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» Es freut mich, Graf, daß Sie Ihre thörichte Eifersucht aufgegeben haben,« sagte der Major, schmunzelnd sich die Hände reibend, nach einer langen Unterredung mit dem Grafen. »Daß meine Elwine Sie nicht liebt, ist wahr, sie hat es mir selbst gesagt; aber eine andere Liebe hat sie nicht. Das Wettermädchen ist nun einmal eine Männerfeindin, sie möchte am liebsten eine alte Jungfer bleiben, die Mucken aber wollen wir ihr schon austreiben. Ist sie nur erst Ihre Frau, dann ist es Ihre Sache, den Wildfang zu bändigen. Die Liebe kommt mit den Kindern, so pflegte mein alter Oberst zu sagen, der auch eine Frau, die ihn nicht liebte, geheirathet hatte und sehr glücklich mit ihr lebte. Auf Mädchengrillen und Romangewäsch von Liebesglück u. s. w. giebt ein kluger Mann nichts. Elwine wird Ihre Frau, dabei bleibt es und heute Abend noch feiern wir Ihre Verlobung. Ich werde meine Tochter rufen lassen und es ihr in Ihrer Gegenwart ankündigen!«
»Nein, Herr Major, ich bitte dringend, dies nicht zu thun,« erwiderte der Graf, der keineswegs geneigt war, ein Zeuge der sicherlich stürmischen Unterredung zwischen Vater und Tochter zu sein. »Ihr Versprechen, heute Abend noch meine Verlobung mit Ihrer liebenswürdigen Tochter zu feiern, nehme ich an. Ich hoffe wie Sie, daß es meiner aufrichtigen Liebe gelingen wird, die unerklärliche und unnatürliche Abneigung zu besiegen, welche Fräulein Elwine heute noch gegen mich fühlt. Hegte ich diese Ueberzeugung nicht, dann würde ich mit dem tiefsten Schmerz dem Glück, welches ich erhofft hatte, entsagen; aber ich weiß, daß mein ernstes Bestreben, ein unbegründetes Vorurtheil zu bekämpfen, von Erfolg sein wird. Sehr erschwert würde mir indessen meine Absicht werden, wenn ich alle die bitteren Worte hören müßte, welche, wie ich leider überzeugt bin, Fräulein Elwine gegen mich gebrauchen wird, sobald sie erfährt, daß ich ernstlich um ihre Hand geworben habe und daß ich entschlossen bin, diese Hand ohne ihre Liebe anzunehmen.«
»Firlefanz! Leeres Weibergeklatsch, auf welches Sie nicht achten dürfen, Elwine kennt ihre Pflicht, sie wird mir gehorchen!«
»Ich hoffe es, Herr Major; aber ich bitte Sie, ersparen Sie mir die Qual, ein Zeuge der ersten Unterredung mit Ihrer Tochter zu sein. Ich werde mir von Ihrem Jäger eine Büchse geben lassen und einen Spaziergang in den Wald machen, nach einigen Stunden zurückkehren und dann mein Recht, Ihre Tochter als Bräutigam, Sie als meinen verehrten Schwiegervater zu begrüßen, in Anspruch nehmen.«
»Meinetwegen. Ich kann Ihnen versichern, mein Gemüth ist nicht so zart besaitet; ich fürchte ein ordentliches Donnerwetter nicht; aber die heutige Jugend ist einmal anders, als wir alten Knasterbärte, und so mögen Sie denn Ihren Willen haben. Nützen wird es Ihnen freilich nicht viel, denn darauf, daß Ihnen Elwine ganz derb und deutlich ihre Ansicht sagen wird, müssen gefaßt Sie sein. Das Wettermädchen nimmt kein Blatt vor den Mund. Alles kann man einem Weibe verbieten, aber das Sprechen nicht.«
»Ich bin darauf gefaßt. Nur den ersten Sturm will ich vorüber gehen lassen. Erlauben Sie mir, daß ich mich für ein Paar Stunden verabschiede.«
»Thun Sie, was Sie nicht lassen können. Wenn Sie zurückkehren, erwartet Sie Ihre Braut; keine besonders zärtliche, aber dafür will ich sorgen, eine gehorsame Braut!«
Der Graf sprach einige Worte des Dankes, dann entfernte er sich, nachdem er mit dem Major einen herzlichen Händedruck ausgetauscht hatte.
Der alte Herr ging einige Minuten tief sinnend in dem geräumigen Zimmer auf und nieder. Ganz so leicht war ihm nicht um das Herz, als er den künftigen Schwiegersohn hatte glauben machen wollen; er fühlte selbst eine gewisse Scheu vor der Unterredung mit seiner Tochter. Er erinnerte sich der schweren Stunden, welche er vor zwei Jahren verlebt hatte, als er Elwinen ankündigte, sie müsse die Gattin Heinrichs von Nordenheim werden; er sah sie noch vor sich stehen, wie sie ihn flehend anblickte mit ihren großen, dunkeln, thränenvollen Augen, er hörte ihre Bitte wieder, er erinnerte sich, daß ihm damals für lange Zeit das Herz seines Kindes entfremdet worden war. Und damals sollte Heinrich von Nordenheim, der Vetter, den sie schwesterlich liebte, heut der Graf, den sie verabscheute, ihr als Gatte durch den väterlichen Befehl aufgedrängt werden!
Mußte es denn aber geschehen? War es denn wirklich nothwendig, von neuem die kaum verharschte Wunde wieder aufzureißen, neue Familienstürme heraufzubeschwören?
Der Major wurde fast wieder wankend in seinem Entschluß. Aber nein, es mußte sein, er hatte sein Wort gegeben, nicht in leichtfertiger Unbesonnenheit, sondern nach reiflicher Ueberlegung. Zwar hatte er den Grafen verlacht, als dieser ihm erklärte, Elwine liebe ihren Vetter, den Doktor Stern, aber das Lachen war ein erzwungenes gewesen. Hatte er doch selbst schon seit längerer Zeit einen ähnlichen Verdacht gehegt. Auch ihm war es nicht entgangen, daß die Zärtlichkeit, welche Elwine für den Vetter zeigte, kaum eine schwesterliche war.
»Es muß sein!« dachte der Major. »Ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen! Wäre der herrliche Junge von Adel, mit welcher Freude wollte ich ihn als Schwiegersohn begrüßen, so aber ist's ja unmöglich, ganz unmöglich. Zum Glück denkt er selbst nicht an solchen Unsinn und Elwinen's kindischer Liebe muß Einhalt gethan werden, ehe es zu spät wird. Ist sie erst Gräfin Sarentin-Streit, dann wird sie bald von der thörichten Mädchenliebe kurirt sein. Keine Bedenken weiter, es muß geschehen! Wer weiß, wie lange ich noch lebe. Ich fühle mich jetzt oft so krank und schwach! Sterbe ich, ehe Elwine verheirathet ist, dann ist das Majorat verloren. Es hilft nichts, mag sie weinen und flehen, die Pflicht gebietet, es muß geschehen!«
Der Major zögerte nicht länger, er ging nach dem Zimmer seiner Tochter, um seinen Entschluß zur Ausführung zu bringen, so schwer ihm dies auch werden mochte.
Elwine saß an dem geöffneten Fenster, sie schaute gedankenvoll hinaus in die Landschaft; aber ihre Blicke hafteten nicht auf dem einfach lieblichen Bilde, ihre Gedanken flogen über den Wald fort nach dem Schloß Nordenheim. Sie hatte den Grafen Sarentin beobachtet, wie er auf dem von Nordenheim her durch die Sortauer Heide führenden Wege nach Kabelwitz gekommen war. Wohl zwei Stunden war er bei dem Vater geblieben, dann hatte er das Schloß, ohne sie zu begrüßen, wieder verlassen, durch den Schloßgarten, bei der Ruine vorüber, war er nach dem Wald gewandert und in demselben verschwunden. Was war in den zwei Stunden dort in des Vaters Zimmer gesprochen worden?
Elwine ahnte es! Ihr Herz empörte sich bei dem Gedanken, daß der Graf trotz ihrer ihm so offen ausgesprochenen Abneigung dennoch seinem Vorsatz treu bleibe, daß ihr Vater das früher gegebene Wort erfüllen, sie zu der verhaßten Ehe zwingen werde.
Aber mußte sie denn gehorchen? Gab es irgend eine weltliche Macht, welche sie zwingen konnte, eine verabscheute Ehe einzugehen? Konnte sie nicht nein sagen, nein und immer wieder nein! selbst vor dem Altare noch? Weshalb mußte sie gerade in diesem Augenblick an Fritz Stern denken? Er war ja ihr treuster, ihr einziger Freund, der ihr stets rathend zur Seite gestanden hatte. Wenn er nur jetzt bei ihr wäre, daß sie ihn um Rath fragen könnte. Ihn? Nein, nun und nimmermehr, ihn am wenigsten von allen Menschen! Alles konnte sie ihm vertrauen, sie hatte kein Geheimniß vor ihm, aber – –
Sie hörte auf dem Gange die nahenden Schritte des Vaters, der Augenblick, in welchem sich das Schicksal ihres Lebens entscheiden sollte, nahte, sie wußte es. Jetzt galt es Muth zu fassen, um den unvermeidlichen Kampf zu bestehen. Sie stand auf, ihre feine Hand umklammerte krampfhaft die Lehne des Sessels; mit hocherhobenem Haupte, mit glühendem Auge erwartete sie den Vater.
Der Major trat in das Zimmer; als er seine Tochter sich so kampfbereit gegenüber sah, konnte er nicht in Zweifel ein, daß sie ahne, was er ihr mitzutheilen habe. Dies war ihm um so lieber, wurde ihm doch eine lästige Einleitung erspart.
»Du weißt, weshalb ich zu Dir komme, Elwine,« sagte er, sich auf den Sessel in der Fensternische niederlassend. »Ich will Dir deshalb nur mit kurzen Worten sagen, daß Graf Sarentin mich soeben verlassen hat. Ich habe Dir neulich schon angedeutet, daß er um Deine Hand geworben habe, heut hat er seinen Antrag wiederholt und mein Jawort erhalten. Heut Abend wird die Verlobung gefeiert werden, nicht durch eine große Gesellschaft, sondern im engsten Kreise der Familie; ich werde einen Boten nach Nordenheim schicken und Deine beiden Vettern einladen lassen, zu uns herüberzukommen.«
Elwine hörte die Mittheilung ihres Vaters, die sie ja erwartet hatte, ohne sie zu unterbrechen, an. Ihr schönes Angesicht blieb unbewegt, mit unerschütterter Ruhe die in ihrem Innern gährende Erregung kraftvoll unterdrückend, erwiderte sie:
»Ich wußte, daß es so kommen würde, ich habe die Unterredung, welche wir vor acht Tagen hatten, nicht vergessen, Du aber scheinst sie vergessen zu haben, Vater!«
»Was soll das heißen?« fragte der Major zornig.
»Ich habe Dir, als Du mir die Absicht des Grafen in so deutlichen Worten, daß ich sie nicht mißverstehen konnte, mittheiltest, nicht verhehlt, daß ich diesen Menschen verabscheue, daß er mir im Grunde der Seele zuwider ist.«
»Ich habe dies nicht vergessen.«
»Und dennoch hast Du dem Grafen Dein Jawort gegeben? Und dennoch glaubst Du, daß ich auch das meinige geben werde?«
»Willst Du etwa es wagen, meinem Befehle zu trotzen? – Der Graf hat mein Wort, dies muß Dir genug sein. Heut Abend ist Deine Verlobung, dabei bleibt es!«
»Dabei bleibt es!« Dies war das Lieblingswort des Majors; wenn er es ausgesprochen hatte, duldete er keinen weitern Widerspruch, am wenigsten von seiner Tochter, die es auch bisher nie gewagt hatte, dem väterlichen Willen zu widerstehen. Er erhob sich, um die lästige Unterredung kurz abzubrechen. Hatte er doch Alles, was noth that, gesagt; freudigen Gehorsam verlangte er nicht, aber unbedingten Gehorsam, diesen hatte ihm seine Tochter bisher stets geleistet und er war daher auf's Höchste überrascht, als Elwine, ihre kleine Hand auf seinen Arm legend, ihm mit unveränderter Ruhe erwiderte:
»Bleib, Vater, wir sind noch nicht zu Ende. Dein Wort hat der Graf, das meinige nicht. Die Verlobung wird heut Abend nicht stattfinden, denn ich werde dem Grafen erklären, daß ich ihn aus tiefster Seele hasse und verachte, daß ich niemals sein Weib werden kann, daß ich, wenn Ihr mich mit Gewalt vor den Altar schleppt, dort noch Nein sagen werde!«
»Du kündigst mir den Gehorsam, ungerathene Dirne?« schrie der Major in wildem Zorn aufbrausend. »Glaub Du, ich werde wieder Deinem thörichten Eigensinn nachgeben, wie damals, als Du Dich geweigert hast, Heinrich von Nordenheim Deine Hand zu reichen? Ich habe Dir damals mein Ehrenwort verpfändet, daß ich einen zweiten derartigen Ungehorsam brechen werde und ich halte dies Wort! Was hast Du gegen den Grafen? Ist er nicht schön, ein liebenswürdiger Kavalier? Gehört er nicht dem ältesten und edelsten Geschlecht unseres Landes an?«
»Schön, liebenswürdig und ein Edelmann mag er sein,« erwiderte Elwine fest; »aber ein edler Mann ist er nicht, da er weiß, daß ich ihn verabscheue und da er dennoch nicht zurücktritt von seiner verhaßten Bewerbung!«
»Alberner Einwand! Romanredensarten! Bist Du erst die Gräfin Sarentin-Streit, dann wirst Du solche aus Deinen Büchern geschöpfte Ideen vergessen.«
»Niemals!«
»Du wirst es und meine Pflicht als Dein Vater und als der letzte Stammhalter unseres edlen Geschlechtes ist es, Dich zu Deinem eigenen Wohl zu zwingen, da Du es thörichter Weise nicht erkennst. Ob Du den Grafen liebst oder nicht, ist gleichgültig. Die Liebesehen werden stets die unglücklichsten. Gemeinsamkeit der Interessen und gemeinschaftliche Erfüllung der Pflichten begründen allein das wahre Glück einer Ehe. Menschen ohne Namen, Bürgerliche, die keine Verpflichtung zur Aufrechterhaltung ihrer Stammesehre haben, mögen bei der Eingehung eines Ehebandes nur ihr Herz zu Rathe zu ziehen, Dir aber, der Tochter eines altadeligen Geschlechts, liegt eine höhere Pflicht ob. Du hast den alten Namen Streit, der sonst mit meinem Tode erlöschen würde, zu erhalten und unsere Familiengüter vor dem Lehnsverfall zu bewahren. Wo die Pflicht ruft, darf das Gefühl nicht mitsprechen. Du hast zu wählen zwischen Gehorsam oder meinem Fluch! Die entartete Tochter eines edlen Geschlechts, welche ihre Pflichten vergißt, darf mein Kind nicht mehr sein. Bis heut Abend gebe ich Dir Zeit zur Besinnung, dann magst Du Dich entscheiden, ob Du die Gräfin Sarentin-Streit, oder eine namenlose, mit dem Fluch des Vaters belastete Ausgestoßene sein willst!«
Der Major stieß nach diesen Worten Elwinens Hand, welche noch immer auf seinem Arm ruhte, barsch zurück; ohne eine Antwort zu erwarten, verließ er seine Tochter.
Elwine hatte mit dem Aufgebot ihrer ganzen Willenskraft bis zu diesem Augenblick ihre Ruhe bewahrt, als jetzt aber der Vater sie ohne ein tröstendes, gütiges Wort verließ, brach sie zusammen. Sie sank in den Sessel; das müde Haupt auf den Arm gelegt, weinte sie bittere Thränen. Ihre Gedanken irrten durcheinander. Heut Abend sollte sie sich entscheiden! Wie aber auch ihr Entschluß ausfallen mochte, immer mußte er ihr Lebensglück für immer vernichten! Verflucht, verstoßen von dem Vater, den sie trotz seiner rauhen Schroffheit so zärtlich liebte, oder die Gattin des verabscheuten Mannes! Die Wahl war fürchterlich, sie konnte nicht zur Entscheidung kommen!
Lange, lange Zeit saß sie halb wachend, halb träumend, nur dessen sich bewußt, daß sie namenlos unglücklich sei, da fühlte sie, daß eine Hand leicht ihre Schulter berührte und von einer lieben Stimme gesprochen, hörte sie die Worte: »Elwine, meine liebe, liebe Elwine! Was ist Dir geschehen?«
Sie schaute auf. Fritz Stern war, ohne von ihr gehört zu werden, ins Zimmer und zu ihr getreten, er beugte sich theilnehmend zu ihr herab, sie blickte in sein schönes treues Auge! Was sie bisher selbst nicht geahnt hatte, jetzt plötzlich wurde es ihr klar, – um seinetwillen bebte sie zurück vor der Liebe jedes andern Mannes, er war der Abgott ihrer Seele, ihn liebte sie mit glühender Leidenschaft! Als er so liebevoll sich zu ihr beugte, da konnte sie nicht anders, sie mußte dem Drange ihres Herzens folgen! Sie umfaßte seinen Hals und indem sie den Geliebten zu sich zog, küßte sie ihn, dann aber vor sich selbst erschreckend, sich ihrer wilden Leidenschaftlichkeit schämend, verbarg sie das in dunkler Röthe erglühende Angesicht an seiner Brust.
Fritz Stern wurde durch diese ungewohnte Begrüßung tief erschreckt. So hatte er seine liebe Elwine noch nie gesehen. Wohl zeigte sie sich stets schwesterlich zärtlich gegen ihn und es war nicht der erste Kuß, den er von ihr erhielt; aber niemals war sie so erregt gewesen, nie hatten ihre Lippen so glühend auf den seinigen gebrannt. Elwine, die schöne Amazone, hatte durch ihre männliche Erziehung sich eine fast unweibliche Ruhe und Selbstbeherrschung angeeignet, seit ihren Kinderjahren hatte er sie niemals weinen sehen, und jetzt lag sie schluchzend, kaum ihrer Sinne mächtig, an seiner Brust.
Er hob ihren Kopf in die Höhe, aber sie wagte ihm nicht ins Auge zu schauen; er bat sie gütig und liebevoll, ihm zu vertrauen, ihm die Ursache ihres Kummers mitzutheilen. Lange Zeit erhielt er keine Antwort, endlich aber vermochte sie sich zu fassen. Sie entwand sich seinem Arm, er versuchte nicht, es zu verhindern, nur als sie sich erhob, um ihren Lieblingsplatz in der Fensternische wieder einzunehmen, ergriff er ihre Hand und bat sie noch einmal recht eindringend und freundlich, daß sie ihm vertrauen möge, er sei ja ihr ältester, treuester Freund, ihr Bruder, vor dem sie bisher nie eine Freude oder einen Kummer geheim gehalten habe.
Elwine kämpfte einen schweren Kampf mit sich selbst. Ihr Herz drängte sie, dem Geliebten Alles zu sagen und dennoch fühlte sie eine mädchenhafte Scheu, es zu thun. Sie wußte ja jetzt, daß sie ihn liebte, aber sie durfte es ihm nicht sagen, nicht zeigen! War sie doch in der überwältigenden Aufwallung des Augenblicks ohnehin schon zu weit gegangen, denn er – das fühlte sie mit tiefer Bitterkeit – er hegte für sie nur die zärtliche Liebe eines Bruders. Wie sie selbst einst Heinrich von Nordenheim recht herzlich lieb gehabt hatte und doch scheu zurückgebebt war vor einer Ehe mit ihm, so fühlte jetzt Fritz für sie; er war ihr theurer Bruder, mehr wollte und konnte er ihr nicht sein. Aber gerade deshalb durfte sie ihm vertrauen, gerade deshalb war er befähigt, ihr mit seinem brüderlichen Rath zur Seite zu stehen. Hätte er sie geliebt, wie sie ihn liebte, dann wäre es ihr unmöglich gewesen, ihm das Leid ihres Herzens zu klagen, jetzt konnte sie es thun. Sie erzählte ihm, oft von Schluchzen unterbrochen, aber nach und nach sich völlig fassend und in seiner milden Ruhe die ihrige wiederfindend, das ganze traurige Gespräch, welches sie mit ihrem Vater geführt hatte. Jedes Wort hatte sich unverlöschlich ihrem Gedächtniß eingeprägt, sie konnte ihm den treusten Bericht erstatten.
Fritz Stern hörte mit ernster Aufmerksamkeit Elwinens Erzählung an; er unterbrach sie nicht und auch, als sie geendet, blieb er noch in tiefes Sinnen versunken. »Es ist gekommen, wie ich es geahnt habe«, sagte er traurig. »Du stehst vor einer schweren Entscheidung, meine arme Elwine, und Du wirst Deines ganzen Muthes, Deiner ganzen Kraft bedürfen, um Dein Schicksal zu ertragen. Dein Vater ist zu tief durchdrungen von dem Gefühl der Pflicht gegen sein edles Geschlecht, als daß er sein Wort zurücknehmen könnte. Wie er sein eigenes Leben der Pflichterfüllung geopfert hat, wird er das Deinige dem opfern, was er für das Gebot der Ehre hält. Darauf, daß er seinen Sinn ändere, daß er den Plan aufgebe, für den er Jahre lang gelebt hat, darfst Du nicht hoffen, Du armes Kind, und ebenso wenig darauf, daß der Graf freiwillig zurücktrete. Er ist ein kalt berechnender Egoist, der nicht Dich, sondern Dein Erbtheil begehrt.«
»Wie gern ließe ich ihm dies traurige Geld!« rief Elwine trostlos.
»Das ist leider unmöglich. Nur durch Dich kann er in den Besitz Deines Erbes, des Streit'schen Majorats kommen und deshalb wird er Dich nicht lassen, sondern Deine Hand begehren ohne Rücksicht auf Deine Verzweiflung. Aber ich hoffe, er soll dennoch sein tückisches Spiel verlieren. Ich werde Dich noch glücklich sehen, meine theure Elwine, – versöhnt mit Deinem Vater, das liebende, glückliche Weib eines trefflichen Mannes, wenn Du meinem Rath folgen, meine Bitten erhören willst.«
Elwine sah befremdet zu ihm auf. Für einen Augenblick erwachte in ihrem Herzen die Hoffnung, er selbst wolle ihr seine Liebe erklären, aber ein Blick in sein schönes, ruhiges Auge sagte ihr, daß sie sich getäuscht habe. Er schaute sie an so mild und gütig, so liebevoll, aber doch so – – – kalt!
»Höre mich an, Elwine,« so fuhr er fort. »Verzeih mir, wenn ich Dich vielleicht tief kränke, glaube mir, ich habe dabei nur Dein Glück im Auge. Du weißt, daß Dein Vater es für seine heilige Pflicht hält, den Namen Streit nicht aussterben zu lassen, ihn durch Dich zu vererben auf ein neues, in weiblicher Linie von dem alten Streit'schen stammendes Adelsgeschlecht. Er ist bereit, dieser Pflicht jedes Opfer zu bringen, selbst das des Lebensglückes seiner Tochter. Den Grafen Sarentin liebt er selbst nicht, ja ich weiß es, daß er fast eine gewisse Abneigung gegen ihn hat; jeden Schwiegersohn aus einem altadeligen Geschlecht würde er dem Grafen vorziehen und er hat diesem nur sein Jawort gegeben, weil er fürchtet, andere Bewerber um Deine Hand werden sich durch Deine offen an den Tag gelegte Männerfeindschaft zurückschrecken lassen.«
»Fritz, ich bitte Dich, quäle mich nicht so grausam!«
»Du mußt mich zu Ende hören, es handelt sich ja um Dein Lebensglück, darum, daß ich Dich diesem Unwürdigen entreiße. Erinnere Dich, Elwine, wie glücklich Dein Vater in dem Gedanken war, Dich mit meinem Bruder Heinrich vereint zu sehen. Du hast seine schönsten Hoffnungen vernichtet; aber noch ist es vielleicht Zeit, wieder gut zu machen, was Du damals gethan. Heinrich liebt Dich noch heut mit glühender Leidenschaft; wenn er oft wild und unstät scheint, wenn er ruhelos nichtigen Vergnügungen nachjagt, so trägst Du die Schuld; die Verzweiflung darüber, daß Du ihn verschmähst, raubt ihm jeden Lebensmuth und jede Lebensfreude. Ein liebevolles Wort von Dir würde ihn zum glücklichsten Menschen machen und nicht nur ihn, auch Deinen theuren Vater, auch mich!«
»Auch Dich, Fritz?« fragte Elwine, indem sie sich abwendete, um ihre von Neuem fließenden Thränen zu verbergen, sie sah es nicht, daß er bei dieser Frage erbleichte, daß seine Hand krampfhaft sich zusammen ballte, sie bemerkte es nicht, daß er nicht gleich antwortete; aber nur einen Augenblick war er durch die unerwartete Frage verwirrt, dann faßte er sich und so ruhig, wie vorher, sagte er: »Auch mich, Elwine! Kann es wohl für mich ein größeres Glück geben, als das, die beiden Menschen, welche mir die theuersten auf dieser Welt sind, vereint und glücklich zu sehen? Du liebst Heinrich nicht, – ich weiß es; sein verstörtes Wesen hat Dich oft zurückgestoßen, aber Du kennst sein vortreffliches Herz, Du weißt, daß er kein anderes Streben haben wird, als das, Dich glücklich zu machen. – Du wirst sein guter Engel sein, durch Dich wird er die Schlacken von sich abstreifen, welche heute noch den edlen Kern seines Wesens verhüllen und in seinem Glück, in dem Deines Vaters wirst Du das Deinige finden. Kannst Du schwanken, wo es die Wahl gilt zwischen jenem verächtlichen Grafen, der nur begierig nach Deinem Erbtheil ist, und Heinrich, der Dich mit glühender Leidenschaft liebt und für den Du ja auch die Zuneigung einer Schwester fühlst?«
Sie hatte seinen Worten mit abgewandtem Gesicht gelauscht. Es erfüllte sie mit Bitterkeit, daß er, gerade er sie drängte, sich auf ewig von ihm zu scheiden, und doch war es für sie auch wieder ein beseligendes Gefühl, ihn so besorgt für ihr Glück zu sehen. Sie sah ein, daß er Recht habe, – ihr Verstand sagte es ihr, wenn auch ihr Gefühl sich dabei sträubte. – Ja, Heinrich liebte sie noch, wie an jenem Tage, an welchem sie ihn vor Jahren zurückgewiesen hatte und noch heute war es sicherlich der Wunsch ihres Vaters, ihn seinen Schwiegersohn zu nennen. Es gab keinen anderen Ausweg! Gegen Heinrich konnte sie offen sein, sie konnte ihm sagen, daß sie keine andere Liebe als die einer Schwester für ihn fühle, daß sie ihm ihre Hand nur reiche, um befreit zu werden von jenem verabscheuten Bewerber, – sie wußte, daß er ihr nicht zürnen werde. – Die Zeit drängte, sie mußte sich entschließen. »Sprich mit dem Vater, Fritz,« sie mit leiser, tonloser Stimme. »Jetzt aber laß mich, – ich muß allein sein. – Ich will hinaus in meinen lieben Wald, dort will ich allein mich ausweinen, dort finde ich meine Ruhe wieder!«
Ohne ihn anzuschauen, sie wagte es nicht, – fürchtete sie doch die mühsam errungene Fassung wieder zu verlieren! eilte sie an ihm vorüber. Er hielt sie nicht auf. Als sie das Zimmer verlassen hatte, preßte er beide Hände gegen die Stirn. Jetzt war er nicht mehr gezwungen, seine künstliche Ruhe aufrecht zu erhalten, jetzt konnte er sich dem Gefühle hingeben, welches ihn fast überwältigt hatte. – Aber nur einen Augenblick überließ er sich dem leidenschaftlichen Schmerz, der ihn erfüllte, dann faßte er sich, – die wildbewegten Züge beruhigten sich, er ließ die Hände von der Stirn sinken, er war wieder er selbst, der ruhige, besonnene, leidenschaftslose Doctor Fritz Stern. »Sprich mit dem Vater, Fritz. – Das war ihr letztes Wort! –« sagte er leise. – »Ja ich will zu ihm gehen, ich will das begonnene Werk vollenden. Muß ich verzweifeln, so sollen sie doch glücklich werden, Heinrich und Elwine.«