Otto Stoessl
Egon und Danitza
Otto Stoessl

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III

Im Herbst erbittet und erhält Egon de Alamor neuerliche weitgehende Vergünstigungen, um seinen Studien für die bevorstehenden Prüfungen in Ruhe obliegen zu können. Vormittags bekommt er keine Arbeit, nachmittags braucht er dafür auch gar nicht mehr ins Amt zurückzukehren. Er trägt eine ernste Miene zur Schau, den Gönnern und Gläubigern gegenüber zugleich demütig und verheißungsvoll. Nächstens muß er ja seine beiden Prüfungen glanzvoll bestehen, dadurch den reichlicheren Gehalt des definitiven Beamten und die ersehnte gute Partie erreichen. Allerdings steckt er nach wie vor tief in seinen ständigen Geldsorgen und Verlegenheiten, aber er vermeidet es, seine ohnehin geduldigen, das heißt beinahe schon verzichtenden Hauptgläubiger anzugehen, sondern hält sich an die jüngeren Leute und schickt ihnen von Hand zu Hand verstohlen kleine Zettelchen, auf denen bescheidene Beträge von einer bis fünf Kronen aufgemalt sind. Er bekommt manche dieser Schuldscheine ohne bare Münze zurück, auf anderen ist die Summe bedeutend gekürzt. Diese Anleihen sind nicht der Rede wert und gelten als unvermeidliche Besteuerung. Zuweilen findet er sich 68 freilich bei einem seiner vielen Vertrauten ein, beginnt zu weinen und hochatmend ein neues Unglück zu berichten, das ihn an den Abgrund des Verderbens gedrängt, von welchem ihn nur ein Darlehen von mindestens fünfzig Kronen zurückreißen könnte. Aber wenn er daraufhin eine oder zwei Kronen erhält, ist ers auch zufrieden, verläßt hocherhobenen Hauptes mit dem schön gebügelten Zylinder das Amt und wird dann abends in einem Theater bei irgend einer beliebten Operette oder in einem andern Vergnügungslokal an der Seite seiner hübschen Braut gesehen. Tags darauf gibt er dem Bureau im angeregtesten Nachgenuß der Kunst eine Erzählung zum besten, wie das Tanzduett von der Soubrette und dem gefeierten Komiker gesungen, gespielt und bewegt worden sei. Dabei zeigt sein Antlitz eine von der niedrigen Musik versüßte Einfalt, aber seine schlanken Beine und Hüften und Arme gebärden sich geschickt, alle gehörten Witze der berechnenden Theatersinnlichkeit nachzuahmen und zu vergegenwärtigen. Gelehrig erbat er sich von manchen Herren Ratschläge, wie er einen Nebenerwerb ausfindig machen könnte und beteuerte den besten Willen, sich aus seinem Ungemach herauszuarbeiten. Dabei legte er die Hand aufs Herz und sah sein Gegenüber 69 gerührt an. Er berichtete nicht ohne Vergnügen im Verdruß, wie er soeben auf eine Zeitungsanzeige hin, die reichlichen Nebenverdienstnachweis gegen Einsendung eines einmaligen Spesenbeitrages verheißen, etliche Kronen nach Deutschland geschickt und daraufhin eine freche Broschüre erhalten habe, welche die wertlosesten Ratschläge für unmögliche Unternehmungen unter höhnenden Mahnungen vor Schwindel und Übervorteilung zum besten gegeben. Einer seiner Gläubiger, der mit vielen schriftlichen Arbeiten zu tun hatte, riet ihm, auf der Schreibmaschine klimpern zu lernen und sich eine etwa gegen Ratenzahlungen zu beschaffen. Egon sagte begeisterten Dank für diesen nützlichen Wink und sah schon ein blühendes Feld leichter Arbeit, des Gelingens und einer Rente vor sich. Am nächsten Tage bereits weiß er strahlend zu melden, wie er ganz umsonst in den Besitz einer Schreibmaschine gelangt, welche daher den Namen »Ideal« in jeder Hinsicht verdiene. Er gibt diese Geschichte zum besten: In der Schule habe er mit einem jungen Israeliten, seinem Banknachbar, einen freundschaftlichen häuslichen Verkehr gepflogen, dem nur seine fernere Laufbahn ein Ende gesetzt. Gestern sei ihm eingefallen, daß der Vater dieses Kollegen ein 70 Schreibmaschinengeschäft betreibe. Gleich am Nachmittage habe er den Laden des werten Juden aufgesucht und sich ganz erstaunt in einem großen, hochmodernen Geschäfte gefunden. Auf die Frage nach dem jungen, sei der alte Weiß erschienen mit der Auskunft, sein Sohn diene augenblicklich beim Militär und mit der Gegenfrage, was der Herr eigentlich wünsche. Egon erwiderte, ob man ihn denn garnicht wiedererkenne. Nach kurzer eindringlicher Betrachtung habe Samu Weiß freudig ausgerufen: »Egon de Alamor beim allmächtigen Gott! Und was für ein netter junger Mann sind Sie geworden!« Weitläufig und unter sorgfältiger Nachahmung des Jargons, dessen sich der Gönner bedient, gab Egon den Gang des Gespräches wieder. Auf seinen bescheiden vorgebrachten Wunsch nach möglichst günstiger Erwerbung einer Schreibmaschine habe der Geschäftsinhaber gesagt: »Mein Sohn, ich weiß, du bist ein anständiger Mensch und ein braves Kind aus gutem Hause« – es war nun einmal seine Art, wenn er vertraulich wurde, auch einen Erwachsenen zu duzen, wie in der vergangenen Zeit – »was soll ich mit dir Geschäfte machen, wenn du Geld hättest, kämst du nicht zu mir um eine Maschine! Der alte Weiß braucht kein Geld von dem Sohn einer armen Witwe. 71 Ich hab' ja deinen seligen Vater gekannt, welch ein Ehrenmann! Du sollst eine Maschine bekommen. Ein Lump hat mir eine abgekauft, ohne sie zu bezahlen und sie gleich versetzt, so daß ich sie noch von der Pfandleihanstalt habe auslösen müssen. Sie ist wie neu, du sollst sie haben. Du kannst hier gleich auch schreiben lernen, geschickt bist du ja und wirst bald die Kunst heraus haben. Ich freu' mich, daß du den alten Weiß und meinen Sohn nicht vergessen hast. Geht es dir einmal gut, so zahlst du mir die Maschine, wenn du willst. Es ist mir ein Vergnügen, und du sollst deiner Frau Mama das Leben erleichtern. In mein Geschäft kommen Leute genug, die Schreibereien vergeben wollen, so kann ich dir immer auch Arbeit verschaffen. Ein junger Mann braucht ja dies und jenes. Das verdient man sich dann so im Klimpern.« Und so erhielt Egon das »Ideal« wirklich auf seine schönen Augen hin, bewarb sich auch im Bureau um Bestellungen und verhieß die schönsten Kopien. Der ihm den guten Rat erteilt hatte, vertraute ihm ein Manuskript an, mußte aber sehr lange auf die Abschrift warten, die endlich recht schleuderhaft und ungeschickt und als willkommene Abzahlung seiner Schuld an diesen Gläubiger von Egon abgeliefert wurde. Weiteren Aufträgen von 72 dieser Seite wußte er sich zu entziehen. Über seinem Nebenerwerb waltete aber ein gewisser Unstern. Nach etlichen Wochen des eroberten »Ideals« schrieb er nämlich bereits so gewandt, wie er erzählte, daß er bei der Arbeit eine Zigarette genießen konnte. Diese legte er einmal so ungeschickt beiseite, daß sie das Werk in Brand setzte, wobei edle Teile verletzt und Herr Samu Weiß mit einer ansehnlichen Reparatur beglückt wurde, welche er nicht ohne gerunzelte Stirne und ärgerliche Mahnungen übernahm, eine Schreibmaschine sei kein Kinderspiel. Nach weiteren Wochen zeigte sich Egon empört, man wolle ihn nun auch dieser Möglichkeit des Verdienens berauben, aber er werde sich das nicht gefallen lassen. Der Zimmerherr seiner Mama habe sich nämlich über das Geklimper beschwert und mit der Kündigung gedroht, wenn es nicht aufhöre. Egon versicherte indes, er wolle sich der Tyrannei dieses Herrn nicht fügen. Auf spätere Fragen, wie der Streit ausgegangen sei, nickte er gedankenvoll lächelnd: »Ach, wenn Sie wüßten, man kann ja nicht alles erzählen. Es gibt wunderliche Dinge auf der Welt.« Man drang nicht weiter in ihn, denn wenn die Sache so weit war, würde er sie schon ausläuten. In der Tat kam er eines Tages bestürzt ins Bureau, die Augen 73 rollend, die Wangen glühend, den Mund weit offen. Er nahm den Weltmann, den eleganten Konzipisten beiseite und fragte ihn flüsternd um die bei Zweikämpfen üblichen Sitten und Gebräuche, und ob ihm der Herr Doktor gegebenenfalls beizustehen die Güte haben wolle. Der Konzipist machte ihm allerhand Werke namhaft, aus denen er die nötigen theoretischen Kenntnisse von Ehrenhändeln und ihrer ritterlichen Schlichtung sich aneignen könne: Das Duell, Der Ehrenkodex, Der Mann von Ehre, Leitfaden der Waffenhändel, oder wie diese ansehnlichen und gefährlichen Bücher hießen, aus welchen man sich zum perfekten Zweikämpfer heranlesen kann.

Glücklicherweise schien am nächsten Tag die Sache schon wieder vollkommen beigelegt, Egon leuchtete von Genugtuung, offenbar hatte sich das Unwetter verzogen, und er stand als tapferer Mann ohne Probe da.

Das war nämlich so zugegangen:

Die de Alamors hatten stets, wie sich ja auch bisher schon gezeigt, Glück in ihrem Unglück, planvolle Vorbereitungen brachten zur rechten Zeit immer neue Hoffnungen empor und schoben die Schwierigkeiten hinaus. Da sie den rechten Weg nicht gehen mochten, wußten sie alle Auswege 74 für morgen und übermorgen, zogen immer einen neuen glänzenden Faden getrost durch das graue Elendtuch und hießen diese Gabe: Klugheit und wohlverdiente Entschädigung für ihre vielfach ungerecht erduldete Unbill. Namentlich die Mama de Alamor verstand sich auf diese Art von Webekunst vortrefflich und saß daheim immerzu bei dieser eiteln Spinnerei, denn das wollte sie freilich nicht Wort haben, daß das bißchen leidige, wirkliche und mögliche Glück sauer erworben und mit beiden Arbeitshänden gehalten und gezwungen werden muß und wahrlich eher einem abgewehrten Unheil und bescheidenen Regendach gegen die Ungunst der Zeit, als einem wolkenlosen und entgegenkommenden Triumphe gleichsieht. Sie wollte es vielmehr durchaus nur anerkennen als einen Haupttreffer in barer Münze, als schlau angeheiratete Mitgift und Rente, als krönende Erbschaft, als Schloß mit Pferden und Lakaien und Hofstaat, als Prunkgewand und Lohn der angeborenen Vortrefflichkeit. So hatte sie für Egon eine reiche Heirat ausgemittelt, die nun auf dem besten Wege war, und ein gleiches Ziel suchte sie auch ihrer Tochter herbeizuwinken, welches sich in Gestalt eines Zimmerherrn in der Tat zu nähern schien. Da sie ihr stattlich eingerichtetes Gemach 75 in der besten Lage – fünf Minuten vom Opernhause – mit separiertem Eingange und bei einer gebildeten Familie nur an einen Mietherrn von Stande zu vergeben gedachte und bescheidene Handlungsgehilfen oder fröhliche Studenten schnöde von ihrer Tür wies, gelang es ihr in der Tat, einen jungen Mann zu gewinnen, der allen Anforderungen entsprach. Dieser Herr, Charles Heinlein, war elegant, hochgewachsen, pechschwarzhaarig, Beamter in einem Ministerium und, wie sie bald ermittelte, Sohn vermögender Eltern, welche in einer berühmten Sommerfrischgegend ein renommiertes Hotel führten, so daß er sicherlich ein namhaftes Erbe zu gewärtigen hatte. Gern gab er sich der Frau Alamor in ganze Pension, da sie ihn durch eine leichte und würzige Kost, sowie mit Hilfe eines geduldigen Dienstmädchens durch eine mütterliche Fürsorge für seine Kleider und Wäsche recht liebenswürdig zu fesseln wußte. Wer der Sklave seines eigenen Wohllebens ist, wird ja immer auch der Sklave anderer Leute, von denen dieses Behagen abhängt, und so befand er sich bald im Netze der glückspinnenden Witwe, indes er den Kopf für seine höheren Lebenszwecke freizubehalten glaubte. Denn er war einer von den Hansdämpfen der Großstadt, die ich Sauser nenne, weil sie 76 bei allen Gelegenheiten, auf allen Plätzen, überall wo es ein Vergnügen, einen Pomp, eine festliche Veranstaltung gibt, einen freiwilligen und großartigen Lärm veranstalten, wie afrikanische Wettermacher und Regenzauberer. Überall anwesend, stehen sie geschäftig herum und wimmeln wie die Fliegen auf dem Käse, als liege und stinke der nur für sie. Die Sauser sitzen denn an sämtlichen Auslaufröhren der städtischen Glückseligkeit und schmatzen überall den besten ersten Schluck. Im dauerhaftesten Müßiggang erfrischen sie sich anstrengend und eignen sich unnachsichtig als ihr Recht an, was irgend von anderen gedacht, geschafft oder besessen wird.

Also liebte es auch Herr Charles Heinlein als Sauser nebenbei, wo es eben ging, von gelegentlichen Blüten zu nippen, eine Wohltat, die er den Blüten erwies. Frau de Alamor bemühte sich keineswegs, ihre hübsche Tochter Anna vor ihm zu verstecken, vielmehr präsentierte sie das vielversprechende junge Mädchen mit Vorliebe in allen von der Natur gewährten, von der Erziehung verstärkten Reizen. So bewegte sich die Kleine in der zierlichsten Hauskleidung als tüchtige Wirtschafterin vor dem Zimmerherrn, oder saß wieder, mit einem spitzenbesetzten Schmuckschürzchen angetan, 77 träumerisch vor dem Pianino und spielte Klavier. Wie unverständig müßte der Mieter gewesen sein, wenn er so viel Reiz nicht wahrgenommen, geschätzt, schließlich begehrt hätte. Hingegen schien die Mama de Alamor seine erwachende Aufmerksamkeit für ihre Tochter vorerst nicht zu bemerken, sie wußte nichts von den bewundernden Worten, die er an Anna wie das Kleingeld seiner Gefühle austeilte, nichts von den vielsagenden Händedrücken der Begrüßung beim Kommen und Gehen, von Annas Lächeln und Lachen dazu, welches so erfrischt und schauernd klang, als stiege ein Mädchen in ein recht kaltes Bad. Die Mama sprach höchstens unter vier Augen mit der Tochter von den Gefahren dieses Glücksfeldzuges, dessen kühne Operationen sie recht wie ein moderner Feldherr aus der Entfernung leitete. Sie nahm befriedigt den Fortgang und die Steigerung des Gefechtes wahr, wie allmählich bedeutende größere und kleinere Blumenspenden zugleich mit den Wangen des Mädchens höher erblühten, wie Herr Heinlein heute einige Freibillette, an welchen es einem Sauser bekanntlich niemals fehlt, zu einem Variété oder Promenadenkonzert, morgen zu einer Theatervorstellung darbot. Dann ließ sich Mama de Alamor samt Tochter herbei, der Einladung zu folgen, Anna legte für den Abend 78 eine verlockende Jungemädchentracht mit keusch geöffnetem Halsausschnitt an, welcher unter den Blicken des Mieters errötete. Diesem schmeichelte es, mit einer so hübschen Dame öffentlich gesehen zu werden, doch vergaß er, daß dies in Gegenwart der Mutter geschah, oder er legte diesem Umstande nicht die genügende Bedeutung bei. Und schließlich kam es sogar zu vertraulichen Augenblicken ohne beaufsichtigenden Zeugen zwischen Tür und Angel, beim Kommen und Gehen, zu stürmischen Zärtlichkeiten, die kühl und hart abgewehrt, oder unzulänglich erwidert wurden, bis eines Tages Mama de Alamor mitten in eine solche Szene trat, zu rechter Zeit, wie der alte Theatergott, fähig zu segnen oder zu fluchen, auf jeden Fall unangenehm zu werden. Herr Heinlein, der Sauser hatte derart seinen Hieb bekommen und war an diese Wand gedrückt. Anna entlief aufschluchzend, die Mutter stand mit einer Miene, die Rechtfertigung und Werbung gebot, stumm vor ihm, er stammelte etwas Undeutliches und hatte gerade noch Kraft genug, das Weite zu suchen. Dies war der Augenblick, wo Egon, von der Mutter eingeweiht, mit den Waffen in der Hand für die schwesterliche Ehre einzutreten fürchten mußte. Aber auch das stellte nur einen etwaigen strategischen 79 Sukkurs dar, denn Herr Heinlein mußte wiederkommen. Auch ein Sauser hat nämlich etwas, was man nachsichtig ein Herz nennt, weil es in der Brust sitzt und zur Unzeit schlägt und etwas Törichtes will; gerade was sich ihm hier zugleich geboten und entzogen, hatte Gedanken und Gefühle erweckt, vor denen er sich so lange gehütet, daß sie ihn jetzt völlig überwanden wie eine unsägliche Frühlingsohnmacht. Mit seinen Sauserredensarten nannte er das: die reine Liebe eines jungfräulichen Mädchens oder dergleichen. Er sah das stille Glück eines häuslichen Friedens vor sich, er kämpfte mit allen seinen sonstigen Neigungen, Wünschen und Gewohnheiten und führte gegen sein Gefühl seinen angeblichen Verstand ins Treffen. Das Gefühl war indes eine Begierde und darum recht stark, der Verstand aber war ja gar keiner und warf darum schleunig seine Flinte ins Korn. Der Sauser kam sich allmählich als Ehrenmann und sittlich herausgefordert vor, und es schien ihm endlich das Beste, an der Wand sitzen zu bleiben. Als er daher am Abend recht kleinmütig in sein dunkles Zimmer zurückkehrte und Anna in seinem Lehnstuhl zusammengekauert schluchzen sah, war es mit all seiner kalten weltmännischen Berechnung aus, er tröstete sie leise, die diese Schmach nie 80 verwinden zu können erklärte, und als sie einen schüchternen Annäherungsversuch empört von sich stieß, seufzte er und fragte sie, ob sie ihn denn gar nicht möchte. So hatte die Sache ihren Fortgang, und Egon brauchte den Duellkodex nicht weiter zu studieren, denn aus seinem Todfeinde wurde nach kurzem, letztem, sich wehrenden Flügelschlagen sein zukünftiger Schwager, und in dem Gewebe von Frau Alamors Glückshandarbeit schimmerte ein neuer Goldfaden.

Wieder verwaltete Egon eine Hoffnung und ließ sich zu der glänzenden Verlobung seiner Schwester beglückwünschen, wobei er stets gerührt der armen Mama gedachte, der nun, nachdem beide Kinder versorgt, hoffentlich ein heiterer Lebensabend beschieden sein würde. Auch tat es ihm wohl, daß seine Schwester sich nicht mehr um ihr tägliches Brot zu kümmern habe, denn sein zukünftiger Schwager werde sie zweifelsohne auf Händen tragen, leidenschaftlich verliebt, wie er sei, und aus so reichem Hause. Er berichtete weiter von der stattlichen Aussteuer, welche seine Mama sofort in Bestellung gegeben, sowie von der großen Wohnung, die sie bereits angemietet habe, und daß sie bei den Neuvermählten als sorgsame Beschützerin zu bleiben gedenke. Je näher aber der Tag der 81 schwesterlichen Hochzeit heranrückte, an welchem Herr Egon de Alamor natürlich als überflüssiger Wohnungsgenosse ausgeschifft werden sollte, desto dringlicher wurde auch seine eigene Heirat, und die Mama legte ihm jetzt eifrig ans Herz, die Entscheidung herbeizuführen, damit er doch, wenn seine Schwester versorgt und sie selbst zu ihr übergesiedelt sei, auch ein eigenes Heim habe und nicht als Junggeselle um teures Geld irgendwo zur Miete hausen müsse, was sich ja für einen Bräutigam auch nicht schicke. Die Prüfungen fielen gerade in die Zeit der heftigsten Hochzeitsrüstungen, an denen Egon mit Herz und Kopf und aller Zeit beteiligt war. Wenn sich die Amtsbrüder nach dem Fortgang seiner Studien erkundigten, warf er nach seiner Art stolz den Kopf zurück, behauptete, durchaus vorbereitet und schlagfertig zu sein und gab dem Gespräch eine andere Wendung, meist nach der Gemütsseite. Acht Tage vor dem Prüfungstermin nahm er einen Vorbereitungsurlaub. Und als diese Zeit um war, just um 9 Uhr morgens, wo er am grünen Tische vor dem Feind bestehen sollte, betrat eine wankende, auf den väterlichen Stock mit der Silberkrücke schwer gestützte Gestalt mit hervorgequollenen Augen, bleichen Zügen, offenem, nach Atem schnappendem Munde, den 82 Zylinder schief auf dem Haupte, das Amtszimmer, wo gleich, wie von einem Wecker herbeigerufen, alle Herren sich versammelten, vor denen Egon abgebrochen zu schluchzen und zu stammeln begann. Der Vorstand fragte teilnehmend, was denn aus der Prüfung geworden sei. Der Kandidat heulte auf, ihm sei ein Unglück passiert, er werde es nicht überwinden; schwer erkrankt, könne er sich kaum schleppen. Eben zum Examen fertig ausgerüstet, sei er auf der Treppe infolge Fehltrittes gestürzt, auf die harten Stufen hingeschlagen. Arg verletzt, habe er sich nur mühselig noch gerade bis hieher bewegt. Dabei weinte er unablässig unter reichlich strömenden Tränen. Auf die Frage, wo er sich blessiert, wies er den Rücken: das Kreuz sei ihm wie zerbrochen. Zwei Menschenkenner nickten einander zu, was ihre Meinung besagen wollte, er sei wohl bloß auf das Gesäß gefallen. Der gütige Vorstand beruhigte ihn, Leben und Gesundheit gälten mehr als die Prüfungen, er möge gleich den Arzt aufsuchen, zu Hause sich völlig ausheilen, und dann werde sich das Weitere finden. Egon wankte gebrochen fort, das Amt in halb heiterer, halb mitleidiger Aufregung zurücklassend. Auf die Alamorische Gesundheit und den pünktlichen Unfall wurden Wetten gesetzt.

83 Ein paar Tage darauf sandte der Vielumstrittene ein Krankheitszeugnis ein, wonach er infolge eines Nervenchoks etliche Wochen zu seiner Erholung und eine Luftveränderung benötigte. Auf Grund dieses Attestes erhielt er einen neuerlichen Urlaub und ließ sich ein Freibillett nach Innsbruck ausfertigen. Zu diesem Behuf kam er auf eine Viertelstunde ins Amt, schien noch immer schwer zu gehen, aber bereits ohne Schmerzen und Tränen, vielmehr nach dem Sturz und Prüfungsunfall verhältnismäßig zuversichtlich, denn einem seiner Vertrauten teilte er mit, es hätten sich ihm großartige Aussichten auf eine Staatsanstellung eröffnet, welche er dank der Protektion eines von altersher mit seiner Familie befreundeten Admirals aller Wahrscheinlichkeit nach in Innsbruck erlangen werde, denn er sehne sich geradezu nach dem Leben in der schönen Natur und in einer so herrlichen Provinzstadt, und auch seine Braut wünsche nichts Besseres, so wolle er seinen Urlaub zur Bewerbung benützen. Doch gelte es, hierüber strengste Diskretion zu wahren.

Der vierwöchige Krankheitsurlaub verstrich, und Egon trat wieder seinen alten Dienst an, völlig auf den Beinen und frisch, ja mit einer wahrhaft gesättigten und munteren Miene. Die Fragen nach 84 der Staatsanstellung beantwortete er ausweichend, derlei entscheide sich bekanntlich nicht von heute auf morgen, doch habe er die besten Aussichten. Aber wie schön war Innsbruck! Diese schroffen, blauen, schimmernden Berge, diese anmutige alte Stadt und das goldene Dachel! Und wie angenehm das Leben! Welche prachtvollen, komfortablen und dabei billigen Wohnungen! Namentlich eine habe seine Braut vor allem entzückt: vier Zimmer mit der Aussicht auf den Inn, mit alten, großmächtigen Kachelöfen und einem Stall für Wagen und Pferde, der Zins geradezu lächerlich, bloß tausendzweihundert Kronen fürs Jahr. Das Amt schüttelte den sorgen- und spottvollen Kopf: Innsbruck, große Wohnung, Wagen und Pferde und Stall, Kachelöfen, eine Braut auf der Urlaubsreise! Zärtliche Begleitumstände! Wunderliche Tatsachen! Dies war im ersten Frühjahr. Zu dessen Ende kündigte Egon seine bevorstehende Vermählung an, er und Danitza seien des törichten Wartens müde. Sie könnten doch ebensogut verheiratet zu zweien dem kommenden Schicksal entgegensehen, zumal da seine Schwester auch bereits versorgt und die Mutter zu ihr gezogen sei. Wie er erzählte, wohnte er seither im Hause seiner Verlobten, also mußte die alte Serbin schließlich doch der Ehe noch vor 85 der definitiven Anstellung zugestimmt haben. Viel Glück und ein schönes Wetter!

Von allen Amtsbrüdern hatte Egon Geld gegen gute Worte entliehen, allen hatte er mit Vertrauen gelohnt, aber dieses gleichsam wohlbedacht verteilt und den Einzelnen die passende Ration davon zugewiesen, so daß jeder nur das Stück Hoffnung an Zinses Statt erhielt, welches er benötigte, um an die Rückzahlung seines Darlehns und die Sicherheit des Schuldners halbwegs zu glauben. Einer aber saß in einem Hofkämmerchen des Amtes, der Egons volle Liebe erworben hatte, obgleich er sich seinen Anleiheforderungen heiter und streng verschloß. Das war der Herr Dieter, dem wir schon manchmal bei seinem bescheiden in sich versponnenen und wieder ruhevoll lauschenden Lebenslaufe begegnet sind, und von dessen Beobachtungen, Erlebnissen und Sitten wir an anderen Orten einiges erzählt haben, weiteres aber ausführlicher zu berichten uns vornehmen, wenn die Zeit und ihre Gunst es gestattet.

Egon de Alamor pflegte von seinen Linealen, farbigen Tinten und rastrierten Papieren, nachdem er den Effekt einiger in mannigfacher Schrift hingeworfenen Zeilen liebevoll und mit zugekniffenem Auge von der Seite her betrachtet, dann sein 86 zwiebelduftendes warmes Gabelfrühstück nebst einem Glase Bier eingenommen, vom Sessel aufzustehen und sich an das andere Ufer des Ganges zu begeben, wie Dieter sagte, wo sein wahrhafter, das heißt am Alamorischen Schicksal nicht mit Geld beteiligter Vertrauter in einem Kämmerchen hauste und über den Akten brütete, ohne seine Beobachtung und Schalkheit zu vergessen. Wenn Egon eintrat, pflegte Dieter so zu tun, als bemerke er ihn nicht, sondern schrieb um so heftiger. Dann setzte sich Alamor an das Ende des Schreibtisches und neigte sein Haupt zärtlich und innig dem Gönner zu, bis dieser endlich, ohne aufzusehen, sagte: »Wie oft soll ich Ihnen denn wiederholen, daß mir der Geruch Ihres Frühstücks und des Bieres, den Sie hier hereintragen, unangenehm ist. Wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, seien Sie nüchtern. Was Sie verzehren, interessiert mich nicht.«

Egon lächelte: »Ach Herr Dieter, Sie sind ja mein einziger wahrer Freund und Tröster. Ihre Teilnahme erhebt mich wirklich. Wenn ich Sie nicht hätte . . .«

Dieter schüttelte den Kopf: »Ich sehe schon, Sie müssen mich wieder stören, also machen Sie's kurz, ich habe sehr viel zu tun, und Ihr Freund 87 bin ich noch lange nicht. Weil Sie mir Ihre Schmerzen enthüllen, brauchen Sie mich doch nicht zu beleidigen. Also was gibts, möchten Sie wieder Geld? Ich besitze nichts und für Sie am allerwenigsten!« »Aber Herr Dieter, ich habe ja noch gar nichts verlangt. Freilich, wenn Sie mir zwanzig Kronen liehen?«

»Zwanzig Kronen! Sie Unmensch, Sie Räuber, wissen Sie denn, was für ein Vermögen Sie mir herauslocken zu wollen die Stirne haben? Nichts da! Aber wenns nicht anders geht, so sagen Sie mir, wozu Sie das brauchen, vielleicht kann Ihnen mein guter Rat das Geld ersparen.«

Also begann Egon sein Herz zu erleichtern, indem er, sich über den Schreibtisch weit vorbeugend, Dieter innig anblickte, der ihm nach wie vor schreibend, ernst sein Gesicht entzog. Dadurch ließ sich Alamor nicht beirren, sondern erklärte seine Lage. In den nächsten Tagen wolle er nämlich, wie Herr Dieter wisse, heiraten.

»Muß denn das sein, Unglücklicher?« fragte Dieter, indem er sich seinem Akt beflissen hingab.

Egon lachte glückselig. Aber da sei noch eine Schwierigkeit. Wie Herr Dieter ja wisse, gehöre seine teure Danitza dem griechisch-orientalischen Ritus an, und, obgleich sonst so gescheit und 88 vorurteilslos wie nur möglich, bestehe sie doch auf ihrem nationalen Bewußtsein und den angestammten Sitten. Nie würde sie einem Katholiken die Hand fürs Leben reichen.

»Und da ziehen Sie ihr die Hand nicht gleich weg? Einmal hat der Narr eine für beide Teile durchaus erfreuliche Auskunft und macht keinen Gebrauch davon!«

»Ach, Sie scherzen! Ich muß ihr wohl diesen Herzenswunsch erfüllen und übertreten.« Er habe schon die Glaubenssätze seiner neuen Kirche gelernt. Dieter unterbrach ihn, ob er wohl über dieses Bekenntnis besser Prüfung ablegen könne, als über seine Fachwissenschaften. Egon überhörte den Einwurf und berichtete, wie man an fremde religiöse Gebräuche herantretend, von ihrer großartigen Natur überrascht werde. Er habe mit Danitza bereits das russische Osterfest in der Kirche am Rennweg gefeiert und sei ganz hingerissen, ja im Innersten erschüttert von der Feierlichkeit, Würde und Inbrunst dieser Zeremonie. Nun begann er die Kostüme, das Aussehen der Popen, die mannigfachen Situationen der griechisch-orthodoxen Liturgie zu schildern, und wie er als gläubiger Katholik noch nie von seiner Kirche so begeistert worden. Er sei an jenem Ostertage schon bekehrt gewesen, so daß sein 89 jetziger Schritt nur ein äußerliches Bekenntnis seiner wahren Gemütsstimmung darstelle.

Dieter sah ihn lächelnd an: »Sie Osterlamm des Griechengottes! Aber was hat Ihre edle Absicht mit den zwanzig Kronen zu tun, Sie Konvertit?«

Egon stammelte, der Pope verlange diese Gebühr für den Vollzug der Taufe. Dieter lachte höhnisch: »Was? Geld verlangt der ungewaschene Russ' auch noch für seine Arbeit? Sie hätten besser von ihm ein Douceur fordern können für die Bekehrung, denn einen zweiten Narren, der hier im Lande zu dieser Kirche übertritt, findet er nicht umsonst! Nein, für solchen Schwindel zahle ich keinen Kreuzer. Sagen Sie ihm, ich, Dieter, laß ihn schön grüßen, und wenn er Sie nicht gleich umsonst in den Schoß seiner serbisch-russisch-griechisch-orientalischen Gemeinschaft aufnimmt, werd' ich öffentlich bekanntmachen, daß er sich das heilige Sakrament der Taufe bezahlen läßt. Oder sagen Sie ihm, daß Sie gleich wieder gläubiger Katholik bleiben, wenn er auf einer Taxe besteht. Sie hätten Ihre angestammte Religion billiger.« Egon sah ein und dankte gerührt für den guten Rat, aber da wären auch noch Eheringe zu kaufen; wenn die Braut schon die Kosten der Hochzeit trage, müsse er doch die Ringe beistellen.

90 »Ich will Ihnen zwei Messingringe mitbringen, die ich zu Hause habe. Die tuns auch. Es muß nicht alles von Gold sein! Wenn mans nicht hat, genügt Liebe, Treue und Messing . . .«

Das sei wohl Dieters Ernst nicht, die Danitza würde ihren Bräutigam schön ansehen, wenn er ihr für den heiligsten Lebensbund solche Zeichen zumute. Als aber Dieter auf seiner Messingforderung beharrte, gab Alamor zu, daß sein Mädchen, zumal sie ja reich sei, auch die Ringe beistellen könne. Doch erübrigte noch eine Bitte. Nicht um Geld, beteuerte er, indem er die Hand aufs Herz legte.

»Also von den zwanzig Kronen soll zwischen uns nicht mehr die Rede sein, gut denn, so bitten Sie.«

Egon richtete sich auf, streckte Dieter seine Rechte entgegen, was der also Geehrte indes übersah, und verstrickte sich in einen weitschweifigen Satz, er habe nur einen lieben Menschen in diesem Amt und überhaupt in der Welt, nur einen väterlichen Freund und strengen Ratgeber, und das sei Herr Dieter. Wen anders sollte er zum Zeugen für eine so entscheidende Handlung wählen, als diesen einzigen Gönner.

Dieter verbeugte sich: »Ihr Vertrauen freut mich, ehrt mich und kostet Sie nichts. Aber ich 91 bin dessen unwürdig, meine Grundsätze gestatten mir nicht, einer Dummheit meine Hilfe zu leihen und einen Unglücklichen ertrinken zu lassen, ja ihn noch recht unter das Wasser zu tauchen. Auch besitze ich keinen Frack, ohne welchen sich für meinen Stand die Teilnahme an einer so heiligen Handlung nicht schickt. Ferner bin ich außerhalb des Amtes keine Stunde lang frei. Wie Sie wissen, beansprucht meine Frau jeden Augenblick meiner Zeit. Aber wenden Sie sich an irgendeinen Ihrer neuen Glaubensbrüder. Der Kirchendiener leistet Ihnen für eine Krone mit Vergnügen Zeugenschaft. Diesen Betrag will ich Ihnen sogar vorschießen.« Dabei notierte er säuberlich in einem hervorgeholten Büchlein das bewilligte Darlehen und reichte es dem Egon, welcher sich für all den in einer so kurzen Zeit empfangenen, reichlichen guten Rat bedankte und nunmehr zufrieden den Amtsvorstand aufsuchte, um ihm von dem bevorstehenden großen Ereignis geziemend Mitteilung zu machen. Der gutherzige Mann stand auf, drückte ihm freundlich die Hand, wünschte ihm alles Gute, er sei zufrieden, daß Egon de Alamor endlich in die Kur einer braven und ernsten Gattin komme, er habe immer das Vertrauen in ihn gesetzt, wenn der junge Fludribusch endlich in 92 geordnete Verhältnisse finde, werde er doch noch ein zuverlässiger und braver Mensch werden. Und dies hoffe er von ganzem Herzen. Egon dankte unter Tränen und versicherte, all seine Mißlichkeiten, mit denen er zur Last gefallen, seien seinem Herzen fremd, ein Ergebnis seiner unglücklichen Lage, aus welcher er sich nun befreie. Auch seine Mama billige die Heirat und habe nicht gezögert, ihren Segen zu erteilen, da seine Braut ja vermögend sei, und die Hochzeit somit auch vom Gesichtspunkte des menschlichen Nutzens als ersprießlich gelten könne. Damit ging er hocherhoben.


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