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Mrs. Lecks' Rat befolgend, »duckte« ich mit meinem Kopf unter der Stange hindurch und kam auf der andern Seite wieder zum Vorschein. Mrs. Lecks machte es mir ohne große Schwierigkeit nach, allein Mrs. Aleshine, die infolge ihrer Dicke viel weiter aus dem Wasser ragte, als ihre Freundin und ich, fand es unmöglich, unter der Stange durchzukommen. Wie sie es auch versuchen mochte, sie stieß mit Kopf oder Schultern dagegen und sah sich aufgehalten.
»Na, Barb'ry Aleshine,« sagte Mrs. Lecks, die sie beobachtet hatte, »wenn du jemals aus dem Salzwasser herauskommen willst, dann mußt du dich schon entschließen, etwas davon in den Mund oder die Augen zu kriegen, das heißt, wenn du sie nicht zuhältst. Komm 'mal so nahe an die Stange als du kannst, dann will ich dich runterdrücken.«
Mit diesen Worten kehrte Mrs. Lecks auf die andre Seite der Stange zurück, und nachdem sie Mrs. Aleshine veranlaßt hatte, den Kopf zu neigen und Augen und Mund zu schließen, legte sie beide Hände auf ihrer Freundin Schultern und drückte mit ihrem ganzen Körpergewicht darauf. Mrs. Aleshine verschwand fast unter dem Wasser, aber sie tauchte prustend und blinzelnd auf der andern Seite der Stange wieder empor, wohin ihr Mrs. Lecks rasch folgte.
»Du meine Güte!« rief Mrs. Aleshine, ihr nasses Gesicht mit ihrem noch nasseren Aermel abwischend, »ich hätte nie geglaubt, daß die Heiden so niederträchtig wären, eine Christenseele zu solchen Kunststücken zu zwingen.«
Ich hatte gewartet, um etwa nötigen Beistand leisten zu können, und inzwischen noch eine Stange unter dem Wasser entdeckt, die bewies, daß die Einfahrt beinahe für jeden Wasserstand bei Ebbe und Flut gesperrt war. Meine Begleiterinnen warnend, daß sie sich nicht an diese verborgene Stange stießen, schwammen mir um die Biegung der felsigen Einfahrt und gelangten in die offene Lagune.
Dieser glatte Wasserstreifen, der die Insel von dem umgebenden Riff trennte, war hier etwa hundert Fuß breit, und das erste, was unsre Aufmerksamkeit fesselte, als wir darüber hinblickten, war eine kleine Werft oder Landungsbrücke, die an dem schmalen Strand der Insel, uns beinahe gerade gegenüber, erbaut war. –
»So wahr ich hier stehe,« rief Mrs. Lecks, die niemals ihre aufrechte Haltung zu vergessen schien, »hier leben Menschen.«
»Und es is auch keine stachelige Koralleninsel,« fiel Mrs. Aleshine ein, »denn das is Sand, so glatt, wie ich ihn nur je gesehen habe.«
»Was für Menschen hier auch leben mögen,« fing Mrs. Lecks wieder an, »sie müssen uns aufnehmen, es mag ihnen gefallen oder nicht, un je rascher wir da 'nüber kommen, um so besser.«
Mrs. Aleshine bedauerte jetzt den Verlust ihres Ruders und äußerte den Wunsch, daß jemand, der leicht unter den Stangen hindurchschlüpfen könne, zurückkehren und es holen solle, allein Mrs. Lecks wollte davon nichts hören.
»Laß doch die Ruder Ruder sein,« sagte sie. »Wir brauchen sie nicht mehr, denn ich verlasse diesen Ort nicht wieder, wenn ich mit einem Ruder die See fegen muß.«
Ich erklärte den beiden Frauen, ich könne sie leicht über diesen schmalen Wasserstreifen hinüberschleppen, und nachdem ich Mrs. Lecks angewiesen hatte, meine Rockschöße zu erfassen, während Mrs. Aleshine sich an ihrer Freundin Kleid hielt, fing ich an, mit meinen Gefährtinnen im Schlepptau, langsam dem Strande zuzuschwimmen.
»O, du meine Güte!« rief Mrs. Aleshine plötzlich, heftig ins Wasser schlagend, aus, »seht nur 'mal die Fische!«
Das Wasser der Lagune war klar und durchsichtig wie Krystall, und unter und um uns konnten wir zahlreiche Fische sehen, große und kleine, als ob sie in der Luft schwebten, während in der Tiefe der sandige Grund im Sonnenlicht zu glitzern schien.
»Du brauchst mir der Fische wegen mein Kleid nicht vom Leibe zu reißen,« sagte Mrs. Lecks. »Da draußen waren gewiß gerade so viele, wir konnten sie nur nicht sehn. Aber ich muß sagen, dies Wasser sieht aus, als ob's gekocht un durchgeseiht wäre.«
Wenn einer der Inselbewohner auf der Landungsbrücke gestanden hätte, dann würde er ein eigentümliches Schauspiel auf der Oberfläche der Lagune erblickt haben: den Kopf eines Mannes, bedeckt mit einem nassen, formlosen Strohhut, gefolgt von zwei andern Köpfen, deren jeder einen triefenden Hut trug, während darunter in dem klaren Wasser die zu diesen drei Köpfen gehörigen Körper, in Kleidern, wie sie gewöhnlich auf dem Lande getragen werden, sichtbar waren.
Ich konnte beim Schwimmen weiter nichts vor mir sehen, als eine Masse niedrigen, tropischen Buschwerks, über das einige Palmen und andre Bäume in die Luft ragten. Sobald wir die kleine Landungsbrücke erreicht hatten, von der aus Stufen ins Wasser führten, kletterten wir alle rasch empor und standen bald, mit den Füßen stampfend und unsre Kleider ausschüttelnd, auf der schmalen Brücke.
»Seht Ihr dort das Haus?« fragte Mrs. Lecks. »Dort wohnen sie, un ich möchte nur wissen, welcher Weg dahin führt?«
Von unsrer etwas erhöhten Stellung aus konnte ich über die Wipfel der Gebüsche und niedrigen Bäume hinweg deutlich den oberen Teil eines Daches sehen. Schon als ich die die Einfahrt durch das Riff versperrenden Stangen entdeckt hatte, war ich zu dem Schlusse gekommen, daß die Bewohner der Insel keine Wilden seien, und seit ich die Landungsbrücke und jenes Dach gesehen hatte, war ich vollkommen überzeugt, daß wir den Wohnort civilisierter Menschen erreicht hatten. Es konnten Seeräuber oder sonstiges Gelichter sein, aber es waren gewiß keine Wilden und Menschenfresser.
Nachdem wir die Landungsbrücke verlassen hatten, fanden wir einen breiten Pfad und sahen uns, diesem folgend, bald am Rande einer weiten Lichtung, worin ein hübsches, modernes Haus stand. Es war von der Art, wie sie Europäer in tropischem Klima gewöhnlich bauen, mit durch Läden geschützten breiten Veranden und beschatteten Balkons. Die nächste Umgebung war mit hübschen Anlagen geschmückt, und hinter dem Haus sah man einen mit einer Mauer umgebenen Raum, wahrscheinlich einen Garten.
»Na, das muß ich sagen!« rief Mrs. Aleshine aus. »Ich wollte, ich triefte ein bißchen weniger, wenn ich anständigen Leuten 'en Antrittsbesuch mache.«
»Anständige Leute!« entgegnete Mrs. Lecks entrüstet. »Wenn du zu stolz bist, um so hineinzugehen, wie du bist, dann kannst du dich ja in die Sonne setzen, bis du trocken geworden bist. Ich für meine Person werde nach der Dame des Hauses fragen, un gefalle ich ihr nicht, dann is mir das auch Wurst, wenn sie mir nur 'was zu essen und ein trocknes Bett gibt.«
Ich war zu erstaunt, um sprechen zu können, aber meine Gefährtinnen nahmen alles als selbstverständlich hin. Sie hatten erwartet, sonderbaren Dingen in der Welt zu begegnen, und als sie diese nun sahen, waren sie nicht im mindesten überrascht. Mein Geist war nicht im stande, das Vorhandensein einer solchen Niederlassung auf einer kleinen Insel mitten im Ocean zu fassen. Allein mir den Kopf über diese wunderbare Erscheinung zu zerbrechen, war nutzlos, und es blieb mir auch thatsächlich keine Zeit dazu, denn Mrs. Lecks schritt dreist auf die Hausthür zu und rührte den Klopfer, trat aber dann sofort zurück, um die Veranda nicht zu naß zu machen.
»Wenn jemand kommt,« sagte sie, »werde ich bitten, mich zur Hinterthür einzulassen, damit wir den Fußboden nicht nasser machen, als unvermeidlich is.«
Wir warteten einige Minuten, und dann trat ich, als dasjenige Glied unsrer Gesellschaft, das am wenigsten triefte, an die Hausthür und klopfte noch einmal.
»Ich glaube, sie sin nicht zu Hause,« sagte Mrs. Lecks, nachdem wir wieder längere Zeit gewartet hatten, »aber vielleicht finden wir jemand von den Dienstboten.«
Als wir nun ums Haus gingen, bemerkte ich, daß alle Fensterläden geschlossen waren, und meine Vermutung, daß das Haus verlassen sei, wurde zur Gewißheit, als wir mehrmals an die Hinterthür gepocht hatten, ohne ein Lebenszeichen hervorzurufen.
»Sie sind alle ausgegangen, das is sicher!« meinte Mrs. Lecks.
»Ja, und sie haben den Zugang zur Insel versperrt, als sie weggingen,« fügte ich hinzu.
»Ob wohl ein andres Haus in der Nähe is?« fragte Mrs. Aleshine.
»Ich glaube nicht,« entgegnete ich, »daß diese Gegend sehr dicht bewohnt ist, aber wenn Sie hier ein paar Minuten warten wollen, will ich 'mal um diese Mauer herumgehen und sehen, was dahinter ist. Vielleicht finde ich einige Hütten von Eingebornen oder ein paar Arbeiter.«
Ich folgte dem an der Mauer entlang führenden Pfade, allein als ich das Ende der Umfassung erreicht hatte, sah ich nichts vor mir, als Dickicht und Wald, durch den mehrere Pfade in verschiedenen Richtungen führten. Einem davon folgte ich und gelangte bald wieder auf den offenen Strand an der Lagune dem Riff gegenüber. Aus der Form des Strandes und des Riffs und aus dem allgemeinen Eindruck, den alle Umstände auf mich machten, schloß ich, daß die Insel sehr klein sein müsse, und daß das Haus, das wir gesehen hatten, wahrscheinlich das einzige darauf befindliche sei. Ich kehrte nun zurück und teilte meinen Gefährtinnen das Ergebnis meiner Forschungen.
Jetzt, wo Mrs. Aleshine nicht mehr zu besorgen brauchte, in unordentlichem Anzug vor »anständigen Leuten« erscheinen zu müssen, nahm sie ein ganz andres Wesen an. »Ob die Familie aufs Land gegangen is,« sagte sie, »oder was sie sonst gemacht hat, is mir egal, ich will in das Haus hinein, un zwar sobald als möglich. Wir finden dort gewiß 'was zu essen. Jedenfalls können wir uns trocknen und ausruhen, denn seit vorvoriger Nacht hat nicht eins von uns auch nur einen Augenblick geschlafen.«
»Ich sollte denken,« meinte Mrs. Lecks, sich an mich wendend, »wenn Sie's fertig brächten, die Fenster des obern Stocks zu erreichen, dann würden Sie wohl eins finden, durch das Sie eindringen könnten; dann kommen Sie runter und machen uns die Thür auf. Bei solchen Gelegenheiten wird leicht ein Fenster im obern Stock zu schließen vergessen. Ich weiß, es is nicht recht, mit Gewalt in andrer Leute Häuser einzudringen, aber es bleibt uns ja nichts andres übrig, un langes Reden kann gar nichts nützen.«
Ich stimmte vollständig mit ihr überein. Rock und Schuhe ablegend, kletterte ich an einer der Säulen der Veranda empor und gelangte so auf deren Dach. Diese lief um zwei Seiten des Hauses. Nachdem ich an einer Anzahl Fensterladen vergeblich gerüttelt hatte, fand ich endlich einen, worin eins der beweglichen Brettchen fehlte. Die dadurch entstandene Oeffnung war breit genug, daß ich die Hände dazwischenstecken und noch eins ausbrechen konnte. Nunmehr gelang es mir, den Haken, der den Laden hielt, zu lösen und diesen zu öffnen. Ich würde nötigenfalls eine Fensterscheibe eingeschlagen haben. Dies erwies sich jedoch als überflüssig, da der Verschluß des Fensters nicht befestigt war und die Flügel meinem Drucke nachgaben. Nachdem ich eingestiegen war, sah ich, daß ich mich in einem kleinen Gang am obern Ende einer Treppe befand. Rasch stieg ich hinab und tastete mich durch das Halbdunkel des untern Stocks zu einer Salonthür, die durch zwei Riegel und eine Stange geschlossen war, sich aber ohne Schwierigkeit öffnen ließ.
Hinaustretend rief ich Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine herbei.
»Endlich!« rief diese. »Ich bin wirklich froh, daß ich 'nein komme, un da wir inzwischen unsre Kleider ausgerungen haben, machen wir auch nicht mehr soviel Unordnung.«
Nun traten wir ein, und ich öffnete einige Fensterläden.
»Wir wollen gleich in die Küche gehen un Feuer anmochen, das ist das erste, was wir thun müssen,« sagte Mrs. Lecks.
Allein sie fand dies Haus bald sehr verschieden von denen, woran sie gewöhnt war. Soweit ich von seinem Aeußern einen Schluß auf seine innere Einrichtung ziehen konnte, glich es den englischen Häusern, die ich in Westindien gesehen hatte. Es war ein Gebäude, worin die modernen Ideen in Beziehung auf Bauart und Einrichtung den Forderungen eines tropischen Klimas angepaßt worden waren. Anscheinend besaß es keine Küche. Treppen, die nach einem Kellergeschoß führten, waren nicht vorhanden, und die verdunkelten Zimmer, in die wir nach und nach blickten, waren sicher nicht zum Kochen eingerichtet.
Inzwischen hatte ich das Haus wieder durch die Thür verlassen, wodurch wir eingetreten waren, und entdeckte bald an der andern Seite ein kleines Gebäude mit einem Schornstein. Das mußte die Küche sein, ich war dessen ganz sicher. Thür und Fensterläden waren geschlossen, aber ehe ich einen Versuch machte, sie gewaltsam zu öffnen, kehrte ich ins Haus zurück, um meine Entdeckung zu verkünden.
»Thür verschlossen, was?« fragte Mrs. Aleshine. »Na, wartet 'mal.«
Sie verschwand, kehrte aber nach kurzer Zeit mit einem Bund großer Schlüssel zurück.
»Das is immer so,« erklärte sie, als die beiden Frauen mir nach der Rückseite des Hauses folgten. »Wenn Leute ein Haus abschließen un verlassen, dann legen sie immer alle Thürschlüssel in die hinterste Ecke einer Schublade im Hausflur un nehmen nur den Hausschlüssel mit. Ich wußte also ganz genau, wo ich sie zu suchen hatte.«
»Eine schlechte Henne gackert, wenn sie aufs Nest steigt,« entgegnete Mrs. Lecks. »Eine gute wartet, bis sie ihr Ei gelegt hat. Wir wollen sehn, ob einer der Schlüssel paßt.«
Es war ein großer Triumph für Mrs. Aleshine, daß schon der zweite oder dritte Schlüssel, den ich versuchte, die Thür aufschloß. Eintretend, befanden wir uns in einer ziemlich geräumigen Küche, mit einem großen Herd an einem Ende. Eine Thür führte zu einem Nebenraum, worin sich ein Haufen trockener Zweige und Brennholz befand.
»Nun wollen wir aber, so rasch wir können, Feuer anmachen,« sagte Mrs. Lecks, denn seit ich in das verschlossene Haus getreten bin, fühle ich mich kalt bis auf die Knochen.«
»So is es,« entgegnete Mrs. Aleshine, »un jetzt weiß ich auch, wie behaglich sich ein Fisch im Wasser fühlt, un wie gräßlich naß un schlappig er sich vorkommen muß, wenn er 'rausgeangelt wird.«
Ich trug einige Armvoll Holz und Reisig herbei, suchte und fand eine große Blechschachtel voll Streichhölzer an der Wand, und bald ward meine Mühe durch eine prasselnde Flamme belohnt. Als ich mich umwandte, versetzte mich das Treiben der beiden Frauen in Erstaunen. Ich hatte erwartet, sie vor Kälte schauernd hinter mir stehend zu finden. Statt dessen sah ich, wie sie mit raschen Schritten, ohne ein Wort zu sprechen, hier- und dorthin, zu Geschirrschrank, Anrichte und in die Speisekammer gingen, mit der Sicherheit, womit ein Hund der Spur des Hasen folgt. Aus dem wilden Chaos einer ihnen fremden und abstoßenden Umgebung waren die beiden Frauen in einen Wirkungskreis versetzt worden, wo sie sich vollständig zu Hause fühlten. Die Küche war freilich nicht ganz so wie die, woran sie gewöhnt waren, aber sie war gut ausgestattet, und Instinkt und Uebung ließ sie bald alles finden, was sie brauchten. Zuzusehen, wie die eine den Kessel an der in der Ecke befindlichen Pumpe füllte, während die andre mit einer Theebüchse und einer Blechdose voll Biskuits aus der Speisekammer kam, war wirklich ein Genuß.
»Nun also,« begann Mrs. Lecks, den Kessel übers Feuer hängend und sich einen Stuhl herbeiziehend, »bis wir 'n bißchen getrocknet sind, kocht auch das Wasser, dann wollen wir einen Schluck heißen Thee trinken, un dann is 's am besten, wenn mir zu Bett gehen.«
»Wir wollen uns die Zeit nehmen, un auch en Happen essen,« antwortete Mrs. Aleshine, »denn noch nie im Leben war ich so nahe am Verhungern. Ich habe einen Kasten fast ganz voll Biskuits mitgebracht, un hier sin Sardinen drin; Sie können die Büchse ja wohl leicht mit Ihrem Messer aufmachen.«
Ich legte noch mehr Holz auf, und wir drängten uns dicht um die wärmende Glut. Draußen schien zwar die Sonne heiß genug; das hinderte aber durchaus nicht, daß das Feuer uns sehr willkommen und wohlthuend war.
Als der Kessel zu singen begann, sprang Mrs. Aleshine auf. Sie setzte eine Zuckerdose und einige Tassen auf den Tisch, und bald erfreuten und stärkten wir uns mit heißem Thee, Biskuits und Sardinen.
»Das is zwar keine üppige Mahlzeit,« sagte Mrs. Aleshine entschuldigend, »aber um was Ordentliches zu kochen, haben wir keine Zeit, un je rascher wir unser nasses Zeug, vom Leibe kriegen und Betten finden, um so besser.«
»Wenn ich einmal im Bett bin,« fuhr Mrs. Lecks fort, »dann verlange ich weiter nichts, als daß die Familie nicht eher kommt, als bis ich einen guten, langen Schlaf gethan habe, danach können sie thun, was sie mögen.«
Nach beendetem Thee kehrten wir ins Haus zurück und stiegen wieder die Haupttreppe hinan, die auf einen großen Flur in der Mitte des Gebäudes führte.
»Wir wollen die Vorderzimmer nicht betreten,« meinte Mrs. Lecks, »damit wir nicht mehr Unordnung machen, als durchaus unvermeidlich. Wenn wir nur ein paar kleine Zimmer nach hinten, mit Betten drin, finden, so is es alles, was wir brauchen.« Die erste Stube, in die wir kamen, war ziemlich groß, hübsch möbliert und enthielt eine Bettstelle mit Matratze und Kissen ohne Bezug, »Dies is ein Herrnzimmer,« rief Mrs. Lecks, einen Schrank öffnend, »das nehmen Sie, Mr. Craig. Sehn Sie, da sin Hosen und Röcke. Bettzeug is nicht hier, aber ich will sehn, ob ich welches finde.«
Nach kurzer Zeit kehrte sie mit wollenen Decken, Betttüchern und Kissenbezügen zurück. Die beiden Frauen machten das Bett mit überraschender Gewandtheit und Schnelligkeit, und in wenigen Minuten stand das einladendste Lager vor mir.
Während Mrs. Aleshine ein Kissen zwischen den Zähnen hielt und mit beiden Händen einen Bezug darüber streifte, sah sich Mrs. Lecks mit dem Ausdruck einer aufmerksamen Wirtin im Zimmer um. »Sie werden hier ganz gut aufgehoben sein, Mr. Craig,« sagte sie dabei, »un ich rate Ihnen, so lange, zu schlafen, als Sie können. Wir wollen das Zimmer auf der andern Seite des Flurs nehmen, aber ich will erst mal 'nuntergehn un sehn, daß das Küchenfeuer kein Unheil anrichtet, un die Thüren schließen.«
Ich erbot mich, ihr diese Mühe abzunehmen, allein sie lehnte meine Hilfe entschieden ab. »Wenn sich's um Rudern oder Schwimmen handelt, dann kommen Sie an die Reihe, Mr. Craig, Feuer un Thüren besorg' ich aber selbst.«
Meine Uhr war stehen geblieben, aber ich glaube, es war um die Mitte des Nachmittags, als ich mich zu Bett legte, und ich schlief, bis ich einige Stunden nach Sonnenaufgang des nächsten Morgens durch lautes Klopfen an meiner Thür geweckt wurde.
»Es is Zeit, aufzustehn,« rief Mrs. Lecks' Stimme, »un wenn Ihre Kleider noch nicht ganz trocken sind, dann sehn Sie zu, ob Sie nicht was in dem Schranke finden. Später werde ich ein großes Feuer in der Küche machen un alle unsre Sachen trocknen.«
Ich fand meine Kleider noch sehr feucht, aber nachdem ich den Inhalt des genannten Schranks und einer im Zimmer stehenden Kommode gemustert hatte, konnte ich frische Wäsche und einen leichten Sommeranzug anlegen, der mir leidlich paßte. Sogar Socken und ein Paar Pantoffeln entdeckte ich.
Beim Betreten der Küche riß ich zunächst die Augen weit auf vor Vergnügen und brach dann in lautes Lachen aus. Denn vor mir sah ich einen mit einem weißen Tuche gedeckten Tisch mit Tellern, Tassen und allem sonst Erforderlichen besetzt; am einen Ende stand eine dampfende Theekanne, am andern eine Schüssel mit einer warmen Fleischspeise, und Mrs. Aleshine nahm gerade eine Pfanne mit frisch gebackenen Brötchen aus einem kleinen eisernen Backofen.
»Sie haben gut lachen,« sagte Mrs. Lecks, »aber unsre Kleider waren noch ganz naß, un mir mußten nehmen, was uns in die Hände kam. Für gewöhnlich laufe ich morgens nicht in einem weißen Muslinmorgenrock mit himmelblauen Bändern umher, un was Mrs. Aleshine is, so glaubte ich, wir würden nie was finden, wo wir sie hineinzwängen könnten, es muß aber ein dickes Frauenzimmer in der Familie sein, denn das gelbe Kleid mit schwarzen Knöppen paßt ihr ganz leidlich. Allerdings muß ich sagen, es is ihr viel zu kurz.«
»Ich hätte nie gedacht,« meinte Mrs. Aleshine, als sie hinter der Theekanne Platz nahm, »daß die Heiden so viele hübsche Sachen hätten, besonders Backpulver un holländische Oefen. Ich habe immer geglaubt, sie benutzten ihre Altäre zum Braten un Backen, wenn sie nicht gerade Opfer drauf schlachten.«
»Hast du dir etwa in den Kopf gesetzt, Barb'ry Aleshine,« entgegnete Mrs. Lecks, von der Schüssel mit gesalzenem Ochsenfleisch, die sie zurecht machte, aufblickend, »daß dies Haus gewöhnlichen Heiden gehört? Die meisten Heiden, die auf diesen einsamen Inseln leben, sind, denke ich mir, von den Missionaren bekehrt worden, aber die können die Bibel vielmal vom Ersten Buch Mosis bis zur Offenbarung Johannis mit ihnen durchnehmen, ehe sie sie dahin bringen, Wasserleitung in der Küche un Sprungfedermatratzen in den Betten zu haben. Was ich an dem Hause hier gesehn habe, macht mir den Eindruck, als ob die Bewohner schon lange Christen wären, un zwar entweder Katholiken oder Bischöfliche.«
»Wegen des Kreuzes auf dem Kamin in unserm Zimmer, meinst du wohl?« fragte Mrs. Aleshine. »Aber mögen sie nun Götzen anbeten, oder das englische Gebetbuch brauchen, eins weiß ich: sie haben en furchtbar nettes Haus, un wenn ich bedenke, daß bis zum nächsten Laden ein ziemlich weiter Weg is, dann finde ich, daß dort die Speisekammer viel mehr enthält, als ich in irgend einem mir bekannten Hause zu finden erwarten würde, wenn die Familie abwesend is.«
»Ich bin der Ansicht,« warf ich hier ein, »daß dies Haus irgend einem reichen Manne, wahrscheinlich einem amerikanischen oder europäischen Kaufmann gehört, der auf einer der größeren Inseln, die nicht weit von hier sind, lebt, und diese hier als eine Art von Sommerfrische benutzt.«
»Ich dachte, in dieser Gegend wäre immer Sommer,« sprach Mrs. Lecks.
»Tatsächlich ist es das auch,« erwiderte ich, »es gibt aber gewisse Jahreszeiten, wo der Aufenthalt in einer der Städte, die sich auf diesen Inseln befinden mögen, sehr unangenehm sein muß; und dann kommt der Besitzer dieses Hauses wahrscheinlich hierher, um die frische Seeluft zu genießen.«
»Es kann auch ebensogut sein,« entgegnete Mrs. Aleshine, »daß er irgendwo in der Eisbergregion wohnt und den Winter hier verlebt. Mag dem aber sein, wie ihm wolle, ich meine, es is doch 'n bißchen unvorsichtig, niemand hier zu lassen, der das Haus beaufsichtigt. Es könnten doch Vagabunden einbrechen un dableiben, so lange wie's ihnen gefiele.«
»Das is genau das, was jetzt passiert is,« sagte Mrs. Lecks, »und ich kann auch gar nichts Schlimmes drin finden. Ich glaube nicht, daß die Leute so hartherzig gewesen wären, uns von ihrer Thür fortzuweisen, aber ich habe doch genug im Leben gesehn, um dessen so ganz sicher zu sein.«
»Wie denken Sie sich wohl,« wandte sich Mrs. Aleshine an mich, »daß die Familie hierher kommt un wieder fortgeht. Haben sie ein eignes Dampfboot?«
»Natürlich besitzen sie irgend eine Art von eignem Schiff,« erwiderte ich, »wahrscheinlich eine Jacht. Daß gewöhnliche Dampfer hier nicht anlaufen, ist ganz sicher.«
»Wenn das so is,« sprach Mrs. Lecks, »dann können wir weiter nichts thun, als ruhig hier warten, bis sie kommen, un sie dann bitten, uns in ihrem Schiffe fortzuschicken. Aber ob sie eben von hier abgereist sin, oder bald wieder kommen, das wird wohl davon abhängen, ob sie in einem eiskalten, oder einem brennend heißen Lande wohnen, un wenn sie retour kommen un unser Hiersein gefällt ihnen nicht, dann müssen se sich auf eins gefaßt machen, un des is, daß ich auf keinen Fall mit 'm Schwimmgürtel wieder von hier abreise.«
»Un ich auch nit,« schloß Mrs. Aleshine, mit großem Wohlbehagen ihre dritte Tasse Thee schlürfend.
Als das Frühstück beendet war, schob Mrs. Lecks ihren Stuhl zurück, erhob sich aber nicht sofort. Sie blickte einige Minuten mit dem Ausdruck tiefsten Nachdenkens vor sich hin und wandte sich dann an Mrs. Aleshine, die begonnen hatte, Tassen und Teller zusammenzustellen. »Barb'ry Aleshine,« hob sie an, »laß die Sachen jetzt mal stehn un fang' nicht eher an aufzuwaschen, bis wir das ganze Haus durchsucht haben. Wir müssen das jetzt thun, ehe Mr. Craig ausgeht un nachsieht, was es sonst noch auf der Insel gibt, was er gewiß gern thun möchte.«
Ich erwiderte, das sei allerdings meine Absicht, ich sei aber gern bereit, erst mit ihnen durchs Haus zu gehen.
»Es is mir nämlich eingefallen,« fuhr Mrs. Lecks in sehr ernstem Tone fort, »daß es gar nichts nützen kann, davon zu sprechen, ob die Familie hier oder sonstwo is, ehe wir das ganze Haus durchsucht haben. Wenn wir finden, daß sie, soweit wir das feststellen können, die Insel wohl un munter verlassen haben, dann is alles ganz gut,– aber wenn in dem Haus irgend was vorgefallen is, dann will ich nicht mit dem, was da passiert sein kann, unter einem Dache sein – wenigstens nicht, ohne es zu wissen, un wenn wir das Haus durchsuchen, dann möchte ich, daß ein Mann dabei wäre.«
»Wenn du gestern abend so geredet hättest, Mrs. Lecks,« rief Mrs. Aleshine aus, »dann hätte ich nit mit so ruhigem Puls, wie ich ihn hatte, bis nach Sonnenaufgang geschlafen un dann unter den Kleidern un Unterröcken nach etwas für mich Passendem gesucht.«
Mrs. Lecks antwortete nichts auf diese Bemerkung, sondern erhob sich und schritt vor uns her aus der Küche und dem Hause zu.
Die Zimmer des unteren Stockwerks waren sehr gut ausgestattet. Zunächst kam ein großer Salon, dahinter ein Herrenarbeitszimmer oder eine Bibliothek, während auf der andern Seite des Flurs ein Speisesaal und ein wahrscheinlich als Familienzimmer benutzter Raum lagen. In diesen Zimmern fand sich nichts vor, was auf ein unheimliches Vorkommnis hätte schließen lassen. Hierauf stiegen wir die Treppe hinan, wobei ich vorausging, mährend Mrs. Lecks folgte und Mrs. Aleshine den Beschluß machte. Zunächst betraten wir eins der Vorderzimmer, das ganz dunkel war, allein Mrs. Lecks öffnete einen der Fensterläden. Hierauf untersuchte sie mit düsterer, aber entschlossener Miene das ganze Zimmer, sah in jeden Schrank, selbst unter das Bett. Dies war augenscheinlich eines der Zimmer, wo sie Spuren zu finden erwartete, falls etwas Unheimliches vorgefallen wäre.
Das Zimmer auf der andern Seite des Flurs war dem zuerst untersuchten sehr ähnlich, nur standen zwei Betten darin. Darauf besuchten wir die Stube, die meine beiden Gefährtinnen während der Nacht benutzt hatten und die jetzt dem Prozeß des »Lüftens« unterzogen wurde.
»Hier brauchen wir nit zu suchen,« bemerkte Mrs. Aleshine; allein Mrs. Lecks versetzte sofort: »Hier müssen mir erst recht suchen, ich will vor allem einmal unter die Betten sehn.«
»Barmherziger Himmel!« rief Mrs. Aleshine, ihre Hand auf ihrer Freundin Schulter legend. »Wenn du was findest, hier, wo wir die letzte Nacht geschlafen haben! Mir gerinnt das Blut, wenn ich daran denke!«
»Es is meine Pflicht,« antwortete Mrs. Lecks, »un ich werde sie erfüllen.«
Und sie erfüllte sie, sich gleich darauf mit einem Seufzer der Erleichterung wieder erhebend.
Mein Zimmer wurde derselben sorgfältigen Untersuchung unterzogen wie die andern, und dann kamen einige kleine Stuben am Ende des Hauses an die Reihe, die wir vorher nicht bemerkt hatten. Von einem führte eine steile Treppe nach einem Boden, in dessen dichte Dämmerung ich allein emporstieg.
»Kommen Sie nicht wieder 'runter, Mr. Craig,« rief mir Mrs. Lecks nach, »bis Sie ganz sicher sind, daß nichts da ist. Von allen Stellen im Hause ist gerade der Boden die, wo am ersten so was sein könnte.«
Ich teilte die Besorgnisse, die die beiden Frauen offenbar hegten, keineswegs, unterzog mich aber doch der unangenehmen Aufgabe, in dem dunkeln und heißen Raum umherzukriechen, wobei ich überdies Gefahr lief, durchzubrechen, da der Boden nur stellenweise gedielt war. So überzeugte ich mich vollständig, daß nichts vorgefallen war, es sei denn, es war jemand da oben erstickt und hatte, zerfallend, den Staub gebildet, den ich mit jedem Schritte aufrührte.
»Na also,« sagte Mrs. Lecks, als ich wieder unten angelangt war, »ein Keller is nicht vorhanden, un wir können uns ruhig daran machen un das Frühstücksgeschirr auswaschen. Wenn Sie jetzt spazieren gehn un zusehn wollen, ob Sie ein paar in der Wolle gefärbte Heiden oder sonst jemand auf der Insel finden, so haben wir nichts dagegen; wir fürchten uns jetzt nicht mehr, allein gelassen zu werden.«
Wahrend des ganzen noch übrigen Teils des Vormittags wanderte ich auf der Insel umher. Ich erforschte die Wege, die ich früher bemerkt hatte, und fand, daß jeder von ihnen nach kurzer Zeit zu einem andern schönen und offenen Platz am Strande führte. An einem dieser Punkte bemerkte ich eine ländliche Bank, wo ich zwischen zwei der den Sitz bildenden Latten eingeklemmt, ein vom Regen arg mitgenommenes Buch fand. Ich zog es hervor und sah, daß es ein französischer Roman war. Auf einem der weißen Vorsatzblätter stand »Emily«. Der ganze verdorbene Zustand des Buches machte den Eindruck, daß es schon lange dort gelegen haben müsse, und ich schloß daraus, daß seit der Abreise der Familie schon geraume Zeit verstrichen war, ihre Rückkehr demnach verhältnismäßig bald zu erwarten stand. Bei weiterem Nachdenken schien es mir jedoch, daß der Zustand des Buches nur geringe Beweiskraft habe. Wenige Stunden eines tropischen Regens und Sturms und darauf folgenden brennenden Sonnenscheins konnten genügen, ihn herbeizuführen. Die beiden Frauen waren wahrscheinlich im stande, aus dem Zustand des Hauses und der Vorräte richtigere Schlüsse über die seit der Abreise der Familie verflossene Zeit zu ziehen.
Mein Spaziergang längs des Strandes führte mich in wenig mehr als einer Stunde rings um die ganze Insel. Mit Ausnahme des Hauses, worin wir Zuflucht gefunden, entdeckte ich keine weiteren Spuren des Bewohntseins, ebensowenig eine andre Oeffnung in dem umgebenden Riff, als die gesperrte, wodurch wir eingedrungen waren.
Als ich das Haus wieder erreicht hatte, fand ich, daß die beiden Frauen den ganzen Vormittag sehr fleißig gewesen waren. Sie hatten sozusagen den Haushalt ganz regelrecht in Gang gebracht und dessen verschiedene Obliegenheiten unter sich verteilt. Mrs. Aleshine, die auf ihre Kochkunst stolz war, hatte die Küche übernommen, während Mrs. Lecks die Verschiedenen Zimmer in Ordnung halten und das Anwesen im allgemeinen überwachen wollte. Dies alles wurde mir ausführlich auseinandergesetzt, und als ich die Bemerkung machte, es ließe das darauf schließen, daß sie auf einen ziemlich langen Aufenthalt gefaßt zu sein schienen, antwortete Mrs. Lecks: »Wo ich zu Hause bin, konnte ich nach dem Staub auf den Tischen un dem Klimperkasten ziemlich genau sagen, wie lange die Familie das Haus schon verlassen hat. Aber Staub in Pennsylvanien un Staub auf 'ner Insel, wo's keine Pferde un Wagen gibt, is grundverschieden. Dies Haus is in sehr guter Ordnung zurückgelassen worden, un obgleich die Fenster das Wasser sehr nötig haben, un Fußböden un Treppen geschrubbt werden müssen – was ganz leicht is, da keine Teppiche liegen – un das ganze Haus ein großes Reinemachen und Lüften brauchen kann, sieht's doch so aus, als ob die Familie noch nicht sehr lange fort wäre, un es kann also ziemlich lange dauern, bis sie wieder kommt. Mrs. Aleshine un ich haben alles besprochen, un mir sind zu dem Schlüsse gekommen, daß es am richtigsten is, alles so einzurichten un zu handhaben, als ob wir einen oder zwei Monate hier bleiben müßten. Es kann ja auch ganz wohl länger dauern, bis die Leute wieder kommen. Ich denke, sie werden sich über nichts zu beklagen haben, wenn sie ihr Haus fein in Ordnung, die Fenster spiegelblank, die Fußböden rein und nirgends ein Stäubchen finden.«
»Ich für meinen Teil,« sagte Mrs. Aleshine, »sehe überhaupt nichts, worüber sie sich beklagen könnten. Ich betrachte dies als mit zu unsrer Reise gehörig. Wir kommen zwar auf unserm Weg nach Japan nit viel vom Fleck, das is aber nicht meine Schuld, un auch nicht deine, Mrs. Lecks, ebensowenig Ihre, Mr. Craiss. Wir haben unsre Ueberfahrt nach Japan bezahlt, un damit, daß das Schiff schlecht gesteuert worden und untergegangen is, haben wir gar nichts zu thun. Hierher zu kommen, war nicht im mindesten unsre Absicht, aber wir sin nun mal hier, un ich möchte wissen, wer uns daraus einen Vorwurf machen könnte.«
»Un da wir hier sin,« entgegnete Mrs. Lecks, »wollen wir die Geschichte in Ordnung halten,«
»Soweit ich in Betracht komme,« fügte Mrs. Aleshine hinzu, »möchte ich lieber auf dieser Insel, als auf dem ekligen Schiff, wo sie meiner Ansicht nach ebensowenig vom Haushalt, als vom Steuern verstanden, nach Japan schwimmen.«
»Ich glaube, Ihre Einrichtungen und Pläne sind ausgezeichnet,« sagte ich. »Aber wie steht's mit den Lebensmitteln? Sind genug für eine so lange Zeit vorhanden?«
»Es is beinahe ein ganzes Faß Mehl da,« erwiderte Mrs. Aleshine, »ziemlich viel Thee, Kaffee un Zucker un eine Menge Sachen in Blechdosen un Töpfen. Da draußen is 'ne Art Keller, wo sie die Sachen kühl halten, un da steht ein kleines Fäßchen Butter. So wie sie is, kann sie nit gebraucht werden, sie is 'n bißchen stark, aber ich kann sie auswaschen un durcharbeiten un salzen, un dann is sie ebenso gut wie die beste Butter, die wir auf dem Schiffe gekriegt haben.«
»Sie haben mir ja aber nichts zu thun übrig gelassen,« warf ich ein. »Ich habe keine Lust, träge dabei zu stehen, während Sie alle Arbeit thun.«
»Im Haus gibt's nichts für Sie zu thun,« versetzte Mrs. Lecks, »aber wenn Sie mal in den Garten da gehn wollten, vielleicht finden Sie da Arbeit – das heißt, wenn Sie 'was von Gärtnerei verstehst – es wäre gewiß sehr angenehm, wenn wir etwas frisches Gemüse bekommen könnten.«
Ich erwiderte, daß ich mich früher aus Liebhaberei mit Gartenarbeit beschäftigt hätte und mich freuen würde, wenn ich mich in dieser Richtung nützlich machen könnte.
»Ich habe noch gar nit in den Garten geguckt,« sagte Mrs. Aleshine, »aber von allen Dummheiten, die ich jemals vor Augen gehabt habe, ist die dümmste die, daß sie 'ne Mauer um den Garten gebaut haben, wo's ein Lattenzaun ebenso gut gethan hätte.«
Ich erzählte ihr, daß das in diesen tropischen Ländern Sitte sei.
»Wenn's Mode is,« meinte Mrs. Aleshine, »dann wird's wohl nichts nützen, viel dagegen zu reden, aber wenn sich die Mode mal ändert, dann werden die Leute finden, daß es viel leichter is, einen Stacheldrahtzaun abzureißen, als 'ne steinerne Mauer.«
Dieses Gespräch fand in dem großen Hausflur statt, den Mrs. Lecks in Ordnung gebracht hatte und wohin Mrs. Aleshine soeben von der Küche gekommen war. Mrs. Lecks setzte sich nun auf einen Stuhl, ein Wischtuch in der Hand haltend.
»Es is da noch eine Sache, Mr. Craig,« redete sie mich an, »worüber ich schon mit Mrs. Aleshine gesprochen habe. Wir sin noch zu keiner Entscheidung gekommen, weil wir meinten, es wäre nicht in der Ordnung, etwas zu bestimmen, ehe wir gehört haben, was Sie dazu sagen. Mrs. Aleshine un ich haben schon manche Heimsuchung über uns ergehn lassen und Wege gehn müssen, die uns nicht gefielen, aber darum haben wir die Lebensweise, woran mir in besseren Tagen gewöhnt waren, nicht vergessen un haben sie, soweit wir dazu im stände waren, beibehalten. Als unsre Männer starben, un Mrs. Aleshine mit ihrem Sohn allein zurückblieb, un ich ohne Sohn, was vielleicht ebenso gut is, denn man kann niemals wissen, was aus ihnen wird –«
»Das is richtig,« viel Mrs. Aleshine ein, »denn deiner wäre vielleicht als Kaufmann ins Russische gegangen, un dann hätten wir nit zusammen reisen können.«
»Un als unsre Männer starben,« fuhr Mrs. Lecks unbeirrt fort, »haben sie uns übergenug zum Leben hinterlassen, un wir waren nicht die Frauen, sie un ihre Denkungsart zu denken, zu vergessen, ebensowenig als wir unsre Väter un Mütter vergessen haben.«
»So is es!« bekräftigte Mrs. Aleshine.
»Un jetzt, Mr. Craig,« sprach Mrs. Lecks weiter, »wissen wir nicht, wie Sie's gewöhnt sin, noch überhaupt was über Sie, als daß Sie so gut gegen uns gewesen sin, als ob Sie mit uns verwandt wären, un daß wir ohne Sie nie daran gedacht hätten, hierher zu kommen, un darum haben Mrs. Aleshine un ich gedacht, wir wollten diese Sache Ihnen zur Entscheidung überlassen, un es so machen, wie Sie's haben wollen. Als wir diese lange Reise antraten, haben wir nicht erwartet, was man so sagt, auf Rasen zu wandeln, un weiß der liebe Gott, wir haben gefunden, daß es kein mit Rosen bestreuter Pfad war.«
»Das is wahr!« bestätigte Mrs. Aleshine.
»Un was wir hinnehmen mußten,« fuhr Mrs. Lecks fort, »das haben wir hingenommen. Un also, Mr. Craig, wenn Sie bestimmen, daß das Mittagessen um zwölf Uhr sein soll, wie wir's immer gewöhnt gewesen sin, oder um sechs, wie's auf dem Schiff war – weshalb die Leute ihre Mahlzeiten das oberste zu unterst kehren, begreif' ich eigentlich nicht – dann soll's so sein, und wenn Sie von Jugend auf an sechse gewohnt sin, dann werden Sie von uns kein Wort des Widerspruchs hören, aber Gedanken sin zollfrei.«
Ich war im Begriff, bei diesem Schluß der feierlichen Rede in lautes Lachen auszubrechen, aber ein Blick auf die ernsten Gesichter der beiden Frauen, die meine Entscheidung mit so großer Spannung erwarteten, ließ mich innehalten, und ich beeilte mich, ihnen zu versichern, daß das Mittagsmahl in der Mitte des Tages ganz meinen Wünschen entspräche.
»Gut!« rief Mrs. Aleshine aus, und ihre Augen glänzten vor Freude in ihrem dicken, guten Gesicht, während auch über Mrs. Lecks' scharfe Züge ein Ausdruck der Erleichterung flog.
»Un nu will ich mich dran machen un uns fix was zu essen besorgen,« sagte Mrs. Aleshine. »Wir wußten nit, ob's ein Gabelfrühstück oder ein Mittagessen sein sollte, ehe mir mit Ihnen gesprochen hatten. Heute dürfen Sie also nit viel erwarten, aber morgen wollen wir anfangen, un alles ordentlich un hübsch machen. Ich werde morgen beizeiten aufstehn un einen Vorrat Brot backen, un Sie brauchen sich keine Sorge zu machen, Mr. Craig, ich werde Ihnen schon jeden Abend ein Stück warmes Fleisch zum Abendbrot vorsetzen.«
Am Nachmittag gingen wir alle in den Garten, der, wenn auch jetzt von Unkraut überwuchert, die Anzeichen sorgfältiger Pflege wahrnehmen ließ. Einige Beete lagen brach und mir fanden einige uns unbekannte Gewächse, Aber es waren auch reich mit Früchten behangene Tomaten, eine Menge Bohnen verschiedener Arten und ein großes Stück mit Kartoffeln vorhanden.
Während Mrs. Lecks und ich diese noch betrachteten, hörten wir einen Freudenschrei von Mrs. Aleshine, die nach dem unteren Ende des Gartens gewandert war. Zu ihr eilend, fanden wir sie vor einem langen Spargelbeet.
»Na!« rief sie, »wenn's irgend was geben kann, was mich darüber beruhigt, daß die Leute Christen sin, dann is es dieses Beet, Ich glaube nit, daß es Heiden gibt, die Spargeln ziehen.«
»Ich dachte, darüber wären wir uns schon klar gewesen, als wir das Backpulver fanden,« meinte Mrs. Lecks.
»Aber dies nagelt die Geschichte fest,« erwiderte ihre Freundin. »Aus einem Spargelbeet kann ich zwar nit entnehmen, zu welcher Kirche sie gehören, aber Götzendiener sin sie nicht.«
Am nächsten Morgen lieferte ich der freundlichen Mrs. Aleshine einen großen Korb frischen Gemüses ab, und wir hatten ein ausgezeichnetes Mittagessen. Zu meiner Ueberraschung war aber der Tisch nicht in der Küche gedeckt, sondern im Speisezimmer.
»Mrs. Aleshine un ich sin der Ansicht,« erklärte Mrs. Lecks, »daß es sich für Sie nicht schickt, in der Küche zu essen, un für uns auch nicht. Hier sin Tischtücher un gutes Glas un Porzellangeschirr un Löffel un Gabel, und wenn sie auch nicht von echtem Silber sin, so sin sie doch so gut plattiert, daß niemand daran Anstoß nehmen kann. Wir sin alle drei keine Dienstboten, un die Küche is kein Platz für uns.«
»So is es!« sagte Mrs. Aleshine. »Wir haben die Ueberfahrt für die erste Kajüte bezahlt, un 's war ausgemacht, daß wir alles erster Sorte haben sollten.«
»Was gar nichts mit der Sache zu thun hat, Barb'ry Aleshine,« antwortete Mrs. Lecks, »denn die Dampfschiffmenschen geben gewöhnlich keine einsamen Inseln als Zugabe.«
»Wir haben auch gar keine Insel verlangt,« versetzte Mrs. Aleshine, »un wenn das Schiff richtig gesteuert worden wäre, dann hätten wir auch gar keine nötig gehabt.«
Als wir unser Mahl beendet hatten, schob Mrs. Lecks ihren Stuhl zurück und saß einige Minuten in Gedanken, wie das ihre Gewohnheit war, wenn sie etwas Wichtiges zur Sprache bringen wollte.
»Eins habe ich mir noch überlegt,« hob sie endlich an, »habe aber noch nicht davon gesprochen, selbst nicht zu Mrs. Aleshine. Wir haben kein Recht, hierher zu kommen un die Lebensmittel aufzuessen un die Sachen der Leute, denen das Haus gehört, zu benutzen, ohne dafür zu bezahlen. Daß wir nicht auf der bloßen Erde schlafen un hungern, wenn wir Betten un Nahrungsmittel haben können, versteht sich von selbst. Aber wenn wir sie für uns verwenden, dann müssen wir die Leute, denen sie gehören, dafür bezahlen – das heißt, wenn wir das Geld dazu haben, un Mrs. Aleshine un ich haben Geld. Als wir in unsre Kabine hinuntergingen, um uns zum Verlassen des Schiffs fertig zu machen, war das erste, was wir thaten, daß wir unsre Börsen in die Tasche steckten, wir haben außerdem Wechsel in Wachstuch gewickelt, im Futter unsrer Kleider eingenäht, un wenn Sie Ihr Geld mitzubringen vergessen haben, können wir Ihnen borgen, was Sie brauchen, Mr. Craig.«
Ich dankte für das freundliche Anerbieten und teilte ihnen mit, daß auch ich mein Geld gerettet hätte.
»Ich bin nun der Ansicht,« fuhr Mrs. Lecks fort, »daß wir jede Woche regelmäßig unser Kostgeld bezahlen. Was in dieser Gegend der ortsübliche Preis is, weiß ich nicht; aber ich weiß, daß man da, wo ich zu Hause bin, für sechs Dollars wöchentlich sehr gute Pension erhalten kann.«
»Das heißt für zwei Personen in einem Zimmer,« warf Mrs. Aleshine ein, »da er aber ein Zimmer für sich hat, würde es für Mr. Craig etwas mehr machen.«
»Er kann nichts dafür,« antwortete Mrs. Lecks etwas scharf, »daß er nicht einen Bruder oder einen Freund bei sich hat, der mit ihm das Zimmer teilt un einen Teil der Kosten übernimmt. Die Stube is auch nicht sehr groß und ich bin der Meinung, daß er nicht mehr zu bezahlen braucht, weil er ein Zimmer für sich hat. Sieben Dollars ist vollständig genug.«
»Du darfst aber nicht vergessen,« wandte Mrs. Aleshine ein, »daß wir das Kochen un die Hausarbeit besorgen, das müßte doch auch berechnet werden.«
»Da wollte ich eben drauf kommen,« entgegnete Mrs. Lecks. »Wenn ich un Mrs. Aleshine in Dienst gingen, was wir gewiß nicht thun werden, wenn nicht die Verhältnisse ganz anders werden, als sie sind –«
»Sehr richtig!« warf Mrs. Aleshine ganz ernsthaft dazwischen.
»Aber wenn wir's thäten,« fuhr Mrs. Lecks fort, »würden wir keine Stelle unter zwei Dollars wöchentlich annehmen. Ich habe nun allerdings immer gehört, daß in dieser Gegend die Löhne sehr niedrig sind, un für zwei is die Arbeit auch nicht sehr groß, un dann is ja auch die Familie nicht da, um ihre eigenen Bedingungen zu stellen. Ich meine also, wir setzen unsern Lohn auf zwei Dollars fest, so daß also jede von uns beiden noch vier Dollars wöchentlich zu bezahlen hat.«
»Wie wird's aber mit Mr. Craig?« fragte Mrs. Aleshine. »Er soll doch nicht umsonst im Garten arbeiten?«
»Fünfzig Cents täglich,« entgegnete Mrs. Lecks, »is das wenigste, wofür ein Mann arbeiten würde, un dann nicht den ganzen Tag. Wir würden also drei Dollars an Mr. Craigs Kostgeld in Abzug bringen, so daß er, ebenso wie wir, vier Dollars wöchentlich zu bezahlen hat.«
Ich erklärte mich mit diesen Festsetzungen vollkommen einverstanden, allein Mrs. Aleshine schien noch nicht überzeugt, daß sie der Billigkeit entsprächen.
»Wenn 'en Frauenzimmer in Dienst geht,« meinte sie, »dann kriegt sie freie Station un noch Lohn dazu, un mit Gärtnern is es ebenso.«
»Dann müßten wir also den Leuten unsern Lohn in Rechnung stellen,« sagte Mrs. Lecks, »un wenn sie kommen, uns was 'rauszahlen lassen?«
Diese Frage machte Mrs. Aleshines Einwendungen ein Ende, und Mrs. Lecks fuhr fort: »Dort auf 'm Kaminsims steht so 'n Topf, einer von der Art, wo gewöhnlich der ostindische Ingwer drin kommt. Es is jetzt nichts drin, als etwas braunes Papier, worin einige Angelhaken eingewickelt sin. Wir sin am Mittwoch hier angekommen, jeden Dienstag abend werden wir also jedes vier Dollars in den Topf unter das braune Papier legen, un wenn dann die Familie bei Tag oder bei Nacht eintrifft un wird unangenehm wegen unsres Hierseins, dann brauchen wir nur zu sagen: ›Das Kostgeld liegt im Ingwertopf‹, un unser Gewissen is frei.«
Mrs. Lecks' Vorschlag wurde als passend und der Billigkeit entsprechend angenommen, und nach Ablauf der Woche legten wir jedes unsre vier Dollars in den Topf.
Ich glaube nicht, daß jemand von uns, während wir das Haus bewohnten, einen Versuch machte, die Verhältnisse der Familie ausfindig zu machen, obschon wir begreiflicherweise neugierig waren, etwas darüber in Erfahrung zu bringen. Die Gelegenheiten, diese Neugier zu befriedigen, waren jedoch sehr selten. Selbst wenn wir gewillt gewesen wären, die Schreibtische und ähnlichen Möbel, die das Haus enthielt, zu durchsuchen, hätte sich dem die Schwierigkeit entgegengestellt, daß sie alle verschlossen waren, und die beiden Frauen fanden nirgends einen alten Briefumschlag oder ein andres Papier, worauf eine Adresse gestanden hätte. Ich erklärte ihnen, daß Briefe und dergleichen kaum nach einem, aller regelmäßigen Verbindungen entbehrenden Orte kämen, allein sie fuhren fort, sich stets scharf danach umzusehen, und meinten, den Namen der Leute zu lesen, in deren Haus sie sich befanden, sei doch kein Unrecht.
In einigen der in den Bücherschränken stehenden Bücher – etwa ebensoviel englische als französische und einige deutsche – fand ich die Namen »Emily« und »Lucille« und auf dem Titelblatt einiger französischen Geschichtswerke stand in der Handschrift eines Mannes »A. Dusante«. Ueber diese Namen sprachen wir sehr viel, konnten uns aber nicht darüber einigen, ob die Familie englisch oder französisch sei. Es war zum Beispiel gar kein Grund vorhanden, weshalb eine Engländerin nicht den Namen »Lucille« führen sollte, und selbst der Zuname »Dusante« war nicht ungewöhnlich für einen Engländer oder Amerikaner. Die auf den Packgefäßen und Blechbüchsen mit Lebensmitteln befindlichen Aufschriften zeigten, daß sie meist von San Franzisko stammten; das war aber sehr natürlich und ließ einen Schluß auf das Heimatsland der Familie nicht zu.
Auch die Frage, in welcher Weise die drei Personen, deren Vorhandensein wir entdeckt hatten, miteinander verwandt seien, beschäftigte die beiden Frauen sehr angelegentlich.
»Ich kann mir nicht darüber klar werden,« meinte Mrs. Aleshine, »ob Emily Lucilles Mutter, oder ihre Tochter is, oder ob sie alle beide Mr. Dusantes Kinder sin, oder ob er mit Lucille verheiratet is un Emily is seine Schwägerin, oder ob sie seine Schwester un nit ihre is, oder ob er der Onkel is un die beiden sin seine Nichten, oder ob Emily eine alte Frau is, un Mr. Dusante un Lucille sin ihre Kinder, oder ob sie zwei alte Jungfern sin un Mr. Dusante is ihr Bruder, oder ob Mr. Dusante nur ein Freund der Familie is un mit hierher kommt, weil zwei Frauenzimmer doch nit an einem so einsamen Ort leben können, ohne daß ein Mann im Hause is.«
»Na,« entgegnete Mrs. Lecks, »ob Mr. Dusante mit zwei Nichten wiederkommt, oder mit Frau und Tochter, oder mit Mrs. Dusante un seiner Schwiegermutter, oder mit ein paar Schwestern, is ganz egal, wir brauchen weiter nichts zu thun, als zu sagen: ›Das Kostgeld liegt im Ingwertopf‹, un dann können sie machen, was sie wollen.«
Ich glaube nicht, daß ich in meiner Eigenschaft als Gärtner den Lohn verdiente, den mir meine Gefährtinnen angerechnet hatten, denn ich that weiter nichts, als daß ich die Früchte und Gemüse, die ich zum Gebrauch für reif hielt, sammelte und in die Küche schaffte. Ich machte mich indessen unserm kleinen Haushalt auf andre Weise nützlich. In einem in meinem Zimmer stehenden Schranke hatte ich Gewehre und Schießbedarf gefunden, und dadurch war es mir ermöglicht, Geflügel zu beschaffen. Einige der von mir geschossenen Vögel erklärte Mrs. Aleshine zwar für ungenießbar, andre dagegen bereitete sie mit großer Geschicklichkeit zu, und wir fanden sie sehr schmackhaft.
Nicht weit von der früher erwähnten Landungsbrücke stand in einem Gebüsch niedriger Palmen versteckt ein Bootschuppen, und darin befand sich ein Kahn. Diesen brachte ich zu Wasser, und es machte mir großes Vergnügen, damit auf der Lagune umherzurudern. Auch Fischereigeräte fand ich in dem Bootschuppen, die ich mit großem Erfolg gebrauchte, da die Lagune von Fischen wimmelte. Gaben dieser Art waren Mrs. Aleshine noch willkommener, als die von mir geschossenen Vögel.
»Es gibt manche Sorten Fische, die besser sin, als andre,« meinte sie; »aber im allgemeinen is Fisch Fisch, un wenn man sie fängt, kann man sie auch sicher essen. Mit Vögeln ist das was andres. Wenn man sie nie gesehn hat, kann man nit sagen, ob sie nit 'ne Art von Eule, oder Habicht oder Krähe sin. Un wenn ich mir's mal in den Kopf gesetzt habe, daß sie zu dieser Freundschaft gehören, dann bekommen sie mir ebenso schlecht, als ob's wirklich wahr wäre.«
Eines Nachmittags, als ich im Boot von der Landspitze an der andern Seite der Insel zurückkehrte, wo ich die ländliche Bank und Emilys Buch gefunden hatte, war ich überrascht, Mrs. Lecks und Mrs. Aleshine am Ende der Landungsbrücke zu finden. Da sie sehr fleißig und selten müßig waren, und das größte Vergnügen darin fanden, die Arbeiten zu besprechen, die sie vornehmen wollten, wenn die im Gange befindlichen beendet sein würden, so war dies etwas ganz Ungewöhnliches. Ich war deshalb neugierig zu erfahren, weshalb sie so unthätig auf der Landungsbrücke standen, und ruderte so rasch als möglich zu ihnen.
»Dusantes kommen,« rief Mrs. Aleshine freudig, als ich in Rufweite gelangt war.
Die Ebbe hatte beinahe ihren tiefsten Stand erreicht, so daß ich nicht über das Riff hinwegsehen konnte, allein ich machte das Boot rasch fest und sprang auf die Landungsbrücke.
»Na, also, Barb'ry Aleshine,« sagte Mrs. Lecks, »jetzt wirst du ja bald erfahren, ob's seine beiden Nichten sind, oder seine Töchter, oder seine Frau und Schwägerin, oder was für 'ne Art von Verwandtschaft es is, was dich so beunruhigt hat.«
»Ja,« entgegnete Mrs. Aleshine, »aber vor allen Dingen werden wir sehn, ob er mit dem Kostgeld, das wir in den Ingwertopf gelegt haben, zufrieden is.«