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Onkel Fritz.

Das Wiedersehen zu Hause war ein überaus erfreuliches und als ich meinen Enkeln den ersten Kuß auf die kleinen Stirnchen drückte, fand ich Alles gut, was geschehen war, schließlich konnten die beiden kleinen Wesen auch nicht für ihren Vater verantwortlich gemacht werden, der ja von nun an eine Nebenrolle zu spielen hat, weil sich Alles um die Kinder dreht. Mein Tagesstandquartier nahm ich sofort bei Doktors. Freilich wehrte er sich anfangs dagegen, aber ich fragte ihn: »Wollen Sie Weib und Kinder umbringen?« worauf er nachgab. wie wurde er aber auch gepflegt, da ich nun selbst ohne Furcht in der Küche hanthieren konnte; nach acht Tagen glänzte er ordentlich.

Emmi erholte sich von Tage zu Tage. Sie erhielt unter meiner Leitung auch nur Bekömmliches und Stärkendes, und wenn es je einen Cerberus gegeben hat, so war ich das in dieser Zeit vor dem Zimmer meiner Tochter. Nur wollte mir nicht gefallen, daß keine Wiegen angeschafft worden waren, sondern unbewegliche Bettstellchen. Emmi erklärte mir, Franz habe gesagt, das Schaukeln sei unhygienisch und mache die Kinder dumm. »Er selbst ist doch nach der alten Manier aufgezogen,« warf ich ein, »und hat es trotzdem zum Doktor gebracht. Na, vielleicht wäre er ohne Wiegen schon längst Sanitätsrath.«

Gar oft wünschte ich eine Wiege herbei, namentlich für den kleinen Franz, der schreiiger Natur ist und den Großmama Buchholz so lange auf den Arm tragen muß, bis er sich beruhigt. Ich bemerkte dem Doktor, daß in unserer Linie Derartiges niemals stattgefunden habe und diese Untugend von seiner Familie stammen müsse. Er sagte: »Liebe Schwiegermutter, das ist ja nur äußerlich.«

Des Abends kam mein Karl oder Onkel Fritz mich abholen und gleichzeitig nach Befinden zu fragen; am Donnerstag ging der Doktor zu meinem Erstaunen nicht aus. Ihm fehlte freilich den ganzen Tag etwas, und je mehr es Abend wurde, um so deutlicher sah man ihm an, wie sehr er seine gewohnte Partie entbehrte.

Gegen Achten fragte Dr. Paber an, ob sie ihn in ihrer Medizinischen Gesellschaft erwarten dürften? Ich bat Dr. Paber zum Abendbrod zu bleiben, das Mädchen könnte gehen und absagen, Franz würde sich sehr freuen, mit ihm zu plaudern. Dr. Paber willigte ein und da noch kalter Kalbsbraten stand, bereitete ich einen extraen Fleischsalat mit Majonaise und Capern und gekerbten Radiesern zur Verzierung darauf, aber nicht zu reichlich Gurken, den sie denn auch deliziös fanden. Als gegessen und ein großer Krug Pschorrbräu geholt worden war, sagte mein Schwiegersohn: »Hätten wir nun einen Skat, ich tauschte mit keinem König.« – Dr. Paber blickte mich an und fragte liebenswürdig: »Wie wäre es, wenn Sie einmal einen Versuch wagten, gnädige Frau?« – »Was, ich Skat?« widersetzte ich mich. – »Sie kennen dies unterhaltende Spiel gewiß schon vom Zusehen,« fuhr Dr. Paber fort. – »Schwiegermutter, seien Sie kein Frosch,« sagte der Doktor. – »Ich glaube, ich habe keinen Kartenverstand,« wandte ich ein, aber der Doktor brachte die Blätter und die beiden Herren weihten mich nun mit großer Ausdauer in die Regeln des Spieles ein, ohne mir jedoch die schlauesten Kniffe zu verrathen, wie ich merkte, als nachher Onkel Fritz erschien, der sich neben mich setzte und mir half. Ich gewann, sogar einen Grand mit Vieren schwarz. Dr. Paber äußerte darauf hin, er habe noch keine Dame mit mehr natürlicher Anlage fürs Tourniren getroffen.

So saß ich denn mit den drei Herren, die sich alle erdenkliche Mühe gaben, dem Laster des Spiels ein neues Opfer zuzuführen und, wie ich leider gestehen muß, erfolgreich, denn es war beinahe Mitternacht, bevor wir aufhörten. Meinen Gewinn theilte ich in zwei Theile, einen für Franz, den andern für Fritz. Mit den Namen war ich einigermaßen ausgesöhnt, seitdem der Doktor mir versichert hatte, die nächste Tochter solle Wilhelmine heißen. Er weiß ja auch, wie leidenschaftlich gerne ich Gevatter stehe. –

Onkel Fritz gegenüber galt es noch ein Versprechen einzulösen. Wenn auch die Prüfungen und die Karlsbader Kur meiner Reise nach Lingen hinderlich gewesen waren, hatte ich jetzt doch die erforderlichen Schritte gethan. Unterwegs fragte ich ihn: »Fritz, ist es immer noch Deine feste Absicht?« – »Mich heirathert mehr denn je.« – »Gut, wir werden sehen, was sich ereignet?«

Und es ereignete sich. Die Großmutter wollte mit Erika nach Berlin kommen und probiren, ob man dies Sündenbabel betreten könnte, ohne vom Teufel geholt zu werden. – »Wilhelmine, wie hast Du das möglich gemacht?« fragte Onkel Fritz. – »Durch ein moralisches Schreiben,« antwortete ich. »Du sagtest mir, sie sei hinter dem Gelde her, ... ich schrieb ihr, wie viel Du im Jahre einnähmest und daß sie nicht nöthig habe, herauszurücken, was Erikas Seelenheil anbeträfe, so erlaubte ich mir die Mittheilung, wir hätten einen beinahe vierhundertjährigen Propsten in der Familie, der ihr hoffentlich genügende Garantien böte. Das schlug zu Buch.« – Onkel Fritz packte mich und tanzte mit mir rundum, wobei er ausrief: »Wilhelmine, Du bist ein Kapitalstück,« bis mir der Athem versetzte. –

Die Großmutter wollte bei Krause's wohnen, aber ich hielt es für gerathener, sie zu uns zu nehmen, und das war gut, denn sie erwies sich über alle Begriffe zähdrähtig. – So ohne weiteres könnte sie ihren Konsens nicht geben, nach dem bloßen Schein zu dezidiren, wäre sündlich, quängelte sie. Erst als sie Onkel Fritzens Bücher durchgeschnüffelt hatte, deutete sie an, vielleicht könnte später einmal etwas aus der Partie werden. Es war noch guter, daß sie nicht hörte, wie Onkel Fritz laut darüber dachte.

Von meiner Seite ward ihr ziemlich ununterbrochen so zugesetzt, daß sie keine stichhaltigen Einwände mehr zurechtsinnen konnte. Schließlich aber blieb sie dabei, Berlin sei zu gottlos. »Sehen Sie sich doch erst in Berlin um, ehe Sie nach dem Schein dezidiren,« gab ich ihr zurück. – »Sie läse in den Gazetten, wie es hier zuginge.« – Das wäre Geschwätz, sagte ich. – »Oho!« sagte sie.

Ich gab Betti meinen Posten bei Doktors und sprang selbst in die Bucht, denn der Großmutter mußte Berlin gezeigt werden. Onkel Fritz abonnirte gleich eine Rutsche bei Beskow und nun ging es bald hierhin, bald dorthin. – »Es ist wohl immerzu und alle Tage Schützenfest in Berlin?« fragte sie. »Nein,« erwiderte ich, »die vielen Leute auf den Straßen gehen ihren Geschäften nach, ausgeruht wird sich nach Feierabend und amüsirt des Sonntags.« – Alles mußte sie sehen, was nur vorhanden war und dabei nicht hinzukriegen, es schien, als wenn sie sich jahrelang ausgeruht hätte, um in Berlin Fußreisen zu machen. Und ich immer mit.

Auf die Siegessäule wollte sie hinauf, aber sie ließ es, als ich sagte, es wäre für ältere Damen nicht schicklich. Das hätte mir gerade gefehlt, mich da hinauf abzuäschern. Und den Appetit, den sie sich heranholte; die unverdaulichsten Sachen bekamen ihr, sie mimmelte so lange, bis sie sie klein hatte. Das Ueberallmithin war eine Pönitenz, da uns doch ums verheirathen und nicht um das Sehenswerthe zu thun war. Was gingen uns die Klamotten an, die Schliemann ausgegraben hat? Meine Köchinnen haben mir schon mehr zusammengeschmissen, als die paar Scherben. In die Ruhmeshalle mußte sie, in die Bibliothek, ins Bildermuseum, und wovon sie sonst etwas gehört oder gelesen hatte, bis es uns zu viel ward und wir nicht mehr mochten, denn welcher Berliner besieht sich jene Sachen öfter, als höchstens alle Jahr einmal, und dann auch noch nicht? Als sie in das egyptische Museum wollte, erklärte Onkel Fritz, es wäre geschlossen, da die Mumien gerade gefüttert würden. So kamen wir glücklich darum.

Wohl war es ersichtlich, wie ihr Berlin von Tag zu Tag besser gefiel, aber die Verstocktheit wollte nicht weichen, ja sie bestimmte bereits den Tag der Abreise, ohne daß wir einen Schritt weiter gekommen waren. Sie kannte aber Onkel Fritz schlecht. –

An dem vorletzten Nachmittage fuhren wir nach Potsdam. Es war heiß und schwül und über den Gewässern schwebte ein leichter flimmernder Dunst und kurz bevor wir Schloß Babelsberg erreicht hatten, grollte der Donner und zuckten die Blitze am Himmel, der sich mit rasender Schnelligkeit umdüsterte. – Der Wind kam auf und sauste durch die Kronen der Bäume. Es werde ein schweres Gewitter, sagte der Kastellan und ließ uns in die Vorhalle des Schlosses treten. Er hatte richtig prophezeiht, denn nicht lange währte es, da fielen Blitz und Schlag zugleich und der Regen prasselte in Strömen herab. Es war Nacht am Tage geworden, und mit der Nacht war die Furcht über uns gekommen, zumal über die Großmutter. Sie steckte die Finger in die Ohren, um das furchtbare Krachen nicht zu hören, und schloß die Augen, um die entsetzlichen Strahlen nicht zu sehen; deshalb gewahrte sie auch nicht, wie in der Tiefe der Halle eine bleiche bange Mädchengestalt sich schutzsuchend an einen unerschrocken dastehenden Mann schmiegte, der sie mit starken Armen umfing. Und wenn der Himmel in Feuer auflohte und die düstere Halle mit schneeweißem Glanz erfüllte, sah ich glückseliges Lächeln auf den Zügen des Mannes. Es waren Onkel Fritz und Erika.

Als das Unwetter nachließ, besahen wir unter der Führung des Kastellans das Schloß Babelsberg, wir durften das Arbeitszimmer des Kaisers betreten und sein Schlafgemach, Nicht Sammt und Seide noch goldener Schmuck prunken in diesem Raum. Nur ein schmales Feldbett dient dem Kaiser zum nächtlichen Ruhelager, aber es ist, als hielte Hohes und Heiliges seine Schwingen darüber ausgebreitet, das Ehrfurcht gebietet.

Auch den Spazierstock zeigte uns der Kastellan, den sich der Kaiser im Jahre selbst aus einer Staude des Parkes schnitt. Den nimmt er am liebsten, wenn er am frühen Morgen durch die schattigen Laubgänge wandelt. Dann kommen alle kleinen Vögel von nah und fern zu ihm geflogen und sagen dem Kaiser gar Vielerlei, was sonst Niemand erfährt. wer weise und gerecht ist, versteht auch die Sprache der Vögel, dem ist nichts zu gering auf Erden. –

Es hatte sich aufgeklärt. Dem Unwetter war fröhlicher Sonnenschein gefolgt, wie dem Kriege der Friede, und Wald, Gewässer und Fluren lagen in ihrer ganzen Pracht vor unseren Blicken.

Wir mußten weiter. Wir kamen an dem Park des Marmorpalais vorbei, wo Prinz Wilhelm mit seiner Gemahlin Viktoria aus dem meerumschlungenen Schleswig-Holstein wohnt. Wir sahen in der Ferne Kinder spielen, es waren die Urenkel des Kaisers, die süßen Knospen am Hohenzollernstamme. Als Bismarcks Geburtstag war, haben die Eltern mit ihren Kindern eine Eiche gepflanzt, ganz allein. Mit ihren Schubkarrchen und Schaufelchen haben die Kleinen geholfen und als der Baum gepflanzt war, netzten sie das Erdreich mit klarem Wasser. Wenn die Knaben Männer sind, wird der Eichbaum ihnen Schatten spenden. –

In Sanssouci machte die Großmutter Augen, sie kann auch lange suchen, ehe sie Aehnliches wiederfindet. Wenn man beim Obelisken eintritt und durch den breiten Waldweg mit seinen Marmorgöttern und -Göttinnen die große Fontaine erblickt, so macht das einen stets von Neuem bezaubernden Eindruck. Und dann das Schloß oben auf der Terrasse. Dort lebte der alte Fritz und dort starb er. Die Uhr stand still, als sein Herz ausschlug, und so steht sie noch. Dies war der Großmutter ungemein interessant, sie fragte dem Aufseher die Seele aus dem Leibe und war nicht aus der Stelle zu bringen. Zuletzt wollte sie auch noch die Küche sehen, in der gekocht worden war. Für das Weltgeschichtliche hatte sie keinen Sinn. Und dabei nicht gelitten, daß Erika sich nur einen Schritt von ihr entfernte.

Freilich hatte sie in Sanssouci Unerwartetes gesehen, noch größer wurden ihr aber die Augen in Charlottenhof. Da rankten die Rosen fast bis zum Dache des griechischen Hauses hinauf und die Lilien öffneten die weißen Kelche, um im Verein mit ihnen zu duften. Und weiter hin leuchtete es von rothen Rosen, hellen und dunklen, eine schöner als die andere. War es ein Wunder, daß Onkel Fritz und Erika in den Rosengarten hinein gingen und daß er seine weiße Rose an sich zog und ohne die Großmutter zu fragen herzhaft küßte? Daran war nun nichts mehr zu ändern. – »Können Sie immer noch bockbeinig sein?« fragte ich.

Hatte das Gewitter sie mürbe gemacht oder dachte sie daran, daß auch ihr Leben einmal eine Rosenzeit gehabt, von der nur noch die kratzigsten Dornen nachgeblieben waren? Sie schwieg. Ich aber winkte den Beiden, und als sie vor uns standen, verabreichte ich der Großmutter einen angemessenen Aufmunterungspuff in den Rücken. Da sagte sie »Ja!« –

Beim Weitergehen besprachen wir Aelteren das Praktische und weil ich dafür war, daß die Hochzeit bald sein sollte, gab es neue Kämpfe. »Mein Bruder hat lange genug gewartet,« entschied ich, »in wenigen Wochen wird geheirathet. Nicht wahr, Fritz?« – »Je eher, je lieber,« sagte der. Die Großmutter maulte, das wäre gegen die Konvenienz. – »Schadet nichts,« sagte ich. – »Man ist obligirt, die Dehors zu achten,« sagte sie. – -Lassen Sie das Bremmeln man sein,« sagte ich, »abgemacht ist abgemacht.« – »Ist nicht,« sagte sie. – »Ist doch!« sagte ich. – Fritzens und Erikas wegen gab ich nach, aber ohne die Beiden wäre es zwischen mir und der Alten noch zu Buh und Bah gekommen.

Plötzlich blieb Erika stehen, da in der Nähe Schüsse fielen und Salve auf Salve knatterte. – »Was ist das?« fragte sie bestürzt. »Die Soldaten exercieren im Feuer,« antwortete Fritz. – »Wozu das?« fragte sie weiter. – »Den Herd und das Haus zu schützen, wo Du walten wirst, mein Lieb,« sagte er freundlich, »damit kein Feind die Rosen und Lilien unserer Heimath zertritt.« – Sie blickte zu ihm auf. »Was wäre ich ohne Dich?« sprach sie leise. –

Am Abend war Verlobungsfeier. Fritz war unsäglich ausgelassen und steckte sogar die Großmutter mit seiner Lustigkeit an, mit der er dreimal Brüderschaft trank, so daß sie öfter mit ihm anstieß, als ihr gut war. Sie mußte am nächsten Tage bis Mittag im Bette bleiben und lebte wegen zu sehrer Kopfschmerzen nur von Natron und Juliushaller. Als ich Onkel Fritz hierüber Vorwürfe machte, sagte er äußerst trocken: »Wilhelm, ich kann mir nicht helfen, es ist hart, aber gerecht. Warum hat sie sich nicht besser an geistige Getränke gewöhnt?«


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