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Hab' lange den Schwalben zugeschaut,
Wie sie ihr kleines Heim gebaut,
Sie flogen emsig her und hin,
Trug keins ein anderes im Sinn,
Als nur zu bauen, zu schmücken das Nest
Zu einem seligen Kinderfest.
Nun blicken sechs Schwälbchen im halben Kreis
Und recken sich hungrig und zwitschern leis,
Vater und Mütterchen fliegen aus,
Tragen pfeilschnell die Atzung ins Haus
Und stopfen sie rasch in die Hälschen tief,
Aus denen Hunger und Liebe rief.
Schon plustert sich der Kinder Schar,
Zwölf Äuglein blicken scharf und klar,
Sechs Schnäbel zanken und picken fein,
Und hacken ins nächste Brüderlein,
Und manchmal gibt es ein schnelles Drehn –
Lässt jeder das Nestlein reinlich stehn.
Das hungrige Völkchen späht und wacht
Vom frühen Morgen zur tiefen Nacht,
Und rastlos fliegt das Elternpaar,
Fängt bei viertausend Fliegen fürwahr
Zur täglichen Nahrung in Lüften ein.
Schon scheint zu schmal das Nest zu sein,
So breit hin dehnt sich Kind an Kind,
Hebt die schwarzen Flügel geschwind,
Beutelt sich hoch und reckt sich voll Lust,
Und bläht die Federn auf weisser Brust
Und zwitschert: »Wann lasst ihr mich allein?
Das ganze Nest muss mein eigen sein!«
Doch wenn herniedersinkt die Nacht,
Dann duckt sich die Schwester zum Bruder sacht,
Tut jedes dem andern Liebe kund,
Und über dem weichen, atmendem Rund
Ruhn Vater und Mutter von Mühen aus –
Raum gibt's für alle im kleinen Haus.
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Als ich heut' früh durch die Strassen ging,
Ein zierlicher Laden mein Auge fing,
Drin flogen, in einem Käfig gebannt,
Viel kleine Vögel aus grünem Land.
Sie bohrten die Köpfchen mit heissem Drängen
Durch eiserne Stäbe und wollten sie sprengen,
Schlugen verzweifelt gegen das Gitter,
Gefangen, gefangen – wie schmerzte das bitter!
Die nächsten im Käfig frassen vom Näpfchen,
Blickten geruhsam und tranken ein Tröpfchen
Und wussten nicht mehr, dass sie Schwingen getragen
Einst über Wiesen in Frühlingstagen,
Sie dachten nur noch an Trinken und Essen
Und hatten die köstliche Freiheit vergessen.
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Die Linden, das sind die guten,
Die sich als erste verbluten,
Die Buchen, das sind die holden,
Die sich im Herbst vergolden,
Die Eichen, das sind die raren,
Die Kupferblätter sparen,
Die Fichten, das sind die steten,
Die Sommer und Winter beten:
O lass uns unser grünes Kleid,
Wir sind des Waldes Herrlichkeit!
Und keck von allen Bäumen knuspert
Eichkätzlein, wie's das Fellchen plustert.
Das ist der Schluss im Waldesreich:
Dem, der da nimmt, sind alle gleich.
*
Grossmutter Kröte kriecht über den Weg
Mit weitgestreckten Beinen,
Sie könnte wohl hüpfen, doch ist sie träg
Und mag nicht munter scheinen.
Sie denkt: »Geruhsam schickt sich wohl
Am besten für meinesgleichen –«
Und bläht ihr fleckiges Kamisol,
Als wär's ihr Ehrenzeichen.
So kriecht sie hin, so kriecht sie her,
Und tut, als suchte sie Fliegen,
Von denen sie lebt, ganz ungefähr,
Nur wie zum Sonntagsvergnügen.
Um ihre Würde sorgt sie stets,
Wie sie das Leben betrachtet,
Und meint: »Als Philosophin geht's,
Wenn man sich genügend achtet.«
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Fünf Gänse sind herbeigewankt
Zum grünen Friedhofgarten
Und rupfen gackernd, was sich rankt
Von schönsten Blumenarten.
Sie wandeln sittsam, mild bewegt
Hin zwischen Leichensteinen,
Ein jeder Halm, der lind sich regt,
Stirbt unter roten Beinen.
Was kümmert sie's, wes Namens sind
Die Toten, die da ruhen,
Wächst nur das liebe Gras geschwind
Aus den vermorschten Truhen.
Fünf Gänse wackeln zum Tor hinaus,
Die Bäuchlein fein gerundet,
Froh schnattern sie nach dem leckem Schmaus –
Er hat ihnen köstlich gemundet.
*
Lieblich flatterst du, kleine Libelle,
Ruhest tief atmend am Blattesrand,
Meidest das Dunkel, suchest die Helle,
Spannst deiner Flügel blauseidenes Band.
Wippst mit dem Leibe, dem zierlich schlanken,
Freust dich, dass dich die Sonne küsst,
Ahnst du es wohl im feinsten Gedanken,
Dass du geflügelte Raupe nur bist?
*
Ein rotes Pünktchen läuft über ein Blatt
Mit Füsslein kaum zu sehen,
Ist es wohl hungrig oder satt,
Was bleibt es denn nicht stehen?
Aengstlich hastet es immerzu,
Huscht jetzt vom Tisch ans Bänkchen,
Da blas' ich's fort – in einem Nu
Verstieben die zarten Gelenkchen ...
Mir ist, als ob ich selber wär'
Der irrenden Spinne zu gleichen,
Ich jage hin und fliehe her
In unverstandenen Zeichen.
Was ich mein Schicksal nenne, mag
Ein Atem sein des Geistes,
Der mit mir spielt an manchem Tag,
Wenn ich als ein verwaistes
Armselig Ding bald hier, bald dort
Suche mein Ziel zu finden –
Wann haucht er wohl mein Streben fort
In flüchtiges Verschwinden?
*
Wie scheint mir alle Lust verdorben,
Und ist mir doch nur ein Hund gestorben,
Ein treues unvergessliches Tier,
Ich gab ihm Schläge, es leckte dafür
Mir dankbar die Hand – und war ich ihm gut,
Wuchs heldenhaft sein kleiner Mut,
Es hätte mich gegen Welten verteidigt,
Ich war ihm alles – nie schien es beleidigt,
Wenn ich auch ungerecht gewesen,
Es hat mir kein Böses vergolten mit Bösem.
Und heute starb es so still und stumm,
Es sah sich noch einmal im Zimmer um,
Als wollt' es alle Schönheit umfassen,
Die es nun für immer sollte lassen,
Dann schaut' es mich an mit tieftraurigem Blick
Und legte leise den Kopf zurück.
Ich hab' laut aufgeschluchzt um den Einen,
Um den noch keiner lernte das Weinen.
Nun scheint mir das ganze Haus verwaist,
Nur meines Hundes flackernder Geist
Trippelt die Treppen auf und nieder
Und sucht mich immer und immer wieder.
Ich fühl' es, winkt uns ein ewiges Leben,
Wollt' meinen Hund ich davon geben,
Er müsste mit mir zum Himmel enteilen,
Durch alle Zeiten bei mir weilen.
Doch öffneten Teufel ein Flammentor,
Mein tapferer Hund spräng' mir zuvor,
Wo treulos der Freunde Schar entwich –
Nicht in der Hölle verliess' er mich!