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Der Morgen graute kaum, als ein dumpfes unterirdisches Getöse den Schlaf verscheuchte, mit dem ich beim Niederlegen Noth genug gehabt hatte, denn er läßt sich weder wie eine Katze hissen noch locken. Da hilft kein Schmeicheln und kein schelten, er winkt ab, wenn er nicht will.
»Karl!« rief ich. »Karl! Hörst das Gebumße?«
»Schlaf' nur ruhig weiter, Wilhelmine, Du bist gewiß noch müde vom Ball.«
»Ich wollt', ich wär' es und könnte vierundzwanzig Stunden in einem Rutsch machen.« – »Bist Du so erschöpft?« – O, nein, aber was man verschläft, erlebt man nicht. Karl, wo wird denn gehämmert?« Ich richtete mich auf, um besser zu horchen. – »Bleib doch nur liegen.« – »Karl, die Wände zittern ja förmlich, was hat das zu bedeuten?«
Mein Mann, der aufgestanden war, sprach mir zu: »Errege Dich nicht unnöthig, Wilhelmine. Wir fangen mit dem Bau an.«
»Womit?«
»Mit dem Bau. Die Maurer brechen die Wand nach dem Grundstück neben an durch ...« – »Das sagst Du mir jetzt erst?« – »Um Deine Nachtruhe nicht zu beeinträchtigen. Du quälst Dich zu gerne mit überschüssigen Sorgen ...« – »Hättest Du mir nur ein Wort gesagt, ich wäre sicher nicht aufgewacht, ich hätte so schön ausschlafen können; wenn man weiß, woher der Lärm entsteht, stört er nicht im Geringsten. Aber das ist so Männerart, wenn die Frau unter dem einstürzenden Gestein verschüttet liegt, erfährt sie immerhin früh genug, daß das Hans umgerissen wird. Keine Minute halte ich im Bette aus.« – »Ich rathe Dir ab, in den Kissen verunglückst Du entschieden weicher als mit ohne.« – »Karl, Du bist herzlos; was hast Du gestern getrunken?« – »Dein Wohl.« – »Ist das eine Antwort? – »Verhält sich aber so. Ich stieß mit Felix auf gutes Gelingen des Baues an und darauf, daß uns Allen vergönnt sein möge, die Hoffnungen erfüllt zu sehen, die wir daran knüpfen, die Alten sowohl wie die Jungen und daß Du gut über die Molesten hinwegkommen möchtest. Betti war der Meinung, Du würdest heute Morgen so fest schlafen, daß gerne angefangen werden könnte.« – »Sieh mal an, Betti war auch dabei! Nun ja, zu einem Komplot bin ich noch eben gut genug.« – »Minchen, thu mir den Gefallen und steig nicht mit dem verkehrten Fuß aus dem Bett, Du hast heute Anlagen dazu. Ich erwarte, daß Du nachher bei guter Laune bist, denn um Elfen kommt der Baumeister Krause zum Frühstück, wir haben wichtige Dinge zu besprechen, die auf Dein Urtheil lauern. Sei gut, Alte; pummel Dich in Deine Decke und drussel noch ein Endecken. Du weißt doch, Krause ist gemüthlich.«
Bevor ich ihm zustöhnen konnte: »Ist die Liste für diesen verflixten Tag noch nicht überbürdet genug?« war er gegangen. »Laß sie bauen,« dachte ich, verzweiflungsschwach zurücksinkend, »es ist ja Alles aus Rand und Band, warum soll das arme unschuldige Haus nicht auch sein Theil abkriegen? Mich haben sie mittlerweile mürbe.«
Warum war ich so thöricht, mich um andere Leute zu kümmern? Wie schön wäre es gewesen, nur allein mit meinem Karl, zwei bis drei freundliche Zimmer, eins mit Morgensonne, ein bescheidenes Dienstmädchen, weit weg von Berlin, irgendwo am Waldesrande ... die Lerchen singen ... auch einige Hühner ... vier ... sechs müssen es wohl sein ... frische Eier ißt Karl zu gerne ... und ein Hahn ... jede legt ein um den andern Tag ... die beste täglich ... das sind achtzehn Eier die Woche ... nein ... einmal sechs sind sechs und anderthalb mal fünf ... nein ... ein um den andern Tag in sechs geht dreimal ... dreimal fünf sind fünfzehn ... das giebt zusammen einundzwanzig. – Ganz falsch; für die Hühner ist der Sonntag ja auch ein Werkeltag ... also zwei in sieben ... geht nicht auf. Wo bleibe ich mit den beiden halben Tagen, sie legen doch ganze Eier? Das Exempel ward mit jedem neuen Ansatz verwickelter, ich kriegte es nicht, und der vorderste Theil von der Regel de tri war schon weg, wenn ich die letzte Zahl eben in Gedanken an die Wand geschrieben hatte.
Die Thüre öffnete sich und Betti trat ein. »Nun, Mama, ausgeschlafen?« – »Ich habe kein Auge zugehabt, Kind.« – »Vorhin, als ich nachsah, schliefst Du wunderschön.« – »Du irrst Dich, seit Papa ging, liege ich hier und wache.« – »Aber jetzt ist die Uhr schon nach Zehn.« – »Zehn?« – »Willst Du Dich anziehen?« – »Ich bin so marode.« – »Dein Kaffee steht warm, den hole ich Dir. Das Frühstück ist auch bereit, die Herren können kommen.« – »Wenn Du es sagst, muß ich wohl einen kleinen Nick gemacht haben, aber nur einen sehr kleinen.« – »Sagen wir von'n Stundener drei.« – »Betti, ist die Zeit denn jetzt auch schon elektrisch? So hat sie früher nie geflogen.«
Ein Happen Imbiß stärkt immer und da Betti hülfreich beim Ankleiden einsprang, ging es mit der Erholung leidlich, sogar nach den Stützen zu fragen hatte ich Kraft.
»Haben Ida und Frieda schon miteinander gekämpft?« – »Sie gehen sich mit wüthenden Blicken aus dem Wege.«
Die Nummer war also noch nicht erledigt.
»Hat Doris schon gekündigt?«
»Mama, Doris war nur von Ida rebellisch verleitet, sie hat mich gebeten, ein gutes Wort für sie einzulegen.«
»Ist Emmi schon gekommen?«
»Emmi? Am frühen Morgen?«
»Sie will ihren Mann ja verlassen.«
»Mama, Du träumst noch.«
»Sie zieht mit den Kindern zu uns. Die Lehmann hat ihr es gerathen.« – »Mama, die Lehmann gefällt mir den ganzen Tag nicht, seitdem sie geerbt haben und nur verkehren, wo es hoch hergeht. Ich war nie im Zweifel, daß sie es faustdick hinter den Ohren hatte; höher hinaus wollte sie immer, verstand es nur nicht recht anzufangen und nun sie hoch ist, meint sie wohl, Ton anzugeben bestehe in Familienskandal, den Kniff der wirklich Vornehmen hat sie noch lange nicht heraus.« – »Wenn der Doktor Emmi nun aber doch Veranlassung zur Eifersucht giebt?« – »Franz hält viel zu viel von ihr und den Zwillingen, ich werde mit Emmi reden.« – »Ueber solche Dinge hast Du noch kein Urtheil.« – »Mama, Felix und ich, wir bewahren ein tiefes Geheimniß, er hat es mir offenbart, damit die Vergangenheit nie einen Schatten auf unser Glück werfe, damit ihn nie der Vorwurf treffe, er habe mich getäuscht.« – »Daß er eine Andere liebte?« – »woher weißt Du ...?« – »Vermuthung, Kind, Vermuthung.« – »Aber bevor er mich gesehen und gekannt, Mama. Und doch ahnst Du nicht, welche Qualen ich ausstand, wie ich litt durch seine Aufrichtigkeit. Mir war, als sei ich unermeßlich reich gewesen und nun mit einem Male bettelarm. Dem Stein könnt' ich mißgönnen, daß sein Fuß ihn betrat, so betete ich meinen Abgott an ... fühlst Du das Herzleid nach, das sein Vertrauen mir anthat?«
Was sollte ich antworten? Wovor mir oft im Stillen bangte, daß sie es gerade dann erfahren werde, wenn es am meisten Unheil brächte, das wußte sie nun und das war gut. Denn das Unangenehme kommt immer, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Ihr sagen, daß das vermeintlich tiefe Geheimniß uns schon Sorge genug bereitete, war zwecklos. Aber wie hatte sie es aufgenommen?«
»Liebst Du ihn darum weniger,« fragte ich nach einer Pause.
»Inniger und ernster,« sprach sie. »Das Weh hat sich gelegt und zwischen uns ist es hell und klar geworden. Und Emmi darf keine Thorheit begehen, ich werde ihr zureden, die Schwester steht ihr näher als die Lehmann.« – »Soll der Doktor leer ausgehen? Mir däucht, er ist doch der schuldige Theil.« – »Bei dem wird Deine Autorität besser angebracht sein.« – »Autorität? Ja. Wenn er mich aber hinauswirft?« – »Soweit würde Franz sich nie vergessen.« – »Nicht mit Anfassen, in aller Freundschaft natürlich, aber draußen ist man doch.«
Frieda meldete, daß die Herren zum Frühstück gekommen seien. Sie sah blaß und verwirrt aus. »Frieda,« rief ich, während Betti ging, »Frieda, was haben Sie?« – »Nichts.« – »Ich dachte, Sie bereuten Ihr Benehmen von gestern. Wenn Max Ihnen zürnt, wer wollte es ihm verdenken?« – »Der wird schon wieder gut, wenn nicht heute, dann morgen; aber Fräulein Schulz hat drei große Blumenbouquets geschickt bekommen und brüstet sich damit. In einer Tour erzählt sie Doris, daß sie getanzt hätte, und eine Andere gesessen. Das geht auf mich.«
»Das ist mir sehr gleichgültig.«
Sie ging sehr bekniffen davon, aber da ich fest entschlossen war, der Ida den Laufzettel zu schreiben, fiel es mir nicht im Entferntesten ein, irgend welche Partei zu nehmen. Andernfalls hätte sich ein gelindes Donnerwetter ereignet.
Mein Mann, der Baumeister Krause und Felix hatten mit dem Frühstück noch nicht begonnen, bevor ich erschienen war. Wir setzten uns und gar bald lenkte sich das Gespräch auf den Bau. Nach und nach, umzechig mit einem Bissen Pikantes und einem Schluck Wein brachten sie mir stückweise ihre Pläne bei. Der Fabrikbau hatte meinen Beifall, aber als der Hase zu laufen anfing, da sah ich auch, wohin er steuerte und entsetzt erfuhr ich, daß unsere Wohnung in zwei Hälften getheilt werden sollte, die eine für uns, die andere für Felix und Betti.
»Nein,« rief ich, »dazu gebe ich meinen Konsens nicht, warum nicht lieber gleich ins Spittel?«
Wie aber wußte der Baumeister die Sache hübsch auseinander zu pellen. Unsere Wohnung hat ihre Unbequemlichkeiten, das ist wahr, und wir Beiden allein können sie nicht benutzen, denn schon jetzt, da einige Stuben als Waarenlager dienen, ist sie zu groß, aber sich von dem liebgewordenen Alten so zu trennen, daß es nicht wiederzuerkennen ist, wer mag das? Ich konnte und konnte mich nicht entschließen.
»Wilhelmine,« sagte mein Karl, »während des Baues müssen wir uns eine Zeit lang einschränken, und für Fräulein Schulz wird kein Platz vorhanden sein. Scheint Dir diese Gelegenheit nicht günstig, sie ohne anderweitige Begründung der Mutter wieder an den Busen zu legen?«
»Ja, Karl, wenn die Wohnung umgebaut wird, müssen die Stützen weichen, aber ... Sagen Sie, Herr Baumeister, kann auch ein Erkner eingerichtet werden, wie jetzt so sehr beliebt ist?«
»Das versteht sich.«
»Und wie denken Sie über Butzenscheiben?«
»Für Kapellen und Dome halte ich sie vortrefflich, für das praktische Leben jedoch finde ich weißes Fensterglas geeigneter. Man will doch auch Licht im Zimmer haben.« – »Mama,« sagte Betti, »nimm sie nicht, wenn die Lehmann in ihrem Butzenscheibenboudoir auf der Chaiselongue liegt, sieht sie mies und bleichgrünlich aus, wie ein kranker Schellfisch.« – »Kind, Du wolltest ja nach Emmi.« – »Gleich, Mama, ich möchte nur erst wissen, wie es mit der Wohnung wird.« – »Du hast keine Zeit zu verlieren.« – »Also entschließe Dich, Mama, damit ich gehen kann.« – »wie denkt aber Emmi über den Bau, sie könnte sich vielleicht einbilden, Du würdest bevorzugt.« – »Sie hält ihn für zweckmäßig,« erwiderte Betti, »der Doktor aber rieth Felix ab ...« – Sie ward roth übergossen und stockte. – »Warum rieth er ab,« fragte ich nach, »was hat er abzurathen? Nur heraus damit.« – »Ich will es Dir ins Ohr sagen.«
Betti flüsterte mir leise zu.
»Karl,« rief ich. »Nun erst recht, wir bauen.«
Hierauf erfolgte gediegenes Anstoßen mit den Gläsern und die Sache war gefingert.
Aber dieser Doktor. Was hatte er zu Felix gesagt, um den Bau zu hintertreiben? »Zieh' nur nicht mit auf einen Flur, sonst kriegen die Weibsleute Dich unter.« Das hatte er gesagt! Empörend! Die Besichtigung der Pläne und eine Durchschätzung des Hauses, wobei wir von einem Zimmer ins andere wanderten, abmaßen, prüften und es bald so haben wollten, bald so, kühlte die Entrüstung über meinen geehrten Schwiegersohn; seine gefühllose Aeußerung legte ich jedoch bis auf Weiteres in die Pökel. Daran soll er noch nutschen.
Als der Baumeister gegangen war, sagte ich zu meinem Karl: »Es ist doch ein wahrer Segen, daß es einen Mann wie Krause giebt. Du sollst sehen, die Wohnungen werden reizend und vor allen Dingen praktisch. Wie zweckmäßig hat er das Kinderzimmer bedacht; wir auf unserem Ende hören keinen Ton, selbst wenn der Aelteste Kloppe kriegt, so doll er schreien kann.«
»Minchen,« lachte mein Karl, »es ist noch nicht einmal Einer da und Du willst ihn schon durchkalaschen? Halb so hastig.« – »Ich nehme nur gesetzt den Fall an. Nein, Gewaltmaßregeln gestatte ich nicht. Unter keiner Bedingung. Im Nu bin ich drüben bei Betti, damit nichts Verkehrtes geschieht. Wie mit Kindern umgegangen werden muß, das weiß Großmama allein. Der Doktor hat keinen Dunst davon und Felix nicht einmal einen Hauch. Wie angenehm, daß ich nicht über die Straße brauche.« – »Hm,« sagte mein Karl. –
Doris kam und brachte einen Brief; die Adresse verrieth die Handschrift der Schulzen.
»Aha,« sagte ich, »sie wird gewiß bitten, daß wir ihren Ableger behalten sollen.« – »Schriebst Du schon?« – »Ida selbst hat ihr hoffentlich mitgetheilt, daß ihre Stellung unhaltbar geworden ist. Was könnte sie sonst wollen?«
Mittlerweile hatte ich den Brief eröffnet und las.
»Karl,« rief ich, »mich regiert der Schlag. Dies übersteigt alle Schranken. O, o, wie schändlich. Nein, wie abscheulich!« – »Wilhelmine,« trat mein Karl näher, als ich wie eine lebendige Leiche dasaß. – »Diese Person. Ist das glaublich? Ihre Tochter müßte in unserem Hause physisch und moralisch untergehen, wenn sie auch nur einen Tag länger darin verweilte? Hör' blos ... und nun las ich ihm weiter vor: »›Lange genug hat meine Tochter geschwiegen und geduldet ... ‹ geduldet hat sie dreimal unterstrichen. Karl, sag' selbst, wer hat geduldet, Idiß oder ich? ›In ihrer Herzenseinfalt wagte sie nicht zu klagen, vielleicht auch schloß Furcht ihren Mund. Daß sie zurückgesetzt wurde, daß sie wegen geringfügigster Kleinigkeiten mit gewaltsamer Einsperrung bedroht wurde‹ – Karl, sie ward nur manchmal zu Bett geschickt – ›daß sie hungerte‹ – Karl, bei uns hungern! – ›daß wahnsinnigste Noth sie zwang, heimlich Abfall zu nehmen und sie darob gescholten ward, als man Brosamen beim Visitiren in ihren Taschen fand‹ – Karl, ist Backobst Abfall, sind Stückenzucker Brosamen? – ›deshalb will ich Sie diesmal nicht zur Verantwortung ziehen weil ich wünschte, daß Edith strenge genommen werden möchte, obgleich ich unter Strenge keine Brutalität verstanden haben wollte, aber daß meine Tochter zu entehrenden Arbeiten angehalten wird, daß sie Knöpfe in Herrn Buchholz Unterzeug nähen muß, das zwingt mich, mein Recht geltend zu machen‹.« – »Ist das wahr?« fragte mein Mann. – »Was?« – »Das mit den Knöpfen?« – »Karl! wo ich Deine Wäsche alle selbst ausbessere und jedes Stück so unter der Tischkante halte, daß es nicht zu sehen ist! Offenbare Lügen sind es. Daß wir so Eine kriegen mußten!« – »Ich sagte Dir ja gleich, daß sie mir nicht gefiel, aber Du warfst mir Mangel an Menschenkenntniß vor. Erinnerst Du wohl?« – »Sei nur nicht böse, mein guter Karl, ich habe mich verhauen, zürne nur nicht. Aber der Brief ist noch nicht zu Ende. Drachendinte hat die Person in ihrer Feder gehabt, denke blos, sie will noch was heraus haben, sie schreibt: ›Das Kostgeld werden Sie zurückerstatten, da Sie Darben unmöglich für Beköstigung ausgeben können?‹ – Dick und fett hat Ida sich angedarbt. Hätte man gewußt, daß es so kommen würde, ich hätte sie vorher wiegen lassen. – ›Außerdem verlange ich für mein gemißhandeltes Kind tausend Mark Schmerzensgeld ..., die Sie hoffentlich auf gütlichem Wege zahlen. Mein Bedauern darüber aussprechend, daß eine Sache, von der ich mir den besten Fortgang versprach, ein so unverwünschtes Ende nehmen muß, verbleibe ich hochachtungsvoll und ergebenst D. Schulz. – P. S. Noch heute hole ich meine Edith ab und erwarte, daß das Andere bereit liegt.‹ – Karl, müssen wir das Geld hergeben?«
»Habt ihr schriftlichen Kontrakt gemacht?« – »Nur mündlich und Bestimmtes gar nicht.« – »Dann wird sie prozessiren.« – »Karl,« schrie ich angstvoll, »doch nicht vor Gericht?« – »Wo sonst?« – »Das überlebe ich nicht. Aber sie muß denn auch bezahlen, was Ida zerbrochen hat. Der Sahnentopf war mindestens seine fünfundachtzig Pfennige werth und was sie außerdem noch lieferte. Im Verruiniren hatte sie erstaunliche Fertigkeit. Laß die Mutter nur kommen.«
»Ich werde mit ihr unterhandeln,« sagte mein Karl. »Du wirst mir krank, das will ich nicht. Lasse die Angelegenheit ruhen, bis ich zurück bin, ich hole mir bei einem Anwalt Rath.« Er nahm den Brief und ging.
Sollte man solche Schlechtigkeit für möglich halten? Aber mir geschah schon recht, warum hörte ich auf die glatten Worte, als die Schulzen mich als Muster der Häuslichkeit pries und in den Himmel erhob. Das war Deine Eitelkeit, Wilhelmine, die spielte Dir den Streich, Du gedachtest der Frau zu zeigen, wie unübertrefflich Du Ida ausbildetest, wie sie Dein Lob singen würde, sonst hättest Du in den ersten acht Tagen gesehen, daß Deine Kraft für diese Verstocktheit nicht ausreichte. Nun sitzt Du da mit dem dicken Kopf, Wilhelmine. Und wie dick.«
Betti fand mich ziemlich verzweifelnd und niedergeschlagen, als sie kam, aber sie brachte erfreuende Nachrichten. Allerdings war es keine Kleinigkeit für Emmi gewesen, daß ihr Mann das Haus seit einigen Wochen fast ganz vernachlässigte. Anfangs hatte sie ihm auch geglaubt, daß er einen reichen zugereisten Russen behandle, der gegen ein glänzendes Honorar des Doktors sämmtliche freie Zeit in Beschlag nahm, aber als die Lehmann eines schönen Tages den Doktor in der Mittagszeit mit einer verschleierten Dame in der Equipage gesehen, schöpfte sie Verdacht. Obgleich er nun gestand, daß sein Patient des Russen Gemahlin sein, wuchs Emmi's Argwohn, denn warum sagte er nicht gleich die Wahrheit? Damit sie sich keine Gedanken machte? Das war nun mit Hülfe der Lehmann doch geschehen. Gestern als der Doktor vom Balle verschwunden, sei sie zu dem Entschluß gekommen, diesem Zustand ein Ende zu machen, aber gerade in dieser Nacht ist die Russin gestorben. »Wie furchtbar, Mama, vom Ballsaal an das Sterbebett. Ein Arzt hat es fürwahr nicht leicht.« – »Und nun hat Emmi sich gegeben?« – »Der Doktor nahm sie heute mit hinaus zu dem Russen, sie hat die Todte gesehen und ihr Blumen gebracht, obgleich sie erst sich sträubte. Da hat der Russe ihr gedankt für die Rosen und sie um Verzeihung gebeten, daß er ihren Gatten so oft und lange in Anspruch genommen. Seiner Umsicht sei es gelungen, das fliehende Leben noch einige Wochen zu halten, für jeden Tag, für jede Stunde sei er ihr dankbar. Und dann schenkte er ihr eine goldene Kette, Feodorowna habe sie getragen. So oft sie die Kette sieht, wird sie hoffentlich daran denken, daß es besser ist, dem Manne zu vertrauen als einer sogenannten Freundin.« – »Ja, Betti, wenn sie Alle so klug wären wie Du.« – »Ich habe mein Theil durchgemacht, Mama.« – »Ich noch nicht.« – Und nun erzählte ich ihr die neuesten Neuigkeiten von Ida und der Schulzen. Sie dachte, sie sollte auf den Rücken fallen.
Kurz vor dem Mittagessen erschien die Schulzen. Sie ward in die gute Stube genöthigt und da mein Mann noch advokatete, mußte ich die Honneurs machen. Sie waren aber auch danach, »Wo ist meine Tochter,« fragte sie, nachdem sie Platz genommen. »Wahrscheinlich auf ihrem Zimmer.« – »Sie packt wohl ihre Sachen?« – »Möglich.« – »Sie haben ihr gesagt, daß ich mein armes Kind abhole?« – »Nein! Sie hielt es für gut, sich mir nicht zu zeigen, und ich für noch guter, sie total ungeschoren zu lassen.« – »Dann weiß sie kaum, daß ich hier bin?« – »Von mir nicht.« – »Ich habe mich sehr in Ihnen getäuscht, Frau Buchholz.« – »Bitte, das beruht auf Gegenseitigkeit.« – »Kann ich anders als meiner Idiß Glauben schenken? Können Sie entkräften, was sie mir klagte?« Dabei holte sie einen Brief heraus, den sie mir hinhielt. Er war von Ida und enthielt alle die Anschuldigungen, welche die Mutter mir in ihrem Schreiben aufmutzte. »Ob Ida wohl die Stirn hat, in meiner Gegenwart auf ihren Lügen zu bestehen?« dachte ich. – »Entkräften,« sagte ich zur Schulz, »kann nur Eine diese Behauptungen, Ida selbst. Wir wollen sie rufen lassen. Oder besser, wir gehen hinauf und Sie bleiben hinter der halbgeöffneten Thüre stehen, damit sie jedes Wort vernehmen, während ich mit Ida rede.«
Sie sperrte sich, aber ich blieb auf meinem Stück. Als ich in Ida's Zimmer trat, lag sie auf dem Bette und ruhte von dem Balle aus. So gut hatte ich es nicht gehabt. »Ida,« sprach ich, »Sie wünschen fort von uns, nicht wahr?« – Sie schwieg. – »Ist Ihnen je Unrecht geschehen?« – Wieder keine Antwort. – »Haben Sie jemals gehungert?« – Kein Ton.
Wie die Schulzen wohl hinter der Thür triumphirte.
»Warum beklagen Sie sich Ida?« – »Ich beklage mich ja nicht.« – »Weshalb schrieben Sie denn diesen Brief?« – Sie riß die Augen auf und glotzte das Papier an.
»Ich ... ich dachte mir weiter nichts dabei.« – »Auch nicht, daß Sie mich dadurch kränkten.« – »Das wollte ich nicht. Mama sollte ihn gleich verbrennen.« – »Sie hat ihn mir aber gegeben. Ida, wie konnten Sie es über sich gewinnen, so zu handeln?« – »Frieda sagte mir, Sie hätten gesagt, Sie würden mich aus dem Hause jagen und da ...? – Und da?« – »wollte ich lieber erst schreiben.« – »Und alle Schuld auf mich wälzen?« – »So schlimm meinte ich es nicht.« – »Sie waren nur unüberlegt, nicht wahr?« – »Ja,« sagte sie kaum hörbar. – »Das, will ich auch zu ihrem Besten annehmen. Und nun, Ida, seien sie ehrlich. Sie haben viel gut zu machen, Ida. Wir wollen nicht im Zorn scheiden. Sie thun mir leid armes Kind, aber zusammen bleiben können wir nicht. Ihre Mutter ist da und wird Sie mitnehmen.« Die Schulzen trat ein. Ida wandte sich ab. Wir ließen die Beiden unter sich.
Es dauerte lange, ehe die Schulz wieder herunterkam. Sie war sehr still. Mein Mann, der sich schon auf einen heftigen Disput eingerichtet und mit vielen juristischen Schlauheiten zu unseren Gunsten verbarrikadirt hatte, erwartete nichts weniger als diese vollständige Umkrempelung, welche Hoffnung auf friedfertige Lösung der mehr als branstigen Frage verhieß.
»Sie wolle und könne ihre Tochter nicht frei von Fehl sprechen? äußerte sie, wenn auch Mißgriffe von beiden Seiten vorgekommen sein möchten. Idiß habe sich übereilt, um so mehr, da den Aufmerksamkeiten der Ballherren nach zu urtheilen, ihre Tochter sehr gefallen haben müsse. Drei prachtvolle Bouquets dürfe man nicht unterschätzen. Dann fragte sie, was Herr Kleines für eine Persönlichkeit sei? Ich verwies sie an den Polizeileutnant, der könne genaue Auskunft geben.
Sie mag ihr Glück versuchen, aber die Beiden zusammenzugeben sträubt sich jedes Standesamt, wenn sie hingegen gemeint hat, ich hielte ein Heirathskontor, dann war sie wie Eine, die Blücher für einen verstorbenen Tenor hält, weil er dicht beim Opernhaus steht.
Doris mußte einen Dienstmann besorgen und Mutter und Tochter verließen das Haus. Auf den tausend Mark bestand die Schulz weiter nicht und da sie das Kostgeld überhaupt noch nicht entrichtet hatte blieb dieser Punkt unerörtert. Sie war eine richtige Blindschleiche in Bezug auf die von ihr zu leistenden Moneten.
Am Abend vergaß mein Mann seinen Bezirksverein zum ersten Mal nach langer Zeit, und Doris sang in der Küche. Ich ging zu ihr und fragte warum sie so fidel sei? »et is zu scheen mit det Bauen,« antwortete sie, »man sieht doch mal wat Lebendiges uf'n Hof, un man hat die Schulzen nich mehr hinter sich herum zu stehen. Jott, Idiß, daht se heißen, aber det war ooch Aliens, wat se konnte. Bei die hatt'n Ferd Jevatter jestanden.«
»Doris,« lenkte ich ab, »da doch Maurer im Hause sind, kann einer gelegentlich die Maschine nachsehen, sie rauchte oft recht belästigend.« – »Det lag janz wo anders dran,« lachte Doris, »wenn nämlich Madame in Sicht war, nahm die nunmehr alle jewordene Idissen en ollen düchtigen Feierbrand un blaakte die Küche mit aus. Det schlug denn nu hellisch uf den Asmus un Madam zog Leine. Na ick sage, det war 'ne janze Jerissene. Uebrijens kann't die Maschine nich schaden, wenn so mal ufjemuntert wird. En halber Dag Arbeet wird jut dran sind.«
»Es ist sündhaft kaputmachend mit ihr umgegangen,« mußte ich kopfschüttelnd bestätigen.
»Nehmen wir nu wieder 'ne neie Idiß?« fragte Doris.
Nein, wenn man von Einer, die noch zugiebt, auch nur Unbrauchbarkeit beanspruchen darf, so habe ich mehr davon genießen müssen, als meine bisherige Phantasie sich vorstellen konnte. Man muß des Guten nie zu viel wollen, Doris.«
»Det is et allebend.«