Wirth, »das ist ein erfreuliches Ereigniß.«

»Jetzt gute Nacht, Doctor,« sprach der Obrist zu mir, »und kommet morgen bald zu uns hinauf.«

»Gute Nacht,« antwortete ich, und war ihm behülflich, wie er in den Wagen stieg.

Dann ging ich zu dem Thomas hinvor, und sagte ihm, daß er Acht habe, und vorsichtig fahre, damit den Freunden kein Unglück zustoßen könne. Hierauf regte der Thomas die Zügel, sprach zu den Pferden, und sie liefen rasch mit dem Wagen in die obere Gasse hinein.

»Ich wünsche recht viel Glück, Doctor,« sagte der Wirth, »ich wünsche recht viel Glück.«

»Ich danke,« antwortete ich, »ich danke. Aber Mann, das ist ein Weib, welches ich erst verdienen muß.«

»Ihr seid aber auch der rechte Mann zu ihr,« sagte er, »und das wird eine Freude in der Gegend sein.«

»Wird es,« erwiederte ich, »nun so freut es mich, und es thut mir sehr wohl, wenn man mir Margarita gönnet. Aber jetzt seid so freundlich, und lasset mir euren Wagen richten, damit ich ebenfalls nach Hause fahren kann. Ich muß morgen sehr früh wieder fort.«

»Ist schon gerichtet, und darf nur angespannt werden,« antwortete er.

Als die Braunen des Obrists in das offene Wägelchen des Wirthes gespannt waren, ich meinen Oberrock genommen hatte und eingestiegen war, fuhr der Kutscher des Obrists mit mir durch die obere Gasse auf die Felder hinaus, wo die Straße gegen das Eidun und gegen meine Heimath zielte. Ich konnte von den Vorausfahrenden nichts mehr vernehmen, weil wahrscheinlich mein Thomas aus Eifer und Ehrgeiz sehr gut und auch sehr schnell dahin fuhr.

An dem Himmel über mir standen unzählige schöne freundliche Sterne – und in meinem Herzen war eine Freude, welche ich noch niemals in meinem Leben empfunden habe. Ich ging schon gegen die dreißig Jahre, und es war so wohl, so süß, so herrlich in mir, als wenn ich im achtzehnten wäre, wo man ein Kind ist, unerfahren ist, und die ganze Welt an das Herz drückt, damit es nur gestillt werde.

Ich dachte: »O mein Gott, o mein Gott, was ist es für ein Glück, zu wissen, daß ein einziges Herz in dieser Welt ist, das uns liebt, das es durchaus und vom Grunde gut und treu mit uns meint: und wenige Schritte vor mir fahren zwei, die beide so gegen mich sind. Was ist es für ein Glück.«

Ich fuhr in der dunklen stillen Nacht hin, und kam endlich bei meinem Hause an. Ich gab dem Kutscher eine Belohnung und schickte ihn mit den Pferden zu seinem Herrn hinauf. Die meinigen waren schon zu Hause, ich ging noch in den Stall hinein und streichelte die guten Thiere, die sie unverletzt in ihre Wohnung gebracht hatten. Dann ging ich in mein Zimmer. Ich zündete mit Freude meine Lichter an, ich war heute zum ersten Male gleichsam nicht mehr allein, und setzte mich zu meinem Schreibgerüste nieder.

Es war eine Ruhe, Stille und Feierlichkeit in meinem Hause. – –

Aber ich blieb nicht lange sitzen, sondern ich stand auf, ging zu dem Fenster, öffnete es, und lehnte mich hinaus. Auch draußen war Ruhe, Stille, Feierlichkeit und Pracht – und es rührten sich die unzähligen silbernen Sterne am Himmel.

7. Das Nachwort


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