Theodor Storm
Novellen
Theodor Storm

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Die Armesünderglocke

Die meisten der jetzt Lebenden werden von einer solchen Glocke gehört haben, sie selbst gesehen oder ihren Klang vernommen hat wohl niemand. Man meint zu wissen, sie sei den Kirchenglocken gegenüber nur von winziger Größe gewesen, etwa kaum zwei Schuh hoch, und habe ein feines und heftiges Geläute gehabt, womit sie den Verurteilten auf dem Todeswege begleitete, vom Austritt aus dem Gefängnis in die freie Morgenluft bis hin zur Femstätte und bis er sein armes Leben dem Schwerte oder dem Feuer, dem Galgen oder dem Rade hingegeben hatte. Von wo aber jenes jetzt bis zur Vergessenheit verschwundene Glöcklein seinen Klang erschallen ließ, ob von den Kirchentürmen neben den großen Glocken, ob aus einem eigenen Balkengefüge oder von dem Dache eines Gefangenhauses, das wird kaum jemand zu beantworten wissen. Die Sünderglocke im Magdalenenturm zu Breslau war erst auf Bitten ihres Meisters, dem sie zu Tode läutete, zu diesem Dienst geweiht worden.

In einem Kirchturm unserer nördlichen Städte aber soll zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ein Armesünderglöcklein gehangen haben, ein Dutzend Leiterstiegen unterhalb der drei großen Kirchenglocken. Hinter einer schmalen Turmluke, die nach Norden hinaus gelegen, wo vor der Stadt neben des Bürgermeisters Fischteich die Femstätte oder, wie die Leute sagten, der Galgenberg gewesen ist, soll es seine Stätte gehabt haben. So ein armer Sünder seinen letzten Gang hat antreten müssen, hat man die Luke aufgestoßen und dann unten auf dem Grund des Turmes das Glockenseil gezogen, damit das Geläute den Verfemten in den harten Tod geleite.

Als nämlich die Exekutionen an Hals und Leben zunahmen, als bald ein glattes Hexlein zum Schmauchen, bald ein Raubmörder zum Rade, endlich gar ein hochfürstlicher Hofverwalter wegen begangener Untreue verurteilt wurde, in seinem Fuchspelz an einem gedoppelten Galgen aufgehangen zu werden, wollte ein wohlehrwürdiger Magistrat es auch an einem Sünderglöcklein nicht fehlen lassen. Aber sei es, daß der derzeitige Glockengießer der Stadt kein erster Meister war oder daß der Stadtsäckel an dem Metall zur Glockenspeise hatte sparen wollen, die Glocke klang, als sei sie nur aus Holz geschnitten, und reichte kaum ein halbes Tausend Schritte in die Weite, so daß sie dem Delinquenten zwar aus der Gefängnistür hinaus, aber nicht mehr in das Tor zu jener Welt hineinläuten konnte. »De holten Klock« wurde sie in der Stadt genannt; »Ut! All ut! All ut!« so deutete man ihr Geläute, und wenn sie erscholl, gingen die Leute mit erschrockenen Gesichtern auf den Gassen.

In den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aber ist dies Glöcklein durch einen Sturz bis auf den Boden des Turmes, wo es mit dem Rande auf einen dort aufgestellten Grabstein aufgeschlagen, zugrunde gegangen. Und als einige Jahre später an einem trüben Novembermorgen eine blasse, noch gar junge Dirne, die in der hilflosen Angst der Geburtsstunde mit eigenen Händen ihr neugeborenes Kind erdrosselt hatte, schwankend aus dem Tor der Fronerei getreten und von unehrlichen Fäusten auf den Henkerkarren gehoben war, um den Kuhsteig hinaus zur Femstätte geführt zu werden, da ist plötzlich ein fein Geläut vom Kirchturm her erschollen, so tröstlich, als riefe eines Engels Stimme, so lieblich, als sei es auf einmal wieder Frühling worden und die Maililien brächen duftend aus ihren lichtgrünen Blättern. Die arme Dirne aber, die in dem Karren rückwärts auf einem Bunde Stroh saß, ist in bittere Tränen ausgebrochen.

Dies neue Armesünderglöcklein, dessen Klang hier zum ersten Male erschollen ist, hat nicht innerhalb des Turmes, sondern unter einem Dächlein draußen an dessen Mauer, aber wiederum gen Norden nach der Wasenstätte zu und oberhalb der schmalen Turmluke gehangen und viele tausend Schritte weit seinen Schall versandt. In der Stadt aber hieß man es nach seines Stifters Namen nur das Armowitzer Glöcklein.

Franz Armowitzer war der Sohn eines zugewanderten Handwerksgesellen, der bei dem städtischen Rate und Glockengießer seit vielen Jahren in fester Arbeit stand, so daß er im Vertrauen auf seinen Meister und wohl auch auf sein eigenes Können sich eines Tages mit einer hübschen Dirne ehelich verbunden hatte. Denn auf zwei Glocken, die jetzt in Kirchtürmen der Umgegend hingen, stand zwar auf der einen: »Durch Marten Peters Guß ich meinen Klang bekam«, und selbigen Inhalts, wenn auch infolge geistlichen Einflusses lateinisch auf der anderen: »Me fudit Martinus Petrus«; allein es wurde stark gemunkelt, der eigentliche Meister dieser beiden klangreichen Glocken sei der Geselle Armowitzer. Nur er verstehe es, das Metall zu mischen, den Durchmesser der Wände und das Profil der Glocken zu entwerfen oder die Rippen zu konstruieren. Daher, sagte der Stadtorganist, käme bei diesen Glocken neben dem Hauptton auch die kleine Terz so schön und deutlich zu Gehör, während bei einer Glocke aus desselben Meisters Werkstatt, die vor Armowitzers Eintritt in dieselbe gegossen worden, sich nur ein wirres Durcheinander von Tönen ergebe, das nicht einmal den Hauptton bestimmt erkennen lasse. Fragte aber jemand den Gesellen: »Was haben die auf den Dörfern jetzt für schön Geläute, davon bist du doch wohl der Meister?« so pflegte er nur zu sagen: »Ich? Wie sollte das geschehen sein? Aber der Meister ist ein Greis; man soll dem Alter helfen, wo man kann.«

Notizen zum Armsünder-Glöcklein

»O Herr, dein Lenz ist kommen!«

»Da weiß ich nicht, ob du mir gut bist!« Der Knabe in seinem Versteck hörte einen Seufzer des Mädchens, zu sehen vermochte er nichts. Als aber in diesem Augenblick das Mondlicht durch die Wolken brach, krampfte er seine junge Faust zusammen: der bleiche Mondschein beleuchtete das Antlitz des Mädchens, das mit geschlossenen Augen auf den Arm des jungen Patriziers zurückgesunken war, und ihre Lippen lagen wie hilflos halb geöffnet vor ihm. Da rauschte es seitwärts in den Büschen; mit einem Angstschrei war das vierzehnjährige Kind entflohen, aber ihrem Liebsten saß eine kräftige, junge paust an der Kehle. »Das – das wirst du lassen!« raunte Franz Armowitzer ihm in die Ohren, »die ist nicht für deinesgleichen!« Als aber jener mit plötzlicher Gewalt die Hand zurückstieß . . .

 

An freien Nachmittagen, wenn es Sommer geworden, liefen sie auch miteinander ins Feld hinaus, wo es ihnen zunächst lag, nach Osten hinter der großen Windmühle. War die Gegend auch öde, soweit die Äcker reichten, nur breite Wege von kahlem Sande oder Steinwällen eingefaßt, in denen am Rande Ginster blühte oder ein Gagelstrauch seinen würzigen Duft verbreitete, so war es doch ein anderes als zu Hause. Wenn nur ein brauner oder goldgrüner Sandkäfer vor ihnen herflog, oder gar ein Wiesel oder Igel vorüberlief, so war es ein Erlebnis, das sie abends beim Tee zu Hause zu erzählen hatten. Am schönsten war es fast, wenn dort über den Sandgruben der Stadt die kleinen, blaßroten Immortellen blühten; dann pflückte Franz, und Maike wand sie zu kleinen Kränzen. In der Großmutter Stube hingen schon solche über den Bildern an der Wand. Er litt nicht, daß sie selber pflückte, denn die Immortellen wuchsen meist am Rande der tiefen Grube, und manch Unvorsichtiger war dort schon mit dem unterhöhlten Erdreich in den Abgrund hinabgestürzt und mancher gar begraben.

Er mochte schon elf Jahre und sie ein halbes weniger zählen, da gingen sie eines Nachmittags einmal nach Norden statt nach Osten. Auch hier lag vor ihnen die weite, sandige Fläche mit breiten Wegen und kahlem Steinwalle. Von dem – sie wußten es – fast eine Meile entfernt liegenden Dorfe konnten sie jedes Haus erkennen, am Westrande die Kirche mit dem hohen, spitzen Turm, sogar die Fenster und die Türen in derselben.

»Siehst du?« sagte Maike lachend, »da geht die Kirchtür auf, und die Katz springt heraus; sie hat einen Besen in den Pfoten, ich denke, sie hat die Bänke abgefegt.«

»Was schwatzst du?« rief Franz, der aus Gedanken auffuhr, »solche Katzen haben die Bauern nicht; die sind nur in deinen Märchen.«

»Ich mag hier aber nicht weiter!« sagte Maike.

Er sah sie an.

»Nein, laß uns umkehren!« Ein Weg zweigte eben rechts ein wenig östlich ab.

»Komm«, sagte er, »wir wollen diesen gehen!«

Auch hier liefen nur die kahlen Wälle an beiden Seiten.

»Da ist's nicht besser!« rief sie ihm schmollend zu und blieb zurück. Aber er kannte sie und ging, ohne sich umzusehen, in den neuen Weg.

Kaum fünfzig Schritte hatte er getan, so kam schon ihre Stimme hinterher: »So wart doch, Franz! Warum läufst du von mir? Bist du bös, Franz?«

Er stand still und sah sich um. »So komm«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.

»Nein, mein Haarband ist losgegangen; bind's mir erst wieder fest!« Und sie strich mit ihren schmalen Händen die Fülle rabenschwarzen Haars zusammen, die ihr tief unter dem Nacken herabfiel.

Als er das im Sommerhauch wehende Band darüber wieder in eine feste Schleife knüpfte, lief eine Amsel mit zierlichen Schritten über den Weg. Er nickte nach ihr hinüber, daß sie aufflog. »Du bist auch so eine Schwarzdrossel!« sagte er zu dem Mädchen, »aber die Amsel singt so schön; schade, daß du nicht singen kannst.«

»O«, sagte sie, »das tut nichts.«

»Aber«, sagte er, »wenn du auf deinen kleinen Füßen gehst, das ist beinahe, als wenn gesungen wird.«

Aus ihren dunkeln Augen fuhr ein Blick auf ihn. »Du!« sagte sie, und ein stolzes Lächeln fuhr über ihr zartes Antlitz. Dann legte sie ihre Hand in seine, und sie gingen miteinander in dem Wege weiter, und nur einzelne Worte wurden zwischen ihnen laut. Auf einmal gingen sie auf einem eingezäunten Wege, Nußsträucher und blühender Weißdorn standen zu beiden Seiten in dichtem Laubgedränge auf den Wällen; sogar der leichte Sommerwind schwieg hier. Blaue und feuerfarbene Falter spielten um die wilden Blumen, die aus den Rändern wuchsen, und mitunter kam vom Zaune her ein Duft von Geißblatt, das verborgen darin blühte. Fremd wie eine Andacht umfing es die beiden; in der Nähe der Stadt gab es nicht solche Redder, und so weit wie heute waren sie sonst noch nicht gekommen.

»Hat die Drossel hier ihr Nest?« fragte das Mädchen leise, als ob sie kaum zu sprechen wagte.

»Weiß nicht, vielleicht!« entgegnete Franz ebenso.

Ein Neuntöter flog krächzend neben ihnen aus einem Hagedorn, und die Kinder traten näher, um nach einem Nest zu sehen. Aber ihre Augen hefteten sich starr auf einen Dorn, an welchem eine aufgespießte Biene noch die Flügel regte.

»Pfui!« rief Franz, »das hat der schlimme Vogel getan, von dem der Schulmeister uns neulich erst erzählte!« und wollte behutsam die Biene herabziehen.

»Laß, laß doch!« sagte Maike und hob sich neugierig auf den Zehen, um das vergebliche Arbeiten des gespießten Insekts zu betrachten. »O wie wunderbar!«

Aber schon hatte der Knabe sie abgenommen und ihr mit dem Fuße einen raschen Tod gegeben. »Pfui, das ist grausam!« sagte er, griff nach des Mädchens Hand und zog es mit sich fort.

Nach einer Weile hörten Zäune und Wälle auf, und die weite, braune Heide lag offen vor ihnen. Nur erst ein roter Schimmer flog darüber her, sie blühte noch kaum, es war erst Ende Juli. Aber fern am Horizonte zitterte die Luft in weißen Wellen. Ihnen zur Linken lag ein kleines Wasser, an dessen Rande zwischen Mummeln eine gelbe Iris blühte; dahinter stieg ein mäßig hoher Hügel auf.

»Ein Heidengrab!« rief Maike. Aber Franz schüttelte den Kopf: »Sieh nur, es steht ein Pfahl darauf mit einer Spitze; das muß die Femstätte sein, der Galgenberg.«

»Aber wo ist denn der Galgen?«

»Der ist seit lange abgebrochen; ich glaube, sie brauchen ihn nicht mehr.«

Hand in Hand, wie behutsam, stiegen die Kinder an dem Hügel hinauf. Als sie oben waren, ließ Maike die Hand des Knaben los und blickte über die Heide, die sich unabsehbar, bis wo die heiße Luft am Horizonte spielte, nach Nord und Ost hinauszog. Dann plötzlich stieß sie einen Schrei des Entzückens aus.

Franz, der an dem Pfahl gestanden und dessen eiserne Spitze mit scheuem Finger betastet hatte, wandte jäh den Kopf. Da lag Maike unweit von ihm auf dem Boden; neben ihr war eine völlig kahle Stelle, die mit ein paar Steinplatten übermauert schien, aber ringsumher blühte eine Flut von jenen kleinen Immortellen, die er hinter der Mühle so oft für sie gepflückt hatte. Das Mädchen strich mit ihren Händchen darüber hin und wider, als wühle sie in einem Reichtum. »Und hier«, rief sie, »kann ich sie mir selber pflücken, hier ist keine Angst dabei. Und sieh nur, die sind nicht blaß, wie drüben auf den Sandbergen, sie sind ganz rot, wie Purpur leuchten sie.«

Den Knaben durchfuhr es; ja, sie leuchteten wie Purpur: »Das ist von Blut!« rief er, »laß sie stehen!«

Aber die Dirne lachte: »Du bist nicht klug!« sagte sie, riß eine Handvoll roter Blüten ab und hielt sie an ihr schwarzes Haar: »Siehst du, die lassen hübsch! Gefällt's dir nicht?« und ihre weißen Zähne blitzten durch die roten Lippen.

Nur einen Augenblick sah er auf das hübsche Bild, dann faßte er sie am Arm und zog sie zu der öden Stelle. »Du bist ein dummes, eitles Ding«, sagte er, »das ist auch die gewesen, der man hier den Kopf vom Rumpf geschlagen hat. Denn hier auf diesen Steinen hat der Block gestanden, und dort auf der Pfahlspitze hat ihr junger Kopf gesessen, und die Krähen und Dohlen haben ihr die schönen Augen abgefressen.«

Das Mädchen starrte ihn erschrocken an: »Wer? Was sagst du? Wem haben sie den Kopf abgeschlagen?«

»Das weißt du nicht? Der Haselsgret! O sie soll so geschrien haben, aber wir sind damals noch nicht auf der Welt gewesen.«

»Warum? Was hatte sie getan?«

»Sie war vom Lande hierherum und hatte ihr eigenes Kind so lange im Dorfteich unter Wasser gehalten, bis es ganz weiß und tot war. Sie hatte es schon verdient.«

Maike steckte sich beide Finger in die Ohren: »Nein, nein, schweig! Ich kann's nicht hören!« rief sie. »Hu, wenn mir das in der Nacht wieder einfiele!«

»Du bist ja närrisch«, sagte er, »was geht das dich an?«

»Mich? Nein, ich weiß nicht!« Ein Schwarm von Krähen zog lautlos über ihnen weg und weiter in die flimmernde Heide.

Sie lachte schon wieder. »Aber meine Blumen will ich mir drum nicht verderben lassen!« rief sie, und da sie merkte, daß er keine Gegenwehr tat, machte sie sich eifrig daran, ihre Schürze mit den roten Blüten vollzupflücken. »Siehst du«, sagte sie, »du glaubst schon selbst nicht, daß sie von Blut so rot sind.« Sie steckte einen Strauß der glühendsten sich in ihr dunkles Haar: »Nun sag nur, ob's nicht schön ist! Aber die blonden Stadtdirnen dürften sie nicht tragen.«

Sie hatte den Kopf zurückgelegt und sah mit ihren brennenden Augen zu ihm auf. Er blickte auf sie herab. Ein Schauer, wie er ihn noch nicht empfunden hatte, lief durch seinen Körper, als nähme eine Gewalt von ihm Besitz, von der er sich nie zu lösen hoffen dürfte. »Ja, es ist schön – du bist schön, Maike!« sagte er beklommen. Dann blieb er regungslos stehen und sah, wie ihre flinken Hände die Blumen pflückten und mit Fäden, die sie aus dem Schlitz ihres Kleides zogen, Sträuße und Kränze banden.

Endlich war sie fertig. »Nun komm«, sagte sie, streifte die Kränze über ihre Hand und hing sich an seinen Arm. Aber er war stumm geworden und sah nur manchmal schweigend nach dem jungen bräunlichen Antlitz, das sich dann und wann an seine Schulter lehnte und mit lachenden Augen in die Welt hinaussah.

Als sie in die Stadt und vor ihren Häusern angelangt waren, kam ein Ruf von der Straße herauf. Ein Mensch in etwas wunderlicher Kleidung stand still, machte einen Ausruf und hinkte weiter, um dasselbe zu wiederholen. Maike tat einen Angstschrei, daß Franz auffuhr und sie festhielt. »Was fehlt dir?« fragte er.

»Der Scharfrichter! Das ist der Scharfrichter!« rief sie.

Er besann sich. »Ja«, sagte er, »das geht uns freilich beide an. Es ist ja Freitag, und er ruft, daß wir morgen unsere Straße fegen sollen bei Vermeidung von einem Schilling Strafe an die wohlehrwürdige Stadtkasse.«

Aber sie war ihm schon entflohen und stand drinnen in der dämmerigen Küche vor ihrer Großmutter, der alten Oligard Svendrofski. Dürres Reisig brannte im Feuerloch, und die Flammen lohten um den sausenden Kessel.

»Sieh, alte Mutter«, sagte Maike, »sind das nicht schöne Blumen? Die welken auch nicht! Die Sträuße behalte ich, die Kränze sollst du haben, die kannst du über deine kleinen Bilder hängen.«

Die Alte nahm die Kränze und hielt sie gegen die Herdflammen, um sie zu betrachten. »Wo sind die her?« sagte sie mit ihrer scharfen Stimme; »die habt ihr auf den Sandbergen nicht gepflückt.«

»Nein, die hab ich auf dem Galgenberg gepflückt, so schön rot wachsen sie auf den Sandbergen nicht.«

»Auf dem Galgenberg? Die hättest du sollen stehenlassen! Du weißt doch, von Kirchhöfen pflückt man keine Blumen.«

»Das ist ja doch kein Kirchhof.«

Die Alte kniff ein paarmal mit den Lippen und sah mit ihren roten Augen auf die Dirne. »Aber die Haselgret wurde, als er noch dastand, unter dem Galgen eingescharrt. – Fort mit Schaden!« sagte sie dann feierlich und warf die Kränze in die Flammen, die die trockenen Blumen wie mit Lust verzehrten.

Maike stieß einen Schrei aus: »O pfui, pfui alte Mutter!«

»Die Sträuße!« sagte die Alte streng. »Gib deine Sträuße! Du bist ein dummes Ding!«

»Jawohl, das sagt ihr alle!« rief Maike zornig. »Was hab ich denn getan?«

Oligard antwortete nicht, sie riß ihr die Sträuße aus den Händen und warf sie gleichfalls in die Flammen.

Aber eins hatte sie nicht bedacht: Maike hatte, bevor sie Zugriff, ihre Hand geöffnet, und als die Großmutter aus der Küche ging, um vor der Hoftür nach ihrem Kater zu rufen, sammelte Maike ein Häufchen Sträuße von dem Boden der Küche auf. »Du mußt nicht zu klug sein, alte Mutter!« rief sie, lief nach dem Hausboden und verbarg dort die geretteten Blumen in einem finstern Winkel.


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